Fragen zu biblischen Themen
Ich muss die Werke dessen wirken,... - oder: wir?
Frage: Die Worte des Herrn in Johannes 9, Vers 4: „Ich muss die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist“ werden in vielen Bibelübersetzungen so wiedergegeben: „Wir müssen die Werke dessen wirken …“ Meine Frage ist nun: Was ist richtig, die Einzahl oder die Mehrzahlform? Wenn letztere, was bedeutet dann „wir“? Macht sich der Herr in Seinem Dienst mit den Jüngern eins? Kürzlich hörte ich diesen Gedanken.
Antwort: Die erste Frage hat damit zu tun, welcher griechischen Handschrift die Übersetzer jeweils gefolgt sind. Tatsächlich unterstützen einige nicht unbedeutende alte Handschriften hier die Mehrzahlform „wir müssen wirken“. Einige von ihnen haben sogar im direkt nachfolgenden Nebensatz die Mehrzahlform „der uns gesandt hat“. Dieser Lesart ist allerdings kaum ein Übersetzer gefolgt. Doch die innere Beweisführung, das heißt der textliche Zusammenhang, spricht auch gegen das ›Wir‹ zu Anfang des Satzes.
Damit sind wir bereits bei der zweiten Frage. Nehmen wir einmal an, das ›Wir‹ wäre ursprünglich, so könnte es sich unmöglich auf den Herrn Jesus und die Jünger beziehen. Wir müssten darunter vielmehr das göttliche ›Wir‹ verstehen, wie wir es zum Beispiel in Kapitel 3 finden: „Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben“ (Vers 11). Nur eine Person der Gottheit konnte so reden – der Sohn des Menschen, der im Himmel ist (Vers 13). Vertraut mit den Geheimnissen des Himmels, war Er aus dem Himmel herabgestiegen, um hier der Wahrheit Zeugnis zu geben. Und obwohl Er mit Nikodemus auf der Erde sprach, war Er zum gleichen Zeitpunkt doch auch im Himmel.
Auf einen sehr wichtigen Grundsatz möchte ich hier hinweisen, der vielfach übersehen wird: Solange das Werk der Erlösung nicht vollbracht war, konnte sich der Herr Jesus in der absoluten Heiligkeit und Würde Seiner Person nicht mit Menschen verbinden oder vereinigen, selbst wenn diese schon an Ihn glaubten. Das belegt Sein Ausspruch in Johannes 12 unzweideutig: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“ (Vers 24). Ohne Seinen Opfertod wäre kein Mensch errettet worden, wäre Er allein geblieben. Deshalb konnte Er unmöglich mit „Wir“ Sich und die Jünger meinen.
Doch da nun der Heiland das Erlösungswerk vollbracht und sich zur Rechten Gottes gesetzt hat, hat Er sich als Folge davon mit den Seinen als zu einem Leib verbunden. Er ist das verherrlichte Haupt im Himmel, und die an Ihn Glaubenden sind die Glieder auf der Erde (1. Kor 12,13; Eph 2, 15.16; 4, 4; Kol 1, 18). Gesegnete Wahrheit, wunderbare, unauflösliche Einheit! Dennoch ist und bleibt der Herr immer unendlich größer als wir, was immer Er auch in Seiner Gnade an uns getan und uns geschenkt hat.
Deswegen müssen wir uns vor allen Ausdrücken hüten, die in die Richtung gehen, Ihn mit uns auf eine Stufe zu stellen. Als der Herr Jesus aus den Toten auferstanden war und Maria Magdalene mit einer Botschaft an „seine Brüder“ betraute, wie lautete sie? Sagte Er: „Ich fahre auf zu unserem Vater und zu unserem Gott“? Nein. „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20, 17).
Obwohl durch unendliche Gnade Sein Vater auch unser Vater, Sein Gott auch unser Gott ist, vermeidet der Herr doch den zusammenfassenden Ausdruck „unser (gemeinsamer) Gott und unser (gemeinsamer) Vater“.
Wenn wir noch einmal auf das Wirken des Herrn zurückkommen, so fällt uns auf, dass Er im Johannes-Evangelium stets von Seinem Wirken in Verbindung mit dem Wirken Seines Vaters spricht: „Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe“ (Kap. 4, 34). „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“ (Kap. 5, 17) „Der Sohn kann nichts von sich selbst aus tun, außer was er den Vater tun sieht; denn was irgend er tut, das tut auch in gleicher Weise der Sohn“ (Vers 19). „Die Werke, die der Vater mir gegeben hat, damit ich sie vollbringe, die Werke selbst, die ich tue, zeugen von mir, dass der Vater mich gesandt hat“ (Vers 36).
Wir werden verstehen, dass die Jünger an diesen Werken keinen Anteil haben. Es ist der Sohn, der die Werke des Vaters tut. Daher: „Ich muss die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist.“