Ein Volk für seinen Namen (Apg. 1-2)

Die Ausgießung des Heiligen Geistes

Ein Volk für seinen Namen (Apg. 1-2)

Ein Kapitel von grösster Wichtigkeit liegt vor uns. Wir wollen seine Bedeutung mit der Hilfe Gottes in aller Sorgfalt und unter Gebet zu erfassen suchen. Denn die Tatsache, dass selbst viele geliebte Kinder Gottes den Inhalt dieses Kapitels nicht verstanden haben, hat zu den merkwürdigsten Auslegungen darüber Anlass gegeben, zu Missdeutungen, die sich für ihr Glaubensleben verhängnisvoll ausgewirkt haben.

Einteilung

Außerordentlich bedeutsame Ereignisse schildert uns dieses Kapitel. Als erstes die Ausgießung des Heiligen Geistes. Sie hatte die Bildung des Leibes Christi, der Versammlung des le- bendigen Gottes, zum Ergebnis. Im zweiten Teil werden uns höchst interessante Ergebnisse des Kommens des Geistes mit-geteilt, und es wird zu erfragen sein, ob wir diese Ergebnisse auch in der heutigen Zeit zu erwarten haben. Drittens hören wir die erste christliche Predigt, die je gehalten wurde. Ihr Inhalt wird uns zutiefst beschäftigen. An vierter Stelle werden uns einige wesentliche Resultate vorgestellt, die diese Rede des Petrus in seinen jüdischen Zuhörern hervorbrachte. Und schließlich erfahren wir, was die ersten Christen auf ihrem ge meinsamen Weg auszeichnete – ein Gegenstand, dem wir nicht genug Aufmerksamkeit schenken können. Alles in allem sind es Wahrheiten, die uns – nicht der Lehre, wohl aber der Praxis nach zu dem zurückführen, was „von Anfang war“.

Die fünf Abschnitte dieses Kapitels sind also diese:

  • Die Ausgießung des Heiligen Geistes (V. 1–4);
  • Die unmittelbaren Ergebnisse Seiner Gegenwart (V. 5–13);
  • Die Ansprache des Petrus (V. 14–36);
  • Die Ergebnisse dieser Ansprache (V. 37–41);
  • Die Merkmale der ersten Christen (V. 42–47).

Der Tag der Pfingsten

„Und als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde, waren sie alle an einem Ort beisammen“ (V. 1).

Die Verheißung des Vaters (Apg 1,4), von der schon Johannes der Täufer (Joh 1,33), von der besonders jedoch der Herr Jesus selbst gesprochen hatte (Lk 11,13; Joh 7,37–39; 14–16), stand nun im Begriff, in Erfüllung zu gehen: Der Heilige Geist würde als Person der Gottheit auf diese Erde kommen, um sowohl in dem einzelnen Gläubigen (1. Kor 6,19) als auch in der Gesamtheit der Gläubigen (Kap. 3,16) Wohnung zu nehmen und sie so miteinander zu verbinden, dass sie zu einem Leib, zum Leib Christi auf Erden, getauft wurden (Kap. 12,13). Es würde der Anfang von etwas ganz Neuem, der Anfang einer neuen Schöpfung sein.

Es waren noch „nicht viele“ Tage vergangen, seit der Herr vor Seiner Himmelfahrt davon zu Seinen Jüngern gesprochen und gesagt hatte: „Ihr aber werdet mit Heiligem Geist getauft werden nach nunmehr nicht vielen Tagen“ (Apg 1,5). Ja, erst zehn Tage war es her, seit der Heiland vor ihren Augen in den Himmel aufgefahren war. Sie waren durch die Botschaft der himmlischen Sendboten getröstet worden, dass ihr Herr, der von ihnen weg in den Himmel aufgenommen worden war, geradeso wiederkommen würde, wie sie Ihn in den Himmel hatten hingehen sehen. Irgendwelche Zeiten oder Zeitpunkte dafür hatten die Engel allerdings nicht genannt.

Auch der Herr hatte keinen genauen Zeitpunkt für das Kommen des Heiligen Geistes genannt. Er hatte nur gesagt, dass „nicht viele“ Tage bis dahin vergehen würden. So ist es augenscheinlich, dass die Jünger nicht gewusst haben, wann der Heilige Geist auf sie herabkommen würde. Aber sie hatten angesichts des großen zu erwartenden Ereignisses das einzig Richtige getan: Sie waren im Obersaal geblieben und hatten einmütig im Gebet verharrt. Nur ein Ereignis in den zehn Tagen zwischen der Himmelfahrt des Herrn und dem Kommen des Heiligen Geistes wird uns berichtet: Die Erwählung des Matthias als zwölftem Apostel anstelle des Verräters, der „an seinen Ort“ gegangen war.

Aber der Zeitpunkt für das Kommen des Heiligen Geistes war im göttlichen Kalender schon 1500 Jahre vorher genau festgelegt worden, wenn die Jünger ihn auch nicht kannten: der Tag der Pfingsten. Es handelt sich dabei um ein israelitisches Fest, das diese Bezeichnung (gr. pentecoste = ›der fünfzigste‹ [Tag]) erst später durch griechisch sprechende Juden erhalten hat. Ursprünglich hatte es andere Bezeichnungen getragen. Das Alte Testament nennt dafür drei Namen: ›Fest der Ernte‹ 2. Mo 23,16), ›Fest der Wochen‹ (2. Mo 34,22; 5. Mo 16,10) und ›Tag der Erstlinge‹ (4. Mo 28,26), das heißt der Weizenernte (vgl. 2. Mo 34,22).

Drei Feste des Herrn und ihre Bedeutung

Die Israeliten hatten sich nach dem Geheiß Gottes von dem Tag der Darbringung der Webe-Garbe an (3. Mo 23,15.16) sieben volle Wochen zählen sollen, um dann das Fest der Wochen zu feiern. Die Darbringung der Webe-Garbe wiederum war am Tag nach dem Sabbat vorgeschrieben (V. 11), der auf die Feier des Passah folgte. Dies also war die Reihenfolge der uns jetzt beschäftigenden Teste Jehovas (Jahwes) ‹: Am vierzehnten Tag des Monats Nisan wurde dem Jehova (Jahwe) das Passah gefeiert. An dem Tag, der auf den zur Passahwoche gehörenden Sabbat folgte, dem „Tag nach dem Sabbat“ (dem ersten Tag der Woche, unserem Sonntag) wurde vor Jehova (Jahwe) die Garbe der Erstlinge ihrer Ernte (der Gerstenernte) gewoben. Dieser „Tag nach dem Sabbat“ gehörte zum Passah-Fest oder zur Passah-Woche (3. Mo 23,5–8). Sieben volle Wochen später, wieder am „Tag nach dem Sabbat“, dem siebten Sabbat, war das Fest der Wochen. Dann musste außer den vorgeschriebenen Schlachtopfern ein neues Speisopfer dargebracht werden, das aus zwei Broten von zwei Zehnteln Feinmehl bestehen und ausnahmsweise gesäuert gebacken werden sollte.

Das alles hat eine tiefe vorbildliche Bedeutung, die bis dahin niemand der Menschen hatte verstehen können. Die Feste Jehovas konnten in ihrer wahren Bedeutung erst erfasst werden, nachdem die Dinge, die sie vorschatteten, in dem Herrn Jesus erfüllte Tatsachen geworden waren. Der Herr Jesus ist als das wahre Passah-Lamm, als „unser Passah“ (1. Kor 5,7), genau zu der zuvor bestimmten Zeit am vierzehnten Tag des Monats Nisan „geschlachtet“ worden. Er hatte mit Seinen Jüngern am Abend vor Seinem Tod das Passah gefeiert. Der jüdische Tag begann jeweils am Abend des Tages und ging bis zum Abend des folgenden Tages. So aß der Herr das Passah am ersten Abend, und vor dem zweiten Abend starb Er, das makellose Lamm, am Kreuz von Golgatha. Es war um drei Uhr nachmittags. Den Sabbat über ruhte der Leib des Herrn im Grab (Lk 23,53–56; Joh 19,31.42).

Am darauffolgenden ersten Tag der Woche aber auferstand Er als die wahre ›Webe-Garbe‹, siegreich über Tod und Teufel. Der Ausdruck ›Garbe der Erstlinge‹ in 3. Mose 23, Vers 10, deutet dabei auf Christus als ›Erstling der Entschlafenen› hin (1. Kor 15,20.23). In derselben Weise wie Christus, der Erstling, aus den Toten auferstand, werden zur Zeit der ›Ernte‹ auch alle, die des Christus sind bei Seiner Ankunft, aus den Toten auferstehen, beziehungsweise werden sie verwandelt werden (1. Kor 15,23.51.52). Glückseliges Teil! Wirst auch du, lieber Leser, an der ›ersten Auferstehung‹ teilhaben (Off 20,6)? Bist auch du schon ›des Christus‹? Wenn nicht, dann eile noch heute zu Ihm! Er, der der Heiland der Welt ist (Joh 4,42), will auch dein Heiland sein.

Genau fünfzig Tage später, nicht einen Tag vorher, nicht einen Tag nachher, erfüllte sich das, was im Fest der Wochen vorgebildet worden war. Denn für das Pfingstfest hatte Gott nur einen einzigen Tag festgesetzt – im Gegensatz zum Fest der ungesäuerten Brote, das sieben Tage, oder dem Fest der Laubhütten, das acht Tage andauerte.

Durch das Herabkommen des Heiligen Geistes wurde aus Juden und Heiden (vgl. ›zwei Brote‹) die Versammlung Gottes gebildet. Es ist der Anfang einer neuen Haushaltung, und das neue Speisopfer, das Jehova dargebracht werden musste, deutet darauf hin. Dass die zwei Brote gesäuert gebacken werden sollten (Sauerteig ist stets ein Bild der Sünde), während bei allen übrigen Speisopfern kein ›Gesäuertes‹ vorhanden sein durfte (3. Mo 2,11), wird uns sogleich verständlich, wenn wir dies bedenken: Die Speisopfer im Allgemeinen weisen auf den Herrn Jesus in Seiner Heiligkeit und Reinheit als Mensch hin; die zwei Brote von Pfingsten jedoch sind ein Bild der Versammlung.

Nun, die Gläubigen sind nicht sündlos, sie haben auch nach ihrer Bekehrung noch die Sünde in sich. Aber die gesäuerten Brote wurden ›gebacken‹ Gott dargebracht. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Sünde der Gläubigen im Tod Christi gerichtet worden ist, obwohl sie in ihnen noch vorhanden ist (1. Joh 1,8). Aber in der Kraft des in ihnen wohnenden Geistes sind sie fähig und gehalten, sich der Sünde für tot zu halten, um Gott zu leben in Christus Jesus (Röm 6,11).

Pfingsten – der Geburtstag der Versammlung

Pfingsten ist der Geburtstag der Versammlung und damit der Anfang eines neuen Zeitalters. Weder gab es schon vorher eine Versammlung, noch ist sie erst später entstanden. Dass es vorher keine solche Versammlung geben konnte, machen schon die Worte des Herrn Jesus in Matthäus 16, Vers 18, klar, wenn Er sagt: „Auf diesen Felsen will ich (oder: werde ich) meine Versammlung bauen.“ Selbst zu Lebzeiten des Herrn bestand sie also noch nicht. Ja, sie war, wie uns Epheser 3, Verse 1–10, zeigt, in der ganzen Zeit des Alten Testaments als Geheimnis im Herzen Gottes verborgen. Niemand konnte sie kennen, weder Abraham, noch Moses, noch irgendein anderer der alttestamentlichen Gläubigen.

Und die Meinung anderer, die Versammlung habe ihren Anfang erst genommen, nachdem Paulus seinen Dienst begonnen hatte, ist genauso unhaltbar wie die Ansicht, die zwölf Apostel hätten auch nie zur Versammlung gehört, weil sie stets auf dem Boden des Reiches geblieben wären. Wohl ist es wahr, dass die Lehre über die Versammlung als Haus Gottes und als Leib Christi bei der Ausgießung des Heiligen Geistes noch nicht bekannt gemacht worden war. Zu diesem Dienst war ausschließlich Paulus berufen, und der war zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal bekehrt.

Aber wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, dass, wenn es die Belehrung über eine Sache noch nicht gibt, es die Sache selbst nicht geben kann. Dass die Versammlung als Leib Christi schon bestand, ehe der Apostel Paulus die von Gott empfangene Offenbarung darüber verkündigte und kundmachte, wird schon bei der Bekehrung des Saulus von Tarsus deutlich, als er aus dem Himmel die Stimme des verherrlichten Herrn Jesus hörte: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Da er das von Gott auserwählte Werkzeug zur Verkündigung der Lehre von der Einheit von Christus und der Versammlung war, wird gerade bei seiner Bekehrung die erste Andeutung dieser großen Wahrheit gegeben. Wie entspricht doch das der Weisheit Gottes!

Wir lernen also aus Apostelgeschichte 2, dass eine Sache bestehen kann, dass wir sogar an ihr teilhaben können, ohne es zu wissen. Hier wurde der Leib Christi durch die Taufe des Heiligen Geistes gebildet, aber die Jünger wussten es nicht: Die Belehrung darüber kam erst Jahre später. So verhält es sich zum Beispiel auch mit der Frage, ob die alttestamentlichen Gläubigen von neuem geboren waren. Nun, zweifellos hatten sie göttliches, neues Leben empfangen. Aber sie wussten es nicht; denn die volle Enthüllung dieser Wahrheit wird uns erst im Neuen Testament gegeben.

Auch lernen wir hier, um das noch einmal hervorzuheben, was die Jünger zu einem Leib zusammenfügte. Es war das Herabkommen des Heiligen Geistes, nicht ihr persönlicher Glaube. Denn manche sagen, der Glaube vereine uns; doch das stimmt nicht. Es ist in Wirklichkeit der Heilige Geist, der allein das bewirkt. Die Jünger hatten schon Glauben, als der Herr noch bei ihnen war. Aber der Herr Jesus hatte gesagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“ (Joh 12,24). Es gibt keine Vereinigung mit einem Fleisch gewordenen Christus. Erst musste Er sterben, siegreich auferstehen und den Heiligen Geist als Siegel einer vollbrachten Erlösung herabsenden. Dadurch entstand dann diese neue Sache, diese Einheit zwischen Christus und den Seinen, so dass jetzt jeder, der dem Herrn anhängt, „ein Geist mit ihm“ ist (1. Kor 6,17).

Alle an einem Ort zusammen

Doch wenden wir uns jetzt wieder dem historischen Ablauf der Ereignisse zu! „Als der Tag der Pfingsten erfüllt wurde“, nicht als er zu Ende ging, sondern als dieser Tag seinen Verlauf nahm (das bedeutet die griechische Verbform), während des Pfingstfestes also, „waren sie alle an einem Ort beisammen“. Wie schön ist das! Die Jünger waren einst am Tag der Auferstehung des Herrn an einem Ort versammelt gewesen, sie waren dann nach Seiner Himmelfahrt in den Obersaal hinaufgegangen und waren an diesem Ort geblieben; und nun hören wir wieder, dass sie an einem Ort versammelt waren.

Was für ein Ort es war, wird uns nicht mitgeteilt. Vielleicht war es jener Obersaal, wo sie die zehn Tage im Gebet verbracht und auf die Erfüllung der Verheißung gewartet hatten. Vielleicht war es auch ein Haus, das zu den äußeren Tempelgebäuden gehörte. Die Tatsache, dass die Menge der anlässlich des Festes in Jerusalem weilenden Juden das Geräusch, das Brausen hörte (so ist wohl Vers 6 zu übersetzen), spricht dafür.

Jedenfalls waren die Gläubigen alle dort beisammen, keiner von ihnen fehlte. Ich nehme an, dass es sich um jene Hundertzwanzig handelte, um die Bekehrten in Jerusalem, die wir im ersten Kapitel gesehen hatten, und nicht beispielsweise um die fünfhundert Brüder von Galiläa, von denen wir in 1. Korinther 15 hören. Wichtig war, dass diese alle zu jenem Zeitpunkt an einem Ort versammelt waren und sich nicht im Vorhof des Tempels oder bei irgendwelchen frommen Juden aufhielten, die zu dem Fest nach Jerusalem gekommen waren. Sicherlich hatte der Geist das so bewirkt.

Die Taufe mit Heiligem Geist

„Und plötzlich kam aus dem Himmel ein Brausen, wie von einem daherfahrenden, gewaltigen Wind, und erfüllte das ganze Haus, wo sie saßen. Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer, und sie setzten sich auf jeden Einzelnen von ihnen“ (Apg 2,2.3).

Beachten wir das Wort ›plötzlich‹! Die Versammlung ist nicht in einem mühevollen, lange währenden Prozess entstanden, sondern Gott schuf sie in einem Augenblick. Sie bestand vorher nicht, und jetzt war sie auf einmal da. Das ist ein Wunder Gottes, das wir nicht erklären können und nicht erklären wollen. Aber wir glauben es, weil Gottes Wort uns das so mitteilt.

Auch wenn die Versammlung aus dieser Welt wieder weggenommen werden wird, wird das ganz plötzlich geschehen. Die Verwandlung und Entrückung der Heiligen wird in einem Nu vor sich gehen (1. Kor 15,52). Auch dieses Geschehen wird voller Wunder sein. Wie schön auch, dass wir wissen dürfen: Unser Bräutigam kommt eilends, kommt schnell; denn das bedeutet ›bald‹ in Offenbarung 22, Vers 20!

Nicht immer neue Geistestaufen

Das Brausen geschah aus dem Himmel, und das zeigt uns, dass dieses Werk vom Himmel ausging und durch Gott, den Heiligen Geist, bewirkt wurde. Es war die Taufe mit (oder: in der Kraft von) Heiligem Geist – eine Wahrheit, auf die der Apostel Paulus in 1. Korinther 12 zu sprechen kommt. Der dreizehnte Vers dieses wichtigen Kapitels enthält eine absolute Aussage, die bezeichnenderweise in der Vergangenheitsform steht und daher einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgang bezeichnet: „Denn auch in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden ... und sind alle mit einem Geist getränkt worden.“

Das führt mich zu der Bemerkung, dass es nicht jeden Tag neu eine Geistestaufe gibt. Der Leib Christi wird nicht immer wieder neu gebildet. Der Herr Jesus hatte davon gesprochen (Apg 1,5), die Tatsache selbst fand am Tag der Pfingsten statt (Kap. 2).

Anfangs bildeten nur Gläubige aus den Juden die Versammlung. In Apostelgeschichte 8 und 10 werden dann die Gläubigen aus den Samaritern und den Nationen eingeführt. Der Leib Christi hatte seine beabsichtigte und volle Gestalt erst, als auch die Gläubigen aus den Nationen in diese Einheit eingefügt wurden. Deswegen sagt der Apostel: „Es seien Juden oder Griechen.“ Aber dieses spätere Hinzufügen Einzelner zum Leib Christi wird in der Schrift nie „Taufe mit Heiligem Geist“ genannt, sondern Versiegelung, Erhalt eines Unterpfands und Salbung (2. Kor 1,21.22; Eph 1,13.14; 4,30; 1. Joh 2,20).

Der Gläubige, der sich heute in der Zeit der Gnade im Glauben auf das Erlösungswerk Christi stützt und in Wahrheit „Abba, Vater“ sagen kann, empfängt persönlich den Heiligen Geist: „Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater“ (Gal 4,6). So besitzt der Christ den Heiligen Geist als Siegel, als Unterpfand,als Salbung - und viertens auch als Zeugnis (1. Joh 5,6). Es ist immer derselbe Heilige Geist, der in dem Gläubigen Wohnung nimmt, nur jeweils von einer anderen Seite gesehen. Aber dadurch, dass Gott, der Heilige Geist, nun in dem Körper des Gläubigen wie in einem Tempel wohnt (1. Kor 6,19), wird er auch ein Glied am Leib Christi. Das ist die Seite, die uns hier in besonderem Maß beschäftigt. Unermessliches Vorrecht!

Wer jedoch Christi Geist nicht hat, der ist nicht Sein (Röm 8,9), ist nicht des Christus in der Macht der Erlösung. Diese Stelle bezieht sich nicht auf den Charakter Christi, sondern auf den Besitz des Heiligen Geistes, der allerdings den Gläubigen in praktischer Kraft in das Bild Christi umgestalten will, wie uns 2. Korinther 3, Vers 18, zeigt. Dass die Schrift für das Hinzufügen Einzelner nach Pfingsten den Ausdruck ›Taufe mit Heiligem Geist‹ vermeidet, sei an einigen Beispielen aus der Apostelgeschichte aufgezeigt:

„Tut Buße, und jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Kap. 2,38).

„... die, als sie hinabgekommen waren, für sie beteten, damit sie den Heiligen Geist empfingen; denn er war noch auf keinen von ihnen gefallen, sondern sie waren nur getauft auf den Namen des Herrn Jesus“ (Kap. 8,15.16).

„Während Petrus noch diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die das Wort hörten“ (Kap. 10,44).

„Und er fand einige Jünger und sprach zu ihnen: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid? ... und als Paulus ihnen die Hände aufgelegt hatte, kam der Heilige Geist auf sie“ (Kap. 19,2.6).

Ich habe versucht zu zeigen, dass die Taufe mit dem Heiligen Geist ein einmaliges Ereignis war, wodurch der Leib Christi auf der Erde gebildet wurde, und dass die einzelnen Gläubigen späterer Tage durch den persönlichen Empfang des Heiligen Geistes an dieser Segnung teilhaben.

Vielleicht ist es nützlich, zur weiteren Erklärung ein Bild anzufügen, das ein längst heimgegangener Diener des Herrn hierfür gebraucht hat. Stellen wir uns einen schönen Sommertag und einen Teich vor, der bei völliger Windstille ruhig da liegt. Dieser Teich ist von seinem Rand her ziemlich dicht mit Binsen bewachsen, die vereinzelt bis zur Mitte vordringen. Nun werfen wir in die Mitte des Teichs einen Kieselstein. Er sinkt glucksend nach unten, und auf der Oberfläche des Wassers entsteht eine kreisförmig sich ausbreitende Wellenbewegung. Dieser Steinwurf soll dem Tag der Pfingsten entsprechen, und die anfangs kleine Welle umfasste die kleine Schar im Obersaal, jene Hundertzwanzig.

Um zu unserem Bild zurückzukommen: Schnell weitet sich nun der Kreis aus und erreicht bald die nächsten Binsen und schließt auch sie ein. Und während sich die kreisförmige Welle weiter und weiter ausbreitet und schließlich das Ufer erreicht, umschließt sie mehr und mehr Binsen, bis sie endlich alle erfasst hat. Geradeso wird jede Seele, die durch den Glauben an Christus errettet und mit dem Heiligen Geist versiegelt wird, mit eingeschlossen in die Taufe des Heiligen Geistes. Es ist nicht jedes Mal eine neue Taufe, aber alle Versiegelten haben Teil an dieser Segnung, gehören zu dieser wunderbaren Einheit.

Begleitende Zeichen

Weil das, was zu Pfingsten geschah, so absolut neu war, gab Gott in Seiner Gnade begleitende Zeichen, die mit den menschlichen Sinnen wahrgenommen werden konnten. Das tut Gott durchaus nicht immer. Göttliche Wahrheiten, geistliche Segnungen sind an sich allein Gegenstände für den Glauben, sie können nur durch den Glauben erfasst werden, nicht durch die äußeren Sinnesorgane des Menschen. Aber zu gewissen Zeiten und aus bestimmtem Anlass ließ Er sich herab, geistliche Vorgänge durch äußerlich erkennbare Zeichen zu bestätigen. Gerade wenn etwas neu war, tat Gott dies. Wir können uns diesen Grundsatz nicht tief genug einprägen. Er würde uns vor manchen ungesunden, schwärmerischen Erwartungen und Vorstellungen bewahren. Das wird uns noch beschäftigen.

Hier waren es drei Dinge, die die Erfüllung der Worte des Herrn begleiteten: Ein Geräusch wurde gehört, ein sichtbares Zeichen wurde gesehen, und eine Wirkung wurde offenbar. Doch ehe ich auf diese drei Dinge eingehe, möchte ich kurz bemerken, dass wir die begleitenden Zeichen nicht mit der Person des Heiligen Geistes selbst oder mit Seiner Innewohnung in dem Gläubigen verwechseln dürfen. Der Heilige Geist ruft die verschiedensten Wirkungen hervor. Er kann, wenn Er es für nötig hält, Seine Gegenwart auf mancherlei Art dokumentieren.

Aber das ist durchaus nicht dasselbe wie Seine Person selbst oder die Tatsache Seiner Innewohnung. Das ist so unwichtig nicht: mag Er doch in einem Menschen Wohnung genommen haben, ohne dass äußerlich erkennbare Zeichen wahrgenommen werden können. Ich zögere nicht einen Augenblick hinzuzufügen: Das ist sogar der normale Fall.

Das Brausen

Nun zu den Zeichen selbst. Das Geräusch war wie das Brausen eines daherfahrenden, gewaltigen Windes; es erfüllte das ganze Haus, wo sie saßen. Das lässt uns an ein anderes Ereignis denken. Als Salomo den Tempel vollendet hatte, hören wir: „Und es geschah, als die Priester aus dem Heiligen hinausgingen, da erfüllte die Wolke das Haus des HERRN; und die Priester vermochten wegen der Wolke nicht dazustehen, um den Dienst zu verrichten; denn die Herrlichkeit Jehovas erfüllte das Haus Jehovas“ (1. Kön 8,10.11).

Doch welch ein bedeutsamer Unterschied! Es ist der Unterschied zwischen Gesetz und Gnade. Als unter dem Alten Bund die Wolke, das sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes, das Haus erfüllte, vermochten die Priester nicht, diese Gegenwart zu ertragen. Sie mussten das Haus verlassen. Aber in der Haushaltung der Gnade bilden Gläubige, die durch das Blut Christi erlöst und gereinigt sind, selbst das Haus Gottes, die Behausung Gottes im Geist‹ (Eph 2,22). Sie sind lebendige Steine‹ und als solche zu einem geistlichen Haus‹ aufgebaut (1. Pet 2,4.5). Ja, sie sind auch, wie uns 1. Petrus 2 weiter zeigt, ein heiliges und königliches Priestertum. Aber unter der Gnade werden sie nicht aus Seiner heiligen Gegenwart fortgetrieben, sondern Gott macht sie selbst zu Seiner Wohnung. Näher können wir nicht zu Ihm gebracht sein. Wunderbare Gnade! Gesegnete Ergebnisse einer vollbrachten Erlösung!

Dass der gewaltige Wind das ganze Haus erfüllte, weist sicherlich auf den korporativen Aspekt der Gegenwart des Heiligen Geistes hin. Wir haben schon aus 1. Korinther 3 gelernt, dass die Gläubigen zusammen den Tempel Gottes auf der Erde bilden: „Gottes Ackerfeld, Gottes Bau seid ihr“ (V. 9). „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? ... denn der Tempel Gottes ist heilig, und solche seid ihr“ (V. 16.17). Es ist eine Seite, die leider von vielen Kindern Gottes übersehen wird. Denn dieser Bau Gottes soll nicht eine schöne Lehre oder Theorie bleiben, sondern in Praxis und Lehre von den Seinen verwirklicht werden. Wo Gott wohnt, ist stets Heiligkeit der oberste Grundsatz (Ps 93,5; 1. Tim 3,15; 1. Pet 4,17).

Es scheint mir, dass dieses Brausen wie von einem daherfahrenden, gewaltigen Wind auch von den Menschen draußen wahrgenommen werden konnte und wahrgenommen werden sollte. Denn den ersten Satz von Vers 6 kann man auch wie folgt übersetzen: „Als aber diese Stimme geschehen war, kam die Menge zusammen.“ Gewiss, diese ›Stimme‹ kann sich auch auf die Kunde von diesen Dingen beziehen, doch ich habe den Eindruck, dass der inspirierte Schreiber, Lukas, weniger auf die Kunde als auf das gewaltige Geräusch selbst hinweisen wollte, das die Menge hörte und sie veranlasste, zusammenzukommen. Wenn sich das so verhält, dann war es diese ›Stimme‹, (gr. pho ne = ›Laut, Geräusch, Stimme, Sprache‹), nämlich das ›Brau- sen‹, das die Menge vernahm, und nicht nur irgendein Bericht darüber.

Zungen wie von Feuer

Das zweite Zeichen, wodurch der Heilige Geist Seine Gegenwart kundtat, waren zerteilte Zungen wie von Feuer:

„Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer und sie setzten sich auf jeden Einzelnen von ihnen“ (V. 3).

Während das Brausen des gewaltigen Windes, wie ich glaube, auch von anderen wahrgenommen wurde, verhielt es sich mit den zerteilten Zungen anders: Sie erschienen ihnen, das heißt den hundertzwanzig Gläubigen. Die Menge draußen sah davon nichts, denn sie erwähnt später auch nichts davon.

Hier haben wir offenbar den persönlichen Aspekt der Innewohnung des Heiligen Geistes vor uns: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt?“ (1. Kor 6,19). Denn es heißt hier ausdrücklich von den Zungen: „Sie setzten sich auf jeden Einzelnen von ihnen.“ Dieses persönliche Empfangen des Heiligen Geistes ist das Teil aller Gläubigen, sofern sie das vollbrachte Erlösungswerk Christi im Glauben angenommen haben. Wir haben davon schon gesprochen. Der älteste, gereif- teste Christ hat Ihn dann nicht wirklicher als der jüngste Gläubige, der gerade gelernt hat, sich, was sein Seelenheil angeht, ganz und allein auf das zu stützen, was der Heiland für ihn am Kreuz vollbracht hat. Solch einen Glauben versiegelt der Heilige Geist, und Er kommt in Seiner Person und nimmt in dem einzelnen Gläubigen Wohnung. Er ist nicht nur eine Kraft in ihm oder ein Einfluss.

Eine unermessliche Segnung

Wir können diese große Segnung in ihrer Tragweite wohl kaum zu hoch einschätzen. Leider beschäftigen wir uns viel zu wenig mit der Gegenwart des Heiligen Geistes in uns, sind uns ihrer viel zu wenig bewusst. Haben wir uns schon einmal darüber Gedanken gemacht, was wir alles nicht hätten, wenn Er nicht als Person in uns Wohnung genommen hätte?

Wie zum Beispiel könnten wir ›im Heiligen Geist beten‹ (Jud 20), wenn Er nicht in uns wohnte? Wie könnten wir ›in Geist und Wahrheit anbeten‹ (Joh 4,23.24), wie könnten wir das Bewusstsein unserer Gotteskindschaft haben (Röm 8,16), wie könnten wir ›in die ganze Wahrheit geleitet‹ werden (Joh 16,13–15), wie die Hoffnung der Wiederkunft Christi zur Heim- holung Seiner Braut (Off 22,17) und alle übrigen christlichen Wahrheiten genießen, wäre nicht dieser „andere Sachwalter“ in uns? Haben wir nicht durch Ihn ›Zugang zum Vater‹ (Eph 2,18)? ›Verwendet‹ sich nicht der Geist für uns Gott gemäß (Röm 8,27)? Hat uns das Gesetz des Geistes nicht ›freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes‹, so dass wir Kraft über die in uns wohnende Sünde haben (Röm 8,2‹)? Wie könnten wir anders die ›Handlungen des Leibes töten‹ als durch den Geist (Röm 8,13), wie anders ›im Geist wandeln‹ und die Frucht des Geistes hervorbringen (Gal 5,16.22)? Wie könnten wir im Kampf das ›Schwert des Geistes‹ führen, wenn nicht in der Kraft des in uns wohnenden Geistes (Eph 6,17)? Wie könnten wir uns trotz aller Trübsale und Nöte dieser Welt der Liebe Gottes erfreuen, wäre uns nicht der Heilige Geist „gegeben worden“ (Röm 5,5)?

So wahrhaftig wohnt Gottes Geist in uns, dass wir nicht mehr „im Fleisch“ sind: Wir sind „im Geist“ (Röm 8,9). Kann dann ein einsichtiger Christ angesichts der Fülle von Segnungen, die mit der Innewohnung des Geistes verbunden ist, noch dafür beten, dass der Heilige Geist in ihn kommen oder dass er mehr, ein größeres Teil von dem Geist erhalten möge? Das zu erbitten ist nicht nur gänzlich unpassend, es ist letztlich Unglaube.

Gott gibt den Geist „nicht nach Maß“ (Joh 3,34), gibt nicht nur einen kleineren oder größeren Teil davon, sondern gibt Ihn ohne Maß, ohne Einschränkung, das heißt, Er gibt Ihn als Person. Es ist ein Vorrecht, das das wahre Christentum kennzeichnet. Ja, wir können noch besser sagen: Es ist das charakteristische Kennzeichen der Heiligen der Gnadenzeit – ein Vorrecht, das weder die Gläubigen in früheren Zeitaltern gekannt haben, noch die Gläubigen späterer Zeiten je besitzen werden. Nein, wir können nicht um ein erneutes Ausgießen des Heiligen Geistes beten. Etwas anderes ist es natürlich, um eine tiefere Verwirklichung Seiner Gegenwart in uns zu bitten. Das sollten wir gewiss mehr tun.

Wie von Feuer

Doch beachten wir den Charakter, in dem der Heilige Geist Seine Gegenwart sichtbar macht. Hier ist von ›Feuer‹ die Rede. Als dagegen der Herr Jesus im Jordan getauft worden war, sah Johannes der Täufer den Geist Gottes wie eine Taubeherniederfahren und auf Ihn kommen (Mt 3,16). Die Taube ist ein Sinnbild der Sanftmut und arglosen Reinheit. Der Herr Jesus ließ Seine Stimme nicht auf den Straßen hören (Mt 12,19), Er war „heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern“ (Heb 7,26), war der wahre Joseph, der „Abgesonderte unter seinen Brüdern“ (1. Mo 49,26).

Beachten wir auch, wie der Bräutigam im Hohenlied zweimal seine Braut seine ›Taube‹, seine ›Vollkommene‹ nennt (Kap. 5,2; 6,9). Angesichts der Befleckung der heiligen Stadt und der Bedrückung durch den Gesetzlosen klagte der Psalmist: „O dass ich Flügel hätte wie die Taube“ (Ps 55,6); er wollte dem Bösen entfliehen und von den Sündern getrennt sein. Der Herr Jesus selbst hat einmal das Sinnbild der Taube benutzt, als Er Seine Ermahnung an die Jünger, klug wie die Schlangen zu sein, mit dem Zusatz versah: „und ohne Falsch wie die Tauben“ (Mt 10,16).

Nein, auf diese Weise kam der Heilige Geist am Pfingsttag nicht: Die Gläubigen, die an dem einen Ort versammelt waren, waren von Natur aus nicht „heilig, unschuldig, unbefleckt“, wie es der Herr Jesus, ihr Heiland, Seinem Wesen nach warDeswegen ist hier von Feuer die Rede. Die Zungen, die sich auf einen jeden von ihnen setzten, waren wie von Feuer. ›Feuer‹ ist ein Bild der Gerechtigkeit und des Gerichts Gottes. So lernen wir hier eine sehr wichtige Wahrheit: Das Zeugnis von der Gnade Gottes ist, obwohl es lauter Gnade ist, nichtsdestoweniger auf die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes gegründet. Die Gnade herrscht – Gott sei Dank! –, aber sie herrscht durch Gerechtigkeit (Röm 5,21).

Manche Leute haben von der Gnade Gottes eigenartige Vorstellungen. Sie verwechseln sie mit Zügellosigkeit einerseits (was den Gläubigen angeht) und mit Gleichgültigkeit andererseits (was Gott angeht) und meinen, wenn alles Gnade ist, dann können ja die Gläubigen ungehindert sündigen. Das ist auch die Sprache der unsichtbaren Gegner in Römer 6, denen der Apostel Paulus jedoch sogleich sein „Das sei ferne!“ entgegenhält (Verse 1.2). Das Bewusstsein der empfangenen Gnade führt den Gläubigen vielmehr zu einem Leben in Gerechtigkeit und Heiligkeit. Wenn wir ›in der Gnade‹, das heißt in der Gunst Gottes stehen, dann verpflichtet uns das in hohem Maß, uns von dem fern zu halten, was Dem, der uns so geliebt hat, nicht gefällt.

Ich habe oft gesagt: Wenn ich eine liebe Frau mein eigen nennen darf, dann kann ich doch, gerade weil sie mich liebt, nicht unbeschwert das tun, was sie verletzt und ihr von Herzen zuwider ist. Das ist ein ganz dummes Argument – diese Ansicht, dass, wenn man unter Gnade steht, man ja ruhig sündigen könne. Aber es ist nicht nur dumm, sondern – wie alle Erfindungen Satans – auch falsch und in die Irre führend, weil es von Gott wegführt.

Aber viele haben nicht nur von der Gnade falsche Vorstellungen, sondern auch von dem „Gott aller Gnade“. Sie stellen sich vor, dass Gott dem Sünder gegenüber einfach Gnade walten lassen kann, wenn Er das nur wolle. Aber auch das ist absolut falsch (es wäre Gleichgültigkeit der Sünde gegenüber) und hat zu gefährlichen Irrlehren Anlass gegeben. Gott kann nur auf dem Grundsatz der Gerechtigkeit Gnade üben. Was immer die Barmherzigkeit Gottes für den Sünder ist, Gott kann nicht von Seiner Heiligkeit abgehen, die ein Opfer für die Sünde verlangte. Gott sei Dank! Er hat es, wie uns Hebräer 10 zeigt, in der Person Seines Sohnes, unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, gefunden. Aufgrund dieses einen Opfers hat Er nun „auf immerdar die vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (V. 14). Deswegen waren die Zungen „wie von Feuer“: Das Bezeugen der guten Botschaft, ja, das Evangelium selbst ist unvereinbar mit dem Bösen.

Warum waren die Zungen ›zerteilt‹?

Damit sind wir bereits bei der Bedeutung der zerteilten Zungen. Dass dieses Zeichen gesehen wurde, spricht gewiss davon, dass jetzt das Evangelium der Gnade Gottes verkündigt werden sollte – nicht nur einem Volk, dem Volk der Juden, mit dem Gott sich bis dahin allein beschäftigt hatte, sondern auch allen Nationen der Erde. Aus diesem Grund wohl waren die Zungen zerteilt. Als Gott eine ewige Erlösung erfunden hatte (Heb 9,12), konnte Er unmöglich weiterhin nur ein Gott der Juden, konnte der verherrlichte Christus unmöglich nur der Heiland eines Volkes sein. Juden wie Heiden sollten jetzt die kostbare Botschaft der Gnade hören.

Für den Augenblick wirkte Gott in Seiner Gnade nur unter den Juden, dem Volk der Verheißungen. Aber der Grundsatz, dass das Evangelium auch den Nationen verkündigt werden sollte, wird in den zerteilten Zungen bereits angedeutet. Es war nur eine Frage der Zeit – und diese Zeit war tatsächlich nahe gekommen wann das Wort auch sie erreichen würde. Schon der Herr Jesus hatte in Johannes 10 von ›Seinen Schafen aus dem ›(Schaf-)Hof‹, den Gläubigen aus dem Volk der Juden, gesprochen und hinzugefügt, dass Er auch noch andere Schafe hätte, „die nicht aus diesem Hof sind“; auch diese müsste Er bringen. „Und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein“ (V. 16). Das stand nun im Begriff, sich zu erfüllen.

Gottes Wort ein Beurteiler

Doch kommen wir noch einmal auf die Bedeutung des Feuers in Verbindung mit den zerteilten Zungen zurück. Wie wir bereits sahen, spricht ›Feuer‹ von Gericht. In Verbindung mit den zerteilten Zungen weist es augenscheinlich auf die durchdringende, beurteilende Kraft des Wortes Gottes hin; ist es doch „durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler (gr. kriti- kos = ›zum Richten fähig‹, ›Kritiker‹) der Gedanken und Überlegungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben“ (Heb 4,12.13).

Wir können also sagen, dass die verteilten Zungen wie von Feuer‹ auf die Ergebnisse des Wortes Gottes in der Seele des Menschen hinweisen, ob er schon errettet ist oder nicht. Wenn sich jemand dem Wort, das sein Gewissen ins Licht Gottes zu stellen versucht, nicht unterwirft, wird ihn dieses Wort richten am letzten Tag (Joh 12,48). Wie außerordentlich ernst ist das!

Statt dem zu glauben, was Gott in Seinem heiligen Wort sagt, sitzen manche Menschen über dieses Wort zu Gericht, maßen sich an, seine Kritiker sein zu können. Wenn sie in dieser Haltung bleiben sollten – Gott gebe jedoch, dass sie darüber Buße tun! werden sie einmal erfahren, dass dieses Wort ihr ›Kritiker‹ ist (Joh 12,48). Sie werden dann auf tausend Fragen nicht eines antworten können, und dieses Wort wird ein unerbittlicher Zeuge gegen sie sein.

Die gläubige Seele dagegen unterwirft sich dem Wort Gottes, sie lässt sich dadurch zum Selbstgericht führen. Und das ist immer die Vorstufe des Segens, eines unermesslichen Segens, den dieses Wort dann in der Kraft des Heiligen Geistes vermittelt.

Ein schönes Beispiel dafür, wie das Wort Gottes in Macht auf die Gewissen der Menschen einwirkt, finden wir in unserem Kapitel der Apostelgeschichte – die dreitausend Juden, denen es „durchs Herz drang“, als sie die Worte des Petrus hörten, und die in der Bedrängnis ihrer Seele ausriefen: „Was sollen wir tun, Brüder?“ (V. 37).

Geschah zu Pfingsten die ›Feuertaufe‹?

Noch eine Bemerkung sei gestattet, ehe wir weitergehen. Das, was zu Pfingsten geschah, und besonders die zerteilten Zungen wie von Feuer haben nichts mit der Feuertaufe zu tun, von der Johannes der Täufer im Blick auf den Herrn Jesus sprach: „Er wird euch mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen“ (Mt 3,11). Die Taufe mit Heiligem Geist und die Taufe mit Feuer sind nicht ein und dasselbe. Sie werden zwar in einem Atemzug genannt, beziehen sich aber auf ganz verschiedene, zudem zeitlich getrennte Vorgänge. Am Tag der Pfingsten taufte Christus die Seinen mit Heiligem Geist. Wenn Er in Macht und Herrlichkeit auf die Erde kommen wird, um Sein Reich aufzurichten, wird Er zuvor Sein abtrünniges Volk „mit Feuer taufen“: „Er wird seine Tenne durch und durch reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; die Spreu aber wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer“ (V. 12).

Die Tatsache, dass zwei so verschiedene Dinge in einem Satz zusammengefasst werden, darf uns nicht zu dem Schluss verleiten, sie seien dasselbe. Oft lässt die Schrift den Aspekt der Zeit völlig außer Betracht, sie will uns vielfach die Dinge selbst, nicht ihre zeitliche Folge zeigen. Es ist wie mit zwei Bergspitzen, die von weitem betrachtet ganz nahe beieinander zu liegen scheinen, die aber, ist man erst einmal näher herangekommen, tatsächlich durch weite Täler voneinander getrennt sind.

So spricht der Herr Jesus in Johannes 5, Verse 28–29, von zwei Auferstehungen, die dem Charakter nach gänzlich verschieden und zeitlich gesehen durch mindestens tausend Jahre voneinander getrennt sind – der Auferstehung des Lebens und der Auferstehung des Gerichts. Eine Auferstehung aller Toten auf einmal gibt es nicht nach der Schrift! Sie ist eine Erfindung des „Lügners von Anfang“, der immer den Unterschied zwischen Gerechten und Ungerechten zu verwischen sucht.

Ein weiteres Beispiel für diese gedrängte Darstellungsweise findet sich in 1. Petrus 1. Die Propheten des Alten Testaments hatten von zwei Dingen geweissagt, die von weitem gesehen eng beieinander liegen mochten, die aber in Wirklichkeit nun schon fast zweitausend Jahre voneinander getrennt sind – von den Leiden des Christus und von den Herrlichkeiten danach (V. 11). Wir leben heute im ›Tal‹ zwischen diesen beiden ›Bergspitzen‹.

Erfüllt mit Heiligem Geist

„Und sie wurden alle mit Heiligem Geist erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen gab auszusprechen“ (Apg 2,4).

In diesem Vers begegnet uns ein Ausdruck, den wir im Verlauf der Apostelgeschichte noch öfter finden werden – der Ausdruck „mit Heiligem Geiste erfüllt werden“. Das ist ein Vorgang, den wir von der Taufe mit Heiligem Geist, dem grundsätzlichen Empfangen des Geistes, unterscheiden müssen. Das wird schon dadurch deutlich, dass genau dieselbe Wendung in Kapitel 4, Vers 31, für solche benutzt wird, die den Heiligen Geist längst empfangen hatten, nämlich die Apostel selbst und die ›Ihren‹:

„Und als sie gebetet hatten, erbebte die Stätte, wo sie versammelt waren; und sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und redeten das Wort Gottes mit Freimütigkeit.“

Wenn wir die beiden Verse miteinander vergleichen, fällt uns auf, dass nach dem Erfülltwerden mit Heiligem Geist jeweils eine besondere geistliche Tätigkeit oder ein bedeutsamer Dienst folgte.

Im ersten Fall fingen sie an, in anderen Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Im zweiten Fall redeten sie trotz der Drohungen ihrer Feinde das Wort Gottes mit Freimütigkeit. Es ist unschwer zu erkennen: Das Erfülltwerden mit Heiligem Geist bedeutet nicht einen neuen Empfang des Heiligen Geistes, sondern bedeutet, dass Er von dem Gläubigen, in dem Er wohnt, in praktischer Hinsicht derart Besitz ergreift, dass Er seinen Sinn, seine Gedanken, seine Fähigkeiten, sein ganzes Tun und Lassen völlig kontrollieren kann, so dass das, was er im Dienst des Herrn tut, genau dem entspricht, was der Heilige Geist wollte.

So war es am Tag der Pfingsten, und so war es später. Die Gefäße des Dienstes wurden zu besonderen Zeiten und offenbar zu besonderen Diensten mit Heiligem Geist erfüllt und standen somit für die Ausübung dieses besonderen Dienstes unter der vollständigen Kontrolle des Heiligen Geistes. Als Petrus „wegen einer Wohltat an einem kranken Menschen“ vor dem Synedrium der Juden verhört wurde und in ihre Mitte gestellt worden war, hören wir in Kapitel 4, Vers 8: „Da sprach Petrus, erfüllt mit Heiligem Geist ...“ Als der Zauberer Elymas den beiden Knechten Gottes, Barnabas und Saulus, widerstand und den Prokonsul Sergius von dem Glauben abwendig zu machen suchte, lesen wir von Saulus: „Saulus aber, der auch Paulus heißt, erfüllt mit Heiligem Geist, blickte unverwandt auf ihn hin und sprach …“ (Kap. 13,9.10).

Diese Beispiele zeigen zudem, dass das Gegenteil von ›erfüllt‹ nicht ›leer‹ ist. Gott gab bei besonderen Anlässen besondere Macht, übrigens im Allgemeinen ungebeten. Dass das Erfülltwerden mit Heiligem Geist nicht von der Innewohnung des Heiligen Geistes in dem Gläubigen abhängt (so wenig sind die beiden Dinge dasselbe!), zeigen uns Stellen wie 2. Mose 28, Vers 3; 5. Mose 34, Vers 9; Lukas 1, Verse 15, 41 und 67, in denen sämtlich von Menschen die Rede ist, die den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatten (weil Er zu jener Zeit noch gar nicht auf der Erde wohnte), zur Erfüllung einer besonderen Aufgabe aber mit Heiligem Geist erfüllt wurden.

Ich glaube sicher, dass auch wir heute dieses Erfülltwerden mit Heiligem Geist erfahren können oder auch schon erfahren haben; dass wir auch darum beten dürfen, wenn wir vor einer besonderen Situation, vor einem schweren Dienst usw. stehen. Sagt uns doch Epheser 5, Vers 18: „Werdet [beständig] mit dem Geist erfüllt.“ In dieser Stelle wird jedoch ein Unterschied zu den bisherigen Beispielen sichtbar, den ich durch die Einfügung ›beständig‹ kenntlich zu machen suchte. Während in den bisher genannten Stellen für ›erfüllt‹ eine Verbform benutzt wird, die auf etwas Augenblickliches, Einmaliges hinweist, verwendet der Heilige Geist in Epheser 5 eine Verbform, die einen andauernden Vorgang bezeichnet. Deswegen: werdet beständig erfüllt. Wir sollten uns also nicht damit zufrieden geben, dass uns der Heilige Geist bei bestimmten Anlässen erfüllt, um diese oder jene Aufgabe unter Seiner Kontrolle und Macht auszuführen, sondern wir sollten danach streben, dass Er uns allezeit erfüllt und leitet, in unserem ganzen Leben, in allen Dingen.

Doch dann müssen wir aus unserem Leben das wegtun, was Ihn ›betrübt‹ (Eph 4,30), und das sind nicht nur böse Dinge, sondern oft auch solche, die wir als harmlos ansehen. Geben wir ihnen nämlich den Vorzug vor Christus, sind sie alles andere als harmlos. Der Geist aber will uns mit Christus beschäftigen, und Er wird in Seinem Wirken gedämpft, wenn Ihm andere Dinge in unseren Herzen entgegenstehen. So wird es viele ›harmlose‹ Dinge geben, die wir aus unserem Leben zu entfernen haben, wenn wir mit Heiligem Geist erfüllt sein wollen.

Das führt uns noch zu einem anderen Ausdruck, der ebenfalls hier und da in der Apostelgeschichte vorkommt: ›voll Heiligen Geistes‹. Er deutet einen gewohnheitsgemäßen Zustand der Seele an und wird von Menschen benutzt, die beständig vom Geist kontrolliert waren. Vollkommen war das bei unserem Herrn der Fall (Lk 4,1) und in gewissem Maß auch bei Stephanus und Barnabas (Apg 6,3.5; 7,55; 11,24). Was für ein schöner Ausdruck ist das – „voll Heiligen Geistes und Glaubens“! Ob das der Heilige Geist auch von uns sagen könnte?

Andere Sprachen

Am Tag der Pfingsten erfüllte der Heilige Geist die Jünger und befähigte sie, in anderen Sprachen zu reden, in Sprachen, die sie nie gelernt hatten. Wir können annehmen, dass alle Hundertzwanzig mit dieser Macht ausgestattet wurden. Gott schickte sich jetzt an, in Seiner Gnade die Grenzen zu überspringen, die Er einst zur Eindämmung des Hochmuts des Menschen durch die Verwirrung ihrer Sprache eingesetzt hatte (1.M0 11,1–9). Er beseitigte nicht die Sprach-Barrieren – sie bestehen bis heute –, aber Er übersprang sie. Er ließ Seine Knechte in den verschiedensten Dialekten der Völker reden: ein Zeichen dafür, dass Seine gute Botschaft zu allen Völkern und Sprachen der Erde hingelangen sollte. So ist dieses dritte Zeichen der Gegenwart des Heiligen Geistes, der nun gekommen war, in gewissem Sinn die hörbare Offenbarung der zerteilten Zungen wie von Feuer, die auf einen jeden von ihnen gekommen waren.

Zusammenfassung

Ehe wir uns nun mit dem Wesen des Redens in anderen Sprachen näher beschäftigen, sei noch einmal eine gewisse Zusammenfassung dessen gegeben, was wir in den ersten vier Versen des zweiten Kapitels der Apostelgeschichte gesehen haben. Drei Dinge wurden uns in diesen Versen in Bezug auf das Herabkommen des Heiligen Geistes vorgestellt:

  • die Zeit › der Tag der Pfingsten;
  • die Art und Weise oder die begleitenden Zeichen › das Brausen des Windes und die Zungen wie von Feuer;
  • ein Ergebnis Seines Kommens › das Reden in Sprachen.

Lukas ist der einzige Schreiber im Neuen Testament, der uns im Auftrag Gottes berichtet hat, was in der Nacht geschah, als der Herr Jesus geboren wurde. Er ist auch der Einzige, der uns mitgeteilt hat, was sich an dem Morgen abspielte, als der Heilige Geist ausgegossen wurde. Was er uns mitzuteilen hat, ist für uns von höchstem Interesse und von höchstem Wert. Gott sei Dank für die Berichte, die Er uns durch den „geliebten Arzt“ (Kol 4,14) hat übermitteln lassen!

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