Setze einen König über uns
Eine Auslegung zum ersten Buch Samuel
Kapitel 27
Gottes Biografien sind ungeschönt. Das fällt uns besonders bei David auf. Es ist ein Auf und Ab: in Kapitel 24 auf einer Glaubenshöhe, in Kapitel 25 wieder unten. In Kapitel 26 ist er wieder auf einer Glaubenshöhe, doch jetzt in Kapitel 27 – einem Kapitel, in dem der Name Gottes nicht erwähnt wird – fällt er tief und steht nicht so schnell wieder auf. Er flieht zu den Philistern und bringt sich in eine missliche Lage. Wieder mangelt es an Gottvertrauen. Er versagt in den Dingen, die zu anderen Zeiten zu seinen Stärken gehören.
Davids Auf und Ab zeigt, dass keiner der Männer Gottes, von denen die Bibel berichtet, perfekt ist. Das ist in gewisser Weise tröstlich für uns, da unser Glaubensleben manchmal auch schwankend ist. Daher stellen wir uns nicht über David, sondern wollen aus seinem Fehlverhalten lernen.
David im Land der Philister
„Und David sprach in seinem Herzen: Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist nichts besser, als dass ich schnell in das Land der Philister entkomme, und Saul wird von mir ablassen, mich weiterhin im ganzen Gebiet Israels zu suchen; und ich werde aus seiner Hand entkommen. Und David machte sich auf und ging zu Achis, dem Sohn Maoks, dem König von Gat, hinüber, er und 600 Mann, die bei ihm waren. Und David blieb bei Achis, in Gat, er und seine Männer, jeder mit seinem Haus: David und seine beiden Frauen, Achinoam, die Jisreelitin, und Abigail, die Frau Nabals, die Karmelitin. Und es wurde Saul berichtet, dass David nach Gat geflohen wäre; und er suchte ihn fortan nicht mehr. Und David sprach zu Achis: Wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, so gebe man mir einen Platz in einer der Städte des offenen Landes, damit ich dort wohne; denn warum soll dein Knecht bei dir in der Königsstadt wohnen? Und Achis gab ihm an jenem Tag Ziklag; darum hat Ziklag den Königen von Juda gehört bis auf diesen Tag. Und die Zahl der Tage, die David im Gebiet der Philister wohnte, war ein Jahr und vier Monate“ (V. 1–7).
David hat erlebt, wie Gott ihm geholfen und ihn bewahrt hat. Sein Verhalten gegenüber seinem Feind Saul zeugt von starkem Gottvertrauen. Doch jetzt überlegt er bei sich selbst. Dabei schaut er nicht auf die Kraft seines Gottes, sondern auf die widrigen Umstände. So kommt er zu der tragischen Schlussfolgerung: „Mir ist nichts besser, als dass ich eilends in das Land der Philister entkomme“ (V. 1). Die andauernde Verfolgung erscheint ihm unerträglich, deshalb sucht er selbst nach einem Ausweg.
Wie kann man das verstehen? Hat David aus der beschämenden Situation seines ersten Aufenthalts bei Achis nichts gelernt? Hat er nicht kurz vorher noch zu Saul gesagt: „Der HERR möge mich retten aus aller Bedrängnis“ (1. Sam 26,24)? Jetzt ist er mutlos, deshalb flieht er ins feindliche Nachbarland. Einen anderen Ausweg sieht er leider nicht.
Erkennen wir gewisse Parallelen zu unserem eigenen Leben? Wie schnell folgt manchmal auch bei uns auf einen Glaubenssieg eine Niederlage. Und wie leicht vergessen wir in einer konkreten Schwierigkeit, dass unser Gott uns schon oft geholfen und bewahrt hat. Selbst Glaubensmännern wie Abraham und Elia ist es so ergangen. Auch bei den zwölf Jüngern kam es vor, dass sie trotz der vielen Wunder, die sie miterlebten, dem Herrn und seiner Allmacht nicht vertrauten (vgl. Mt 16,8–10). Das zeigt uns allerdings auch, dass die Erfahrungen der Vergangenheit zwar helfen können, sich an den Herrn zu erinnern, dass sie aber letztlich keine Kraft geben können. Nur wenn wir in Ihm bleiben, haben wir Kraft; nur die bewusste Gemeinschaft mit dem Herrn lässt uns zu Überwindern werden.
Wenn Prüfungen lange andauern, sind wir schnell versucht, aktiv zu werden, ohne dass wir den Herrn fragen. Scheinbar plausible Auswege können dazu verleiten, sich selbst Erleichterung zu verschaffen. Das geschieht sowohl in natürlichen Dingen des Lebens als auch in geistlichen Dingen. Wie viele haben zum Beispiel durch Druck von außen ihre biblische Überzeugung aufgegeben! Genau das möchte der Teufel erreichen: uns aus der Abhängigkeit vom Herrn und vom Weg des Gehorsams abzubringen. Lassen wir uns davor bewahren.
David flieht freiwillig aus dem Land des „Erbteils des HERRN“, das er kurz vorher im Gespräch mit Saul erwähnt hat (1. Sam 26,19), und begibt sich in das Gebiet der Philister. Der Weg ist nicht weit, denn Philistäa schließt sich im Südwesten direkt an Judäa an. Und doch sind dort die Feinde Israels; sie sind verwandt mit den Ägyptern (vgl. 1. Mo 10,13.14; „Mizraim“ ist eine Bezeichnung für Ägypten). – Man muss nicht weit gehen, um in die Welt zu kommen; sie umgibt uns und ist überall gefährlich für uns.
David kommt nach Gat. Von dort stammte der Riese Goliath und dort wohnt Achis, bei dem David sich schon einmal blamiert hat (vgl. Kap. 21). Damals ist er heimlich gekommen, unbekannt und allein, jetzt kommt er öffentlich, bekannt als der Feind des Königs von Israel, und in Begleitung von 600 Leuten. Außer seinen Männern hat David auch seine beiden Frauen und die Familien seiner Männer dabei. – Unser Verhalten hat immer Auswirkungen auf andere, insbesondere auf solche, die uns anvertraut und für die wir verantwortlich sind. Unser Fehlverhalten kann sogar schlimme Folgen für andere haben. Die Geschichte Abrahams illustriert das sehr deutlich. Sein Aufenthalt in Ägypten wurde Lot, der mitgezogen war, zum großen Verhängnis. Oder denken wir an Elimelech, der mit seiner Familie wegen der Hungersnot in Juda nach Moab zog. Er und seine beiden Söhne starben in Moab und ließen ihre Frauen als Witwen zurück (vgl. Rt 1).
David wird vom König wohlwollend aufgenommen. Vielleicht hofft Achis, David und seine Soldaten gegen Saul einsetzen zu können. Auf den ersten Blick scheint alles glatt zu verlaufen. Davids Plan geht auf und Saul sucht ihn ferner nicht mehr. Im Feindesland bekommt David die gewünschte Erleichterung, doch der Preis ist hoch, denn er verliert dort die Gemeinschaft und den Segen Gottes. Auf einem falschen, selbst gewählten Weg kann zunächst alles glattgehen. Doch über kurz oder lang zeigen sich die Früchte. Wer nicht umkehrt, wird sich auf seinem Weg Schritt für Schritt vom Herrn entfernen. Meist folgt auch eine Sünde auf die andere – wie hier bei David.
Nun bittet David den König von Gat um einen Wohnplatz in einer der Städte des offenen Landes. Will er unbeobachtet bleiben? – Wie tief David hier gesunken ist, wird daran erkennbar, dass er, der Gesalbte des HERRN, sich als den „Knecht“ Achis bezeichnet und an seine Gnade appelliert. Doch kann man bei den Feinden des Herrn überhaupt Wohlwollen erwarten? Achis ist nur freundlich zu David, weil er annimmt, dass dieser ihm helfen wird. Sein eigentliches Ziel ist es, David für immer als Knecht zu besitzen (vgl. V. 12).
Achis gibt David Ziklag als Wohnort. So wird David ein Bürger im Land der Philister. Sechzehn Monate bleibt er dort – eine lange Zeit am falschen Ort und ohne die Gemeinschaft mit seinem Gott.
Die Stadt Ziklag befindet sich in dem Gebiet, das Gott seinem Volk zum Besitz gegeben hat; sie gehörte ursprünglich zum Stamm Juda (Jos 15,31). Später ist sie in die Hände der Philister gefallen. Dass diese Stadt seit Davids Asyl den Königen von Juda gehörte, ist ein Monument der souveränen Gnade Gottes.
Davids Aktivitäten im Land der Philister
„Und David zog mit seinen Männern hinauf, und sie fielen ein bei den Gesuritern und den Girsitern und den Amalekitern; denn diese waren die Bewohner des Landes von alters her, bis nach Sur hin und bis zum Land Ägypten. Und David schlug das Land und ließ weder Mann noch Frau am Leben; und er nahm Kleinvieh und Rinder und Esel und Kamele und Kleider und kehrte zurück und kam zu Achis. Und wenn Achis sprach: Habt ihr heute keinen Einfall gemacht?, so sprach David: In den Süden von Juda, oder: In den Süden der Jerachmeeliter, oder: In den Süden der Keniter. Und David ließ weder Mann noch Frau am Leben, um sie nach Gat zu bringen, indem er sprach: Dass sie nicht über uns berichten und sprechen: So hat David getan. Und so war seine Weise alle Tage, die er in dem Gebiet der Philister wohnte. Und Achis glaubte David und sprach: Er hat sich bei seinem Volk, bei Israel, ganz stinkend gemacht, und er wird mir zum Knecht sein in Ewigkeit“ (V. 8–12).
David hat nun Ruhe vor Saul, aber ist er auch innerlich ruhig? Eine selbst verschaffte Ruhe ist nicht dasselbe wie wenn man in den Umständen des Lebens den Frieden Gottes genießt. David kämpft hier gegen verschiedene Feinde. Will er sein schlechtes Gewissen durch diese Aktivitäten beruhigen? Offensichtlich hat David großen Erfolg bei seinen Kämpfen gegen die verschiedenen Bewohner des Landes Kanaan.1 Doch handelt er hier im Auftrag Gottes? Zwar hat Gott angeordnet, die Völker Kanaans zu vernichten, aber die Ausgangsposition und die Begleitumstände dieser kriegerischen Aktivitäten entsprechen nicht Gottes Willen.
Davids Aktivitäten und seine reiche Beute, die sicherlich auch zur Versorgung seiner Leute beiträgt, können vor Achis nicht verborgen bleiben. Und als dieser sich erkundigt, wo David mit seinen Leuten Beute gemacht hat, greift David zur Lüge – ein weiterer Schritt bergab. Er teilt ihm mit, dass er in den Süden von Juda bzw. in ein Gebiet eingefallen sei, das Israel gegenüber freundlich gesinnt ist. Die Jerachmeeliter sind Nachkommen Hezrons, eines Enkels von Juda (1. Chr 2,5.9.25.26); sie wohnen an der südlichen Grenze des Stammes Juda. Die Keniter sind zum Teil mit den Israeliten befreundet (vgl. Kap. 15,6; Ri 1,16). So wird Achis der Eindruck vermittelt, als habe David sich bei seinem eigenen Volk stinkend gemacht. Und um diese Täuschung nicht auffliegen zu lassen, lässt David keinen möglichen Zeugen aus diesen Kriegszügen am Leben. Wie traurig: David wohnt nicht nur bei den Feinden Israels, sondern gibt sich gewissermaßen als Feind des Volkes Gottes aus.
Wie sehr wird unser Gott verunehrt, wenn die Welt bei uns sieht, dass wir mehr zu ihr gehören als zum Volk Gottes. Rücksichtslos den eigenen Vorteil suchen, taktieren und leichtfertig mit der Wahrheit umgehen – das kennzeichnet die Welt, in der wir leben. Davon sollten wir uns deutlich unterscheiden.
Fußnoten
- 1 David besiegt auch die Gesuriter. Wenige Zeit später heiratet er Maaka, die Tochter Talmais, des Königs von Gesur. Diese Frau bringt dann Absalom zur Welt – ein Sohn, der David in große Not bringt (2. Sam 3,3). Es ist gut möglich, dass David Maaka auf einem seiner Feldzüge kennengelernt hat.