Die Bergpredigt
Eine Verständnishilfe zu Matthäus 5 - 7
25. Das einfältige und das böse Auge (Matthäus 6,22.23)
Das Auge als Bild es menschlichen Herzens
„Die Lampe des Leibes ist das Auge.“ Der Herr Jesus hat in den vorhergehenden Versen 19–21 von zweierlei Schätzen gesprochen, denen das menschliche Herz nachhängen kann. Nun spricht Er in den Versen 22 und 23 von zweierlei Zuständen des Herzens. Er benutzt dazu das Bild des Auges, und dieses vergleicht Er wiederum mit einer Lampe.
Eine Lampe ist dazu da, um Licht zu verbreiten. Nun kann man zwar vom Auge nicht sagen, dass es Licht ausstrahlt, sondern vielmehr, dass es das Licht aufnimmt. Die vom Herrn Jesus aufgezeigte Parallele zwischen der Lampe und dem Auge besteht darin, dass Funktion und Reichweite einer brennenden Lampe und eines guten Auges zu ähnlichen Resultaten führen: beide helfen den Menschen, ihre Umgebung zu erkennen. Je besser die Lampe, umso heller das Licht, und je besser das Auge, umso klarer sieht man. Umgekehrt ist es natürlich genauso: Wie eine schlechte Lampe ein schwaches Licht gibt, so kann ein Mensch mit kranken oder gar blinden Augen wenig oder nichts sehen, sehr zum Schaden seines ganzen Körpers. Das ist die erste Bedeutung der einleitenden Worte des Herrn: „Die Lampe des Leibes ist das Auge.“
Aber der Herr Jesus gibt seinen Jüngern hier keine Belehrung über das menschliche Auge, sondern über das Herz, das Er ja bereits in Vers 21 erwähnt hat: „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ Das Auge wird sehr oft in der Bibel als Bild des inneren Zustandes des Menschen benutzt. Das Wort Gottes spricht von hohen und stolzen Augen (Ps 18,27; 101,5), von verblendeten Augen (1. Joh 2,11), von Augen ohne Gottesfurcht (Ps 36,1), vom bösen Auge (Mt 20,15; Mk 7,22) und von Augen, die des Reichtums nicht satt werden (Pred 4,8), aber auch von erleuchteten Augen (Ps 19,8) und vom gütigen Auge (Spr 22,9).
Das Auge nimmt also nicht nur Eindrücke von außen auf, sondern es spiegelt auch – oft deutlich sichtbar – den Herzenszustand des Menschen wider. Die folgenden Schriftstellen verdeutlichen diesen Zusammenhang zwischen dem Herzen und dem Auge: „Wer stolzer Augen und hochmütigen Herzens ist, den will ich nicht dulden.“ (Ps 101,5) – „Herr, nicht hoch ist mein Herz, noch tragen sich hoch meine Augen.“ (Ps 131,1) – „Stolz der Augen und Überheblichkeit des Herzens, die Leuchte der Gesetzlosen, sind Sünde.“ (Spr 21,4) Das Auge wird hier also als Spiegel und Ausdruck des menschlichen Herzens betrachtet.
Das einfältige Herz
„Wenn nun dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.“ Das Wort „einfältig“ ist im Sinn von „schlicht, lauter“ zu verstehen. Es kommt im ganzen Neuen Testament nur hier und in der Parallelstelle in Lukas 11,34–36 vor. Das entsprechende Substantiv „Einfalt“ begegnet uns jedoch öfter. In Epheser 6,5 und Kolosser 3,22 wird von der Einfalt des Herzens gesprochen und in 2. Korinther 1,12 und 11,3 von unserer Einfalt im Hinblick auf Gott und Christus. Diese Stellen machen deutlich, was mit dem Wort „einfältig“ bzw. „Einfalt“ gemeint ist. Es ist die durch Liebe und Vertrauen gekennzeichnete Einfachheit und Schlichtheit des Herzens, die nicht zulässt, dass irgendwelche Sünden, und seien es zweifelnde oder böse Hintergedanken, unser Verhältnis zu unserem Herrn und zu unserem Gott und Vater trüben. Wenn der Blick unserer Augen ungetrübt ist, profitiert der ganze Leib davon, und wenn das Herz einfältig gegen Christus ist, ist das geistliche Leben lichterfüllt. Dieses Licht kommt von Gott. Es hilft dem jüngsten Gläubigen, das Wort Gottes zu verstehen und praktisch auf sein Leben anzuwenden. Es gibt Klarheit und Kraft, einen einmal erkannten Weg auch Schritt für Schritt zu gehen. Es hilft uns, in den Schwierigkeiten des Lebens, die keinem Jünger des Herrn erspart bleiben, seine Führung und seine Hand zu erkennen. Dieses göttliche Licht wird Er jedem seiner Jünger schenken, der den aufrichtigen Wunsch hat, Ihm treu zu folgen, und dessen Herz von „Einfalt gegen den Christus“ erfüllt ist.
Der Apostel Paulus dachte sicher an die Einfalt des Herzens, wenn er dafür betete, dass Gott den Ephesern erleuchtete Augen des Herzens schenkte, damit sie die Hoffnung seiner Berufung, den Reichtum seines Erbes und die Größe seiner Kraft mehr und mehr erkannten (Eph 1,18).
Eine besondere Schattierung dieser Herzenseinfalt finden wir in 2. Korinther 8 und 9, wo Paulus seine Leser zum Gutestun ermuntert. In diesem Zusammenhang steht dreimal „Freigebigkeit“, wo es wörtlich „Einfalt“ heißen müsste (Kap. 8,2; 9,11.13). Wirft das nicht ein besonderes Licht auf den hier betrachteten Abschnitt, wo die Jünger ja vor dem Streben nach irdischen Schätzen und Reichtümern gewarnt und zum Vertrauen auf ihren himmlischen Vater ermuntert werden?
Das böse Herz
„Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß die Finsternis!“ Diese Worte erinnern uns daran, dass es in dem bereits angeführten Vers in Sprüche 21,4 heißt, Stolz der Augen und Überheblichkeit des Herzens seien die „Leuchte“ des Gesetzlosen, d. h. des Sünders. Welch ein jämmerliches Los, wenn ein Mensch seine Umgebung nur in diesem „Licht“ sehen kann!
Der Herr Jesus gebraucht den Ausdruck „böses Auge“ auch bei anderen Gelegenheiten (s. Mt 20,15; Mk 7,22). Dort ist das böse Auge der sichtbare Beweis für ein neidisches, missgünstiges Herz. Ach, wenn unser Herz von Neid, Stolz oder anderen bösen Dingen erfüllt ist, dann ist auch unser ganzes Leben von Dunkelheit umwölkt. Wir rauben uns selbst nicht nur jede wahre Freude am Herrn, sondern wir verlieren auch die Urteilsfähigkeit über uns selbst und unsere Umgebung. Das ist die Bedeutung der bildlich gesprochenen Worte des Herrn: „Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein.“
„Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß die Finsternis!“ Jeder wiedergeborene Jünger des Herrn hat das Licht des Lebens von Gott empfangen. Dieses Licht erhellt sein eigenes Leben, und es strahlt im Zeugnis für Gott nach außen. Aber damit es leuchten kann, muss das Herz einfältig sein. Wenn das Herz des Gläubigen jedoch mit bösen Gedanken erfüllt ist, dann herrscht tatsächlich statt des Lichtes die Finsternis. Das Licht, das in ihm ist, ist praktisch zur Finsternis geworden.
Von den Ungläubigen sagt Gottes Wort, dass sie sich in der Finsternis befinden und selbst Finsternis sind. Aber bei jemand, der durch Gnade das Licht Gottes empfangen hat und sich in diesem wunderbaren Licht befindet, ist ein Herzenszustand, der im Gegensatz zu diesem Licht steht, gerade deshalb umso mehr zu verurteilen, weil er es besser weiß oder wissen müsste. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass ein Kind Gottes, bei dem das Licht, das in ihm ist, zur Finsternis geworden ist, zu Taten fähig ist, deren sich ein nach guten Moralgrundsätzen lebender Ungläubiger schämen würde.