Das Wort ίλασμός, das mit „Sühnung" wiedergegeben wird, kommt zweimal im N.T. vor (1. Joh 2,2; 4,10). Das Wort stammt von einem Verb mit der Bedeutung „gnädig/günstig sein". Ursprünglich ist hier auch der Gedanke der Versöhnung enthalten. Die Sühnung stellt in der Schrift den Aspekt des Todes Christi dar, durch den der heilige und gerechte Charakter Gottes völlig gerechtfertigt wurde. Die Sühnung ermöglicht es Gott, der ganzen Welt Gnade anzubieten (1. Joh 2,2; 4,10). Ein verwandtes Wort wird in Hebräer 2,17 verwendet. Auch das in Römer 3,25 mit „Sühnmittel" (auch „Gnadenstuhl”) und in Hebräer 9,5 mit „Sühndeckel" übersetzte griech. Wort ιλαστήριον leitet sich davon ab.
Das griechische Wort καταλλαγη, das mit Versöhnung wiedergegeben wird kommt in den folgenden Stellen vor: Römer 5,11; 11,15; 2. Korinther 5,18.19.
Neben Sühnung und Versöhnung spricht die Schrift auch von Stellvertretung, auch wenn das Wort nicht direkt vorkommt. Der Gedanke der Stellvertretung ist in einigen Stellen sehr deutlich:
- "... der selbst unsere Sünden an seinem Leib auf dem Holz getragen hat" (1. Pet 2,24),
- "Denn auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet" (1. Kor 5,7),
- "indem er ein Fluch für uns geworden ist" (Gal 3,13),
- "Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten" (1. Pet 3,18)
- "durch seine Striemen ist uns Heilung geworden" (Jes 53,5)
- "...der unserer Übertretungen wegen hingegeben [...] worden ist" ( Röm 4,25),
- "Und ihr wisst, dass er offenbart worden ist, damit er unsere Sünden wegnehme" (1. Joh 3,5)
Im A.T. stoßen wir laufend auf das Wort „Sühnung", und nur wenige Male auf „Versöhnung". Das Wort kaphar wird in der Regel mit „Sühnung tun" übersetzt, kann aber auch für „reinigen" oder „versöhnen" verwendet werden. Wörtlich bedeutet das Wort kaphar „bedecken". Dazu gibt es die verschiedensten Präpositionen, meistens jedoch die Präposition „für". „Sühnung für ihn" oder „für seine Sünden" bedeutet deshalb, dass er oder seine Sünde bedeckt ist.
Dasselbe Wort wird benutzt in Verbindung mit dem großen Sühnungstag und den zwei Ziegenböcken in 3. Mose 16. Die Sünden wurden als auf dem sündlosen Ziegenbock liegend gesehen, und in Bezug auf diese Sünden wurde Sühnung getan. Das Wie wird hier nicht beschrieben, aber die Sühnung geschah durch die zwei Ziegenböcke, die bildlich gesehen zusammengehören und einen einzigen Sachverhalt darstellen. Das Ziel war es nämlich, zu zeigen, dass die Sünden auf Christus gelegt werden würden, und dabei gleichzeitig weggetragen werden würden ‒ außer Sichtweite und niemals wieder auffindbar. Natürlich war der Ziegenbock nur ein Stellvertreter für die betreffende Person. Er war der, auf dem die Sünden lagen, und diese mussten weggetan werden. So gibt es einmal eine den Menschen betreffende Seite, und eine Gott betreffende Seite. Dieser doppelte Aspekt des Sühnungswerkes ist sehr wichtig: Gott am Gnadenstuhl das Blut vorzuzeigen und die Sünden wegzutragen (vgl. 2. Mo 29; 30; 32; 3. Mo 1; 3. Mo 4–10; 3. Mo 12; 3. Mo 14–17; 3. Mo 19; 3. Mo 23; 4. Mo 5–6; 4. Mo 8; 4. Mo 15–16; 4. Mo 25; 4. Mo 28–29; 4. Mo 31; 2. Sam 21,3; 1. Chr 6,49; 2. Chr 29,24; Neh 10,33).
Es mag hilfreich sein, in diesem Zusammenhang einige andere hebräische Wörter zu erwähnen: Es gibt nasa, „hochheben" und der Gedanke im Zusammenhang mit Vergebung ist dabei, die Sünden hinweg aus den Gedanken der Person zu heben. In Psalm 4,7 beschreibt dieses Wort das Erheben des Angesichts Gottes, um Israel seine Gunst zu zeigen. Wir finden auch kasah, „zudecken", wie in Psalm 32,1, wo Sünde zugedeckt ist. Manchmal wird es zusammen mit der Präposition al benutzt, wie in Sprüche 10,12: „Liebe deckt alle Übertretungen zu".
Aber in diesen Wörtern ist der Gedanke von Sühnung nicht unbedingt enthalten, die Seite des Übertreters wird gesehen und er wird in Gnade angeschaut. Wir haben auch salach, „Verzeihung" oder „Vergebung". So wird es als Wirkung von kaphar benutzt, z.B. in 4. Mose 4,20. Das von kaphar abgeleitete Wort kapporeth bezeichnet den Gnadenstuhl oder Sühndeckel. Obwohl Sühnung Vergebung und Reinigung von der Sünde einbezieht, hat sie immer Gott im Blick, und nicht allein die Befreiung des Sünders von seiner Sünde. Gott ist durch die Sünde verunehrt worden und muss sie richten.
Ein piaculum (Sühnopfer) diente zur Zufriedenstellung Gottes im Hinblick auf die Verunehrung, die durch die Schuld entstanden war. Im heidnischen Götzendienst schrieben die Menschen ihren Göttern heftige Rachegedanken zu, die Götter waren für sie wütende und rachsüchtige Wesen. Das ist natürlich ein verfehlter Gedanke.
Gott hat eine Natur, die durch Sünde verunehrt wird. Die Majestät seiner Heiligkeit muss erhalten bleiben. Sünde darf nicht mit Gleichgültigkeit behandelt werden, aber Gottes Liebe stellt ein Lösegeld zur Verfügung. Gottes Lamm nimmt das Werk auf sich und vollendet es. So bleiben die vollkommene Liebe Gottes und seine Gerechtigkeit erhalten durch das Werk am Kreuz. Nicht nur durch Gottes vollkommene Liebe, sondern auch durch die vollkommene Liebe dessen, der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat, kann Sühnung geschehen ‒ Sühnung für die Sünde (Gottes Seite) und Reinigung und Rechtfertigung (Seite des Menschen).
Das Substantiv kopher wird übersetzt mit „Lösegeld" (z. B. 1. Sam 12,3) oder „Zufriedenstellung". So wird beispielsweise in 2. Mose 21,30 ein kopher ("Lösegeld") auf einen Mann gelegt, um sein Leben zu retten, wenn sein Ochse seinen Nachbarn getötet hatte. Aber in 4. Mose 35,31 wird deutlich, dass kein kopher für das Leben eines Mörders angenommen werden konnte, denn für das Land kann keine Sühnung getan werden außer durch das Blut dessen, der Blut vergossen hat. Das zeigt die Kraft von kopher und kaphar. Eine Zufriedenstellung wird angeboten, entsprechend den Anforderungen dessen, der verunehrt wurde.
Ein Gedanke mag hinzugefügt werden in Bezug auf den Vergleich zwischen den beiden Vögeln (3. Mo 14,4–7) und den zwei Ziegenböcken (3. Mo 16,7–10). Der Zweck der Vögel war die Reinigung vom Aussatz. Die Anwendung richtete sich an den befleckten Menschen, es war kein kopher, also kein Lösegeld für Gott. Das kann nur auf der Grundlage von Blutvergießen und Befriedigung geschehen. Dennoch war die sofortige Handlung die Reinigung. Deshalb finden wir sowohl Wasser als auch Blut. Der eine Vogel wurde über lebendigem Wasser in ein irdenes Gefäß geschlachtet, und der andere, lebende Vogel (und einige weitere Dinge) wurden in sein Blut getaucht. Der betreffende Mann wurde dann damit besprengt und der lebende Vogel losgelassen. Er wurde bildlich mit dem Tod eins gemacht und kam dann frei. Deshalb gab es hier kein Sündenauflegen wie auf den Ziegenbock. Bildlich betrachtet ist das lebendige Wasser in dem irdenen Gefäß zweifellos die Kraft des Geistes und des Wortes im Menschen. Das ist nicht die Sühnung an sich Gott gegenüber, obwohl es sich darauf gründet, wie es der Tod des Vogels zeigt. Es ist die Reinigung des Menschen durch den Tod, aber in der Kraft der Auferstehung von Christus, der einmal für die Sünden gestorben ist.
So war auch das Opfer der roten jungen Kuh (4. Mo 19,1–22) in sich selbst kein Akt der Sühnung, sondern der Reinigung. Die Grundlage dafür wurde durch das Schlachten und das Verbrennen der jungen Kuh gelegt. Die Sünde wurde darin sozusagen verzehrt, und das Blut wurde siebenmal gegen die Vorderseite des Zeltes der Zusammenkunft gesprengt. Als Christus starb, wurde die Sünde völlig verzehrt durch das Feuer des Gerichts, und der ganze Wert des Blutes war vor Gott. Der Akt der Reinigung ist nicht an sich Sühnung, weil bei der Sühnung Gott ein Opfer dargebracht wird. Es ist ein kopher, ein Lösegeld, eine Befriedigung, die der unendlichen, absoluten Vollkommenheit von Gottes Wesen und Charakter gerecht werden muss. Dadurch wird Sühnung getan, und der Tag der Versöhnung wird kippurim genannt. Der Priester tut Sühnung im Hinblick auf die Sünden, und das hatte den doppelten Aspekt des Vorzeigens des Blutes vor Gott und des Wegtragens der Sünde seines Volkes. Wir müssen einen Unterschied machen zwischen dem nicht zerrissenen Vorhang und den wiederholten Opfern, und andererseits dem zerrissenen Vorhang und dem ein für alle mal geschehenen Opfer für alle, wie es der Hebräerbrief lehrt.
Ein Fall muss noch erwähnt werden, bei dem es sich aber um ein bloßes Bestätigen des Sühnungsaktes (kaphar) handelt. In 2. Mose 30,11–16 wurde angeordnet, dass bei einer Volkszählung jeder, reich oder arm, die Hälfte eines Sekels als kopher Lösegeld für seine Seele oder sein Leben geben sollte. Das hatte nichts mit Sünde zu tun, sondern sollte Plagen abwehren - eine Anerkennung des Volkes, dass sie alle in gleicher Weise zu Gott gehörten. Sie konnten sich nicht mit Zahlen rühmen, wie David es später tat und damit die Plage über Israel brachte. Hier zeigt sich die Kraft des Sühnungsaktes (kaphar).
Wir haben keine Sühnung in Verbindung mit dem Speisopfer. Wir sehen hier die Vollkommenheit der Person Christi, die durch das Feuer Gottes geprüft wurde. Das Feuer führte selbst bis zum Tod, zum Tod am Kreuz. Alles war ein vollkommener Wohlgeruch, und traf vollkommen die Ansprüche Gottes, aber es war kein kopher, kein Lösegeld. Dafür ist Blutvergießen nötig.
Das wesentliche Merkmal von Sühnung ist demnach:
- Es ist ein Werk der Zufriedenstellung für Gott. Es richtet sich nach seinen Anforderungen, seinem Wesen und Charakter.
- Es beinhaltet das Wegtragen unserer Sünden, sodass wir jetzt Gott verherrlichen können (auch im Hinblick darauf, wie er in Bezug auf die Sünde gehandelt hat. Der Glaubende kommt durch dieses stellvertretende Blutvergießen zu Gott, und bekommt die Sicherheit, dass alle seine Sünden weggetan sind und Gott ihrer nie mehr gedenken wird).
Siehe auch
Versöhnung.