Vulgata – Bibel-Lexikon

Diese Bezeichnung bezieht sich üblicherweise auf die lateinische Übersetzung der Bibel und deutet an, dass diese allgemein verbreitet ist. Sie ist die Übersetzung, die von der römischen Kirche anerkannt und verwendet wird, aber eine lateinische Übersetzung existierte bereits, lange bevor diese Kirche irgendeine Autorität erlangte. Der Apostel Paulus schrieb um das Jahr 58 n. Chr, dass er „seit vielen Jahren" das Verlangen hatte, die Heiligen in Rom zu besuchen (Röm 15,23). Wahrscheinlich besaßen die Heiligen dort während dieser vielen Jahre frühe Abschriften des Alten Testamentes in der lateinischen Sprache, sowie des Neuen Testaments, soweit die Evangelien und die Briefe schon existierten.

Durch die Hinweise bei Hieronymus (346-420) und Augustinus (354-430) ist bekannt, dass im vierten Jahrhundert eine große Vielfalt an lateinischen Auslegungen existierte, obwohl Gelehrte aus jüngerer Zeit behaupten, dass viele von diesen auf einige unbekannte Texte schließen lassen.

Jedenfalls ging Augustinus davon aus, dass einer von diesen sich von den anderen in Klarheit und Genauigkeit unterschied, und diese wurde von den anderen mit dem Namen Itala, bzw. Italic abgegrenzt. Dies führte dazu, dass die frühesten lateinischen Codices mit Italien in Verbindung gebracht wurden, wo in den Tagen der Apostel, wie bereits erwähnt, mit Sicherheit Versammlungen existierten (Heb 13,24).

Auf Grund des Vergleichs der frühesten Exemplare mit den Schriften der lateinischen Väter sind einige dennoch davon überzeugt, dass die erste Übersetzung ins Lateinische afrikanischen Ursprungs war. Diese Meinung wurde von Lachmann, Tischendorf, Davidson und Tregelles anerkannt, während andere bei dieser Übersetzung nach wie auf Italien verweisen. Könnte nicht an jedem dieser Orte eine Übersetzung angefertigt worden sein?

Die wichtigsten, von den Herausgebern genannten Handschriften, die auf die Zeit vor Hieronymus datieren, (als altlateinisch sowie als italisch bezeichnet, obwohl der Unterschied nicht klar gekennzeichnet wird) sind:

 

a.

Cod. Varcellensis

Beinhaltet die Evangelien. 4. Jhd.

b.

Cod. Veronensis

Die Evangelien. Etwas später als a., ein gutes Beispiel alten Lateins.

c.

Cod. Colbertinus

Das ganze Neue Testament, aber nur die Evangelien in altem Latein, 6. Jhd.

d.

Cod. Bezae

Das Latein des griechischen D., die Evangelien und Apostelgeschichte, 6. oder 7. Jhd.

d.

Cod. Claromontanus

Paulus' Briefe des selben, 6. oder 7. Jhd., Er hat einen höheren Rang, als die Evangelien und die Apostelgeschichte.

e.

Cod. Palatinus

Die Evangelien, 4. oder 5. Jhd., ein gemischter Text

e.

Cod. Laudianus

Die Apostelgeschichte des Griechischen Codex E.

e.

Cod. Sangermanensis

Paulus' Briefe, der lateinische Text des Griechischen Codex E., aber man nimmt an, dass es sich um eine Ausgabe von d. handelt.

g.

Cod. Boernerianus

Paulus' Briefe, die interlineare Version des Griechischen Codex G. 9. oder 10. Jhd.

h.

Cod. Claromontanus

Die Evangelien, aber nur Matthäus ist in altem Latein, 4. oder 5. Jhd.

k.

Cod. Bobbiensis

Teile von Matthäus und Markus. Man nimmt an, dass es sich um die ältesten Vertreter des Afrikanischen Typs handelt. 4. oder 5. Jhd.

m.

 

Von einem "Spiegel" (Speculus?), ein bemerkenswertes altes Werk. Es beinhaltet ein Anzahl Lehren als uberschriften, unter denen Abschnitte aus dem Alten und dem Neuen Testament ohne Bemerkung oder Kommentar zitiert werden. Der Text wird im Allgemeinen als Afrikanisch, im Unterschied zum Italienischen, betrachtet. Er enthält 1. Joh 5,7 zweimal, bekannt als himmlische Zeugnisse. 6. oder 7. Jhd.

Es gibt auch noch eine Reihe anderer Teile, von denen einige als europäisch beschrieben werden, aber man geht davon aus, dass es bei einigen unmöglich ist, diese als afrikanisch, europäisch oder italienisch einzuordnen.

Nachdem sich die Zahl der lateinischen Abschriften stark vergrößert hatte, wobei einige von diesen offensichtliche Verfälschungen enthielten, hielt man eine Überarbeitung für notwendig, und Damasus, Bischof von Rom, übertrug Hieronymus diese Aufgabe.

Obwohl Hieronymus die Schwierigkeiten sah, die ihm auf Grund der Vorurteile, die eine solche Arbeit entfachen würde, begegnen würden, musste diese dennoch getan werden. Er sagte, es gäbe Fehler „durch falsche Abschriften, ungeschickte Korrekturen und unbedachte Einschübe." Diese Fehler könnten nur berichtigt werden, wenn man zum griechischen Urtext zurückkehren würde.

Da die Evangelien am meisten gelitten hatten, begann er mit ihnen, jedoch fertigte er keine neue Übersetzung an, sondern überarbeitete die altlateinische Fassung. Seine Überarbeitung der Evangelien erschien 384 n. Chr zusammen mit einem Vorwort an Damasus, der im selben Jahr starb. Es gilt als wahrscheinlich, dass er den Rest des N.T. im Jahr 385 vervollständigte.

In seinem Kommentar zu den Briefen an die Galater, an die Epheser, an Titus und an Philemon im Jahr 386 arbeitete er als Übersetzer mit einer größeren Freiheit, als er es als Korrektor getan hatte. In seiner neuen Fassung des A.T. übersetzte er, mit Ausnahme der Psalmen, die aus der Septuaginta übersetzt wurden, aus dem Hebräischen. Augustinus missfiel diese freiere Übersetzung. Auch das Volk widerstand im Allgemeinen den Veränderungen. Es wird sogar von einem Aufruhr in einer Kirche berichtet, nachdem der Prophet Jona gelesen worden war, welcher deshalb entstand, weil Hieronymus das Wort hedera, „Efeu", in seiner Übersetzung verwendet hatte, die Zuhörer aber an das Wort cucurbita, „Kürbis", gewöhnt waren. (In der Elberfelder Übersetzung wir das Wort mit „Wunderbaum" wiedergegeben.) Aber auch diese Aufregung legte sich allmählich.

Während der folgenden 400 Jahre wurden die Handschriften, und mit ihnen die Fehler, vervielfältigt, bis Karl der Große einen Ausweg suchte, indem er Alkuin damit beauftragte, den Text für den öffentlichen Gebrauch zu überarbeiten. Diese Überarbeitung wurde um 802 n. Chr. fertig gestellt und als Bibel Karls des Großen bezeichnet. Eine Kopie derselben befindet sich im Britischen Museum in London, aber diese ist jüngeren Datums als Karl der Große.

Die Zahl der Kopien wuchs weiter und mit ihnen auch die der Fehler, sodass, sobald die Druckkunst erfunden war, eine Reihe von Ausgaben veröffentlicht wurden, die voneinander mehr oder weniger abwichen. Schließlich bereiteten die Päpste eine korrekte Ausgabe vor, die von Sixtus V. 1590 beendigt wurde, aber auch diese erwies sich als dermaßen fehlerhaft, dass man andere in Angriff nahm. 1592 veröffentlichte Clemens VIII. eine neue, 1593 eine weitere und 1598 eine dritte, wobei in allen dreien eine Reihe von Fehlern vorhanden waren. Die heutigen gedruckten Ausgaben der Vulgata stützen sich weitgehend auf die Ausgabe des Jahres 1592, wobei mit Hilfe anderer Handschriften die Fehler ausgemerzt wurden. Da man verschiedene Lesarten des N.T. auf die gedruckten Ausgaben der Vulgata zurückführte, wurde auf letztere nicht oft Bezug genommen, sondern vielmehr auf die Handschriften der Überarbeitung Hieronymus', die immer noch existieren. Diese sind in der Hauptsache:

am.

Cod. Amiatinus; beinhaltet die ganze Bibel, 6. Jhd.

fuld.

Cod. Fuldnesis; das Neue Testament, 6. Jhd.

tol.

Cod. Toletanus; die ganze Bibel; in gotischen Buchstaben.

for.

Cod. Forojuliensis; Teile der Evangelien.

per.

Teile von Lukas.

harl.

Cod. Herleian; die Evangelien; 7. Jhd.; Mit Teilen vieler anderer.

Der Abschnitt in Johannes 8,1-11, welcher die Geschichte der im Ehebruch ergriffene Frau erzählt (die in vielen griechischen Handschriften, einschließlich א A B C L T X Δ weggelassen wird, obwohl in L und Δ Platz freigelassen wurde), findet sich in den Codices c. und e. der altlateinischen Versionen; auch in b. befand sie sich, wurde aber daraus gelöscht. Die Verse 10 und 11 werden hier, zusammen mit dem Codex Amiatinus, zitiert.

c. Cod. Colbertinus

e. Cod. Palatinus

am. Cod. Amiatinus

Cumque se erexisset Jesus, dixit ad mulierem: Ubi sunt? nemo te condemnavit ? Quae dixit, Nemo Domino. Dixit autem illi Jesus: Nec ego te condemnabo: Vade, et ex hoc jam noli peccare.

Cum adlevasset autem capud ihs dixit ei. mulier ubi sunt nemo te judicavit. Dixit et illa, nemo dne dixit autem ihs ad illam nec ego te judico. i et amplius noli peceare.

Erigens autem se Jesus dixit ei mulier, ubi sunt? nemo te condemnavit? Quae dixit, Nemo domine. Dixit autem Jesus Nec ego te condemnabo: vade et amplius jam noli peccare.

Dieser Abschnitt verdeutlicht wie das Altlateinische, das in der Vulgata erhalten blieb, ein Mittel der Autorisierung der echten Lesarten sein kann, die andernfalls wegen der angenommenen Überlegenheit (des Gewichts, nicht der Zahl nach) anders lautender griechischer Handschriften verworfen würde. Augustinus (354-430 n. Chr.) und Nicon (10. Jhd.) nannten als Grund für das Weglassen dieses Abschnittes, dass man das hier Geschilderte als eine Berechtigung zum Sündigen ansehen könnte.

Deshalb sollte der lateinische Text nicht deshalb ignoriert werden, weil Rom ihn übernahm. Er existierte lange vor der päpstlichen Vorrangstellung und war für viele Jahrhunderte die einzige Ausgabe des N.T., die der Masse der Christen zugänglich war. Auch die Reformatoren benutzten sie, bis sie eine griechische Ausgabe erhielten und diese lesen konnten.


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