Gedanken zum Buch Ruth
Kapitel 2
Die Ernte
„Und Noomi hatte einen Verwandten ihres Mannes, einen vermögenden Mann, aus der Familie Elimelechs, und sein Name war Boas. Und Ruth, die Moabiterin, sprach zu Noomi: Lass mich doch aufs Feld gehen und unter den Ähren lesen hinter dem her, in dessen Augen ich Gnade finden werde. Und sie sprach zu ihr: Geh hin, meine Tochter. Und sie ging hin und kam, und auf dem Feld hinter den Schnittern her las sie auf. Und sie traf zufällig auf das Feldstück des Boas, der aus der Familie Elimelechs war.
Und siehe, Boas kam von Bethlehem und sprach zu den Schnittern: Der HERR sei mit euch! Und sie sprachen zu ihm: Der HERR segne dich!“ (Ruth 2,1–4).
Die Bedeutung des Namens Bethlehem als Haus des Brotes geht jetzt in Erfüllung. Die weißen Erntefelder sprechen von der Fülle, die dort ist, wo Gottes Segen ruht. Die Zeit der Ernte und des Einsammelns ist eine Zeit der freudigen Arbeit. Sie ist die Krone des Jahres: „Du hast gekrönt das Jahr deiner Güte und deine Spuren triefen von Fett“ (Ps 65,12). Die lange Geduld des Landwirts hat ein Ende, und seine Sorge ist jetzt nur noch, die Frucht seiner Arbeit zu ernten. „Die Täler bedecken sich mit Korn; sie jauchzen, ja, sie singen“ (Ps 65,14).
Gottes Ernte ist ohne Zweifel eine Zeit der besonderen Freude für Ihn, da Er die Ergebnisse der göttlichen Fürsorge und Geduld in der Welt sieht. Trotz des Unglaubens der Menschen, der Bösartigkeit Satans und der Trägheit des Herzens sogar bei den Seinen, gibt es Frucht zu Seinem Lob. Wir können sowohl an den ausgestreuten Samen, der das Wort Gottes ist, als auch an die gesammelten Früchte, also diejenigen, die durch das Wort errettet wurden, denken. Unser Herr trennt sie nicht, und in der Tat ist es das Wort, das Heilige hervorbringt:
„Die ihr nicht wiedergeboren seid aus verweslichem Samen, sondern aus unverweslichem, durch das lebendige und bleibende Wort Gottes“ (1. Pet 1,23).
Wie kostbar ist der Gedanke, dass jedes Kind Gottes dem Wort gleichgestaltet wird, durch das es gezeugt worden ist, und damit auch Christus gleich werden, der in der Vollkommenheit seiner Person die Verkörperung all dessen ist, was das Wort Gottes ist. Wir denken also an die Erntezeit als die Zeit des Einsammelns der Seelen, die unter die rettende Kraft des Wortes Gottes gebracht worden sind. Zugleich tun wir dem Bild keine Gewalt an, wenn wir es auch auf die volle Gnade anwenden, die in dem Wort enthalten ist, und vor allem auf Christus selbst, in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt (Kol 1,22; 2,9)).
So begegnen wir in Bethlehem nur dieser einen Person, dem Boas, der der Herr der Ernte und Wohltäter ist. Sein Name bedeutet in ihm ist Kraft. Das erinnert uns sofort an den Einen, von dem er das Vorbild ist. Er ist ein wohlhabener Mann oder ein Mann der Tapferkeit, wie man diesen Ausdruck auch wiedergeben kann. Er hat seine Position als Herr der Ernte und als Wohltäter durch seinen Sieg über den Starken eingenommen (Mk 3,27).
Christus hat den Platz des Reichtums durch den Weg der Armut erreicht, indem Er den Reichtum, der Ihm von Rechts wegen zustand, beiseite legte, damit Er die Gegenstände Seiner Liebe und Gnade mit sich selbst verbinden konnte (2. Kor 8,9). Das erinnert uns auch an Seine große Geduld und die Mühsal Seiner Seele, als Er Seine Seele in Tränen ausschüttete und Sein Blut vergoss, damit es Frucht für Gott in einer verlorenen Welt geben würde. Sicherlich treffen auf Ihn die Worte des Psalms in besonderer Weise zu:
„Er geht hin unter Weinen und trägt den Samen zur Aussaat; er kommt heim mit Jubel und trägt seine Garben“ (Ps 126,6).
So sehen wir in Boas den auferstandenen Herrn, der nach Seiner Mühsal und Seinem Leiden in Seine Freude eintritt. Er ist der Eine, in dem ewige Kraft ist. Er ist ein Verwandter Elimelechs, denn unser Herr hat den Samen Abrahams aufgenommen und schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen. Seine Verwandtschaft mit Elimelech erinnert auch daran, was Israel für Gott hätte sein sollen. Aber es hat darin versagt, denn Elimelech ist tot. Hier ist jedoch einer, dessen Leben eine Beziehung zu Gott zeigte, die Israel durch sein Versagen nicht hatte, der aber in Seiner Gnade in den Tod und das Gericht ging, das eigentlich Israel verdient. Er ist also bereit, die Beziehung aufrechtzuerhalten, die sie verwirkt hatten. Er hat in der Auferstehung das wieder gut gemacht, was sie verloren hatten.
Das wird in dem Propheten Jesaja sehr schön herausgestellt. Jakob war Gottes Knecht, aber er erwies sich als untreu und musste beiseitegestellt werden. Dann wird der wahre und vollkommene Knecht vorgestellt, derjenige, der im Leben und im Tod immer Gottes Willen getan hat und jetzt erhöht ist. Dann wird sich ein Überrest im Glauben an diesen Knecht wenden und durch Ihn Vergebung finden und selbst zum Knecht des Herrn und zum Samen einer heiligen Nation werden, die schließlich zu wahrer Treue und Unterordnung unter Gott zurückgebracht wird. Alles wird durch den Verwandten kommen, der, wie wir sehen werden, der Erlöser ist. Aber wir müssen zu unserer Erzählung zurückkehren.
Die Szene ist auch im natürlichen Sinne schön und lehrreich. Die Beziehung zwischen Boas und seinen Schnittern ist nur allzu selten in einer Welt, in der Egoismus bei den Herren und Misstrauen bei den Knechten die Regel ist. Dies muss immer dort der Fall sein, wo Gott außen vor gelassen wird, und die Kluft zwischen „Arbeit und Kapital“ nur noch größer wird, bis die Herrschaft der Gnade in den Herzen der Menschen errichtet wird. Wie sinnlos sind Arbeitsgesetze und Bemühungen um allgemeinen Wohlstand, wenn die Wurzel des Übels – die Sünde und Selbstsucht des menschlichen Herzens – nicht behoben wird. Diese wird nie erreicht werden, bis Er kommt, von dem Boas das Vorbild ist. Dann wird es den Gruß geben, der hier vor uns steht: „Der Herr sei mit dir“ und „Der Herr segne dich“.
Welch eine Flut von Erinnerungen muss Noomi fast überwältigt haben, als sie auf diese vertrauten Felder blickte! Als sie das letzte Mal die Felder sah, war ihr Leben voller Hoffnung. Jetzt war alles anders. Zweifellos schaute sie durch ihre Tränen hindurch auf all die Freude und den Überfluss, der vor ihr lag, der aber für sie vergangen war, um nicht mehr wiederzukommen. Wie traurig ist es für das verwitwete Herz, die Freude zu sehen, die ihr für immer fremd bleiben wird. Kein Wunder also, dass sie keine Anstrengungen unternimmt, sich zu bessern. Gedanklich ist sie nun ständig mit Erinnerungen beschäftigt.
Zweifellos wird es, wie wir gesehen haben, dieses Gefühl der Trostlosigkeit auf Seiten des Überrestes von Israel geben. Für sie wird es keine Freude geben. All die Fülle des Hauses Gottes wird nur ihr Gefühl der Armut verstärken und so, in seiner Barmherzigkeit, die Mühsal vertiefen, die in ihren Seelen so notwendig ist. Ob für Israel oder den umherirrenden Gläubigen, es muss eine tiefe Übung in der Seele stattfinden, wenn sie in den Genuss der wiederherstellenden Barmherzigkeit Gottes kommen wollen. Das wird oft von dem Volk Gottes vergessen. Die Verletzung wird ein wenig geheilt. Es ist gut, im Haus der Trübsal zu sein. Es ist eine gute Vorbereitung für das Haus des Festes. So ist Noomis Kummer und ihr Schweigen natürlich und richtig.
Aber bei Ruth ist es anders. Sie repräsentiert, wie wir gesehen haben, den Glauben des Überrestes, der keinen Anspruch erhebt. Aber die kommt, um auf den Feldern der göttlichen Barmherzigkeit zu sammeln. Deshalb wird sie hier die Moabiterin genannt, da ihre nichtjüdische Herkunft sie von jedem Rechtsanspruch auf einen Anteil in Israel ausschließt. Und doch hatte Gott gerade für sie Vorsorge getroffen:
„Und wenn ihr die Ernte eures Landes erntet, sollst du den Rand deines Feldes nicht vollständig abernten und sollst keine Nachlese deiner Ernte halten; für den Armen und für den Fremden sollst du sie lassen. Ich bin der HERR, euer Gott“ (3. Mo 23,22).
Hier sind die Brosamen, die vom Tisch des Meisters fallen und die sich für Ruth, wie für die Frau aus Kanaan, als die Erfüllung all ihrer Bedürfnisse erweisen werden.
Dieser Abschnitt, der zwischen dem Pfingstfest (3. Mo 23,15–21; Apg 2,1–4) und dem Laubhüttenfest (3. Mo 23,33–36) liegt, deutet auf genau diesen verwitweten Zustand des Überrestes hin, der seiner Zeit der Freude und der Fülle des Segens vorausgehen muss, wenn „ein jeder unter seinem eigenen Weinstock und Feigenbaum wohnen wird“ (1. Kön 5,5)
Pfingsten bedeutet den Segen der Kirche, die mit Christus in der Auferstehung verbunden ist. Wenn der Herr sie als seine himmlische Braut zu sich genommen hat, wird der verwitwete Überrest Israels als jemand erscheinen, der alle Rechte verwirkt hat. Der Glaube aber, wie bei Ruth, wird beginnen, nach der besonderen Vorsehung der Barmherzigkeit Gottes zu ernten.
Noomi gibt ihre Zustimmung zu Ruths Nachlese und wird so in allem, was der Jüngeren widerfährt, gleichgesetzt. Wie gesegnet ist es, zu wissen, dass die Verzweiflung des gebrochenen Herzens und das Aufkeimen des Glaubens so von Gott registriert werden. Der Glaube blickt durch die Tränen der Reue hindurch. Beide sind vor Gott eins.
Es ist alles Gnade: Ruth erkennt, dass ihre Nachlese auf den Feldern der Person sein soll, in dessen Augen sie Gunst finden wird. Es ist immer ein Zeichen den noch ungebrochenen oder nur teilweise wiederhergestellten Geistes, wenn die demütige Haltung der bedingungslosen Unwürdigkeit noch fehlt.
Wie berauben wir uns selbst, wenn wir einen hohen Platz und eine kühne Haltung einnehmen. Gnade ist nur für den Demütigen, ob Sünder oder Gläubiger, und man kann sie nicht genießen ohne ein zerbrochenes Herz, das Gott nicht verachten wird.
Wir sehen, wie alles von Gott angeordnet ist, nicht von Ruth. Sie weiß nicht, auf wessen Feld sie sammelt.
- Menschlich gesprochen war es Rebekkas Glück, am Brunnen zu sein, als Abrahams Knecht kam, um eine Braut für den Sohn seines Herrn zu suchen (1. Mo 24).
- Es war das Glück der Frau aus Samaria, den Fremden aus Judäa zu treffen, der ihr solche Worte des Lebens und der Gnade zu sagen hatte (Joh 4,1–26).
Aber wir wissen, dass das, was aus Sicht des Menschen Glück ist, Gottes Absicht ist. Es ist die Absicht der Liebe dessen, der das Ende von Anfang an sieht und alles plant.
Sein Auge war auf Rebekka gerichtet, und Er ließ sie als erste zum Brunnen gehen, um den Knecht Abrahams zu treffen. Er führte die Frau aus Samaria, dorthin zu gehen, wo sie den Sohn Gottes treffen würde, und ihr Leben durch die Botschaft, die er ihr brachte, zu verändern. Er weiß es, und Er zieht jeden von uns zur bestimmten Zeit und auf die bestimmte Weise an den Ort des Segens. Wie wunderbar sind seine Wege. Welche Liebe steckt hinter den scheinbar harmlosesten Begebenheiten. Gott ist absolut souverän. Alle unsere Segnungen kommen von ihm allein. Das Werk der Gnade, vom Anfang bis zum Ende, ist Sein. Deshalb gebührt Ihm allein das ganze Lob.
Die Gnade
„Und Boas sprach zu seinem Knecht, der über die Schnitter bestellt war: Wem gehört dieses Mädchen? Und der Knecht, der über die Schnitter bestellt war, antwortete und sprach: Es ist ein moabitisches Mädchen, das mit Noomi aus den Gebieten von Moab zurückgekehrt ist; und sie sprach: Lass mich doch auflesen und unter den Garben sammeln hinter den Schnittern her! Und so ist sie gekommen und dageblieben vom Morgen an bis jetzt; was sie im Haus gesessen hat, ist wenig“ (Ruth 2,5–7).
Die Anwesenheit der Fremden wird bald von Boas bemerkt. Seine Frage an den obersten Diener, zu wem dieses Mädchen gehört, macht offenbar, wer Ruth wirklich ist. Sie wird als Moabiterin beschrieben, ein Name, der sie sofort von den Töchtern Israels unterscheidet. Aber neben diesem Hinweis auf ihre fremde Abstammung wird auch ihr Glaube erwähnt, der sie dazu veranlasst hatte, der verwitweten Noomi zurück ins Land Israel zu folgen, und nicht mit seinen falschen Göttern in das Haus ihres Vaters zurückzukehren. Außerdem erzählt der Diener von ihrem Fleiß beim Auflesen der Ähren – eine durchaus bescheidene Aufgabe, die nur wenig Lohn einbringt.
Israel hatte alle Rechte auf einen Platz vor Gott in seiner eigenen Gerechtigkeit verwirkt. Nun muss Israel erkennen, dass es nichts anderes als ein Fremdling ist. Wenn sich das Volk wieder zu Gott wendet, dann muss es bereit sein, sich als Moabiter, als Heide, bezeichnet zu werden.
So wird Jerusalem vom Propheten in der Ansprache an das verunreinigte und schuldige Volk beschrieben:
{Hes 16,3.45}
Samaria und Sodom werden seine Schwestern genannt, die nicht verdorbener und schuldiger sind als sie. Wenn es wiederhergestellt wird, dann in Verbindung mit denen, die es verachtet hatte. Die Erkenntnis des eigenen moralischen Zustands wird es für alle Zeiten vor jenem Hochmut bewahren, der die Tage seiner vermeintlichen Überlegenheit über die Nationen gekennzeichnet hatte.
Es gab in der Tat eine Überlegenheit in der Stellung, aber wo die Gnade verachtet wird, wird die Beschneidung zur Vorhaut. Der Apostel geht darauf in Römer 2 ein, wo er aus den Propheten zitiert und erklärt, dass Gottes Name durch die Sünden der Juden unter den Heiden gelästert wurde:
„Wenn du aber Jude genannt wirst und dich auf das Gesetz stützt und dich Gottes rühmst und den Willen kennst und das Vorzüglichere unterscheidest, da du aus dem Gesetz unterrichtet bist, und getraust dich, ein Leiter der Blinden zu sein, ein Licht derer, die in Finsternis sind, ein Erzieher der Törichten, ein Lehrer der Unmündigen, der die Form der Erkenntnis und der Wahrheit in dem Gesetz hat – der du nun einen anderen lehrst, du lehrst dich selbst nicht? Der du predigst, man solle nicht stehlen, du stiehlst? Der du sagst, man solle nicht ehebrechen, du begehst Ehebruch? Der du die Götzenbilder für Gräuel hältst, du begehst Tempelraub? Der du dich des Gesetzes rühmst, du verunehrst Gott durch die Übertretung des Gesetzes? Denn der Name Gottes wird euretwegen unter den Nationen gelästert, wie geschrieben steht.
Denn Beschneidung ist zwar von Nutzen, wenn du das Gesetz tust; wenn du aber ein Gesetzes-Übertreter bist, so ist deine Beschneidung Unbeschnittensein geworden. Wenn nun der Unbeschnittene die Rechte des Gesetzes beachtet, wird nicht sein unbeschnittener Zustand für Beschneidung gerechnet werden und der von Natur Unbeschnittene, der das Gesetz erfüllt, dich richten, der du mit Buchstaben und Beschneidung ein Gesetzes-Übertreter bist? Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, noch ist die äußerliche Beschneidung im Fleisch Beschneidung; sondern der ist ein Jude, der es innerlich ist, und Beschneidung ist die des Herzens, im Geist, nicht im Buchstaben; dessen Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist“ (Röm 2,17–29).
Jesaja hatte die Führer des Volkes als „Herrscher von Sodom“ angesprochen (Jes 1,10).
Wäre das Volk nur in den Gedanken Gottes geblieben und hätte es seine wahre Stellung akzeptiert, als es in Gnade herausgeführt wurde, dann hätte es nicht nötig gehabt, diese Lektionen durch bittere Schmach zu lernen. Denn im Zusammenhang mit ihrem Einzug in das Land, als sie den Korb mit den Erstlingsfrüchten darbringen sollten, wurde ihnen dieses Bekenntnis in den Mund gelegt: „Ein umherirrender Aramäer war mein Vater...“ (5. Mo 26,5). Aber der Wohlstand und die Beweise der besonderen Gunst Gottes ließen sie vergessen, dass alles aus Gnade geschah, und infolgedessen werden sie in bitterem Kummer und Demütigung die Lektion erneut lernen müssen:
„Deine Bosheit züchtigt dich, und deine Abtrünnigkeiten strafen dich; so erkenne und sieh, dass es schlimm und bitter ist, dass du den HERRN, deinen Gott, verlässt und dass meine Furcht nicht bei dir ist, spricht der Herr, der HERR der Heerscharen“ (Jer 2,19).
Der reuige Überrest mit dem ersten Schimmer des Glaubens wird es also nicht übel nehmen, als Fremde angesehen zu werden, die keinen Anspruch auf Gottes Vorrechte haben.
Wenn man es auf den Sünder anwendet, der zum ersten Mal die Gnade Gottes sucht, ist die Bezeichnung nicht weniger angemessen. Es erinnert uns daran, wie der heidnische Hauptmann sich selbst für völlig unwürdig hielt, den Herrn in seinem Haus zu empfangen (Mt 8,8) oder, wie wir gerade bei der syrophönizischen Frau gesehen haben, dass sie sich als Hund bezeichnen ließ (Mk 7,26–30; Mt 15,21–28). Wie entgegengesetzt zu aller Selbstgerechtigkeit ist diese Haltung, die den niedrigsten Platz einnimmt.
Aber Ruth ist gekommen, um zu sammeln, um das zu bekommen, was ihren Hunger stillt, und sei es auch nur so wenig, dass es reicht, um nicht zu verhungern. Der Glaube, obwohl er alle Würdigkeit oder jedes Recht ablehnt, ist gekommen, um etwas zu sammeln, und er wird eine Ablehnung nicht leichtfertig hinnehmen. Auch die Frau, die von ihrem Widersacher bedrängt wird und an einen hartherzigen Richter gerät, zeigt die Beharrlichkeit des Glaubens, der keine Ablehnung akzeptiert (Lk 18,1–8). Wir werden uns auch daran erinnern, dass die Witwe dort den Überrest genauso darstellt wie Noomi und Ruth hier. Aber der Glaube ist zu allen Zeiten derselbe, und wer sich vorgenommen hat, das Angesicht des Herrn zu suchen, wird keine Ablehnung hinnehmen. Die Situation erfordert ernsthaftes Ausharren, und das ist in sich selbst das Unterpfand, dass die Wünsche erfüllt werden. Sind nicht diese Wünsche selbst der Beweis der Gnade, die in der Seele wirkt?
Es ist weder weise noch richtig, die Seele mit ihrer eigenen Verfassung zu beschäftigen, selbst wenn sie das Produkt des Geistes Gottes ist, aber sollten wir uns nicht daran erinnern, dass dieser Mangel an ernsthafter Absicht die Hauptursache für so viel oberflächliche Arbeit ist? Ernsthaftigkeit, die nur kleine Ergebnisse erntet, die den ganzen Tag auf dem Feld bleibt und kleine Körner des Segens sammelt – solche Ernsthaftigkeit wird weit mehr ernten als sie erwartet. Schade um die seichten Überzeugungen, die halbherzigen Wünsche, die schwachen Seelenübungen!
Wir brauchen uns nicht über die große Zahl leerer Bekenntnisse zu wundern, die wie der Same auf steinigem Boden bald verwelken, „womit der Schnitter seine Hand nicht füllt, noch der Garbenbinder seinen Schoß“ (Ps 129,7).
Und selbst dort, wo die Gnade gewirkt hat und es nur eine teilweise Antwort darauf gibt, was für eine Schwäche des Zeugnisses und des Lebenswandels ist die Folge, was für ein Weltschicksal mit allen dazugehörigen Schiffbrüchen! Möge der Herr mehr ernsthaft Suchende wie Ruth schenken.
Das arme, fremde Mädchen, das vor jedem neugierigen Blick zurückschreckt und ihr Alleinsein am stärksten spürt, muss nicht denken, dass sie unbemerkt bleibt. Boas bemerkt sie sofort. Seine Nachforschungen verraten sein wahres Interesse. Vergessen wir auch nicht für einen Moment, dass das Auge unseres HERRN sofort auf jede arme Seele fällt, die um Hilfe bittet. Joseph erkannte seine Brüder sofort, als sie zur Zeit der Hungersnot nach Ägypten hinabkamen, um ein wenig Nahrung für ihren Hunger zu kaufen, und obwohl er sich ihnen erst zu erkennen gab, nachdem alle notwendigen Seelenübungen von ihnen durchlaufen worden waren, hat er sie doch gesehen und erkannt.
So wird es in dem Moment sein, wenn sich der Überrest zu Gott wendet – und so ist es auch mit jeder einzelnen Seele. Er sieht – und Er weiß. Was für ein Trost ist das. Das erklärt auch die Fülle der Gnade, wenn wir auf die Wege des Herrn mit uns zurückblicken, um uns zu sich zu bringen. Er dachte an uns, als wir am wenigsten daran dachten, und noch bevor wir uns an Ihn wandten, hatte Er sich uns in Gnade zugewandt. Er kann den schüchternen Glauben von all dem Gedränge der achtlosen Menge unterscheiden. Sein Auge der Liebe ist auch jetzt auf dich gerichtet!
„Und Boas sprach zu Ruth: Hörst du, meine Tochter? Geh nicht, um auf einem anderen Feld aufzulesen, und geh auch nicht von hier weg, sondern halte dich hier zu meinen Mägden. Deine Augen seien auf das Feld gerichtet, das man schneidet, und geh hinter ihnen her; habe ich nicht den Knaben geboten, dich nicht anzutasten? Und wenn du durstig bist, so geh zu den Gefäßen und trink von dem, was die Knaben schöpfen. Da fiel sie auf ihr Angesicht und beugte sich zur Erde nieder und sprach zu ihm: Warum habe ich Gnade gefunden in deinen Augen, dass du mich beachtest, da ich doch eine Ausländerin bin? Und Boas antwortete und sprach zu ihr: Es ist mir alles genau berichtet worden, was du an deiner Schwiegermutter getan hast nach dem Tod deines Mannes, und dass du deinen Vater und deine Mutter und das Land deiner Geburt verlassen hast und zu einem Volk gezogen bist, das du früher nicht kanntest. Der HERR vergelte dir dein Tun, und voll sei dein Lohn von dem HERRN, dem Gott Israels, unter dessen Flügeln Zuflucht zu suchen du gekommen bist! Und sie sprach: Möge ich Gnade finden in deinen Augen, mein Herr! Denn du hast mich getröstet und hast zum Herzen deiner Magd geredet, und doch bin ich nicht wie eine deiner Mägde“ (Ruth 2,8–13).
Die Gnade kann nicht ruhen, bis sie sich zu erkennen gibt. So kommt Boas von Blicken und Fragen zu Worten und spricht mit der Fremden. „Hörst du nicht meine Tochter? Geh nicht hin, um auf einem anderen Feld zu sammeln.“ Das erste Wort ist nicht nur ein Willkommensgruß für das, was sie vielleicht schon gesammelt hat, sondern die positive Aufforderung, dort weiterzumachen, wo sie begonnen hat.
Die Jünger mögen versuchen, die suchende Seele wegzuschicken, aber der Herr tut das niemals. Ganz gleich, wie scheinbar erfolglos sie ist und wie entmutigt sie ist, ganz gleich, wie lange die Suche anhält, das erste Wort ist: „Geh nicht auf ein anderes Feld.“ Es gibt viele Versuchungen, dies zu tun, sowohl für die suchende Seele jetzt, als auch für den Überrest am kommenden Tag. Wie gerne würde der Feind die Seele vom Wort Gottes, den Feldern der Gnade, weglocken oder vertreiben.
Es gibt andere und leichtere Wege, um Frieden zu bekommen: glückliche Gefühle, religiöse Bekenntnisse – es werden Tausende von Alternativen für den einfachen Weg Gottes angeboten. Oder die Seele ist erschrocken, es gibt keine Hoffnung für einen so schuldigen und verhärteten Menschen, der Tag der Gnade ist vorbei, warum auch nur die wenigen Tage, die vom Leben übrig bleiben, in vergeblichen Bemühungen vergeuden, um etwas zu bekommen, was niemals unser sein kann? Keiner, der schon einmal in seelischen Übungen war, kann vergessen, wie oft die Versuchungen aufkamen, auf ein anderes Feld zu gehen! Und wie aufmunternd ist dieses Wort von dem Herrn des Feldes, dort zu bleiben, wo wir sind, nichts zu erwarten, außer von Ihm selbst.
Wir erinnern uns auch daran, welche furchtbaren Verlockungen dem Überrest vorgehalten werden, und welche Drohungen, wenn sie nicht nachgeben. Als Jerusalem belagert wurde und scheinbar kurz vor der Einnahme durch die Assyrer stand, bedrohte der spöttische Rabsake nicht nur das angsterfüllte Volk, sondern stellte besondere Anreize in Aussicht, wenn sie sich seinem Herrn beugen würden. Aber weder Drohungen noch Überredungskünste konnten sie von ihrer Treue zu ihrem König abbringen (2. Kön 18).
In den letzten Tagen wird der Großteil des Volkes die Herrschaft des böswilligen Königs akzeptieren, alle menschliche Klugheit wird den wenigen, die ihm ausgeliefert sind, dasselbe diktieren. Der große Herrscher, dessen Bild angebetet werden muss, wird als einziger anerkannt werden, und der sichere Tod droht denen, die sein Zeichen nicht in der Hand oder auf der Stirn haben? Aber Gott sei Dank, der Glaube wird immer auf das eine Wort dessen hören, den er vielleicht nur schemenhaft kennt, und sich weigern, auf ein anderes Feld zu gehen.
Sollte es nicht auch für uns, die wir unseren gesegneten Herrn kennen und lieben, gut sein, uns daran zu erinnern, wie töricht es ist, anderswo als bei Ihm und Seinem Wort unsere Nahrung oder Hilfe zu suchen? Viele der Seinen vergessen dies leider und müssen bitterlich die vergeudeten Tage der Nachlese auf den für das Kind Gottes wohl immer unfruchtbaren Feldern bedauern. Wie vieles, was als notwendige Abwechslung und Erholung angepriesen wird, ist nur eine Schlinge, um uns von dem Einen wegzuziehen, in dem wir alle unsere Ruhe und unseren Frieden finden sollen.
Es gibt noch andere außer uns, die auf den Feldern der Gnade tätig sind, und es ist in der Tat selten, dass die Seele keine Hilfe von denen bekommt, die weiter fortgeschritten sind als sie selbst. Ruth folgt denen, die mit dem Haushalt des Boas verbunden sind, und genießt den Schutz vor allen Belästigungen, bewirkt durch seine Autorität.
Wenn die Suchende im Hohelied Salomos fragt, wo ihr Geliebter seine Herden weidet und wo sie mittags ruhen, weil sie sich fürchtet, sich zu einer anderen Herde zu wenden, ist die Antwort ähnlich: „Wenn du es nicht weißt, o du Schönste unter den Frauen, so geh deinen Weg hinaus an den Fußspuren der Herde und weide deine Kinder neben den Zelten der Hirten“ (Hld 1,7–8).
Wenn es nur wenige auf dem schmalen Weg sind, können wir mit diesen wenigen ausreichend Gemeinschaft finden. Und während der Glaube nicht nachahmen kann, kann er dem Glauben derer folgen, die Christus lieben. Es ist immer gefährlich, wenn eine Seele den Geschmack für echte Gemeinschaft mit denen verliert, die ein Herz für den Herrn haben.
Auch die liebevolle Fürsorge Boas sorgt schon für mehr, als sie sammeln kann. Sie braucht nicht nur Getreide, sondern auch zu trinken. Dazu lädt er sie nun ein: „Wenn du durstig bist, geh zu den Gefäßen und trinke von dem, was die jungen Männer geschöpft haben“. Seine Diener tragen auch Sorge für ihre Bedürfnisse, ihre Arbeit für ihre Erfrischung.
Wie ist der Dienst des Lebenswassers, der für das Volk Gottes bestimmt ist, auch für jede suchende Seele. Wie oft erhält der Fremde eine Erfrischung, ohne die er vor Verzweiflung ohnmächtig geworden wäre.
Unser Herr weiß das wohl, und oft lädt Er die durstige Seele – in allen Zeitaltern und Zeiten – ein, zu kommen und zu trinken:
- „Wen da dürstet, der komme zum Wasser“ (Jes 55,1).
- „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke“ (Joh 7,37).
- „Wer will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst“ (Off 22,17).
Die göttliche Barmherzigkeit wird niemals das Wasser verweigern, solange es eine Seele gibt, die danach verlangt. Erst in der Ewigkeit auf der anderen Seite der „großen Kluft“ wird der Schrei nach einem Tropfen Wasser vergeblich sein (Lk 16,19–31). Wie verschlimmert dies die Schuld derer, die die Angebote der Gnade und das Flehen der Liebe verachten.
Eine solche Gnade, die so unerwartet kommt, bewegt Ruth zu tiefster Dankbarkeit. Sie fällt ihm zu Füßen und fragt, warum er einer Fremden wie ihr eine solche Freundlichkeit erweist. Seine Antwort zeigt, wie vertraut er mit ihrer Geschichte ist, die er als weit mehr als kindliche Freundlichkeit gegenüber ihrer trauernden Schwiegermutter interpretiert. Sie ist gekommen, um unter den schützenden Flügeln des Gottes Israels Schutz zu finden, und ihre Hingabe an Noomi kann davon nicht getrennt werden.
Und hat das Herz nicht oft eine ähnliche Frage an unseren Herrn gestellt? Er hat irgendeinen besonderen Gedanken uns gegenüber geäußert, hat unsere durstigen Seelen erfrischt, und wir fragen uns, warum das so ist. Ist seine Antwort nicht darin zu finden, dass Er unseren Weg vorgezeichnet und die Anfänge des Glaubens gesehen hat, den Er jetzt belohnt? Nein, ist nicht der Glaube selbst die Frucht seiner eigenen souveränen Gnade? Setzt Er nicht nur das Siegel auf sein eigenes göttliches Werk? Er kennt die, die er zu sich gezogen hat (Hos 11,4).
Ruth veranschaulicht sehr schön die Demut, die das Kennzeichen des jungen und frischen Glaubens ist: „Lass mich Gnade finden vor deinen Augen, mein Herr; denn du hast mich getröstet und zum Herzen deiner Magd geredet, obwohl ich nicht wie eine deiner Mägde bin.“ Wie Mephiboseth war sie gedemütigt, als David ihr Gnade erwies. Sie zweifelte nicht an der Gnade, noch viel weniger lehnte sie sie ab, aber sie bekennt ihre völlige Unwürdigkeit. Wahre Demut zweifelt nicht.
Wie seltsam ist es doch, dass man es für ein Kennzeichen der Demut gehalten hat, die Aufrichtigkeit der erwiesenen Gnade in Frage zu stellen. Natürlich wird es nicht so ausgedrückt, aber das Ergebnis ist dasselbe: Gott wird angezweifelt und die Seele wird nicht gesegnet. Eine solche Haltung soll bei ihrem richtigen Namen genannt werden, das ist keine Demut, sondern die schlimmste Form des Stolzes, der den Mantel der Armut trägt, um seinen Anspruch auf Reichtum zu begründen.
Die Demut bekennt ihre Unwürdigkeit, betont aber die Gnade Gottes, indem sie mit dankbarem Herzen annimmt, was Er so frei anbietet.
Wir sehen nun, wie die Gnade das Prinzip „wer da hat, dem wird gegeben werden“ (Mt 13,12), veranschaulicht, obwohl Boas nur seine frühere Güte fortsetzte. Die Gnade führt die Seele durch Segen weiter. So wird ihr nun Nahrung, Wein und geröstetes Korn angeboten – so viel sie will.
Unser Herr lässt eine suchende Seele niemals hungern. In der Versorgung von Ruth mit Erfrischungen sehen wir seine großzügige Hand, selbst für eine, die die Fülle seiner Gnade kaum erkennt. Sie ist eingeladen, ihren Bissen in den Essig zu tauchen, um mit ihrem schwachen Verständnis, ihrem Stückchen Brot, die Kraft und Erfrischung zu empfangen, die der Wein suggeriert.
Haben wir nicht in gleicher Weise in den Tagen der Anfänge unseres Glaubens unser kleines Scherflein der Wahrheit, unseren kleinen Blick auf Christus mitgebracht und die Erfahrung gemacht, dass es zu einer köstlichen Stärkung wurde durch eine Liebe, die wir selbst nicht mitgebracht hatten. Sicherlich muss dieser Wein von Ihm sprechen, dessen Liebe „besser als Wein“ (Hld 1,2) ist, und der jeden in Seiner Nähe diese Liebe erfahren lässt.
„Und sie saß bei den Schnittern.“ Essen und Ausruhen müssen zusammengehören. Unser Herr will nicht, dass jemand seine Nahrung zu sich nimmt wie die Tiere, die stehen. Die erste Anweisung an die Menge, für die Menge, die gespeist werden sollte, war, dass sie sich hinsetzen sollten. Was für ein Vorgeschmack auf das Evangelium selbst, das alle Mühseligen und Beladenen einlädt, zu Christus zu kommen, um auszuruhen (Mt 11,29). Was für ein Vorgeschmack auf die ewige Ruhe beim Hochzeitsmahl des Lammes (Off 19,7–10), wo jeder „der Jünger sein wird, den Jesus liebte“, mit dem Haupt auf Seinem Schoß (Joh 13,23).
Aber davon weiß Ruth nichts, auch nicht von der Beziehung, die sie bald zu diesem gütigen Mann haben wird. Es ist nur der Schatten dessen, was sein wird. Obwohl sie eine Fremde ist, wird kein Unterschied zwischen ihr und den Schnittern gemacht. Sie sammeln das goldene Korn ein und tragen zum Reichtum ihres Herrn bei, während sie, praktisch eine Bettlerin, das Bild der Armut ist.
Aber es kann keinen Unterschied in einer solchen Gegenwart geben. Die Gnade verwischt alle Unterscheidungen, weil sie die Nichtigkeit des einen Menschen und die Fülle Gottes hervorhebt. Alle anderen Unterschiede werden in dieser Gegenwart aus den Augen verloren. Dort ist der Reichste arm und der Ärmste ist reich. Es ist nicht nur: „Der Reiche und der Arme kommen zusammen, der Herr ist ihrer aller Schöpfer“ – in der Gegenwart des Schöpfers werden alle Unterschiede aufgehoben.
Es heißt: „Dieser Mensch nimmt die Sünder auf und isst mit ihnen“ (Lk 15,2). Alle, die an seinem Festmahl teilnehmen, sind Sünder; Pharisäer haben dort keinen Platz, noch wollen sie ihn haben.
Wie schön ist es auch zu sehen, dass der Dienst keinen näheren Platz gibt als die Gnade. Der schwächste Säugling ist ebenso willkommen wie der älteste, treueste und erfolgreichste Diener. Lasst uns daran denken, wenn wir uns um unseren Herrn versammeln, und bringt jeden Gedanken in uns zum Schweigen, der sagt, dass es irgendein Recht auf Nähe gibt, das über das hinausgeht, was die Gnade allen gleichermaßen gibt, die dem Herrn angehören.
„Und er reichte ihr geröstete Körner.“ Sie bekommt Nahrung aus seiner Hand. Das Herz unseres Herrn ist nicht zufrieden, bis Er selbst der Seele dient. Wie sehr sehnt Er sich nach diesem persönlichen Kontakt, gibt sich nicht mit der bloßen Speisung zufrieden, sondern reicht die Nahrung aus Seiner Hand an den Bedürftigen weiter. Zweifellos haben viele gewusst, was das bedeutet. Es ist rührend zu sehen, was durch die gerösteten Körner angedeutet wird.
Das Korn ist ein Bild der Person unseres Herrn, von seiner vollkommene Menschheit. Es zeigt das, was Er in Seinem Leben hier war, in all der Niedrigkeit, die Ihn auf die Erde brachte, um für die Menschen das Brot des Lebens zu sein. Aber damit Er unsere Nahrung sein konnte, musste Er sterben. So muss das Korn dem Feuer ausgesetzt werden, was uns an das Feuer des göttlichen Gerichts erinnert, das an unserer Stelle auf Ihn fiel. Es weist auch auf die Freude Gottes an Ihm hin, sogar in Seinem Tod. Es war ein lieblicher Geschmack für Gott. Mehr noch, die gerösteten Körner gehörten zu den Erstlingsfrüchten (3. Mo 2,14) und erinnern als solche an unseren Herrn der Auferstehung „die Erstlingsfrucht der Entschlafenen.“ So empfangen wir aus Seiner Hand die Erinnerung an Seine Person, Sein Werk und Seine Auferstehung.
Wie sehr sehnt Er sich danach, uns diese kostbaren Dinge zu vermitteln!
Wer könnte sich nicht an solch großzügiger Freigebigkeit erfreuen? So finden wir, dass Ruth davon profitiert: „Sie aß und wurde satt und ließ übrg.“ Hier ist eine Steigerung zu erkennen: Sie aß, aber sie aß vielleicht nur das, was den Hunger ein wenig stillte. Sie wurde gesättigt: ihr ganzer Hunger wurde gestillt und sie wollte nicht mehr. Das hätte auf die Genügsamkeit für ihren individuellen Fall hingedeutet, aber über ihr Bedürfnis hinaus gab es eine Genügsamkeit für die Bedürfnisse der anderen; sie ging.
Wir werden wieder an die Menschenmenge erinnert, die von unserem Herrn gespeist wurde, von dem es heißt: „Sie aßen alle und wurden satt und hoben auf von den Resten, die übrig blieben, zwölf Körbe voll“ (Mt 14,20). Das ist der Weg der Gnade; es gibt immer eine Fülle, die unser Bedürfnis übersteigt, wie groß es auch sein mag.
Dennoch wird sie von der Freundlichkeit des Boas weiter begleitet, ohne dass sie es merkt. Er befiehlt seinen Dienern, sie ohne ihr Vorwürfe zu machen, auch weiter sammeln zu lassen, wo sie will, sogar zwischen den Garben.
Der natürliche Gedanke für eine Sammlerin wäre, sich von den Schnittern fernzuhalten. Sie würde nur den Boden nachlesen, auf dem sie bereits gewesen waren und von dem alle Garben eingesammelt worden waren. Es würde wie eine Anmaßung aussehen, wenn eine Sammlerin ihnen zu nahe folgen würde, eine Anmaßung, die sehr wahrscheinlich auf eine scharfe Zurechtweisung treffen würde. Aber all das wird vorweggenommen und abgewehrt. Sie soll gehen, wohin sie will, sogar zwischen die Garben, und Weizen sammeln, der kaum noch als übrig geblieben betrachtet werden kann.
Wie sehr gleicht dies der Gnade. Es gibt keine harte Grenze, hinter der sich die bedürftigen Suchenden halten müssen, weil sie sich fürchten, sich zu nähern, damit sie nicht irgendeinen Trost aufheben, der nicht für sie bestimmt ist. Lasst die Schnitter dies bedenken, wenn sie versuchen, die suchenden Seelen zu prüfen. Lasst sie nachlesen: Es gibt keine Grenze. Das ganze Feld der Gnade liegt vor ihnen, das ganze Wort Gottes, durch das sie nach Belieben nach allem jagen können, was sie bekommen können. Alle wahre Nahrung ist für sie, alles, was sie finden können.
Was für ein kostbarer Gedanke ist es, dass wir die Seele einladen können, das ganze Wort Gottes zu durchsuchen und sich alles zu eigen zu machen, was sie dort findet. Gewiss gibt es Schriftstellen, die sich auf Israel beziehen, und andere, die sich auf die Kirche beziehen, aber wo immer man Christus als Nahrung für seine Seele findet, ist man Ihm willkommen.
Eine unsichere Person mag sagen: „Das ist eine kostbare Sache, die ich gefunden habe, aber sie gilt für Gläubige, und ich bin nicht sicher, ob ich das bin.“ Ah, sammle, wo du willst, auch wenn es unter den Garben ist: es ist keine Anmaßung. Ein Glaube, der sammelt, ist ein Glaube, der das Recht hat, sich etwas anzueignen.
Mehr noch, wohl wissend um ihre Not und ihren möglichen Widerwillen, beauftragt Boas seine Männer, absichtlich einige Handvoll Getreide für sie fallen zu lassen. Das ist sehr schön und zeigt den liebevollen Gedanken unseres Herrn. Haben wir nicht genau solch eine Handvoll Trost gefunden, ohne zu ahnen, woher sie kam? Wir haben eine kostbare Gewissheit gefunden, eine Aussicht auf Gottes Liebe und Gnade. Wir sagen, wir haben es gefunden, aber es wurde absichtlich für uns fallen gelassen.
Das Wort Gottes ist voll von solchen Handvoll Gnade, die absichtlich für die bedürftige Seele hinterlassen wurden. Wie manches Wort hat seine Segensbotschaft gebracht, die scheinbar fast zufällig hinterlassen wurde. Er konnte nicht verborgen bleiben, denn eine gewisse Frau“ hatte ein Bedürfnis, das nur Er stillen konnte.
Man könnte sagen, dass das Wort „denn“ absichtlich für alle die gilt, die auch nur im Geringsten daran zweifeln, dass der Herr die Bereitschaft hat, zu segnen. „Geht und sagt es meinen Jüngern und Petrus“ (Mk 16,7). Auffallen ist doch diese Ergänzung, weil der auferstandene Herr wusste, wie Petrus Seine Ermutigung brauchte!
Warum finden sich so schöne Bilder des Evangeliums über die alttestamentliche Geschichte verstreut, zwischen den Anklagen der Propheten, eingeschlossen in eine levitische Verordnung, wenn nicht der Herr aller Gnade diese für den zaghaften Sammler absichtlich fallen ließ?
Der Historiker mag sagen, die Bibel sei ein unbefriedigendes Buch, weil sie nicht so vollständig erzählt, wie es seine Neugier befriedigen würde. Der Wissenschaftler sagt, sie sei nicht deutlich genug in den Dingen, über die er informiert zu werden wünscht. Aber wann hat der bedürftige Sammler jemals in seinen Seiten geblättert und nicht genau das richtige Wort für sich gefunden? Wie sehr zeigt es das Herz Gottes, dass Er von Anfang bis Ende seines Buches Hände voll Segen und Botschaften der Liebe und Gnade eingestreut hat.
Es ist auch kein knapp bemessener Vorrat: überall sind Hände voll verstreut, eine reichliche Versorgung. Wir werden immer wieder feststellen, dass die Menge nicht nach der Bereitstellung, sondern nach dem Glauben des Sammlers bemessen wird. Wie beim Manna hatte der, der viel sammelte, nichts übrig. Er sammelte nach seinem Bedarf. Auch bei einem höheren Bedarf, hätte der Vorrat nie erschöpft werden können.
Dürfen wir nicht eine Lektion für Diener und Dienst darin sehen, dass die Schnitter aus den Bündeln Ähren herausziehen und liegen lassen sollten? Weist das nicht darauf hin, dass es in jedem Dienst ein Wort für die Einfachsten und Ärmsten geben sollte? Wie hoch das Thema auch sein mag und wie groß die Bandbreite des Themas ist, das uns beschäftigt, es sollte immer Platz für das Herz Gottes sein, sich so auszudrücken. Das Evangelium wird unser ewiges Thema des Lobpreises sein. Weben wir es in alle Wahrheiten Gottes ein, die im Dienst an Seinem Volk verkündet werden. Es hält das eigene Herz frisch und zart, während manch ein müder Mensch die für ihn bestimmte Botschaft durch diese scheinbar zufällig herabfallenden Ähren einen Segen empfangen hat. Möge der Herr uns die Weisheit Seiner Liebe schenken.
So geht die Sammlerin weiter, bis die Sonne untergeht. Sied sammelt hier ein Körnchen und dort ein Büschel, mit schwankendem Erfolg, aber immer mehr für ihren Vorrat. Es scheint eine langsame und mühsame Arbeit zu sein; sie mag versucht sein, entmutigt zu werden, aber es ist alles ein Gewinn.
Endlich ist der Tag zu Ende, und sie sammelt ihren kleinen Vorrat ein und klopft ihn aus. Es war etwa ein Epha Gerste. Einem, der an Fülle und Überfluss gewöhnt war, schien es eine kleine Menge zu sein, aber nicht für die arme Sammlerin. Von wie viel mehr war es auch der Vorgeschmack. Aber davon träumt sie nicht einmal. Es ist genug, dass ihr gegenwärtiger Bedarf gedeckt ist.
Es ist eine Belehrung, dass sie das Korn, das sie aufgelesen hat, ausschlägt. Ihre Arbeit ist nicht beendet, wenn sie den ganzen Tag über das Feld gegangen ist. Sie muss nun das Korn herauslösen und zum Essen vorbereiten. In geistlichen Dingen ist zu befürchten, dass dieser Ausklopfvorgang zu oft vernachlässigt wird. Es reicht nicht aus, das Wort Gottes zu sammeln und intellektuell seine Bedeutung oder sogar seine Anwendbarkeit auf uns selbst zu erkennen. Wir müssen es uns praktisch zu eigen machen, es zu unserer Nahrung machen, damit wir es wirklich aufnehmen können. Wie viel Übung und Fleiß bedeutet das.
Es braucht kaum gesagt zu werden, dass das Wort Gottes keine Spreu in dem Sinne enthält, dass es etwas Wertloses in sich hat. Aber es muss sozusagen vom Allgemeinen ins Persönliche übertragen werden. Zum Beispiel muss dieser Fall von Ruth auf uns selbst angewendet werden. Man könnte all das, was wir hier zu lernen versuchen, sowohl wörtlich als auch geistlich verstehen und dennoch nichts davon für seine eigene Seele „herausschlagen“.
Es wird gesagt, dass der Faule nicht brät, was er auf der Jagd erbeutet hat. Er mag sehr eifrig die Felder nach Wild durchkämmen, und wenn er es gefangen hat, ist sein Interesse erloschen und sein Hunger ungestillt. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Jäger auf uns den Eindruck macht, ein Faulpelz zu sein: Es erfordert beträchtliche Energie, aufs Feld zu gehen und den ganzen Tag auf der Suche nach Wild zu verbringen. Und doch nennt die Schrift einen Mann einen Faulpelz, wenn er das, was ihn so viel Mühe gekostet hat, nicht nutzt. Er bekommt keine Nahrung, und wie Esau kehrt er von der Jagd entkräftet vor Hunger zurück und ist bereit, sein Erstgeburtsrecht für jeden Bissen zu verkaufen, der sich ihm bietet.
Dieses Ausklopfen bedeutet viel Gebet und viel Andacht. Es ist keine Sache, die man leichtfertig übergehen oder als selbstverständlich hinnehmen sollte. Wie viele Eindrücke, ganz zu schweigen von der Kenntnis des Wortes Gottes, vergehen wie die Morgenwolke und der frühe Tau, einfach weil ihnen nicht die hier vorgeschlagene Seelenübung folgt.
So verlassen wir Ruth mit ihrem kleinen Maß an Segen, zweifellos ohne zu ahnen, wie viel ihr noch zuteil werden sollte und wie der gegenwärtige Segen ein Unterpfand für mehr und Größeres war. So, wie der Herr begonnen hat zu geben, wird er fortfahren, bis sich die Fülle unserer Freude in der Fülle der Anbetung ausdrücken wird.