Das wahrhaftige Licht
Eine Auslegung zum Johannesevangelium

Kapitel 2

Das wahrhaftige Licht

Einleitung

Wenn wir das Johannesevangelium lesen, müssen wir uns bewusst machen, dass hier die jüdische und irdische Segensordnung beiseitegesetzt wird. Etwas völlig Neues wird eingeführt, etwas, das himmlisch und ewig ist. In dieser neuen Segensordnung, dem Christentum, werden uns die Personen der Gottheit offenbart. Doch das Neue konnte nicht kommen, bevor nicht das Wort Fleisch geworden war. Denn nur eine göttliche Person war in der Lage, die Personen der Gottheit zu offenbaren und uns mit den Gedanken Gottes bekannt zu machen.

Im Christentum gründet sich alles auf die Person des Sohnes Gottes. Deshalb beginnt dieses Evangelium auch damit, uns die Herrlichkeit dieser Person zu zeigen. Er, der Sohn, ist die Grundlage für jeden bleibenden Segen, den der Mensch erfährt – aber auch dafür, dass Gott verherrlicht wird. Bevor wir jedoch aus der Offenbarung himmlischer Dinge Nutzen ziehen können, muss uns erst einmal bewusst werden, dass der gefallene Mensch in einem hoffnungslosen Zustand und völlig verdorben ist.

Das zweite Kapitel deckt auf, wer und wie der Mensch ist, und zwar unter vier Gesichtspunkten:

  1. Der Wein geht zur Neige – der Mensch kann sein eigenes Glück in natürlichen und rechtmäßigen Dingen nicht festhalten (V. 1–11).
  2. Der Tempel ist verdorben – der Mensch ist nicht in der Lage, den Gottesdienst, den Gott auf der Erde zum Segen angeordnet hat, richtig auszuüben (V. 13–17).
  3. Christus wird verworfen – der Mensch kann auch die Güte Gottes nicht wertschätzen, obwohl Gott selbst auf die Erde hinabsteigt, um voller Gnade und Wahrheit unter den Menschen zu wohnen (V. 18–22).
  4. Die rein menschliche Vernunft weiß Christus nicht angemessen wertzuschätzen. Selbst wenn der Mensch in Bezug auf Ihn die richtigen Rückschlüsse zieht, bleibt er doch fern von Gott. Es gibt in dem gefallenen Menschen nichts, woran Gott anknüpfen kann (V. 23–25).

Das Kapitel zeigt uns also die Verdorbenheit des Menschen – aber es entfaltet uns auch die Herrlichkeit Christi. Christus bringt wahres Glück, beschäftigt sich mit dem Bösen, überwindet die Macht des Todes und zieht die Menschen zu sich hin.

Das Hochzeitsfest

Johannes 2,1–11

Verse 1–11: Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa; und die Mutter Jesu war dort. Es war aber auch Jesus mit seinen Jüngern zu der Hochzeit geladen. Und als es an Wein mangelte, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein. Und Jesus spricht zu ihr: Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was irgend er euch sagen mag, tut! Es waren aber sechs steinerne Wasserkrüge dort aufgestellt, nach der Reinigungssitte der Juden, wovon jeder zwei oder drei Maß fasste. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt es dem Speisemeister! Sie aber brachten es. Als aber der Speisemeister das Wasser gekostet hatte, das Wein geworden war (und er wusste nicht, woher er war, die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wussten es), ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jeder Mensch setzt zuerst den guten Wein vor, und wenn sie betrunken geworden sind, den geringeren; du hast den guten Wein bis jetzt aufbewahrt. Diesen Anfang der Zeichen machte Jesus in Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit; und seine Jünger glaubten an ihn.

Man kann die Hochzeit zu Kana aus dem Blickwinkel der Haushaltungen betrachten: Dann zeigt sie uns, wie Gott seine Beziehungen zu Israel in der Zukunft erneuern wird. Doch die Hochzeit belehrt uns auch in sittlicher Hinsicht: Sie zeigt uns, dass irdische Dinge keine bleibende Freude geben.

Normalerweise ist eine Hochzeit das größte Ereignis im Leben eines Menschen. Zu Recht möchte er sie feiern und sich freuen. Doch leider geht der Wein, das Zeichen menschlicher Freude, irgendwann zu Ende. Der Mensch ist unfähig, sein Glück festzuhalten. Unter außergewöhnlich günstigen Umständen mag ihm vielleicht alles zur Verfügung stehen, damit sein Glück andauert – wenn er denn die natürlichen Mittel dazu hat. Er mag über Jugend, Geld und Gesundheit verfügen und sie auch verantwortungsbewusst einsetzen und ausleben wie z. B. auf einer Hochzeit. Doch sein Glück wird nicht von Dauer sein: Der „Wein“ wird zur Neige gehen. Selbst der schönste Moment des Lebens enthält bereits etwas, was das vollkommene Glück beeinträchtigt, und über der Freude für einen wunderschönen Tag liegt bereits die Furcht, was das Morgen bringen mag. Umstände mögen sich ändern, die Gesundheit mag schwinden, und der Tod mag in das glücklichste Haus einziehen und die engsten Beziehungen beenden.

Die Hochzeit hier zeigt uns, dass der Mensch sogar in den besten Momenten des Lebens scheitern kann. Aber sie zeigt uns auch, wie sich die Herrlichkeit Christi über Menschen und Schwierigkeiten erhebt. Sie allein sichert dem Menschen ein Glück, wie er es selbst nicht bewahren kann, und sie zeigt uns: Getrennt von Christus gibt es keine bleibende Freude!

Wenn Christus also das wahre Glück sichert, dann handelt Er, indem Er sowohl von Israel als auch von der Welt getrennt ist. Vers 1 zeigt uns das gesellschaftliche Ereignis, mit dem die Mutter Jesu verbunden ist. Vers 2 dagegen erwähnt Jesus und seine Jünger, die eine separate Gruppe bilden, getrennt von der Welt. Sie sind zu der Hochzeit eingeladen, und der Herr beehrt dieses Fest mit seiner Anwesenheit. So heiligt Er die von Gott gegebene Ehe.

Dann geht der Wein zur Neige. Doch der Herr schreitet nicht ein, obwohl seine Mutter ihn dazu auffordert. Er sagt: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Durch seine Mutter ist der Herr mit Israel und dem Gesetz verbunden. Er lehnt es ab, ihrem Wunsch entsprechend zu handeln und zeigt damit, dass Er in diesem Evangelium nur aufgrund seiner Beziehung als Sohn zu seinem himmlischen Vater handelt – und nicht aus seiner natürlichen Beziehung zu seiner Mutter oder einer gesetzlichen Beziehung zu Israel heraus. Hier steht der Herr außerhalb jeder irdischen Beziehung, hier ist Er der himmlische Mensch, der „das Himmlische“ hineinbringt (Kap. 3,12). So offenbart Er seine Herrlichkeit als der, der in Beziehung zu seinem Vater steht und seinen Willen tut – und den Menschen bleibende Freude gibt.

Der Weg, den der Herr wählt, um den guten Wein hervorzubringen, ist sicherlich bedeutsam. Er sorgt dafür, dass die leeren Wasserkrüge, die man zur Reinigung benutzt, gefüllt werden. Aus ihnen schöpft man dann den Wein. Wird uns hier nicht symbolisch gezeigt, dass die wahre Freude des Menschen nur sicher ist, wenn auch der Heiligkeit Gottes entsprochen wird?

Die Reinigung des Tempels

Johannes 2,12–17

Verse 12–17: Danach ging er hinab nach Kapernaum, er und seine Mutter und seine Brüder und seine Jünger; und dort blieben sie nicht viele Tage. Und das Passah der Juden war nahe, und Jesus ging hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Rinder- und Schafe- und Taubenverkäufer und die Wechsler dasitzen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus, sowohl die Schafe als auch die Rinder; und das Geld der Wechsler schüttete er aus, und die Tische warf er um; und zu den Taubenverkäufern sprach er: Nehmt dies weg von hier, macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Kaufhaus! Seine Jünger aber erinnerten sich daran, dass geschrieben steht: „Der Eifer um dein Haus wird mich verzehren.

Die Hochzeit zu Kana zeigt, dass der Mensch sein eigenes Glück durch die natürlichen Hilfsmittel, die Gott gegeben hat, nicht festhalten kann. Die nächste Szene in Jerusalem dagegen zeigt, dass der Mensch den Gottesdienst, den Gott angeordnet hat, nicht zu seinem Segen ausüben kann.

Gott hatte einen Gottesdienst angeordnet, der passend war für den Menschen „im Fleisch“, der ihm Grenzen setzte und der ihm irdischen Segen verhieß. Doch der Mensch verdarb ihn und machte ihn zu einem Mittel zum Gewinn. Das „Bethaus für alle Völker“ (Jes 56,7) wurde zu einer Halle für die Wechsler, die damit das Haus seines Vaters zu einem Kaufhaus machten. Der Herr verurteilt das und treibt sie alle hinaus. Er rechtfertigt sein Handeln, indem Er auf die Beziehung zu Gott, seinem Vater verweist und deutlich macht, dass der Tempel das Haus seines Vaters ist. Aufs Neue zeigt Er seinen Jüngern hier seine Herrlichkeit. Als Sohn eifert Er für die Herrlichkeit des Hauses seines Vaters, wie die Schrift sagt: „Der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt“ (Ps 69,10). Dieser Psalm bekommt hier eine umfassendere und tiefere Bedeutung, denn nun ist der Sohn auf die Erde gekommen und wir erfahren, dass der verworfene Mensch, von dem der Psalmist spricht, niemand Geringeres ist als der Sohn Gottes.

Der Tempel seines Leibes

Johannes 2,18–22

Verse 18–22: Die Juden nun antworteten und sprachen zu ihm: Was für ein Zeichen zeigst du uns, dass du diese Dinge tust? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Sechsundvierzig Jahre ist an diesem Tempel gebaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber sprach von dem Tempel seines Leibes. Als er nun aus den Toten auferweckt war, erinnerten sich seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte.

Die Juden wollen ein Zeichen – und zeigen damit erneut, was im Herzen des Menschen ist. Der Herr erklärt in seiner Antwort, dass nun, da Er Mensch geworden ist, sein Leib der wahre Tempel oder Wohnort Gottes ist. Der Tempel in Jerusalem war leer und bald würde der Herr ihn „euer Haus“ nennen und der Zerstörung übergeben (Matthäus 23,38; 24,2). Der „Tempel seines Leibes“ dagegen könnte nicht verdorben werden, wenngleich die Menschen ihn mit Gewalt zerstören wollten. Immer wieder versuchten sie, Ihn zu steinigen, doch erst als die Stunde gekommen war, erlaubte Er ihnen, den „Tempel seines Leibes“ abzubrechen.

Durch die Bosheit der Menschen würde nur noch mehr seine Herrlichkeit als Sohn, aber auch seine Oberhoheit über alles offenbar werden. Menschen mochten zerstören – doch etwas konnten sie nicht: aus dem Tod auferwecken. Christus sagt ihnen hier gewissermaßen: „Ihr mögt das Schlimmste tun und den Tempel meines Leibes abbrechen – doch ich werde ihn wieder aufrichten“. Seine Auferstehung würde kraftvoll zeigen, dass Er der Sohn Gottes ist.

Der natürliche Sinn des Menschen

Johannes 2,23–25

Verse 23–25: Als er aber in Jerusalem war, am Passah, auf dem Fest, glaubten viele an seinen Namen, als sie seine Zeichen sahen, die er tat. Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an, weil er alle kannte und nicht nötig hatte, dass jemand Zeugnis gebe von dem Menschen; denn er selbst wusste, was in dem Menschen war

Die Schlussverse des zweiten Kapitels zeigen uns eine weitere wichtige Wahrheit: Der Mensch mag rein verstandesmäßig anhand von eindeutigen Anhaltspunkten zu einer gewissen Erkenntnis gelangen und doch fern von Gott bleiben. Deshalb heißt es hier, dass viele in Jerusalem „an seinen Namen glaubten, als sie seine Zeichen sahen, die er tat“. Aus dem, was sie sahen, schlussfolgerten sie, dass Christus wirklich der war, der Er zu sein behauptete. Doch damit endeten auch schon ihre Überlegungen. Ihnen war nicht bewusst, dass sie Christus nötig hatten. Nicht ihr Gewissen brachte sie zu Christus; sie glaubten an Ihn, weil sie sahen – aber dieser Glaube zog sie nicht zu Ihm hin.

Deshalb vertraute der Herr sich ihnen nicht an. Das zeigt seine Herrlichkeit – denn Er kannte ja alle. „Er selbst wusste, was in dem Menschen war“. Er hatte nicht wie andere nötig, ein Zeugnis von Menschen zu hören – Er selbst war und ist der allwissende Gott.

Dieses Kapitel gibt uns ein klares Bild vom Menschen und von der Welt: Die natürlichen Dinge beinhalten für den Menschen kein dauerhaftes Glück; der Mensch verdirbt die Dinge Gottes; und den Einen, der die Gnade Gottes bringt, weist er ab; selbst wenn der natürliche Verstand ihn richtig führt, bleibt er doch fern von Gott. Uns wird enthüllt, was der Mensch in sich selbst ist, und das macht den Weg frei für die Offenbarung der Herrlichkeit Christi. So zeigt uns dieses Kapitel in schöner Weise, dass allein Christus die Hilfsquelle des Gläubigen ist. Wir sehen, wie alle irdischen Dinge versagen; wie uns das Empfinden über all das Böse belastet, das in die Dinge Gottes eingedrungen ist; und wir sehen, wie auf allem der Tod liegt und dass unsere natürliche Gedankenwelt unfähig ist, Gott zu erreichen. Doch bei allem Versagen und Verfall des Menschen ist es Christus, der unsere Herzen mit Freude erfüllt, der mit dem Bösen handelt, der die Macht des Todes bricht und der uns zu sich zieht.

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