Vorträge über die Stiftshütte

Vortrag 7: Die Bretter der Stiftshütte

2. Mose 36,20-34

Einleitung

Wir kommen jetzt zu den Wänden der Stiftshütte, den Brettern aus Akazienholz, die mit Gold überzogen waren und in einer Einfassung aus Silber standen. Diese Bretter hatten alle ein Maß – sie waren zehn Ellen lang und eineinhalb Ellen breit. Sie hatten jeweils zwei Zapfen, welche in die Fassung aus Silber passten. Es gab 20 Bretter auf jeder Längsseite der Stiftshütte, deren Länge 30 Ellen betrug. An der Hinterseite, d.h. am westlichen Ende, gab es sechs Bretter derselben Breite, was insgesamt neun Ellen entspricht. Die verbleibende Elle (um auf die Gesamtbreite von zehn Ellen zu kommen), bestand aus zwei weiteren Brettern, wobei an jeder Ecke jeweils ein Brett angebracht war. Es ist die Frage aufgekommen, in welcher Weise diese beiden Eckbretter platziert waren. Wir lassen solche Fragen für das weitere Bibelstudium unter Gebet offen. Nichts in der Schrift ist unwichtig und die Architektur der Stiftshütte enthält viele Belehrungen, von denen wir einige im weiteren Verlauf berühren möchten.

Wir haben bereits erwähnt, dass die Breite der Stiftshütte wahrscheinlich zehn Ellen betrug. Das können wir daraus schließen, dass die Zahl Fünf und ihre Vielfachen gebräuchliche Größen darstellen, denen wir schon im Vorhof begegnet sind, der 100 Ellen lang und 50 breit war. Die Länge der Bretter deutet in dieselbe Richtung. In Salomos Tempel hatte das Heilige eine Länge und Breite von 20 Ellen. Die himmlische Stadt, der Wohnplatz Gottes, von denen Stiftshütte und Tempel ein Bild sind, hat ebenfalls die Form eines Würfels. Lassen wir es zunächst dabei bewenden, was die Form des Heiligtums angeht. Wir werden später auf die geistliche Bedeutung näher eingehen.

Die mit Gold überzogenen Bretter aus Akazienholz standen Seite an Seite, wobei jedes Brett über goldene Ringe verfügte, durch welche fünf Stangen aus Akazienholz, die mit Gold überzogen waren, gesteckt wurden, um die Bretter fest zusammenzuhalten. Die mittlere Stange erstreckte sich von dem einen bis zum anderen Ende der Bretter. Wir können davon ausgehen, dass die anderen vier halb so lang waren, indem zwei für die Befestigung des oberen Teils der Bretter vorgesehen waren und die anderen beiden entsprechend für den unteren. Die mittlere Stange ging, wie gesagt, über die ganze Breite. Wenn dem so ist, gab es drei goldene Ringe an jedem Brett, durch welche die Stangen gesteckt werden konnten. Wenn wir auf die geistliche Bedeutung zu sprechen kommen, werden wir sehen, wie gut diese Einrichtung damit zusammenpasst.

Obwohl es also nur eine Stiftshütte bzw. ein Zelt war, sehen wir, dass die Struktur eine hohe Festigkeit besaß. Zwei schwere Fassungen aus Silber unter jedem Brett stellten ein solides Fundament dar, wobei es darüber hinaus die fünf Stangen gab, die alles fest zusammenhielten.

Der Akazienbaum – Christus als der Baum in der Wüste

Wir wollen jetzt zu der geistlichen Bedeutung der verwendeten Materialien kommen und dabei versuchen das zusammenzutragen, was ihre Erwähnungen in der Schrift uns zeigen.

Die Bretter bestanden aus Akazienholz (oder Sittimholz).1 Vom Kontext der Stiftshütte abgesehen, gibt es nur noch eine Stelle, die dieses Holz direkt erwähnt. Dort können wir allerdings einen Hinweis auf seine geistliche Bedeutung finden: „Ich werde Zedern in die Wüste setzen, Akazien und Myrten und Olivenbäume, werde in die Steppe pflanzen Zypressen, Platanen und Buchsbäume miteinander; damit sie sehen und erkennen und zu Herzen nehmen und verstehen allesamt, dass die Hand des Herrn dies getan und der Heilige Israels es geschaffen hat“ (Jes 41,19-20). An einem zukünftigen Tag des Segens für Israel wird Gott die Wüste und Einöde zu einem Ort der Freude machen. Das Volk konnte mit einer moralischen Wüste verglichen werden, in der nichts für Gott wuchs. Das wird solange der Fall sein, bis die Zeit des Segens kommt, in der durch Gottes Gnade selbst die Wüste in eine Quelle der Freude verwandelt wird. Dann werden die hohe und wohlriechende Zeder, die wunderschöne Akazie, die immergrüne Myrte und die fruchtbare Olive gedeihen und die Wüste wird wie die Rose erblühen. Der Baum erinnert an die Lebenskraft inmitten alles dessen, was momentan tot und unfruchtbar ist.

Die Wahl des Akazienholzes für die Bretter der Stiftshütte ist besonders stimmig und passt besser hierher als Zedern- oder Ölbaumholz. Die beiden letzten wurden bei der Errichtung des salomonischen Tempels (1. Kön 6,15.31-33) benutzt und weisen auf die Herrlichkeit des Tausendjährigen Reiches sowie auf die Wohnung Gottes inmitten des wiederhergestellten Volkes hin, also genau auf die Zeit, von der auch der angeführte Abschnitt aus Jesaja 41 spricht. Vielleicht bekam die Myrte, die in Verbindung mit dem Laubhüttenfest erwähnt wird (Neh 8,15), ihre Bedeutung vor allem durch ihren Wohlgeruch und ihr grünes Laubwerk. Die Akazie war hingegen der einzige Baum, der in der Wüste wuchs und damit für den beabsichtigten Zweck praktisch verfügbar war, d.h. um eine Wohnung in der Wüste zu errichten, die aus Holz bestand.

Wenn wir uns an die geistliche Bedeutung erinnern und daran, dass Christus der Schlüssel zu allem ist, erhalten diese Anweisungen eine besondere Schönheit. Wie bereits erwähnt, glich Israel einer moralischen Wüste, was umso mehr der Fall war, nachdem sie aus ihrer Gefangenschaft zurückgekehrt waren und unser Herr zu ihnen kam. Es stimmt zwar, dass der Götzendienst äußerlich aufgehört hatte und man Gräber baute, um die Propheten zu ehren, die aufgrund ihres treuen Zeugnisses für Gott und gegen die Sünde erschlagen worden waren. Aber all das konnte die Augen des Heiligen nicht täuschen, der die Herzen erforscht. Was die äußere Religion betraf, gab es viel gewissenhaftes Fasten, der Zehnte wurde gegeben und die heiligen Festtage eingehalten. Doch in allen diesen Dingen war nichts für Gott, keine Frucht des göttlichen Lebens. Nicht ohne Grund werden die Pharisäer, die religiösen und orthodoxen Führer, „getünchte Gräber“ (Mt 23,27) und „verborgene Grüfte“ (Lk 11,44) genannt. Sie glichen Todesstätten, die wie Körper waren, aus denen der Geist entwichen war. Es ist wahr, dass es einen kleinen Überrest gab, der durch Gnade den Samen einer neuen Nation bildete, aber der zeichnete sich durch das Bekenntnis seiner Sünden und Fruchtlosigkeit aus.

Als unser Herr kam, war Er wie ein Spross aus dürrem Erdreich (Jes 53,2). Der Mensch fand nichts Begehrenswertes an Ihm. Aber wie anders sieht das Auge Gottes! Hier gab es dieses Reis, das inmitten von Kargheit und Trostlosigkeit aufwuchs. In der Szene des Todes zeigte sich in Ihm Leben und Kraft.

Wenn Gott also den wahren Zustand des Menschen beschreibt, zeigt Er nicht nur auf, dass er Sünden begangen und das Gericht verdient hat, was vollkommen wahr ist, oder dass er Hilfe braucht, um das zu tun, was richtig ist, sondern er wird für tot erklärt – tot Gott gegenüber. Und für diesen Zustand ist er verantwortlich, weil sein Wille gegen Gott und seine Gnade steht. Die Pelagianer behaupteten, dass der Mensch einfach nur einen Leitfaden bräuchte, um für Gott zu leben. Die moderaten Pelagianer sahen ein, dass er krank war und Hilfe brauchte, um Gott zu gefallen. Aber solche, die die Wahrheit kannten, hielten dem entgegen, dass der Mensch in seinem Zustand Gott gegenüber tot war und die lebensspendende Gnade Gottes in Christus nötig hat.

So gestaltete sich also die Welt, in welcher diese wunderbare Pflanze „vor ihm“ aufwuchs: Sie war in die Wüste gepflanzt, denn das Wort wurde Fleisch (Joh 1,14), und da die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch Er in gleicher Weise daran teilgenommen (Heb 2,14). Doch diese Wurzel hatte Leben in sich selbst, und von seiner Geburt an sah das Auge Gottes nichts anderes als Vollkommenheit in Ihm. So, wie das Reis an Weisheit und an Größe und an Gunst bei Gott und Menschen zunahm (Lk 2,52), brachte es alles hervor, was für seine Lebenssituation angemessen war. Hätte dieses Leben für den Menschen keine Auswirkungen gehabt, hätte es Gott doch vollkommen verherrlicht und erquickt.

Das Holz des Akazienbaums – die Menschheit Christi

Es gibt bestimmte Merkmale des Akazienbaums, die ihn besonders passend machen, um als Vorbild unseres Herrn auf der Erde zu dienen. Er ist ein Baum in der Wüste, wie wir bereits gesehen haben, und er hat zahlreiche Unterarten, die uns an die vielfältigen Charakterzüge unseres Herrn erinnern. Eine Art kann dazu genutzt werden, um ein Harz zu gewinnen, dass eine heilende Wirkung hat. Eine andere dient dazu, kräftigende Medizin zu erzeugen, während die Blätter einer weiteren Art ganz besonders stark auf äußerliche Einflüsse reagieren. Die Haltbarkeit des Holzes weist auf die Unverderblichkeit der Menschheit des Herrn Jesus hin. Auf das Letzte müssen wir etwas näher eingehen, denn das Holz ist das Material, das nicht nur bei den Wänden der Stiftshütte zum Einsatz kam, sondern auch in all ihrem Hausrat wiedergefunden wird, außer beim Waschbecken und dem Leuchter.

Gehen wir noch einmal zu Hebräer 10,5, wo wir am Ende den Zusatz finden: „Schlachtopfer und Speisopfer hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir bereitet“. Das Zitat stammt aus Psalm 40, wo wir anstelle der Worte „einen Leib aber hast du mir bereitet“ die Formulierung „Ohren hast du mir bereitet (oder: gegraben)“ finden. Das zeigt die Freiheit, mit welcher der Geist Gottes den Gedanken, der ursprünglich unter seiner Inspiration niedergeschrieben wurde, erweitert. Entsprechend seinem prophetischen Charakter haben wir in diesem Psalm das Öffnen oder Bilden der Ohren, was auf den Gehorsam unseres Herrn hindeutet, weil das Ohr die Belehrungen aufnimmt, denen gefolgt werden soll. In der Stelle im Neuen Testament, wo seine heilige Person völlig offenbart ist, belehrt uns der Geist, dass sein Leib im Hinblick auf diesen Gehorsam besonders zubereitet war.

Wir befinden uns hier auf heiligem Boden, brauchen uns aber nicht zu scheuen, näher zu treten, solange es mit Ehrerbietung und Gottesfurcht geschieht. Die Person des Sohnes Gottes ist ein Geheimnis, das nur Gott völlig erfassen kann, doch dürfen wir uns daran erinnern, dass Er gekommen ist, um Gott zu offenbaren und nicht zu verbergen. Denken wir auch daran, dass der geliebte Apostel ungehindert in seinem Schoß ruhte und eine sündige Frau seine Füße küssen konnte. Er lud seine Jünger ein, Ihn zu betasten und anzuschauen. Möchten wir das mit Thomas zusammen tun, um mit ihm zu sagen: „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,27-28).

Vollkommen Gott und vollkommen Mensch

In diesem Zusammenhang kann es zwei Gefahren geben: Wir können auf der einen Seite seine wahre Menschheit verleugnen oder auf der anderen Seite so viel Nachdruck darauf legen, dass wir seine vollkommene und absolute Gottheit aus dem Auge verlieren. Wir lesen ausdrücklich, dass Er Mensch war und ist: „Denn Gott ist einer, und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus“ (1. Tim 2,5). Er ist das Idealbild, der einzig vollkommene Mensch, der jemals auf der Erde lebte, und seine Menschheit übertrifft die des ersten Menschen bei weitem. Aber Er war auch dieser vollkommene Mensch, weil Er unendlich viel mehr war. Der Schöpfer trat in seine eigene Schöpfung ein und nahm seinen Platz als ihr Haupt ein (Kol 1,15). Der Sohn Gottes wurde auch der Sohn des Menschen. Es war die Erde, auf welcher sein Leib bereitet wurde. Er wurde von einer Frau geboren (Gal 4,4) und erfüllte damit die ersten Evangeliumsworte Gottes, der das Zermalmen des Kopfes der Schlange durch den Samen der Frau vorhergesagt hatte. Einige sind in ihrer Ehrfurcht in der Anbetung davor zurückgeschreckt, unseren Herrn als absoluten Menschen zu betrachten, doch muss wahre Anbetung immer unmittelbar durch das Wort Gottes gelenkt werden. Und dieses Wort bestätigt uns, dass Er im vollsten Sinn ein Mensch war, der hier geboren wurde und sein Leben verbrachte.

Vollkommen Mensch – doch heilig

„Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen“ (Heb 2,14). Wir sehen hier denjenigen, der an der Menschheit teilgenommen hat. Das Wort, das hier von dieser Teilnahme spricht, ist jedoch ein anderes als das, was in Bezug auf die Kinder benutzt wird. Was die Kinder betrifft, fand eine vollständige Identifikation mit allem statt, was die gefallene Menschheit mit sich brachte. Deshalb waren sie auch dem Tod unterworfen und dem, der die Macht des Todes hat. Als Konsequenz geriet ihr ganzes Leben unter die Knechtschaft der Todesfurcht. Auf der anderen Seite sehen wir unseren Herrn, der freiwillig in diese Welt kam und eine sündlose, vollkommene menschliche Natur, bestehend aus Leib, Seele und Geist, annahm. Der Unterschied wird durch zwei Worte ausgedrückt: Einsmachung und Teilnahme. Der Geist wacht sorgfältig darüber, die heilige Menschheit des Herrn nicht mit dem geringsten Flecken des Sündenfalls zu verbinden. Das Ergebnis ist, dass sein Tod absolut freiwillig und seine Wirkung göttlich ist: „Damit er durch den Tod den zunichte machte, der die Macht des Todes hat“, um die Seinen zu befreien. Diese Befreiung geschieht nicht nur von der Macht Satans und des Todes, sondern bringt die Befreiten auch in die Gegenwart des lebendigen Gottes, weil unser Herr als der treue Hohepriester Sühnung für die Sünden des Volkes tat (Heb 2,17). So sehen wir, dass sowohl seine Person als auch sein Werk göttlich vollkommen sind. Dennoch zeigt uns die Schrift das einfühlsame Herz voller Mitleid und Beistand eines Menschen, der, als Er versucht wurde, litt, ohne dass sein heiliges Herz auf diese Versuchungen reagierte. In dem Bericht seiner Menschwerdung wird uns versichert, dass Er völlig Mensch war und dass diese Menschheit völlig einzigartig sowie frei von Sünde war. „Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau“ (Gal 4,4). Durch die überschattende Kraft des Höchsten kam der Same der Frau ins Sein, wobei uns die Frau selbst an die erinnert, welche betrogen wurde und in Übertretung fiel (1. Tim 2,14). „Der Heilige Geist wird auf dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten, darum wird auch das Heilige, das geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35).

Dieser Sohn des Menschen ist völlig makellos. Es heißt nicht „das Unschuldige“, sondern „das Heilige“. Vor dem Sündenfall war der Mensch unschuldig und ohne Sünde, doch war er in einem negativen und instabilen Zustand. Er war von der Erde, irdisch – aus Staub gebildet. Obwohl er einen Geist besaß, war er nichts mehr als ein Geschöpf. Der zweite Mensch ist aus dem Himmel (1. Kor 15,57). Er war heilig und hatte eine positive, innewohnende und bleibende Wesensart, die nicht sündigen konnte. Als Mensch war Er Teilhaber der göttlichen Natur, ohne dass das Fleisch in irgendeiner Weise einen Teil seiner Person berührte. Seine Heiligkeit war das Ergebnis des direkten göttlichen Werkes des Geistes bei seiner Menschwerdung und damit völlig getrennt von der gefallenen Natur. Wir können nur unser Gesicht verbergen, wenn wir über dieses göttliche Geheimnis sprechen oder nachdenken, und die Gnade dessen anbeten, der sich so erniedrigte, um in der Gestalt des Menschen erfunden zu werden.

In dieser Welt war Er also völlig frei von jeder Befleckung der Sünde. Im Vorbild sehen wir diese Tatsache bei der roten jungen Kuh in 4. Mose 19, auf welche nie ein Joch gekommen war. Daraus können wir schließen, dass auf Ihn nichts zutraf, was eine Folge der Sünde war. Stets blieb Er in vollkommener Gemeinschaft mit Gott – kein Anflug einer Distanz, Verstimmung oder dem, was von den Folgen der Sünde spricht, konnte dazwischen treten. Er konnte sowohl in die Armut, Sorgen, Versuchungen als auch in alle sonstigen Umstände, worin sich der Mensch befand, eintreten, doch blieb Er, obwohl von Dunkelheit umgeben, stets das Licht und in dem Licht. Die Natur Gottes musste deshalb in ihrer Güte und Gerechtigkeit Zeugnis davon abgeben, dass sie stets ihr volles Wohlgefallen und ihre Freude in diesem Gerechten fand. Den einzigen Grund, warum Gott das Licht seines Angesichts zurückgezogen hatte, finden wir in der Sünde, denn die göttliche Gerechtigkeit konnte darüber nicht einfach hinweggehen. Weiter sehen wir, dass der gefallene Mensch kein Verlangen nach Ihm hatte: „Und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse“ (Joh 3,19). Dagegen war hier jemand, dessen ganzes Sein, Begehren und Denken sich nur nach Gott ausstreckte, was durch die Stimme aus der prachtvollen Herrlichkeit bezeugt wurde, welche die fortwährende Haltung des gerechten und heiligen Gottes Ihm gegenüber mit den Worten zum Ausdruck brachte: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Diese Tatsache setzt den Gedanken beiseite, dass Er bereits während seines Lebens auf der Erde ein Stellvertreter für die Sünde war (das war Er nur auf dem Kreuz, wo Er von Gott verlassen und zur Sünde gemacht wurde, vgl. 2. Kor 5,21).

Vollkommen Mensch – doch nicht unter der Macht des Todes

Darüber hinaus sehen wir, dass der Tod nicht den geringsten Anspruch auf Ihn hatte. Wir wissen, dass der Lohn der Sünde der Tod ist und dass „durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben“ (Röm 6,23; 5,12). Der Tod ist der Vorläufer des Gerichts für den Menschen und beide können nicht voneinander getrennt werden, denn „ebenso wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht“ (Heb 9,27). Wie unmöglich ist es also, dass unser heiliger Herr dem Tod unterworfen sein sollte.

Es ist die Meinung aufgetreten, dass die Menschheit unseres Herrn dergestalt war, dass Er den Begleiterscheinungen des Lebens, sei es in Form von Krankheit oder Altersschwäche, ausgesetzt war. Mit anderen Worten: Hätte Er ein Alter von 70 oder vielleicht 80 Jahren erreicht, wäre Er anschließend wie die übrigen Menschen gestorben. Mögen unsere innersten Empfindungen vor solch einer Lehre zurückschrecken, auch wenn wir dazu gezwungen werden, sie zu untersuchen. Wie wir eben gesehen haben ist der Tod in der Schrift der universelle Zeuge der Sünde. Egal ob wir uns die Hütten der Armen oder die Paläste der Reichen anschauen, finden wir die dunkle Spur des Todes, der überall regiert. Es ist das Urteil Gottes über den Menschen: „An dem Tag, da du davon isst, musst du sterben“ (1. Mo 2,17). Sollen wir jetzt gerade dieses Kennzeichen einer verdorbenen und gefallenen Natur nehmen, das überdies noch ein Zeuge davon ist, dass der Mensch das Recht verwirkt hat, in der Schöpfung Gottes zu leben, um es unserem Herrn anzuhängen? Ihm, der keine Sünde kannte? Ist der Tod denn zu Ihm durchgedrungen, weil Er gesündigt hat (ich rede als von Sinnen)? Es ist behauptet worden, dass der Herr gestorben wäre, wenn Er Gift zu sich genommen hätte. Erst einmal hätte Er das überhaupt nicht getan, weil es kein Akt des Gehorsams seinem Vater gegenüber gewesen wäre, ebenso wenig, wie Er sich von der Zinne des Tempels stürzte. Wenn wir dennoch davon ausgehen, dass Er es getan hätte, stellt sich doch die Frage, ob das, was Er seinen Jüngern verheißen hatte, nicht auch auf Ihn selbst Anwendung gefunden hätte: „Und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nicht schaden“ (Mk 16,18).

Die Wahrheit sieht so aus, dass solche Gedanken unheilige und nutzlose Spekulationen sind. Die Schrift gibt uns keinen Anlass sie zu billigen und stützt sie in keiner Weise. Wir schauen auf den, der Fleisch wurde als jemand, der weder dem Todesurteil noch Krankheiten unterworfen war. Wenn die Menschen vor der Flut nahezu tausend Jahre lebten, sollten wir dann das Alter des niemals Gefallenen auf den Zeitraum beschränken, den solche verleben, deren Arbeit und Mühe wie ein Gedanke vorübereilt, weil sie alle durch seinen Grimm dahinschwinden (vgl. Ps 90,9-10)? Können wir uns vorstellen, dass seine Menschheit ihren Zenit erreichte, um anschließend im Schatten des Abends und der Nacht des Todes zu versinken? Oh nein! Wenn Er es so gewollt und die Notwendigkeit dazu bestanden hätte, dann könnte Er bis zum heutigen Tag hier geblieben sein, da der Tod keine Macht über Ihn hatte.

Durch die Gnade Gottes möchten wir die wunderbare Wahrheit bezeugen und mit Abscheu den Gedanken verwerfen, dass die eisige Hand des Todes jemals in irgendeiner Weise auf Ihn kommen konnte mit der Ausnahme, dass Er sein Leben freiwillig hingab: „Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen“ (Joh 10,18).

Seine Vollkommenheit als Basis für seinen Opfertod

Ist es nicht so, dass Ihn seine völlige Immunität sowohl dem Tod als auch den Konsequenzen der Sünde gegenüber fähig machte, der Stellvertreter für uns auf dem Kreuz zu werden? Wir würden unseres eigenen Retters beraubt werden, wenn Er persönlich, als Mensch, ein Schuldner des Todes gewesen wäre. Mit Ehrfurcht gesprochen hätte Er selbst einen Retter gebraucht, um den Preis zu bezahlen, den jeder Sohn des gefallenen Adam schuldet. Doch das genaue Gegenteil von alledem ist der Fall: „Wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, […] so wurde Christus einmal geopfert“ (Heb 9,27-28) – nicht als eine natürliche Notwendigkeit, sondern in vollkommener Gnade als ein williger Stellvertreter. „Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz, damit er“ (nicht: sterbe, weil Er es gebrochen hätte, sondern) als ein Stellvertreter „ein Fluch für uns würde“ (Gal 4,5; 3,13). Die ganze Wahrheit der Stellvertretung und der Sühnung ruht auf diesem Fundament, sei es in Form von alttestamentlichen Bildern, die stets betonen, dass das Lamm ohne Fehl sein sollte (vgl. 2. Mo 12,5), oder durch direkte Aussagen des Neuen Testaments, dass in Ihm keine Sünde war (vgl. 1. Joh 3,5).

Gott setzte sein Siegel unter diese Wahrheit, indem Er den Leib unseres Herrn aus dem Grab auferweckte. Halten wir im Gedächtnis, dass es genau der Leib war, den Gott für Ihn bereitet hatte, der in der Krippe gelegen, Durst und Hunger gehabt, im Sturm geschlafen und am Grab geweint hatte. Sah Gott nicht immer in Ihm „das Heilige“, selbst was seinen Leib betraf? Auch wenn der Mensch Ihn bespuckte, mit Dornen krönte, geißelte, seine Hände und Füße durchstach, seine Seite nach seinem Tod durchbohrte! „Als sie aber alles vollendet hatten, was über ihn geschrieben steht, nahmen sie ihn vom Holz herab und legten ihn in eine Gruft“ (Apg 13,29). Nachdem sein Werk vollendet war, konnte keine einzige Handlung von Seiten der Menschen mehr gegen Ihn durchgeführt werden (was Gott vorher noch in seiner Geduld erlaubt hatte), um seinen Leib zu verletzen. Er wird vom Kreuz herabgenommen, in Gewürzsalben (welche die Lieblichkeit und den Wohlgeruch dieses Todes für Gott andeuten) gewickelt und in ein neues Grab gelegt, das nie zuvor mit dem Tod befleckt worden war. Die Asche dieses Opfers wurde an einem reinen Ort ausgeschüttet und keine Verwesung konnte den Heiligen berühren (Apg 13,37). Als durch die Herrlichkeit des Vaters auferweckt, erschien Er in demselben Leib, in welchem Er Gott gedient hatte, gestorben war und auferweckt wurde und den Er für immer behalten wird, seinen Jüngern und sitzt jetzt auf dem Thron Gottes.

Der Leib Christi auf der Erde und in Auferstehung

Wenn wir uns so gegen die Respektlosigkeit des Unglaubens richten, müssen wir uns vor einem gegenteiligen Irrtum hüten. Der Leib, der für Ihn zubereitet wurde, war ein vollständig natürlicher Körper, der imstande war zu sterben. Tatsächlich wurde Er für diesen Zweck Mensch. Zu sagen, dass Er in dem Sinn sterblich war, dass Er dem Tod verpflichtet oder unterworfen war, ist Gotteslästerung. Es ist dagegen die Erklärung der Grundlage der Wahrheit unserer Segnung zu sagen, dass Er die Fähigkeit besaß zu sterben.

„Das Verborgene ist des Herrn, unseres Gottes“ (5. Mo 29,28), und ohne in Spekulationen hierüber zu verfallen, die immer die Gefahr bergen, Christus zu erniedrigen und das Fleisch zu erhöhen (Kol 2,18), können wir doch sagen, dass die Schrift nicht zum Ausdruck bringt, dass der Mensch beständig von Nahrung abhängig gewesen wäre, um sein Leben zu erhalten, wenn er nicht gefallen wäre. In anderen Worten: Es wird nicht gesagt, dass der Zustand in Eden in Ewigkeit hätte fortdauern sollen. Die Tatsache, dass Menschen Körper haben, die denen der vergänglichen Tiere gleichen, könnte andeuten, dass, wenn menschliche Gerechtigkeit möglich gewesen wäre, Gott den ewigen Zustand durch eine göttliche Änderung, ähnlich der Verwandlung der Leiber der Heiligen beim Kommen des Herrn, herbeigeführt hätte (1. Kor 15,51-52), nur ohne Bezug zur Sünde. Wenn das Kreuz für unsere Errettung nicht notwendig gewesen wäre, hätte unser Herr ebenso, ohne zu sterben, aus dem Zustand seines (für diese Erde passenden) körperlichen Bestehens heraustreten und den Herrlichkeitsleib anziehen können, den Er jetzt besitzt. Er hat Verwesung nie gesehen und in diesem Sinn entspricht seine Auferstehung dieser Verwandlung. Doch so, wie seine Menschwerdung freiwillig war, würde diese Verwandlung aus freien Stücken sein, weil jegliche Art von Gebrechlichkeit als Anlass ausgeschlossen ist. Aus der Schrift lernen wir außerdem, dass der Auferstehungsleib nicht von irdischen Verhältnissen abhängig ist, obwohl er in diese eintreten kann. Der Herr aß den gebratenen Fisch und die Honigscheibe, um den Jüngern zu zeigen, dass sein Leib tatsächlich materiell (stofflich) war, auch wenn er nicht länger für diese Erde bestimmt war (Lk 24,42-43).

War der Herr in der Lage Versuchungen zu erliegen?

Gehen wir an dieser Stelle zu einem anderen Thema über, das ebenfalls durch das Akazienholz vorgestellt wird: Die Versuchbarkeit unseres Herrn. Genau so, wie sich der Irrtum verbreitet hat, dass der Leib des Herrn körperlichen Schwächen und dem Tod unterworfen war, ist gelehrt worden, dass unser Herr in der Lage war, Versuchungen nachzugeben. Lasst uns zuerst festhalten, dass das absolut nicht stimmt. Wie könnte der, der völlig und ausschließlich gerecht war, eine moralische Natur besaß, die absolut und vollkommen göttlich war, für den der Gehorsam gegenüber Gott sein Leben ausmachte, fähig sein, der Sünde zu erliegen? „Der Fürst dieser Welt kommt und hat nichts in mir“ (Joh 14,30).

Nun könnte der Einwand kommen, dass, obwohl Er der Sünde nicht erlag, Er doch hätte sündigen können. Und falls es für Ihn nicht möglich war – wozu dienten dann die Versuchungen überhaupt? Andererseits könnten wir berechtigterweise dagegenhalten: Hätte Er der Sünde nachgeben können, wozu dann noch die Versuchung? Vielleicht hilft uns eine Veranschaulichung weiter. Es gibt Testverfahren, die dazu bestimmt sind, Metalle zu entdecken, die so aussehen wie Gold, es aber nicht sind. Diese Tests werden sowohl auf die echten Metalle als auch auf die Fälschungen angewandt, nicht um zu zeigen, dass das echte Metall dem Test erliegt und plötzlich zu Messing wird, sondern um das Gegenteil zu zeigen, nämlich dass das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Ebenso hat der Gläubige in Christus ewiges Leben und kann nie verloren gehen, und doch wird das Bekenntnis Tests unterzogen, um die Wirklichkeit ans Licht zu bringen, dass Er es besitzt. Es ist unmöglich, dass Gold bei einem Test für Messing anschlagen würde und genauso unmöglich, dass ein wahrer Gläubiger wie ein bloßer Bekenner abfallen könnte. Wie viel weniger möglich ist es also, dass unser Herr Versuchungen hätte nachgeben können. Der Gedanke kann jetzt aufkommen, dass ein wahres Kind Gottes der Versuchung ja doch nachgeben kann und warum dann nicht auch unser Herr? Warum ist es für ein Kind Gottes möglich, der Versuchung nachzugeben? Es liegt an der Anwesenheit der gefallenen Natur, des Fleisches. Hatte unser Herr das in sich? „Jeder, der aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde, denn sein Same bleibt in ihm; und er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist“ (1. Joh 3,9). Das wird von Gläubigen gesagt, als aus Gott geboren: Sollte etwa weniger für den Heiligen gelten?

Weiter könnte eingewandt werden, dass der nicht gefallene Adam imstande war, der Versuchung nachzugeben, was ja auch schließlich geschah. Verhält es sich mit dem letzten Adam nicht ebenso? Wir haben bereits ausgeführt, dass die Menschheit des Herrn nicht genau der des Menschen vor dem Sündenfall entsprach. Als natürlicher Mensch hatte Er von Gott nur das erhalten, was die neue Geburt verleiht. Bei Ihm war sie in diesem Sinn aber nicht neu, außer als verglichen mit der Geburt aller übrigen Menschen. Er wurde nur einmal geboren und hatte es nicht nötig von neuem geboren zu werden.

Wir haben es bisher mit Absicht unterlassen, die andere große Wahrheit der Gottheit unseres Herrn sowie der Vereinigung sowohl der göttlichen als auch der menschlichen Natur in einer Person vorzustellen. Damit werden wir uns in Verbindung mit dem Gold beschäftigen, wo wir das bestätigt finden werden, was wir eben gesehen haben. Doch auch ohne weiter auf diese Seite seiner Person einzugehen, sollten wir Klarheit über die absolute Unmöglichkeit haben, dass unser Herr Versuchungen hätte nachgeben können.

Verlieren wir etwas, wenn wir folglich feststellen, dass unser Retter weder sündigen konnte noch es tatsächlich tat? Wird der Fakt, dass Er mit unseren Schwachheiten Mitleid zu haben vermag, dadurch abgeschwächt, dass die Sünde „ausgenommen“ war (Heb 4,15)? Ist Er damit etwa weniger dazu in der Lage, „denen zu helfen, die versucht werden“ (Heb 2,18)? Betrachten wir nun näher, was es heißt, dass Er litt, als Er versucht wurde, um Antworten auf diese Fragen zu erhalten.

Die drei Versuchungen des Herrn durch Satan in der Wüste

Zweifellos werden uns die besonderen Versuchungen durch Satan geschildert, um das Prinzip aller „menschlichen“ Versuchungen deutlich zu machen (vgl. 1. Kor 10,13). Vielleicht haben wir bisher darüber hinweggelesen, dass es eine enge Übereinstimmung zwischen den drei Formen dieser Versuchungen und derjenigen gibt, der unsere Ureltern erlegen waren (vgl. Mt 4,1-11). Natürlich gab es auch deutliche Unterschiede. So befand sich der Herr nicht im Paradies, sondern in der Wüste und war nicht rundum mit allem versorgt, was Er brauchte, sondern war ohne Nahrung.

Die erste Versuchung des Herrn in der Wüste

Zuerst spricht Ihn der Teufel als Sohn Gottes an, bzw. wirft später die Frage auf, ob Er das denn sei. Er ist hungrig und dennoch als der, welcher alle Dinge gemacht hatte, fähig, Steine in Brot zu verwandeln. Unser Herr befand sich jedoch als wirklicher Mensch auf der Erde und würde seine göttliche Macht nicht benutzen. Ja, eher würde Er Hunger leiden als der Versuchung nachzugeben und von seiner göttlichen Kraft Gebrauch zu machen. Hätte einer von uns Steine in Brot verwandeln können? Nein? So tat auch Er nicht etwas, was ein anderer Mensch nicht hätte tun können.

Die Frage Satans dreht sich letztlich darum, ob Gott wirklich für Ihn Sorge trägt oder nicht. Er hat zugelassen, dass Er leidet – warum sollte der Herr seinen Fall dann nicht selbst in die Hand nehmen? Ähnliches finden wir bei der Frage an Eva: „Hat Gott wirklich gesagt: Ihr sollt nicht essen von jedem Baum des Gartens?“ (1. Mo 3,1). Er streute damit Zweifel an der Güte und Liebe Gottes mit der Folge, dass sie die Sache selbst in die Hand nimmt; verführt, doch nicht ohne dafür verantwortlich zu sein, weil sie sich von Gottes Wort abwendete und Satan ihr Ohr lieh. Sie litt nicht, wenn man überhaupt von Leiden reden kann, da ja Gott für alle Bedürfnisse gesorgt hatte. Und so fällt sie und Adam mit ihr. Damit endete die erste Probe des ersten Menschen, und zwar für immer. Er wird nie mehr in der Lage sein, vor Gott zu stehen, es sei denn als schuldiger und verlorener Sünder.

Aber Gottes Volk, das Ihm durch das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus aus unendlicher Gnade nahegebracht worden ist, ist in dieser Welt zurückgelassen. Die Bosheit eines besiegten Feindes bedrängt es in jeder denkbaren Weise, um seine Gemeinschaft zu trüben und es zur Unehre Gottes anzuleiten. Satan stellt hier also wieder seine fadenscheinige Lüge vor, indem er behauptet, dass Gott sich nicht kümmert, und schlägt vor, dass wir besser selbst für unsere Belange sorgen. Wir werden dem Versucher nichts erwidern können, wenn wir die ewigen Worte seiner Liebe in Römer 8 vergessen: „Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ (Röm 8,32). Und doch dürfen wir uns dann zum Herrn wenden und Ihn um Hilfe bitten. Würde es uns wirklich helfen, wenn wir glaubten, dass Er Sehnsüchte, Gefühle oder Wünsche hatte, die „um ein Weniges“ dahin geführt hätten, dass „seine Füße abgewichen“ und Er der Versuchung erlegen wäre (vgl. Ps 73,2)? Wenn uns das tatsächlich eine Hilfe wäre, können wir gewiss sein, dass Satan dahinter steht, und zwar mit dem Ziel, uns dahin zu führen, die Sünde auf die leichte Schulter zu nehmen und gering von dem Heiligen Gottes zu denken. Satan arbeitet bei uns immer darauf hin, dass wir leicht über die Sünde denken, wogegen sie durch die Furcht Gottes und das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus stets in ihrer schrecklichen Wirklichkeit vorgestellt wird.

Manche mögen der Ansicht sein, dass das Mitleid derer, die selbst in Sünde gefallen sind für diejenigen, die versucht werden, hilfreicher ist als das Mitleid dessen, der in dieser Hinsicht nie gefehlt hat. Beachten wir aber, dass nicht so sehr ihr Mitleid hilfreich ist, sondern der Rat und Hinweis auf die befreiende Kraft Christi. Davon abgesehen ist der Versuch, unseren Herrn mit Sünde in Verbindung zu bringen, Gotteslästerung (außer im Rahmen seines Sühnungswerkes, um sie hinwegzutun, sowie seines gegenwärtigen Dienstes als Sachwalter im Himmel) und nur ein Deckmantel, um aus dem Herrn einen Diener der Sünde zu machen. Wie können wir uns erdreisten, Ihn gedanklich auf dieselbe Stufe zu stellen wie unsere sündigen Mitmenschen?

Im Grunde genommen besteht keine Notwendigkeit des Mitleids mit der Sünde. Sünde sollte weder geschont noch übersehen werden. Wir könnten ebenso gut eine Giftschlange großziehen und davon ausgehen, dass wir nicht gebissen werden, wenn wir uns danach sehnen, Mitleid für unsere Sünden zu erhalten. Sünde ist weder ein Missgeschick noch eine Schwachheit. Sie ist etwas Abscheuliches, das Gott hasst und Christus umbrachte. Ihr stattzugeben heißt Gott von seinem Thron zu stoßen und durch Satan zu ersetzen. Möchte Gott in unseren Herzen die Abscheu davor vertiefen, Ihm ungehorsam zu sein, d.h. zu sündigen.

Die zweite Versuchung des Herrn in der Wüste

Die nächste Form der Versuchung, der unser Herr durch Satan ausgesetzt war, nämlich, sich von der Zinne des Tempels zu werfen, würde ein Missbrauch der Güte Gottes gewesen sein und stellt damit das Gegenteil der ersten Versuchung dar. Es ist möglich, dass Satans Gedanken dahin gingen, das geschriebene Wort zu seinen Gunsten auszunutzen. Außerdem könnte bei ihm der Gedanke aufgekommen sein, dass unser Herr sich auf diese Weise dem Volk als Messias zu erkennen geben würde. Aber nichts dergleichen fand Eingang in die heiligen Gedanken Christi. Er war der Messias seines Volkes und sehnte sich danach, von ihnen wirklich als solcher anerkannt zu werden, doch musste das durch eine echte Verurteilung der Sünde sowie eine wahre Hinwendung zu Gott erfolgen und nicht etwa durch eine blenderische Zurschaustellung übernatürlicher Macht. Der Herr vollbrachte willig und fortwährend Wunder, um zu zeigen, wer Er war, und um den Bedürfnissen der Menschen zu entsprechen – jedoch niemals, um sich dem natürlichen Menschen einfach zu zeigen. Er ging auf dem Wasser, um seine Jünger zu erreichen und ihren Glauben zu befestigen. Nach seiner Auferstehung sehen wir zweitens, wie Er ihnen zeigt, dass es in seinem neuen Verhältnis keine materiellen Begrenzungen mehr gibt. Wenn wir so wollen, gab Er ihnen Anschauungsunterricht, um ihnen deutlich zu machen, was auch auf sie zukam, und bildete in ihren Herzen eine Vorstellung seiner Herrschaft über alle Dinge.

Worin bestanden nun die Leiden unseres Herrn, als Er den Versuchungen widerstand? Sicherlich nicht darin, dass sein Wille oder Wunsch zu viel von Gott verlangt gewesen wäre, sondern vielmehr darin, dass Er es ablehnte, das gewünschte Ziel mit falschen Mittel zu erreichen. Die Mittel stießen Ihn völlig ab, auch wenn sie durch eine falsch zitierte Schriftstelle scheinbar gedeckt waren (Ps 91,11-12) – das eigentliche Ziel jedoch, d.h. sein geliebtes Volk zu erreichen und aufzuwecken, konnte Er nur wünschen und tat das auch. Und war es für Ihn kein Schmerz, warten zu müssen? Ähnlich dem Kummer, der Ihn später dahin führt, über Jerusalem in Tränen auszubrechen? Vielleicht hilft folgendes Bild zum Verständnis: Der Sohn eines gottesfürchtigen Vaters ist zu Recht inhaftiert worden. Das Herz des Vaters sehnt sich nach seinem Sohn. Gerne wäre er bereit, seine Strafe zu bezahlen, um ihm die Freiheit zurückzuschenken. Er verfügt aber nicht über die erforderlichen Mittel dazu. Allerdings eröffnet sich ihm die Möglichkeit, das Geld zu stehlen. In welcher Weise reizt diese Gelegenheit jetzt den Vater? Bringt sie ihn dazu, zu stehlen? Nein, aber es schmerzt ihn, sich von seinem Sohn abwenden zu müssen, und die Versuchung fügt noch zu seinem Schmerz hinzu, weil Ihm deutlich gemacht wird, dass er seinem Kind nicht helfen kann. Das ist nur eine schwache Veranschaulichung und unsere armseligen Herzen haben sich leider so an eigenwillige Gedankengänge gewöhnt, dass wir uns nur ein schwaches Bild von der tiefen Abscheu machen, die unser heiliger Herr empfand, wenn man Ihn verleiten wollte, seinem Vater ungehorsam zu sein.

Die dritte Versuchung des Herrn in der Wüste

Das wird bei der dritten Versuchung besonders deutlich, weil die Gegensätze hier so scharf hervortreten. Es geht darum, jemanden außer Gott anzubeten (wobei Satan nicht sagt, dass er das sei), um im Gegenzug die Herrlichkeit des Königreiches und der Welt versprochen zu bekommen. Unser Herr stellt Satan unmittelbar bloß und lässt ihn gehen, denn Gott allein ist derjenige, dem alle Anbetung und jeder Dienst gebührt – alles andere widerstrebt seiner heiligen Seele.

Kommen wir noch einmal auf die Frage zurück, worin jetzt genau die Leiden bestanden, als Er versucht wurde. Wir haben bereits den Schmerz angedeutet, den eine reine Seele empfindet, die in irgendeiner Weise mit Bösem in Berührung gebracht wird. Wo die Reinheit absolut und vollkommen war, musste der Schmerz umso intensiver gewesen sein. Wir härten uns selbst durch Gleichgültigkeit mehr ab, als wir manchmal denken. Bei Ihm sehen wir nichts dergleichen. Das Angebot des Bösen war nicht nur eine Kränkung für Ihn, sondern beleidigte jede Faser seiner heiligen Natur, mit der Er für die Herrlichkeit Gottes eiferte. Für Ihn war die bloße Anwesenheit der Sünde ein tiefer Schmerz. In Gesellschaft mit jemandem zu sein, der fähig war, solche Angebote zu machen, war eine Qual. Ist es nicht sehr schmerzhaft für eine lautere Person, in eine Gesellschaft mit jemanden gestellt zu werden, der ein widerwärtiger Gotteslästerer ist und dazu anregt, ähnliche Sünden zu begehen? Und wäre es nicht noch schmerzhafter, wenn diese Person äußerlich ein anziehendes Verhalten an den Tag legte? Doch Satan bleibt Satan, auch wenn er die Gestalt eines Engels des Lichts annimmt.

Wem gehören die Reiche dieser Welt und ihre Herrlichkeit? Waren sie nicht rechtmäßig sein Eigentum? Konnte Er nicht alles wertschätzen, was anziehend und schön war, abgesehen von Sünde? Konnte Er nicht auf vielen Seiten herrlicher Prophezeiungen nachlesen, dass eines Tages alles Ihm gehören würde? Ja, Er konnte sogar in einem sehr realen Sinn daran denken, dass die ganze Schönheit der Natur und alle Herrschaftsgewalt Ihm einmal unterworfen sein würde. Doch selbst das konnte für Ihn keine Anziehungskraft haben, bis auf die Aussicht, alle Dinge der Autorität seines Vaters zu unterwerfen. Und Er durfte sich daran erinnern, ohne es auch nur einen Moment aus dem Gedächtnis zu verlieren, dass es das Geschenk des Vaters an Ihn sein würde: „Fordere von mir, und ich will dir die Nationen zum Erbteil geben und die Enden der Erde zum Besitztum“ (Ps 2,8). Zu seiner Zeit und auf seine Weise würde sein Vater Ihm alles in die Hand geben. Deswegen wollte Er weder etwas vorwegnehmen, wie Jakob es tat, noch irgendeine Lüge akzeptieren, egal wie beeindruckend sich die Macht und Herrlichkeit Ihm auch darstellen mochte. Er wusste (was der Mensch nicht wahrhaben will), dass absolut nichts übrig bleibt, wenn man sich von Gott abwendet.

So blieb Er auf dem Weg der Leiden und gab dem Versucher nicht einen Moment nach. In einer Welt, in der sich alle gegen Gott stellen, bedeutet es zu leiden, wenn man Gott die Treue hält. Unser Herr verließ diesen Weg nicht und litt dementsprechend, als Er versucht wurde. Und Satan tat nichts, um Ihm auch nur etwas Erleichterung zu verschaffen.

Schlussworte

Obwohl es sehr unvollkommen war, haben wir uns nun etwas länger bei der unverderblichen Menschheit unseres Herrn aufgehalten, die einzigartig und heilig ist. Wir haben gesehen, dass sie jeglicher Form der Versuchung ausgesetzt war, sei es körperlicher, seelischer oder geistlicher Art, wie es vielleicht in dem dreimaligen Angriff Satans zum Ausdruck kommt, und doch blieb Er in jeder Versuchung makellos.

Es mag gut sein, die Aufmerksamkeit auf zwei Gesichtspunkte der Versuchung zu lenken, die im ersten Kapitel des Jakobusbriefs vorkommen: „Haltet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Prüfungen fallt, da ihr wisst, dass die Bewährung eures Glaubens Ausharren bewirkt“ (Jak 1,2-3). „Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht; denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, er selbst aber versucht niemand. Jeder aber wird versucht, wenn er von seiner eigenen Begierde fortgezogen und gelockt wird“ (Jak 1,13-14). Die erste Stelle spricht von Versuchungen, bzw. Prüfungen, die durch äußerliche Einflüsse zustande kommen; die zweite von den inneren Begierden und Lüsten. Der ersten Art war unser Herr zeit seines Lebens unterworfen, wogegen Er außerstande war, die zweite zu erleben. Es verbietet sich jeder Gedanke, der seinen heiligen Namen damit in Verbindung bringt.

1 Das Wort für Brett, Keresh, bedeutet in seiner Grundform „schneiden“, oder „in Stücke schneiden“, was andeutet, dass die Bretter aus einer Akazie geschnitten worden waren. Mit einer Ausnahme in Hesekiel 27,6, wo es mit „Verdeck“ wiedergegeben wird, wird dieses Wort ausschließlich bei der Beschreibung der Stiftshütte benutzt und bezeichnet Schnittholz. Das andere grundsätzliche Wort für „Brett“ ist „Tafel“. Es wird wegen der Geschmeidigkeit des Holzes so genannt und findet bei der Beschreibung des kupfernen Altars Verwendung. An unserer Stelle deutet das benutzte Wort ein bearbeitetes Brett an, das entweder komplett aus dem Baumstamm herausgeschnitten wurde oder auch zusammengefügt werden konnte. Vielleicht können wir so die Bretter an den Ecken besser verstehen. Der Gedanke der Zubereitung erinnert uns an die Worte in Bezug auf die Menschheit des Herrn in Hebräer 10,5: „Einen Leib aber hast du mir bereitet“ – eigens und vollkommen passend für Ihn. Wie wir noch sehen werden, beziehen sich die Bretter in erster Linie auf das erlöste Volk Gottes, das passend gemacht ist und durch seine Gnade dazu geformt wird, seine Wohnung zu bilden. Das Zuschneiden und Zubereiten der Bretter entspricht daher dem Aushauen der Steine des Tempels und beides weist auf die lebendigen Steine des wahren Tempels Gottes hin (1. Pet 2,5).

Fußnoten

  • 1 Das Wort für Brett, Keresh, bedeutet ursprünglich „schneiden“, oder „in Stücke schneiden“, was andeutet, dass sie aus einem Sittim-Baum geschnitten worden waren. Mit einer Ausnahme in Hesekiel 27,6, wo es mit „Verdeck“ wiedergegeben wird, wird dieses Wort ausschließlich bei der Beschreibung der Stiftshütte benutzt und bedeutet Schnittholz. Das andere grundsätzliche Wort für Brett ist Tisch oder Tablett, was wegen seiner Geschmeidigkeit so genannt wird und bei der Beschreibung des kupfernen Altars Verwendung findet. An unserer Stelle deutet das benutzte Wort ein bearbeitetes Brett an, dass entweder komplett aus dem Baumstamm herausgeschnitten wurde oder auch zusammengefügt werden konnte. Vielleicht können wir so die Bretter an den Ecken besser verstehen. Der Gedanke der Zubereitung erinnert uns an die Worte in Bezug auf die Menschheit des Herrn in Hebräer 10,5: Einen Leib aber hast du mir bereitet – eigens und vollkommen passend für Ihn. Wie wir noch sehen werden beziehen sich die Bretter in erster Linie auf das erlöste Volk Gottes, das passend gemacht und durch seine Gnade dazu geformt wird, seine Wohnung zu bilden. Das Zuschneiden und Zubereiten der Bretter entspricht daher dem Aushauen der Steine des Tempels und weist in beiden Fällen auf die lebendigen Steine des wahren Tempels Gottes hin (1. Pet 2,5).
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