Siehe, dein König kommt
Eine Auslegung zum Propheten Sacharja

Ich komme und werde in deiner Mitte wohnen

Siehe, dein König kommt

Das Buch Sacharja enthält außergewöhnlich viele und sehr beeindruckende messianische Prophezeiungen. In den ersten beiden Kapiteln sind die Hinweise auf Christus noch relativ versteckt, aber dennoch vorhanden:

  • In Kapitel 1 hatte Sacharja den Herrn als den Mann gesehen, der auf einem Pferd ritt und dann zwischen den Myrten hielt, um eine Botschaft des Trostes zu geben.
  • Am Ende des zweiten Kapitels finden wir Christus als denjenigen, der wieder in der Mitte des Volkes wohnen wird (V. 14).

Doch vorher werden zwei weitere Nachtgesichte vorgestellt:

  • Zunächst (V. 1–4) sieht der Prophet vier Hörner (die die Macht der Weltreiche symbolisieren) und vier Schmiede (die gekommen waren, die Hörner „niederzuwerfen“). Dieses Gesicht sollte zeigen, dass die feindlichen Weltreiche von Gott benutzt wurden, aber einmal beiseite gesetzt werden würden.
  • Dann (V. 5–9) folgt das Gesicht von dem Mann mit der Mess-Schnur, der nach Jerusalem ging, um die Ausmaße der Stadt zu messen – ein Bild davon, dass Gott nach wie vor ein großes Interesse and Jerusalem hatte.

Danach folgt der Aufruf an die Tochter Zion, aus Babel zu fliehen und das Versprechen, dass Gott sich um die Nationen kümmern würde: Er würde „seine Hand über sie schwingen“ (nämlich im Gericht) und dafür sorgen, dass das Verhältnis zwischen den Nationen und seinem Volk vollkommen auf den Kopf gestellt werden sollte: „Sie werden denen zum Raub sein, die ihnen dienten“ (V. 13).

Daran schließt sich eine wichtige Verheißung an, in der Christus vorgestellt wird (V. 14).

Ein gewaltiges Versprechen

„Juble und freue dich, Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und werde in deiner Mitte wohnen, spricht der Herr“ (V. 14).

Das Wohnen Gottes unter seinem Volk war das große Privileg Israels gewesen – aber erst nach dessen Erlösung aus Ägypten (2. Mo 25,8). Allerdings hatten die Israeliten dieses Vorrecht mit der Wegführung nach Babylon und der Zerstörung des Tempels verloren. Was die Juden in den letzten Jahren gebaut hatten, war „wie nichts“ in ihren Augen (Hag 2,3). Für einige Jahre war es nur eine unfertige Bauruine (Esra 4,24; 5,1). Von einer Wolke der Gegenwart Gottes konnte nicht die Rede sein. Aber der junge Prophet spricht eine herrliche Verheißung aus: „Ich komme und werde in deiner Mitte wohnen“ (Sach 2,14).

Diese Vorhersage Sacharjas war erstens eine gewaltige Ermunterung für die Juden, die sich schon damals in der Zeit der Knechtschaft unter den Persern im Glauben auf diese Zukunft freuen durften. Aber sie lässt – jedenfalls teilweise – auch Anwendungen auf uns heute zu.

Die Zeit der Erfüllung

Wann würde das der Fall sein? Die Verse unmittelbar vor und nach diesem Ausspruch geben Aufschluss über die Abfolge und den Zeitpunkt der Ereignisse1:

  • Es geht um Ereignisse „nach der Herrlichkeit“ (V. 12), das heißt nach der Erscheinung des Herrn in Herrlichkeit.
  • Dann wird Christus die Nationen richten („… hat er mich zu den Nationen gesandt …“, V. 12).
  • Und Israel wird befreit und gesammelt werden (diese Nationen „werden denen zum Raub sein, die ihnen dienten“, V. 13).
  • Dann wird der Herr unter ihnen wohnen (V. 14).
  • Und ganze Nationen werden sich Ihm anschließen (V. 15).
  • Und Gott wird Juda als Erbteil besitzen im heiligen Land (V. 16).

Keines dieser Ereignisse ist bisher eingetroffen, weder durch die Rückkehr des Überrestes aus Babel noch durch die Menschwerdung des Herrn, noch in den Jahrhunderten danach. Zwar ist ein gewisses Gericht über Babylon erfolgt, aber dies kann nicht gemeint sein, denn Sacharja spricht ja gerade von einem Ereignis, das in der Zukunft liegt. Außerdem war Babylon durch die Medo-Perser besiegt worden und nicht Israel „zum Raub“ geworden; und kein Ereignis der Weltgeschichte passt auf die Beschreibung des Kommens des Herrn in Herrlichkeit (Mt 24,27.30.31).

Auch davon, dass sich gesamte Nationen dem Herrn anschließen, kann noch nicht die Rede sein. Heute nimmt Gott Einzelne aus den verschiedenen Nationen heraus und fügt sie zur Versammlung hinzu: „ein Volk für seinen Namen“ (Apg 15,14). Micha teilt uns mit, dass einmal ein Zeitpunkt kommen wird, an dem sich tatsächlich ganze Nationen Ihm anschließen werden: „Und viele Nationen werden hingehen und sagen: Kommt und lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs! Und er wird uns belehren aus seinen Wegen, und wir wollen wandeln auf seinen Pfaden. Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen und das Wort des Herrn von Jerusalem“ (Mich 4,2; vgl. Jes 2,2–4 und 60,3.4).

Das Wohnen Gottes unter seinem Volk

Diese Ereignisse zeigen uns, dass Gott einen Plan hat, um das Volk Israel noch zu segnen. Der Auftakt dazu wird die Erscheinung Christi in Herrlichkeit sein. Aber der eigentliche Grund zum Jubeln war weder die Befreiung Israels noch das Gericht über die Feinde, sondern die Aussicht, dass der Herr unter ihnen wohnen würde: „Juble und freue dich, Tochter Zion! Denn siehe, ich komme und werde in deiner Mitte wohnen, spricht der Herr“ (V. 14).

Diese Tatsache, dass der Herr wieder unter seinem Volk wohnen wird, stellt den Wendepunkt in der Geschichte des Volkes dar. Hesekiel gab eine sehr plastische Beschreibung: Er prophezeite, dass die Wolke, das sichtbare Zeichen der Gegenwart Gottes (2. Mo 13,21.22; 33,9.10 und 40,34.35), Jerusalem (wenn auch langsam und zögernd) verlassen würde (Hes 9,3; 10,4.18.19, 11,23). Das hat sich bereits erfüllt. Aber dann, am Ende, würde sie doch wieder nach Jerusalem und in den Tempel zurückkehren (Hes 43,2–5; 44,4). Noch heute leben wir in der Zeit zwischen dem Verschwinden und der Rückkehr der Herrlichkeitswolke. In dieser ganzen Zeit seit der Zerstörung des Tempels durch Nebukadnezar ist diese Wolke nur ein einziges Mal gesehen worden: als der Herr Jesus auf dem heiligen Berg vor Petrus, Johannes und Jakobus umgestaltet wurde (Mt 17,5; 2. Pet 1,17). Diese Tatsache zeigt die Verbindung zwischen Christus und der Wolke der Herrlichkeit Gottes.

Erfüllung morgen – Jubel heute

Zeitlich liegt also eine riesige Zeitspanne von über 2 500 Jahren zwischen dieser Botschaft Sacharjas und ihrer Erfüllung. Aber aus Gottes Sicht ist es so sicher und so unmittelbar, dass sie sofort jubeln durften. Zephanja sagt auch: „Juble, Tochter Zion; jauchze, Israel! Freue dich und frohlocke von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem!“ Aber er denkt dabei an den noch zukünftigen Zeitpunkt, wenn sie von ihren Feinden befreit, ihre Gerichte weggenommen sein werden und der Herr in ihrer Mitte wohnen wird (Zeph 3,14.15). Dort ist es also ein Jubel, der dann erfolgen soll, wenn Gott seine Verheißungen bereits wahr gemacht hat. Hier in Sacharja 2 wird der Jubel lange vor dieser Zeit angestimmt. Die Verheißung war noch längst nicht eingetroffen. Dennoch konnte Sacharja schon damals zum Jubel aufrufen.

Ein gereinigtes Land – und endlich schweigt das Fleisch

Dann würde Gott Juda wieder besitzen, und zwar im heiligen Land, und Jerusalem noch erwählen (V. 16). Sacharja und seine jüdischen Zeitgenossen wussten, dass das Land durch den über Jahrhunderte ausgeübten Götzendienst vollkommen verunreinigt worden war (s. dazu Kapitel 3, besonders Vers 9). Aber der Zeitpunkt würde kommen, in dem das Land wieder heilig – Gott geweiht – sein würde.

Exkurs: Ermutigung für Christen

Die Stoßrichtung von Sacharjas Botschaft war, dass Israel eine herrliche Zukunft hat, dass Gott wieder unter ihnen wohnen wird, und dass sie deshalb schon jetzt jubeln und wieder am Haus Gottes bauen sollten. Aber dieselbe Botschaft enthält zugleich eine Menge an Belehrung und Ansporn für Christen:

  1. Wir dürfen heute schon jubeln über das, was Gott noch tun wird (z.B. in der Entrückung, s. 1. Thes 4,18) – und das umso mehr, als es in unserem Fall kein einziges Ereignis gibt, auf das wir vorher noch warten müssten.
  2. Die Hoffnung beflügelt unseren christlichen Dienst. Je mehr wir vor Augen haben, was Gott noch tun wird, desto mehr werden wir die Zeit, die uns zur Verfügung steht, bewusst für Ihn nutzen.
  3. Das Wohnen Gottes unter seinem Volk ist ein riesiges Vorrecht. Christen dürfen das schon heute genießen. Gott wohnt in der Versammlung (1. Kor 3,16; Eph 2,22), und Christus hat da, wo die Voraussetzungen gegeben sind, seine persönliche Gegenwart verheißen (Mt 18,20). Das geschieht ohne sichtbare Zeichen seiner Gegenwart (ähnlich wie man zur Zeit Sacharjas keine Wolke der Herrlichkeit als Beweis der Gegenwart Gottes hatte). Dennoch ist seine persönliche Gegenwart für den Glauben Realität. Bringt uns das noch zum Jubeln?

Für Gottes Volk war diese Aussicht ein Grund zum Jubel, für die Feinde dagegen ein Grund zu schweigen: „Alles Fleisch schweige vor dem Herrn“ (V. 17). Als Sacharja sprach, hatten die Zeiten der Nationen schon begonnen. Gott griff nicht mehr sichtbar ins Weltgeschehen ein, sondern handelte durch Vorsehung, sozusagen hinter den Kulissen. Bis heute ist es so geblieben. Noch schweigt Gott (Er redet durch seinen Geist zu Menschen, aber Er greift nicht öffentlich ein und lässt im Allgemeinen die Menschen im Bösen gewähren). Der Mensch dagegen redet – und zwar oft in erstaunlicher Kühnheit. Aber der Augenblick wird kommen, wenn alles Fleisch vor Ihm schweigt (vgl. Hab 2,20). Der Schrecken vor den Gerichten des Herrn wird so groß sein, dass die Feinde sich nur verkriechen und verstecken wollen, aber es nicht mehr wagen, ein Wort hervorzubringen: „Verkrieche dich in die Felsen und verbirg dich im Staub vor dem Schrecken des Herrn und vor der Pracht seiner Majestät!“ (Jes 2,10; vgl. V. 19.21).

Wir haben gesehen, dass die Erfüllung dieser Ereignisse noch in weiter Ferne lag. Aber Gott drückt es so aus, als sei Er schon auf dem Weg: „Denn er hat sich aufgemacht aus seiner heiligen Wohnung“.

Kann man sich eine größere Ermunterung vorstellen, als dass der Herr tatsächlich wieder unter seinem Volk wohnen wird – und sich schon auf den Weg gemacht hat? Kein Wunder, dass die Tochter Zions jubeln sollte. Und kein Wunder, dass die Worte Sacharjas dazu beitrugen, dass man den Bau des Hauses Gottes wieder aufnahm (Esra 5,12; 6,14).

Zusammenfassung

Nachdem Sacharja zwei weitere sehr ermutigende Nachtgesichte vorgestellt hat, folgt das Versprechen, dass der Messias einmal unter dem Volk Israel wohnen würde. Das war eine riesige Ermutigung für den schwachen Überrest, der den Tempel wieder aufbauen sollte.

Diese Zusage wird sich „nach der Herrlichkeit“ (V. 12), das heißt nach der Erscheinung des Herrn in Herrlichkeit, erfüllen. Dann wird Er die Nationen richten und Israel wird befreit und gesammelt werden. Dann wird der Herr unter ihnen wohnen, ganze Nationen werden sich Ihm anschließen und Gott wird Juda als Erbteil besitzen im heiligen Land (V. 14–16).

Fußnoten

  • 1 Die Methode der „Vergeistlichung“ hilft uns nicht weiter, sondern zerstört den Sinn: Wenn man annimmt, diese Verheißungen hätten sich schon zur Zeit der Versammlung erfüllt, kann man einfach nicht erklären, was mit den Nationen, mit Juda, mit dem Land und mit Jerusalem gemeint ist. Nimmt man es dagegen einfach so, wie Gott es sagt, ergibt sich ein klares und verständliches Bild. Die Ersatztheologie (auch „Substitutionstheologie“) lehrt fälschlicherweise, die Versammlung nehme nun den Platz Israels ein und die Prophezeiungen des Alten Testaments hätten sich so schon erfüllt. Sie übersieht das Wesen, die Berufung (ekklesia bedeutet „Herausgerufene“), den Charakter und die Zukunft der Versammlung als himmlisch und aus der Welt herausgerufen. Wenn man dieser falschen Auffassung folgt, nimmt man (wenn auch unbewusst) der Versammlung ihre himmlischen Segnungen und Israel seine irdischen Segnungen (und macht somit Gott indirekt zum Lügner, weil Er ja dann sein Versprechen an die Erzväter nicht halten würde).
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