Fragen zu biblischen Themen
Rette mich aus dieser Stunde! oder: "?"
Frage: Der Herr Jesus sagt in Johannes 12, Vers 27: „Jetzt ist meine Seele bestürzt, und was soll ich sagen?“ Und dann fährt Er fort: „Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Kann man diese letzten Worte des Herrn nicht auch als Frage auffassen? Würde das nicht auch besser mit den nachfolgenden Worten harmonisieren?
Antwort: Der zugrundeliegende griechische Text hat hier tatsächlich ein Fragezeichen. Doch ist dazu zu bemerken, dass in den alten griechischen Texten, die nur aus Großbuchstaben (Majuskeln) bestehen, weder Wortzwischenräume noch irgendwelche Satzzeichen enthalten sind. Die Satzzeichen sind erst später von den Herausgebern des griechischen Textes nach ihrem Verständnis hinzugefügt worden. Wir können also darauf nicht zuviel auf bauen.
Nun macht im Allgemeinen der Textzusammenhang völlig klar, was der Heilige Geist jeweils ausdrücken wollte. Doch gibt es Fälle, wo verschiedene Übersetzungen möglich sind und durchaus auch Sinn geben. Solch ein Fall liegt hier vor. Die meisten modernen Bibelübersetzer fassen denn auch den zweiten Satz des 27. Verses als Frage auf: „… und was soll ich sagen? (Soll ich beten:) Vater, rette mich aus dieser Stunde?“ Nach dieser Auffassung fährt dann der Herr Jesus fort zu sagen: „Nein, ich bin doch gerade deshalb in diese Stunde gekommen.“ Die Wiedergabe des vorliegenden griechischen Textes auf diese Weise ist völlig mit den Regeln der griechischen Grammatik in Übereinstimmung. Das muss klar gesagt werden.
Dennoch bevorzuge ich die in der Elberfelder Übersetzung nicht revidierter Fassung gebotene Wiedergabe des Satzes als direkte Bitte: „Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Wir wissen, dass wir im Johannes-Evangelium den Herrn nicht in Gethsemane finden. Doch einen ähnlichen Vorgang, wie er in Gethsemane stattfand, finden wir in diesem Evangelium, nämlich gerade an unserer Stelle. So wie der Herr in Gethsemane zuerst betete, dass der Vater, wenn es möglich wäre, die Stunde an Ihm vorübergehen lassen und den Kelch von Ihm wegnehmen möge, dann aber hinzufügte: „Doch nicht was ich will, sondern was du willst“ (Mk 14, 35.36), geradeso betete Er auch in Johannes 12. Er bittet zuerst: „Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Aber dann fügt Er auch hier hinzu: „Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!“
Der Herr Jesus, der selbst der Heilige Gottes war (Joh 6, 69), konnte nicht wünschen, zur Sünde gemacht zu werden und den Lohn der Sünde, den Tod, zu schmecken. Es wäre Gleichgültigkeit, nicht Vollkommenheit gewesen. Und so bittet Er als vollkommener Mensch, der die ganze Schrecklichkeit der Sünde und deren Gericht ohne jede Einschränkung empfand:
„Nimm diesen Kelch von mir weg!“; „Rette mich aus dieser Stunde!“ Aber in vollkommener Hingabe an Seinen Vater ist dessen Wille Sein höchster Beweggrund, und der Sohn sucht die Verherrlichung Seines Vaters: „Doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!“; „Vater, verherrliche deinen Namen!“ Es ist diese Parallelität der Gedanken und Empfindungen des Herrn, die mich annehmen lässt, dass der fragliche Satz nicht als Frage, sondern als Bitte zu verstehen ist.
Doch sind wir uns bei alledem bewusst, dass es heiliger Boden ist, auf dem wir uns bewegen, und dass unser Erkennen bestenfalls „stückweise“ ist.