Botschafter des Heils in Christo 1881
Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen (Fortsetzung)
Dritter Vortrag
Smyrna – Wir haben bereits gesehen, dass es überaus wichtig ist, wenn es sich um das Gericht handelt, den Unterschied festzuhalten zwischen der Versammlung, wie sie in Christus im Himmel gesehen wird, und der Versammlung, betrachtet als die Darstellung Christi auf der Erde. Wir haben Teil an seinem Leben und sind eins mit Ihm im Himmel; allein es ist ebenso wahr, dass Er die Versammlung hingestellt hat als ein Gefäß, um seinen Namen vor – der Welt zu tragen, als „der Brief Christi, gekannt und gelesen von allen Menschen.“ Auch haben wir gesehen, dass die Verantwortlichkeit der Versammlung hienieden die Frage der Errettung in keiner Weise berührt, und ferner, dass die Treue Gottes gegen einzelne Personen mit dem Gericht des Körpers, der seinen Namen hienieden trägt, durchaus nichts zu tun hat. In seines Treue hatte Gott verheißen, die Kirche bis zur Fülle seiner Herrlichkeit zu leiten; aber zu gleicher Zeit muss Er sie richten, wenn sie in der Verantwortlichkeit, in die er sie hienieden versetzt hat, fehlt. Wir dürfen sein Gericht über das Gefäß, das Er auf Erden zum Zeugnis hingestellt hat, nicht verwechseln mit seiner Treue gegen die Versammlung – die Braut, die durch den Heiligen Geist mit Christus im Himmel verbunden ist. Überdies aber richtet Gott jeden Einzelnen seiner Heiligen zu ihrem Besten, indem Er ihre Herzen und Gewissen durch Warnungen und Züchtigungen übt; und beugen sie sich unter diese Gerichte, so werden sie gesegnet während „der Törichte hindurchgeht und Strafe leiden wird“ (Spr 22,3). Am Ende wird der äußerliche Körper aus seinem Mund ausgespien, während alle Versuchungen, Zurechtweisungen und Züchtigungen für die Versammlung, im Blick auf ihre himmlische Berufung zum Besten ausschlagen. In jedem Sendschreiben finden wir eine besondere Offenbarung von Christus und in Übereinstimmung damit ein besonderes Gericht; ebenso spezielle Verheißungen, die den speziellen Bedürfnissen angepasst sind, indem sie den Übungen des Herzens entgegenkommen, um es aufrecht zu halten; zugleich werden den Getreuen Unterpfänder gegeben.
Das Erste, was die Kirche, betrachtet in ihrer Verantwortlichkeit, charakterisierte, bestand, wie wir gesehen haben, darin, dass sie sich von der Kraft ihrer ursprünglichen Stellung getrennt, d. h. ihre „erste Liebe verlassen“ hatte. Überhaupt ist, wie wiederholt bemerkt, in den Sendschreiben nicht die Rebe von der Darreichung der Gnade von Seiten des Hauptes, noch von dem, was „jedes Gelenk darreicht“, sondern es werden Zurechtweisungen, Warnungen und Verheißungen gegeben, um auf die Herzen und Gewissen der einzelnen Heiligen in ihrer Verantwortlichkeit hienieden zu wirken. Ebenso ist wohl zu beachten, dass niemals die Kraft des Heiligen Geistes, welche tätig ist, zu bilden und zu sammeln, Gegenstand der Sendschreiben sein kann. Denn es ist vom Gericht die Rede, und unmöglich kann von Christus gesagt werden, dass Er das Werk des Heiligen Geistes richte. Wenn der Heilige Geist wirkt, so ist es Macht, wirksam in Gnade. Christus aber gibt, indem Er Gericht ausübt, sein Urteil kund über den praktischen Gebrauch, den man von dem empfangenen Werk des Geistes gemacht hat. Die erste große Wahrheit ist, dass der Herr die Versammlung als verantwortlich betrachtet gegenüber all der Liebe, deren Gegenstand sie ist, und dass Er Gegenliebe von ihr erwartet. Findet Er diese nicht, sondern stattdessen ein Verlassen der ersten Liebe – was nur der traurige Anfang zu größerem Verfall ist – so sagt Er: „Tue Buße; wo nicht, so werde ich deinen Leuchter wegtun aus seiner Stelle.“ Nicht Einzelne sind es, die hier gerichtet werden, sondern die Versammlungen, wenn auch Einzelne die Ermahnungen hören und Nutzen aus ihnen ziehen mögen; der Geist wendet sich an die Versammlungen. Da aber die Kirche oder Versammlung nicht antwortet, nicht Buße tut, noch die ersten Werke vollbringt, noch endlich zur ersten Liebe zurückkehrt, so muss ihr Leuchter weggenommen werden. Und dann wendet sich das Wort persönlich an den, „der ein Ohr hat zu hören“, und macht ihn auf das aufmerksam, „was der Geist zu den Versammlungen sagt.“
Doch obwohl die Versammlung als solche gefehlt hat und ihr Leuchter weggenommen werden muss, so gibt es doch noch etwas wie persönliche Energie in ihr, um zu überwinden. Und beachten wir, dass es sich darum handelte, in der Lage zu überwinden, in welcher die Versammlung sich befand. Die Verantwortlichkeit der Einzelnen bestand darin, da zu überwinden, wo sie waren. Wie verschieden von dem Zustand der Dinge zu der Zeit, als der Heilige Geist den Segen in Fülle ausgoss! Nicht nur das, was in der Welt war, sondern auch das, was sich innerhalb der Versammlung befand, musste jetzt überwunden werden. „Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat, unser Glaube.“ Er belebt das Herz des Getreuen durch Verheißungen, um es gegen die Fallstricke Satans in der Welt sicher zu stellen. Wenn aber der Verfall eingetreten ist, so muss notwendigerweise das Gewissen des Gläubigen in Bezug auf das Aufrechthalten der Stellung, in welcher er sich befindet, in Tätigkeit kommen. Fallstricke, Schwierigkeiten und Gefahren waren in die Kirche selbst eingedrungen – denn wir dürfen nicht vergessen, dass sie, als das Sendschreiben an Smyrna gerichtet wurde, ihre erste Liebe bereits verlassen hatte – und sobald der Geist sich an die Versammlung als an eine gefallene Versammlung wendet, so ist diese nicht mehr der Ort der Sicherheit für den Heiligen. Er kann dann nicht mehr als sicher annehmen, dass sein Weg, wenn er mit der Versammlung wandelt, nach der Kraft und dem Willen Gottes ist. Eine gefallene Versammlung kann mich vor dem Irrtum nicht schützen; da sie selbst unter dem Gericht steht, so kann sie für nichts Sicherheit bieten. In Wahrheit konnte sie es nie; vielmehr waren es apostolische Macht und Energie, welche, solange die Apostel lebten, die Versammlung unterstützten und über sie wachten (Siehe Apg 20,28–29; 2. Pet 1,15).
Der Geist wendet sich daher jetzt an Einzelne; die Versammlung bot dem Gläubigen keine Sicherheit, keine Gewähr mehr für irgendetwas. Sie mochte wohl in diesem oder jenem Recht haben, allein der Gläubige musste seine Sicherheit durch das Wort Gottes, im Gegensatz zu der Versammlung oder zum wenigsten unabhängig von ihr, bewahren; durch dieses Wort, angewandt durch den Heiligen Geist, musste er unterscheiden, worin er ihr folgen konnte und worin nicht. Dieser Zustand der Dinge setzt aber keineswegs voraus, dass jeder Segen ausgeschlossen gewesen und nichts Vortreffliches mehr in der Versammlung zurückgeblieben wäre. Im Gegenteil sehen wir, dass der Herr vieles anerkennt und lobt. Aber dessen ungeachtet bleibt es ein Grundsatz von der allerhöchsten Wichtigkeit, dass eine Versammlung, die sich im Verfall befindet, keine Sicherheit mehr bietet, und dass ich in Folge dessen in persönlicher Verantwortlichkeit zu beurteilen habe, was ich annehmen und was ich verwerfen muss. Als von Gott aufgerichtet, – war die Versammlung, im Blick auf die einzelnen Gläubigen, ein Ort der Segnung und für Christus eine Bewahrerin des Zustandes gewesen, in welchen jene versetzt waren, indem sie das Gefäß und den Ausdruck der Macht des Heiligen Geistes, das Resultat seiner Wirksamkeit bildete. Sobald sie aber ihren ersten Zustand verließ, hörte sie auf, dies zu sein. Auch waren es, wie bereits bemerkt, mir die Apostel, welche diese Macht des Heiligen Geistes praktisch in der Versammlung aufrecht hielten, wie wir dies bei Ananias und Saphira, in der Versammlung von Korinth usw. sehen. Unsere Verantwortlichkeit verändert sich indessen nie, noch kann Christus je ermangeln, die nötige Gnade für den Zustand, in welchem die Versammlung sich befindet, darzureichen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein kurzes Wort über den Ausdruck „Entwicklung“ sagen, der so oft und gern in Bezug auf die Kirche gebraucht wird. Satan selbst hat ihn eingeführt. Der Gedanke an eine Entwicklung in der Versammlung des lebendigen Gottes schließt nichts anderes als Unglauben in sich. In Gott gibt es nichts, was sich entwickeln könnte; Er ist die vollkommene, unveränderliche Quelle von allem. Nun aber ist das, wozu Gott uns berufen hat, eine vollkommene Offenbarung seiner selbst in Christus, wie wir dies in 1. Johannes 1,1–2 sehen. Da war die Offenbarung jenes ewigen Lebens, welches bei dem Vater war, und es ist klar, dass es in demjenigen, was offenbart worden ist, keine Entwicklung geben kann, wir müssten denn etwas erhalten können, was über die Vollkommenheit Christi, in welchem die ganze Fülle wohnt, noch hinausginge. Gott ist Licht; Christus war das wahrhaftige Licht, und dieses strahlte in der Offenbarung der Herrlichkeit seiner Person durch die Macht des Heiligen Geistes völlig hervor. Könnten wir etwas Besseres oder vollständigeres bekommen, als dieses „Licht?“ Könnten wir zu dieser Offenbarung der „Wahrheit“ – noch etwas hinzufügen? Es gibt in Bezug auf Ihn sicherlich vieles für uns zu lernen; allein es ist eine Person, die hier vor uns gestellt wird und nicht eine Lehre. Wäre es nur eine Lehre, so könnte vielleicht noch etwas anderes – eine andere Lehre – hinzugefügt werden; allein es handelt sich nicht bloß um eine Lehre, sondern um eine lebendige Person, welche offenbart worden ist. Und wenn nun diese Person Christus selbst ist, was kann dann weiter offenbart werden? Dem, was Gott gewirkt hat, können wir nichts hinzufügen. Ach! leider kann der Mensch davon abweichen, wie dies in Ephesus der Fall war. Die dortigen Gläubigen hatten ihre erste Liebe verlassen, aber darin liegt doch sicherlich keine Entwicklung. Ohne Zweifel können wir von dem, was im Anfang offenbart worden ist, immer mehr lernen, und sollten dies stets tun; allein Gott bringt von Anfang an alles vollkommen hervor. Er kann nichts aufrichten, was nicht vollkommen wäre, nichts, was die Höhe seiner Gedanken nicht erreichte oder denselben gar zuwider wäre.
So wurde einst der Mensch vollkommen in Unschuld geschaffen, aber Adam fiel. Das Priestertum Aarons war in seiner Art vollkommen, aber Nadab und Abihu versündigten sich. Alles, was Gott je gepflanzt hat, hat Er als ganz guten Samen, seinen Gedanken entsprechend, gepflanzt. Was irgend von Gott kommt, muss vollkommen sein und kann durch kein weiteres Zutun vollkommener gemacht werden. Dies ist eine sehr einfache Wahrheit; allein sie wirft ein ganzes System von Gedanken und Gefühlen über den Haufen, das die Verbindung zwischen unseren Seelen und Christus stören möchte. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass Gott in dem Geschöpf nichts mehr offenbaren oder nichts Besseres hervorbringen könnte, als was Er einmal offenbart oder hervorgebracht hat. Gott tut dieses: der letzte Adam war ohne allen Zweifel unendlich vorzüglicher, als der Erste. Aber alles, was Er aufrichtet, ist ganz vollkommen, als der Ausdruck seiner Gedanken in der betreffenden Sache, die Er hervorbringt. Der Mensch kann es weder verbessern, noch ihm etwas hinzufügen. Das, was Gott für uns aufgerichtet hat, ist seine vollkommene Offenbarung in Christus; der Gedanke an eine Entwicklung ist deshalb gleichbedeutend mit der Verwerfung des wahren Gegenstandes oder mit einer Lästerung. Johannes spricht, wenn er die Heiligen in Sicherheit bewahren will, von dem, „was von Anfang war.“ Aber selbst die Herrlichkeit vergeht, wenn sie der Verantwortlichkeit des Menschen überlassen wird. „Und ich hatte dich gepflanzt, einen edlen Weinstock und einen rechtschaffenen Samen; wie bist du mir denn verwandelt in entartete Reben eines fremden Weinstocks?“ (Jer 2,21) Und warum das? Weil, sobald etwas den Händen des Menschen anvertraut wird, Verfall eintritt.
Sobald dieser Verfall begonnen hat, begegnen wir einem neuen Grundsatz. Gott benutzt jetzt die, durch die Feindschaft der Welt wirkende Macht Satans zu zweierlei Zwecken: zunächst, um das göttliche Leben in den Heiligen zu üben, und dann, um eine weitere Entfernung von dem Herrn zu verhüten. Sobald wir deshalb zu Smyrna kommen, hören wir von Verfolgung und Drangsal. Die Geschichte des Lebens Christi auf Erden war bis zum Kreuz hin eine unausgesetzte Übung durch Prüfungen und Leiden. Nicht als ob diese Übung nötig gewesen wäre, um Ihn von irgendeinem vorhandenen Übel zu befreien; sie diente im Gegenteil nur dazu, seine Vollkommenheit umso völliger ans Licht zu stellen, auf dass Er in Herrlichkeit als Mensch vollkommen gemacht würde, in dem gerechten Resultat dessen, was Er in moralischer Hinsicht war. „Obwohl Er Sohn war, lernte Er an dem, was Er litt, den Gehorsam.“ Alles das, was in Ihm war, wurde durch den Widerstand und die Schmach, die Er fand, ans Licht gebracht. Je mehr Er sich dem Kreuz näherte, desto finsterer wurde sein Pfad. Er musste den Satan überwinden, und Er ruft anderen zu: „Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.“
Der zweite Zweck, zu welchem Gott die Macht Satans in Verfolgungen und Prüfungen der Heiligen gebraucht, besteht, wie oben bemerkt, darin, ihre weitere Entfernung von Ihm zu verhüten. Das Herz des Gläubigen ist beständig geneigt, in der Gunst der äußeren Umstände seine Ruhe zu suchen, weil sich das Fleisch naturgemäß dem zuwendet, was in der Welt für ein angenehmes Ruhekissen gilt; die Folge davon ist eine Abnahme der inneren Lebenskraft. Allein damit kann Gott sich nicht zufriedengeben. Er sagt: „Macht euch auf und Zieht hin, denn dieses Land ist der Ruheort nicht; um der Verunreinigung willen wird es euch verderben.“ Die Verfolgung ist das natürliche Teil der Versammlung Gottes, solange sie hienieden in einer Welt der Sünde ist. Und da die Versammlung sich im Anbeginn der Ruhe hingeben wollte, so wurde Gott sehr bald gezwungen, die Verfolgung gegen sie ausbrechen zu lassen.
In der Bergpredigt entfaltet der Herr in wunderschöner Weise den Geist und den Charakter des Reiches. „Glückselig die Armen im Geist!“ „Glückselig die Sanftmütigen!“ „Glückselig die Reinen im Herzen!“ usw. Segnung war der Charakter, in welchem Er das Zeugnis, dessen Träger Er war, einführte. Gott Zeigte, was in seinen Augen glückselig war. Die Gnade Christi begann sich damals zu offenbaren, indem sie die naturgemäßen Folgen der Grundsätze und des moralischen Charakters seines Reiches zeigte. Nachdem durch die Wunder, welche der Herr bereits vollbracht hatte, die Aufmerksamkeit der Menge aus der ganzen Umgegend auf Ihn gelenkt war, sing Er an, seine Zuhörer mit dem wahren Geist und Charakter des Reiches bekannt zu machen, worüber sie ganz andere Gedanken gehabt hatten, und ihnen zu sagen, wer die Glückseligen seien. Doch am Ende des Evangeliums Matthäus muss Er (Kap 23), anstatt zu segnen, ausrufen: „Wehe euch! Wehe euch! Siehe, euer Haus wird euch wüste gelassen; denn ich sage euch: ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn!“ Was war die Ursache dieser gänzlichen Veränderung? Der Widerstand des Menschen war durch die vollkommene Offenbarung dessen, was Christus war, unverhüllt hervorgetreten. Im Anfang des Evangeliums Matthäus finden wir den gesegneten Ausfluss dessen, was in dem Herzen des Herrn war; der weitere Verlauf seines Lebens hienieden aber zeigte die Gesinnung ihrer Herzen; daher die Worte: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler!“
Kehren wir jedoch zu unserem Gegenstand zurück. Gott sendet also die Drangsal, den Widerstand von außen, um Gnade hervorzubringen und der beständigen Neigung, uns von Ihm zu entfernen, entgegen zu wirken. Bei Christus hatte sie stets den ausschließlichen Zweck, die Gnade ausstrahlen zu lassen. So bedient sich Gott des Satans, als eines Werkzeuges, um selbst für die Versammlung Segen hervorzubringen. In ähnlicher, bewunderungswürdiger Weise gebrauchte Gott den Satan einst zum Segen für seinen Knecht Hiob. Gott war es, der die Unterredung mit Satan begann, und Er wusste sehr wohl, was Er tat, als Er die Aufmerksamkeit Satans mit den Worten auf Hiob lenkte: „Hast du Acht gehabt auf meinen Knecht Hiob?“ Die Bosheit Satans war völlig bereit, Hiob zu plagen und zu verfolgen; allein sie wurde von Gott benutzt, um ihn zu dem zu bringen, was zu seiner Segnung nötig war, nämlich zu der Erkenntnis des Bösen, das sich in seinem Herzen vorfand. Auf keinem anderen Wege hätte er dieses lernen können. Ein weiteres Beispiel liefert uns die Geschichte des Apostels Paulus. Er wurde in den dritten Himmel entrückt, um dort ein solches Bewusstsein von der Macht Gottes zu erlangen, dass es ihn für seinen besonderen Dienst der Versammlung und der Welt gegenüber fähig machen konnte, und um zugleich eine Offenbarung von der Herrlichkeit Jesu zu empfangen, wie sie nötig war, um ihn in all den unvermeidlichen Prüfungen, die über ihn kommen mussten, aufrecht zu halten. Doch welchen Gebrauch würde das Fleisch hiervon gemacht haben, wenn Gott in seiner Gnade ihm nicht zuvorgekommen wäre? Es hätte sich stolz erhoben und gesagt: „Siehe Paulus, du bist im dritten Himmel gewesen, wohin niemand außer dir je gekommen ist.“ So wurde ihm denn ein Dorn für das Fleisch gegeben, ein Engel Satans, um ihn mit Fäusten zu schlagen. „Für dieses flehte er drei Mal zum Herrn, auf dass er von ihm abstehen möchte.“ Aber nein, er konnte nicht entfernt werden, weil sich Paulus sonst ins Maßlose erhoben haben würde. Doch er erhält die Zusicherung: „Meine Gnade genügt dir.“ Das, was dem Apostel Kraft verlieh, war, insofern er selbst dabei beteiligt war, gerade das, wodurch er seine eigene Schwachheit kennen lernte – der Dorn für das Fleisch, der Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlug. Denn jetzt handelte es sich nicht mehr um seine Kraft, sondern um die Gnade und die Kraft Christi. Jetzt konnte er sagen: „Darum will ich am allerliebsten mich vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, auf dass die Kraft des Christus mir einwohne.“
Es erscheint vielleicht befremdend, dass Gott den Satan als Werkzeug zur Prüfung der Heiligen gebraucht, anstatt zu ihrer Befreiung ins Mittel zu treten. Allein Er handelt so, wie wir auch hier sehen. Er sagt nicht: „Ich werde euch ins Gefängnis werfen“, sondern: „der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen.“ Hätte der Herr dies nicht verhindern können? Ganz gewiss; aber weil die Prüfung nötig war, so hatte Er, wenn Er dem Teufel gewehrt, die Seinen der Segnungen beraubt, welche für sie aus einer solchen Prüfung hervorgehen sollten. Wenden wir uns einen Augenblick zu der Geschichte des Petrus. Der Herr sagt zu Ihm: „Siehe, der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet.“ Weshalb hatte Er dies getan? Damit Petrus nicht gesichtet werde? Keineswegs; denn Petrus bedurfte der Sichtung, weil er auf das Fleisch vertraute. Der Grund, weshalb der Herr für ihn gebetet hatte, war der, dass sein „Glaube nicht aufhöre“, d. h., dass er in der Prüfung gestärkt und aufrecht gehalten werde, dass sein Herz seinen Halt in Christus nicht verliere, sondern seiner Liebe versichert bleibe und so die beabsichtigte Segnung erlange. Auf solche Prüfungen des Glaubens spielt Petrus auch an, wenn er in seinem ersten Briefe sagt: „Dass die Bewährung eures Glaubens viel köstlicher als die des Goldes (das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird) erfunden werde, zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi.“ War durch Satan die Spreu von dem Weizen abgesondert, so konnte der Herr Petrus gebrauchen, wie Er denn zu ihm sagt: „Bist du einst zurückgekehrt, so stärke deine Brüder.“
Sobald die Versammlung gefallen war und ihre erste Liebe verlassen hatte, musste sie in den Feuerofen geworfen werden, damit die Welt mit ihrem Anziehenden und ihrem Bösen nicht auf die schlechten Neigungen der Gläubigen einzuwirken vermöchte, solange diese in einem Leib der Sünde und des Todes sich befanden. Während die Kirche in der Frische ihrer ersten Liebe wandelte, hatte die Welt keine Macht über sie. Christus stand zu lebendig vor ihren Augen, als dass sie sich anderen Neigungen hätte hingeben können – Neigungen, welche das Herz den Vernunftschlüssen des Unglaubens erschließen. Sobald aber die „erste Liebe“ verlassen war, wurde die Versammlung die Beute ihres eigenen bösen Fleisches, auf welches das sie umgebende Böse einwirkte. Sie musste deshalb in den Feuerofen geworfen werden, dass in, wo Satan verfolgte, damit sie vor dem viel gefährlicheren Orte, wo Satan wohnt – der Welt – bewahrt bliebe.
„Ich kenne deine Trübsal und deine Armut; aber du bist reich.“ Als die Versammlung zuerst gebildet wurde, waren die Christen in ihrer äußeren Erscheinung arm und verächtlich. Indem sie ihre erste Liebe verließen, kamen sie in Gefahr, den Vernunftschlüssen der Welt anheim zu fallen; der Herr lässt deshalb den Fürsten derselben gegen sie los, um ihnen da, wo sie in Gefahr waren, eine falsche Ruhe und Freude zu finden, Trübsal begegnen zu lassen; anstatt der falschen Lockungen der Welt, welche sie in dieselbe hineinzuziehen und von des Vaters Liebe zu entfernen drohten, sollten sie den wahren Charakter ihrer Feindschaft kennen lernen. So sanken sie in jene Stellung der Unbedeutsamkeit und Armut hinab, in welche der Widerstand der Welt die Heiligen versetzt. Doch der Herr sagt: „Du bist aber reich.“ Jene kleine Zahl armer und verachteter Personen besaß göttliche und unerschöpfliche Reichtümer. Als sie sich jedoch in der Welt vermehrten und ausbreiteten, zeigte sich die Neigung, sich mehr auf die errungenen Erfolge, als auf den Herrn selbst zu stützen, und der Herr, welcher sie zu sehr liebte, um dieses dulden zu können, musste sie in den Feuerofen werfen, um sie dadurch zu veranlassen, ihre Stütze allein wieder in Ihm zu suchen. Er wünschte, dass die Versammlung das ganze ihr gehörende Teil genieße, und Er benutzte die Feindschaft der Welt, um sie zu ihren Hoffnungen und Vorrechten zurück zu bringen. Es möchte indessen befremdend erscheinen, dass der Herr zu diesem Zweck eine Drangsal von „zehn Tagen“ über sie kommen lässt. Doch Er will sie belehren, dass der Himmel und nicht die Erde ihr Teil ist, dass sie nicht hienieden bleiben, sondern als Pilger und Fremdlinge durch diese Welt Ziehen sollen, um Ihn zu verherrlichen – Ihn, der hienieden ein Fremdling war und auch jetzt in der Herrlichkeit für die Welt als solche ein Fremdling ist. Zugleich aber zeigt jener Ausdruck, dass die Prüfung bestimmt abgemessen ist. Wohl benutzt Gott den Satan als eine Zuchtrute für uns; allein er darf keinen Schritt weitergehen, als Gott es ihm erlaubt, selbst nicht ein Haar unseres Hauptes krümmen.
Doch die Versammlung muss zu dem tiefen Bewusstsein des Zustandes gebracht werden, von welchem sie soweit abgewichen ist. Deshalb erlaubt Christus nicht nur dem Teufel, etliche von ihnen ins Gefängnis zu werfen, sondern Er sagt auch: „Sei getreu bis zum Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben.“ Satan durfte bis zum Äußersten gehen. Doch wenn die Getreuen ihren Glauben mit dem Tod besiegelten und als Märtyrer starben, was war dann ihr Teil? Jesus gibt ihnen die Krone des Lebens. Die Versammlung hatte sich mit der Welt eingelassen; wo aber der lebendige Glaube tätig war, da hatte die Verfolgung die Wirkung, dass Christus seinen wahren Platz erhielt und alle gestärkt wurden. So oft es sich darum handelte, Christus aufzugeben, gab es Märtyrer, vielleicht sogar unter denen, die am meisten verweltlicht waren. Dies hat sich häufig bewahrheitet. Und gerade so wie es damals war, so ist es heute. Die Christen suchen in hohem Maß dasselbe was die Welt sucht: Wohlstand, Macht und Einfluss – gerade die Dinge, welche der Herr nicht besaß. Und könnte ich Wohl da ein Fremdling genannt werden, wo ich Macht und Einfluss besitze? Sicherlich nicht. Die Versammlung muss einen himmlischen und einen gekreuzigten Christus aufgeben, wenn sie in irgendeiner Weise die Welt als ihr Teil haben will. Die Versammlung Gottes kann nicht Welt und Religion mit einander verbinden, ohne ihren wahren Charakter zu verlieren.
Der Zweck des Judentums war, die Religion mit dieser Welt, mit der Erde zu verbinden. Gott versuchte auf diese Weise, ob der Mensch durch irdische Dinge, die mit Ihm in Verbindung standen, zu Ihm hingezogen werden könnte. Zu diesem Zweck gab Er ihnen einen herrlichen Tempel, prächtige Kleider, glänzende Zeremonien, Musik und Gesang, umso den Geschmack und die Gefühle der Natur mit sich zu verbinden. Doch alles dieses machte, was wohl zu beachten ist, ein Priestertum zwischen Gott und Menschen nötig. Der Mensch war nicht in die Gegenwart Gottes im Himmel gebracht – des Gottes, der „Licht“ ist – noch genoss er die friedevolle Gemeinschaft mit Ihm. Jene irdischen Dinge hielten die Seele in einer gewissen Entfernung von Gott. Es kann nicht anders sein. Denn wenn die Welt mit der Religion in Verbindung steht, so muss ein Priestertum eintreten, weil der Mensch, so wie er ist, nicht vor Gott stehen kann. Er kann, nicht im Licht stehen und bedarf deshalb eines Priesters.
Wir aber sind jetzt nahegebracht; wir können in dem Licht stehen, wie Gott im Licht ist; wir sind Priester, und was unsere Stellung in der Gegenwart Gottes betrifft, so ist kein Priestertum zwischen Gott und uns nötig. Christus litt außerhalb des Tores; und sobald das Blut Christi, durch welches wir geheiligt sind, ins Heiligtum, in die Gegenwart Gottes, gebracht ist, sind wir in Verbindung mit den himmlischen Örtern und nicht mehr mit einer irdischen Stadt; es gibt jetzt keine heilige Stadt mehr. Ferner sind wir ganz und gar aus der Welt herausgenommen (und zwar ist die Welt, in fleischlicher Weise religiös gemacht, für uns „das Lager“, aus welchem wir zu Ihm hinausgehen sollen; vgl. Heb 13,13) und haben – unseren Platz mit Ihm innerhalb des Vorhangs gefunden. Gerade das war es, was der Apostel die Hebräer lehrte. Sie konnten nicht mit einer Religion, die einen weltlichen Charakter trug, mit dem Judaismus, der irdischen Religion Gottes, vorangehen. Aus demselben. Grund sagt der Apostel zu den Korinthern, dass, wenn, er auch Christus nach dem Fleisch gekannt habe, er Ihn doch jetzt nicht mehr also kenne. Für ihn gab es nur einen himmlischen Christus.
Im Judentum verbanden fleischliche Satzungen den Menschen mit Gott. Nachdem aber Christus verworfen ist, teilen seine Nachfolger seinen Platz der Annahme im Himmel und denjenigen der Verwerfung auf der Erde. Jetzt gibt es kein Mittelding; Christus ist ganz und gar himmlisch, und wir sind auferweckt, um in Ihm in den himmlischen Örtern zu sitzen. Sobald die Versammlung das Bewusstsein ihres himmlischen Platzes in Christus verliert, lässt der Herr in seiner treuen Liebe die Macht Satans wider uns los, auf dass wir lernen, dass gerade die Welt, welche wir religiös zu machen suchen, der Ort ist, wo Satan thront. Ohne alle Frage wird in einem solchen Fall die Welt mit ihren Gedanken über Religion im völligsten Widerspruch zu uns stehen, aber wir haben dann Christus und seine Gedanken für uns – Ihn, der da sagt: „Fürchte nichts von dem, was du leiden wirst, denn ich bin der Erste und der Letzte, der tot war und lebt.“
Christus wendet sich an die Versammlung von Smyrna als der, „welcher tobt war und lebt.“ Er ist nicht nur Gott, sondern auch derjenige, welcher tot war und lebt in die Zeitalter der Zeitalter. Als Mensch betrachtet, ist Christus aus der Welt hinausgeworfen worden, so dass wir, wie Maria Magdalena, entweder ein leeres Grab – denn das ist die ganze Welt, wenn wir Christus suchen – oder einen auferstandenen Jesus finden. Ist unser Herz auf Christus gerichtet, so werden wir in dieser Welt nichts anderes finden, als das leere Grab Jesu. Wir haben deshalb nichts mit der Welt zu tun, denn wenn wir im Geist mit unserem Haupt im Himmel sind, so befinden sich alle unsere Segnungen dort. Indessen bleibt es eine beständige Schwierigkeit, Herz und Seele in dieser Gesinnung zu erhalten; allein es muss geschehen. Anders wird die Welt, wenn wir nicht an ihr hängen, sich an uns hängen; und kommt dann der Verfall und ist die erste Liebe verlassen, so muss die Verfolgung eintreten, damit wir nicht der Welt gleichförmig werden. Dies war mit der Versammlung in Smyrna der Fall. Die erste Liebe war verlassen, und so musste sie durch die Trübsal gehen, um nicht zu vergessen, dass sie nicht von der Welt war. Das Judentum hatte sich Eingang verschafft, jene so genannte „Entwicklung“ hatte begonnen usw. „In Dinge eintretend, die sie nicht gesehen, eitler Weise aufgeblasen von dem Sinn ihres Fleisches.“ Anstatt nur wenige, ein kleines, verachtetes Häuflein zu sein, wuchs die Zahl der Gläubigen erstaunlich an, so dass ihre äußere Erscheinung eine stattliche wurde. Es dauerte nicht gar lange, bis das Ganze der jüdischen Hierarchie glich. Aber dann trat die Verfolgung ein und wehte über alles hin; ging die Verfolgung selbst bis zum Tod, so konnten doch alle, bei welchen ein lebendiger Glaube an einen lebendigen Herrn vorhanden war, von dem zweiten Tod nicht beschädigt werben, obwohl sie hier sterben mochten. Die Geschichte jener Zeiten beweist, dass die lebendige Macht und Wahrheit in der Versammlung sich nicht in ihren Lehrern, sondern in ihren Märtyrern vorfand (Fortsetzung folgt).