Lebendiger Glaube
Eine Auslegung des Briefes des Jakobus

4. Der Glaube beruht auf Gottes Wort

In den ersten sieben Versen zeigt Jakobus, wie der Glaube die in der Welt existierenden Unterschiede überwindet. In den darauffolgenden sechs Versen lernen wir, dass der Glaube das Wort Gottes ernst nimmt. Es ist die Grundlage des Glaubenslebens. In Vers 5 haben wir gesehen, dass uns Gott und sein Urteil als Maßstab des Glaubenslebens genannt werden. In den Versen 8–13 verdeutlich Jakobus, dass Gottes Wort der Maßstab unseres Lebens ist. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Gott handelt nie im Gegensatz zu seinem Wort.

Verschiedene Arten von Gesetz

Schon in Verbindung mit Kapitel 1,25 haben wir gesehen, dass Jakobus im Laufe seines Briefes drei verschiedene Gesetze erwähnt:

  1. das Gesetz Moses (Jak 2,10.11)
  2. das königliche Gesetz, das aus der Liebe zum Nächsten besteht (Jak 2,8)
  3. das vollkommene Gesetz der Freiheit (Jak 1,25; 2,12).

Die beiden zuletzt genannten Gesetze haben eine große Ähnlichkeit und sind zweifellos direkt miteinander verbunden. Allerdings nimmt das königliche Gesetz eine Vorschrift des Alten Testaments und damit des Gesetzes Moses auf. Es ist interessant, dass der alttestamentlich Gläubige unter der Knechtschaft des Gesetzes stand, dennoch aber zumindest eine Ahnung davon hatte, dass das Wort Gottes letztlich zur neuen Natur des Erlösten passt. Diese besaß der Gläubige im Alten Testament schon, allerdings ohne darüber belehrt worden zu sein. Wie könnten wir sonst die Worte verstehen: „Und entziehe meinem Mund nicht ganz und gar das Wort der Wahrheit, denn ich harre auf deine Rechte. Und halten will ich dein Gesetz beständig, immer und ewig. Und ich werde wandeln in weitem Raum; denn nach deinen Vorschriften habe ich getrachtet“ (Ps 119,43–45).

Jakobus spricht also mehrfach vom Gesetz. Das Gesetz ist für ihn ein Aspekt des Wortes Gottes, den man seine „imperativische Seite“ nennen könnte. Es ist das Wort Gottes unter dem Blickwinkel, dass es verbindliche Weisungen für unseren Lebenswandel gibt. Es besitzt Autorität über uns. Das Gesetz ist in diesem Sinn auch für uns nicht zur Seite gestellt. Es bleibt Gottes gute Gabe, ja sogar seine notwendige Gabe.

Jakobus wünschte, dass die Gläubigen in Übereinstimmung mit Gott handelten. In den Versen 5 und 6 war leider offenbar geworden, dass die Christen in der Versammlung im Gegensatz zu Gott und seinem Wort handelten. Wenn sie jedoch nach dem Wort Gottes handeln würden, täten sie in den Augen Gottes wohl.

Das königliche Gesetz (V. 8)

„Wenn ihr wirklich das königliche Gesetz erfüllt nach der Schrift: ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘, so tut ihr recht“ (V. 8).

Jakobus hatte die Beurteilung Gottes gezeigt. Ihm ist Parteigeist ein Gräuel. Nun spricht er als zweites von der praktischen Summe des Gesetzes, von der Jesus gesprochen hatte. Er nennt diese Summe hier das „königliche“ Gesetz (V. 8). Daraus lernen wir, dass das Ansehen der Person nicht nur dem Glauben an Christus zuwider ist (V. 1), sondern auch dem alttestamentlichen Gesetz, auf dass sich die jüdischen Bekenner noch immer stützten. Dieses Gesetz gebietet ausdrücklich, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, unabhängig davon, ob er reich oder arm ist.

Der Apostel schreibt solchen, die sich zum Christentum bekannten, aber Eiferer für das Gesetz waren (Apg 21,20). Wie stand nun ihr Bekenntnis zum Christentum und das damit verbundene Verhalten im Verhältnis zu der Summe des königlichen Gesetzes, das durch Christus vorgestellt wird?

Die Christenheit heute stellt sich, wie viele Judenchristen damals, freiwillig unter Gesetz. Daher trifft die Belehrung von Jakobus auch heute den Kern der Sache, wenn er das Gesetz zur moralischen Beurteilung heranzieht.

Wenn ihr wirklich …

Jakobus beginnt diesen Abschnitt mit der Wendung „Wenn ihr wirklich“. Dieses kurze Wort „wirklich“ kommt außer in Jakobus 2,8 nur siebenmal im Neuen Testament vor (Joh 4,27 – dennoch; 7,13 – jedoch; 12,42 – aber; 20,5 – doch; 21,4 – doch; 2. Tim 2,19 – doch; Jud 8 – doch). Es verbindet diesen Vers mit dem vorherigen bzw. den vorherigen Gedanken. „Wirklich“ scheint einen gewissen Gegensatz zum Verhalten dieser Judenchristen anzudeuten.

Ob Jakobus aufseiten der Briefempfänger vielleicht eine Ausrede als Begründung für ihr Verhalten erwartete, der er mit diesem Vers entgegentritt? Vielleicht wollten sie sagen, dass ihr Verhalten zugunsten des Reichen doch Liebe zu einem solchen Menschen sei. Man wolle dazu beitragen, dass er zum Glauben komme oder im Glauben gefördert werde. Dann wäre die ironische Antwort von Jakobus, dass er gegen eine wahre Ausübung von Liebe nichts einzuwenden habe.

Man kann aber auch daran denken, dass dieses Wort „wirklich“ gerade dazu benutzt wird, die Gedankenlinie, die der Schreiber bislang verfolgte, etwas verändert fortzuführen. Jakobus führt in diesem Sinn zwar seinen Gedankengang fort, die Sünde der Parteilichkeit bei den christlichen Bekennern zu entlarven, aber er unterscheidet. Denn unter seinen Briefempfängern gab es auch solche, die sich Reichen nicht anbiederten. Das passt dazu, dass es bei dem hier benutzten „wenn“ um eine erfüllte Bedingung geht, die einem „da“ sehr nahekommt.

Jakobus nimmt in diesem Sinn an, dass diejenigen, die er jetzt vor Augen hat, das königliche Gesetz erfüllten bzw. erfüllen wollten. Auch die Tatsache, dass „erfüllt“ im Präsens steht, bestätigt diese Gedankenlinie. Offenbar handelten sie nach diesem königlichen Gesetz und dessen Absicht.

Das Handeln derjenigen dagegen, die parteilich und nach dem Ansehen der Person richteten, verurteilt er als einen Bruch des königlichen Gesetzes Gottes. Das Gesetz wird von Jakobus nicht einfach nur königlich genannt, sondern dieser königliche Charakter wird besonders betont. Eigentlich heißt es: „Wenn ihr wirklich (das) Gesetz erfüllt, (nämlich das) königliche.“ Ihr seid nicht irgendeinem Gesetz gehorsam, sondern gerade diesem besonderen, dem königlichen. Im Grundtext steht kein Artikel vor „königlichem Gesetz“. Das zeigt, dass es Jakobus nicht um ein konkretes Gebot oder eine besondere Gesetzgebung geht, der man die Überschrift „königlich“ gegeben hätte. Vielmehr zeigt er, dass es ein Wort mit Autorität gibt, dessen Charakter königlich ist.

Ein königliches Gesetz

Man fragt sich unwillkürlich: Warum wird das Gesetz königlich genannt? Dafür könnte es verschiedene Gründe geben:

  1. Wenn sich Jakobus auf das „eine“ Gebot bezieht, das er im zweiten Teil von Vers 8 nennt, steht das Gesetz der Liebe (V. 8b) über allen anderen (vgl. Mt 22,36–40; Röm 13,8.9; Gal 5,14) und ist daher von königlicher, herausragender Art. Von seinem Inhalt und Umfang besitzt es in diesem Fall eine Vorrangstellung. Es stellt sozusagen eine Zusammenfassung aller anderen Gebote dar, den Kern des Gesetzes nach Gottes Gedanken.1
  2. Das Gesetz passt zu Königen und Erben des Königreichs, nicht zu Sklaven (vgl. Jak 2,5.12).
  3. Das Gesetz ist von einem König gegeben worden und trägt seinen königlichen Charakter.
  4. Dieses Gesetz stammt nicht nur von einem König. Der Herr Jesus Christus, der wahre König, hat es auch in seinem Leben verwirklicht.
  5. Dieses Gesetz fasst in einem Wort zusammen, was jeder König beachten muss, der gerecht herrschen und Gott gemäß regieren möchte.
  6. Das königliche Gesetz umfasst die Grundsätze, die zum Königreich gehören, in dem der Herr Jesus regieren wird: Gott und den Nächsten lieben (V. 5.8).
  7. Dieses Gesetz fasst die letzten sechs der zehn Gebote aus 2. Mose 20 zusammen. Die ersten vier haben besonders priesterlichen Charakter im Blick auf Gott.2 Königlich in seinem Charakter ist das Gesetz deshalb, weil es ein Zeugnis im Blick auf andere gläubige und auch ungläubige Menschen ist. Echte Liebe für den Nächsten wird dessen Bestes suchen.

Vermutlich kann man noch weitere Gründe und Gedanken zu diesem königlichen Gesetz nennen. Vielleicht wird mit diesem Ausdruck auch einfach angedeutet, dass dieses Gesetz das Höchste ist. Es handelt sich sozusagen um die denkbar erhabenste Formulierung des Gesetzes. Zudem kann man in Verbindung mit 1. Petrus 2,9 daran denken, dass dieses Gesetz von einer königlichen Priesterschaft bewahrt und verwirklicht werden soll.

Die Bibel in Schuhleder

Ich habe gelesen, dass D. L. Moody oft gesagt haben soll: „Jede Bibel sollte in Schuhleder gebunden sein.“ So wertvoll ist das Wort Gottes! Bedenken wir: Der allmächtige Gott gab uns sein Gesetz und Gott, der Sohn, bestätigte und verschärfte es nochmals gegenüber seinen Jüngern (Mt 22,39; vgl. Mt 5,17–48). Zudem gab der Herr dem Gesetz eine viel tiefere Bedeutung (vgl. Joh 13,34), indem Er den göttlichen Maßstab dafür vorstellte.

Gott, der Heilige Geist, füllt unsere Herzen mit Gottes Liebe (Röm 5,5), so dass wir in der Lage sind, unseren Nächsten zu lieben. Gläubige werden darüber hinaus von Gott gelehrt, sich untereinander zu lieben (1. Thes 4,9). Liebe ist gewissermaßen die Zusammenfassung des Gesetzes (Röm 13,10).

Der Gehorsam diesem Gesetz gegenüber macht uns zu Königen. Hass macht einen Menschen zum Sklaven, aber Liebe macht uns frei von Selbstsucht und befähigt uns, wie Könige zu regieren. Liebe ist das von Gott geschenkte Motiv, um dem Wort Gottes zu gehorchen und Menschen so zu behandeln, wie Gott will. Wir ordnen uns seinem Gesetz nicht aus Furcht unter, sondern aus Liebe, wobei wahre Gottesfurcht natürlich eine wichtige Rolle spielt. Jakobus spricht an dieser Stelle allerdings nicht von den Voraussetzungen für dieses Verhalten. Das hat er im ersten Kapitel schon getan (vgl. Jak 1,18–22).

Es bleibt die Frage, ob sich das königliche Gesetz allein auf das Zitat in Vers 8 bezieht, oder ob es eine Bezeichnung für das gesamte Gesetz Gottes mit dem Gebot der Liebe als entscheidendem Element und zentralem Inhalt ist. Jakobus spricht vom Gesetz (gr. νόμος) und nicht von einzelnen Geboten (gr. ἐντολή). Es geht ihm also um das Gesetz insgesamt und nicht nur um die zehn Gebote. Insofern könnte mit dem königlichen Gesetz durchaus das gesamte Gesetz gemeint sein, wie wir es im Alten Testament finden. Es trägt die erhabenste Formulierung dessen, was Gott vom Menschen fordert. Wenn der Christ das königliche Gesetz erfüllt, verbreitet er den göttlichen Charakter dieses Gesetzes.

Ein altes Gesetz – eine immerwährende moralische Kraft

Schon in den frühen Tagen des Volkes Israel hatte Gott das Prinzip verankert, dass man den Nächsten lieben solle. Wir finden es zuerst in 3. Mose 19,18, und erneut in 5. Mose 6,4 wieder. Dieses alte Gebot hat der Herr Jesus nach Matthäus 22,39 (vgl. auch Lk 10,25–28; Mk 12,29–31) auf einen hohen Rang gehoben (vgl. Mt 5,43; 19,19). Der messianische König hat es zur Richtschnur für seine Jünger gemacht. Der Herr sagte, dass „den Herrn, deinen Gott, mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand“ zu lieben, das erste und große Gebot ist. Er fügte das zweite, ihm gleiche Gebot hinzu: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt 22,37–39).

Gott und den Nächsten zu lieben bedeutet letztlich, das ganze Gesetz zu erfüllen. Es ist unmöglich, ein anderes Gesetz zu brechen, wenn diese beiden gehalten werden, da sie das Wesen und die Motivation sind, um alle einzelnen Teile des Gesetzes zu halten. In diesem Sinn ist das Gesetz der Liebe das königliche Gesetz, das jedes andere Gesetz regiert. Wer dieses Gesetz erfüllt, tut Gutes.

Dieses Gesetz wurde aber nicht von Jesus sozusagen freihändig erschaffen. Er (und nun auch Jakobus) verkündigte es „nach der Schrift“, das heißt, es war schon in der Schrift enthalten. Auf der zweiten Gesetzestafel stand dieses Gebot ganz oben und gab dem gesamten Rest seine Richtung. Wie wir gesehen haben, rechnet Jakobus damit, dass die Christen es erfüllen können. Sie stellen sich nicht unter das Gesetz, aber erfüllen seine Rechtsforderung in der Kraft Gottes (vgl. Röm 8,4). Es ist das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus, das den Gläubigen von dem Gesetz der Sünde und des Todes befreit hat (Röm 8,1). So besitzt der Gläubige eine neue Kraft und eine neue Gesetzmäßigkeit in seinem Leben. Er ist mit dem verherrlichten Herrn im Himmel verbunden, um in seiner Kraft Gott zu verherrlichen.

Ein solcher Erlöster kann zunächst einmal Gott lieben, dann aber auch den Menschen als seinen Nächsten. Er hat in Christus die Kraft und Liebe, für den anderen zu leiden oder sogar zu sterben (vgl. 1. Joh 3,16). Jakobus führt diese Gedanken hier nicht weiter aus. Das blieb Paulus vorbehalten, dem Gott diesen Dienst anvertraut hat. Aber Jakobus beschreibt diesen großen moralischen Anspruch Gottes zugunsten des Nächsten als königliches Gesetz.

Unter Gesetz war man nicht in der Lage, das Gesetz auszuführen. Offenbar war dazu nicht einmal der Gesetzeslehrer imstande, wie hätte er sonst den Herrn fragen können: „Wer ist mein Nächster?“ (vgl. Lk 10,29). Das offenbart, dass er letztlich hilflos war, diese Liebe zu erweisen. Der Gläubige, der den Geist Gottes besitzt, ist als einziger dazu in der Lage, der Rechtsforderung des Gesetzes zu entsprechen, weil er ein Leben besitzt, das dazu fähig ist. Er sieht auf den Herrn, der in Liebe kam, um die Verlorenen zu suchen und zu retten. Nachdem Er in den Himmel aufgefahren ist, ist seine Liebe in den Seinen aktiv. Diejenigen, die in Christus sind, wandeln nach dem Geist, nicht nach dem Fleisch (vgl. Röm 8,9.13) und tun das, was der Geist Gottes in ihnen bewirken möchte. Das Fleisch dagegen ist gesetzlos und selbstsüchtig. Das ist das Gegenteil von Liebe.

Es war ein trauriger Rückschritt, von Christus, dem Herrn der Herrlichkeit, wegzuschauen, um sich zu den goldberingten, reichen Menschen hinzuwenden. Selbst der hochbetagte Jakob handelte besser, als er zum Pharao kam und diesen nach weltlichen Maßstäben höchsten Mann segnete (vgl. 1. Mo 47,7; Heb 7,7), der Arme den Reichen. So soll auch heute der Ärmste der Heiligen gestärkt werden und auf ungestörte Weise das Bewusstsein seiner Segnungen und der Hoffnung der Herrlichkeit bewahrt werden.

Der persönliche Bezug zur Schrift

Noch ein Wort zum Ausdruck „nach der Schrift“. Man sollte ihn nicht nur auf das Zitat in 3. Mose 19,18 beziehen, sondern als Maßstab für die Erfüllung des königlichen Gesetzes verstehen. Wenn die Empfänger in Übereinstimmung mit dem Gesetz handelten, würden sie auch dieses Gebot erfüllen und damit „nach der Schrift“ leben. Sie hätten die Billigung des Meisters, weil sie der von Ihm gegebenen Schrift gehorsam wären.

Das „du“ macht dieses Gebot zu einer ganz persönlichen Sache. Jeder von uns ist einzeln und ganz persönlich in seinem Gewissen angesprochen und verantwortlich, in dieser Weise Liebe zu üben. Bei der Liebe handelt es sich um eine einsichtige Liebe, die sich zugunsten des Nächsten hingibt.

Der Nächste gehörte nach 3. Mose 19,18 zum Volk Israel. Der Herr Jesus zieht den Rahmen jedoch viel weiter, wenn Er von dem barmherzigen Samariter spricht (vgl. Lk 10,30–37). Nach diesen Worten des Herrn wird jeder Mensch zu meinem Nächsten. Nach Matthäus 5,44 gehören sogar die Feinde dazu. Enger sollten wir auch in den Belehrungen von Jakobus nicht denken.

Jakobus zitiert das Gesetz, in dem es heißt, dass man den anderen lieben soll „wie dich selbst“. Der Herr gibt uns nach Johannes 13,34 einen noch höheren Maßstab. Aber allein der von Jakobus wiedergegebene ist schon gewaltig. Mit dieser Wendung sind das Ausmaß und die Art und Weise der Liebe gemeint. Wir sorgen, wie Paulus in Epheser 5,28.29 mit Sorgfalt für unseren eigenen Körper und unser Leben. Wir tun alles dafür, gesund zu leben und unseren Körper vor Schäden zu bewahren. Auf diese Art und auch in diesem Ausmaß sollten wir uns um den Anderen kümmern. Ohne die in dem Gläubigen wohnende Liebe Gottes (vgl. Joh 13,34.35) ist das nicht möglich.

Jakobus hat genauso wie die anderen neutestamentlichen Schreiber keine Not mit der Moral des Alten Testaments. Er stellt den Gläubigen nicht unter das Gesetz, sondern lässt das moralische Licht der Schrift auf uns scheinen. Es ist ja das Wort, das in unsere Herzen eingepflanzt worden ist und das wir lieben.

Liebe und Segen

Christliche Liebe bedeutet nicht, dass ich einen Menschen dann liebe, wenn ich mit ihm in allen Dingen übereinstimme. Christliche Liebe heißt, andere so zu behandeln, wie Gott mich behandelt hat und wie ich mich selbst behandle. Liebe ist ein Willensakt, kein Gefühl, das ich versuche hervorzubringen. Das Motiv muss letztlich sein, Gott zu verherrlichen. Die Befähigung dazu ist die Kraft des Geistes in mir und der Blick auf den verherrlichten Herrn (Jak 2,1). Christliche Liebe lässt einen Menschen nicht einfach dort, wo sie ihn findet. Liebe sollte dem Armen helfen, dass es ihm besser geht. Liebe soll dem Reichen helfen, einen richtigen Gebrauch von seinen von Gott gegebenen Reichtümern zu machen. Liebe baut immer auf (1. Kor 8,1). Hass reißt immer ein.

Für uns ist das von Jakobus genannte Gesetz nicht Teil der zehn Gebote. Wir kennen das Wort Gottes als Grundlage unserer geistlichen Zeugung (Jak 1,18), als das, was in unsere Herzen eingepflanzt worden ist (Jak 1,21) und als das Wort, das im 1000-jährigen Friedensreich auf die Herzen der gläubigen Juden geschrieben wird (vgl. Jer 31,33; Heb 8,10). Wir haben den Segen dieses künftigen Königreichs in viel höherem Maß bereits heute und nehmen ihn gewissermaßen voraus. So genießen wir diese geistlichen Segnungen des neuen Bundes schon heute.

Gesetzesübertreter (V. 9)

„Wenn ihr aber die Person anseht, so begeht ihr Sünde und werdet von dem Gesetz als Übertreter überführt. Denn wer irgend das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller Gebote schuldig geworden. Denn der gesagt hat: ‚Du sollst nicht ehebrechen’, hat auch gesagt: ‚Du sollst nicht töten.’ Wenn du nun nicht ehebrichst, aber tötest, so bist du ein Gesetzes-Übertreter geworden“ (V. 9–11).

Wenn ich nur meinen reichen Nächsten liebe, ist das keine echte Liebe, ebenso wenig, wie wenn ich den Geringen verachte. Dann handelt es sich um Selbstsucht. Denn der Bekenner, der andere Personen ihrer Stellung nach beurteilt und sie nicht so sieht, wie Gott sie sieht, liebt seinen Nächsten offensichtlich nicht wie sich selbst. Kein gesunder Mensch stellt sich selbst einfach ins Abseits. Der Mensch, von dem Jakobus jetzt spricht, denkt vom reichen Nachbarn besser als von dem armen. Somit ist er als Gesetzesübertreter überführt. Man brach somit das Gesetz und war schuldig, indem man die Reichen begünstigte und damit die Person ansah.

Das „aber“ zeigt einen scharfen Gegensatz zu der Empfehlung, die soeben gegeben worden ist. Wieder geht es um eine erfüllte Bedingung des „wenn“, wie man dies grammatikalisch nennt. Das heißt, unter den Bekennern, an die sich Jakobus wendet, gab es offensichtlich solche, die das königliche Gesetz erfüllten (und sich in der Versammlung nicht durchsetzen konnten) und solche, welche die Person ansahen. Die einen waren nur Bekenner, die anderen dagegen verwirklichten die Schrift. Lasst uns bedenken: Der Mangel an Liebe führt immer zu Sünde (vgl. auch Off 2,4).

In diesem Vers kommt Jakobus somit wieder auf die in Vers 1 gemachte Feststellung zurück. Wie ein Spiegel oder Staatsanwalt überführt uns das Gesetz als Übertreter. Damit wird auch eine Parteilichkeit zugunsten der Armen ausgeschlossen. Es sollte aus diesen Versen deutlich werden, dass Parteilichkeit kein unglücklicher Zufall ist, sondern eine vorsätzliche Praxis. Sie war im Gesetz Moses ausdrücklich verboten (vgl. 3. Mo 19,15; 5. Mo 1,17; 16,19). Dadurch sündigt man. Es geht hier ausdrücklich um eine innere Gesinnung.

Ansehen der Person ist das Gegenteil von Liebe

Wir erkennen an diesen Worten von Jakobus, wie gefährlich Parteilichkeit ist. Dass das Ansehen der Person ein Handeln gegen die Liebe ist, haben wir schon gesehen. Durch diesen Keim der Parteilichkeit kann auch ein armer Gläubiger dazu gebracht werden, reich werden zu wollen.

Wenn ein Gläubiger arm ist, gibt es für ihn keinen Grund, sich der Weltlichkeit hinzugeben, denn er ist ja reich im Glauben. So sollte er nicht andere arme Brüder verachten und die reichen verehren, denn dadurch würde er den Herrn der Herrlichkeit verunehren. Er hat das Gegenteil getan, als Er arm wurde um unsertwillen (vgl. 2. Kor 8,9). Seine Gesinnung sollte uns innerlich antreiben (vgl. Phil 2,5 ff.). Liebe bewirkt nichts Böses, erst recht nicht bei dem Nächsten.

Wer dagegen die Person ansieht, sündigt. Das Gesetz offenbart und beweist, dass ein solcher sündigt und das göttliche Ziel, das im Gesetz ausgedrückt wird, verfehlt. Daher ist es notwendig, über ein solches Verhalten Buße zu tun und umzukehren. Denn wir gestatten dem Fleisch in uns, zu handeln. Wir halten uns dann nicht mehr für das, was wir sind: tot (Röm 6,11). Das Fleisch bringt den Gläubigen dazu, sich unter das Gesetz zu stellen und zu versuchen, es zu erfüllen. Dabei ist es gerade das Gesetz, was uns dann verurteilt. Parteilichkeit führt eben dazu, dass man die „Begrenzungen“ des Weges praktischer Gerechtigkeit verletzt und übertritt. So verfehlt man das von Gott vorgesehene Ziel des Lebenswandels. Genau das ist Sünde.

Durch ihr Verhalten bestärkten die Christen dem Reichen, dass sein Reichtum etwas zählt. Die Tatsache, dass er derart hofiert wurde, musste in ihm den Eindruck auslösen, dass es besser ist für den Gläubigen, reich statt arm zu sein. Das jedoch führt zur Verachtung von Christus, von Armen und hat nicht selten Gewalttätigkeit gegenüber armen Menschen und Christen zur Folge. Dabei waren es damals besonders die Armen, die sich in ihrer Armut zum Herrn Jesus bekannten. Reiche mochten sich auf das Gesetz berufen, das ja äußeren Segen als Zeichen von Gehorsam nannte (vgl. z. B. 5. Mo 15,4.5). Jakobus zeigt hier jedoch, dass das Gesetz zwar nicht den Reichen verurteilte, wohl aber ein Verhalten, das Menschen nach ihrem Status einordnete.

Dabei vergessen wir nicht, dass auch der Reiche unser Nächster bleibt. Auch ihn dürfen wir nicht unter die eigene Person erniedrigen. Ihm gehört dieselbe Wertschätzung, die wir für uns selbst verlangen. In diesem Sinn brauchen wir auf beiden Seiten Ausgewogenheit.

Das ganze Gesetz halten (V. 10)

Vielleicht mochte jemand denken, das Brandmarken als „Gesetzesübertreter“ sei zu scharf. Jakobus beugt diesem Gedanken in den Versen 10 und 11 vor, indem er diesbezüglich grundsätzliche Überlegungen anstellt.

Wie vernichtend ist dieses Wort für alle, die meinen, dem Glauben an den Herrn Jesus noch Gesetzeswerke hinzufügen zu müssen. Jakobus sagt in diesem Vers nicht: Weil „ihr“ das Gesetz nicht haltet, seid ihr Übertreter des Gesetzes. Dann würde er voraussetzen, dass die Christen noch unter Gesetz stehen. Dabei ist das Gegenteil der Fall, denn Christus ist das Ende des Gesetzes (vgl. Röm 10,4). Wer sich jedoch unter das Gesetz stellt, hat das Gesetz gegen sich. Denn es gibt niemand, der nicht gegen eines der Gebote handelt. Wenn nun sogar das Gesetz eine bestimmte moralische Tat, die ich tue, als Sünde entlarvt, und mich daher letztlich zur Todesstrafe verurteilt, wie viel mehr ist dann das sich Stellen unter das Gesetz unpassend für einen Christen.

Wir Christen haben es nicht mit dem Gesetz Moses zu tun. Jakobus gebraucht es hier nur als ein Beispiel, um zu zeigen, wie verhängnisvoll es ist, wenn man das königliche Gesetz der Liebe nicht erfüllt, sich zugleich aber unter das Gesetz Moses stellt. Die kleinste Verletzung des Gesetzes führt zu dauerhafter Schuldigkeit, die durch nichts gesühnt werden kann. Denn jemand, der unter Gesetz steht, kann nur durch das Gesetz freigesprochen oder verurteilt werden. Freigesprochen wird aber nur derjenige, der das gesamte Gesetz, also alle Einzelheiten erfüllt. Alle anderen werden verurteilt. Da niemand imstande ist, das Gesetz zu halten, sind alle schuldig.

Keine Aufrechnung von guten mit schlechten Taten

Offensichtlich suchten manche Christen aus dem Judentum durch das Tun von bestimmten guten Dingen eine Art Ersatz für das Übertreten anderer Gesetze. Auch unter den Gesetzeslehrern gab es solche, die meinten, dass zum Beispiel das Einhalten der zeremoniellen Gesetze ein Ersatz für das Halten moralischer Gesetze sein würde (vgl.: Mt 15,1–9). Aber das lässt Jakobus, inspiriert durch den Geist Gottes, nicht gelten (vgl. Gal 5,3).

In Gottes Augen war es böse, egal welches der einzelnen Gebote man übertrat. Es wäre nutzlos, darauf hinzuweisen, dass man alle anderen Gesetze hält, wenn man dieses eine bricht. In einem einzigen Punkt Übertreter zu sein bedeutet, aller Gebote schuldig zu sein. Man kann das vergleichen mit dem Zerbrechen eines Gliedes aus einer Kette. Dadurch wird die gesamte Kette unbrauchbar

Mit diesem Argument zerstört Jakobus letztlich jede Form von Werkgerechtigkeit, denn es gibt niemanden, der in der Lage wäre, alle Gesetze zu erfüllen. Das Gesetz war eine Summe von Geboten, die aus (menschlich gesprochen) den geringsten bis zu den höchsten Einzelgeboten bestand. Sie alle waren zu erfüllen. Wir müssen somit bedenken, dass das Gesetz als ein Ganzes behandelt wird. In Gottes Augen ist es unteilbar und ein wunderbares Ganzes. So hat Er es gegeben.

Denn wer irgend …

Durch das „denn“ am Anfang von Vers 10 wird auf Vers 9 Bezug genommen und der dort genannte Gedanke erklärt. Jakobus wusste, dass es die Tendenz des menschlichen Herzens ist, eine Ausrede für ein Abweichen vom Gesetz zu suchen, vor allem, wenn das Abweichen eine scheinbar geringe Sache betraf. „Was ist dieses Gesetz, das ich gebrochen habe, im Vergleich zu so vielen, die ich doch halte?“, mag jemand sagen. Darauf gibt Gott hier eine Antwort.

Jakobus spricht von „wer irgend“. Niemand kann für sich beanspruchen, eine Ausnahme von dieser Regel zu sein. Egal auf wen man schaut, es gilt dieser Grundsatz. Die beiden Verben „hält“ und „strauchelt“ stehen beide im Aorist. Jakobus spricht von diesen Handlungen nicht so sehr als von einer historischen Tatsache, sondern als eine generelle Möglichkeit, die ihm vor Augen steht. Er geht nicht von einem unwahrscheinlichen Fall aus, sondern von dem Normalfall.

Wenn man sich den zehnten Vers noch einmal genauer anschaut, sieht man, dass es zuerst darum geht, dass der hier ins Auge gefasste Mensch versucht, sorgfältig jedes Gebot des Gesetzes zu tun. Der Aorist von „hält“ soll andeuten, dass diese Haltung und sogar Handlungsweise durchaus als charakteristisch angesehen werden kann. Das Gesetz insgesamt drückt den Willen des Gesetzgebers aus. Gott spricht nicht von verschiedenen Geboten, die irgendwie geordnet nebeneinander stehen, sondern von dem einen Gesetz. Aber, selbst wenn dem Betroffenen das klar ist, nützt ihm das nicht. Denn offenbar versagt er darin, eine einzelne Sache zu tun, die ebenfalls Teil des einen Gesetzes ist. So ist er gewissermaßen über die Grenze hinausgegangen, die vom Gesetz auf klare Weise den Weg des Gehorsams festlegt.

Nur eine Übertretung

Es mag nur ein einziger Fall oder nur ein einziger Bereich sein, der davon betroffen ist – dieses „eine“ betont Jakobus. Das hier von Jakobus verwendete Wort „Straucheln“ hat mit Fallen zu tun, weil man irgendwo anstößt und zu Fall kommt. Man begeht einen Fehltritt. Es kommt nur fünfmal im Neuen Testament vor (Röm 11,11; 2. Pet 1,10) und wird besonders von Jakobus selbst benutzt. Hier geht es um das Fallen im Blick auf einen einzigen Teil des Gesetzes. In Jakobus 3,2 spricht er davon, dass wir alle sogar oft straucheln, und zwar besonders im Wort durch unser unbedachtes Reden.

Straucheln ist in der Regel keine bewusste, mutwillige Sache, sondern geschieht durch Unachtsamkeit im Blick auf das eigene Fleisch oder die List des Feindes. Aber damit kann sich niemand entschuldigen, denn es gibt auch den Weg der Gerechtigkeit mit Gott. In welcher konkreten Sache auch immer man gestrauchelt sein mag – sie macht mich zu einem Sünder.

Die Juden waren eifrig damit beschäftigt, das Gesetz zu tun. Sie gaben vor, Gott zu lieben, Ihm zu dienen und das Gesetz zu halten. Dazu analysierten sie seine Gebote, zerlegten sie, versuchten sie zu erklären, indem sie Einzelausführungen bestimmten und diese dem Gesetz hinzufügten, zum Beispiel im Talmud. Was sie aber offenbar übersahen, war das, was Jakobus ihnen hier vorhält. Wenn man sagt, ich liebe Gott, man liebt aber nicht zugleich seinen Nächsten und kümmert sich nicht um die Armen, Witwen und Waisen, dann ist man ein Gesetzesübertreter.

Keine Gerechtigkeit durch Gesetz

Paulus spricht im Römerbrief ebenfalls von Gesetzesübertretern. In Römer 2,17–29 liest man, dass der Apostel besonders Juden davon überzeugen wollte. Er zeigt, dass es Torheit ist, sich auf das Gesetz zu stützen und sich in Gott zu rühmen und andere als Blinde, Törichte und Unmündige zu belehren, während man darin versagt, sich selbst zu lehren. Man verunehrt Gott durch die Übertretung desjenigen Gesetzes, dessen man sich zugleich rühmt.

Jeder Versuch eines sündigen Menschen, Gerechtigkeit durch Gesetz zu erreichen, ist schlimme Unwissenheit über sich selbst und über Gott. Durch die Taten des Gesetzes oder durch das Gesetz überhaupt wird kein einziger Mensch vor Gott gerechtfertigt (vgl. Röm 3,20). Jeder Mensch bleibt irgendeines Gebotes schuldig. Man kann nur durch Gnade gerettet werden (vgl. Jes 45,22).

Gott verurteilt somit nicht nur einen toten Glauben. Auch gesetzliches Wirken gibt keine Kraft, um gerettet zu werden, und führt nicht auf den Weg Gottes (vgl. Gal 3,10–14; 1. Tim 1,7 ff.; Röm 6,14; 8,3; 1. Kor 15,56). Durch gesetzliches Tun bekommt man kein Leben. Auch als Gläubige werden wir nicht dadurch geistlich gesund, dass wir Gesetze zu halten versuchen. Diese Belehrung ist zwar nicht die eigentliche Zielrichtung, die Jakobus in diesem Vers vor sich hat. Aber es ist ein lehrreicher Nebeneffekt, diesen Punkt zu sehen.

Jakobus spricht dann davon, dass derjenige, der in einer einzigen Sache strauchelt, damit zugleich aller Gebote schuldig geworden ist. Bei Jakobus heißt es nicht: Wenn du mehr als 50% erreicht hast, hast du es geschafft: Das ist doch kein schlechtes Ergebnis. Nicht einmal 99 % reichen bei ihm aus. Nein, wenn nicht alles getan wird, ist alles verloren. Das gilt aber nicht nur bei ihm, sondern auch der Herr Jesus hat seine Jünger dahingehend belehrt (vgl. Mt 5,17–20). Paulus spricht ebenso: „Ich bezeuge aber wiederum jedem Menschen, der beschnitten wird, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist“ (Gal 5,3).

Schuldig!

Dieses „schuldig geworden“ sein steht im Jakobusbrief in der Perfektform und deutet an, dass man durch diese Handlung in einen Zustand gekommen ist und dauerhaft bleibt. So ist man schuldig im Blick auf alles, was vom Gesetz verlangt wird, selbst wenn man viele Gebote erfüllt hat. Jakobus sagt nicht, dass alle Übertretungen gleich ernst und weitreichend sind. Aber der Übertreter ist in die verurteilende Macht des Gesetzes als Ganzes, des Fluches durch das gesamte Gesetz, gekommen. Jemand, der vorsätzlich einen Teil des Gesetzes übertritt, während er den Rest bewahrt, offenbart seine sündige Haltung, die sich auch in vielen anderen, verkehrten Wegen offenbaren wird. Das tut er, wenn dazu die passende Gelegenheit oder ein entsprechender Anreiz vorhanden ist.

Das Ganze lehrt auch uns heute, dass wir nicht denken dürfen, wir könnten Gott nur in einzelnen Bereichen gehorsam sein. Wir können uns nicht den Teil aussuchen, in dem wir nach seinen Gedanken handeln wollen und die übrigen Dinge nach eigenen Vorstellungen tun. Gottes Wille ist in diesem Sinn nicht fragmentarisch. Jemand hat einmal gesagt, dass derjenige, der die Ecke einer Fensterscheibe herausbricht, schuldig ist, die ganze Scheibe zerbrochen zu haben. Der Ernst des Handelns hängt nicht mit der Größe des einzelnen Gebots zusammen, sondern mit der Größe dessen, der das Gesetz gegeben hat. Wer so handelt, übertritt nicht nur das Gesetz, sondern offenbart den Geist eines Gesetzesbrechers. Er zeigt dadurch den mangelnden Respekt vor dem Gesetzgeber und seinem Gesetz.

Man kann sich mit allem Möglichen zu entschuldigen suchen, zum Beispiel mit der alten Natur, für die man ja nichts kann, oder auch mit schlechten Beispielen. Das alles aber lässt Jakobus nicht gelten. Er hat Christus als Beispiel und zentrale Person unsrer Herzen vorgestellt, durch den alle Entschuldigungen zunichte gemacht werden. Nicht Adam oder das Volk Israel sind der Maßstab hier auf der Erde und im Himmel, sondern allein Er, der Herr der Herrlichkeit. Das Gesetz, das von Gott ist, entlarvt und richtet alle Ausflüchte des Menschen.

Ein Gesetzgeber (V. 11)

Das Gesetz erlaubte keine Verletzung irgendeines seiner Gebote, weil dadurch die Autorität des Gesetzgebers infrage gestellt wurde. Wer zum Beispiel den Armen verachtete, liebte sicherlich nicht seinen Nächsten wie sich selbst und verachtete damit letztlich den Gesetzgeber.

Man kann sich die Frage stellen: Warum nimmt Gott das derart ernst? Wir wissen natürlich, dass Gott alles genau nimmt. Aber hier spricht Jakobus besonders scharf. Die Ursache liegt vielleicht darin, dass wir, wenn wir uns durch eine Begierde leiten oder durch Satan und die Welt verführen lassen, nicht nur das Gesetz übertreten haben. Wir missachten damit vor allem die Autorität dessen, der es seinem Volk gegeben hat.

99 % reichen nicht

In diesem, vielleicht auf den ersten Blick gar nicht so bedeutsamen elften Vers liegt tatsächlich der Schlüssel zum Verständnis der Botschaft von Jakobus. Er geht nicht von einer irgendwie gearteten Sache namens Gesetz aus, sondern denkt im Kern an den Gesetzgeber. Eine Sache kann man mit 80–90 % noch recht ordentlich ausführen. Habe ich aber nach einem jahrelangen persönlichen Vertrauensverhältnis nur einen Ehebruch begangen oder nur einmal gestohlen, ist schon in irdischen Beziehungen das Vertrauensverhältnis beschädigt und zerstört. Da hilft es nicht, wenn ich vorher in 100.000 Fällen richtig gehandelt habe.

So ist es mit dem Gesetz. Die Kette, die wir in Verbindung mit dem zehnten Vers angesehen haben, mag viele Glieder haben, aber es ist eine Kette. Das Fenster, mit dem wir zu tun haben, mag mehrere Quadratmeter groß sein, doch es ist eine Scheibe. Das Gesetz hat viele Gebote, aber es ist ein Gesetz. Eine einzelne Vorschrift mag sorgfältig beachtet werden. Es mögen sogar viele Gebote gehalten werden, doch wenn ein Gebot übertreten wird, dann ist das Gesetz als solches gebrochen worden.

Das Gesetz ist nach Jakobus keine neutrale oder selbstständige Sache. Es ist das persönliche, uns anvertraute Wort Gottes und Ausdruck einer tiefen, guten Beziehung und zugleich Symbol der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. Diese Gemeinschaft an einer einzigen Stelle mit Füßen zu treten, bedeutet den Bruch der ganzen Gemeinschaft. Daher sollten wir aufhören, die Sünden in leichte, schwere und ganz schwere aufzuteilen.

Jakobus vertieft in diesem Vers die Bedeutung der Parteilichkeit, in dem er diese mit Ehebruch und Mord in Verbindung bringt. Vielleicht denkt jemand, dass das Ansehen der Person doch nicht mit Töten oder Ehebrechen vergleichbar sei. Aber Jakobus zeigt hier deutlich, dass diese menschlichen Unterscheidungen nicht von Gott geteilt werden. Das Ansehen der Person verleugnet geradezu das Herz wahren Christentums, die Liebe zu anderen Menschen. Und wer tötet oder die Ehe bricht, beweist damit, dass er seinen Nächsten, den Ehepartner oder denjenigen, den er ermordet, nicht liebt. Das ist die große Sünde, die Jakobus hier brandmarkt.

Im Übrigen beziehen sich die Schreiber des Neuen Testaments fast immer auf die zweite Tafel des Gesetzes, in der es um unser Handeln gegenüber Menschen geht. Dieser Teil der Gebote liegt den Gedanken und Empfindungen der Menschen näher und ist für sie daher leichter zu verstehen.

Jakobus spricht in diesen Versen also nicht einfach vom Gesetz, sondern von dessen Schöpfer, von Gott. Dieser hat bei der Gesetzgebung etwas „gesagt“, das wird zweimal hintereinander im Aorist vermerkt. Es geht nicht um ein aufeinander folgendes Sprechen, sondern darum, dass Er das damals getan hat. Gott hat ausdrücklich beide in unserem Vers genannten Gebote gegeben. Dass es sich nur um einen Gesetzgeber handelt, unterstreicht die Einheit der Gebote, die Er gegeben hat. Der Aorist Konjunktiv drückt ein ausdrückliches Verbot aus. Nicht ein einziger Akt von Ehebruch oder Mord kann übergangen werden. Jakobus unterstreicht durch diese Form auch, dass Gottes Gebot darin bestand, dass sie mit solchen Dingen gar nicht erst anfangen sollten. Schon der Beginn dieses Handelns war Sünde.

Jakobus stimmt mit seinem Meister überein

Das „aber“ in der Mitte des Verses verdeutlicht, dass es hier um einen ganz realen Fall geht. Denn zunächst könnte man meinen, dass das Anführen des Tötens, weil es so selten vorkommt, theoretischer Natur wäre. Das Argument von Jakobus geht allerdings in eine andere Richtung. Kann jemand, der einen anderen getötet hat, darauf stolz sein, keinen Ehebruch begangen zu haben? Wer ein Gebot des Gesetzes übertreten hat, ist von diesem Augenblick an ein Gesetzesübertreter. Was für eine Gefahr ist es doch für Christen, über das Gesetz nachzudenken, es in einzelne Lehrsätze zu zerlegen, in verschiedene Aspekte der Wahrheit, dabei aber nicht alles anzuwenden!

Nicht zuletzt sollte man daran denken, dass Jakobus immer wieder die Worte des Herrn Jesus aufnimmt und somit dieselben Beziehungen dieser Sünde sieht wie sein Meister (Mt 5,21–26). In der Bergpredigt hat der Herr das Zürnen sowie das Aussprechen von „Raka“ (Dummkopf) bzw. „Narr“ mit dem Töten verbunden. Sowohl dem Töten als auch einem solchen Zürnen und Verachten geht das Missachten der Persönlichkeit des anderen voraus. Man will nicht anerkennen, dass es sich um ein Geschöpf Gottes handelt, dem deshalb mit Respekt zu begegnen ist.

Die Perfektform, die Jakobus benutzt, so bist du ein Gesetzesübertreter geworden, zeigt an, dass es sich um ein bleibendes Ergebnis handelt. Es geht nicht allein um eine einzelne Übertretung eines Gebotes. Man trägt von nun an den Charakter eines Gesetzesübertreters. Das ist der Zustand des betreffenden Menschen. Vom allgemeinen „wer irgend“ in Vers 10 ist Jakobus inzwischen zum direkten und persönlichen „du“ gekommen. Die Schuld betrifft den Einzelnen und ist ganz persönlich. So jemand hat die Grenzen überschritten, die das Gesetz festlegt. Er steht damit dauerhaft außerhalb des Bereichs, für den Gott Segen verheißen hat.

Müssen wir uns vor dem Hintergrund dieser Gedanken nicht alle als schuldig bekennen? Natürlich könnten wir uns fragen, ob wir im Sinn von Jakobus auf dem Boden des Gesetzes vor Gott stehen. In Vers 12 werden wir auf diese Frage eine Antwort von Jakobus finden. Wir stehen vor Gott und werden gerichtet auf der Grundlage des „Gesetzes der Freiheit“. Das ist ein Ausdruck, der uns auf die Offenbarung des Willens Gottes hinweist. Sie ist in Christus Jesus zu uns gekommen. Diesem Willen werden wir zu entsprechen versuchen, und zwar im hellen Licht wahren Christentums, wie wir es im Neuen Testament finden.

Es ist im Übrigen interessant, dass Jakobus zwei Gesetze herausnimmt, die direkt mit der Frage der Liebe, um die es in Vers 8 geht, zu tun haben. Denn bei beiden sündigen Handlungen bleibt die Liebe zum Nächsten auf der Strecke. Wie oft offenbart der Geist Gottes uns die tiefe Wurzel einer Sünde oder ihre ganze Tragweite, damit wir ihr Ausmaß besser erfassen können.

Das Gesetz der Freiheit – richtet (V. 12)

„So redet und so tut als solche, die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen. Denn das Gericht wird ohne Barmherzigkeit sein gegen den, der keine Barmherzigkeit geübt hat. Die Barmherzigkeit rühmt sich gegen das Gericht“ (V. 12.13).

Nach den insgesamt eher grundsätzlichen Hinweisen kommt Jakobus zu einer wichtigen Konsequenz, die das praktische Glaubensleben der Christen betrifft. Zweimal heißt es hier „so“. Das, was die Gläubigen „so“ tun sollen, wird also ausdrücklich betont. Es geht um das Reden und Handeln. Beides bildet auch bei unserem Herrn und seinen Belehrungen eine Einheit (vgl. Lk 24,19; Joh 8,25; Mt 12,34.36.37; 23,3; Apg 1,1). Das „so“ vor beiden Worten betont nicht nur die Wichtigkeit, sondern stellt zugleich beides auf dieselbe Stufe. Es wird nicht so sehr der Inhalt der Worte betont als vielmehr die motivierende Kraft, die hinter diesen Worten steht. Und dasselbe gilt für die Taten. Das Motiv selbst wird dann im zweiten Teil des Verses gezeigt („als solche“).

Jakobus benutzt erneut die Befehlsform für Reden und Tun. Diese Imperative zeigen, dass es sich um eine Pflicht handelt, nicht um eine wünschenswerte Möglichkeit, über die wir als Christen nachdenken könnten. Es geht um Worte und Taten, wie auch beim Beispiel in den Versen 2.3 unseres Kapitels. Jakobus ist es wichtig, dass sowohl unsere Worte (Kapitel 3) als auch unsere Taten (Kapitel 2) in Übereinstimmung mit Gott sind und daher Beweise eines vorhandenen, wahren Glaubens sind. Weil beides bedeutsam ist, behandelt er beides ausführlich.

Redet und sprecht steht jeweils im Imperativ Präsens, was bedeutet, dass es Jakobus um ein beständiges Handeln in Übereinstimmung mit diesen Aufforderungen geht. Dauerhaft sollten sie ihre Worte und Taten durch die Tatsache regulieren lassen, dass sie durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden. Man kann den Glauben eben nicht nur dann haben, wenn es einem gerade passt. Entweder hat man ihn dauerhaft oder gar nicht, mit allen Folgen, die damit verbunden sind. Daher ist es unmöglich, bloß gläubig zu denken, ohne gläubig zu handeln.

Der Charakter des Gesetzes der Freiheit

Die Gläubigen sollen ihren Lebenswandel als solche führen, deren Maßstab das Gesetz der Freiheit ist. Weil sie von Gott eine neue Natur geschenkt bekommen haben, die das, was von Gott ist, genießt und liebt, wollen sie alles meiden, was nicht zu Gott passt. Als solche Gläubige haben sie somit keine Entschuldigung dafür, Grundsätze zuzulassen, die nicht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen Gottes stehen.

Wahres Christentum ist durch Reden und Handeln geprägt, das von der Macht der Sünde freigemacht worden ist, um in allem den Willen Gottes zu tun. Das heißt, für uns Christen gilt: Sein Wille soll unser Wille sein. Christus hat uns von jeder Art der Sklaverei der Sünde, Welt oder Satan befreit. Wir sind wirklich freigemacht worden, um in den Fußspuren unseres Meister zu laufen, das heißt Ihm nachzufolgen. Es ist die Freiheit einer Natur, die ihre Freude und ihren Genuss am Willen Gottes und am Gehorsam seinem Wort gegenüber findet. Leider ist es möglich, sich im praktischen Leben aus der Nähe Gottes wegzubewegen. Dann verliert man Kraft, ja sogar den praktischen Genuss der christlichen Freiheit. Ursache für diese Abweichung ist oft Nachlässigkeit oder Untreue gegenüber unserem Retter.

Gott hat sein Wort nach seinem Willen dazu verwendet, den Gläubigen durch die Wahrheit zu zeugen, indem Er ihm eine Natur geschenkt hat, die von Ihm selbst stammt und daher göttlicher Natur ist. Dadurch kann diese Natur in uns die Ermahnung, Erfrischung, Führung und Stärkung, die sie nötig hat, durch das Wort Gottes aufnehmen. In diesem Sinn ist das Wort Gottes für uns „das Gesetz der Freiheit“.

Die Autorität dieses Wortes ist durch die Seele anerkannt worden, als sie Christi Wort hörte und das erste Mal annahm, Buße tat, an den Herrn Jesus glaubte und vom Tod ins Leben überging. Das „Ich“ wurde als böse gerichtet und Gnade und Wahrheit in Christus Jesus von Herzen aufgenommen. Das Wort, das die Kenntnis eines solchen Segens schenkte, wird seit diesem Augenblick wertgeschätzt. Man setzt das feste Vertrauen auf dieses Wort, dass es einen durch das Labyrinth der Welt führt und vor den Listen des Feindes bewahrt. Es ist ein Gesetz der Freiheit, das wir lieben, denn wir lieben Den, der es uns gegeben hat. Dass Er wahrhaftig unser Freund ist, wie Er sich einmal gegenüber Abraham ausdrücklich nennt (V. 23), hat Er im Herrn Jesus gezeigt und bewiesen.

Gesetz der Freiheit – Gesetz der Sklaverei

Es ist interessant, wie Paulus in Römer 8,1.2 das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus von dem Gesetz der Sünde und des Todes unterscheidet. Dieses Gesetz der Sünde bewirkt den Zorn Gottes und führt den natürlichen Menschen in die Sklaverei. Der natürliche Mensch selbst meint, sich eine passende Stellung vor Gott erkämpfen zu können. Wie aber könnte Gott jemand annehmen, der Sklave der Sünde ist?

Das Gesetz des Geistes ist charakterisiert durch Reife, nicht durch Knechtschaft. Es führt in ein Leben des Gehorsams, das Gott ehrt. Wer sich durch das Gesetz des Geistes prägen lässt, wird die Rechtsforderung des Gesetzes vom Sinai erfüllen (vgl. Röm 8,3.4). Das geschieht aber nicht dadurch, dass sich der Gläubige unter das Gesetz stellt, sondern dadurch, dass er Gott in allem ehren möchte. Das ist viel mehr als jede Erfüllung des Gesetzes vom Sinai.

Jakobus nimmt das Thema des Gesetzes auf und spricht vom Gesetz der Freiheit. Man kann diesen Ausdruck mit dem Gesetz des Geistes des Lebens verbinden, von dem Paulus spricht. Allerdings betont jeder inspirierte Schreiber andere Punkte, die für sein Thema wichtig sind. Beide Schreiber stimmen darin überein, dass das Ergebnis des neuen Lebens Segen ist. Das hat nichts damit zu tun, dass Gott jetzt auf Kosten der Gerechtigkeit die Maßstäbe herunterschrauben würde. Im Gegenteil! Der Maßstab ist ein viel höherer. Wie schlimm ist es daher, wenn Menschen das Evangelium als die Einführung eine Milderung gesetzlicher Schärfe ansehen.

Es ist im Übrigen falsch zu glauben, dass, wenn man sich hier und dort eine „kleine Sünde“ erlaubt, dadurch nur ein mildes Handeln in Zucht vonseiten Gottes ausgelöst würde. Man müsse ja nicht übergerecht sein. Dieser Gefahr waren offensichtlich auch die Leser des Jakobusbriefes ausgesetzt, obwohl sie wussten, mit was für einer Schärfe das Gesetz vom Sinai verurteilte. Daher fügt Jakobus diese ernsten Worte hier an. Das Gesetz verlangt absolute und kompromisslose Unterordnung.

Das „Gesetz der Freiheit“ steht im Gegensatz zum „Gesetz Moses“, das ein „Gesetz der Knechtschaft“ war. Das „Gesetz der Freiheit“ ist das regierende Prinzip der neuen Natur des Gläubigen und wird damit zum Maßstab des Lebens des von neuem geborenen Menschen. Wenn wir den Glauben unseres Herrn Jesus Christus haben (V. 1), besitzen wir eine Natur, die sich daran erfreut, den Willen Gottes zu tun. Wie könnte das besser beschrieben werden als mit dem Wort „Freiheit“. Denn dieses Gesetz verlangt gerade das Verhalten, an dem der von neuem Geborene seine Freude hat.

Keine falsche Freiheit

Das „Gesetz der Freiheit“ besteht also darin, Gott von Herzen zu gehorchen (vgl. 1. Pet 2,16). Dieser Ausdruck kommt nur noch in Jakobus 1,25 vor, der Sache nach aber auch in Johannes 8,31–36. Der Ausdruck erinnert uns an die Worte des Psalmisten, der sich durch das Befolgen der Vorschriften in einen weiten Raum gestellt fühlte (vgl. Ps 119,45). Dieses Gesetz der Freiheit bringt Freiheit, Freude und Freimütigkeit für das Herz des Gläubigen. Es gibt uns Kraft, um für den Herrn frei tätig sein zu können (vgl. Röm 8,15).

Freiheit meint keine Zügellosigkeit. Alles das zu tun, was irgend ich möchte, ist die schlimmste Art von Gebundenheit. Freiheit meint, alles in Christus zu sein, was ich sein kann. Zügellosigkeit ist Gefangensein, Freiheit ist Erfüllung. Gottes Wort verändert unsere Herzen und gibt uns den Wunsch, Gottes Willen zu tun, so dass wir aus innerem Antrieb und nicht unter äußerem Zwang gehorchen.

Da bei dem Ausdruck „Gesetz“ kein Artikel steht, geht es um den Charakter dieses Gesetzes also den Standard des Urteils Gottes. Jakobus zeigt nicht so sehr bestimmte Inhalte auf. Es bezieht sich auf das Wort der Wahrheit insgesamt (Jak 1,18).

Ein Gesetz im Innern

Solange uns ein Gesetz von außen angeordnet wird und nicht zugleich eingepflanzt ist als Kraftquelle in uns, kann es nur Zwang und Sklaverei bleiben. Dann kann ein Gesetz niemals Freiheit bedeuten. Erst, wenn es zu einem inneren Prinzip als Impuls der Liebe wird, werden sich Gesetz und Freiheit miteinander verbinden können. Wenn das Gesetz auf das Herz geschrieben wird und damit untrennbar mit unserem neuen Leben verbunden ist, gehen Gesetz und Freiheit Hand in Hand. Genau das wird für den künftigen Überrest Judas und Israels zutreffen und ein wichtiges Kennzeichen des neuen Bundes sein (Jer 31,31–34). Dann wird aus diesem Gesetz ein Bote der Gnade Gottes, der Freiheit schenkt.

Wir haben schon in Verbindung mit Kapitel 1 gesehen, dass Gott im kommenden Reich das Gesetz in die Herzen der Menschen einschreiben wird. Das Wort Gottes wird in ihre Herzen eingepflanzt sein, so dass sie sich durch dieses Gesetz nicht unterdrückt fühlen. Das ist dann kein auferlegtes Gebot mehr, nicht ein „du sollst“ und „du darfst nicht“, sondern ein Gebot, das völlig mit ihren Wünschen und dem Verlangen der neuen Natur Israels übereinstimmt.

Für die gläubigen Juden wird das die Zeit sein, in der das Königreich unter der herrlichen Herrschaft Christi beginnen wird. Zu diesem König und seinem Königtum gehört auch das königliche Gesetz. Es wird auch für Israel ein Gesetz echter Freiheit sein. Auch für uns verbindet sich das königliche Gesetz mit dem Gesetz der Freiheit. Dieses führt das königliche Gesetz gewissermaßen aus. Nur der neue Mensch kann diese Gesetze erfüllen, da er die göttliche Natur und die Gabe des Heiligen Geistes besitzt. Er besitzt die volle Freiheit, um die Gedanken Gottes auszuführen. Ein erweckter Mensch unter dem Gesetz konnte das nicht tun, denn er besaß diese Freiheit nicht.

Als Christen unter Gesetz?

Was uns Erlöste in der christlichen Zeit betrifft, so können wir gar nicht anders als zu lieben. Denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen worden (vgl. Röm 5,5). Ist es nicht wunderbar, unter einem Gesetz zu stehen, das von uns fordert zu lieben, und zugleich eine Natur zu haben, die gar nicht anders kann und will, als zu lieben? Das künftige Königreich, worin der Herr als Herr der Herrlichkeit gesehen wird, wird von dieser Liebe geprägt sein. Wir sind schon heute Erstlingsfrüchte dieses künftigen Königreiches, dieser neuen Schöpfung.

Dass die Empfänger des Briefes durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden, wird im Grundtext in einer Weise ausgedrückt, die deutlich macht, dass feststeht, dass in der Zukunft dies genau so kommen wird. Das ist so von Gott angeordnet worden (vgl. Röm 14,10–12; 2. Kor 5,9.10). Gerichtet heißt hier nicht, dass man verurteilt wird, sondern meint mehr, dass man vor dem Richter steht, der den Charakter und den Lebenswandel durch das Gesetz der Freiheit beurteilt.

Für den Gläubigen geht es um Lohn, nicht darum, festzustellen, ob er erlöst ist. Gleichwohl hat dieses Gericht einen Aspekt, der besonders die falschen Bekenner betrifft, an die sich Jakobus ebenfalls wendet. Sie bekennen sich äußerlich zu diesem Wort Gottes und werden daher durch dieses Gesetz der Freiheit beurteilt werden. Für solche wird das Urteil ewige Verdammnis bedeuten. Wer Ihn ablehnt und seine Worte nicht bewahrt, hat denjenigen verworfen, der ihn richtet (vgl. Joh 12,48).

Der Lebenswandel im Licht des zukünftigen Gerichts

Jakobus besteht also darauf, dass der ganze christliche Lebenswandel durch das Bewusstsein eines künftigen Gerichts geprägt ist. Wir sollen unser tägliches Leben im Licht des kommenden Gerichts führen. Es stimmt, dass der Gläubige nicht für seine Sünden ins Gericht kommen wird, für die Christus die Strafe getragen hat (Joh 5,24). Es bleibt jedoch ebenso wahr, dass wir alle für unsere Werke als Christen vor Gott und seinem Christus stehen werden. Daher sollen wir angesichts dieses Gerichts bereits heute zur Freude Gottes reden und handeln (vgl. Eph 4,29; Kol 4,6; Ps 19,15). Lasst uns nicht vergessen, dass wir als Personen zwar nicht mehr ins Gericht Gottes kommen werden, dass aber unsere Werke und Worte in das Licht dieses Gerichts Gottes gebracht werden (vgl. Pred 12,14; 1. Kor 3,13–15).

Wir werden durch dieselben Grundsätze gerichtet, durch die wir jetzt leben sollen. Wir werden nicht nach den zehn Geboten vom Sinai beurteilt, sondern nach dem Gesetz der Freiheit. Vergessen wir nicht, dass Gott bei uns höhere Maßstäbe anlegt als bei denen, welche die Freiheit nicht kennen (vgl. Lk 12,47). Dabei ist immer Raum für Wachstum in der Erkenntnis des Willens Gottes. Man ist unter dieser Gnade frei, das zu tun, was man erkennt. Die Kraft, es zu vollbringen, findet sich allein in Christus.

Das Bewusstsein, dass wir durch dieses Gesetz gerichtet werden, sollte ein kraftvolles Motiv für Entschiedenheit in unserem christlichen Leben sein. Dieser Gedanke sollte zugleich die persönliche Heiligkeit kultivieren. Wenn unsere Worte und Taten durch Liebe geleitet werden, suchen wir auch den geistlichen Wohlstand anderer.

Gericht und Barmherzigkeit (V. 13)

Ganz unvermittelt führt Jakobus nun das Thema „Barmherzigkeit“ ein, zunächst aber in verneinender Weise. Wer selbst nicht barmherzig ist, kann auch kein Mitempfinden von Gott und Menschen erwarten.

Barmherzigkeit ist eine Eigenschaft, die Gott selbst verschiedene Male zugesprochen wird (vgl. Lk 1,78; 1. Pet 1,3). Wenn wir Barmherzigkeit üben, werden wir praktischerweise zu Nachahmern Gottes (vgl. Eph 5,1) und im praktischen Sinn zu Söhnen Gottes (vgl. Mt 5,9.45). Christen sollen Barmherzigkeit üben (vgl. 3. Mo 19,15–18; Mt 18,21–35). Der Mensch, der keine Barmherzigkeit übt, wird die Erfahrung machen, dass er selbst dem Gericht verfällt, das er in seiner Härte anderen gegenüber geübt hat (vgl. umgekehrt Mt 5,7).

Dieser Gedanke an das Gericht veranlasst Jakobus hinzuzufügen, wie notwendig es ist, gemäß der Gnade zu wandeln. Wer nicht in barmherziger Weise handeln will, wird erleben, dass auch für ihn das Gericht ohne Barmherzigkeit sein wird. Der Herr Jesus hat gegenüber seinen Jüngern schon den Grundsatz aufgestellt, dass die Sünden dem vergeben werden, der selbst Vergebung übt (vgl. Mt 6,12). Wenn der Geist der Gnade nicht in unseren Herzen wohnt, können wir selbst ebenfalls nicht an der Gnade teilhaben, die Gott dem Menschen gegenüber offenbart hat. In den Einzelheiten des Lebens und im Blick auf das regierende Handeln Gottes in unserem Leben wird derjenige, der Anderen gegenüber keine Barmherzigkeit übt, eine strenge Züchtigung vonseiten Gottes erfahren. Denn Gott freut sich, wenn Er bei uns eine Haltung von Güte und Liebe vorfindet. Wenn wir diese jedoch verweigern, muss Er darauf eine gerechte Antwort geben.

Jakobus beginnt diesen abschließenden Vers des zweiten Teils in Jakobus 2 mit einem „denn“. Somit begründet er jetzt die Bemerkungen über das Gericht, von dem er im vorhergehenden Vers gesprochen hatte. Dabei wechselt Jakobus wieder vom direkten „du“ zum allgemeinen „jemand“. Das zeigt, dass er jetzt wieder einen Grundsatz vorstellt.

Vor dem Ausdruck „Gericht“ steht in unserem Vers ein Artikel. Jakobus sagt mit diesem Artikel einfach: „Um dieses Gericht aus Vers 12 geht es mir jetzt.“ Damit zeigt er, dass Gott zwar Richter ist, aber einer, dem es keineswegs an Liebe und Barmherzigkeit mangelt. Im Gegenteil! Er möchte gerne seine Barmherzigkeit offenbaren. Ein solches Handeln in Barmherzigkeit hatte unser Herr den Barmherzigen verheißen (Mt 5,7; 18,23–35; Lk 16,19–31). Aber jemand, der ohne Barmherzigkeit handelt, ist aus dem barmherzigen Gericht der Hände Gottes weggelaufen und muss Gottes Verurteilung erwarten.

Bewusste Unbarmherzigkeit

Das Gericht „ohne Barmherzigkeit“ spricht von einer bewussten Abwesenheit von Barmherzigkeit im Blick auf andere. Der natürliche, unbekehrte Mensch ist überhaupt nicht in der Lage, auf Dauer Barmherzigkeit zu üben. Bei ihm wird sich aufgrund seines sündigen Herzens alles um sich selbst drehen. Aber für Erlöste ist Barmherzigkeit der Ausdruck christlicher Liebe. Sie ist die äußerliche Offenbarung von Mitleid und Erbarmen zugunsten des Elends anderer (vgl. auch 1. Kor 12,26). Man handelt nicht nach dem, was jemand verdient, sondern nach dem, was er nötig hat. Das wird durch Taten sichtbar (1. Joh 3,17.18).

Wer als Gläubiger ohne Barmherzigkeit handelt, wird sein Verhalten als einen Bumerang am Richterstuhl erleben, wo der Herr dem Betroffenen zeigen wird, was „ohne Barmherzigkeit“ bedeutet. Nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament lesen wir, dass jemand „keine Barmherzigkeit“ übt. Bei allen anderen 26 Vorkommen steht die Barmherzigkeit in einem positiven Zusammenhang. Das zeigt den Ernst dieser Handlungsweise und damit auch der unbarmherzigen Zucht, die Gott denen verheißt, die selbst keine Barmherzigkeit üben.

Wie die Gläubigen den armen Mann in unsauberer Kleidung behandelten (Jak 2,3), war eben genau ein solches Verhalten ohne Barmherzigkeit. Wer so denkt, spricht und tätig wird, bei dem fehlt diese Gesinnung der Barmherzigkeit. Stattdessen sind Ansehen der Person und Parteilichkeit vorhanden. Das ist in Gottes Augen so böse, dass es sogar Auswirkungen am Richterstuhl haben wird.

Diese Christen machten sich selbst zu „Richtern mit bösen Gedanken“. Sie waren sich jedoch nicht bewusst, dass sie sich damit selbst unter das Gericht brachten. Das ist tatsächlich eine ernste Lage. Wir müssen uns fragen, ob wir uns in diesem Bild nicht selbst wiederfinden. Wir sind vor Gott verantwortlich, sowohl im Licht der Barmherzigkeit des Evangeliums als auch in Übereinstimmung mit dem Gesetz der Freiheit, so zu handeln, wie der Herr Jesus es uns vorgelebt hat. Weil wir selbst Empfänger göttlicher Barmherzigkeit in Christus geworden sind, haben wir die Pflicht, selbst Barmherzigkeit zu üben.

Der Gott der Barmherzigkeit ist unser Vorbild

Gott erfreut sich daran, Barmherzigkeit zu üben. Wenn wir den Glauben unseres Herrn Jesus Christus bekennen (V. 1) und keine Barmherzigkeit zeigen, handeln wir nicht nach den Wünschen der neuen Natur, die sich ebenfalls daran erfreut, Barmherzigkeit zu üben. Wenn wir es an Barmherzigkeit fehlen lassen, wird Gott uns dieses Fehlverhalten nicht erst am Richterstuhl zeigen, sondern uns schon heute in seinem regierenden Handeln züchtigen.

Wir sehen also, dass in Vers 13 die grundsätzliche Konsequenz aus der Belehrung des zwölften Verses gezogen wird. Im Blick auf den Armen in der Synagoge fehlte es an Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Der Herr Jesus gibt uns in Lukas 10,25–37 ein wunderbares Vorbild in dem sogenannten barmherzigen Samariter. Die wichtige Frage ist dort nicht allein: Wer ist mein Nächster?, sondern: Wem kann ich Nächster sein?

Wenn wir diese Frage vor unserem Herzen haben, werden wir erbarmungsvoll sein. Denn die Liebe äußert sich in Barmherzigkeit. Wer in dieser Welt gütig ist, wird nicht unter das Gericht kommen. Wo Liebe gegenüber Waisen, Witwen und den nach menschlichen Maßstäben Armen erwiesen wird, zeigt sie sich als Barmherzigkeit. In den Versen 15.16 macht Jakobus das dann an einem praktischen Beispiel deutlicher.

Wenn wir durch die Liebe handeln und in dieser Gesinnung unseren Lebenswandel führen (Gal 5,6.14.16), sind wir fähig, barmherzig nach dem Vorbild unseres himmlischen Vaters zu handeln. Der Herr Jesus hat gesagt: Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer (Mt 9,13; Hos 6,6). Wir wissen, dass Gott sich treu bleibt und auch Gericht ausführen wird, denn Er ist heilig. Aber Er ist auch barmherzig (Joel 2,13) und hat Freude an Güte (Mich 7,18.19).

In diesem Sinn führt Jakobus an dieser Stelle das Gesetz von Saat und Ernte ein (vgl. Gal 6,7). Er warnt erneut vor einem falschen Richten und dem Ansehen der Person (vgl. Mt 7,2) und stellt Gottes Handeln als Ansporn und Maßstab vor (vgl. Lk 6,36–38). Selbst Gott hat nicht gerichtet, bevor er nicht jede Möglichkeit der Barmherzigkeit genutzt hat. Dabei handelt Er natürlich nie auf Kosten der Gerechtigkeit.

Gott liebt Barmherzigkeit

Es ist nicht der Wunsch Gottes, hart mit irgendjemandem umzugehen. Er ist immer bereit zu vergeben und zu segnen, wenn Sünde erkannt und bekannt wird. Als Gegenstände solcher Barmherzigkeit werden wir aufgefordert, auch selbst Barmherzigkeit und Mitleid mit anderen zu üben, wie traurig ihr Zustand auch sein mag. Wenn Er, der ewige Gott und Richter der Lebendigen und Toten, so handelt, so sollten wir, die wir selbst so oft versagen, das umso mehr tun, die wir im Unterschied zu Ihm nicht einmal die Stellung von Richtern haben. Wir sind schlicht Empfänger der unendlich großen Barmherzigkeit Gottes. So lasst uns seine Nachahmer im Gutestun sein.

Vielleicht fragt sich jemand, was mit den vielen unbarmherzigen Christen ist, die wir immer wieder treffen? Oft sind es Menschen, die sich selbst wichtig nehmen und ohne Barmherzigkeit handeln. Aber auch ihnen bleibt noch der Weg, ihre Sünden zu bekennen (vgl. 1. Joh 2,1.2). Dann gibt es Vergebung. Wer aber nach dem Fleisch richtet, wird selbst ein Urteil ohne Barmherzigkeit empfangen. Wer sich des Armen nicht erbarmt, wird selbst rufen, ohne gehört zu werden (vgl. Spr 21,13).

Wir dürfen diese Wahrheit allerdings auch nicht falsch anwenden. Die Botschaft von Vers 13 bedeutet nicht, dass wir uns Barmherzigkeit dadurch verdienen könnten, dass wir barmherzig sind. Es ist unmöglich, sich Barmherzigkeit zu erkaufen, denn dann wäre es keine Barmherzigkeit mehr. Gott handelt sowohl in Gnade als auch in Gerechtigkeit, deshalb sind sie keine Konkurrenten. Wo Gott Buße und Glauben findet, kann Er seine Barmherzigkeit zeigen und Gerechtigkeit schenken. Wo Er aber Rebellion und Unglauben findet, bleibt nur ein Handeln in Gerechtigkeit übrig.

Der Lichtstrahl des Regenbogens

Wenn man die alttestamentliche Zeit überschaut, ist es interessant, dass nicht die Gesetzgebung von einem Regenbogen begleitet wurde, dem Symbol des Lichts der Gnade, sondern die Rettung Noahs auf die neue Erde. Diese Rettung in Verbindung mit der „neuen Erde“, die Noah betrat, ist ein Bild der neuen Natur des Menschen.

Nein, das Gesetz wurde von Donnern und Blitzen begleitet, die Angst und Zittern hervorriefen. Auf diese Autorität des Gesetzes bestehen sowohl Paulus als auch Jakobus, wobei Paulus das Thema bis zu den Wurzeln behandelt. Jakobus bleibt bei der praktischen Seite. Er betont die Offenbarung des Willens Gottes für diejenigen, die den Glauben an den Herrn Jesus Christus haben oder sagen, dass sie ihn hätten.

Das Rühmen der Barmherzigkeit

Barmherzigkeit rühmt sich gegen das Gericht. Sind nicht wir, die wir an den Herrn Jesus glauben, Zeugen davon? War nicht auch unser Herr ein sichtbarer Beweis davon? Diese Barmherzigkeit uns gegenüber hat Gott am Kreuz in einer vollkommenen Weise offenbart. Das etabliert das Prinzip, nach dem auch wir handeln sollen.

Man beachte, dass der letzte Satz von Vers 13 nicht lautet: „Die Barmherzigkeit rühmt sich gegen die Gerechtigkeit“, sondern „gegen das Gericht“. Die göttliche Barmherzigkeit geht Hand in Hand mit der Gerechtigkeit, und so triumphiert sie gegenüber dem Gericht, das uns sonst getroffen und verdammt hätte.

Dass sich die Barmherzigkeit gegen das Gericht rühmt, ist das Gegenteil und die positive Seite des kommenden Gerichts. Da hier keine weitere Bestimmung und Ergänzung genannt wird, ist der Gegensatz umso größer. Das hier für „Rühmen“ benutzte Wort kommt im Neuen Testament sonst nur noch in Jak 3,14 und Römer 11,18 vor. Es zeigt in unserem Vers die Barmherzigkeit, die sich in ihrem Sieg über die Verdammnis erhebt. Barmherzigkeit triumphiert nicht auf Kosten von Gerechtigkeit. Der Triumph der Barmherzigkeit ist gegründet auf Sühnung, die auf Golgatha geschah.

Nicht dadurch, dass wir Barmherzigkeit üben, erlangen wir Barmherzigkeit vor und von Gott. Dadurch würde Rettung eine Sache von menschlichen Verdiensten sein. Das Üben von Barmherzigkeit anderen gegenüber ist der Beweis, dass Gottes Gnade eine Veränderung in einem Menschen bewirkt hat. Durch sein unbarmherziges Verhalten offenbart der Mensch, dass er Gott nie wirklich als barmherzig kennengelernt hat (vgl. Mt 25,24; 18,23–25).

Wer aber Barmherzigkeit übt, triumphiert über das Gericht. Er wird gerettet. Dieses Rühmen der Barmherzigkeit kann man auf zwei weitere Arten verstehen. Wenn wir in falscher Weise von anderen verurteilt worden sind, dürfen wir lernen, in Barmherzigkeit auf deren Verurteilung (Gericht) zu antworten. Das zeugt von einem Herzen, das geprägt ist von Liebe und Gnade. Selbst Gott bewahrt seinen Zorn nicht für immer auf, denn Er freut sich an Barmherzigkeit (Mich 7,18). So hat Er reagiert, nachdem sein Volk sich immer wieder von Ihm abgewendet hat.

Darüber hinaus fürchtet der Christ nicht, „noch einmal“ ins Gericht zu kommen (Joh 5,24). Denn Gottes Barmherzigkeit rühmt sich gegen das Gericht. Einer ist in dem Gericht gewesen für den Gläubigen: Christus. Ein zweites Gericht kann es daher nicht geben. Gott schaut nämlich immer auf das Werk, das der Herr Jesus vollbracht hat. So hat der Gläubige jede Freimütigkeit im Blick auf das, was kommt (1. Joh 4,17). Was für ein wunderbares Ergebnis göttlicher Barmherzigkeit.

Fußnoten

  • 1 Kennen wir diesen Gedanken heute nicht auch aus dem Sport? Da spricht man heute von einer „Königsdisziplin“.
  • 2 Das passt auch zu den Belehrungen von Petrus, der das heilige Priestertum (1. Pet 2,5) vom königlichen Priestertum (1. Pet 2,9) unterscheidet. Das erste ist Gott zugewandt, das zweite bezieht sich auf den Umgang mit den Menschen.
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