Das Buch Ruth – praktische Lektionen für das Glaubensleben des Christen

Kapitel 3: Auf der Tenne des Boas

Kapitel 2 ist – wie wir gesehen haben – besonders reich an praktischer Belehrung für unser tägliches Leben. Ruth arbeitet fleißig auf dem Feld des Boas und lernt dort den Segen dieses vermögenden Mannes kennen, der ihr mehr gibt, als sie nötig hat. Sie erlebt die Gersten- und die Weizenernte.

Der weitere Verlauf macht klar, was sich bereits in Kapitel 2 andeutet, dass es Ruth nämlich nicht allein um den Segen, sondern vor allem um den geht, der den Segen gibt. Boas hatte sich schon in Kapitel 2 für Ruth interessiert und sie auf sich selbst aufmerksam gemacht. Das vertieft sich jetzt im zweiten Teil des Buches. Ruth lernt Boas kennen. Die Belehrung für uns liegt auf der Hand: wir haben Gnade und Segen empfangen und da ist es nur zu natürlich, dass wir den, der uns Gnade und Segen erweist, nun näher kennen lernen möchten. Es ist wahr, dass der Segen, den wir Christen aus dem Wort Gottes heraus kennen, außerordentlich groß ist. Der geistliche Reichtum ist in Tat nicht zu ergründen. Und das ist gerade deshalb so, weil es der „unergründliche Reichtum des Christus“ ist (Eph 3,8). Der Segen ist nicht von dem Segnenden (dem Herrn Jesus) zu trennen, und der Segnende ist immer noch größer als der Segen. Das lernen wir nun, wenn wir uns Kapitel 3 und 4 anschauen.

Boas ist hier der Löser (Erlöser) und Ruth wird lernen, dass ihre Erlösung ohne diesen Erlöser unmöglich ist. Ein Mensch mag zuerst von der Erlösung erfüllt sein und sie ist in der Tat ein gewaltiger Segen. Und doch ist auch die Erlösung nicht von dem Erlöser zu trennen. Ohne den Erlöser (Jesus Christus) gibt es überhaupt keine Erlösung. Das ist das Hauptthema in dem zweiten Teil des Buches Ruth.

Die Moabitin Ruth lernt Boas in den Kapiteln 3 und 4 also auf eine ganz neue Weise kennen und wird schließlich sogar seine Frau – obwohl das nach dem Gesetz eigentlich gar nicht möglich war (vgl. 5. Mo 23,4). Es ist Gott, der wunderbar handelt und Boas und Ruth schließlich zusammenführt.

Es ist allerdings nicht ganz so einfach, aus diesen beiden Kapiteln die richtigen praktischen Nutzanwendungen für uns zu ziehen. Wir müssen dabei behutsam vorgehen. Rein geschichtlich geht es um eine Brautwerbung und Eheschließung – und das zu einer ganz anderen Zeit als heute und in einem Land mit ganz anderen Gewohnheiten, als wir sie kennen. Als praktisches Beispiel für die Anbahnung einer Ehe für uns heute sind diese beiden Kapitel deshalb nicht sonderlich geeignet. Es geht ganz sicher nicht um die Frage, wie eine junge Frau sich einen reichen Mann „angelt“ oder wie eine Mutter ihrer Tochter einen Ehemann „besorgt“. Es wäre ein Missbrauch der Geschichte von Boas und Ruth, wenn wir sie geistlich in dieser Weise anwenden wollten. Die große Lektion für uns liegt vielmehr darin, wie wir unseren himmlischen Boas – den Herrn Jesus – besser kennenlernen können. Unter diesem Gesichtspunkt wollen wir einen Blick auf diese beiden Kapitel werfen.

Ein guter Rat Noomis (Verse 1.2)

Kapitel 3 beginnt damit, dass Noomi ihrer Schwiegertochter Ruth einen guten Rat gibt. Es ist immer gut, wenn ältere und jüngere Gläubige einen guten Kontakt und Austausch miteinander haben. Ältere Glaubensgeschwister können Jüngeren Wegweisung geben und wenn die Beziehung stimmt, werden solche Hinweise nicht unbeachtet bleiben. Ich möchte jedem Mut machen, solche Beziehungen in beide Richtungen zu pflegen. Die Bibel gibt uns dazu eine Reihe von positiven Beispielen (u. a. Mose und Josua; Elia und Elisa; Paulus und Timotheus).

Das Ziel Noomis ist, dass Ruth bei Boas Ruhe findet. Sie sagt: „Meine Tochter, sollte ich dir nicht Ruhe suchen, dass es dir wohl gehe?“ (Vers 1). Damit meint sie nach den damals herrschenden Gepflogenheiten ganz konkret, dass sie dafür Sorge tragen will, dass Boas Ruth heiratet. Für uns liegt darin der Gedanke, dass wir wirkliche Ruhe und Befriedigung nur dann kennenlernen, wenn wir uns praktisch mit unserem Herrn verbinden. Fürstin Eleonore Reuss hat das bekannte Lied gedichtet: „Ich bin durch die Welt gegangen“, und sie kommt zu der Schlussfolgerung, dass es in dieser Welt keine Ruhe gibt. Wir mögen nach Liebe, Ehre und Glück suchen und werden sie in der Welt nicht finden. Wirkliche Bedürfnisbefriedigung für die Seele (den inneren Menschen) gibt es nur bei dem Herrn Jesus. Das gilt nicht nur für einen Sünder, der Frieden mit Gott sucht. Es gilt ebenfalls für uns Gläubige – ob wir jünger oder älter sind. Ruth würde beim Arbeiten auf dem Feld keine Ruhe finden, sondern nur bei dem, der Eigentümer des Feldes ist. Noomi hat also das richtige Ziel vor Augen – Ruth soll Boas besser kennenlernen und seine Frau werden. Als ältere Frau ist sie der jüngeren darin eine Hilfe.

Noomi kennt Boas und weiß, was er tut. Sie erinnert Ruth daran, dass er ein Verwandter ist und dass er gerade im Begriff ist, auf der Tenne zu worfeln, d. h. die Spreu vom Weizen zu trennen. Offensichtlich ist das Ende der Erntezeit gekommen, und Boas ist mit der Ernte beschäftigt; er freut sich über ein gutes Ernteergebnis. Für uns gilt, dass es gut ist, wenn wir uns immer wieder gegenseitig auf den Herrn Jesus hinweisen lassen und auf das, was Er tut. Ältere Glaubensgeschwister haben dabei die größere Erfahrung und können jüngeren helfen.1

Notwendige Vorbereitungen (Verse 3.4)

Noomi erwähnt nun einige notwendige Voraussetzungen, damit ihr Plan gelingen kann. Ruth soll sich baden, sich salben, Kleider anlegen und dann warten, zuhören und gehorchen. Darin liegen wichtige Hinweise für uns, denn wir lernen, was notwendig ist, um in der Praxis des Lebens näher mit unserem Herrn verbunden zu werden.

1. Baden: Als Gläubige sind wir grundsätzlich gereinigt (das ist unsere Stellung). Gleichwohl es ist nötig, dass das weggenommen wird, was uns täglich durch das Leben in dieser Welt verunreinigt (ob bewusst oder unbewusst). Das ist ein wichtiges Thema, das der Herr Jesus in Verbindung mit der Fußwaschung erklärt. Die Jünger waren grundsätzlich rein, dennoch mussten die Füße gewaschen werden. (vgl. Joh 13,10). Ohne diese tägliche praktische Reinigung gibt es keine wirkliche Gemeinschaft mit unserem Herrn.

2. Salben: Das Baden und Reinigen nimmt das weg, was nicht zu uns passt. So gesehen ist es eher negativ. Das Salben hingegen ist positiv. Wer gesalbt ist, verbreitet einen angenehmen Geruch in seiner Umgebung. Die Salbe (oder das Salböl) spricht von den Vortrefflichkeiten unseres Herrn (vgl. Hld 1,3). Wenn wir mit unserem Herrn und seinen Herrlichkeiten beschäftigt sind, wird das einen spürbaren Effekt haben. Unsere Umgebung (Gläubige und Ungläubige) werden es wahrnehmen. Es kann nicht verborgen bleiben.

3. Kleider anlegen: Die Kleider sprechen von dem, was man äußerlich sieht. Sie symbolisieren an manchen Stellen in der Bibel unser Zeugnis, das wir nach außen abgeben. Unser Zeugnis soll immer echt und authentisch sein. Wir sollen anderen nichts vorspielen. Es soll ein Zeugnis von unserem Herrn und für unseren Herrn sein. Wir verhalten uns – reden und handeln – so, wie Er sich verhalten hat.

4. Warten – zuhören – gehorchen: Vielleicht fällt uns gerade das manchmal sehr schwer. Wir sind oft schnell mit unseren Handlungen, können schlecht zuhören und tun dann das, was uns selbst gefällt. Ein Christ sollte jedoch gelernt haben, auf die Wegweisung des Herrn zu hören. Manchmal müssen wir warten. Und dann wollen wir nicht vergessen, dass Gott dem Menschen zwei Ohren, aber nur einen Mund gegeben hat. Wir sollen uns die Zeit nehmen, auf das Wort Gottes zu hören. Wer das gelernt hat, lebt nicht seinen eigenen Willen aus, sondern tut das, was sein Herr und Meister ihm sagt.

Gehorsam (Verse 5.6)

In Vers 5 signalisiert Ruth Gehorsam. In Vers 6 ist sie gehorsam. Es ist eine Sache, etwas tun zu wollen und eine andere Sache, es tatsächlich zu tun. Gute Vorsätze sind nicht verkehrt, es darf allerdings nicht bei den Vorsätzen bleiben, sondern sie müssen in die Tat umgesetzt werden. Das lernen wir von Ruth. Barak und Debora erwähnen in ihrem Lied die „großen Beratungen des Herzens“ der Kinder Rubens Ri 5,16). Allerdings blieb es bei diesen Beratungen. Umgesetzt wurden sie leider nicht.

Zu Boas´ Füßen (Verse 6–13)

Die in diesen Versen beschriebene Szene mag uns auf den ersten Blick ein wenig sonderbar vorkommen. Sie mag sogar Fragen auslösen, auf die wir keine Antwort finden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Sitten und Gebräuche damaliger Tage in Israel anders waren als wir es heute kennen. Das darf nicht ganz unberücksichtigt bleiben.

Boas übernachtet auf der Tenne und freut sich über den großen Ernteertrag. Plötzlich stellt er fest, dass Ruth sich dort ebenfalls befindet. Sie hat den Wunsch, Boas nah zu sein. Die Tatsache, dass Ruth sagt: „Breite deine Flügel aus über deine Magd, denn du bist ein Blutsverwandter“ (Vers 9) bedeutete nichts anderes, als das Ruth von Boas geheiratet werden wollte. Nun haben wir schon gesagt, dass wir hier kein Beispiel für die Anbahnung einer Ehe haben. Es ist nicht der „normale“ Weg, dass eine Frau den Heiratsantrag stellt, sondern der Mann (vgl. 2. Mo 2,1). Hier ist es umgekehrt. Die gesamte Szene hat vor allem eine prophetische Bedeutung im Blick auf die zukünftige Erlösung Israels, auf die ich im Rahmen dieser praktisch orientierten Bibelarbeit jedoch nicht näher eingehen möchte. Was wir jedenfalls von Ruth lernen können ist, dass es ihr wichtig war zu heiraten und Nachkommen zu haben. Für uns spricht das von dem Wunsch, aus der Verbindung mit unserem Erlöser heraus Frucht für Gott zu bringen (vgl. z. B. Röm 7,4).2

Boas stellt Ruth noch einmal ein gutes Zeugnis aus und beweist damit, wie gut er sie kannte. Er sichert ihr zu, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Sache zu einem guten Ende – d. h. zu einer Eheschließung – zu bringen. Er war bereit, sie zu lösen und damit zu heiraten. Ruth musste Boas nur Vertrauen schenken.

Sechs Maß Gerste (Verse 14–18)

Der nächste Abschnitt zeigt zunächst, dass es Boas wichtig war, dass alles anständig und in Ordnung ablief. Er wollte niemand ein Anstoß sein, und Ruth sollte es auch nicht. Darin liegt wieder eine Belehrung für uns. Wir werden immer mal wieder mit Dingen konfrontiert, in denen uns die Bibel Freiheit gibt. Dann muss das nicht zwangsläufig heißen, dass wir diese Freiheit tatsächlich nutzen. 1. Korinther 10,32 fordert uns auf, ohne Anstoß zu sein – und zwar allen Menschen gegenüber (Gläubigen und Ungläubigen). Deshalb kann es sein, dass wir gewisse Dinge deshalb nicht tun, weil sich andere daran stoßen könnten. Boas wollte das verhindern und wir sollten es ebenso tun. Das schließt ein, gewisse länderspezifische Gepflogenheiten nicht einfach zu ignorieren.3

Dann gibt Boas Ruth sechs Maß Gerste mit, die sie nach Hause trägt und ihrer Schwiegermutter zeigt. Es war noch nicht der volle Segen (das wären sieben Maß Gerste gewesen), sondern eine Art „Anzahlung“. Noomi versteht das sofort und sichert Ruth zu, dass Boas alles gut machen wird. Wer dem Herrn Jesus vertraut, weiß genau, dass Er es richten wird. Er wird nicht eher ruhen, bis wir bei Ihm völlige Ruhe gefunden haben. Wenn Er ein gutes Werk in uns anfängt, können wir sicher sein, dass Er es vollenden wird (Phil 1,6).

Fußnoten

  • 1 Es kann allerdings durchaus umgekehrt sein. In Johannes 21,7 erkennt der Jüngere (Johannes) den Herrn Jesus zuerst und weißt den Älteren (Petrus) auf Ihn hin.
  • 2 Das heißt ausdrücklich nicht, dass es für jeden Christen heute unbedingt erstrebenswert sein muss, einmal zu heiraten. Die Ehe ist ohne Frage eine Gabe und ein Segen Gottes. Das Neue Testament macht jedoch unmissverständlich klar, dass es nicht das höchste Ziel ist (vgl. 1. Kor 7,38). Man muss nicht verheiratet sein, um glücklich zu sein. Als Single für den Herrn zu leben kann ebenfalls ein großes Glück sein.
  • 3 Glaubensgeschwister, die häufig außerhalb Europas unterwegs sind, kennen das sehr gut. In manchen Ländern gibt es Gepflogenheiten, die anders sind als in (West-)Europa. Man ist gut beraten, solche Sitten nicht einfach zu übersehen, sondern sich – soweit die Bibel es nicht ausdrücklich anders sagt – daran anzupassen.
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