Vorträge über die Stiftshütte

Vortrag 11: Die Bundeslade

2. Mose 37,1–9

Einleitung

Vor uns steht nun das vollendete Gebäude mitsamt seinem Vorhang am Eingang und dem Scheidevorhang zum Allerheiligsten. Als nächstes betrachten wir die Lade mit ihrem Deckel. Ihr Platz war im innersten des Heiligtums.

Abbildung 2: Die Bundeslade

2,5 Ellen lang, 1,5 Ellen breit, 1,5 Ellen hoch

Die Cherubim wurden nach der Beschreibung der „lebendigen Wesen“ in Hesekiel 1 gezeichnet, die in Hesekiel 10,15.20 auch Cherubim genannt werden. Die Dekoration besteht aus den Blättern, Blüten und Früchten des Mandelbaums.

Die Bundeslade war ein Kasten oder eine Truhe aus Akazienholz: Zweieinhalb Ellen lang, eineinhalb Ellen breit, und eineinhalb Ellen hoch. Von innen wie von außen war sie mit Gold überzogen, so dass nichts als Gold zu sehen war. Ihre Oberseite war rundherum von einem goldenen Kranz gesäumt und an den vier Ecken waren vier goldene Ringe, auf jeder Seite zwei. Durch diese liefen zwei Stäbe aus Akazienholz, die ebenfalls mit Gold überzogen waren. Niemals durften sie von der Lade entfernt werden. Auf der Oberseite der Lade war ein Deckel aus reinem Gold, an dessen beiden Enden aus demselben Stück Gold jeweils ein Cherub getrieben war. Dieser Deckel wurde Sühndeckel genannt und wird uns im nächsten Kapitel beschäftigen.

In die Lade wurde das „Zeugnis“ gelegt, die zwei Gesetzestafeln. Wie wir aus Hebräer 9,4 lernen, war dort außerdem „der goldene Krug, der das Manna enthielt, und der Stab Aarons, der gesprosst hatte“.

Die Maße der Lade – Vollkommenheiten Christi, die wir nur stückweise erkennen

Mit der Bedeutung des Akazienholzes und des Goldes sind wir bereits vertraut – sie sprechen von der vollkommenen Menschheit und Gottheit des Herrn Jesus. Schauen wir daher, was wir aus den Abmessungen der Bundeslade lernen können. Wenn wir uns dieser Sache nähern, wollen wir es nicht im Geist Ussas tun, der meinte, die Lade bedürfe seiner stützenden Hand (2. Sam 6,6-7), auch nicht im Geist der Leute von Beth-Semes, die hineinschauten und wegen ihrer Unehrerbietigkeit geschlagen wurden (1. Sam 6,19), sondern so wie es die Haltung der Cherubim andeutet – in Gottesfurcht und mit Anbetung.

Deuten die halben Ellen vielleicht an (wie bereits in Kapitel IX nahegelegt wurde), dass die uns gegebene Erkenntnis Christi nur Stückwerk ist? „Wir erkennen stückweise“ (1. Kor 13,9). Niemand als nur der Vater kann den Sohn völlig erkennen (Mt 11,27). Und je tiefer die Erkenntnis seiner Person ist, umso eher wird jemand zugeben, um es mit der Sprache der Königin von Scheba auszudrücken: „Das Wort ist Wahrheit gewesen, das ich […] gehört habe […] und siehe, nicht die Hälfte ist mir berichtet worden“ (1. Kön 10,6-7). Daher ist unser wunderbarer Herr, wenn wir es so sagen dürfen, in einem reduzierten Maßstab abgebildet worden, sodass wir mit unserem endlichen Denken etwas erfassen können von der wunderbaren Fülle dessen, der den Verstand übersteigt.

Aber wenn der Maßstab in mancher Hinsicht reduziert wurde, so bleiben andererseits die betroffenen Wahrheiten doch unverfälscht erhalten, denn die Lehren, die wir aus den Längenverhältnissen ziehen können, sind die gleichen, die wir auch bei verdoppelten Maßen hätten. Die Bretter des Zeltes hatten eine Höhe von 10 Ellen, und wir haben gesehen, dass darin eine besondere Belehrung liegt: Zehn ist die Zahl der Verantwortung und Christus hat dieser Verantwortung völlig entsprochen. Mit dieser Maßangabe ist die Höhe des Zeltes festgelegt. Wäre die Lade doppelt so groß gewesen wie angegeben, hätte sie in einem deutlichen Missverhältnis zum Zelt gestanden. Aber wenn alle Maße auf die Hälfte reduziert sind, haben wir zwar einen kleineren Maßstab, aber dieselben Seitenverhältnisse. Wenn wir an die zweifachen Maße denken, so sind es 5 x 3 x 3 Ellen anstelle von x x Ellen. Wir wollen deshalb der Bedeutung dieser Zahlen weiter nachgehen.

Die Zahl Fünf setzt sich, wie wir gesehen haben, aus Vier und Eins zusammen, wobei Vier die Zahl des Geschöpfes ist, und Eins die Zahl des Schöpfers. Christus, unser Herr, hat beides zusammengeführt und in seiner Person vereint. Er ist Mensch und Er ist Gott. Wenn wir die Zahl Fünf als Zusammensetzung von Drei und Zwei betrachten, kommen wir aus einem anderen Blickwinkel auf einen ähnlichen Gedanken. Drei ist die Zahl der vollen göttlichen Offenbarung, die Zahl der Dreieinheit: Die Gottheit besteht aus drei göttlichen Personen. Unser Herr verkörperte die Gottheit: „In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (Kol 2,9). Die Zahl Zwei spricht dagegen von der Erlösung durch seinen Tod. So haben wir in seiner gepriesenen und vollkommenen Person die Fülle der Gottheit und die Erlösung für immer vereint. Wie wir es auch nehmen, die Zahl Fünf spricht von dem, der Sohn Gottes und Sohn des Menschen in einer Person ist.

Die Lade war ebenso breit wie hoch. Ebenso war göttliche „Gleichheit“ in unserem Herrn als dem vollkommenen Offenbarer alles dessen, was Gott ist. Jede Eigenschaft Gottes stellte Er stets und völlig dar – Gerechtigkeit und Liebe, Heiligkeit und Gnade, Weisheit und Macht. Und diese göttlichen Eigenschaften standen mit solchen in Verbindung, die von Ihm als dem Menschgewordenen sprechen. Drei ist auch die Zahl der Auferstehung und erinnert so daran, dass Er, in dem all diese Vollkommenheit besteht, der Auferstandene ist – der „allezeit lebt“ und erwiesen ist als „Sohn Gottes in Kraft“ (Röm 1,4). Wir werden durch diese zwei Zahlen also erinnert, dass wir es mit Gott zu tun haben, der im Fleisch offenbart worden ist.

Die Materialien der Lade – Knechtsgestalt, doch göttliche Natur

Wir bemerken als nächstes, dass die Lade von innen und außen mit Gold überzogen war. Während die Akazienbretter die Form und Größe der Lade bestimmten, war das Erscheinungsbild allein durch das Gold geprägt – kein Holz war zu sehen. So gab die Menschheit unseres Herrn Ihm die Form, in der Er war und ist. Als Licht und Liebe, als Schöpfer und Erhalter aller Dinge, wurde Er Mensch. Er wurde „der Mensch Christus Jesus“ und wird es ewig sein. Aber wie sehr wacht Gott darüber, dass wir keinen einzigen niedrigen Gedanken über Ihn haben, der doch selbst so niedrig gesinnt war wie kein anderer! Das Gold überdeckt alles. Sieh auf Ihn! Bestaune, insoweit es mit begrenztem Verstand und Herzen möglich ist, die Erhabenheit seines Wesens: Alles ist göttlich! Die göttliche Natur überdeckt hier die „Knechtsgestalt“. Wo auch immer das alles durchdringende Auge Gottes ruht, ob im Inneren seiner reinen und heiligen Gedanken, Zuneigungen und Wünsche, oder außerhalb in seinem makellosen Wandel in Sanftmut und Gehorsam – Gott betrachtet Ihn als seinesgleichen, als seinen ewigen Sohn – so ewig, wie Er selbst. Alles ist Gold, wenn auch in echter Knechtsgestalt mit vollkommen menschlichen Fähigkeiten und in vollkommener Abhängigkeit – mit allem, was zum Menschsein gehört, „ausgenommen die Sünde“ (Heb 4,15). Aber alles ist überzogen mit der Herrlichkeit seiner Gottheit. Und erblickt nicht genau das auch der Glaube?

Das lässt uns nachforschen, was wohl der vorrangige Zweck dieser Lade war. Die Beantwortung dieser Frage führt uns zu zwei großen Wahrheiten. Wir werden sie in der für uns natürlichen Reihenfolge behandeln, wenngleich sie wohl in Gottes Gedanken anders geordnet sind.

Der Inhalt der Lade – Zeugen des Versagens des Volkes aber auch Schönheiten des Herrn

Die Gesetzestafeln

„In jener Zeit sprach der Herr zu mir: Haue dir zwei steinerne Tafeln aus, wie die ersten, und steige zu mir herauf auf den Berg; und mache dir eine Lade aus Holz; und ich werde auf die Tafeln die Worte schreiben, die auf den ersten Tafeln waren, die du zerbrochen hast; und du sollst sie in die Lade legen. Und ich machte eine Lade aus Akazienholz und […] legte die Tafeln in die Lade, die ich gemacht hatte; und sie sind dort, wie der Herr mir geboten hat“ (5. Mo 10,1-5).

Dieser Abschnitt ist interessant, weil er den Charakter der Erzählung im fünften Buch Mose zeigt und die Vollkommenheit der Schrift illustriert, sowie die Genauigkeit der Inspiration, und auch, wie verschiedene Linien der Wahrheit zusammenlaufen. Beim Durchlesen dieses Abschnitts würden wir eigentlich nicht an die Stiftshütte denken, noch an eine goldüberzogene Lade mit einem Sühndeckel und Cherubim aus Gold. Und doch kann es keinen Zweifel geben, dass hier die „Lade des Zeugnisses“ gemeint ist, die wir gerade untersuchen. Mose überschaute hier in 5. Mose durch den Geist Gottes rückblickend die vergangenen Wege des Volkes und die Wege Gottes mit diesem Volk. Die Schrift enthält nie bloße Wiederholungen, selbst wo derselbe Abschnitt nochmals wiedergegeben wird. Das erklärt die Freiheit, mit der manchmal Worte und Satzteile ausgetauscht werden, wenn das Neue Testament aus dem Alten zitiert. Der Geist hat ein Ziel im Auge und kann, ohne der vorherigen Bedeutung des Abschnitts Gewalt anzutun, neues Licht darauf werfen. Oder Er lässt alles aus, bis auf das, was uns in göttlicher Weisheit im jeweiligen Zusammenhang vorgestellt werden soll.

Hier erzählt Mose (sehr ähnlich wie in den Psalm 78,105 und 106) auf welche Weise Gott sie geleitet und umsorgt hat, und wie sie selbst völlig versagt hatten. Seine Absicht war dabei, Gott zu verherrlichen und im Volk echte Demut hervorzubringen, um so wahre Abhängigkeit und wahren Gehorsam zu bewirken. Das vorhergehende Kapitel hatte sie an die Sünde des goldenen Kalbes erinnert, und daran, wie infolgedessen die ersten Gesetzestafeln zerbrochen worden waren. Gott in seiner Gnade stellte ein Paar neuer Gesetzestafeln bereit. Aber wie sollten diese neuen Tafeln, mit denselben heiligen Forderungen und Verboten versehen wie die ersten, etwas anderes als ein Fluch sein für das hartnäckige und widerspenstige Volk? Ach, diese Tafeln hätten sicher – „unzerbrochen“ – in dem Zelt jedes Israeliten sein sollen. Aber das war nicht der Fall: Eine eigene Truhe musste für sie hergestellt werden. Und so spricht Mose von der Lade aus Akazienholz. Jeder Israelit kannte diese Lade und wusste von ihrem Überzug aus Gold, ihrem Sühndeckel und den Cherubim, sodass niemand in die Irre geleitet werden konnte, selbst wenn Mose diese Einzelheiten ausließ. Das, woran Mose sie hier erinnern wollte, war die Notwendigkeit einer Truhe zum Schutz des Gesetzes und dass es besonderer Hüter bedurfte, die diese Truhe trugen (5. Mo 10,8). All das musste ihnen die Heiligkeit des Gesetzes und die Notwendigkeit absoluten Gehorsams vor Augen führen – und, können wir nicht auch sagen, ihre Schuld und Hilflosigkeit? Gott musste einen Aufbewahrungsort für das bereitstellen, was in ihren eigenen Herzen hätte aufbewahrt sein sollen.

All das steht in wunderbarem Einklang mit der Bedeutung des Akazienholzes, das hier ja Erwähnung findet, während das Gold ausgelassen wird. Da war ein ungehorsames und widerspenstiges Volk, dem Gottes vollkommenes Gesetz nicht anvertraut werden konnte. Er musste es entweder richten oder aber in Gnaden das bereitstellen, was bildlich gesprochen damit betraut werden konnte. Wo konnte so jemand zu finden sein? Gerade auf jenem Wüstenschauplatz, wo das Volk versagt hatte, wo selbst sein Führer Mose nur eingestehen konnte, dass die Hand Gottes der Sünde wegen auf ihnen allen lag (5. Mo 2,15) – wegen der Sünde, die bis auf Adam zurückreichte – stellt Gott uns den Zweiten Menschen vor (siehe Psalm 90 und 91). Von Ihm spricht das Akazienholz: von einem, der in allen Umständen, in denen das Volk versagt hatte, weit größeren Prüfungen ausgesetzt war als sie je durchleben mussten; von einem, der das Gesetz Gottes vollkommen in seinem Herzen bewahrte. Er war Mensch, aber unendlich viel mehr als ein Mensch. Er wurde versucht, erprobt, wurde allem unterworfen, was überhaupt über einen Menschen kommen kann, und in alledem wich sein Herz nie von der völligen Freude an Gottes Gesetz, noch sein Handeln vom völligen Gehorsam diesem Gesetz gegenüber. Angesichts der völligen Untauglichkeit der levitischen Opfer, Sünden wegzunehmen, sagt Er deshalb: „Siehe, ich komme; in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben. Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Ps 40,8-9). Der Mensch mag aus Gewohnheit, aufgrund eines Vorbilds, aus Eigennutz, und selbst aus einer gewissen inneren Neigung heraus einige der Gebote rein äußerlich halten. Aber niemand, der nicht wiedergeboren ist, könnte je sagen, dass er Wohlgefallen daran hat, den Willen Gottes zu tun. Sobald sein eigener Wille dem Willen Gottes entgegensteht, lehnt er sich gegen Gott auf – „weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft ist gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Röm 8,7). Es gab deshalb keinen anderen Aufbewahrungsort für das Gesetz Gottes als nur die Lade Gottes – Ihn, der sagen konnte: „Ich bin vom Himmel herabgekommen, nicht um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 6,38), und: „Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat“ (Joh 4,34).

Es wird manchmal gelehrt, dass Christi Gehorsam gegenüber dem Gesetz uns anstelle unseres eigenen Gehorsams zugerechnet worden sei. Dem widerspricht Galater 4,5, wo es heißt, dass seine Fleischwerdung und sein gesetzlicher Gehorsam den Zweck hatten, dass Er „die, die unter Gesetz waren, loskaufte“. Und wie das geschehen ist, lesen wird ein Kapitel zuvor: „Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist (denn es steht geschrieben: ‚Verflucht ist jeder, der am Holz hängt!‘)“ (Gal 3,13). Er hätte nicht als Stellvertreter das Urteil des gebrochenen Gesetzes tragen können, wenn Er es nicht selbst in seinem eigenen Herzen vollkommen gehalten hätte. Aber seine Gesetzestreue macht die Gesetztesübertretungen des Menschen nicht ungeschehen. Es war daher nötig, dass Er am Kreuz den uns zustehenden Fluch trug.

Wir kehren für einen Augenblick zum Gedanken des im Herzen Christi verwahrten Gesetzes zurück. Als der Herr Jesus noch ein Baby war, wurde das Gesetz schon unter seiner göttlichen Aufsicht für Ihn eingehalten: Der Eine, der nie ein Opfer zur Reinigung nötig hatte, wurde von seinen Eltern in den Tempel gebracht, „um mit ihm nach der Gewohnheit des Gesetzes zu tun“ (Lk 2,27). Und zwölf Jahre danach wurde Er nach der Weise der Juden wiederum in den Tempel gebracht, um Gott dargestellt zu werden. Aber wie weit geht Er über all das hinaus, wenn Er ihnen sagt: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“ Und so war es während seines ganzen Lebens. Sie mochten Ihn anklagen, „die Überlieferung der Ältesten“ zu brechen, aber nie konnten sie Ihm in Wahrheit die geringste Verletzung eines Gebotes Gottes vorwerfen. So antwortet Er im Bewusstsein vollkommener Rechtschaffenheit: „Und warum übertretet ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen?“ (Mt 15,3). Er konnte fragen: „Wer von euch überführt mich der Sünde?“ (Joh 8,46), und verkünden, dass Er „allezeit das ihm Wohlgefällige“ tue (Joh 8,29). Die Juden hatten ihre eigenen Überlieferungen so sehr mit dem Sabbatgebot vermischt, dass sie nicht mehr dazwischen zu unterscheiden vermochten. Das brachte unseren Herrn oftmals mit ihnen in Konfrontation wegen angeblicher Verletzungen dieses Gebots. Aber Er zeigte auf, wie ihr angebliches Halten des Sabbats eine leere und leblose Sache war und im Widerspruch zum Grundprinzip göttlicher Ruhe stand: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer“ (Mt 12,7). Weder Satans Bosheit noch die des Menschen konnten bei Ihm je auch nur eine einzige Missachtung des heiligen Gesetzes ausfindig machen. Sein Herz war dessen erwählter Verwahrungsort.

Es kommt die Zeit, wenn Gott unter den Bestimmungen des Neuen Bundes der Gnade, der mit dem „Blut des ewigen Bundes“ versiegelt ist (Heb 13,20), endlich einen Ruheort für das Gesetz in den Herzen seines Volkes haben wird: „Indem ich meine Gesetze in ihren Sinn gebe, werde ich sie auch auf ihre Herzen schreiben; und ich werde ihnen zum Gott und sie werden mir zum Volk sein“ (Heb 8,10). Dann wird das Gesetz ihre Freude sein, und mit allen Worten, die sie finden können, werden sie dessen Vollkommenheit ausdrücken: „Wie liebe ich dein Gesetz! Es ist mein Sinnen den ganzen Tag“ (Ps 119,97). Aber dann ist es die Frucht der Gnade durch die Erlösung, die schon jetzt jedes wiedergeborene Herz genießt, weil es bereits heute Anteil an den Segnungen des Neuen Bundes hat. Aber wenn es von solchen auch heißt: „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde“ (1. Joh 3,9), so wird ihnen doch gleichzeitig gesagt: „Wenn jemand gesündigt hat – wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten“ (1. Joh 2,1). So sind in dem Glaubenden zwei Grundsätze, zwei Naturen – die alte und die neue: „Das Fleisch begehrt gegen den Geist, der Geist aber gegen das Fleisch; denn diese sind einander entgegengesetzt, damit ihr nicht das tut, was ihr wollt“ (Gal 5,17).

Darin besteht also selbst bei denen, die göttliche Gnade empfangen haben, ein Gegensatz zu unserem Herrn. Er ist der einzige, der in sich selbst überhaupt gar nichts hatte, was dem Gesetz Gottes zuwider war. Darin steht Er allein da als Gegenstand von Preis und Anbetung seitens all derer, die durch den Geist zu Teilhabern seiner vollkommenen Natur geworden sind. Er ist die einzige, die wahre Bundeslade.

Der Krug mit dem Manna

Aber neben den Tafeln des Gesetzes war in der Lade auch der goldene Krug mit dem Manna. Das Manna war die tägliche Speise des Volkes während der Wüstenreise. „Und die Tauschicht stieg auf, und siehe, da lag es auf der Fläche der Wüste fein, körnig, fein, wie der Reif auf der Erde […] und wenn die Sonne heiß wurde, zerschmolz es“ (2. Mo 16,14.21). Es war ausdrücklich verboten, etwas davon aufzubewahren. Es sollte täglich und nur für den Bedarf des jeweiligen Tages gesammelt werden. Trotzdem ließen manche etwas davon bis zum nächsten Morgen übrig und es verdarb: „Da wuchsen Würmer darin, und es wurde stinkend“ (2. Mo 16,20). Am Vortag des Sabbats aber sollten sie eine doppelte Ration sammeln – und es behielt auch am Tag der Ruhe noch seine Reinheit und Süße.

All das ist wunderbar und hat eine klare Bedeutung. In Johannes 6,32-33 bezeichnet unser Herr sich selbst als das wahre Manna: „Das Brot Gottes ist der, der aus dem Himmel herabkommt und der Welt das Leben gibt“. Der auf diese Welt herabgekommene Christus, der sich selbst in den Tod gegeben hat, ist für den Glaubenden sowohl Leben als auch die Erhaltung dieses Lebens durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes, dessen große Aufgabe es ist, Christus zu verherrlichen. Der Tau fiel herab, und wenn er verschwunden war, wurde das Manna sichtbar. Der Geist, auf den der Tau hindeutet, offenbart sich nicht selbst, sondern stellt Christus vor und verschwindet dann aus dem Blickfeld: „Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen“ (Joh 16,14).

Aber diese himmlische Speise ist überaus empfindlich. Sie bleibt nicht lange bestehen, wenn die Sonne aufgegangen ist und wenn die Verlockungen und Sorgen dieser Welt die Gedanken in Beschlag nehmen. Wenn Christus die Speise unserer Seelen sein soll, dann braucht es dieses frühe Sich-Aufmachen, das uns die Schrift so oft zeigt (1. Mo 22,3 etc.), diesen Herzensentschluss, der die natürliche Trägheit überwindet – „damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachahmer derer, die durch Glauben und Ausharren die Verheißungen erben“ (Heb 6,12). „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“ (Mt 6,33). Das muss Vorrang haben. Wo den Dingen Christi der erste Platz eingeräumt wird, wird es immer Nahrung und Unterhalt für die Seele geben. Aber wenn „die Sorge der Welt und der Betrug des Reichtums“ (Mt 13,22) Einzug halten, schmilzt das himmlische Manna dahin.

Geistliche Trägheit verhindert, dass das Manna gesammelt wird, geistliche Sparsamkeit, dass es bewahrt wird. So etwas wie einen Vorrat an Geistlichkeit gibt es nicht. Täglich müssen wir uns von Christus ernähren. Die Gnade von gestern wird für heute nicht genügen. Das entzieht der Lehre, man könne gewisse Stufen der Heiligkeit erwerben, jeden Boden. Wir haben in der Tat nur so viel von Christus, wie wir im jeweiligen Moment genießen. Niemals sollten wir in Selbstgefälligkeit auf vergangene Erfahrungen zurückblicken: Wenn wir es doch tun, wird die Verderbnis geistlichen Hochmuts rasch zutage treten. Gott weiß, dass Freude und Heiligkeit für uns allein in steter, gegenwärtiger Gemeinschaft mit dem Herrn liegen, und Er wird nicht zulassen, dass wir in der Vergangenheit schwelgen und dabei die Gegenwart außer Acht lassen.

Es wird jedoch eine Zeit kommen, in der wir gefahrlos zurückblicken können, und uns dabei von dem ernähren werden, der hier auf der Erde unsere Stütze war: „Du sollst dich an den ganzen Weg erinnern, den der Herr, dein Gott, dich hat wandern lassen diese vierzig Jahre […] Und er demütigte dich und […] speiste dich mit dem Man, das du nicht kanntest“ (5. Mo 8,2-3). In der Herrlichkeit werden die gesammelten Erfahrungen in unser Lob einfließen und es wird dann kein Stolz mehr aufkommen. Das wird in der Unverderblichkeit des Mannas für den Sabbat am Tag der Ruhe Gottes angedeutet, und es wird noch einmal durch den goldenen Krug unterstrichen, der mit einem Gomer Man befüllt wurde – einer Tagesration für eine Person. Man legte ihn „vor das Zeugnis nieder zur Aufbewahrung“ (2. Mo 16,32-34). Darauf bezieht sich die Verheißung, die dem Überwinder in Pergamos gemacht wird, und das ist sehr passend angesichts der Natur des Bösen, das dort zu überwinden ist: die Verführungen der Welt. „Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben“ (Off 2,17). Solche, die sich hier von der Welt abgewandt haben, um sich von Christus zu ernähren, werden den ganzen hier schon Tag für Tag genossenen Segen dort für sich aufbewahrt finden in einem verherrlichten Herrn.

Der goldene Krug scheint die göttliche Herrlichkeit dessen zu unterstreichen, der sich hier erniedrigt hat, um die Speise seines Volkes zu sein. Gerade in jener Erniedrigung blieb Er doch Gott, „der über allem ist“ (Röm 9,5). Aber Gott hat diese Niedrigkeit in die Herrlichkeit der Gottheit eingeschlossen: Er hat gewissermaßen die Form, in der Er hier erschienen ist, umgekehrt.

Das aufgehobene Manna scheint mehr mit himmlichen Freuden als mit der Zeit des Erdenlebens unseres Herrn in Verbindung zu stehen. Aber wir müssen bedenken, dass Er hier das Manna geworden ist, und dass die Vortrefflichkeit seines Wesens vor Gott offenbar war, der es immer wie in dem goldenen Krug gesehen hat. Die vollkommene Gnade Christi führt den Glauben schon jetzt zur Anbetung, während am Tag seiner Herrlichkeit „jedes Knie sich beugen“ wird (Phil 2,10).

Wir müssen nicht befürchten, dass irgendetwas, das wirklich von Christus ist, je verloren gehen könnte. Was unseren Herzen im Blick auf Ihn hier schon wertvoll geworden ist, werden wir dort wiederfinden und gemeinsam mit Ihm genießen. Eifern wir deshalb dem Vorbild des Apostels nach: „Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ (Phil 3,13-14). Und wenn wir „das Land“ erreichen und dann die göttliche Person erblicken, die uns in Niedrigkeit auf diesem Wüstenschauplatz mit dem „Brot der Starken“ genährt hat (Ps 78,25), werden wir wie Josua einst ausrufen, „dass nicht ein Wort hingefallen ist von all den guten Worten, die der Herr, euer Gott, über euch geredet hat“ (Jos 23,14).

Der Stab Aarons

Noch ein weiterer Gegenstand wurde in der Lade aufbewahrt: „Der Stab Aarons, der gesprosst hatte“ und der an eine ernste Episode aus der Geschichte des Volkes erinnert. In 4. Mose 16 lesen wir von Dathan und Abiram aus dem Stamm Ruben und von Korah aus dem Stamm Levi, wie sie sich gegen göttlich eingesetzte Autoritäten auflehnen: Gegen Mose als Führer und gegen Aaron als Priester. Es war ein gewaltiger Aufstand, 250 Fürsten des Volkes schlossen sich ihm an. Dathan und Abiram gehörtem zum Stamm Ruben. Ruben war der Erstgeborene und damit wäre seinen Nachkommen natürlicherweise die Führerschaft zugefallen. Aber das Natürliche, der Erstgeborene, muss hier, wie es die Schrift an vielen Stellen zeigt, dem Geistlichen weichen, dem von neuem Geborenen. Obwohl dem erstgeborenen Ruben „Vorzug an Hoheit und Vorzug an Macht“ gehörten, wird von ihm doch gesagt: „überwallend wie die Wasser, sollst du keinen Vorzug haben“ (1. Mo 49,3-4). Der erste Adam ist ein Beispiel dafür, direkt gefolgt von Kain, Esau und vielen anderen – die alle darauf hinweisen, dass der gefallene, unbeständige erste Mensch dem zweiten Menschen weichen muss, dem Einen, der vor Gott bestehen kann, und der für die schwächsten derer einsteht, die ihr Vertrauen auf Ihn setzen.

Dathan und Abiram wollten wohl ihr Vorrecht der Erstgeburt wieder geltend machen und ihre Auflehnung richtete sich in erster Linie gegen Mose als den Anführer. Aber Mose und Aaron können hier nicht voneinander getrennt werden, denn Christus, von dem sie ein Vorbild sind, ist sowohl König als auch Priester. So finden wir, wie Korah aus dem Stamm Levi sich mit den Söhnen Rubens verbindet. Korahs Auflehnung richtete sich in erster Linie gegen das Priestertum Aarons. Als Levit hatte er bereits besondere Vorrechte in Verbindung mit der Stiftshütte und den heiligen Geräten. Aber aus Neid gegenüber Aaron wollte er sich nun in das Priestertum hineindrängen. Im Vorbild entspricht das der Ablehnung des Sühnungswerkes Christi und seiner Ihm allein eigenen Nähe zu Gott – obwohl doch nur durch Ihn überhaupt jemand Gott nahen kann. Die Auflehnung war nicht gegen Menschen gerichtet, „denn Aaron, was ist Aaron, dass ihr gegen ihn murrt?“ (4. Mo 16,11). Sie richtete sich gegen die Autorität Gottes und seine gnädigen Vorkehrungen, durch welche die schuldige Nation Schonung erfahren hatte.

Die Menschen sprechen leichtfertig vom Sohn Gottes und seinem Sühnungswerk. Sie bestreiten, sein kostbares Blut nötig zu haben, das allein von aller Sünde reinigt. Darin liegt eine Wiederholung der Auflehnung Korahs, der Gipfelpunkt allen Übels: Es beginnt mit Kains Leugnung der Sünde, geht weiter in Bileams Vermischung des Gottesvolkes mit seinen Feinden, und erreicht seine volle Ausprägung in Korah. Der Geist Gottes fasst die Entstehung, das Wachstum und den Höhepunkt des Abfalls von der göttlichen Wahrheit mit folgenden Worten zusammen: „Wehe ihnen! Denn sie sind den Weg Kains gegangen und haben sich für Lohn dem Irrtum Bileams hingegeben, und in dem Widerspruch Korahs sind sie umgekommen“ (Judas 11). Aus der Sicht Gottes ist alles schon soweit. Unser Herr „schaute den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lk 10,18). Und Johannes hat in der Offenbarung über das Ende des Tieres und des falschen Propheten berichtet, die so deutlich den Söhnen Rubens auf der einen, und Korah als dem Antichristen auf der anderen Seite entsprechen: „Lebendig wurden die zwei in den Feuersee geworfen, der mit Schwefel brennt“ (Off 19,20).

Aber die schrecklichen Gerichte, die über die Führer verhängt wurden, „die gegen ihre Seele gesündigt“ hatten (4. Mo 17,3), sollten das Volk von solcherart Wahn und Torheit abschrecken. Es ist göttliche Liebe, die den Schleier über der Zukunft beiseiteschiebt und die Menschen weist, „dem kommenden Zorn zu entfliehen“ (Mt 3,7). Der Plage, die das Volk für seine Auflehnung traf, wurde durch die Räucherpfanne Aarons gewehrt, also gerade desjenigen, gegen den sie sich in ihrer Blindheit aufgelehnt hatten. Wie sehr gleicht Aaron im Vorbild doch dem, der trotz seiner Verwerfung durch die Volksmengen ebenso „zwischen den Toten und den Lebenden“ steht und den Zorn abwendet (4. Mo 17,12-13).

Gott aber wollte auch durch ein sichtbares Zeichen der Gnade die Priesterstellung Aarons sowie seine eigene Macht beweisen. Im weiteren Verlauf des Kapitels (4. Mo 17,16ff) tut Er das mit dem Stab Aarons. Jeder Stamm sollte einen Stab bringen, der den Namen seines Fürsten trug, und für Levi sollte es der Name Aarons sein. Der Stab dessen, den Gott erwählt hatte, sollte blühen. So konnte die ganze Frage der Priesterherrschaft endgültig geklärt werden. Indem Aarons Stab sprosste, Blüten trieb, und Mandeln zur Reife brachte, wurde er göttlich bestätigt. Nur in seinem Stab offenbarte sich die Kraft der Auferstehung. Gott hatte gesprochen.

All das spricht auf unmissverständliche Weise von dem wahren Priester, der göttlich ausgewiesen ist als der, dem allein das Recht und die Macht gehören, was in göttlichen Dingen immer miteinander einhergeht. Der Stab ist das Zeichen einer Herrschaft und Autorität, die in Gott ihre Quelle hat und in der Kraft des Lebens ausgeübt werden soll. Wer auch immer meint, Ansprüche geltend machen zu können, darf seinen Stab vorlegen – aber es sind tote Gegenstände, über die das Todesurteil bereits ergangen ist. Unter ihnen befindet sich der Stab dessen, der mit den Übrigen ebenfalls seinen Platz im Tod einnimmt – „abgeschnitten aus dem Land der Lebendigen“ (Jes 53,8). In seinem Fall steht Er allerdings nicht für sich selbst unter Strafe, sondern in Gnade als der Stellvertreter seines Volkes. Wer unter den Menschensöhnen hat seinen Stab mit irgendeinem Lebenszeichen wiedererhalten? Keiner als nur Er, in dem allein Leben war, und in dem allein keine Sünde war – „wie es denn nicht möglich war, dass er von ihm [dem Tod] festgehalten wurde“ (Apg 2,24). Er allein ist daher befähigt, als Priester vor Gott zu stehen. Das wird in Hebräer 7 hervorgehoben, wo unser Herr als derjenige betrachtet wird, der „Priester auf immerdar“ bleibt (Vers 3) „nach der Ordnung Melchisedeks“ und „von dem bezeugt wird, dass er lebe“ (Vers 8). Er ist daher Priester „nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens“ (Vers 16), woran uns das Sprossen, Aufblühen, und Fruchttragen des Stabes erinnert. Der Stab darf uns aber auch an die Herrschaft in Gerechtigkeit und Frieden erinnern, die in dem Priestertum unseres Herrn nach der Ordnung Melchisedeks zu sehen ist, der ein „König der Gerechtigkeit“ und „König des Friedens“ ist.

Aber noch mehr steht mit diesem wunderbaren „Stab, der gesprosst hatte“ in Verbindung. Es war ein Mandelstab. „Mandel“ bedeutet im Hebräischen „der Eilende“. Die Mandeln sind im Frühling die ersten, die Blüten tragen, wie denn auch Christus nicht bloß auferstand, sondern „der Erstling der Entschlafenen“ ist (1. Kor 15,20). Das bedeutet aber auch, dass es nachfolgende Früchte seiner Auferstehung gibt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“ (Joh 12,24). Durch Ihn bringt Gott „viele Söhne zur Herrlichkeit“ und auf diese gottgewirkte Frucht weisen die Mandeln hin. So lässt unser Herr seinen Jüngern nach seiner Auferstehung eine Botschaft zukommen, in der Er sie zum ersten Mal „Brüder“ nennt (Joh 20,17). Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen (Heb 2,11). Das ist die Frucht, nach der Er sich sehnte, und es ist die Erfüllung des Wortes des Propheten: „Von der Mühsal seiner Seele wird er Frucht sehen und sich sättigen“ (Jes 53,11). So sehen wir sein Volk auf ewig mit Ihm verbunden, um eines Tages zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade als Priester mit Ihm zu herrschen (Off 5,9-10).

Was ist das für eine unendlich gnädige göttliche Antwort auf den Unglauben, der gegen seine Vorrangstellung murrte! Er allein ist würdig, der für uns geschlagen wurde und nun „auf immerdar lebt“. Aus nichts als reiner Gnade sind wir dazu bestimmt, mit Ihm zu leben.

Zusammenfassung

Wir haben gesehen, dass die Lade zunächst als eine beständige Verwahrung für das Gesetz diente, sodann aber auch für den Krug mit dem Manna und den Stab Aarons, der gesprosst hatte. In Verbindung damit finden wir außerdem, wie das Buch des Gesetzes aufbewahrt wurde (5. Mo 31,26), um zum Zeugen gegen sie zu sein, wenn sie von Gott abwichen. Gottes Wort ist bloß die Ausdetaillierung seines Gesetzes, der allein unveränderliche Ausdruck seines Willens. Das Wort „Gesetz“ wird immer wieder für das ganze Wort Gottes verwendet (z.B. in Psalm 1,2). Im Herzen unseres Herrn war es heilig verwahrt. Er gab stets dem ganzen Wort Gottes die Ehre und sagte dazu: „Die Schrift kann nicht aufgelöst werden“ (Joh 10,35).

Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, dass jeder in die Stiftshütte gelegte Gegenstand ein Zeuge vom Versagen des Volkes war: Die Gesetzestafeln erinnerten an die Abtrünnigkeit durch das goldene Kalb, in deren Folge die ersten Tafeln zerbrochen wurden. Das Manna erinnerte sie an ihr Murren und ihren Unglauben. Und der Stab, der gesprosst hatte, rief die schreckliche Auflehnung Korahs gegen den Priester Gottes ins Gedächtnis. Aber wie spricht all das auch für uns eine so deutliche Sprache – ein gebrochenes Gesetz, Unglaube und Murren, sowie Stolz, der sich gegen Christus erhebt!

Doch gelobt sei sein Name! Diese Erinnerungen an Sünden sind aufs engste und ewig verbunden mit der gepriesenen Person, die uns gerade aus Anlass all dieses Übels Vergebung und Segen sicherstellt. Ein durch uns gebrochenes Gesetz hat in seinem Herzen ein ewiges Zuhause gefunden. Er hat das Gesetz groß und herrlich gemacht (Jes 42,21). Das Manna spricht von seiner Gnade trotz unseres Unglaubens, und der sprossende Stab ist das Sinnbild eines sanften Jochs und einer leichten Last. Bald, am Tag der Herrlichkeit, werden wir all das voll erkennen.

Der Kranz – Christus gekrönt

Dass ein Kranz die Oberseite dieser Lade säumt, ist nur angemessen! Er, für den die Menschen nur eine Dornenkrone übrig hatten, ist jetzt „mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (Heb 2,9). Auf die Lade von Akazienholz – den Menschen „Jesus“ – ist die Krone göttlicher Herrlichkeit gesetzt, denn Er ist zugleich eine göttliche Person.

Das war also der Kasten, der Israels höchste Schätze enthielt – den Bund ihrer Gottesbeziehung und das Zeugnis seiner Liebe und Fürsorge, deren Wirklichkeit für uns in Christus zu finden ist, „in dem verborgen sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kol 2,3)1 und in dem dieser „unergründliche Reichtum“ sicher verwahrt ist gegen alle Listen Satans und jede Schwachheit des Glaubenden. Völlige Rechtfertigung, göttliche Gnade für jeden Schritt unseres Weges und eine Lebensverbindung zu Ihm: Das sind die Schätze, die samt allen damit einhergehenden geistlichen Segnungen sicher für uns „in Christus“ verwahrt sind. Jetzt ist Er vor den Augen der Welt verborgen: „Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat“ (1. Joh 3,1). Unser Leben ist „verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kol 3,3). Was für ein Tag wird es sein, wenn Gott den „überragenden Reichtum seiner Gnade“ (Eph 2,7) offen darstellt!

Der Sühndeckel (vgl. Kapitel XII.)

Die Lade erfüllte noch einen weiteren Zweck, und wir können fast sagen, dass es der Hauptzweck ist, für den sie gedacht war. Er unterscheidet sich von dem, womit wir uns bislang beschäftigt haben, und ist doch eng damit verknüpft. Wir wollen ihn hier bloß erwähnen, weil er das Thema des nächsten Kapitels sein wird. Gemeint ist der Sühndeckel aus Gold, der die Lade bedeckte samt seinen goldenen Cherubim, die aus demselben Stück dieses Edelmetalls getrieben waren.

Die Stäbe – Christus als Führer unserer Wanderschaft

Es bleibt uns, ein Wort über die Stäbe zu verlieren, die beidseitig in die Ringe an den Füßen der Lade gelegt werden sollten, um die Lade durch die Wüste zu tragen. Wir betonen, dass es an den „Füßen“2 war, weil es nahelegt, dass die Lade, wenn sie auf den Schultern der Priester getragen wurde, so ihre Köpfe überragte und ein unübersehbarer Blickfang für das Volk war. Es ist klar, dass die Stäbe in den Ringen uns daran erinnern, dass der Herr immer mit seinem Volk zieht. Wenn sie Pilger sind, dann wird auch Er ein Pilger sein und sein Wort erfüllen, das Er spricht: „Ich will dich nicht versäumen und dich nicht verlassen“ (Heb 13,5).

Während der Wüstenreise wurden diese Stangen reichlich genutzt. Nie sollte das Volk ohne die Lade losziehen. Sie sollte vor ihnen hergehen und den Weg bezeichnen. Einmal vergaß Mose das offenbar und bat Hobab mit den Worten „du wirst unser Auge sein“, sie zu begleiten (4. Mo 10,29-33). Was darauf folgt, scheint einerseits eine Zurechtweisung zu sein und ist andererseits eine überaus gnädige Antwort Gottes. Während der drei Tagereisen nach ihrem Aufbruch vom Horeb zog die Lade vor ihnen her, um ihnen einen Ruheort zu erkunden. So leitet Christus in Auferstehungskraft seine Geliebten stets durch diese pfadlose Wüste. Wozu brauchen wir „Augen“, wenn uns jemand so vorangeht?

Das Gegenteil davon sehen wir, als sich das Volk weigerte, in das Land hinaufzuziehen, nachdem die Kundschafter ein böses Gerücht darüber gebracht hatten. Das Volk blickte nur auf sich selbst und auf die Riesen im Land. So wandte es sich, mit Ausnahme von Kaleb und Josua, willentlich zurück und mit ernsten Worten muss Gott verkünden, dass dieses ungläubige Volk das gute Land nie betreten wird. Sie würden in der Wüste sterben. Doch dann bestehen sie in unerklärlicher Widersprüchlichkeit darauf, doch ins Land zu ziehen und es in Besitz zu nehmen. Aber Gott ist nicht ein Mensch, dass Er bereuen würde. Das Volk zieht hinauf, doch werden die bedeutsamen Worte hinzugefügt: „Die Lade des Bundes des Herrn und Mose wichen nicht aus der Mitte des Lagers“ (4. Mo 14,40-45). Das Ergebnis war eine völlige Niederlage. Das wird immer so sein bei solchen, die sich im Unglauben von Gott abwenden und sich anmaßen, ohne Christus den Segen beanspruchen zu können.

Eine weitere bemerkenswerte Begebenheit, bei der die Lade vor dem Volk herging, ist die Überquerung des Jordan. Das war tatsächlich ein neuer und unerprobter Weg für sie: „Ihr seid den Weg früher nicht gezogen“. Die Lade ging, von den Priestern getragen, voran, und das Volk folgte mit einem Abstand von zweitausend Ellen. Als die Füße der die Lade tragenden Priester den Jordan berührten, wichen seine Wasser zurück. Die Lade inmitten des Jordan ließ die Wasser still stehen, bis das ganze Volk trockenen Fußes hinüber gezogen war in das Land seines Erbteils (Jos 3,14-17). Die Geschichte, wie Jericho fiel, nachdem es von der Lade an sieben Tagen umzogen worden war, trägt denselben Charakter. Es ist Christus, der allein sein Volk zum Sieg führen kann. Und immer muss es einen „Abstand“ geben zwischen Ihm und selbst den Treuesten. Aaron und Mose fielen in der Wüste, aber die Lade blieb.

Unser gelobter Herr wird somit klar als der einzig genügende Führer seines Volkes vorgestellt. Das wird besonders in der Durchquerung des Jordan hervorgehoben, des Todes– und Gerichtsflusses. Welcher Mensch, sei er auch noch so treu und ergeben, könnte vor diesem schrecklichen Strom bestehen, wenn nicht Christus zuvor dagewesen wäre, damit sein Volk trockenen Fußes Ihm nach hindurchziehen kann? Dass Mose nicht ins Land hineingehen durfte, versinnbildlicht die Tatsache, dass eine einzige Missachtung des Gesetzes genügt, um einen Menschen vom Erbteil auszuschließen: „Denn wer irgend das ganze Gesetz hält, aber in einem strauchelt, ist aller Gebote schuldig geworden“ (Jak 2,10). Eine einzelne Sünde würde uns ebenso vom Himmel ausschließen, wie sie Mose vom Land Kanaan ausschloss. Aber Gott sei Dank: Er hielt für Mose himmlische Segnungen bereit – wenn er auch ein Beispiel dafür wurde, dass Gott seinen Regierungswegen treu bleibt.

Christus ist es also, der durch sein Opfer den Weg zum himmlischen Erbteil geöffnet hat – das betrifft die zukünftige Herrlichkeit genauso wie den gegenwärtigen geistlichen Genuss (Eph 3). Nur Er konnte die Gewalt des Todes und Gerichtes bändigen und den Weg des Segens öffnen, der in das Erbteil hineinführt, das uns aus Gnade bereitet ist. Er ist auch der Sieger über Jericho, da Er „die Welt überwunden“ hat. Er hat seine Geliebten, die sich hier auf der Erde noch in Kämpfen und Mühen befinden, nicht allein gelassen.

Aber wir sehen einen Missbrauch dieser Stäbe, als in den Tagen der Richter das Volk die Lade herausbringt, um den Philistern entgegenzutreten (1. Sam 4,3). Israel war in einem elenden Zustand, und auch der Zustand des Priestertums war besorgniserregend. Die heiligen Dinge Gottes wurden verachtet. Offenbare Sünde wurde vor den Augen Gottes und der Menschen schamlos zur Schau gestellt. Sollte ein heiliger Gott mit solchen seinen Namen verbinden? Unmöglich. Vielmehr muss Er seinen Wohnort verlassen und seine Lade den Händen der Feinde überlassen. Ebenso kann der heilige Christus niemals ein „Diener der Sünde“ sein (Gal 2,17). Kann es uns verwundern, wenn ungerichtete Sünde da ist, dass es heißt: „Du […] zogst nicht aus mit unseren Heeren“? (Ps 44,10).

Den Züchtigungen des Herrn sind durch sein Erbarmen jedoch Grenzen gesetzt, und so führt Er es, dass die Lade zurückgebracht wird. Die Philister können mit den Stäben, die nur für Priesterhände gemacht sind, nichts anfangen, und so setzen sie die Lade auf einen Wagen, mit dem sie von unwilligen Kühen zurück ins Land Israel gezogen wird. In den Tagen Davids findet sie einen Ruheort auf dem Berg Zion, und nachdem Salomo den Tempel gebaut hat, erhält sie endlich eine dauerhafte Bleibe. Ihre vorbildhaften Wanderreisen waren damit vorbei. Deshalb lesen wir: „Die Stangen waren so lang3, dass die Spitzen der Stangen vom Heiligen aus an der Vorderseite des Sprachortes gesehen wurden; aber von außen wurden sie nicht gesehen. Und sie sind dort bis auf diesen Tag“ (1. Kön 8,8). Das Verlangen Davids, des Mannes nach dem Herzen Gottes, ist gestillt. Die Sache, wegen der er seinen Augen keinen Schlaf gestattete (Ps 132,4), ist ihm nun nach all seinen Mühen geschenkt. Und voller Freude sagt er vorausahnend: „Steh auf, Herr, zu deiner Ruhe, du und die Lade deiner Stärke!“ (Ps 132,8). Gott kann nicht in seine Ruhe eingehen, ehe Er nicht auch sein Volk hineingebracht hat. So wartet alles darauf, dass der Konflikt mit der Sünde für immer beendet ist – alles göttlich und ewig geordnet. Erst dann, und nicht eher, werden die Stäbe herausgenommen, wenn der Herr sein bluterkauftes Volk zu Ende durch die Wüste geleitet hat. Es „bleibt eine Sabbatruhe dem Volk Gottes übrig“ (Heb 4,9). Selbst dann werden die „Stäbe“ noch sichtbar sein in Erinnerungen der Vergangenheit, und Anlass geben zu frischen und ewigen Ausbrüchen des Lobes. „In all ihrer Bedrängnis war er bedrängt, und der Engel seines Angesichts hat sie gerettet. In seiner Liebe und in seiner Erbarmung hat er sie erlöst; und er hob sie empor und trug sie alle Tage der Urzeit“ (Jes 63,9).

Möge Christus, die wahre Bundeslade, uns immer kostbarer werden als der Eine, in dem all unsere Schätze liegen, und der sie wie auch uns selbst sicher bewahren wird auf den Tag der Herrlichkeit und Freude – zum Preis seiner Gnade!

Fußnoten

  • 1 Mir ist bewusst, dass sich „in dem“ in manchen Handschriften auf das Geheimnis bezieht. Aber die Lesart, die „Christus“ dort einfügt, ist gut bezeugt. Außerdem scheint sie im besseren Einklang mit dem Gesamtthema des Briefes zu stehen: der Vorrangstellung Christi in allen Dingen. Es ist der Epheserbrief, der sich mehr mit der Kirche als dem Geheimnis beschäftigt. In jedem Fall aber ist Christus der Mittelpunkt des Geheimnisses und gibt Ihm allein seinen ganzen Wert.
  • 2 Das Wort für „Füße“ (manche übersetzen es als „Ecken“) ist an dieser Stelle nicht das gewöhnliche, regel, sondern paam. Es hat eine Wurzel, die „schlagen“ bedeutet, bezeichnet also den Fußauftritt. In Verbindung mit einer Zahl wird es häufig mit „(x-)mal“ übersetzt, es wird damit also eine Zahl in Schritten oder Schlägen gemessen. In den vergleichsweise wenigen Stellen, wo es als „Füße“ wiedergegeben wird, meint es in erster Linie Fußstapfen, also zurückgelegte Schritte: „Befestige meine Schritte in deinem Wort“ (Ps 119,133). Das ist vollkommen im Einklang damit, dass die Ringe sozusagen in den „Fußstapfen“ der Lade waren. Unser Herr kam hernieder, um gewissermaßen gerade jene Fußstapfen zu setzen, die sein Volk durch diese Wüste nehmen muss.
  • 3 In der englischsprachigen King-James-Übersetzung (Authorized Version) heißt es: „Sie zogen die Stangen heraus“.
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