Ein Volk für seinen Namen (Apg. 14-17)
Das Evangelium in Beröa
Trotz aller Widerstände setzte das Evangelium seinen Siegeszug fort und gelangte nun nach Beröa. Auf welche Weise es dorthin kam und wie Gott Seine Knechte durch Seine Vorsehung in allem leitete, zeigen uns die nächsten Verse.
Leitung durch göttliche Vorsehung
„Die Brüder aber sandten sogleich in der Nacht sowohl Paulus als auch Silas fort nach Beröa, die, als sie angekommen waren, in die Synagoge der Juden gingen. Diese aber waren edler als die in Thessalonich; sie nahmen das Wort mit aller Bereitwilligkeit auf, indem sie täglich die Schriften untersuchten, ob dies sich so verhielte. Viele nun von ihnen glaubten, und von den griechischen vornehmen Frauen und Männern nicht wenige“ (Apg 17,10–12).
Jason und seinen Begleitern war gestattet worden, für die beiden Missionare Bürgschaft zu leisten. Der Tumult hatte sich gelegt. Jetzt war es höchste Zeit, die Stadt zu verlassen. Eine andere Möglichkeit gab es nach Lage der Dinge nicht. Und so sandten die Brüder sogleich in der Nacht Paulus und Silas fort – nach Beröa. Die beiden hatten bereits des Öfteren Gelegenheit gehabt, nach des Meisters Weisung zu verfahren: „Wenn sie euch aber verfolgen in dieser Stadt, so flieht in die andere“ (Mt 10,23). Jetzt wiederholte sich dieser Vorgang. In der Tat, ihr unermüdlicher Eifer in der Verfolgung der Interessen des Evangeliums nötigt uns höchste Bewunderung ab.
Ihr Weg führte sie zunächst westwärts durch eine große Ebene und dann ins Gebirge. Sie konnten zwar Beröa nicht an einem Tag erreichen, denn die Entfernung betrug etwa 70 km. Aber sie wanderten – die ganze Nacht. Es war nicht lange her, dass sie, ebenfalls in der Nacht, im Gefängnis Gott Loblieder gesungen hatten. Das war der Auftakt zu unermesslichem Segen in Philippi gewesen. Wieder war es Nacht. Doch jetzt sangen sie nicht, sondern sie wanderten. Und diese Nachtwanderung war der Weg dazu, dass viele Menschen in Beröa aus geistlicher Finsternis in das wunderbare Licht Gottes kamen.
Wenn die Wahl auf Beröa fiel, so wohl deshalb, weil sich dort ebenfalls eine Synagoge der Juden befand. Es war Gott, der in Seiner Vorsehung Seine Knechte gnädig leitete. Zwar wäre Paulus gern länger in Thessalonich geblieben, um das Werk dort weiter zu vertiefen. Doch der an sich bedauernswerte, jähe Abbruch führte unter der Hand Gottes dahin, dass auch noch andere Städte unter Seinen Segen kamen. So verhielt es sich auch mit dem Wunsch des Apostels, bald wieder nach Thessalonich zurückzukehren. Wenn Gott es zuließ, dass der Satan ihn daran hinderte (1. Thes 2,18), so war ein Ergebnis davon jedenfalls dies: Paulus sah sich genötigt, seine beiden Briefe an die Thessalonicher zu schreiben – unschätzbare Dokumente, die uns bis heute zum bleibenden Trost und Segen geschenkt sind.
Juden von edler Gesinnung
Als Paulus und Silas Beröa erreicht hatten, gingen sie wieder in die Synagoge der Juden. Was der Chronist von diesen Juden zu sagen hat, ist höchst beachtenswert. Er stellt zunächst einen Vergleich mit den Juden in Thessalonich an und kommt zu dem Ergebnis, dass die in Beröa edler waren als die in Thessalonich. Nun kann das Wort >edel< zweierlei bedeuten. Einerseits beschreibt man damit eine edle Herkunft, eine menschlich hohe Abkunft. Andererseits wird damit eine edle Gesinnung, ein feiner Charakter bezeichnet. Der Zusammenhang macht klar, dass hier das Zweite gemeint ist.
Die edle Gesinnung dieser Juden gab sich darin kund, dass sie das Wort mit aller Bereitwilligkeit aufnahmen. Da war – im Gegensatz zu den Juden sonst – keine Eifersucht, keine Feindschaft, keine falsche Anklage, kein Hang zur Gewalt, keine Gleichgültigkeit. Stattdessen die volle Bereitschaft, das Wort Gottes aufzunehmen – das Evangelium, so wie es ihnen die beiden „aus den Schriften“ des Alten Testaments verkündigten. Was damit gemeint ist oder was dies einschließt, hatte uns Lukas – in denkbar knapper Form – zu Anfang des Kapitels geschildert (Verse 2.3).
Die Juden in Beröa erwarteten denn auch, dass das gepredigte Wort mit den Schriften im Einklang war. Trotzdem hielten sie eine Nachprüfung nicht für unnötig. So untersuchten sie täglich die Schriften, „ob dies sich so verhielte“ – das heißt, ob das, was Paulus und Silas über Jesus lehrten, mit dem Alten Testament übereinstimmte. Die Beröer waren weder skeptisch auf der einen Seite, noch leichtgläubig auf der anderen. Aber
im Blick auf göttliche Dinge waren sie sorgfältig, gewissenhaft, aufgeschlossen und prüften alles anhand der Heiligen Schrift. Das machte ihre edle Gesinnung aus. Wenn auch das Zeugnis Gottes über die edlen Beröer schon vor zwei Jahrtausenden in den Schriften des Neuen Testaments niedergelegt wurde, so hat es doch nichts von seiner Anziehungskraft und Bedeutung für uns in unserer Zeit verloren. Regt sich nicht auch in uns der Wunsch, solche edlen „Beröer“ zu sein und ihrem vornehmen Beispiel zu folgen?
Denn dieses „Untersuchen“ ist auch für uns Gläubige heute nicht ohne Belang. Gott möchte, dass wir das gepredigte Wort ohne Vorbehalte aufnehmen, es dann aber auch mit dem geschriebenen Wort vergleichen. Wenn die in Thessalonich zum Glauben Gekommenen ermahnt werden, Weissagungen nicht zu verachten, so fügt der Heilige Geist hinzu: „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1. Thes 5,20.21). Der Maßstab dafür kann nur Gottes Wort sein. Und von den „Propheten“ in 1. Korinther 14 wird gesagt: „Propheten aber lasst zwei oder drei reden, und die anderen lasst urteilen“ (Vers 29). Das Urteil darüber, ob das, was gesagt wurde, wirklich von Gott kam, stand den „anderen“ zu – nicht nur den anderen Propheten, sondern allgemein denen, die Zuhörer waren. Worin lag und liegt die Kompetenz (Befähigung) zu solch einem weitreichenden Urteil? In dem Besitz des Heiligen Geistes. „Und ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisst alles“ (1. Joh 2,20). Kinder Gottes haben daher grundsätzlich die Fähigkeit, die Wahrheit vom Irrtum zu unterscheiden. Sie kennen die Stimme des guten Hirten, und das genügt, jede andere Stimme als unwahr zu entlarven.
Als Folge der edlen, glaubensvollen Verhaltensweise der Juden in Beröa „glaubten viele von ihnen, und von den griechischen vornehmen Frauen und Männern nicht wenige“. Zusätzlich zu den „vielen“ Juden kamen also auch „nicht wenige“ griechische vornehme Frauen zum Glauben und von den griechischen Männern ebenfalls „nicht wenige“. Eine neue örtliche Versammlung von nicht geringer Größe war entstanden, die in Beröa.
Es ist dies bereits das dritte Mal, dass wir von den vornehmen griechischen Frauen hören (vgl. Apg 13,50; 17,4). Sie werden hier vor den Männern genannt – wohl ein Hinweis auf den größeren Einfluss dieser Frauen in der Welt. Durch diese vornehmen Frauen gelangte das Evangelium in die höheren Kreise der menschlichen Gesellschaft. Was für ein Triumph der Gnade Gottes – ob sie sich den Juden oder den Heiden zuwandte!
Durch Verfolgung weggetrieben
„Als aber die Juden von Thessalonich erfuhren, dass auch in Beröa das Wort Gottes von Paulus verkündigt wurde, kamen sie auch dorthin und beunruhigten und erregten die Volksmengen. Da aber sandten die Brüder Paulus sogleich fort, bis an das Meer zu gehen, und sowohl Silas als auch Timotheus blieben dort. Die aber den Paulus geleiteten, brachten ihn bis nach Athen; und als sie für Silas und Timotheus den Auftrag empfangen hatten, dass sie sobald wie möglich zu ihm kommen sollten, reisten sie ab“ (Apg 17,13–15).
Doch gerade dann, wenn sich das Werk Gottes ausbreitet, ist der Satan auf dem Plan und sucht dies zu verhindern. Die Kunde davon, dass Paulus auch in Beröa das Wort Gottes verkündigte, kam den boshaften Juden von Thessalonich zu Ohren.
Angeleitet von dem großen Widersacher kamen sie nach Beröa und beunruhigten und erregten die Volksmengen dort in derselben Weise, wie sie es auch bei sich getan hatten. Es ist zutiefst beschämend, ihren beständigen Hass dem Evangelium gegenüber zu sehen. Sie selbst wollten das Heil nicht annehmen; darüber hinaus aber wollten sie auch vereiteln, dass andere in dessen Genuss kamen, „indem sie uns wehren, zu den Nationen zu reden, damit sie errettet werden“ (1. Thes 2,16). Äußerlich hatten sie in ihrem Bemühen Erfolg. Nicht nur in Thessalonich hatten sie es geschafft, die Knechte Gottes „durch Verfolgung wegzutreiben“ (1. Thes 2,15). Auch jetzt in Beröa gelang es ihnen. „Durch Verfolgung weggetrieben“ – was für ernste und schmerzhafte Vorgänge verbergen sich hinter diesen wenigen Worten!
Schon einmal hatten Juden von Nachbarorten versucht, das Werk des Apostels Paulus zu stoppen. Damals waren es Juden aus Antiochien (Pisidien) und Ikonium gewesen, die nach Lystra kamen, um dort diesen besonderen „Stein des Anstoßes“ aus dem Weg zu schaffen (Apg 14,19). Mit den Juden aus Thessalonich wiederholte sich nun dieser Vorgang. Die feindseligen Bemühungen zielten jeweils auf Paulus selbst ab. Er galt als das Haupt der Bewegung. Seine Mitarbeiter wurden als unbedeutend angesehen. Dass Silas in die Verfolgungen in Philippi verwickelt wurde, war – menschlich gesehen – dem Umstand geschuldet, dass er sich zu jenem Zeitpunkt bei dem Apostel aufhielt.
Und noch etwas ist im Blick auf die Juden in Beröa aufschlussreich: Selbst die unter ihnen, die das Evangelium nicht angenommen hatten, ließen sich nicht in die hasserfüllten Umtriebe der Thessalonicher hineinziehen. Jedenfalls hören wir nicht das Geringste davon.
Die Brüder hielten es für angebracht, Paulus, noch ehe die Nacht anbrach, fortzusenden, um „bis an das Meer zu gehen“. Welch eine rührende Szene: Die „Brüder“ von Beröa – solche Menschen also, die erst vor kurzem zum Glauben an den Herrn Jesus gekommen waren – sind voller Sorge um den Apostel! Wie zuvor die Brüder von Thessalonich (Vers 10) ergreifen sie die Initiative, um den geliebten Lehrer in Sicherheit zu bringen. Und einige von ihnen geben ihm auf seiner weiten Reise liebevoll das Geleit. Wie spricht das alles zu unserem Herzen!
Der Hinweis, dass sowohl Silas als auch Timotheus in Beröa blieben, bestätigt das soeben über die „Mitarbeiter“ Gesagte: Sie waren den Verfolgern nicht interessant. Aber dann bringt uns die Anspielung auf die beiden Knechte auch wieder auf die Spur von Timotheus. Seit er sich Paulus und Silas in Lystra anschloss (Apg 16,1–3), haben wir ja von ihm nichts mehr direkt gehört.
Wir haben jedoch gesehen, dass – als Paulus und Silas Philippi verließen – sie Timotheus und Lukas dort zurückließen (Apg 16,40). Aber dann muss Timotheus bald darauf nach Thessalonich gekommen sein. Die beiden Thessalonicherbriefe geben Zeugnis davon. Denn im Kopf beider Briefe wird neben Paulus und Silvanus (Silas) auch Timotheus genannt. Das ist Beweis genug, dass sich der junge Mitarbeiter mit den beiden zuerst Genannten in Thessalonich aufgehalten hatte. Die Brüder dort kannten ihn. Jetzt aber war er in Beröa und blieb vorerst mit Silas dort.
Einige der Brüder von Beröa aber geleiteten Paulus bis nach Athen. Wir können davon ausgehen, dass sie mit der Reiseroute und auch mit dem Seeweg über das Ägäische Meer vertraut waren. Als sie ihr Reiseziel erreicht hatten, empfingen sie noch im Blick auf Silas und Timotheus den Auftrag, „dass sie sobald wie möglich zu ihm kommen sollten“. Danach – nach nur kurzer Ruhepause – traten sie die Rückreise an.