Er lehrte sie vieles in Gleichnissen (Band 1)
Die enge Pforte
Das Gleichnis von der »engen Pforte« ist, wie die vorigen Gleichnisse, Bestandteil der Bergpredigt, wie sie uns Matthäus überliefert. Lukas gibt uns dasselbe Gleichnis, aber in einer völlig anderen Verbindung.
Es ist bemerkenswert, daß der Herr Jesus die Bergpredigt, in der Er die Grundsätze des Reiches der Himmel entwickelt, mit vier Warnungen abschließt. Jede von ihnen enthält zwei Dinge, die zwar das übergeordnete Merkmal jeweils gemeinsam haben, im übrigen aber so weit wie nur irgend möglich voneinander verschieden sind: zwei Pforten und Wege (Kap. 7,13.14), zwei Bäume (Verse 17–20), zwei Arten von Bekennem (Verse 21–23) und zwei Bauende (Verse 24–27).
Im Rahmen dieser Arbeit beschäftigen wir uns nur mit dem ersten und dem letzten Paar. Zunächst wenden wir uns dem Gleichnis von der »engen Pforte und dem schmalen Weg« im Matthäus-Evangelium zu.
Die enge Pforte in Matthäus
„Geht ein durch die enge Pforte; denn weit ist die Pforte und breit der Weg, der zum Verderben führt, und viele sind, die durch sie eingehen. Denn eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind, die ihn finden“ (Mt 7,13-14)
Wir haben vielleicht schon alle einmal das bekannte Bild gesehen, auf dem der schmale und der breite Weg dargestellt werden. Es war früher in den Häusern der Gläubigen öfter zu finden. Viele Menschen drängen sich auf dem breiten Weg. Sie tragen allerlei Lasten und Gepäckstücke mit sich. Der breite Weg selbst zieht sich eben und ohne große Biegungen dahin, vorbei an allerlei Vergnügungsstätten. Schließlich mündet er in eine weite Pforte, hinter der die Flammen der Hölle versteckt lodern. Der schmale Weg dagegen ist steil und karg und windet sich unter vielen Krümmungen nach oben. Nur hier und da findet sich auf ihm ein Wanderer, der unter Mühe die Höhe erklimmt. Am Ende des Weges sieht man dann die Pforte zum Himmel dargestellt. – Ich selbst habe mir manches Mal dieses Bild angesehen, und es hat mich immer wieder beeindruckt. Ja, so ist es: Diese beiden Wege gibt es – und auch diese beiden Endpunkte! Wenn doch die Menschen wüßten, wohin sie gehen!
Wenn auch dieses Bild in vielen Einzelheiten Sichtiges zeichnet, so weicht es doch in einem entscheidenden Punkt von dem Bild ab, das der Herr Jesus uns hier gibt: In Seinem Bild liegen die enge Pforte und die weite Pforte am Anfang des jeweiligen Weges. Man kann nur auf den schmalen Weg, der zum Leben führt, gelangen, wenn man durch die „enge Pforte“ geht. Das ist die Belehrung, die uns hier gegeben werden soll. Das Gewicht liegt auf der engen Pforte und auf der Notwendigkeit, sie zu benutzen. Der schmale Weg schließt sich dann an.
In Johannes io bezeichnet sich der Herr Jesus selbst als die „Tür“ und sagt: „Wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden“ (Vers 9). Nur durch den Glauben an Ihn und somit durch die neue Geburt kann man auf den Weg des Lebens kommen (Joh 3,3-16). Aber warum ist die Pforte „eng“? Weil mit dem „Glauben an unseren Herrn Jesus Christus“ auch die „Buße zu Gott“ verbunden sein muß (Apg 20,21). Der Mensch muß dahin gebracht werden, zu erkennen, was Sünde in den Augen Gottes ist, und er muß sich selbst als völlig verloren und verdorben erkennen. Das ist keine leichte Sache. Als Petrus den Juden am Pfingsttag ihre Sünde vorstellte, da „drang es ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder? Petrus aber spricht zu ihnen: Tut Buße ...“ (Apg 2,37.38).
Wie schwer tun sich doch gerade religiöse Menschen darin, einzusehen, daß sie jede eigene vermeintliche Gerechtigkeit aufgeben müssen und sich nur auf die Gnade Gottes werfen können! Sie würden sich gern das Wohlgefallen Gottes auf die eine oder andere Art „verdienen“. Dabei sind sie nicht selten von edler Gesinnung und scheuen keine Mühe, Gutes zu tun und christliche Grundwerte hochzuhalten. Doch beim Durchgehen durch die enge Pforte müßten sie jede Selbstgerechtigkeit abstreifen und alles draußen lassen, dessen sich das Fleisch rühmt. Weil aber gerade das in aller Regel auf ihren inneren Widerstand stößt, finden sich so ungezählt viele von ihnen auf dem breiten Weg, der zum Verderben fuhrt.
Die weite Pforte liegt dagegen einladend vor ihnen, aber es ist ein Eingang, den sie sich nach ihren Vorstellungen selbst gemacht haben. Sie meinen, mit ihren christlichen Formen und unter Umgehung der neuen Geburt in das Reich Gottes eingehen, die Segnungen des Christentums genießen zu können. In Wahrheit aber sind sie auf dem Weg zum Verderben, und sie gehen ihn zusammen mit all den „gottlosen Sündern“. Ist das nicht eine erschütternde Feststellung?
Die beiden Wege
Man ist entweder auf dem einen oder dem anderen Weg. Einen Mittelweg gibt es nicht, ebensowenig einen mittleren Platz nach dieser Zeit. Beachten wir, was der Herr vorstellt: Er zeigt zwei Pforten, zwei Wege, zwei Gruppen von Wanderern, zwei Ziele. Man befindet sich in diesem Leben entweder auf dem schmalen oder auf dem breiten Weg, man steuert entweder dem Leben oder dem Verderben in der Ewigkeit zu.
Wenn der Herr von Verderbern spricht, benutzt Er dafür ein Wort (gr. apöleia), das nicht etwa »Auflösung« oder »Vernichtung« bedeutet (diesen Gedanken kennt die Heilige Schrift nicht), sondern »äußersten, endgültigen Ruin oder Untergang, unumstößliches Verderben. In diesem Sinn wird dieses Wort wiederholt im Neuen Testament gebraucht, um den Zustand nach dem Tod und die ewige Trennung vom wahren, göttlichen Leben zu beschreiben (Joh 17,12; Röm 9,22; Phil 1,28; 3,19; 1. Tim 6,9; Heb 10,39; 2. Pet 2,1.3; 3,16; Off 17,8.11).
Schmaler Weg oder breiter Weg hier, Leben oder Verderben in der Ewigkeit – das ist die Realität, der jeder ins Auge schauen muß. Daß viele den breiten Weg gehen, beweist nicht dessen Richtigkeit. Nicht wo die Masse ist, ist die Wahrheit. Schon im Alten Testament warnt Gott: „Du sollst der Menge nicht folgen zum Übeltun“ (2. Mo 23,2).
Auch wenn man durch die enge Pforte gegangen ist, bedarf es großer Energie, bedarf es eines ernsten Herzensentschlusses, um sich von der großen Masse abzusondern und um jeden Preis einen persönlichen, eben den „schmalen Weg“ zu gehen. Schon Daniel hatte diesen Herzerisentschluß gefaßt (Dan 1), und Barnabas ermahnte die jungen Gläubigen in Antiochien, mit Herzensentschluß bei dem Herrn zu verharren (Apg 11,23). Bei dem Herrn zu verharren, im Glauben zu verharren und bereit zu sein, durch viele Trübsale in das Reich Gottes einzugehen (Kap. 14,22) – das beschreibt trefflich den schmalen Weg.
Es ist sicher nicht von ungefähr, daß das griechische Wort für »schmal« (gr. tethlimmene = »eingeengt«) eng mit dem Wort »thlipsis« verwandt ist, das »Drangsal, Bedrängnis, Bedrückung, Trübsal, Not, Angst« bedeutet. Wie Bekehrung und Wiedergeburt das Eingangstor bilden, so ist Heiligkeit das Kennzeichen des schmalen Weges. Dies aber schließt in einer Gott feindlichen Welt Drangsal, Not und Verfolgung mit ein. Es ist alles andere als ein freudloser Weg, aber das Verwirklichen der Heiligkeit Gottes und das Befolgen Seines Willens macht ihn zu einem „schmalen“ Weg.
Wenn nur wenige diesen Weg finden, liegt das nicht an der Gnade Gottes, sondern daran, daß man sie ablehnt. Man will durch das weite Tor und auf dem breiten Weg alles das mitnehmen, was dem Auge gefällt und was das Fleisch liebt. Ich kann mir kaum eine treffendere Beschreibung des „breiten“ und des „schmalen“ Weges vorstellen, als jenes Wort aus dem ersten Petrusbrief: „... um die im Fleisch noch übrige Zeit nicht mehr den Begierden der Menschen (breiter Weg), sondern dem Willen Gottes (schmaler Weg) zu leben“ (Kap. 4,2). Daß wir es doch mehr bedächten: Der „Genuß der Sünde“ ist nur für kurze Zeit (Heb 11,25), aber das Ende von allem ist ewig – ist die Hölle, die ewige Verdammnis!
Aber diejenigen, die den schmalen Weg gehen, haben ihn oder die enge Pforte (beides ist grammatisch und dem Sinn nach richtig) auch gefunden: „und wenige sind, die ihn (oder: sie) finden.“ Das ist gewiß nicht ihr eigenes Verdienst, sondern ist allein der Gnade Gottes zuzuschreiben, von der wir soeben sprachen. Die weite Pforte und der breite Weg dagegen müssen nicht „gefunden“ werden, sie sind fiir alle offen und weithin sichtbar. Aber die enge Pforte und der schmale Weg werden unter der Güte Gottes „gefunden“. Es ist, als schwinge bei diesem Finden der Gedanke freudiger Überraschung mit wie bei den drei Gleichnissen in Lukas 15.
Die enge Pforte und die verschlossene Tür in Lukas
Der Anlaß für das Gleichnis von der »engen Pforte« in Lukas ist, daß jemand den Herrn fragte, ob derer, die errettet werden, wenige seien. Der ganze Abschnitt stellt das Gleichnis in einen jüdischen Zusammenhang. Wahrscheinlich wollte der Fragesteller wissen, ob der jüdische Überrest, der vor dem kommenden Gericht verschont würde, sich aus vielen oder wenigen zusammensetzen wird. Der Herr geht auf diese an sich müßige und spekulative Frage nicht direkt ein. Seine Antwort zielt vielmehr statt auf das „Wie viele“ auf das „Wer“ ab:
„Ringt danach, durch die enge Tür einzugehen; denn viele, sage ich euch, werden einzugehen suchen und es nicht vermögen“ (Lk 13,24).
Den Herrn Jesus in jener Zeit, als Er hier weilte, anzunehmen, das bedeutete, durch die enge Pforte einzugehen. Danach sollten die Juden ringen. Daß dies nur durch Buße und Glauben geschehen konnte, haben wir bereits gesehen. Tatsächlich antwortet der Herr mit einem Doppelgleichnis. Er fügt dem Gleichnis von der »engen Pforte« noch das Gleichnis von der verschlossenen Tür« an:
„Von da an, wenn der Hausherr aufsteht und die Tür verschließt und ihr anfangt, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, tu uns auf und er antworten und zu euch sagen wird: Ich kenne euch nicht, woher ihr seid; dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unseren Straßen hast du gelehrt. Und er wird sagen: Ich sage euch, ich kenne euch nicht, woher ihr seid; weicht von mir, alle ihr Übeltäter! Dort wird das Weinen und das Zähneknirschen sein, wenn ihr Abraham und Isaak und Jakob und alle Propheten sehen werdet in dem Reich Gottes, euch aber hinausgeworfen. Und sie werden kommen von Osten und Westen und von Norden und Süden und im Reich Gottes zu Tisch liegen. Und siehe, es sind Letzte, die Erste sein werden, und es sind Erste, die Letzte sein werden“ (Verse 25–30).
Wenn der Herr Jesus in Vers 24 sagt, daß viele suchen würden einzugehen und es nicht vermögen würden, dann geht Er nicht davon aus und sagt auch nicht, daß sie durch die enge Pforte einzugehen suchten. Wer nämlich ernstlich nach dem Eingehen durch die enge Pforte verlangt, wird durch die Gnade Gottes darin auch Gelingen haben. Nein, Er sagt einfach, sie würden in das Reich Gottes einzugehen suchen und es nicht vermögen. Nicht daß die Pforte zu eng sei, war dabei das Problem oder die Schwierigkeit, die sie zu fürchten hatten, sondern daß die Tür einmal verschlossen sein wird. Deswegen kann man diese Aussage des Herrn im letzten Teil von Vers 24 nur richtig verstehen, wenn man das Gleichnis von der verschlossenen Tür« zur Erklärung mit hinzunimmt. Daraus wird auch deutlich, daß Sich der Herr in Seiner Antwort nicht nur an den einen Fragesteller richtet, sondern auch alle die warnt, die damals Seine Botschaft hörten und verwarfen.
Die Masse des jüdischen Volkes verhielt sich Ihm gegenüber gleichgültig oder gar feindlich. Wenn sie in dieser Haltung blieben – so warnt sie der Herr –, würde es geschehen, daß sie eines Tages draußen stehen. Tiefe Herzensübungen, ein ernstliches Ringen waren in dieser Zeit notwendig, um in das Reich Gottes hineinzugelangen. Würden sie aber jetzt ohne diese Herzensübungen wie Buße und Glauben einzugehen suchen, dann würden sie später einmal draußen stehen. Dann würden sie allerdings „ringen“, würden ernstlich rufen und anklopfen und -eine verschlossene Tür vorfinden. Mit anderen Worten: Wenn sie den Herrn Jesus in Seiner Erniedrigung verwarfen, würden sie am Tag Seiner Herrlichkeit von Ihm verworfen werden.
So ist es der Gedanke des Ringens, der beide Gleichnisse miteinander verbindet und die Antwort des Herrn so anschaulich, aber auch so ernst macht. Das vom Herrn benutzte Wort für »ringen« (gr. agomzomai = »ringen, sich anstrengen, etwas mit großem Eifer erstreben«) wird oft in Verbindung mit athletischen Wettkämpfen gebraucht. Der angegebene Bedeutungsumfang des griechischen Wortes macht auch deutlich, daß nicht an ein Erwirken der ewigen Glückseligkeit gedacht ist, sondern an ein ernstes Suchen danach. Diese Bedeutung des Wortes wird durch sein Vorkommen in Kolosser 4 unterstrichen: „... der allezeit für euch ringt in den Gebeten“ (Vers 12). Der einfache Nenner dieser beiden Gleichnisse ist also: Ringt jetzt in der richtigen Weise, damit ihr nicht einmal vergeblich ringt.
Das ist die Belehrung des Herrn im Lukas-Evangelium – eine Belehrung und Warnung, die im übertragenen Sinn auch uns allen heute gilt. Wieviele bekennen sich äußerlich zum Christentum, sind aber nicht bereit, den einfachen Weg des Heils zu gehen, wie wir ihn betrachtet haben. Einmal werden auch sie anfangen, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: „Herr, tu uns auf!“ Aber die Zeit der Gnade ist vorüber, und die Tür bleibt ihnen verschlossen. Von drinnen vernehmen sie die Stimme des Herrn, die sie hier geringgeschätzt haben: „Ich sage euch, ich kenne euch nicht, woher ihr seid; weicht von mir, alle ihr Übeltäter!“ (vgl. auch Mt 7,22.23).
Eine verschlossene Tür begegnet uns in den Gleichnissen des Herrn einige Male. Wenn der Herr als hinter der verschlossenen Tür befindlich, als drinnen geschildert wird, so veranschaulicht sie den schrecklichen Gedanken, für immer von den Segnungen des Reiches Gottes und des Himmels ausgeschlossen zu sein. Außer hier haben wir diese Sicht noch im Gleichnis von den »zehn Jungfrauen« (Mt 25,1-13): der Herr drinnen und die Heuchler und leblosen Bekenner draußen. Im Gleichnis von dem »von der Hochzeit heimkehrenden Herrn« in Lukas 12 dagegen ist Er draußen, und Er klopft an: Er erwartet von Seinen Knechten ein von Liebe diktiertes Warten auf Ihn und Seine Wiederkehr (Vers 36). Doch mit den weiteren Einzelheiten wollen wir uns erst dann beschäftigen, wenn wir zu diesen Gleichnissen kommen.