Die Bergpredigt
Eine Verständnishilfe zu Matthäus 5 - 7
16. Ehebruch (Matthäus 5,27-30)
Du sollst nicht ehebrechen
In der Reihe seiner Beispiele aus dem Gesetz führt der Herr Jesus als nächstes das siebte (nach Luther das sechste) Gebot an: „Du sollst nicht ehebrechen“ (2. Mo 20,14; 5. Mo 5,18). Seit der Schöpfung steht die für das Leben geschlossene Ehe zweier Menschen unter Gottes besonderer Obhut. Nach dem Neuen Testament ist sie ein Bild des von göttlicher Liebe und menschlicher Hingabe geprägten Verhältnisses zwischen Christus und Seiner Versammlung.
Aber was ist durch die Sünde daraus geworden! Schon die Tatsache, dass Lamech, Abraham, Jakob, Salomo und andere Männer des Alten Testaments gleichzeitig mehrere Frauen hatten, entsprach nicht dem Willen Gottes und brachte Not in ihre Familien. Wie schwerwiegend war der Ehebruch des Königs David mit Bathseba! Und wie sieht es heute mit der ehelichen Moral aus – nicht nur in der Welt, sondern auch unter Christen! Auch auf diesem Gebiet sind in den letzten Jahrzehnten die biblischen Maßstäbe in der Gesellschaft systematisch beseitigt worden.
Für Gott ist unsittliches Verhalten jedoch so abscheulich, dass Paulus an die Epheser schreiben muss: „Hurerei aber und alle Unreinigkeit oder Habsucht werde nicht einmal unter euch genannt, wie es Heiligen geziemt“ (Eph 5,3). Das bedeutet doch, dass wir diese Sünden nicht einmal leichtfertig in den Mund nehmen und dadurch verharmlosen sollen. Wenn es aber um Gottes Urteil über diese Sünden geht, redet die Bibel in sehr deutlicher Sprache. Die Heilige Schrift nennt nicht nur die Prostitution, sondern jeden außerehelichen Verkehr Hurerei, auch wenn die Absicht besteht, zu heiraten, und auch wenn es nur ein einziges Mal geschieht (vgl. 1. Mo 34 und 38). Heute wird das Wort Hurerei in der Welt jedoch nur noch im ersteren Sinn gebraucht. Auch im Neuen Testament wird außerehelicher Verkehr im allgemeinen Hurerei, der von Verheirateten Ehebruch genannt und beides als verabscheuungswürdige Sünde verurteilt (Mt 15,19; 1. Kor 6,9; Heb 13,4).
Der Ehebruch, die Untreue gegenüber dem Ehegatten zur Befriedigung der Lust, stand bereits im Alten Testament unter schwerster Strafe. Diese Sünde musste nach dem Gesetz vom Sinai mit dem Tod bestraft werden (3. Mo 20,10; 5. Mo 22,22–24). Da das Gesetz in erster Linie Gottes Regeln für das äußere Leben und Zusammenleben seines irdischen Volkes enthielt, wurde nur die vollendete Tat bestraft, wenn auch im zehnten Gebot bereits das Begehren der Frau (wie auch aller Habe) des Nächsten verboten war (2. Mo 20,17). Wenn ein Jude sich buchstäblich an das Verbot des Ehebruchs hielt, handelte er nach Gottes Willen und trug dazu bei, dass die Gemeinschaft des Volkes nach Gottes Ordnung aufrechterhalten wurde. Dabei wirkte sicher auch die Furcht vor der angedrohten Strafe mit. Aber die bloße äußere Beobachtung dieses und aller anderen Gebote konnte ihn vor Gott nicht rechtfertigen.
Ich aber sage euch
Mit der nur Ihm eigenen Autorität stellt der Herr Jesus dem Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ seine Worte „Ich aber sage euch“ entgegen. Er wendet sich damit nicht wie in Vers 22 gegen eine dem Menschen entgegenkommende Auslegung und Abschwächung des göttlichen Gebotes und erst recht nicht gegen das Gebot selbst. Er war ja nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen.
Deshalb sagt der Herr nun: „Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, hat schon Ehebruch mit ihr begangen hat in seinem Herzen“ (V. 28). Die Juden meinten aufgrund der Belehrungen der Schriftgelehrten und Pharisäer, die rein äußerliche Beobachtung des Gesetzes wäre der Weg zur Gerechtigkeit vor Gott. Aber Er lenkt jetzt den Blick auf das menschliche Herz und zeigt, dass der Ehebruch dort seinen Anfang nimmt. Das ist nicht eine „Vergeistlichung des Gesetzes“, wie manchmal gesagt wird. Nein, der Herr offenbart hier zum ersten Mal etwas, was jedem aufrichtigen Israeliten durch Erfahrung klar werden musste: Die Tatsache nämlich, dass jeder, der sich bemühte, das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen“ zu halten, feststellen musste, dass in seinem Inneren gerade die Begierden, die zu den von Gott verbotenen Taten führten, vorhanden waren, ohne dass er die Kraft hatte, sie zu überwinden. Ja, sie wurden durch das Gebot geradezu hervorgerufen, wie Paulus in Römer 7,7–11 sagt: „Denn auch von der Begierde hätte ich nichts gewusst, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: ‚Du sollst nicht begehren.‘“
Das Gesetz vom Sinai enthielt zwar auch einzelne Gebote, die auf die Gesinnung und das Herz zielten, wie das zehnte Gebot: „Du sollst nicht begehren das Haus deines Nächsten“ usw. (2. Mo 20,17), oder: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen ... sondern sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mo 19,17.18), oder: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen ...“ (5. Mo 6,5). Aber die weitaus meisten Gebote regelten nur das äußere Verhalten der Israeliten.
Ehebruch im Herzen
Der Herr Jesus erklärt nun, dass nicht erst die vollendete Tat, sondern schon der mit Begierde erfüllte Blick auf eine Frau für Gott Ehebruch im Herzen und damit Sünde ist. Das Wort Ehebruch zeigt, dass entweder der Mann oder beide verheiratet sind. Aber kein unverheirateter Gläubiger wird wohl auf den Gedanken kommen, dass ihm diese Worte des Herrn nichts zu sagen haben!
Hier ist nicht die Rede von zufälligen, ungewollten Blicken, die wohl kaum vermieden werden können, sondern von dem bewussten begehrlichen Anschauen: „Jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren.“ Dem gewollten Blick ist also der sündige Gedanke im Herzen vorausgegangen.
Diese Unterscheidung ist sehr wichtig. Wir können uns heute in dieser Welt kaum noch bewegen, ohne immer wieder ungewollt Zeugen der sittlichen Verdorbenheit unserer Zeit zu werden. Dadurch werden wir leicht verunreinigt. Aber der gewollte begehrliche und sündige Blick ist doch etwas ganz anderes. Ebenso kann wohl kein Christ vermeiden, dass ihm unreine Gedanken kommen. Aber zur Schuld werden sie ihm erst, wenn er sich nicht davon abwendet, sondern sich ihnen bewusst hingibt. Wenn jedoch die begehrlichen Blicke und unreinen Gedankengänge Sünde sind, so ist es andererseits auch Sünde, wenn gläubige Frauen und Mädchen durch Kleidung und Verhalten dies verursachen und herausfordern.
Der ungezwungenere und freiere Umgang der Geschlechter miteinander, besonders bei den jüngeren Generationen, und das negative Vorbild der meisten weltlichen Altersgenossen kann hier zu Leichtfertigkeit und großen Gefahren führen. Der gottesfürchtige Hiob sagte: „Ich habe mit meinen Augen einen Bund geschlossen, und wie hätte ich auf eine Jungfrau geblickt!“ (Hiob 31,1) Es gibt aber auch überempfindliche und überängstliche Christen, deren Gewissen schon durch unwillkürliche Anblicke und Gedanken schwer belastet werden. Ihnen möchte ich die bekannten Worte Martin Luthers, die er zu diesem Vers geschrieben hat, ins Gedächtnis rufen: „Ich kann nicht wehren, dass mir ein Vogel über den Kopf fliege; aber das kann ich wohl wehren, dass sie mir nicht im Haar nisten oder die Nase abbeißen.“
Wenn aber dein rechtes Auge dich ärgert ...
Wie ernst der Herr Jesus die lüsternen Blicke und Gedanken beurteilte, wird aus seinen folgenden Worten deutlich: „Wenn aber dein rechtes Auge dir Anstoß gibt, so reiß es aus und wirf es von dir, denn es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder umkomme, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde“ (V. 29). Im nächsten Vers sagt Er dann fast dasselbe noch einmal im Blick auf die rechte Hand (vgl. Kap. 18,8).
Der Herr Jesus fordert mit diesen Worten weder Selbstverstümmelung noch Askese. Niemals wird der Schöpfer von seinem Geschöpf verlangen, den Leib, den es von Ihm empfangen hat, zu verstümmeln. Selbst wenn sich jemand beide Augen ausrisse, würde doch die Lust in seinem Herzen bleiben. Zudem erweitert hier der Herr die Belehrung ganz allgemein auf die Frage des Selbstgerichts. Darauf weist die Erwähnung der rechten Hand hin, die in keiner unmittelbaren Beziehung zur Sünde des Ehebruchs steht.
Selbstgericht
Das Auge, die Lampe des Leibes, kann mit Recht auch der „Spiegel der Seele“ genannt werden1. Das rechte Auge wird in der Bibel außerdem mehrmals als etwas Kostbares dargestellt (1. Sam 11,2; Sach 11,17). Die rechte Hand, das „Organ der Tat“, wird wesentlich öfter in der Heiligen Schrift erwähnt2. Das rechte Auge und die rechte Hand sind daher wohl Sinnbilder der Gesinnung und des Tuns, gleichzeitig aber auch des Kostbaren und Wichtigen im menschlichen Leben. Wenn uns diese ärgern oder Anstoß geben, d.h. Anlass zur Sünde und zum Fallstrick werden, dann sollen wir auch das für uns Kostbarste und Wichtigste im Leben nicht verschonen, sondern uns in aufrichtigem und strengem Selbstgericht verurteilen und uns, wenn nötig, von diesen Dingen trennen. Auch wenn sie an sich gar nicht böse sein mögen, so ist damit noch nicht gesagt, dass sie auch ungefährlich sind!
Das Wort Gottes stellt den Menschen immer wieder vor, dass es nur zwei Wege und zwei Ziele des Lebens gibt: entweder die Nachfolge des Herrn Jesus mit der Herrlichkeit als Ziel, oder aber ein Leben in der Sünde, das zur Hölle führt. So ist es auch hier in der Bergpredigt. Der Apostel Paulus war solch ein Jünger des Herrn, der die Konsequenzen völliger Hingabe und Nachfolge erkannt hatte und verwirklichte: „Ich zerschlage meinen Leib und führe ihn in Knechtschaft, damit ich nicht etwa, nachdem ich anderen gepredigt habe, selbst verwerflich werde“ (1. Kor 9,27). Der Versammlung Gottes in Korinth schreibt er: „Irrt euch nicht! Weder Hurer, noch Götzendiener, noch Ehebrecher ... werden das Reich Gottes erben“ (1. Kor 6,9.10).
Fußnoten