Fragen zu biblischen Themen
Gerettet beim Kindergebären
„Sie wird aber gerettet werden beim Kindergebären (oder: in Kindesnöten), wenn sie bleiben in Glauben und Liebe und Heiligkeit mit Sittsamkeit“ (1. Tim 2, 15).
Dieser Vers ist auf die seltsamste, ja absurdeste Weise übersetzt worden. Fast ungeheuerlich ist die Aussage, die der Luther- Text (1984) an dieser Stelle bietet: „Sie wird aber selig werden dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringt.“ Meint die Heilige Schrift wirklich, dass Frauen dadurch, dass sie Kinder zur Welt bringen, zur Seligkeit kommen? Was ist mit den anderen Frauen, die keine Kinder haben? Können sie nicht „selig werden“? Ist nicht gerade die Unverheiratete „um die Dinge des Herrn besorgt“ (1. Kor 7, 34)?
Die Schwierigkeiten in der Übersetzung und im Verständnis dieses Verses haben zwei Ursachen. Die erste liegt darin, dass man das Wort ›erretten‹ (gr. ›sózo‹) nur in Verbindung mit der Errettung für den Himmel sieht und daher darunter stets „selig werden“ versteht. Tatsächlich aber wird mit diesem Wort auch die zeitliche Errettung aus Gefahr, Leiden und Krankheit bezeichnet. So weckten die Jünger den schlafenden Herrn mit dem Ruf auf: „Herr, rette uns, wir kommen um!“ (Mt 8, 25). Die Tage der noch zukünftigen Drangsalszeit werden um der Auserwählten willen verkürzt werden, sonst würde „kein Fleisch errettet werden“ (Mk 13, 20). Auf der Überfahrt nach Rom wurde Paulus und die mit ihm waren nach der Strandung des Schiffes „an das Land gerettet“ (Apg 27, 44). Und am Ende seines Lebens hatte der Apostel im Gefängnis trotz aller Widerwärtigkeiten die Zuversicht, dass der Herr ihn „von jedem bösen Werk retten“ würde (2. Tim 4, 18). Der blutflüssigen Frau konnte der Herr Jesus nach deren Heilung sagen: „Dein Glaube hat dich geheilt (gerettet)“ (Mt 9, 22); und die Schrift fügt hinzu, dass sie von jener Stunde an geheilt (wörtlich: gerettet) war. In jedem Fall steht das Wort ›sózo‹ = ›erretten‹.
Nun, der 15. Vers aus 1. Timotheus 2 hat es sicher auch mit einer zeitlichen Errettung zu tun, einer Errettung, die dann nötig würde, wenn die gottesfürchtige Frau „in Kindesnöten“, das heißt in Umständen wäre, die mit dem „Kindergebären“ verbunden sind. „Kindergebären“ – das bedeutet das griechische Wort ›teknogonía‹ sowohl hier als auch im Kapitel 5, 14, den beiden einzigen Vorkommen im Neuen Testament.
Damit kommen wir auf die zweite Ursache für die Schwierigkeiten bei der Deutung unseres Verses zu sprechen. Vor dem Wort ›Kindergebären‹ steht die griechische Präposition ›diá‹, die den Genitiv und den Akkusativ regieren kann. Hier folgt ihr der Genitiv. Wenn das der Fall ist, bedeutet sie im Allgemeinen ›durch – hindurch‹, wobei dann das der Präposition folgende Wort entweder das Mittel, durch das man hindurchgeht, oder das Werkzeug bezeichnet, das benutzt wird. So wird zum Beispiel in „Er musste aber durch (diá) Samaria ziehen“ (Joh 4, 4) das Mittel, die Sphäre, gezeigt, durch die der Herr ging: Samaria. „In dem wir die Erlösung haben durch (diá) sein Blut“ (Eph 1, 7) zeigt das „Werkzeug“, durch das wir die Erlösung erlangt haben: Sein Blut.
Aber es gibt einen dritten Gebrauch des ›diá‹ mit dem Genitiv: die Bezeichnung des Umstands oder des Zustands, der einen Vorgang begleitet. Dann kann das ›diá‹ nicht mit ›durch‹ übersetzt werden, als würde uns das Mittel vorgestellt, sondern angemessener mit ›in‹ oder ›in dem Zustand von‹. Auch hierfür zwei Beispiele. In Römer 8, 25 lesen wir: „So warten wir mit (diá) Ausharren.“ Der begleitende Umstand unseres Wartens ist Ausharren, Geduld: Wir warten in Geduld. Besonders hilfreich ist die Stelle in Römer 4, 11: „Damit er Vater aller wäre, die in (diá) der Vorhaut glauben.“ Der Apostel spricht von den Gläubigen aus den Nationen. Der begleitende Umstand ihres Glaubens war, dass sie „in der Vorhaut“, dass sie „in einem Zustand von Vorhaut“ waren, als sie glaubten.
Ich zweifle nicht, dass dieser Gebrauch des ›diá‹ auch in unserem Vers vorliegt. Die gottesfürchtige Frau würde, wenn sie „in dem Zustand von Kindergebären“ wäre, errettet werden. Deswegen die Übersetzung: „beim Kindergebären.“ Wenn auch der Gerichtsspruch von 1. Mose 3, 16: „Mit Schmerzen sollst du Kinder gebären“ bestehen bleibt, so würde ihr doch Gott in Seiner Barmherzigkeit in diesem Zustand zu Hilfe kommen. Er würde diesen Zustand zum Anlass nehmen, um sie aus dieser Not zu erretten. Wie leicht verständlich ist dann dieser Vers, aber auch wie tröstlich!