König Saul: der Mann nach dem Fleisch
Auslegung zum 1. Buch Samuel
1. Samuel 1-3: Der Zustand des Volkes
Im Gegensatz zum Buch der Richter und seiner Ergänzung Ruth geht es in den Büchern der Könige weitgehend um das nationale Zentrum und die damit verbundene Nation und ein verantwortliches Oberhaupt. Die vorangegangenen Bücher hatten die Geschichte von Einzelpersonen und von einzelnen Teilen des Volkes wiedergegeben. Obwohl die Siege der Richter dem Volk insgesamt zugutekamen, scheint es nicht den Zusammenhalt oder die Anerkennung eines göttlichen Zentrums zu geben, die im 5. Buch Mose so klar vorgesehen sind. Es ist bezeichnend, dass die erste Anspielung auf Silo im Buch der Richter die Erwähnung eines götzendienerischen Rivalen aus dem Stamm Dan ist (Ri 18,31).
Das Buch Samuel beginnt mit Silo und zeigt uns den Zustand der Dinge dort, so wie die Richter den allgemeinen Zustand des Volkes gezeigt hatten. Wir haben in den früheren Kapiteln den Zustand der Priesterschaft in Eli und seinen Söhnen. Wir hätten hoffen können, dass trotz der nationalen Untreue die Priester, deren Nähe zu Gott ihr besonderes Vorrecht war, ihm treu bleiben würden. Wehe dem Menschen! Mag er äußerlich noch so nahe sein und mit den unbezahlbarsten Vorrechten betraut sein, es ist nichts in ihm, was sein Herz an Gott bindet. Alles muss von Gott allein kommen. Seine Gnade muss uns bewahren, oder wir werden nicht bewahrt.
So etwas wie eine Erbfolge in der Gnade gibt es nicht. Der Sohn des treuesten Vaters muss genauso wiedergeboren werden wie der verkommenste Mensch. Das sagt Gottes Wortes Gottes klar und deutlich: „Ihr müsst von neuem geboren werden“ (Joh 3,7).
Eli, der Hohepriester, war persönlich rechtschaffen und im Herzen treu zu Gott, aber er war schwach. Das ist in jeder Position schlimm genug, aber wenn jemandem das Priestertum einer Nation anvertraut wird, der dafür verantwortlich ist, sie in Beziehung zu Gott zu halten, ist es ein Verbrechen. Elis Söhne waren gottlose Männer ohne Gewissen, und doch an der Stelle der Priester, und einer von ihnen sogar Nachfolger im Hohepriesteramt.
Die Nachlässigkeit von Eli ist so schrecklich, dass nichts anderes als die tragischen Umstände des Todes von ihm und seinen Söhnen das Gericht Gottes angemessen ausdrücken kann. Wir werden uns das später ansehen. Wir wenden uns nun etwas Ermunterndem zu.
Gott hat immer einen Überrest in seinem Volk gehabt, selbst in den dunkelsten Tagen. Es ist sehr erfrischend, in Hanna einen Glauben und ein Verlangen zu sehen, die in schönem Kontrast zu Elis Schwäche und der Bosheit seiner Söhne stehen. Sie hält sich an Gott, und trotz der Ohnmacht der Natur und der Entmutigung durch einen Tadel von Eli hält sie fest. Welch ein Vorwurf an Eli! Er hat keine Kraft, sein böses Haus zu beherrschen, und hat deshalb auch kein Einsichtsvermögen, wenn es darum geht, Zurechtweisung nach außen zu geben.
Der Glaube mag warten und weinen, aber er hat später seine Freuden. In Hannas Lobgesang erhalten wir eine neue Ermutigung zum Beten und Warten. „Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten“ (Ps 126,5). Das bleibt immer wahr, für den einzelnen Heiligen und für das Volk des HERRN zu jeder Zeit, und ganz besonders gilt es für den Überrest in den letzten Tagen, der sich in der Bedrängnis auf den HERRN stützen wird.
Diese Erzählung von Hanna gibt uns einen Einblick in das, was unter dem Volk nicht ganz unüblich gewesen sein mag, während sich die Masse in einem Zustand des Niedergangs befand. Es gab immer, selbst in den dunkelsten Tagen, die „Verborgenen“ des HERRN, das Salz der Erde, das die Masse zumindest eine Zeit lang vor dem völligen Verderben bewahrte. Es ist ein Trost, daran zu denken und sich daran zu erinnern, dass es auch in der heutigen Zeit einen Überrest gibt, dessen Herz dem HERRNzugewandt ist.
Aber dieser Überrest war nicht innerhalb der führenden Schicht anzutreffen. Die Führer waren entweder zu schwach oder korrupt, um dem Volk zu helfen. Es konnte keine Erleichterung durch die gewöhnlichen Kanäle geben, und deshalb musste Gott auf einem neuen Weg eintreten. Samuel, das Kind dieses Glaubens des Überrestes, ist der erste der Propheten.
Der Prophet war Gottes besonderes Mittel der Kommunikation mit dem Volk, wenn die gewöhnlichen Mittel versagt hatten. Das erklärt, warum die Botschaft größtenteils eine traurige war. Gott wird eingreifen; er liebt sein Volk zu sehr, um nicht mit ihm zu handeln, aber dieses Handeln muss seiner Natur und ihrem Zustand entsprechend sein. Die Anwesenheit des Propheten zeigt also den wahren Zustand des Volkes.
Hanna selbst ist praktisch eine Prophetin – alle hier angekündigten Weissagungen in ihrem Lied treffen später ein. Sie jubelt im HERRN über den Sieg über ihre Feinde; sie feiert die Heiligkeit Gottes und seine beständigen Absichten der Barmherzigkeit für sein Volk. Sie tadelt den Stolz und die Arroganz der Spötter und freut sich über den Sturz der Mächtigen. Die Reichen sind erniedrigt und die Bedürftigen erhöht worden. Die Unfruchtbare ist zur freudigen Mutter von Kindern geworden. Der HERR erniedrigt und erhöht – Er ist souverän. Seine Widersacher werden gestürzt, und sein König und sein Christus werden erhöht werden.
Der Glaube schaut immer bis zum Ende weiter. Wenn es eine Zeit lang eine teilweise Besserung zu geben scheint, so ruht der Glaube doch nicht, bis Gott ruhen kann. So waren die Propheten in einem gewissen Sinne keine Reformer. Sie akzeptierten und freuten sich über eine wahre Hinwendung zu Gott, aber sie ließen sich nicht vom Schein täuschen. Alle Reformen waren nur teilweise und vorübergehend, um von noch größerer Finsternis abgelöst zu werden. Alle Dinge warten auf die Ankunft des Königs. Er ist das Verlangen aller Nationen, und alle, die erwacht sind, um den wahren Zustand der Welt und des erklärten Volkes Gottes zu sehen, wissen, dass es keine andere Hoffnung gibt als die auf das Kommen des HERRN.
So gibt es auch in der Geschichte des Einzelnen, ob zur Errettung oder zur Befreiung, keine Erwartung des natürlichen Menschen. Das Auge des Glaubens ist von aller menschlichen Vortrefflichkeit auf den Christus Gottes gerichtet. Welch ein Seelenfrieden, welch ein Hanna-ähnlicher Jubel des Geistes ist da, wenn Er der Gegenstand ist! Christus allein der Erlöser; Christus allein der Eine, in dem Erlösung von der Macht der Sünde ist.
Aber dieses vollständige Ablegen des Fleisches in all seinen Formen durch Hanna zeigt gleichzeitig ihre eigene Befreiung und die Unfreiheit der Masse der Nation, von der sie umgeben war. Der Zustand des Volkes war genau das Gegenteil von dem ihren, und ihr Vertrauen und ihre Erwartung lagen auf dem Menschen. Auf diese negative Weise können wir also den wahren Zustand des Volkes kennenlernen – einen Zustand der Bequemlichkeit und Selbstgenügsamkeit bei vielen, der mehr oder weniger offenen Feindschaft gegen Gott und ein schwaches, hilfloses Gefühl der Bedürftigkeit bei denjenigen, die teilweise für den wahren Zustand der Dinge erweckt wurden.
Der Zustand war ähnlich, unter veränderten Umständen, in den Tagen kurz vor der Ankunft unseres HERRN. Auch damals gab es einen schwachen Überrest, der sich auf Gott stützte, und eine selbstzufriedene, heuchlerische Klasse von Herrschern, die das Volk nach ihrem Gutdünken führte. Auch damals wartete der Glaube auf göttlichen Trost und wurde mit dem Anblick des wundersamen Kindes belohnt, von dessen Ankunft Hannas Lied sprach. Sie hätte wohl ihr Lob mit dem der Maria vermischen können. Aber wie wenige spürten die Not, die in jenen wenigen gestillt worden war, die sich ganz von sich selbst abgewandt hatten und sich Gott und seinem Gnadenangebot zuwandten.
Um ein wenig zurückzukehren, müssen wir den Zustand des Volkes als Beispiel für den der Priester betrachten, denn wie die Heilige Schrift zeigt, entspricht das eine dem anderen. „Die Propheten weissagen falsch, und die Priester herrschen unter ihrer Leitung, und mein Volk liebt es so“ (Jer 5,31). Hier sehen wir die falschen Propheten, die vorgeben, Gottes Gedanken zu offenbaren, und die Priester, die dadurch die Herrschaft ausüben. Aber ein solcher Zustand wäre unmöglich, wenn das Volk nicht willens wäre. Das Volk, wenn es nur äußerlich mit Gott verbunden ist, ist froh, eine fleischliche Priesterschaft zu haben. So müssen wir uns in der Geschichte der bekennenden Kirche mit der schrecklichen Ungerechtigkeit der Priester daran erinnern, dass sie nur das Spiegelbild des Zustandes eines fleischlichen Volkes war; nur dem Namen nach das Volk Gottes. Zweifellos würde ein gottesfürchtiger Priester viel dazu beitragen, das überbordende Übel des Volkes einzudämmen, und ein gottloser Priester würde seinen Niedergang beschleunigen. Daraus ergibt sich die feierliche Verantwortung derer, die an einem solchen Ort stehen. Aber der wichtige Punkt, an den man sich erinnern muss, ist, dass ein Volk, das sich von Gott entfernt hat, eine gottlose Priesterschaft ermöglicht, da letztere die Entfremdung des Volkes noch verstärkt.
Aber was für ein Bild von rücksichtsloser Lästerung und gröbster Bosheit haben wir in diesen Priestern. Einer trägt den ehrenvollen Namen seines treuen Vorgängers und Verwandten Pinehas, „der eherne Mund“. Der Name deutet auf das hin, was er war, ein unnachgiebiger Zeuge für Gott in einer Zeit des Abfalls und der Verderbnis, der durch seine Treue Gerechtigkeit bewirkte, die Plage aufhielt und „ein ewiges Priestertum“ erlangte, als Vorbild jenes Priesters, der eines Tages alles Böse niederschlagen und eine beständige Beziehung zwischen Gott und seinem Volk aufrechterhalten wird (4. Mo 25,7–13). Bei diesem aber bleibt nichts als der Name.
Ist es nicht auch bezeichnend, dass Eli kein Nachkomme von Pinehas war, sondern von Ithamar, dem anderen Sohn Aarons? Zu dieser Zeit war also aus irgendeinem Grund die richtige Abstammungslinie nicht eingehalten worden, was an sich schon auf den ungeordneten Zustand hinweisen kann. Denn Pinehas war ein bleibendes Priestertum verheißen worden, „einen Mund von Erz“ hatte dieser jüngere Pinehas zwar, aber nicht im Auftrag Gottes, als treuer Zeuge für Ihn. Vielmehr verhärtete er sich gegen Gott und würde zu denen gehören, die sagen: „Wir werden überlegen sein mit unserer Zunge, unsere Lippen sind mit uns; wer ist unser HERR?“ (Ps 12,5).
Auch Hophni, obwohl es keinen historischen Zusammenhang mit seinem Namen gibt, scheint nur in einer bösen Weise darauf zu antworten. „Meine Hände“, scheint die Bedeutung zu sein, die manche für „Kämpfer“ gehalten haben. Aber die Wurzel, mit der es verbunden ist, wird für die Beschreibung der Hände als fähig zum Halten und nicht zum Schlagen verwendet. Sehr auffällig wird es auf den Priester angewandt, der am Versöhnungstag das Allerheiligste betritt, „mit seinen Händen voll süßem Weihrauch“ (3. Mo 16,12).
Es wäre also ein guter Priestername und ein passender Begleiter für Pinehas. „Die Hände voll“ von Weihrauch und ein unnachgiebiges Zeugnis. Ach, die Hände des Hophni waren voll, aber nicht voll des Lobes. Sie waren gefüllt mit unrechtmäßigem Gewinn und dem Fett der Opfergaben des HERRN, das er sich für seinen eigenen Gebrauch aneignete. Die Sünde dieser Männer war zweifach, die eine resultierte aus der anderen. Nach dem Urteil der Welt wären sie nicht gleich abscheulich erschienen. Sie waren der Gotteslästerung und der groben Unmoral schuldig, wobei die letztere eine passende Folge der ersteren war.
Und ist dies nicht immer der Fall? Wo Gott verdrängt und sein Dienst verachtet wird, ist da nicht auch das Verhältnis zwischen Mensch und Mensch verdorben? Die unaussprechliche Verderbnis, die im ersten Teil des Römerbriefes beschrieben wird, ist die direkte Folge der Abkehr des Menschen von Gott. So auch hier. Die Priester werden ihren eigenen Anteil am Opfer haben – nicht den, den das Gesetz Gottes in seiner Barmherzigkeit für sie vorgesehen hat, sondern den besten und den, der ihm allein gehört. Wenn die Anbeter mit einem Rest von zartem Gewissen dafür plädierten, dass Gott seinen Teil zuerst haben sollte, war die grobe Antwort und angedrohte Gewalt alles, was sie an Befriedigung bekommen konnten. So wurde das Opfer des HERRN verachtet, und die Sünde der Priester war „sehr groß vor dem HERRN.“
Wenn es eine Form der Sünde gibt, die verabscheuungswürdiger ist als eine andere und die eine furchtbarere Strafe nach sich zieht, dann ist es die, die sich in der Gegenwart von heiligen Dingen vergeht. Deshalb ist die religiöse Verderbnis die schlimmste. Das Gewissen wird versengt, und Gottes heiliger Name wird in die unheiligsten Verbindungen hineingezogen. Wird Er das zulassen? Oh, Er wird es in einer formellen, christuslosen Gemeinde genauso wenig zulassen, wie Er es in einem formellen Israel zulassen würde. Die Menschen verachteten die heiligen Dinge, weil sie von den Priestern missbraucht wurden. Und ist es nicht wahr, nicht nur in Rom in der Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch in der bekennenden Kirche heute, dass die Welt göttliche Dinge verachtet, weil diejenigen, die „heilige Priester“ sein sollten, Gott nicht den Hauptplatz in ihrem erklärten Dienst für ihn geben?
Wenn die Menschen aufhören, sich vor Gott zu fürchten, wenn sie in seinen Dienern nur noch eine selbstsüchtige Missachtung des Willens Gottes sehen, haben wir den Abfall. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass dies heute weitgehend der Zustand in der Christenheit ist. Das Opfer des HERRNwird verachtet.
Eli hört von der Schlechtigkeit seiner Söhne und zieht sie zur Rechenschaft. Seine Worte sind stark und gut. Aber was nützen gute und starke Worte, wenn der starke Arm des Gerichts fallen sollte? Das Gesetz sah als Strafe für einen solchen Frevel den Tod vor. Warum hat Eli nicht gezeigt, dass er wirklich für die Ehre des HERRN eifert? Worte, bloße Worte, egal wie stark, sind schlimmer als schuldige Komplizenschaft. Schlimmer, denn der Mann, der sie ausspricht, weiß um das Böse und macht weiter damit.
Darin liegt eine ernste Lehre. Es reicht nicht aus, das Unrecht einer Sache zu sehen oder gar dagegen Zeugnis abzulegen. Handeln ist notwendig. Das ist der Grund, warum so viele – wie Lot – sich ärgern und gegen das Böse reden und keine Linderung oder Hilfe finden. Es muss gehandelt werden, entweder durch wahre Züchtigung des Übeltäters oder, wenn dies unmöglich ist, durch Trennung von einem Zustand, der dies unmöglich macht. Andernfalls werden die Menschen in das Urteil genau der Sache verwickelt, gegen die sie sich so lautstark geäußert haben.
Das mag hart erscheinen, aber es steht im Einklang mit dem Zeugnis des Mannes Gottes, der zu Eli gesandt wird. Er bringt Eli mit seinen Söhnen in Verbindung: „Warum tretet ihr mit Füßen mein Schlachtopfer und mein Speisopfer, die ich in der Wohnung geboten habe? Und du ehrst deine Söhne mehr als mich, dass ihr euch mästet von den Erstlingen aller Opfergaben Israels, meines Volkes“ (1. Sam 2,29). Kein einziges Wort des Lobes für seine eigene Treue oder persönliche Frömmigkeit. „Diejenigen, die mich ehren, werde ich ehren“ (1. Sam 2,30). Und so gehen Eli und sein Haus in allgemeiner Unehre unter, gebrandmarkt mit der allgemeinen Schande, den HERN verachtet zu haben. Ich wünschte, die Lektion daraus könnte vollständig gelernt werden. „Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ (2. Tim 2,19).
Es ist erfrischend und doch sehr traurig, an das Kind Samuel zu denken, das in einer solchen Atmosphäre aufwuchs. Erfrischend, denn der HERR bewahrte ihn inmitten des schlimmen Getümmels, das ringsumher tobte; aber traurig, dass ein so zarter Mensch diesen schrecklichen Zustand nicht nur miterleben, sondern auch noch bezeugen musste:
{1. Sam 2,18.26; 3,1}
Die Erwähnung des Ephods, des priesterlichen Gewandes, lässt vermuten, dass auf ein kleines Kind das einzige makellose Gewand des Priestertums gefallen war. Er repräsentiert, wie wir sagen könnten, vorläufig das Haus Aarons, das in den Händen von Eli und seinen Söhnen in Trümmer gefallen war. Das Kind wuchs heran und diente dem HERRN vor Eli.
Auch wenn er nur ein Kind war, wird niemand, der wirklich vor Gott steht, lange ohne eine Botschaft von Gott sein. So erhält Samuel seine erste Offenbarung von dem, den er bis dahin nur schemenhaft kannte. Armer Eli! Das Augenlicht ist fast verschwunden, ebenso wie der Glaube, und als er sich zum Schlummer niederlegt, deutet er passend den geistlichen Zustand an, in dem er sich befand. Wie hoffnungslos, dem menschlichen Anschein nach, war der Zustand. Wie unwahrscheinlich, dass Gott eingreifen würde. Und doch spricht Er gerade dann, und zwar zu einem kleinen Kind. Dreimal muss er rufen, bevor es Eli dämmert, dass der HERR zu dem Kind spricht. Er hatte ihm gesagt, er solle „hingehen und sich wieder hinlegen“, so wie viele unvorsichtige Menschen versuchen würden, diejenigen zu beruhigen, zu denen Gott spricht. Aber endlich dämmert es dem alten Mann, dass es Gott ist, der da ist, und er wagt es nicht – so schwach er auch bei seinen Söhnen sein mag –, die Stimme zum Schweigen zu bringen, so langsam er auch war, ihr zu gehorchen.
Wie rührend und interessant ist die folgende Szene, die jedem christlichen Kind vertraut ist. Was für ein Moment im Leben dieses Kindes – Gott, der lebendige Gott, lässt sich herab, es zu rufen und mit ihm zu sprechen. Welch eine Ehre; wie schön und doch wie feierlich. Das Kind kann wohl sagen: „Rede, HERR, denn dein Knecht hört“ (1. Sam 3,9.10)).
Aber was für eine Botschaft für Kinderohren. Warum sollte diese schreckliche Geschichte von der Sünde und ihrem Gericht die ersten Worte sein, die der HERR zu dem Kleinen sprechen sollte? Betont es nicht für uns die Tatsache, dass das Gericht über die Sünde für die Jungen genauso notwendig ist wie für die Alten, und dass Gottes Bote in einer solchen Welt sein ganzes Wort hören muss? Wie viele plädieren, dass sie für ein solches Zeugnis nicht geeignet sind. Sie lieben es, die süßen und kostbaren Dinge des Evangeliums zu hören, aber wenn es zu den feierlichen Erklärungen über den Zustand der Kirche und den Weg des Glaubens kommt, wie viele plädieren, dass sie für solche Dinge nicht bereit sind. Ein Kind kann die Botschaft Gottes hören und verkünden.
Wir können an den kleinen Jungen denken, der mit offenen Augen bis zum Morgen liegt, mit der großen Ehrfurcht vor Gottes Nähe auf ihm, und der natürlich vor der Verantwortung zurückschreckt, Eli diese Botschaft zu verkünden. Er öffnet leise die Türen des Hauses des HERRN – eine bedeutsame Handlung –, weil er sich fürchtet, von dem zu sprechen, was er gehört hatte. Aber Eli ruft ihn, und, treu zu sich selbst, wenn auch nicht zu seinen Söhnen, hört und beugt sich dem schrecklichen Urteil Gottes, das von den Lippen eines Kindes ausgesprochen wird.
Wenn Gott einmal ein Werkzeug in die Hand genommen hat, das sowohl auf das Herz als auch auf den Verstand einwirkt, wird er zweifellos auch weiterhin von ihm Gebrauch machen. So empfing Samuel nicht nur die erste Botschaft des Gerichts über Elis Haus, sondern wurde auch zum Kanal für die wieder aufgenommene Beziehung Gottes zum Volk. „Und der HERR fuhr fort, in Silo zu erscheinen; denn der HERR offenbarte sich dem Samuel in Silo durch das Wort des HERRN“ (1. Sam 3,21). Was für eine Ehre – von Gott gebraucht zu werden, nachdem er in den Ruin getrieben worden war. Und ist es nicht wahr, dass Gott an diesem Tag an allem angeberischen Funktionalismus vorbeigeht, der sich von ihm entfernt hat, um den Unmündigen zu offenbaren, was den Weisen und Klugen verborgen ist? Der kindliche, gehorsame Geist, der sagen kann: „Rede, HERR, denn dein Knecht hört“, wird eine Botschaft haben.
Auch das demütige Werkzeug wird nicht unerkannt bleiben, auch wenn die Leichtsinnigen und Gedankenlosen spötteln mögen. Der HERR ließ keines seiner Worte zu Boden fallen; was er sagte, geschah, und seine Botschaft forderte eine Achtung, die nicht zurückgehalten werden konnte. Die Worte, die zu Jeremia gesprochen wurden, sind auch für ihn angemessen:
„Da sprach der HERR zu mir: Sage nicht: Ich bin jung; denn zu allen, wohin ich dich senden werde, sollst du gehen, und alles, was ich dir gebieten werde, sollst du reden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir, um dich zu erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an, und der HERR sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund“ (Jer 1,7–9).
Man braucht das Antlitz der Menschen nicht zu fürchten, wenn man das Antlitz Gottes gesehen hat. Der Schwächste ist wie der Mächtige, wenn er die Worte Gottes auf seinen Lippen hat. Lasst uns das in diesen Tagen bedenken und nicht in Ohnmacht fallen wegen unserer Schwachheit. Der HERR wird keines seiner Worte zu Boden fallen lassen, auch wenn es von schwankenden Lippen gesprochen wird.
Wir haben nun den Zustand des Volkes gesehen. Die Masse, schwach, anfällig für das Umherschweifen und ohne die starke Hand der Zurückhaltung, verfällt in Nachlässigkeit und Götzendienst; die priesterliche Familie degeneriert zu seniler Schwäche und jugendlicher Verschwendung; aber inmitten all dessen ein schwacher, betender Überrest, der noch auf Gott zählt und seine Anerkennung erhält. Dieser Überrest findet in Gottes Barmherzigkeit Ausdruck durch die Gabe der Weissagung, die von ihm als Zeugnis gegen den überhand nehmenden Abfall und als Kanal seines Handelns mit dem Volk aufgerichtet wurde. Es waren traurige und dunkle Tage, aber genau die richtige Zeit für den Glauben, um hell zu leuchten und tapfer für den Herrn zu handeln.