Botschafter des Heils in Christo 1878
Das Gesetz (Fortsetzung)
Es möchte nun jemand einwenden, dass dieses die Wirkung des Gesetzes außer und vor Christus gewesen sei. Meine Antwort ist, dass der Apostel dies alles an Christen schrieb, nachdem Christus gekommen war, um dieselben gegen die vielfältigen Anstrengungen und Bestrebungen, sie wieder unter die Verpflichtung des Gesetzes zubringen, sicher zu stellen. Und er zeigt, welche Wirkung das Gesetz für jeden, auch für den Christen hat, wenn er dessen Verpflichtungen auf sich nimmt; während er Zugleich erklärt, dass diejenigen, welche unter dem Gesetz waren, von demselben befreit worden sind – dass das Gesetz ein Zuchtmeister war, bis der Glaube kam, und da nun der Glaube gekommen ist, der Mensch nicht mehr unter dem Zuchtmeister steht. Überall, wo der Apostel diesen Gegenstand behandelt, betrachtet er das Gesetz seiner Natur 1 gemäß und besonders mit Rücksicht auf die Anstrengungen, die, wie schon gesagt, überall gemacht wurden, um die Menschen unter die Verpflichtung des Gesetzes zu bringen, nachdem sie den Glauben empfangen hatten.
Das Gesetz hat seine eigentümliche und besondere Wirkung. Dieses führt mich zu der Schriftstelle, die beständig als Stützpunkt jenes gesetzlichen Systems angeführt wird: „Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir bestätigen das Gesetz“ (Röm 3,31). Und hier möchte ich den Leser bitten, wohl zu erwägen, was ich sage. Ich erkläre in Übereinstimmung mit der Schrift, dass das Gesetz notwendig immer seine im Wort Gottes angegebene Wirkung auf den ausüben muss, der unter demselben steht; dass aber diese Wirkung auf ein Wesen, in welchem die Lust oder die Sünde wohnt, nach der Schrift immer Verdammnis und Tod ist und nichts anderes sein kann. Ferner, dass das Gesetz keine Barmherzigkeit kennt, sondern den Fluch ausspricht über jeden, „der nicht bleibt in allem, was geschrieben ist im Buch des Gesetzes, es zu tun;“ und dass jeder, „der aus Gesetzes Werken ist, unter dem Fluch ist“ (Gal 3,10). Nun aber wohnt in dem Christen, als einem menschlichen Wesen, tatsächlich die Sünde, und leider fehlt er auch; ein solcher ist folglich, wenn das Gesetz auf ihn angewandt wird, unter dem Fluch; denn es bringt einen Fluch auf jeden, der sündigt. Schwäche ich nun, indem ich dieses sage, die Autorität des Gesetzes? Im Gegenteil, ich halte sie aufrecht und bestätige das Gesetz in der völligsten Weise. Ich frage dich: Hast du mit dem Gesetz zu tun? Wenn es der Fall ist, so bist du unter dem Fluch. Hier gibt es kein Entrinnen, keinen Ausweg. Die Autorität und die Ansprüche des Gesetzes müssen aufrecht gehalten – seine gerechten Forderungen erfüllt werden. – Hast du gefehlt? Du hast es ohne Zweifel; nun so bist du unter dem Fluch. Du sagst vielleicht: Ich bin ein Christ; wenn ich auch dem Gesetz noch verpflichtet bin, so bin ich doch nicht unter einem Fluch. – Hat denn nicht das Gesetz den Fluch über jeden ausgesprochen, der gefehlt hat? Gewiss, und du bist unter demselben. Du hast gefehlt und willst trotzdem nicht verflucht sein! Dies Urteil beweist, dass du die Autorität des Gesetzes nicht aufrecht hältst; denn du bist unter demselben, und es hat dich verflucht, und doch sagst du, ich bin nicht verflucht. Wenn du gesagt hättest, ich war unter dem Gesetz und habe gefehlt, aber Christus ist gestorben und hat den Fluch für mich getragen, und jetzt stehe ich als ein Erlöster auf einem ganz anderen Boden, nicht mehr unter Gesetz, sondern unter Gnade – dann hättest du seine Autorität aufrecht gehalten. Wenn du dich aber, nachdem Christus gestorben und auferstanden und du in Christus bist, wieder zurück unter das Gesetz stellst und dann sagst, wenn du gefehlt hast: ich bin dennoch nicht verflucht, so vernichtest du die Autorität des Gesetzes; denn es spricht einen Fluch aus, und du erkennst ihn nicht an. Derjenige, welcher einen Christen unter das Gesetz stellt, vernichtet entweder die Autorität des Gesetzes, oder er bringt den Christen unter den Fluch – „denn wir alle straucheln oft.“ Er mag sich einbilden, das Gesetz zu bestätigen, aber tatsächlich vernichtet er seine Autorität. Nur derjenige bestätigt die völlige, unveränderliche Autorität des Gesetzes, welcher erklärt, dass ein Christ durchaus nicht unter demselben ist und deshalb durch seinen gerechten und heiligen Fluch nicht verflucht werden kann.
Ich werde nachher durch die Schrift zeigen, welches der Maßstab des christlichen Wandels ist. Für jetzt bemerke ich nur, dass es nicht die Richtschnur des Rechts und Unrechts ist, die wir besonders bedürfen, obgleich (dieselbe sehr nützlich, notwendig und an ihrem Platz sein mag) sondern das, was unserer neuen Natur Antrieb und Kraft verleiht. Das Gesetz aber gibt weder das Eine noch das Andere, sondern ist nach der Erklärung der Schrift ein Anlass für die Sünde, um jegliche Lust in uns zu wirken, – eine Anregung zur Sünde und die Kraft derselben. Unter dem Gesetz sein, heißt unter der Herrschaft der Sünde sein; denn die Schrift sagt: „Die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ Man setze z. B. eine Schüssel umgekehrt auf den Tisch. Sie mag kaum beachtet werden; sobald aber gesagt wird: Niemand darf erfahren, was unter dieser Schüssel ist – wer möchte es dann nicht gerne wissen? Auf diese Weise ist das Gesetz der Anlass zur Lust. Wenn wir darauf achten, dass der Apostel, falls er vom Gesetz spricht, nur von dessen Wirkungen redet, die es auf einen jeden, der unter demselben ist, ausübt, und besonders auf den Christen, der sich selbst, nachdem er Christ geworden, unter dasselbe begibt – wenn wir darauf achten, dass er nicht bloß von der Unmöglichkeit der Rechtfertigung durch das Gesetz spricht, (was er anders ausführlich tut) sondern von seiner eigentümlichen und notwendigen Wirkung in allen Fällen, dann ist die Frage wenn anders die Schrift eine Autorität ist, bald entschieden.
Aber, wird mancher gewissenhafte Christ fragen, ist eine solche Lehre der Befreiung vom Gesetz nicht eine gefährliche Sache? Wird nicht dadurch der Sünde Tür und Tor geöffnet? Gewiss nicht; „denn so viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden ohne Gesetz umkommen“, so dass der, welcher das Gesetz bei Seite setzt, um ungestraft sündigen zu können, ebenso schlimm daran ist, als auch der, welcher sich unter dem Fluch des Gesetzes befindet. Zudem bietet auch das Gesetz keinen Schutz gegen die Sünde; im Gegenteil wird nach der Erklärung des Apostels die Sünde nicht über uns herrschen, weil wir nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade sind. Was aber befreit uns von der Sünde und dem Gesetz? Das einzige Mittel, das uns befreien kann, ist der Tod und dann die Neuheit des Lebens in der Auferstehung. Wir sind als Christen in Christus, und nicht in Adam.
Doch möchte ich hier noch einmal auf die berechtigte Wirkung des Gesetzes zurückkommen, denn das Gesetz ist gut, wenn man es gesetzmäßig gebraucht. Es verdammt nicht nur die Sünden, sondern auch, wo es in seiner geistlichen Kraft erkannt wird, die Sünde. Zunächst verdammt es alle Übertretungen seiner Gebote. Wohl mag ein Mensch, wie Paulus, wenn es sich um den äußerlichen Wandel handelt, in seinem Gewissen dem Urteil des Gesetzes entgehen; wo es aber geistlicherweise erkannt wird, da verdammt es die Lust – und die Lüste sind in mir. Dennoch sehe ich, dass das Gesetz gerecht ist, und wir müssen uns selbst verurteilen. Das Gesetz verurteilt meine Natur, die in ihren Lüsten wirksam ist, aber es gibt keine neue Natur. Es verdammt meinen Willen, indem es unbedingten Gehorsam als eine Pflicht gegen Gott fordert; und selbst wenn mein Wille gut ist, so mache ich die Entdeckung, dass ich unter dem Gesetz keine Kraft habe. „Das Wirken dessen, was recht ist, finde ich nicht“ (Röm 7). Mein Wille, meine Lüste und Handlungen – kurz alles, was ich moralisch bin, ist verurteilt und zum Tod verdammt; und ich habe keine Kraft, das Gute zu erfüllen. Das ist die Wirkung des Gesetzes auf einen jeden, dessen Gewissen unter seinem Einfluss steht. Es tötet mich, und ich bin unter demselben, was mein Gewissen betrifft, vor Gott in Christus gestorben. Das Gesetz findet seine Anwendung auf den Menschen als ein Kind Adams, lebend im Fleisch. Es hat mich, weil ich ein solcher bin, in diesem Zustand verdammt und mir den Tod gebracht; als solcher bin ich unter demselben gestorben. Wenn aber das, worauf das Gesetz angewandt wurde, unter ihm gestorben ist, dann ist folglich nichts mehr vorhanden, worauf es angewandt werden kann. Wenn z. B. jemand wegen eines Diebstahls oder Mordes ins Gefängnis geworfen wird, und er stirbt daselbst, so kann das Gesetz nichts mehr tun, denn das Leben, womit es zu schaffen hatte, ist entflohen. „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass ich Gott lebe.“ Das Gesetz hat mich, was mein Gewissen vor Gott betrifft, getötet, und es kann weiter nichts tun. Aber weil ich ein Christ bin und durch den Glauben über dies alles, was ich vorher nicht in dieser Weise erkennen oder beurteilen konnte, ein Verständnis erlangt habe, so finde ich hier noch weit mehr. Ich bin dem Gesetz gestorben „durch den Leib des Christus.“ Der Tod, zu dem mich das Gesetz in meinem Gewissen verurteilte, ist auf einen anderen gefallen. Ich bin in Christus gestorben, und so ist die Sünde von meinem Gewissen hinweggetan worden. Wenn dieses Gericht über die Sünde mich getroffen hätte, so würde ewiges Elend mein Los gewesen sein. Jetzt aber, da Christus sich selbst an diesen Platz gestellt hat, ist es ewiges Leben; und ich habe ein Recht, mich für tot zu halten, weil Christus gestorben und ich Ihn in Wahrheit als mein Leben in meinem Herzen empfangen habe. Er, der für mich starb und wieder auferstand, ist wirklich mein Leben. Ich lebe durch das Leben dessen, der ein lebendigmachender Geist ist; und ich habe daher das Recht und bin selbst verpflichtet, mich für tot zu halten, seitdem Er, in welchem ich lebe, starb. Hierauf gründet der Apostel alle seine Schlüsse und Ermahnungen bezüglich der Sünde und des Gesetzes. Er betrachtet den Christen als gestorben und auferstanden, weil sein wahres Leben, das Leben, welches er empfangen hat und in welchem er als Christ lebt, Christus, der Gestorbene und Auferstandene, ist. Nachdem er gesagt hat: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben“, fügt er hinzu: „Ich bin mit Christus gekreuzigt; und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20). So auch in Kolosser 2,20: „Wenn ihr mit Christus den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerft ihr euch den Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt?“ ... „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kol 3,3). – In Römer 5 hat der Apostel, im Anschluss an den letzten Vers des vorhergehenden Kapitels, die Auferstehung auf die Rechtfertigung angewandt. „Christus ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden.“ Es ist die Rechtfertigung des Lebens; es ist nicht nur das Hinwegtun der Sünden, sondern unsere Versetzung in eine ganz neue Stellung vor Gott. Diese Verbindung des Lebens, der Macht des Lebens in Christus und der Rechtfertigung in Ihm, welcher, nachdem Er für uns gestorben, wieder auferweckt ist, ist es, (und nicht das Gesetz) wodurch nach der Lehre des Apostels auch die Gottseligkeit gesichert ist; denn wir lesen in Römer 6,2: „Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in derselben leben?“ Wir können ihr nicht mehr leben, wenn wir ihr gestorben sind. Und dieses ist tatsächlich unser Platz in Christus; wir sind gestorben und auferweckt, wir besitzen ein ganz neues Leben in Ihm, der unser Leben ist. „Indem wir dieses wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen; denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde“ (Röm 6,6-7). Und nachdem der Apostel in Vers 10 gezeigt hat, dass, nachdem Christus ein für alle Mal gestorben ist, Er das, was Er lebt, Gott lebt, fügt er hinzu: „Also auch ihr, haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christus Jesus.“ Dann folgen die Ermahnungen des 12. und 13. Verses: „So herrsche denn nicht die Sünde in eurem sterblichen Leib usw.“ indem er die bereits angeführten Worte hinzufügt: „Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade.“ In Vers 15 macht der Apostel eine Anspielung auf den Missbrauch, den das Fleisch von der vorhergehenden Stelle machen könnte; aber anstatt darauf zu bestehen, dass das moralische Gesetz für die Gläubigen bindend sei, zeigt er vielmehr, dass sie von der Sünde freigemacht und Sklaven der Gerechtigkeit und Gottes geworden sind, um „ihre Glieder zur Sklaverei der Gerechtigkeit zur Heiligung darzustellen.“ Wir sind also dadurch von der Sünde freigemacht, dass wir gestorben sind und in dem Leben Christi leben.
Im 7. Kapitel des Römerbriefes wendet der Apostel dieselbe Wahrheit noch ausführlicher auf das Gesetz an. Er erklärt, dass ein Gläubiger ebenso wenig mit Christus und dem Gesetz in Verbindung sein kann, wie ein Weib mit zwei Ehemännern, ohne eine Ehebrecherin zu sein. Wie aber wird jemand, der unter dem Gesetz steht, von demselben befreit? Dadurch, dass er dem stirbt, in welchem er festgehalten wird (V 6). Das Gesetz konnte nicht anders als sein Recht auf den Menschen, als ein lebendes Kind Adams, behaupten: „ein Gesetz herrscht über den Menschen, solange er lebt“ (V 1). Ich aber bin dem Gesetz gestorben durch den Leib des Christus; folglich hat die Verbindung mit dem Gesetz notwendigerweise, gänzlich und unbedingt aufgehört; denn der, welcher unter demselben stand, ist gestorben, und das Gesetz hatte nur Macht über ihn, solange er lebte. Deshalb redet der Apostel in solch einfacher und kräftiger Sprache: „Denn als wir im Fleisch waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz waren ..“ (V 5). Das Gesetz steht in Verbindung mit dem Menschen im Fleisch; wir aber sind gestorben und sind nicht mehr im Fleisch. Als wir darin waren, hatte das Gesetz seine Anwendung auf uns, denn es stand in Verbindung mit dem Fleisch; es weckte die Sünde auf und verdammte den Sünder. Dieser aber starb unter dem Gesetz; er starb unter demselben in Christus und lebt, befreit vom Gesetz, in einem neuen Leben, in dem auferstandenen Christus, außerhalb des Bereichs und der Sphäre des Gesetzes. Der Gläubige ist nicht mehr an den alten Ehemann gebunden; der Tod, sein eigener Tod und seine Kreuzigung in Christus, hat das Band gelost, indem er Zugleich das ihm als Sünder gebührende Teil empfangen hat. Er ist jetzt eines anderen, des aus den Toten Auferweckten geworden, auf dass er Gott Frucht bringe. Er ist nicht mehr im Fleisch, sondern im Geist, wenn anders der Geist Christi in ihm wohnt: „denn wenn jemand den Geist Christi nicht hat, der ist nicht sein“ (Röm 8,9).
Die zweite Hälfte von Römer 7 teilt uns die Erfahrungen eines Menschen mit, der die Gerechtigkeit unter dem Gesetz erfüllen und Gott in Verbindung mit dem ersten Mann, dem Gesetz, Frucht bringen will. Er ist von Gott erweckt und unter dem Einfluss des neuen Lebens, und darum versteht er die Geistlichkeit des Gesetzes und erkennt seine Forderungen an. Er will es erfüllen, denn ohne dieses kann sich sein Gewissen nicht befriedigen. Die neue Natur hat die Gerechtigkeit des Gesetzes lieb, aber der Widerstand des Fleisches verhindert sie, dieselbe zu vollbringen. „Ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft ... denn nicht, was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus ... das Wollen ist bei mir, aber das Wirken dessen, was recht ist, finde ich nicht.“ – Die Kraft und die Natur des neuen Lebens in Christus, als gestorben und auferstanden, ist im Anfang des 8. Kapitels die Antwort der Gnade Gottes auf die Schwachheit und Bosheit des Fleisches. In diesem Kapitel finden wir den Zustand einer befreiten Seele vollkommen dargestellt; es zeigt uns die gesegneten Früchte und Resultate eines Menschen, der durch den Tod von dem ersten Mann, dem Gesetz und von allem, was mit diesem Zustand verknüpft war, befreit und im Leben mit Christus, dem zweiten Mann, dem aus den Toten Auferweckten, verbunden ist. In Römer 7 ruft der Mensch aus: „Wer wird mich befreien?“ in Römer 8: „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes“; und während demgemäß in Römer 7 der Geist Gottes gar nicht erwähnt wird, ist Er in Römer 8 auf die mannigfachste Weise eingeführt. Er ist der Charakter und die Kraft des Lebens, der persönliche Zeuge unserer Sohnschaft und unseres Erbteils, der Vertreter in unserer Schwachheit, und der uns bezeugt, dass Gott in uns wirkt und für uns ist, und dass von seiner Liebe, die durch den Heiligen Geist in uns wohnt, uns nichts zu trennen vermag.
Es könnte nun jemand sagen: „Obwohl der Christ ein Recht und die Pflicht hat, sich selbst für tot zu halten, so ist doch das Fleisch noch vorhanden; und deshalb bedarf er das Gesetz, nicht um die Sünde hinwegzunehmen, sondern damit diese nicht über ihn herrsche.“ Allein wir lesen: „Die Sünde wird nicht über euch herrschen, weil ihr nicht unter Gesetz seid.“ Gerade das Gesetz gab Anlass zur Wirksamkeit der Sünde in meinen Gliedern, als ich im Fleisch war. Allein ich bin gestorben, und das Gesetz kann nicht über den Tod hinausgehen. Die Gottseligkeit ist die Frucht des neuen Lebens, in welchem man lebt durch den Glauben an den Sohn Gottes. Der schriftgemäße Weg der Gottseligkeit – der Gerechtigkeit mit ihrer „Frucht zur Heiligung“ – ist der Tod (der mir bewusste Tod) in Christus, sowie die Tatsache, dass ich in Ihm bin und nicht unter dem Gesetz, so dass ich nicht mehr im Fleisch bin, sondern Christus als mein Leben habe. Als lebend in einem auserstandenen Christas, als einer, der dem Bereich des Gesetzes durch den Tod entrückt ist – das ist das christliche Leben. Und der Maßstab seines Wandels ist Christus und nichts anderes. „Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, der ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat“ (1. Joh 2,6). Wenn wir die Schrift über diesen Punkt zu Rat ziehen, so werden wir finden, dass dies die schriftgemäße Lebensregel ist: wir sind schuldig, zu wandeln, wie Christus gewandelt hat. Weiter steht geschrieben, dass Er uns „ein Beispiel gelassen, auf dass wir seinen Fußstapfen nachfolgen sollen“ (1. Pet 2,21). Er ist sowohl das Leben des Gläubigen, als auch der Beweggrund und das Beispiel für seinen Wandel. Er lebt in uns, und was wir jetzt im Fleisch leben, leben wir durch Glauben an Ihn, der den Pfad des Glaubens vor uns betreten hat. Er ist alles und in allen. „Indem wir mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauen, werden wir verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit;“ und werden also, indem Er durch den Geist Gottes in unsere Herzen eingegraben ist, „als ein Brief Christi offenbar“ (1. Kor 3). – Beachten wir auch, dass dieses in dem angeführten Kapitel im Gegensatz zu dem auf steinerne Tafeln eingegrabenen Gesetz steht. Wir haben Christus, den neuen Menschen, anzuziehen. Dieses geht soweit, dass in 1. Johannes 3,16 gesagt wird: „Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass Er für uns sein Leben dargelegt hat; auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen.“ Einen solchen Grundsatz, eine solche Verpflichtung wie diese kennt das Gesetz nicht. Ließ das Gesetz Christus kommen, dass Er sein Leben für uns darlege? Zeigt nicht dieses Beispiel die außerordentliche Armseligkeit des Gedankens, dass das Gesetz die Regel oder der Maßstab unseres Wandels sei? Es ist wahr, dass es in dem Leben Christi zwei Seiten gab. Zuerst sehen wir in demselben den Gehorsam des Menschen gegen den Willen Gottes, der an und für sich schon viel weiterging als das Gesetz; denn das Gesetz forderte nicht von dem Menschen den Pfad der Gnade und Hingebung, auf welchem Christus wandelte. Als unter dem Gesetz, verherrlichte und ehrte Er es. Dann aber sehen wir in seinem Leben noch etwas anderes: die Offenbarung Gottes selbst in Gnade und Huld. Dies war weder das Gesetz, noch der Mensch unter der Verantwortlichkeit – es war Gott in Güte. Die Vermengung dieser beiden Seiten ist höchst verderblich.
Vielleicht mag jemand sagen: „Aber wir sind nicht berufen, (und können es nicht sein) Christus in letzterem nachzufolgen.“ Ich erwidere: Wir sind ausdrücklich berufen, dies zu tun, aber nie, Ihm unter dem Gesetz zu folgen. Die Schrift sagt in Bezug auf diesen letzten Punkt, dass ich, wenn ich meinen Nächsten liebe wie mich selbst, das Gesetz erfülle, ohne unter ihm stehen zu müssen. Und wiederum, dass, wenn ich nach dem Geist wandle, das Recht des Gesetzes in mir erfüllt wird und das hervorbringt, was das Gesetz nicht hervorbringen konnte, weil es durch das Fleisch kraftlos war. Der Geist wird Früchte hervorbringen, wider die es kein Gesetz gibt. Es ist eine neue Natur, welche – geleitet durch den Geist und gebildet durch das Wort, indem sie in allem zu Christus, dem Haupt, heranwächst – des Herrn würdig wandelt. Die Gebote des Gesetzes aber vermögen dieses nicht hervorzubringen; und indem wir durch die Gnade auf Christus blicken, werden wir in dasselbe Bild verwandelt. Christus ist uns in jenem Pfad, auf dem Er Gott offenbarte, ausdrücklich als Vorbild hingestellt; denn es steht geschrieben: „Seid nun Nachahmer Gottes als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleich wie auch der Christus uns geliebt, und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph 5,1). Wir sind berufen, „erfüllt zu sein mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um zu wandeln – nicht nach dem Gesetz, sondern – würdig des Herrn zu allem Wohlgefallen“ (Kol 1,9-10). Und in Kolosser 3,10 lesen wir: „Habt angezogen den neuen Menschen, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat“; während uns die folgenden Verse dieses Kapitels den Charakter des neuen Menschen beschreiben: „Zieht nun an als Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Niedriggesinntheit, Milde, Langmut, einander ertragend und einander vergebend, wenn einer Klage hat wider den Anderen; wie auch der Christus euch vergeben hat, also auch ihr.“ Kurz, wenn jemand eine vollständige Darstellung des christlichen Lebens – des Lebens des auferstandenen Christus in uns – zu haben wünscht, der möge Kolosser 3,1-17 lesen.
Zudem dürfen wir den Gehorsam an und für sich nicht mit dem Tun des Gesetzes verwechseln. Der Charakter des Gehorsams Christi war ganz verschieden von einem gesetzlichen Gehorsam. Wenn z. B. mein Kind etwas wünscht, vielleicht irgendwo hinzugehen, und ich verbiete es ihm, so spreche ich, wenn es sofort gehorcht, von seinem bereitwilligen Gehorsam. Doch ist der Gehorsam Christi ganz anderer Natur, Er hatte nie einen Wunsch, der durch irgendein Gesetz verboten wurde. Es war nie nötig. Ihm etwas zu untersagen; denn Er handelte, weil sein Vater es wollte. Der Wille seines Vaters war der Beweggrund, die einzige Ursache seines ganzen Verhaltens. Er lebte von jeglichem Wort, das aus dem Mund Gottes kam, so dass Er nichts zu tun hatte, wenn kein Wort vorhanden war. Der Wille Gottes, worin derselbe auch bestehen mochte, war seine alleinige Richtschnur; und ein solcher Gehorsam gegen einen souveränen Willen hat keine Grenzen, wie dies bei einem bestimmten Gesetz der Fall ist. Es mag sein, dass uns keine besonderen Pflichten durch eine unmittelbare Offenbarung von Seiten Gottes aufgetragen sind; aber wir können seinen Willen in der Schrift aufgezeichnet finden, ja alles, was Ihm wohlgefällig ist; und es geziemt sich für uns, dass wir völlig bereit sind, den Willen Gottes zu erforschen und zu tun, worin derselbe auch bestehen möge. Und wenn uns durch die geistliche Beurteilung des Wortes der Wille Gottes klar wird, so ist derselbe ein Gebot für uns. So lesen wir z. B. in Bezug auf die unmittelbare Offenbarung des Willens Gottes, in Apostelgeschichte 16, dass Paulus durch den Heiligen Geist verhindert wurde, nach Asien zu gehen; während wir in Apostelgeschichte 13,47 ein Beispiel in Bezug auf die geistliche Beurteilung des Wortes finden, indem der Apostel die Anwendung einer Stelle in Jesajas 49,6 als ein ihm gegebenes Gebot betrachtet. Wir mögen nun jene bestimmte Offenbarung nicht haben, wie er sie hatte, und noch viel weniger diese geistliche Beurteilung besitzen, aber der Grundsatz der Bereitwilligkeit, zu tun was irgend der Wille Gottes ist, geziemt sich für uns. Wiederum sehen wir auch in den eben angeführten Beispielen, was das Christentum im Gegensatz zu dem Gesetz charakterisiert, nämlich diese Tätigkeit, welche Früchte erzeugt für Gott – Früchte des Geistes, und zwar die mannigfaltigsten (Gal 5,22) – welche man unmöglich dem Gesetz zuschreiben kann. Man lese auch Römer 7,4; Johannes 15; Philipper 1,11.
Doch glaube ich genug gesagt und angeführt zu haben, um die Gedanken der Schrift über den uns beschäftigenden Punkt zu zeigen: ihre Gedanken über das Gesetz und seine Wirksamkeit und Wirkung, über das, was die christliche Lebensregel für den ist, der gestorben und mit dem auferstandenen Christus vereinigt ist und durch Ihn lebt. Das Gesetz ist der Maßstab der Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott – als solches ist es vollkommen – und es konnte nichts anderes sein als die Richtschnur für den Wandel des Menschen. Christus entsprach diesem Maßstab ebenso vollkommen, wie allem anderen; aber Er ging weiter und entfaltete Gott selbst in seiner eigenen, souveränen Gnade und Güte; und wir sind schuldig, Ihm sowohl hierin, als auch in seinem vollkommenen Gehorsam gegen Gott nachzufolgen. Er, und Er allein ist unser Muster und Vorbild; Er, und nichts außer Ihm, ist der Gegenstand, in dem das Herz ruhen, durch den es beherrscht und dem es gleich werden soll. Er ist in uns sowohl der Beweggrund und die Quelle unseres Wandels, als auch das vollkommene Muster desselben, und dies konnte das Gesetz nicht sein; denn es ist weder das Leben, noch gibt oder ernährt es dasselbe.
Es gibt aber in Verbindung mit diesem Gegenstand noch andere Punkte, betreffs welcher ein großer Teil der gewöhnlichen Auffassung und der evangelischen Lehre, wie mir scheint, keinen Halt in der Schrift hat, noch mit deren Unterweisung übereinstimmt, und zwar sind es praktisch sehr wichtige Punkte. Zunächst möchte ich auf die Annahme „einer wesentlichen Einheit der Kirche oder Versammlung in allen Zeitaltern und unter allen Verwaltungen“ kommen. Gewiss wird kein Christ, auch nur für einen Augenblick, daran zweifeln, dass jeder seit dem Fall gerettete Sünder auf eine und dieselbe Weise gerettet wurde. Aber die Errettung ist nicht die Kirche, noch ist die Kirche die Errettung. Es kann gefragt werden: „Muss denn nicht jemand, um gerettet zu sein, jetzt zur Kirche Gottes gehören?“ Gewiss; doch er ist nicht gerettet, weiter zur Kirche gehört, sondern er gehört zu derselben, weil er gerettet und dies die Anordnung Gottes ist. Das, was ihn rettet, ist Christus und nicht die Kirche. Ein Jude, wenn er gerettet wurde, wurde durch Christus gerettet; aber er gehörte, nach der zu jener Zeit bestehenden Ordnung Gottes, zu Israel und nicht zu der Kirche; und die „jüdische Kirche“, wovon die Menschen sprechen, ist eine äußerst schriftwidrige Idee. Insofern einzelne Personen gerettet wurden, wurden sie durch Christus gerettet; aber sie bildeten nicht die Versammlung oder Kirche.
Es gab nie eine jüdische Kirche, wohl aber eine jüdische Nation; und jeder, der durch die Gnade als Jude berufen war, gehörte dieser durch die Geburt an und war verpflichtet, ihr anzuhängen. Aber jetzt ist ein solcher nicht mehr dazu verpflichtet, weil in der Kirche weder Jude noch Grieche ist. Jemand war ein Jude durch Geburt und befand sich als ein solcher, wenn er beschnitten war, in einer geordneten Gemeinschaft. Die Kirche steht, selbst ihrem äußeren Bekenntnis nach, durch den Glauben; sie ist nicht aus natürlichen Zweigen zusammengesetzt. Die Juden hingegen waren die natürlichen Zweige und standen an dem ihnen von Gott verordneten Platz, als Juden, nicht durch den Glauben, sondern durch die Geburt. Eine so genannte „jüdische Kirche“ ist daher schriftwidrig und falsch. Christus gab sich hin für die jüdische Nation, aber nicht für diese Nation allein, sondern „auf dass er auch die Zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte“ (Joh 11,52). Auf diese Weise wurde die Kirche gebildet. So ist denn die Kirche oder Versammlung die Vereinigung „solcher, die gerettet werden sollten“, gerettet von dem kommenden Zorn. Dies hat nie im Judentum stattgefunden; die Einheit desselben war ausschließlich eine nationale. Das jüdische Volk war in seiner Berufung ein heiliges Volk; als aber das Christentum gegründet wurde, tat der Herr zu der Kirche solche hinzu, die gerettet werden sollten (Apg 2,47), was vorher nie der Fall war; und das war die Kirche, die Versammlung Gottes in der Welt. Wenn in früherer Zeit ein Jude zum Glauben kam, so wurde er zu nichts hinzugefügt; er gehörte zu dem, wozu er immer gehört hatte, nur mit dem Unterschied, dass er jetzt ein frommer und nicht mehr ein gottloser Jude war; denn es gab nichts, zu dem er hinzugefügt werden konnte. Wir sind alle durch einen Geist zu einem Leib getauft; aber die Taufe des Heiligen Geistes sollte der bestimmten Verheißung gemäß nach der Himmelfahrt Christi geschehen, wie sie denn auch am Pfingsttag stattfand. Eine „unsichtbare“ Kirche ist kein schriftgemäßer Gedanke; sie ist eine Erfindung der Menschen, die besonders von Augustin, einem der Kirchenväter, erdacht wurde, um dadurch die schreckliche Ungerechtigkeit der bekennenden Kirche mit der Wahrheit und Gottseligkeit, die dem wahren Christen notwendig sind, zu vereinigen. Der Herr sagt: „Ihr seid das Licht der Welt: eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen sein“ (Mt 5,14). Aber was für einen Wert hat ein unsichtbares Licht, eine Kirche unter einem Scheffel? In einer unsichtbaren Kirche gibt es keine Gemeinschaft. Ich gebe völlig zu, dass sie unsichtbar geworden ist, aber ich gebe es nur zu als die Frucht der Sünde des Menschen; doch dieses findet keine Anwendung auf das Judentum; denn das jüdische Volk – die Kinder Israel – war der öffentliche, sichtbare Körper und wurde von Gott dafürgehalten; einzelne Heilige wurden zu jener Zeit auf keine andere Weise gesammelt. Wohl aber ist dies in der Christenheit der Fall; denn der Herr gab sich hin, um die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln. Dieses würde unnötig gewesen sein, wenn sie vorher als eine Kirche – eine Versammlung – gesammelt gewesen wären. Denn was gesammelt ist, hat nicht nötig, gesammelt zu werden. Es gab Kinder Gottes, aber sie bildeten nicht eine Kirche, eine Versammlung. Sie waren zerstreut, und Christus kam, um einen anderen Zustand der Dinge einzuführen. Wären sie vorher eine gesammelte Kirche gewesen, wie hätte denn Christus kommen können, um die Zerstreuten zu sammeln? Die jüdische Nation steht in Johannes 11,52 im Gegensatz zu den zerstreuten Kindern Gottes; und Christus kam, um diesen Zustand zu ändern – die zerstreuten Kinder Gottes zu sammeln, d. h. die Kirche oder Versammlung zu gründen. Deshalb sagt Er: „Auf diesen Felsen“ – auf das Bekenntnis, dass Er der Sohn des lebendigen Gottes war – „will ich meine Versammlung bauen.“ Hatte Christus schon vorher die Versammlung gebaut, ehe Ihn Petrus als den Sohn des lebendigen Gottes bekannte oder bekennen konnte? Sowohl Christus als die Apostel sprechen von der Kirche und dem Sammeln der Kinder Gottes als von einer ganz anderen und neu eingeführten Sache. Alle die Vernunftschlüsse bezüglich einer jüdischen Kirche haben ihren Ursprung in dem Bestreben, das Christentum zu judaisieren, oder sie beruhen auf der äußerst trügerischen Idee, dass, weil die Menschen auf eine und dieselbe Weise gerettet sind, sie deshalb eine sichtbare Gemeinschaft und zwar dieselbe Gemeinschaft bilden müssen. Aber warum urteilt man so? Konnten nicht die Menschen gerettet sein, ohne eine Gemeinschaft zu bilden? Die Persönlichkeit eines jeden Einzelnen ist ebenso wichtig, als die Gemeinschaft; ja, sie ist in göttlichen Dingen noch viel wichtiger. Das Gewissen, der Glaube, die Sohnschaft, das sind alles persönliche Sachen. Die Juden bildeten eine Gemeinschaft, aber nicht von geretteten Personen, sondern eine nationale Gemeinschaft der Söhne Jakobs. Aber die Kirche ist nicht eine derartige Gemeinschaft, weder dem Bekenntnis, noch der Wirklichkeit nach – sie steht durch den Glauben. Die persönliche Errettung bestätigt nicht das Dasein einer Gemeinschaft, und andererseits kann es eine religiöse Gemeinschaft geben, (wie das Judentum) ohne dass diese die Errettung in sich einschließt. Die ganze Theorie, auf welcher die Idee „einer Kirche aller Zeitalter und unter allen Verwaltungen“ beruht, ist ganz und gar falsch; auch hat man dafür keine Belege von entsprechenden Tatsachen. Bis zurzeit der jüdischen Nation gab es keine Gemeinschaft von Personen unter irgendeinem Glaubensbekenntnis. Obwohl Abel sein Opfer im Glauben darbrachte, so bildete doch weder er, noch Henoch oder Noah eine Gemeinschaft unter einem Glaubensbekenntnis. Kurz, die ganze Idee einer sichtbaren Gemeinschaft vor der Sintflut ist nur ein Traum. Und wenn wir unseren Blick auf die Zeit nach der Sintflut richten, so finden wir Hiob allein, aber nichts von einer sichtbaren Gemeinschaft. Und von Abraham wird mit Sorgfalt berichtet: „Ich rief ihn (Abraham), da er allein war, und ich segnete ihn ..“ (Jes 51,1). Der Geist Gottes hebt hier hervor, dass er allein war, und dass es für Segnungen keiner Anzahl von Personen bedarf. Und wenn wir zu der ersten religiösen Gemeinschaft kommen, so finden wir sie auf einem ganz anderen Grundsatz als dem eines Glaubensbekenntnisses. Ein Jude gehörte dazu durch die Geburt, bevor er irgendein Bekenntnis ablegen konnte; nur waren seine Eltern verpflichtet, ihn am achten Tage beschneiden zu lassen. Also der Grundsatz, auf welchem das Judentum stand, war das Geburtsrecht, obgleich dieses die souveränen Rechte Gottes nicht aufheben konnte. Die sichtbare Kirche steht hingegen auf dem Grundsatz des Glaubens (Röm 11,20). Wenn die Schrift wahr ist, so bestand bis zum Pfingsttag obgleich (die Errettung von jeher dieselbe war) weder die Kirche, die Gemeinschaft oder Einheit des Leibes der Gläubigen, noch ihr Haupt unter jener Bedingung, unter welcher Christus ihr Haupt sein konnte, d. h. als der erhöhte Mensch, der die Erlösung erfüllt hatte. Denn erst nachdem Christus erhöht war, hat Gott „Ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“ (Eph 1,20-23). Er hat aus beiden Juden (und Nationen) eins gemacht und sie in sich selbst zu einem neuen Menschen geschaffen, in welchem sie auch zusammen auferbaut werden zu einer Behausung Gottes im Geist (Eph 2,14-22). Gott wohnte unter dem Volk Israel in dem Tempel; und jetzt wohnt Er durch den Geist in einer Wohnung, die aus Juden und Nationen als ein neuer Mensch durch den Glauben gebildet ist; und dieses allein ist die Kirche oder Versammlung – ein Geheimnis, welches von den Zeitaltern her in Gott verborgen war, „auf dass jetzt den Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Örtern durch die Versammlung kundgetan werde die mannigfaltige Weisheit Gottes“ (Eph 3,9-10). Auf keinen Fall konnten die himmlischen Mächte vorher etwas davon sehen, mochte die Kirche sichtbar oder unsichtbar sein. Sie war ein Geheimnis, das nach Römer 16,25 „in den Zeiten der Zeitalter verschwiegen“ – „vorher den Söhnen der Menschen nicht kundgemacht oder offenbart worden war“ (Eph 3,5). Die Menschen wurden vorher nicht zusammen auferbaut zu einer Behausung Gottes im Geist. Die Kirche – ein von den Zeitaltern und Geschlechtern her verborgenes Geheimnis – existierte in der Tat nicht; denn ihre Existenz setzt die Beseitigung der Zwischenwand der Umzäunung voraus, indem beide, Juden und Nationen in Christus zu einem neuen Menschen geschaffen sind; während das alte System – das Judentum – aus die genaueste Aufrechthaltung dieser Zwischenwand gegründet war, wobei es sich nur um den alten Menschen handelte. Ich wiederhole, dass, wenn die Schrift irgendwelche Bedeutung hat, die Kirche nicht eher bestand, als bis Christus, nachdem Er zuvor erhöht und als Haupt über alles zur Rechten Gottes seinen Platz genommen hatte, am Pfingsttag den Heiligen Geist herniedersandte, um die Gläubigen auf dem Grund des Glaubens zu einem Leib zu vereinigen. Unstreitig sind alle Menschen auf gleiche Weise gerettet, aber nicht alle in gleicher Weise versammelt worden (Fortsetzung folgt).
Fußnoten
- 1 Der Leser, welcher Griechisch versteht, wird bemerken, dass selbst in einer Menge von Beispielen, wo das Wort „Gesetz“ mit dem Artikel vorkommt und sich auf das jüdische Gesetz zu beziehen scheint, der Apostel dennoch vom Gesetz als einem Grundsatz spricht. In der Tat hatte Gott diesen Grundsatz nur im Judentum als Prüfstein errichtet, so dass Judentum und Gesetz im Grund gleichbedeutend sind.