Dies ist das ewige Leben
Eine Auslegung des ersten Johannesbriefes

Liebe - Merkmal der Kinder Gottes

Dies ist das ewige Leben

Bruderliebe

IM vorhergehenden Abschnitt (1. Joh 2,28 - 3,10) haben wir als hervorstechenden Charakterzug der Kinder Gottes die Gerechtigkeit gesehen – praktische Gerechtigkeit. In dem jetzt folgenden Abschnitt (Kap. 3,11–23) tritt die Liebe als Merkmal der Kinder Gottes in den Vordergrund. Dass die beiden näher beieinanderstehen, als wir gemeinhin annehmen, ist sicherlich deutlich geworden. Auch hatte der Apostel im letzten Vers des vorhergehenden Abschnitts (Vers 10) bereits den Gedanken der Bruderliebe eingeführt, allerdings in negativer Form: Ihr Nichtvorhandensein verriet, dass kein göttliches Leben da war.

Aber jetzt wird die positive Seite der Liebe zu den Brüdern gezeigt, und zwar in mannigfacher Beziehung, wie wir feststellen werden. Nichtsdestoweniger hält der Heilige Geist es auch für notwendig, uns auf ihr Gegenteil, den Hass der Welt den Brüdern gegenüber, vorzubereiten.

Wenn auch die Bruderliebe den genannten Abschnitt (Verse 11–23) als Leitgedanke durchzieht, so können wir doch entsprechend den erkennbaren, unterschiedlichen Gewichtungen zwei Unterabschnitte bilden und sie folgendermaßen betiteln:

Verse 11–18: Bruderliebe
Verse 19–23: Vertrauen zu Gott

Der letzte Vers des Kapitels gehört bereits einem neuen großen Abschnitt dieses Briefes an. Er erstreckt sich bis Kapitel 5, Vers 5, und hat einen Themenkreis zum Inhalt, den wir mit „Gottes Wohnen in uns und unser Wohnen in Gott“ gut umschreiben können.

Damit haben wir ein gedankliches Gerippe des ganzen verbleibenden Abschnitts von Kapitel 3 vor uns. Es mag uns helfen, eine gewisse Ordnung in die Fülle der vorgestellten Gedanken und Themen zu bringen.

Ein frühes Gebot

„Denn dies ist die Botschaft, die ihr von Anfang an gehört habt, dass wir einander lieben sollen“ (1. Joh 3,11).

Hier begegnen wir erneut dem Ausdruck „von Anfang an“, der für unseren Brief so charakteristisch ist. Wie wir bereits gelernt haben, bedeutet er (von der Ausnahme in Kapitel 3, Vers 8, abgesehen, wo er sich auf den Teufel bezieht): „von der Zeit an, da Christus hier war und das ewige Leben offenbartem In Tagen, in denen Irrlehrer und Verführer verderbliche Lehren unter den Gläubigen einzuführen suchten, Lehren von Dämonen (1. Tim 4,1), sah der Apostel die Notwendigkeit, die Kinder Gottes zu dem zurückzuführen, was sie von Anfang an gelehrt worden waren, sei es durch den Herrn Jesus selbst, als Er noch hier war, oder durch Seine Apostel.

Ja, was könnte auch für uns heute in einer Zeit, in der wahres Christentum immer mehr aufgegeben wird, wichtiger sein, als zu Christus selbst zurückgeführt zu werden? Das Große, was wir anschauen müssen und was „das Leben“ ist, ist Christus^ offenbart in der Welt. Christus allein ist es, der uns den wahren Charakter von allem geben kann: Er ist „die Wahrheit“. Hier gibt es ebenso wenig eine „Entwicklung“ wie in den natürlichen Dingen. Als der Heiland in dieser Welt war, war Er die vollkommene Offenbarung der Natur Gottes und damit auch der Liebe Gottes. Und was wir mit Bewunderung feststellen dürfen: Er hatte eine spezielle Liebe zu Seinen Jüngern.

Diese Offenbarung war in der Tat etwas völlig Neues. Erst seit dieser Zeit auch gab der Herr den Seinen ein „neues Gebot“: dass sie einander lieben sollten (Joh 13,34). Gott stand im Begriff, die Familie Seiner Kinder zu bilden und die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln. Und in dieser Familie sollten und sollen göttliche Zuneigungen regieren. Es geht hier nicht um die Liebe zum Nächsten (Gesetz), nicht um die Liebe zum Menschen (Evangelium), sondern um die Liebe der göttlichen Beziehungen innerhalb der Familie Gottes.

Wenn wir im Verlauf unserer Betrachtungen wiederholt von den Kindern Gottes als der Familie Gottes und soeben von ihrer Bildung gesprochen haben, so führt mich das zu der Bemerkung, dass wir im Neuen Testament zwei Formen der Einheit finden. Die uns durch den Apostel Paulus vorgestellte Form ist die Einheit des Leibes Christi. Von ihr spricht der Apostel Johannes nicht, auch nicht an einer einzigen Stelle seiner Schriften. Ihm war es dagegen gegeben worden, die Einheit der Familie Gottes vor die Herzen zu bringen. Diese Wahrheit ist von inniger Schönheit, sie vermag uns wahrhaft glücklich zu machen.

Denn in gewissem Sinn ist die Familie Gottes trotz allen Versagens auch heute noch „intakt“.

Und noch etwas scheint wichtig, hervorgehoben zu werden. Wenn bisher in diesem Brief von der Liebe gesprochen wurde, so stets in dem Sinn, dass ihr Vorhandensein ein Hinweis dafür ist, dass die Person von neuem geboren ist – Liebe eben als ein Merkmal des neuen Lebens. Das ist auch so in dem Abschnitt, der jetzt vor uns liegt. Wir brauchen nur einmal auf den vierzehnten Vers vorauszuschauen. Aber im elften Vers, bei dem wir gerade stehen, verhält es sich anders. Hier haben wir – zum ersten Mal – die Ermahnung an die Kinder Gottes, einander zu lieben.

Ja, diese Ermahnung ist der Inhalt der Botschaft, die sie von Anfang an gehört hatten. Wenn wir bedenken, dass diese „Botschaft“ an der Seite der gewichtigen Botschaft zu Beginn des Briefes steht: „... dass Gott Licht ist und gar keine Finsternis in ihm ist“ (Kap. 1,5), so mögen wir den Ernst und die Wichtigkeit dieser zweiten Botschaft erkennen. Dieses frühe Gebot des Herrn Jesus, dass wir einander lieben sollen, ist von zentraler Bedeutung für das Wohlergehen der Familie Gottes. Und doch, wie oft haben wir uns dagegen vergangen! Fehlt die Liebe, ist nichts wirklich gut. Ist sie aber wirksam, können selbst ernste Schwierigkeiten gelöst werden. Sicher ist es nicht unangebracht, an dieser Stelle auf das „Hohe Lied der Liebe“ eines anderen Schreibers hinzuweisen: 1. Korinther 13.

Durch Hieronymus, einen der Kirchenväter, haben wir Kenntnis davon, dass der Apostel Johannes gegen Ende seines Lebens, nachdem er zu schwach geworden war, um noch zu predigen, immer wieder auf das Gebot des Herrn hingewiesen und die Gläubigen ermahnt hat: „Kinder, liebt einander!“

Hass – nicht Liebe

Nachdem der Apostel die Kinder Gottes an das frühe Gebot des Herrn, einander zu lieben, erinnert hat, kommt er auf das genaue Gegenteil davon, den Hass, zu sprechen. Er geht dabei in der Geschichte der Menschheit erstaunlich weit, ja, auf den ersten in Sünde geborenen Menschen, zurück, um auf das früheste Beispiel von Hass gegenüber einem Bruder zu verweisen. Allein daraus lernen wir schon eine ernste, beschämende Lektion: Auch der Hass ist eine sehr alte Sache.

„... nicht wie Kain aus dem Bösen war und seinen Bruder ermordete; und weshalb ermordete er ihn? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht“ (1. Joh 3,12).

Mit dem achten Vers unseres Kapitels begann die Schilderung der ganzen Geschichte der Sünde, und hier findet sie nun ihre tragische Fortsetzung. Kain erwies sich durch das, was er tat, als „aus dem Bösen“, dem Teufel, erwies sich als „Kind des Teufels“. Man ist entweder „aus Gott“ oder „aus dem Bösen“. Beiden Gruppen von Menschen sind gewisse Werke eigen. Es gibt keinen Mittelweg zwischen Liebe und Hass, und die Kluft zwischen dem, was aus Gott ist, und dem, was aus dem Bösen ist, ist unüberbrückbar. Durch den Mord an seinem Bruder offenbarte Kain seine geistliche Verbindung, seine sittliche Verwandtschaft mit dem Bösen; denn der Teufel war ein „Menschenmörder von Anfang an“ (Joh 8,44), das heißt, er führte die Sünde und damit den Tod ein. Kain setzte diese Linie fort.

Dabei liegt die Betonung nicht auf der Tatsache, dass Kain seinen Bruder ermordete, sondern auf dem Grund, warum er das tat. Das wird durch die eingeschobene Frage „Und weshalb ermordete er ihn?“ unterstrichen. Auch wird dadurch der Gegensatz zum Charakter seines Bruders Abel stärker hervorgehoben.

Die Antwort „Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht“ sagt mehr aus als nur, dass Kain keinerlei Grund dazu gehabt hat, seinen Bruder gewaltsam umzubringen. Auch waren nicht nur Neid und Eifersucht dazu die Triebfeder. Sicher waren auch sie im Spiel. Aber der Zusatz, dass die Werke Kains böse, die seines Bruders aber gerecht waren, weist doch deutlich auf den Hauptpunkt der Bosheit Kains hin: Er hasste seinen Bruder. Die Unterscheidung zwischen den Werken des einen (Kain) und denen des anderen (Abel) steht in vollem Einklang mit dem geschichtlichen Bericht in 1. Mose 4, Verse 4 und 5, und der Erwähnung in Hebräer 11, Vers 4 (in Judas ii fehlt dieser Hinweis). Die Kinder des Teufels hassen die Kinder Gottes, hassen sie, weil sie sich durch die gerechten Werke der Letzteren in ihren eigenen bösen Werken verurteilt sehen. Das ist der Punkt, um den es geht, und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Vielleicht wundern wir uns darüber, dass zur Illustration des Hasses auf das extreme Beispiel dieses ersten Mordes zurückgegriffen wird. Die Antwort darauf werden wir in Vers 15 finden (vgl. auch Mt 5,21.22). Es ist eben leider nur zu wahr, dass wir oft den Charakter des Bösen viel zu spät erkennen, ihn nicht eher erkennen, als bis sich das Böse in seinem ganzen Ausmaß offenbart hat.

Wir haben schon früher auf die Verbindung zwischen Gerechtigkeit und Liebe hingewiesen. Hier nun finden wir sie bestätigt, wenn auch in ihren negativen Gegenstücken: Ungerechtigkeit und Hass fanden sich in ein und derselben Person.

Dieser Vers beschließt die Erwähnung der Gerechtigkeit in diesem Brief. Es gab einen Übergang von dem Gegenstand der Gerechtigkeit zu dem der Liebe (Vers 10), und nun bildet Liebe den zentralen Gegenstand des Briefes, bis schließlich auch dieser von dem des Lebens abgelöst wird. Wir erinnern uns an die drei Hauptgedanken dieses Briefes: Licht – Liebe – Leben.

Dass der Hass Kains seinem Bruder gegenüber eine Veranschaulichung vom Hass der Welt den Kindern Gottes gegenüber – und nicht nur ein böser Einzelfall – ist, haben wir schon bemerkt. Der nächste Vers in unserem Text bestätigt das.

„Wundert euch nicht, Brüder, wenn die Welt euch hasst“ (Vers 13).

Der Apostel gebraucht jetzt eine Anrede, die in diesem Brief nur hier vorkommt: „Brüder“. Er sagt nicht, wie zuvor: „meine Kinder“, „Geliebte“, „Kinder“. Da er weiterhin von den Familienbeziehungen und der Liebe zu den Brüdern sprechen will, ist die Anrede „Brüder“ (nicht „meine Brüder“) ganz und gar angemessen.

Die Ermahnung, uns nicht zu wundern, wenn die Welt uns hasst, würde uns nicht gegeben werden, wenn wir nicht gerade dazu neigen würden. Der Schreiber geht bei dem „Wenn“ von Realität aus, denn er benutzt das „Wenn“ einer erfüllten Bedingung: „... wenn die Welt euch hasst.“ Die Welt wird gewiss fortfahren, uns zu hassen, da die Welt eben die Welt ist. Diese Menschen sind nicht „aus Gott geboren“, sind nicht „Kinder Gottes“, sondern „Kinder des Teufels“, denn sie sind „aus dem Bösen“. Wir müssen uns also nicht wundern, wenn oder dass die Welt uns hasst. Es ist dies die Natur des Menschen, wie er ist – als unter der Macht Satans stehend.

Schon der Herr Jesus hatte von dem Hass der Welt gesprochen, und es ist bezeichnend, dass Er dabei dieselbe (als erfüllt angesehene) Bedingung gebraucht: »Wenn die Welt euch hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat“ (Joh 15,18). Seine weiteren Worte geben uns die Begründung für den Hass der Welt: „Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt auserwählt habe, darum hasst euch die Welt“ (Vers 19; vgl. auch Joh 17,14).

Es fällt uns auf, dass hier ein etwas anderer Grund für den Hass der Welt genannt wird als im ersten Johannesbrief. Allein die Tatsache, dass wir nicht von der Welt sind, genügt der Welt, uns zu hassen. Wir brauchen gleichsam gar nichts weiter zu tun: Ihr Hass ist uns sicher, weil wir nicht zu ihnen gehören. In unserem Brief dagegen gründet sich der Hass darauf, dass sich die Kinder der Welt durch die gerechten Werke der Kinder Gottes in ihren eigenen bösen Werken verurteilt sehen. Das liegt ganz auf der Linie dessen, was der Herr gesagt hat: „Denn jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht bloßgestellt (gestraft) werden“ (Joh 3,20).

Es bleibt noch die Frage zu klären, was Johannes an dieser Stelle mit „WeIt“ meint. Offenbar liegt hier eine andere Bedeutung von „Welt“ vor als in Kapitel 2, Vers 15; denn ein System kann nicht hassen. Es sind vielmehr Menschen, die von dem Weltsystem beherrscht werden. Und wenn wir Kapitel 2, Vers 19, zurate ziehen, so erkennen wir, dass er im Besonderen jene Verführer im Auge hat, die die einst bekannte Wahrheit aufgegeben hatten und zu Antichristen geworden waren. Wie solche unter der Lüge Satans stehen, so teilen sie auch seinen mörderischen Geist. Sie sind ein Teil jener „Kains-Welt“, die immer mit religiösen Ansprüchen beginnt und mit Mord endet. Die Geschichte der Kirche belegt das mit vielen erschütternden Beispielen.

Leben oder Tod?

Der Apostel sprach soeben von der Welt und ihrem Hass. Jetzt zeigt er den großen Gegensatz zum wahren Christentum auf. Und wieder beginnt er mit dem uns schon bekannten „Wir wissen“:

„Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben“ (1. Joh 3,14a).

Wir, die Brüder, wissen (bewusst), dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind. Die griechische Präposition (Verhältniswort) „ek“ (= aus) bedeutet nicht „von – her“, sondern „aus – heraus“; das heißt, sie bezeichnet nicht einen Ort, von dem man herkommt, sondern einem Zustand, den man verlässt. Wir sind also durch die Gnade Gottes aus dem Zustand des geistlichen Todes in den Zustand des geistlichen, des ewigen Lebens hinübergegangen. Das Verb „hinübergegangen“ steht in der Perfekt-Form und besagt, dass wir aus dem alten Zustand ein für alle Mal befreit worden sind und nun in den neuen Zustand gelangt sind und darin bleiben. „Aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ – das ist eine tiefgründige Beschreibung dessen, was wir bei unserer Bekehrung erlebt haben, als wir als geistlich Tote in geistlicher Hinsicht lebendig gemacht wurden.

Zugleich ist es eine hilfreiche Erklärung dafür, was es heißt, „aus Gott geboren“ zu sein.

In Johannes 5, Vers 24, begegnet uns derselbe Ausdruck „aus dem Tod in das Leben übergegangen“. Dort handelt es sich allerdings um eine Verheißung, mit der sich der Herr Jesus an Sünder wendet, während unsere Stelle Kinder Gottes im Auge hat, die durch den Glauben bereits in die Segnung gelangt sind.

Woher wissen wir nun, dass sich in uns dieser gewaltige Zustandswechsel vollzogen hat? Ganz schlicht deswegen, „weil wir die Brüder lieben“. Das ist in der Tat eine interessante Begründung! Es wird nicht gesagt: „... weil die Schrift uns das zeigt“, oder: „... weil Christus für uns gestorben ist“. Das würde unbedingt auch der Wahrheit entsprechen. Doch als Grund wird eine innere Empfindung in uns genannt, die wir „den Brüdern“ gegenüber haben: Wir lieben sie.

Der Anlass für diese besondere Art der Beweisführung ist, dass der Apostel einen weiteren „Test“ mit Blick auf christliche Bekenner anstellen will. Deswegen macht er deutlich, wie sich, neben anderen Kennzeichen, das neue Leben in dem Gläubigen offenbart: durch die Bruderliebe. Die deutlichste Tätigkeit des geistlichen Lebens in uns ist, dass wir die lieben, die eins mit uns sind, die geistlicherweise unsere Brüder sind.

Und so heißt es: „die Brüder“, nicht: „gewisse, liebe Brüder“, durch die wir viel Nutzen oder Segen hatten. Das gibt es natürlich, und die Heilige Schrift lässt auch dafür Raum. Hatte nicht auch der Herr Jesus zu bestimmten Jüngern besondere Zuneigungen? Aber worum es hier geht, wenn gesagt wird: „... weil wir die Brüder lieben“, ist doch die grundsätzliche Liebe zu den Brüdern, zu den Brüdern als solchen - unabhängig davon, ob sie viel oder wenig von Christus offenbaren.

Ich entsinne mich eines kleinen Mädchens von etwa fünf oder sechs Jahren, das eine bestimmte „Tante G“, die sie von den Zusammenkünften her kannte, alles andere als liebte und sie, wo immer möglich, mied. Diese ältere Schwester im Herrn wurde wohl nicht nur von den Kindern als etwas unnahbar oder kühl angesehen. Sie konnte ihre Liebe nicht so zeigen wie andere. Aber eines Tages bekehrte sich das Mädchen zum Herrn Jesus. Manche bezweifelten, ob man sich schon in so jungen Jahren bekehren kann, oder ob die Bekehrung echt sei. Doch alle Zweifel schmolzen dahin, als man sie bei der nächsten Zusammenkunft gerade zu jener „Tante“ laufen und sie dann an ihrem Hals hängen sah: „Tante G., jetzt habe auch ich den Heiland!“

Ja, weil wir die Brüder lieben, wissen wir, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind. Vielen Kindern Gottes, unter ihnen auch dem Verfasser, ist dieses Indiz (Anzeichen) zum tiefen Trost geworden, und es hat sie in ihrer Glaubensgewissheit gestärkt. Und selbst in solchen Fällen, wo man im Leben des einen oder anderen Menschen nicht viel vom Glauben hat erblicken können, hat die Tatsache, dass irgendwie doch Liebe zu den Brüdern vorhanden war, dennoch Klarheit verschafft und die Herzen nicht wenig getröstet.

Aber jetzt kommt der „Test“:

„Wer den Bruder nicht liebt (wörtlich: Der den Bruder nicht Liebende), bleibt in dem Tod“ (Vers 14b).

Wieder stellt der Apostel den Menschen auf den Boden seines Bekenntnisses, und wer in dieser Hinsicht seinen Bruder grundsätzlich nicht liebt, beweist nur, dass er selbst nie einer war: Er bleibt in dem Tod. Er ist nicht nur geistlich tot (Eph 2,1.5), sondern er bleibt, was immer sein Bekenntnis sein mag, in diesem beklagenswerten Zustand. Das Fehlen der Bruderliebe ist ein Kennzeichen des geistlichen Todes.

Wir hatten vorher gehört: „Wer da sagt, dass er in dem Licht sei, und hasst seinen Bruder, ist in der Finsternis bis jetzt“ (Kap. 2,9). Und hier: „... bleibt in dem Tod.“ Finsternis und Hass und Tod gehen miteinander, so wie auch Licht und Liebe und Leben stets miteinander bestehen. Wo allein eine von den drei göttlichen Tugenden fehlt, sind auch die anderen nicht wahr. Und wo statt Liebe Hass ist, sind auch unweigerlich die unheilvollen Begleiter vorhanden: geistliche Finsternis und geistlicher Tod. Was ist dein Teil, lieber Leser, das Leben oder – der Tod?

Menschenmörder

Was Johannes zur Vertiefung des Gesagten anfügt, mag viele von uns überraschen oder uns zu hart vorkommen. Doch es ist die Wahrheit.

„Jeder, der seinen Bruder hasst (wörtlich: Jeder seinen Bruder Hassende), ist ein Menschenmörder, und ihr wisst, dass kein Menschenmörder ewiges Leben in sich bleibend hat“ (1. Joh 3, is).

Der Apostel geht hier auf den Grund der Dinge. Wie die Liebe die Tätigkeit und der Beweis des ewigen Lebens ist, so ist Hass in geistlicher Hinsicht die Tätigkeit des Todes – es ist Mord. Dieselbe Sache, die die Sünde des Mordes hervorruft, ist es auch, die jemand seinen Bruder hassen lässt. Es mag nicht bis zum Äußersten gekommen sein, aber es ist dieselbe Sache, die Tätigkeit des Todes. Wenn die Welt die Kinder Gottes hasst, so offenbart sie damit ihre Kains-Natur. Ob tatsächlich Blut vergossen wird oder nicht, macht im Prinzip keinen Unterschied (vgl. Mt 5,22). Gott handelt im Christentum mit dem Inneren, nicht nur mit dem Äußeren. So nennt der Herr den einen Ehebrecher, der der Begierde nach einer Frau auch nur mit den Augen nachgibt: In seinem Herzen hat er bereits Ehebruch mit ihr begangen (Mt 5,28). Und wer seinen Bruder hasst, ist ein potenzieller (möglicher) Mörder, ist der Anlage oder dem Geist nach ein Menschenmörder. Das ist nicht nur in einem sittlichen, geistlichen Sinn zu verstehen, sondern auch buchstäblich, physisch. Doch selbst wenn die letzte Tat nicht ausgeführt wird, so ist doch der Beweggrund dafür vorhanden, und der Herr beurteilt Beweggründe.

„Menschenmörder“ ist genau das Wort, das der Herr Jesus im Blick auf den Teufel benutzt (Joh 8,44). Letzten Endes bezieht es sich auf alle Kinder des Teufels (1. Joh 3,10b) und schließt besonders die mit ein, die als Antichristen „von uns ausgegangen“ sind (Kap. 2,19). Johannes hatte vor dem Lügner gewarnt (Kap. 2,22), und jetzt warnt er vor dem Menschenmörder. Auch der Herr hatte den Teufel in einem Atemzug Menschenmörder und Lügner genannt. Welch eine schreckliche Verwandtschaft zwischen dem Teufel und den von ihm Verführten! Dass das doch alle die bedächten, die abschätzig von dem Herrn Jesus sprechen und die Seinen hassen!

„... und ihr wisst, dass kein Menschenmörder (wörtlich: jeder Menschenmörder nicht) ewiges Leben in sich bleibend hat“ (Kap. 3,15b).

Hier wird der, der physisches Leben zerstört (Menschenmörder), in Gegensatz gesetzt zu dem, der geistliches Leben besitzt (Kind Gottes). Von Ersterem wird gesagt, dass er nicht ewiges Leben bleibend in sich hat. Diese Wendung drückt in keiner Weise einen möglichen Verlust des ewigen Lebens aus, als hätte diese Person einmal das ewige Leben besessen, es aber dann durch Sünde verloren. Solch einen Gedanken kennt die Heilige Schrift nicht, und auch hier wird so etwas nicht gesagt. Rein textlich gesehen würde solch eine Deutung das „bleiben“ über alle Gebühr betonen.

Es wird vielmehr eine Parallele zum Ende von Vers 14 gezogen: Der Menschenmörder – derjenige also, der „den Bruder nicht liebt“ – hat kein ewiges Leben als bleibenden Besitz, sondern „bleibt in dem Tod“. Er war noch nie woanders, und dort bleibt er, wenn er sich nicht noch von der Gnade Gottes finden lässt.

Noch ist Gnadenzeit, noch steht die Tür der Gnade Gottes jedem Sünder offen, und selbst ein Menschenmörder kann heute noch Vergebung finden. Sollte er aber in seinen Sünden sterben und unversöhnt in die Ewigkeit gehen, wird sein Teil in dem See sein, der mit Feuer und Schwefel brennt, welches der zweite Tod ist (Off 21,8).

Die Liebe Christi – Maßstab für unsere Liebe

Wir sind im Vorhergehenden ermahnt worden, einander zu lieben. Obwohl die Liebe zu den Brüdern ein wesentliches Merkmal des göttlichen Lebens ist – und somit in jedem wahren Kind Gottes vorhanden ist –, so haben wir es dennoch nötig, zu ihrer Ausübung ermahnt zu werden.

Es ist ja verhältnismäßig leicht, einen geistlich gesinnten Christen zu lieben, jemand zu lieben, der in der Gnade gewachsen ist und in den verschiedenen Situationen die Züge des göttlichen Lebens offenbart. Indes fällt es uns erheblich schwerer, ein Kind Gottes zu lieben, das noch fleischlich ist und mancherlei Grillen und Wunderlichkeiten an sich hat, um nicht von offenbar Bösem zu reden. Wie sehr nahe liegt es uns, so jemand zu verachten oder gering zu schätzen. Doch davor müssen wir auf der Hut sein. Nicht, dass wir die Ungezogenheiten unserer Brüder lieben sollen. Gott liebt sie auch nicht. Aber die Bruderliebe muss „bleiben“ (Heb 13,1). Seien wir versichert, Gott wird es zulassen, dass unsere Liebe zu den Brüdern auf die Probe gestellt wird.

Wir haben im Verlauf der Betrachtung dieses Briefes wiederholt gesehen, dass das ewige Leben in dem Gläubigen nicht autark, nicht selbstständig ist. Es bedarf der Speisung und Leitung durch Gottes Wort, ja durch Christus selbst, der die Quelle des Lebens ist. So verhält es sich auch mit der Liebe. Wenn wir Kraft gewinnen wollen, den Bruder trotz seiner Fehler zu lieben, dann müssen wir von uns und auch von dem Bruder weg- und hin auf Christus schauen. Dort allein sehen wir, was wahre Liebe ist. Und dorthin lenkt der Apostel jetzt unseren Blick.

„Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass er für uns sein Leben hingegeben hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben“ (1. Joh 3,16).

„Hieran“ (oder wörtlich: „In diesem“) bezieht sich auf die nachfolgende Feststellung: „In diesem haben wir die Liebe erkannt, dass...“ Hier steht jetzt nicht das Wort für bewusstes, inneres Wissen sondern ginosko“. Dieses griechische Wort bezeichnet ein Kennenlernen durch persönliche Erfahrung und Beziehung (siehe zu 1. Joh 2,3 unter „Eine textliche Besonderheit „ Kennen – mssen“. Und da es im Perfekt steht, können wir übersetzen: „Wir haben die Kenntnis darüber erlangt und wissen es jetzt.“ Worauf erstreckt sich nun dieses Kennen, dieses Wissen? Auf „die Liebe“. Nicht auf Liebe im Allgemeinen, sondern auf „die Liebe“ im Besonderen. Das mag sich durchaus auf die Liebe Gottes beziehen, obwohl es nicht direkt gesagt wird. Aber dies ist der große und unwiderlegbare Beweis der Liebe (Gottes), dass Er (Christus) für uns Sein Leben hingegeben hat. Hierin fand sie ihren höchsten und kostbarsten Ausdruck. Ehe wir uns mit diesem gesegneten Gegenstand weiter beschäftigen, müssen wir noch kurz auf das hier gebrauchte Wort für „Leben“ eingehen.

Eine textliche Besonderheit > Leben

Der Apostel Johannes benutzt in diesem Abschnitt seines Briefes (Kap. 3,14–17) drei verschiedene griechische Wörter für „Leben“ - ein weiteres Beispiel für die Exaktheit im Ausdruck der Heiligen Schrift. Auch ist es immer lehrreich, zuweilen sogar unabdingbar, die einzelnen Begriffe sorgfältig voneinander zu unterscheiden.

In Vers 14 steht das griechische Wort „zoe“. Das ist das edelste Wort für „Leben“ im Neuen Testament. Es beschreibt Leben im absoluten Sinn, Leben als Grundsatz. Wenn von dem Leben Gottes, vom ewigen, vom geistlichen Leben gesprochen wird, wird stets dieses Wort gebraucht. Das erste Mal kommt es in Matthäus 7, Vers 14, vor: „Schmal ist der Weg, der zum Leben führt.“ Und das letzte Mal begegnet es uns in „Baum des Lebens“ in Offenbarung 22, Vers 19.

Das zweite griechische Wort für „Leben“, „psyche“, haben wir im 16. Vers unseres Kapitels. Es hat einen weiten Bedeutungsumfang, der mit „Seele, (natürliches) Leben, Gemüt“ nur unzureichend beschrieben ist. Dennoch wird klar, dass der Herr Jesus Sein natürliches, menschliches Leben hingegeben hat. Das ist auch der Gedanke, wenn Er von Sich als dem guten Hirten spricht und sagt: „Der gute Hirte lässt Leben für die Schafe“ (Joh 10,11). „Ich lasse mein Leben für die Schafe“ (Vers 15). „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse“ (Vers 17). In allen drei Stellen gebraucht der Herr, von Seinem freiwilligen Opfertod redend, dasselbe Wort: „psyche“. Ja, Er hat, wie Jesaja es ausdrückt, „seine Seele ausgeschüttet in den Tod“ (Kap. 53,12). Davon unberührt aber ist der Umstand, dass Er stets das ewige Leben (“zoé“) ist. Er war es immer, und Er bleibt es immer.

Noch ein drittes Wort für „Leben“ findet sich in unserem Abschnitt, auf den ersten Blick allerdings nicht erkennbar: „Wer aber irgend irdischen Besitz (wörtlich: den Besitz der Welt) hat ...“ (Vers 17). Das griechische Wort „bios“ beschreibt das irdische Leben nach seinen äußerlichen Funktionen und Bezügen und bedeutet „ (organisches) Leben, Lebensunterhalt, Vermögen, Besitz, Lebensweisen Die arme Witwe legte ihren ganzen Lebensunterhalt in den Schatzkasten ein (Mk 12,44). Der unter die Dornen gefallene Same wurde unter anderem durch die Vergnügungen des Lebens erstickt (Lk 8,14). Wir dürfen dafür beten, dass wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen (1. Tim 2,2). Und wenn der Vater im Gleichnis vom werlorenen Sohn“ den beiden Söhnen die Habe teilte (Lk 15,12), so liegt hier dieselbe Bedeutung vor wie in 1. Johannes 3, Vers 16: Besitz, Vermögen. Übrigens kommt im ersten Johannesbrief das griechische „bios“ noch einmal vor, und zwar in Kapitel 2, Vers 16: „Hochmut des Lebens.“ Hier bezeichnet es, ähnlich wie in den Zitaten aus Lukas 8 und 1. Timotheus 2, eine entsprechende Lebensweise.

Dreimal das Wort „Leben“, doch wie groß die Unterschiede!

Damit kommen wir wieder zu unserem Text zurück. Der Ausdruck „sein Leben hingeben (= lassen) „ kommt nur in den Schriften des Johannes vor. Matthäus und Markus sagen: „Sein Leben geben“ (Mt 20,28; Mk 10,45).

Das „Er“ ist betont: „... dass er für uns sein Leben hingegeben hat.“ Er -für uns! Genauso stehen auch im Griechischen diese Wörter beieinander. Ergreifender, beglückender Gedanke: Er – für uns – Sein Leben hingegeben! In der Tat, weiter kann die Liebe nicht gehen!

Wiederholt weist Johannes mit einem betonten „Er“ auf Christus hin. Das ist auch hier so. In Römer 5, Verse 6-10, erklärt ein anderer Schreiber, Paulus, mit nicht minder bewegenden Worten, warum die Liebe Christi so einzigartig, so alles überragend ist.

Wer in aller Welt hat je sein Leben für einen anderen eingesetzt, jene seltenen Fälle ausgenommen, wo der andere ein guter Mensch war! „Denn für den Gütigen könnte vielleicht noch jemand zu sterben wagen. Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (Verse 7.8). Das ist es, was wir waren: kraftlos Gottlose – Sünder – Feinde. Für solche, „für uns“, hat Er Sein Leben hingegeben.

Welch eine jedes Verständnis übersteigende, göttliche Liebe! Wir sollten sie auf unsere Seele einwirken lassen, immer wieder neu! Denn wo könnten wir sonst die göttliche Liebe in ihrer Absolutheit und vollkommenen Schönheit sehen, wenn nicht gerade darin, dass Er Sein Leben freiwillig für uns dargelegt hat? Wenn der Hass Kains seinen erschütternden Ausdruck in der Ermordung seines Bruders fand, so fand die Liebe Christi ihren höchsten Ausdruck darin, dass Er für uns Sein Leben hingegeben hat. Wir haben indes kaum eine Vorstellung davon, was es für den Sohn Gottes bedeutete, in den Staub des Todes gelegt zu werden.

Wie weit die Liebe gehen soll

Der Tod Christi wird an dieser Stelle nicht in seinem sühnenden Aspekt gesehen. In Johannes 15 verhält es sich ebenso: „Größere Liebe hat niemand als diese, dass jemand sein Leben lässt für seine Freunde“ (Vers 13). In beiden Stellen steht die Liebe Christi als Maßstab für unsere Liebe vor uns. Und so fährt der Apostel fort und sagt:

„.... auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben hinzugeben“ (1. Joh 3,16b).

Schon zweimal haben wir in diesem Brief Christus als Standard oder Maßstab vor uns gehabt: in Vers 3 unseres Kapitels als Maßstab für Reinheit und in Vers 7 für Gerechtigkeit. Jetzt also der vollkommene Maßstab für Liebe. Nicht, dass wir jeden einen oder anderen Maßstab in diesem Leben ganz erreichen könnten; aber Gott gibt uns keinen geringeren, gibt uns keinen anderen Maßstab als Christus.

„Wir sind schuldig ...“ bedeutet, dass in Fällen extremer Gefahr für unsere Brüder die Verpflichtung auf uns ruht, für sie unser eigenes Leben einzusetzen. Da unsere Liebe von Gott ist, ist sie dazu grundsätzlich fähig. Sicher halten sich Leser und Schreiber dieser Zeilen für gänzlich unvermögend, einer so weit gehenden Verpflichtung voll zu entsprechen. Doch sollten wir dabei zweierlei bedenken. Erstens, dass hier das ganze Ausmaß, das äußerste Ende dieser Verpflichtung gezeigt wird – für Situationen, die wahrlich nicht jeden Tag vorkommen. Und zweitens sollten wir uns nicht ständig mit dem Gedanken quälen, ob wir wohl in der Lage wären, solch einer Erprobung standzuhalten. Schauen wir lieber zum Herrn Jesus und auf Seine Liebe, um dann mit Seiner Hilfe die Proben zu bestehen, vor die Er unsere Liebe im täglichen Leben und in normalen Umständen stellen mag. Wir wollen es uns angelegen sein lassen, von Gott die Gnade zu erlangen, die wir heute nötig haben. Für das Morgen wird Er sorgen.

Priska und Aquila geben uns ein beredtes Beispiel für das Erreichen dieses „äußersten Endes“: Sie haben für das Leben des Apostels Paulus ihren eigenen Hals preisgegeben (Röm 16,4). Auch Epaphroditus wagte sein Leben, um einem gewissen Mangel seitens der Philipper dem Apostel gegenüber abzuhelfen. So war er um des Werkes willen tatsächlich „dem Tod nahe gekommen“ (Phil 2,30). Wunderbare, göttliche Liebe – Widerspiegelung der Liebe Christi in Menschen von gleichen Gemütsbewegungen wie wir!

Vielleicht wird unsere Liebe zu den Brüdern nie bis zu diesem Ausmaß gefordert werden. Das heißt aber nicht, dass wir nicht in tausend Fällen vorher genug Gelegenheiten zur Ausübung dieser Liebe finden werden. Das Größere schließt das Geringere ein. Und wenn auch der Extremfall nicht eintreten mag, so werden sich doch auf dem Weg dorthin vielerlei Möglichkeiten bieten, unsere Liebe zu den Gläubigen auf verschiedenste Weise unter Beweis zu stellen. Nehmen wir als Beispiel das Haus des Stephanas: Die Angehörigen dieses Hauses haben sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet, was immer der auch in sich schließen mochte (1. Kor 16,15). Ist das nicht ebenfalls eine gewisse Preisgabe des eigenen Lebens? Und sind auch wir bereit, unser Leben in dieser Welt für den Herrn Jesus aufzugeben, es gleichsam für Ihn fahren zu lassen (Mt 16,25)?

Versagen in geringeren Erprobungen

Dass sich die Offenbarung von Bruderliebe nicht nur auf so hehre und edle Taten wie die Hingabe des eigenen Lebens erstreckt, macht der nächste Vers in unserem Text deutlich:

„Wer aber irgend, irdischen Besitz (wörtlich: den Besitz der Welt) hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?“ (1. Joh 3,17).

Der angenommene Fall, den der Apostel mit einem „Aber“ einleitet und der lediglich mit äußeren Bedürfnissen eines Bruders zu tun hat, spiegelt wohl eher einen unteren Wert auf der Skala der Liebe wider. Da ist also ein Bruder, der genügend Mittel zum irdischen Leben sein Eigen nennt. Dieser sieht offenen Auges – das bedeutet das griechische Wort für „sehen“ hier – die notvollen Umstände seines Bruders: dass ihm das Nötigste zum Leben fehlt. Wörtlich heißt es: „Er sieht seinen Bruder Mangel haben“ Hier liegt eine beabsichtigte Parallele vor. Der eine hat Besitz, der andere hat Mangel. Durch diese Ausdrucksweise wird der Gegensatz zwischen beiden stärker hervorgehoben.

Selbst wenn nun der Erstere dem Mangel seines Bruders abhelfen würde, wäre das nicht etwas besonders Rühmenswertes. Deswegen sprach ich von einem unteren Wert auf der Skala der Liebe. Schon unter dem Gesetz hatte Gott angeordnet: „Wenn ein Armer unter dir sein wird, irgendeiner deiner Brüder, in einem deiner Tore in deinem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt, so sollst du dein Herz nicht verhärten und deine Hand vor deinem Bruder, dem Armen, nicht verschließen ... Willig sollst du ihm geben, und dein Herz soll nicht ärgerlich sein, wenn du ihm gibst“ (5. Mo 15,7.10).

Dennoch kann es sein, und dieser Fall wird hier angenommen, dass selbst ein „christlicher“ Bruder sein Herz vor seinem Mangel leidenden Mitbruder verschließt. Das Wort für „Herz“ bedeutet eigentlich „Eingeweide“ und bezeichnet den Sitz der Empfindungen. Es kommt bei Johannes nur hier vor, während Paulus es häufig benutzt, im kurzen Brief an Philemon allein dreimal (Verse 7.12.20). Die „Eingeweide“ des Bruders werden nicht bewegt, vielmehr verschließt er sein Inneres vor der Not des Armen, so dass es sich ihm nicht zuwendet.

Der Apostel sieht das nicht nur als sehr bedauerlich an, sondern er stellt die erforschende Frage an seine Leser: „Wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?“ Er überlässt es ihnen, überlässt es uns, die Antwort zu geben.

Dazu müssen wir jedoch zunächst zu erfassen suchen, was mit der „Liebe Gottes“ gemeint ist. Sicherlich in erster Linie die Liebe Gottes zu uns, denn Er ist die Quelle der Liebe. Aber diese Liebe soll in unserem Leben eine Antwort finden – in unseren Tätigkeiten und Handlungen. An sich ist ja die Liebe als innere Empfindung des Menschen eine unsichtbare Angelegenheit, sie kann nur durch ihre Aktivitäten sichtbar werden. Und so schließt sich denn der Kreis: Wir haben die Liebe Gottes zu uns daran erkannt, dass Christus für uns Sein Leben (psyché) hingegeben hat. Da wir Sein Leben (zoe) besitzen, lieben auch wir und sind aufgefordert, für unsere Brüder das Leben hinzugeben. Die Liebe Christi wird zum Maß für unsere Liebe. Unversehens wird die „Liebe Gottes“ somit zur Liebe zu Gott, und die wiederum gibt sich in der Liebe zu den Brüdern kund (vgl. Kap. 4,20.21).

Das zeigt, wie gut die Übersetzer daran getan haben, den Ausdruck „Liebe Gottes“ wörtlich zu übersetzen und ihm nicht eine bestimmte Deutung beizulegen, die eine andere ausschließt. Tatsächlich umfasst hier die „Liebe Gottes“ beide Blickrichtungen: die Liebe Gottes zu uns und unsere Liebe zu Gott.

Wenn nun aber jemand seinem Bruder statt mit Liebe mit Lieblosigkeit und Unbarmherzigkeit begegnet, dann ist dies das Zeichen dafür, dass die Liebe Gottes nicht in dem Betreffenden bleibt oder wohnt. Weder erfreut er sich selbst ihrer, noch ist er in der Lage, die Liebe an den Bruder weiterzugeben. Hier haben wir also die Antwort auf die Frage: „Wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?“ Und überdies: „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde“ (Jak 4,17).

Wenn wir das, was über die Liebe und ihre Ausdrucksformen gesagt wurde, noch einmal überdenken und es auf uns einwirken lassen, dann werden wir wohl alle mehr oder weniger Anlass finden, uns zu schämen und zu bekennen, dass wir

in dieser Beziehung mannigfach versagt haben. Diese Einsicht wird uns aber auch geneigt machen, die Ermahnungen des nächsten Verses, mit dem der Abschnitt über die „Bruderliebe“ (Verse 11–18) abschließt, als notwendig zu beherzigen.

Lieben in Tat und Wahrheit

„Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten (wörtlich: mit Wort) noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit“ (1. Joh 3,18).

Wieder wendet sich der Apostel mit der Anrede „Kinder“ (gr. teknia) an alle Glieder der göttlichen Familie (siehe auch Kap. 2,1.12.28; 3,7). Es ist, wie wir früher gesehen haben, eine zärtliche, vertraute Anrede, die nur für Kinder Gottes gebraucht wird.

Alle Angeredeten stehen ausnahmslos vor der Gefahr, sich in der Liebe zu ihren Brüdern einer Täuschung hinzugeben. Ihre Liebe mag sich nämlich auf das beschränken, was mit Worten und mit der Zunge ausgedrückt wird, während es an Liebe in Tat und Wahrheit fehlt. Diesen Sachverhalt müssen wir uns etwas näher anschauen.

Im ersten Satzteil von Vers 18 wird gezeigt, wie wir nicht lieben sollen: nicht mit Worten noch mit der Zunge. Der zweite Satzteil, zum ersten einen gewissen Gegensatz aufzeigend („sondern .. .“), gibt an, wie wir lieben sollen: in Tat und Wahrheit. Im Allgemeinen werden die beiden Ausdrücke „mit Wörtern und „mit der Zunge“ als Umschreibungen für ein und dieselbe Sache aufgefasst, als bedeuteten sie dasselbe. Doch die dazu im Gegensatz stehende Wendung „in Tat und Wahrheit“

im zweiten Satzteil macht deutlich, dass wir zwischen „Wort“ und „Zunge“ einen Unterschied machen müssen, wie er auch zwischen „Tat“ und „Wahrheit“ vorhanden ist. Tatsächlich besteht eine Wechselbeziehung zwischen „Wort“ im ersten Satzteil und „Tat“ im zweiten Satzteil, ebenso wie zwischen „Zunge“ im ersten Satzteil und „Wahrheit“ im zweiten. Die verschiedenen Ausdrücke für die Art des Liebens stehen also in folgender Weise einander gegenüber:

lieben „mit Wort“ - lieben „in Tat“,
lieben „mit der Zunge“ - lieben „in Wahrheit.

Nun ist es unbedingt richtig, dass Liebe auch mit Worten ausgedrückt werden kann. Hat nicht schon manches liebe Wort ein verzagtes Herz aufgerichtet und getröstet? Und ist es manchmal nicht geradezu notwendig, unserem Bruder auch durch Worte deutlich zu machen, dass wir ihn lieben? Wenn sich aber unsere Liebe – und das scheint hier gemeint zu sein – wenn die Liebe sich nur in Worten erschöpft, wenn sie sich nie zu einer angemessenen Tat aufrafft, dann geht sie einfach nicht weit genug. Aus Vers 16 haben wir gelernt, dass die Liebe im Fall unseres Heilands in wunderbarer Weise zur Tat wurde. Bei uns sollte es dem Grundsatz nach nicht anders sein.

Beim Lieben mit der Zunge liegt die Sache etwas anders, schlimmer. Hier fehlt es nicht an der Tat, sondern an der Wahrheit. Wenn wir mit der Zunge lieben, äußern wir etwas, was wir so in Wirklichkeit nicht meinen. Wir reden dann von Zuneigungen, die wir in Wahrheit gar nicht empfinden. Fehlt unserer Liebe also die Wahrhaftigkeit, sind wir nichts anderes als Heuchler. Im ersten Fall ist die Liebe immerhin echt, nur geht sie nicht weit genug; aber in diesem Fall ist sie durchweg unecht, geheuchelt. Was für eine Entstellung wahrer Bruderliebe! Wie nötig haben wir die Ermahnung des greisen Apostels Johannes, der wir die eines anderen inspirierten Schreibers an die Seite stellen möchten: „Die Liebe sei ungeheuchelt – In der Bruderliebe seid herzlich zueinander“ (Röm 12,9.10).

Abschließend noch diese Bemerkung: Wir können den 18. Vers unseres Kapitels als Zusammenfassung all dessen auffassen, was bisher über die Bruderliebe gesagt worden ist. Auf der anderen Seite stellt er auch einen gewissen Übergang zu einem neuen gedanklichen Abschnitt dar.

Vertrauen zu Gott

Die Ermahnung zur Bruderliebe wurde uns im ersten Brief des Johannes zuerst in Kapitel 3, Vers 11, gegeben. Dort war sie Inhalt der „Botschaft“: „Wir sollen einander lieben.“ Das ist schlicht das Gebot Gottes für Seine Familie (siehe auch Vers 23). Doch in Vers 18 wurde – unsere Schwäche in dieser Sache voraussehend – noch etwas Wesentliches hinzugefügt: Unsere Liebe muss auch in Tat und Wahrheit sein. Damit aber hat der inspirierte Schreiber einen Charakterzug genannt, den er nun im folgenden Vers zur Überleitung zu weiterführenden Gedanken aufgreift: Wahrheit.

„Aus der Wahrheit“

„Und hieran werden wir erkennen, dass wir aus der Wahrheit sind, und werden vor ihm unser Herz überzeugen“ (Vers 19).

Auch dieser Vers beginnt wieder mit einem „Hieran“ (oder wörtlich: „In diesem“). Im Gegensatz zu Vers 16 weist diese Wendung jetzt nicht vorwärts, sondern sie weist zurück - zurück auf das in Vers 18 zuletzt Gesagte. Wenn wir in Tat und Wahrheit lieben, werden wir erkennen, dass wir „aus der Wahrheit“ sind. Für „erkennen“ steht abermals (wie in Vers 16) „gindsko“, das heißt, wir werden durch Erfahrung erkennen, dass die Wahrheit die Quelle unserer Gedanken, Empfindungen und Beweggründe ist. Wir sind gleichsam von der Wahrheit gezeugt. Nur wenn wir in Tat und Wahrheit die göttliche Liebe offenbaren, haben wir irgendein Recht, uns als „aus der Wahrheit“ zu betrachten. Jemand, der grundsätzlich nicht so liebt, ist kein wahres Kind Gottes.

Es ist bemerkenswert, dass die beiden Verben (Tätigkeitswörter) „erkennen“ und „überzeugen“ in der Zukunftsform stehen: Wir werden erkennen – wir werden überzeugen. Das will sagen: Wenn wir in Liebe, oder anders ausgedrückt, wenn wir mit Gott unseren Weg gehen, dann wird sich eine gewisse Erkenntnis und Überzeugung einstellen. Diese Dinge sind also die Folge eines entsprechenden Wandels, nicht umgekehrt. In dem Maß, wie wir mit Gott wandeln, werden wir auch diese Segnung, von der hier die Rede ist, erfahren und genießen.

Diese Segnung ist zweifach. Von der ersten Seite sprachen wir schon: Wir werden erkennen, dass wir „aus der Wahrheit“ sind. Die Wahrheit ist jetzt nicht nur ein Charakterzug unserer Liebe (denn hier steht vor „Wahrheit“ der Artikel, in Vers 18 nicht), sondern es ist das Wesen Gottes, die Offenbarung Gottes selbst, gleichsam die Wurzel, der wir unsere Existenz als Seine Kinder verdanken. Es ist interessant, dass der Herr Jesus vor Pilatus genau denselben Ausdruck verwendet: „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme“ (Joh 18,37). Aus der Wahrheit zu sein, bedeutet, ein Kind Gottes zu sein. Dennoch – und das ist wichtig für unser praktisches Leben – wir können die gesegnete Beziehung, wir können das Glück, das damit verbunden ist, nur genießen, wenn wir in wahrer Frömmigkeit mit Gott unseren Weg gehen. Das solcherart gestärkte Bewusstsein, der Wahrheit, ja, Gott selbst entsprossen zu sein, ist etwas sehr Köstliches, gerade in Tagen, die durch den Verfall sittlicher Werte und durch das Aufgeben göttlicher Wahrheit gekennzeichnet sind.

Fast wird die Wahrheit hier wie eine Person angesehen, der wir unseren Ursprung verdanken und mit der wir folglich in unauflösbarer Beziehung stehen. Ein Vergleich mit Ausdrücken wie „Ihr seid aus Gott“ und „Wir sind aus Gott“ (Kap. 4,4.6) legt solch einen Gedanken nahe.

Wie wir vor Gott unsere Herzen überzeugen

Die zweite Seite der Segnung wird mit diesen Worten ausgedrückt: „... und werden vor ihm unsere Herzen überzeugen.“ Auch dieses Vorrecht fließt wie das erste aus einem Wandel in Liebe hervor.

Rein sprachlich scheint dem Satz etwas zu fehlen. Wir wollen jemand überzeugen? Gut, doch wovon denn bitte! Das Überzeugen muss einen Gegenstand, muss ein Ziel haben. Hier aber fehlt das ganz. Es heißt einfach nur: „Wir überzeugen unsere Herzen.“ Wovon, wird nicht gesagt. Die Schwierigkeit verschwindet jedoch, wenn man die weiteren Bedeutungen des griechischen Wortes „peitho“ in Betracht zieht: beschwichtigen, besänftigen, begütigen. Der Sinn ist also: Durch einen Wandel in Gottesfurcht beschwichtigen oder versichern wir unser Herz vor Gott. Der Satz ist mithin keineswegs unvollständig. Dass er trotzdem eine gewisse Fortsetzung findet, wird uns noch beschäftigen, wenn wir zu Vers 20 kommen.

Durch ein entsprechendes Verhalten beschwichtigen wir also – nicht etwa Gott, sondern – unser eigenes Herz. Das geschieht zwar „vor Ihm“, in Seiner Gegenwart, aber es geschieht im Blick auf unser Herz. Bei „Herz“ müssen wir hier nicht so sehr an den Sitz der Empfindungen, sondern eher an das Gewissen denken. Diese Bedeutung hat „Herz“ auch an anderen Stellen des Neuen Testaments (z. B. Apg 2,37; 7,51). Nun, wenn wir praktische Gemeinschaft mit Gott haben wollen, dann muss unser Gewissen frei von Bösem sein.

Es ist unmöglich, mit einem belasteten Gewissen in Zuversicht Gott zu nahen. Das aber ist gerade der Gegenstand oder die Segnung, um die es hier geht: Vertrauen zu Gott. Wenn wir unser Herz in Zuversicht vor Gott haben wollen, müssen wir in dieser Weise, müssen wir in Liebe wandeln. Es ist der einzige Weg.

Der Apostel spricht hier überhaupt nicht von Sündenvergebung. Das hat er vorher getan (Kap. 1,9; 2,12). Auch deutet er nicht etwa an, dass man seine Stellung als Christ oder seine Beziehung als Kind Gottes verlieren kann. Nein, es handelt sich hier einzig und allein um unsere praktische Gemeinschaft mit Gott, um die Grundlage unseres Vertrauens zu Gott. Nehmen wir einmal an, jemand weiß, was Gott sagt und wünscht, aber er tut es nicht. Was ist die Folge? Statt das Bewusstsein der Nähe zu Gott wird sich das Bewusstsein der Entfernung von Gott einstellen. Jakobus sagt: „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde“ (Jak 4,17). Das also ist nicht der Weg, das Vertrauen zu Gott zu pflegen und zu vertiefen! Und wie viel Segen geht uns verloren, wenn wir das Bewusstsein der Nähe und Liebe Gottes einbüßen! Wir verlieren damit das Beste, was es gibt.

„Vor Ihm unser Herz überzeugen“ – es bedeutet, mit unbeschwertem Gewissen vor Gott zu sein und sich der glücklichen Gemeinschaft mit Ihm zu erfreuen, indem das Herz sich nichts vorzuwerfen hat und so statt durch Furcht durch Vertrauen zu Ihm geleitet wird.

Wenn unser Herz uns verurteilt

Trotzdem kann es sein, dass unser Herz uns verurteilt. Was dann? Diese Frage greift der nächste Vers in unserem Text auf.

„- dass, wenn unser Herz uns verurteilt, Gott größer ist als unser Herz und alles kennt“ (1. Joh 3,20).

Es ist schwer, mit Sicherheit zu sagen, worauf sich das Bindewort „dass“ zu Anfang des Satzes bezieht. Womit müssen wir es in Verbindung bringen, mit „erkennen“ oder mit „überzeugen“ in Vers 19? Am ehesten wohl mit „überzeugen“ (oder: beschwichtigen), und zwar – wie es scheint – als lose Anknüpfung an den Gedanken des Beschwichtigens. Denn wir werden sehen, dass selbst für den Fall, dass unser Herz uns verurteilt, es eine Beschwichtigung des eigenen Herzens gibt. Wir werden Gott dafür noch danken lernen, wenn wir es nicht jetzt schon tun.

Es kann also in unserem Leben der Fall eintreten – und wie oft haben wir uns dessen schon zu schämen gehabt –, dass wir durch unser Fehlverhalten, zum Beispiel durch ein Versagen in der Liebe, Gott verunehrt haben. Dann liegt etwas auf unserem Gewissen, und unser Herz klagt uns an. Es „erkennt gegen“ uns, so die wörtliche Wiedergabe – wohl eine beabsichtigte Parallele zu „erkennen“ in Vers 19. Dort wurde etwas Gutes erkannt, hier wird gegen das Böse in uns erkannt.

Wenn nun unser eigenes Herz gegen uns zeugt, welche Schlussfolgerung zieht dann der inspirierte Schreiber daraus? Dass „Gott größer ist als unser Herz und alles kennt“ – eine Konsequenz (Folgerung), die uns auf den ersten Blick eher ängstigen mag. Das zwar soll sie sicherlich nicht, aber ernst ist sie allemal. Wir mögen nämlich nur mit dem Bösen beschäftigt sein, das uns gerade unterlaufen ist. Gott aber erkennt alles, erkennt das ganze Umfeld, das der Sünde Vorschub leistete. Er weiß um die tiefer liegenden Wurzeln, und Er kennt unsere ganze Geschichte.

Mit Sicherheit kennt Gott uns besser, als wir selbst uns kennen. Manchmal wissen wir nicht genau, was unsere praktische Gemeinschaft mit Gott störte. Doch wir werden dann immer entdecken, dass wir in unseren Herzen irgendetwas Böses geduldet haben, das Gott aber sieht und nicht hinnehmen kann. Deswegen ist es unbedingt nötig, unseren bösen Zustand im Selbstgericht zu verurteilen, ohne jedoch unsere von Gott geschenkte Stellung preiszugeben. Hier darf auf das verwiesen werden, was wir in Verbindung mit dem ersten Vers von Kapitel 2 gesehen haben.

Die Tatsache, dass Gott alles kennt, wird mit der Bemerkung verknüpft, dass Er größer ist als unser Herz. Ach ja, unser armseliges Herz! Wie gut, wie tröstlich, dass Er größer ist als dieses arme Ding; dass Er um all unsere Schwachheit und Erbärmlichkeit weiß und weit darüber erhaben ist! Was immer unser Herz gegen uns vorzubringen hat – Gott allein kennt den Charakter unserer Sünde absolut. Insofern ist Er größer als unser Herz. Eine weitere Bedeutung mag darin liegen, dass Gott auch in Seiner Liebe und Barmherzigkeit größer ist als unser Herz. Wir sind in den Händen Dessen, der trotz unseres mannigfachen Versagens stets in Liebe mit uns handelt und uns Sein ganzes Erbarmen zuwendet.

Jetzt wird uns vielleicht bewusst, welch eine unermessliche Segnung darin liegt, dass Gott alles über uns kennt. Könnte Er zum Beispiel je vergessen, dass wir – als aus Ihm geboren – Seine Kinder geworden sind? Und was unseren geistlichen Zustand angeht, ist Er nicht auch damit vollkommen vertraut? Ist es Ihm etwa entgangen, dass unsere Liebe, wie schwach ihre Äußerungen auch sein mögen, doch da, doch vorhanden ist? Sie ist ja ein Beweis unserer Gotteskindschaft! Oh, Er sieht das alles, Er weiß das alles! Das verleiht uns angesichts unseres Unvermögens tiefen Trost.

Nehmen wir das Beispiel von Simon Petrus. Dreimal hatte er seinen Herrn und Meister verleugnet, dreimal fragt ihn nun der Auferstandene in Gegenwart der anderen Jünger wegen seiner Liebe zu Ihm. Wahrlich, er hatte sie im entscheidenden Augenblick nicht gezeigt! „Liebst du mich mehr als diese?“ – „Liebst du mich?“ – „Hast du mich lieb?“ – Immer tiefer dringt die göttliche Sonde in das Herz des Mannes. Beim dritten Mal kann er sich nicht mehr halten und wirft sich ganz auf die Allwissenheit seines Erlösers: „Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe“ (Joh 21,17). Mochte viel Schutt in dem Herzen des Jüngers sein – ganz unten, das wusste er, würde der Herr, der alles wusste –, ganz unten am Herzensboden würde Er sie dennoch finden: die Liebe zu Ihm, seinem Heiland.

So erkennen wir, wie dieses ernste Wort, das in diesem Abschnitt vor uns war, unser Herz zu beschwichtigen vermag, sollten auch wir einmal in ähnliche Situationen kommen. Schon der Dichter des 139. Psalms war von dem Bewusstsein der Allwissenheit seines Schöpfers durchdrungen (Verse 1–6). Wenn Gott ihn erforscht und erkannt hatte; wenn Er sein Sitzen und Aufstehen kannte; wenn Er seine Gedanken „von fern“ verstand; wenn Er mit allen seinen Wegen vertraut war; wenn Er sein Wort kannte, ehe es ausgesprochen war – ängstigte, quälte es ihn? Ganz im Gegenteil! Er pries Gott dafür, bewundernd ausrufend: „Kenntnis, zu wunderbar für mich, zu hoch: Ich vermag sie nicht zu erfassen!“

Wenn unser Herz uns nicht verurteilt

Wir haben gesehen, dass wir selbst für den Fall, dass unser Herz uns verurteilt, unser Vertrauen zu Gott nicht verlieren sollen. Eine weit glücklichere Erfahrung allerdings ist es, wenn unser Herz uns nicht verurteilt. Darauf kommt der Apostel als Nächstes zu sprechen und auf die gesegneten Folgen, die sich daraus ergeben.

„Geliebte, wenn unser Herz uns nicht verurteilt, so haben wir Freimütigkeit zu Gott“ (1. Joh 3,21).

Wieder treffen wir auf die Anrede „Geliebte“. Sie begegnet uns in diesem Brief im Ganzen fünfmal (Kap. 2,7; 3,2.21; 4,1–7), und sie ist geeignet, uns mit Glück und Freude zu erfüllen. Bei ihrem ersten Vorkommen hatten wir uns daran erinnert, dass sie in erster Linie die Liebe des Apostels zu seinen Lesern ausdrückt. Aber das schließt mit ein, dass nicht nur sie, sondern auch wir selbst in einem umfassenderen Sinn Geliebte sind – geliebt von Gott und geliebt von den Brüdern.

Das ist also ein weiteres Kennzeichen des christlichen Lebens: das Bewusstsein, dass wir Seine Kinder sind. Gepaart mit dem Wissen, dass Sein Auge auf uns ruht, verursacht es nur höchste Freude. So sehen wir in allem die Wirksamkeit des göttlichen Lebens. Wenn unser Herz somit richtig steht zu Gott, so können wir ohne Furcht und Schrecken zu Ihm emporblicken: Wir haben Freimütigkeit, Kühnheit, zu Gott. Indem wir uns der praktischen Gemeinschaft mit Ihm im Allgemeinen und Seiner Billigung im Besonderen erfreuen, ziehen Frieden und Kraft in unsere Seele ein, und wir lernen, über uns hinaus zu denken. Diese Freimütigkeit (oder: Kühnheit, Zuversicht) Gott gegenüber (das ist mit „zu Gott“ gemeint: von Angesicht zu Angesicht mit Gott) ist das Ergebnis der Versicherung des Herzens, von der im Vers 19 die Rede war.

Es verdient noch bemerkt zu werden, dass der Ausdruck „Freimütigkeit“ im Alten Testament nicht erwähnt wird. Erst im Neuen Testament begegnet er uns, allein im ersten Brief des Johannes viermal (Kap. 2,28; 3,21; 4,17; 5,14). In der Gegenwart Gottes Freimütigkeit zu haben ist ein köstliches christliches Vorrecht, das uns der Herr Jesus durch Sein Erlösungswerk erworben hat und das daher zur Zeit des Alten Testaments in dieser Form nicht bekannt war.

Gebetserhörungen – nicht ohne Bedingungen

Diese Freimütigkeit oder Zuversicht bringt ihrerseits ein bemerkenswertes Ergebnis hervor, das im 22. Vers geschildert wird:

„Und was irgend wir erbitten, empfangen wir von ihm, weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun.“

Erneut treffen wir auf die Wirksamkeit des göttlichen Lebens in uns: Nicht nur, dass wir beten, sondern der praktische Genuss der Gemeinschaft mit Gott schließt falsche Bitten aus. Wir bitten Seinem Willen gemäß. Unser Herz, in der Gemeinschaft mit Gott geübt und gebildet, erfasst die Gedanken Gottes und macht sich damit eins.

Weil die so entstehenden Wünsche das Ergebnis der Offenbarung Gottes sind, finden sie auch auf jeden Fall Erhörung. Wie der Herr gesagt hat: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, um was ihr wollt, und es wird euch geschehen“ (Joh 15,7). Man mag solch eine Zusage durchaus als Blankoscheck auffassen, doch dürfen wir nicht die Bedingungen übersehen: „Wenn ihr in mir bleibt“ – „Wenn meine Worte in euch bleiben.“ Wenn wir nahe bei Ihm bleiben; wenn das, was über Seine Lippen gekommen ist, unsere Bitten formt – kann es dann anders sein, als dass die Bitten erhört werden?

Auch in unserer Stelle werden zwei Begründungen für die zugesagte Erhörung unserer Bitten genannt: „Weil wir seine Gebote halten und das vor ihm Wohlgefällige tun.“ Was das im Einzelnen bedeutet, stellen wir für den Augenblick hinten an, um zunächst einige ergänzende Bemerkungen über die Erhörung von Gebeten zu machen.

Hier spricht der Apostel wieder in absoluter Weise. Er nimmt an, dass unser Herz uns nicht verurteilt; dass wir Freimütigkeit vor Gott haben und in praktischer Gemeinschaft mit Gott stehen. Was ist das Ergebnis? Dass unsere Bitten erhört werden. Diese absolute Ausdrucksweise macht so recht deutlich, wie groß unsere Vorrechte tatsächlich sind. Gott liebt uns so sehr, dass wir nichts bitten können, ohne auch Antwort zu erhalten. „Und dies ist die Zuversicht (oder: Freimütigkeit), die wir zu ihm haben, dass, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten, er uns hört“ (Kap. 5,14).

Das ist die eine Seite, die grundsätzliche. Doch in der Praxis unseres Gebetslebens gibt es mancherlei Einschränkungen, die wir beachten müssen, um vor Enttäuschungen bewahrt zu bleiben. Diese Einschränkungen weichen in keiner Weise die grundsätzlich gegebenen Zusagen auf, aber sie ergänzen sie. Und es ist nicht nur unsere Erfahrung, die uns dies lehrt, sondern auch Gottes Wort selbst gibt Beispiele dafür.

Worauf ich abziele, ist dies: Gott erhört uns, wenn wir etwas nach Seinem Willen bitten. Ja, unbedingt! Aber Er erhört nicht immer sofort, erhört nicht immer auf die Art und Weise, wie wir es dachten. Und Er erhört oft im Verborgenen, so, dass wir die Erhörung nicht wahrnehmen können. Dessen ungeachtet: Er erhört. Die Zusage ist unmittelbar, die Erfüllung indes mag lange Zeit auf sich warten lassen und unseren Glauben auf die Probe stellen. Dennoch dürfen wir getrost das Wann und das Wie der Erhörung in Seiner Hand wissen. Und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird unsere Herzen und unseren Sinn bewahren in Christus Jesus (Phil 4,7).

Was nun die beiden hier genannten Voraussetzungen für die Erhörung anbetrifft, so liegen sie ganz auf der Linie dessen, was wir bisher gesehen haben. „Weil wir seine Gebote halten“ spricht von Gehorsam, und die Wendung „Das vor ihm Wohlgefällige tun“ vertieft noch den Gedanken. In beidem ist uns der Herr Jesus das vollkommene Vorbild. Auf dem Weg des Gehorsams erhörte Gott Ihn allezeit (Joh 11,42), weil Er (Christus) allezeit das Ihm (Gott) Wohlgefällige tat (Joh 8,29). Gerade hierin versagen wir so oft. Aber die Sprache des Apostels in unserem Vers ist wieder abstrakt. Alle Nebeneinflüsse weglassend, geht er davon aus, dass wir Seine Gebote halten und das vor Ihm Wohlgefällige tun. Und so wird uns die Er- hörung unserer Bitten zugesichert.

Was wir unter den Geboten Gottes zu verstehen haben, hat uns schon in Verbindung mit Kapitel 2, Verse 3 ff, beschäftigt. Das Tun dessen, was vor Gott wohlgefällig ist, mag vielleicht mehr mit Seinem Wort in Beziehung gebracht werden. Insofern geht es über die ausdrücklichen Willensäußerungen Gottes (Gebote) hinaus, diese allerdings mit einschließend.

Möge der Herr uns zu Hilfe kommen, die uns in den Versen 19 bis 22 vorgestellten Vorrechte im Glauben zu erfassen und praktisch darin zu leben!

Ein besonderes Gebot Gottes

Die Erwähnung der Gebote Gottes in Vers 22 führt den Apostel dazu, noch einmal auf ein besonderes Gebot Gottes zu sprechen zu kommen.

„Und dies ist sein Gebot, dass wir an den Namen seines Sohnes Jesus Christus glauben und einander lieben, wie er uns ein Gebot gegeben hat“ (Vers 23).

„Sein Gebot“ – es ist sowohl das Gebot Gottes als auch das Gebot Christi. Denn Gott hat uns geboten, dem Namen Seines Sohnes Jesus Christus zu glauben; und Christus hat uns geboten, einander zu lieben (Joh 13,3435; 15,12.17). Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Johannes nicht zwischen Gott und Christus unterscheidet – eben weil Christus Gott ist.

Alles, was Johannes in seinem Evangelium und in seinen Briefen über die Gebote des Herrn gesagt hat, wird in diesem einen Gebot Gottes zusammengefasst. Es ist tatsächlich ein Gebot, es sind nicht zwei Gebote: zu glauben und zu lieben. Diese zwei sind eins. Du kannst nicht glauben, ohne zu lieben, noch kannst du lieben, ohne zu glauben. Glauben und Liebe sind zwei Seiten ein und desselben Gebotes.

Wenn Glauben und Liebe im Neuen Testament zusammen genannt werden, so bezieht sich – als Regel – Glauben stets auf Gott, auf den Herrn Jesus, Liebe aber auf die Kinder Gottes. Zu beiden ist noch mehr zu sagen, aber zunächst seien noch einige Beispiele zu dem Gesagten angeführt. Paulus konnte Gott für die Gläubigen in Kolossä danken, weil er gehört hatte von ihrem „Glauben an Christus Jesus und der Liebe“, die sie „zu allen Heiligen“ hatten (Kol 1,4). Ähnlich schreibt er in seinem Brief an Philemon: „... da ich höre von deiner Liebe und von dem Glauben, den du an den Herrn Jesus und die du zu allen Heiligen hast (Vers 5). Im Galaterbrief erfahren wir, dass der Glaube durch die Liebe wirkt (Kap. 5,6). Welch ein Licht wirft die obige „Regel“ gerade auf diese zuletzt genannte Stelle: Es handelt sich um die Liebe zu den Gläubigen, die durch den Glauben in Tätigkeit gesetzt wird!

Aus der Tatsache, dass in unserem Text (wie auch in Kolosser 1,4) der Glaube an erster Stelle genannt wird und dass die Liebe folgt, können wir den Grundsatz ableiten, dass der Glaube die Grundlage von allem ist, auch von jeder Tätigkeit. So wenig die beiden voneinander zu trennen sind, sondern sich einander bedingen – der Glaube ist dennoch die eigentliche Basis, auf der das christliche Leben ruht. Wie entlarvt das die Falschheit derer, die behaupten, es sei gleichgültig, was man glaubt, wenn man nur das Richtige tue. Man kann nicht das Richtige tun, wenn man nicht das Richtige glaubt.

Um zu unserem Text zurückzukommen, der Gedanke des Glaubens wird hier in diesem Brief zum ersten Mal eingeführt. Er wird uns fortan noch weiter begleiten (vgl. Kap. 4,1.16; 5,1.5.10 [dreimal]. 13), und wir werden verschiedene Aspekte des Glaubens kennen lernen. Der Startpunkt jedoch liegt in unserem Vers.

Vielleicht ist jemand darüber erstaunt, dass Gott Seine Kinder auffordert, an den Namen Seines Sohnes Jesus Christus zu glauben. Glauben sie denn noch nicht daran? Unbedingt! Doch hier ist nicht von dem Zum-Glauben-Kommen zu Anfang des christlichen Weges die Rede. Das haben sie natürlich erlebt, sonst wären sie nicht Seine Kinder (Joh 1,12). Aber es ist der Wille Gottes, des Vaters, dass die, die aus Ihm geboren sind, Seinen Sohn während ihres ganzen Weges als Gegenstand des Glaubens und der Verehrung vor sich haben. „Name“ bedeutet Offenbarung: Alles das, was Gott über Seinen Sohn Jesus Christus in Seinem Wort offenbart und von Ihm bezeugt hat, ist uns gegeben, damit wir es im Glauben erfassen und uns darüber freuen und uns davon nähren. Es ist ein wunderbares „Gebot“, ein leichtes zudem. Denn verlangt das neue Leben in uns nicht gerade danach, mehr von dieser göttlichen Person zu erfahren und zu genießen? Alles, was Johannes über das „Licht“, die „Wahrheit“, das „Wort“ gesagt hat – das alles wird durch den Ausdruck „Sein Name“ umschrieben und zusammengefasst.

Nun heißt es nicht direkt, an den Namen Seines Sohnes zu glauben. Im Grundtext fehlt die Präposition (Verhältniswort) „an“, so dass wir wörtlich übersetzen müssen: „dem Namen ... glauben.“ Diese Konstruktion mit dem Dativ (WEM-Fall) bedeutet in unserem Text und Zusammenhang, dem zu glauben, wofür der „Name seines Sohnes Jesus Christus“ steht und was Gott in Seinem Wort über Seinen Sohn bezeugt hat. Welch ein reiches Betätigungsfeld für den Glauben liegt hier vor uns! Lasst uns mehr damit beschäftigt sein, Geliebte, mit Christus selbst! Was könnte uns auch glücklicher machen als die Befolgung dieser Seite des „Gebotes“?

Der dreifache Titel „Sein Sohn“ – „Jesus“ – „Christus“ stellt ein erneutes Zeugnis Seiner Gottheit dar. Er umfasst die göttlichen Wesenszüge und die Beziehungen Christi innerhalb der Gottheit, aber auch Seine Menschwerdung, Seinen Tod und Seine Auferstehung, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Und wie sehr steht das in Gegensatz zu den vielen Antichristen, die den Vater und den Sohn leugnen (Kap. 2,22)!

Was nun die zweite Seite des „Gebotes“ angeht: Einander zu lieben ist das große Gebot des Christentums im Gegensatz zum Gesetz. Wie schon früher bemerkt, geht es hier nicht um die Liebe zum Nächsten, sondern um die Liebe zu denen, die die Welt nicht kennt, wie sie Ihn nicht erkannt hat (Kap. 3,1). Es ist hier ausschließlich von der gegenseitigen Liebe der Kinder Gottes die Rede. Unseren (feindlichen) Nachbarn können wir nicht in diesem hohen Sinn lieben. Wenn wir für ihn beten, ist es mehr die Liebe des Mitleids ihm gegenüber (Mt 5,44).

So liefern die beiden Tugenden, Glaube und Liebe, den Beweis für ein wahres Werk Gottes an der Seele. Die Ausübung der Liebe bildet einen wesentlichen Bestandteil des Glaubens an den Herrn Jesus. Sie ist der äußere Ausdruck von der inneren Wirklichkeit des Glaubens. Der Nachsatz „... wie er uns ein Gebot gegeben hat“ bekräftigt, dass es sich bei dem, was uns vorgestellt wurde, um ein Gebot handelt, und dass es ein Gebot ist. Es geht nicht nur um die Liebe, wie manche es sehen. Unmöglich kann der Ausdruck „Gebot“ am Ende des Satzes weniger bedeuten als zu dessen Anfang.

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