Gedanken über das Johannesevangelium
Auslegung: "Ich werde euch wieder sehen"
„Eine kleine Zeit, und ihr schaut mich nicht mehr, und wieder eine kleine Zeit, und ihr werdet mich sehen, weil ich zum Vater hingehe.
Einige von seinen Jüngern sprachen nun zueinander: Was ist dies, was er zu uns sagt: Eine kleine Zeit, und ihr schaut mich nicht, und wieder eine kleine Zeit, und ihr werdet mich sehen, und: Weil ich zum Vater hingehe? Da sprachen sie: Was ist das für eine kleine Zeit, wovon er redet? Wir wissen nicht, was er sagt. Jesus erkannte, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Darüber fragt ihr euch untereinander, dass ich sagte: Eine kleine Zeit, und ihr schaut mich nicht, und wieder eine kleine Zeit, und ihr werdet mich sehen? Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass ihr weinen und wehklagen werdet, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, aber eure Traurigkeit wird zur Freude werden. Die Frau, wenn sie gebiert, hat Traurigkeit, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Bedrängnis um der Freude willen, dass ein Mensch in die Welt geboren ist. Auch ihr nun habt jetzt zwar Traurigkeit; aber ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude nimmt niemand von euch.
Und an jenem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Um was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird er euch geben. Bis jetzt habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, und ihr werdet empfangen, damit eure Freude völlig sei. Dies habe ich in Gleichnissen zu euch geredet; es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Gleichnissen zu euch reden, sondern euch offen von dem Vater verkündigen werde. An jenem Tag werdet ihr bitten in meinem Namen, und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; denn der Vater selbst hat euch lieb, weil ihr mich lieb gehabt und geglaubt habt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin von dem Vater ausgegangen und bin in die Welt gekommen; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater.
Seine Jünger sprechen zu ihm: Siehe, jetzt redest du offen und sprichst kein Gleichnis; jetzt wissen wir, dass du alles weißt und nicht nötig hast, dass dich jemand fragt; darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist. Jesus antwortete ihnen: Glaubt ihr jetzt? Siehe, die Stunde kommt und ist gekommen, dass ihr zerstreut werdet, jeder in das Seine, und mich allein lasst; und ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Dies habe ich zu euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Bedrängnis; aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden“ (Joh 16,16–33).
Der Ausdruck „kurze Zeit“ kommt in diesen Versen sieben Mal vor. Diese „kurze Zeit“ hat in Wirklichkeit schon ca. 2000 Jahre gedauert. Der Herr hat Seine Jünger nicht getäuscht, als Er diesen Begriff benutzte, denn Er sah sie, und sie Ihn nach nur drei Tagen. Er verbrachte vierzig Tage mit ihnen nach Seiner Auferstehung. Das war jedoch nur eine kleine Unterbrechung in der kurzen Zeit. Die Jünger waren traurig, als Jesus sie auf dem Weg des Kreuzes verließ. Aber später waren sie froh, als Er sie auf dem Weg der Wolke verließ, denn wir lesen in Lukas 24,52, dass sie mit großer Freude nach Jerusalem zurückkehrten. Bevor Er auffuhr, sagte Er ihnen, dass Er immer bei ihnen sein würde (Mt 28,20). Sie hatten gelernt, dass Er ewig bei den Seinen im Geist bleibt. Christen können heute hier unten froh sein und sind es auch, obwohl ihr Herr in der Herrlichkeit ist. Es ist nur eine kurze Zeit, dass Er abwesend ist, denn so versichert Er uns:
„Denn noch eine ganz kleine Zeit, und „der Kommende wird kommen und nicht ausbleiben“ (Heb 10,37).
Es ist schön hier in Johannes 16 zu lesen, wie unser Herr die Seinen im Hinblick auf Seinen Weggang tröstet. Er erinnert sie daran, was das Kreuz sie kosten wird, und lässt in völliger Selbstverleugnung aus, was es Ihn kosten wird. In diesen Stunden, die für Ihn mit tiefstem Kummer verbunden sind, denkt Er dennoch an sie und tröstet sie. Er versucht, den Schmerz zu lindern, den sie empfinden werden, wenn sie Ihn verlieren. Sie werden leiden, und das umso mehr, als die Welt sich freuen wird, dass er fort ist. Was für ein ernster Gedanke – eine Welt, die sich freut, weil Christus nicht mehr da ist! Wie kann ein Gläubiger Gemeinschaft mit einer Welt haben, die sich über die Abwesenheit von Christus freut?
Seine angekündigte Abwesenheit sollte für sie ein echter Kummer sein. Deshalb tröstet Er sie mit den Worten, dass er sie wiedersehen werde. Diese Freude würde ihnen niemand nehmen. Unser Herr vergleicht hier die kurze Zeit, in der sie traurig und schweren Herzens waren. Aber nachdem Er sie wiedergesehen hatte, freute sich ihr Herz, und diese Freude hat kein Mensch dem Volk Gottes jemals genommen. Denn wir, obwohl wir den Herrn nicht gesehen haben, freuen uns doch mit unaussprechlicher Freude und voller Herrlichkeit. Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. Und wie Er den zwölf Jüngern versprach, so sagt er zu uns: „Ich werde euch wiedersehen.“
„Ihr werdet mich nicht sehen“, sagt Er in Vers 19, „und wieder, eine kurze Zeit, und ihr werdet ...“. Er legt die Betonung auf die Tatsache Seiner, Wiederkunft. So wie eine Mutter, die von ihrem Kind auf frischer Tat ertappt wird, als es sich auf eine Besorgung hinausschleicht, das Kind tröstet und es ermahnt, ruhig zu Hause zu bleiben, indem sie nicht auf die Dauer ihrer Abwesenheit hinweist, sondern auf ihre Rückkehr. „Sei lieb“, sagt sie dem Kind, „ich bin bald wieder da.“ Wir winken heute Freunden zum Abschied und verwenden dieselbe vertraute Formulierung: „Auf Wiedersehen!“ Unser Herr verabschiedete sich von seinen eigenen Lieben mit genau diesen Worten (Vers 22).
- „Eine kurze Zeit“ ist der Augenblick Seiner Abwesenheit, denn Er kann jeden Moment wiederkommen.
- „Eine kurze Zeit“ und unser Kummer wird in Freude verwandelt werden.
- „Eine kurze Zeit“ und wir werden unsere Hoffnung verwirklichen, bei Ihm zu sein, Sein Angesicht zu sehen.
Dreimal werden die Worte „mich nicht sehen“ und „mich sehen“ in den Versen 16, 17 und 19 verwendet. Es handelt sich dabei um zwei verschiedene griechische Wörter -oreo und hora- und sie stehen jedes Mal in der gleichen Reihenfolge:
- Das erste Wort bedeutet, zu betrachten, sorgfältig im Detail zu suchen;
- das zweite Wort hat meint, die Bedeutung zu erfassen, zu wissen.
Das deutet darauf hin, dass das Volk des Herrn, wenn es Ihn wiedersieht, alles vollständig wissen wird. Jetzt sehen wir, wie Paulus in 1. Korinther 13 sagt, nur wie durch ein dunkles Glas, dann aber von Angesicht zu Angesicht; jetzt wissen wir teilweise, dann aber werden wir wissen, wie auch wir erkannt werden. Dann werden alle Nebel gelichtet werden, und wir werden wirklich verstehen. Es ist dieser Tag, auf den der Herr seine Jünger blicken lässt, wenn er ihnen sagt: „Ich werde euch wiedersehen.“
Sie wollten Ihn um eine Erklärung bitten, doch sie zögerten. Denn sie spürten bereits, dass etwas geschehen würde, das Ihn scheinbar außer Reichweite bringen würde. Je näher der Herr dem Ende Seiner Reise kam, desto mehr sprach Er davon, zum Vater zu gehen. Der Gedanke an die Heimat war für unseren gesegneten Herrn schön, genauso wie für uns. Und es war nicht das Haus, das unseren Herrn anzog, sondern Er, der dort wohnte.
Auch wir freuen uns darauf, bei Christus, unserem Herrn und Geliebten, zu sein. Zuerst waren die Jünger verwirrt – siehe die folgenden Schriftstellen –, aber als der Herr zur Herrlichkeit auffuhr und der Heilige Geist kam, wurden ihre Augen geöffnet und sie verstanden.
„Jetzt wisst ihr es nicht“:
„Verwundere dich nicht, dass ich dir sagte: Ihr müsst von neuem geboren werden“ (Joh 3,7).
„Niemand wusste.... Denn einige von ihnen dachten ...“:
„Keiner aber von den zu Tisch Liegenden verstand, wozu er ihm dies sagte. Denn einige meinten, weil Judas die Kasse hatte, dass Jesus zu ihm sage: Kaufe, was wir für das Fest nötig haben, oder dass er den Armen etwas geben solle“ (Joh 13,28.29).
„Herr, wohin gehst du?“:
„Simon Petrus spricht zu ihm: Herr, wohin gehst du? Jesus antwortete ihm: Wohin ich gehe, dahin kannst du mir jetzt nicht folgen; du wirst mir aber später folgen“ (Joh 13,36).
„Wir wissen nicht, wohin du gehst“:
„Thomas spricht zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst, und wie können wir den Weg wissen?“ (Joh 14,5).
„Hast du mich nicht erkannt, Philippus?“:
„Jesus spricht zu ihm: So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen, und wie sagst du: Zeige uns den Vater?“ (Joh 14,9).
„An jenem Tag werdet ihr es wissen“:
„An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch“ (Joh 14,20).
„Wir können nicht sagen, was er sagt“
„Da sprachen sie: Was ist das für eine kleine Zeit, wovon er redet? Wir wissen nicht, was er sagt“ (Joh 16,18).
Sie waren begierig, ihn zu fragen:
„Jesus erkannte, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Darüber fragt ihr euch untereinander, dass ich sagte: Eine kleine Zeit, und ihr schaut mich nicht, und wieder eine kleine Zeit, und ihr werdet mich sehen?“ (Joh 16,19).
Das Wort für bitten bedeutet, einen Gleichen zu bitten. Es ist das Wort, das unser Herr immer benutzte, wenn Er sich an den Vater wandte. Es wird von den Jüngern verwendet, wenn sie den Herrn um etwas baten – als Menschen von einem Menschen. Aber wenn der Herr davon spricht, dass sich die Jünger an den Vater wenden, verwendet Er ein anderes Wort, das das Bitten eines Unterlegenen von einem Überlegenen bedeutet. So sagt Er in Vers 23: „An jenem Tag werdet ihr mich um nichts bitten.“
Warum nicht? Weil wir als Seine Braut sozusagen auf einer Ebene der Gleichheit mit Ihm sind. Aber in der Zwischenzeit sind wir die Kinder des Vaters, unter der Regierung des Vaters; wir bitten Ihn als Kinder, an der Stelle der Unterordnung. In den Versen 26 und 27 versichert unser Herr den Seinen, dass Er nicht für sie zum Vater betet, sondern dass Christen direkt zum Vater beten können, der diejenigen liebt, die Christus lieben und geglaubt haben, dass Er von Gott ausgegangen ist. Wir haben das Privileg, jederzeit direkten Zugang zu Gott, unserem Vater, zu haben.
So verließ der Herr seine Jünger mit diesen aufmunternden Worten: „Ich werde euch wiedersehen.“ Lasst uns wie Menschen leben, die auf ihren Herrn warten, der kommen wird.
„Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, wie er rein ist“ (1. Joh 3,3).