Er lehrte sie vieles in Gleichnissen (Band 1)

Das Licht der Welt

Er lehrte sie vieles in Gleichnissen (Band 1)

Das zweite Bild, das der Herr benutzt, ist das vom »Licht der Welt«. Es ist eine erstaunliche Aussage des Herrn: Seine Jünger würden während der Zeit Seiner Abwesenheit neben dem Salz der Erde auch das Licht der Welt sein.

„Ihr seid das Licht der Welt; eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht eine Lampe an und stellt sie unter den Scheffel, sondern auf den Lampenständer, und sie leuchtet allen, die im Haus sind“ (Mt 5,14.15).

Was bedeutet »Licht«?

Wie dem ersten Bild vom »Salz der Erde« der Gedanke der Gerechtigkeit innewohnt, so spricht das zweite von Gnade. Diese beiden Gedanken oder Prinzipien liegen auch den Glückseligpreisungen zu Beginn des Kapitels zugrunde. In den Versen 3–6 sehen wir Charakterzüge, die durch Gerechtigkeit gekennzeichnet sind. In den Versen 7–9 werden uns Charakterzüge vorgestellt, die mit der Gnade in Verbindung stehen. Auch wenn der Herr Jesus anschließend von Verfolgungen redet, die Seine Jünger treffen würden, so nennt Er zuerst die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten (Vers 10) und dann die, die durch die Gnade befähigt sein würden, Verfolgungen und Schmähungen um Seinetwillen zu erdulden (Verse 11.12).

Salz und Licht unterscheiden sich stark voneinander. Trotzdem haben sie eins gemeinsam: Sie reden beide von einem Zeugnis für Gott. Und da Verderbnis und Finsternis im geistlichen Sinn stets miteinander einhergehen, zeigt der Herr Jesus in diesem Doppel- Gleichnis die zweifache Verantwortlichkeit Seiner Jünger, aber auch das zweifache Bedürfnis der Menschen.

Salz wirkt der Verderbnis entgegen, Licht vertreibt die Finsternis. Insofern wohnt beiden ein gemeinsamer Gedanke inne. Es gibt manche Stellen in der Schrift, die das sittlich Böse dieser Welt aufdecken (z. B. 1. Joh 5,19; Gal 5,19-21; Röm 1,23-32; 2. Tim 3,1-5). Dagegen ist das Salz gerichtet. Andere Stellen zeigen mehr den Unverstand, die geistliche Blindheit und Torheit der Menschen (z.B. 2. Kor 4,4; Eph 4,18; 2. Thes 2,10; Mt 24,11). Um sie zu vertreiben, läßt Gott in Seiner Gnade das Licht scheinen.

»Licht« redet von dem, was Gott von Sich und Seinen Gedanken offenbart. Auch schon im Alten Testament war ein gewisses Licht von und über Gott vorhanden. Der goldene Leuchter verbreitete in Israel symbolisch Sein Licht im Heiligtum Gottes (2. Mo 27,20), und treue Männer Gottes erfreuten sich des Lichts, das von Gott und Seinem Wort ausging (Ps 4,6; 27,1; 36,9; 43,3; 97,11; 112,4; 118,27; 119,105; Spr 6,23). Aber das Volk Israel als Ganzes hat als Träger des Zeugnisses Gottes vor der Welt versagt. Weder schätzten sie selbst das ihnen geschenkte Licht, noch dachten sie überhaupt daran, das Licht nach außen zu verbreiten. Fremde, die von den Nationen nach Israel kamen, konnten kaum noch das Licht dort erkennen. Salomo bildete eine glanzvolle Ausnahme in der sonst düsteren Geschichte Israels. Als die Königin von Scheba aus fernem Land ihn besuchte, verstand er schon, daß die „Hereinkommenden das Licht sehen“ sollten (vgl. Lk 11,33). Sie geriet außer sich, als sie „all die Weisheit Salomos sah“ (1. Kön 10). In neutestamentlicher Zeit rühmten sich dagegen die Juden, „Leiter der Blinden“ zu sein und „ein Licht derer, die in Finsternis sind“ (Rom 2,19), aber die Wirklichkeit fehlte, sie waren nur äußerlich Juden (Verse 28.29).

Als der Sohn Gottes hier auf der Erde war, war Er das Licht der Welt (Joh 9,5), das wahrhaftige Licht (Kap. 1,9). Er konnte sagen: „Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe“ (Kap. 12,46). Auf vollkommene Weise offenbarte Er, wer und was Gott ist. In Ihm als einem Menschen auf der Erde können wir tatsächlich die Wahrheit in bezug auf jeden und auf alles finden. Es ist ein gesegneter Gegenstand, bei dem zu verweilen zur Anbetung führt. Doch obwohl Christus die volle Offenbarung Gottes, das „Bild des unsichtbaren Gottes“ war und ist (Joh 1,18; Kol 1,15), haßten die Menschen das Licht, weil ihre Werke böse waren und sie sich nicht bloßgestellt sehen wollten (Joh 3,19.20). Wir wissen, daß sie nicht eher ruhten, als bis sie diese mahnende Stimme zum Schweigen gebracht hatten.

Nun sagt Christus von Seinen Jüngern: „Ihr seid das Licht der Welt.“ Wenn Er verworfen wurde und in den Himmel gegangen ist, dann hat Er die Seinen gesetzt, an Seiner Stelle unter den Menschen göttliches Licht zu verbreiten. Obwohl sie selbst einst „Finsternis“ waren, sind sie jetzt „Licht in dem Herrn“ und somit befähigt, als „Kinder des Lichts“ zu wandeln (Eph 5,8). Im Brief an die Philipper werden sie mit „Lichtern“ am Firmament verglichen, die inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts scheinen, „darstellend das Wort des Lebens“ (Kap. 2,15.16). So ist das Licht, das sie widerstrahlen, nicht ihr eigenes Licht; sie empfangen es ganz von Christus, ihrem verherrlichten Herrn droben.

Das ist die große Gnade in der heutigen Zeit: daß das Licht immer noch scheint, vor anderen und für andere scheint. Es mag ein richtungweisendes Licht oder ein warnendes Licht sein – es scheint zum Guten der Menschen. Insofern gehen Wirkung und Charakter des Lichts weit über die des »Salzes« hinaus. »Salz« kann nicht alles offenbar machen, kann nicht einem verdorbenen Zustand abhelfen. Das Licht Gottes aber vermag beides. Das Licht der Offenbarung Gottes stellt nicht nur das Böse bloß, nein, es bringt auch die Gnade und Barmherzigkeit Gottes in das hinein, was in sich nur Finsternis ist. Es erhellt die Finsternis der Seele und führt zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi (2. Kor 4,6). Ist es nicht ein großartiger, ein uns anspornender Gedanke, daß Gott heute die Seinen dazu benutzen möchte, Seine Gedanken über Christus in der Welt der Finsternis zu verbreiten? Wie beglückend zu erfahren, daß trotz aller Bemühungen Satans, das Licht auszulöschen, „die Finsternis vergeht und das wahrhaftige Licht schon leuchtet“ (1. Joh 2,8)! Und hier ist nicht Christus das wahrhaftige Licht; nein, die Seinen sind es, weil sie Sein Leben besitzen und es widerspiegeln.

Zwei Bilder

Der Herr gebraucht nun in unserem Gleichnis zwei Bilder: das von einer Stadt auf einem Berg und das von einer im Haus angezündeten Lampe. Das eine redet von Licht nach außen, das andere von Licht im Inneren.

Bei der „Stadt, die oben auf einem Berg liegt“ und deswegen nicht verborgen sein kann, müssen wir wohl zunächst an eine aus weißem Kalkstein erbaute Stadt des Orients denken, die im Altertum oft auf einem Hügel lag und mit ihren Häusern, Mauern und Türmen im gleißenden Sonnenlicht weithin sichtbar war. Daß sie durch die zahlreich angezündeten Lampen in den Häusern auch in der Nacht gut gesehen werden konnte, ist natürlich ebenso wahr.

Solch einer Stadt also gleichen die Jünger des Herrn: Durch ihr Zeugnis von ihrem Herrn und Meister verbreiten sie geistliches Licht, das sie zuvor selbst empfangen haben. Dieses Licht ist allen Menschen zugänglich, es ist für alle bestimmt, ist für die »Welt«, nicht nur für den eingeschränkten Bereich der »Erde«. Wahre Jünger des Herrn können in der Welt nicht verborgen bleiben. Das ist der Normalzustand. Welch ein Maß an Licht das Christentum in der Welt verbreitet hat, machen wir uns im allgemeinen kaum klar. Mehr als nur Spuren davon sind – Gott sei Dank dafür! – selbst heute noch vorhanden in einer Zeit, in der christliche Werte mehr und mehr verfallen. Die Worte des Herrn haben dennoch ihre Gültigkeit nicht verloren. Das darf uns ermutigen.

Aber dann wechselt der Herr Jesus zu dem anderen Bild über. Offenbar sah Er die Gefahr voraus, daß durch menschliche Untreue das Licht verdunkelt werden könnte. So wie das Salz seine Kraft verlieren konnte, so mochte auch der Einfluß des Lichts gehemmt werden. In beiden Fällen würde es für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar sein.

Zweifellos stellen Menschen im natürlichen Bereich keine angezündete Lampe unter einen Scheffel oder unter ein Bett (Mk 4,21; Lk 8,16). Das Licht soll schließlich allen im Haus dienlich sein. Menschen leben nicht gern im Dunkeln. Wenn es finster wird, zünden sie Licht an. Es ist nicht nur ungemütlich, sondern auch gefährlich, sich im Finstern aufzuhalten und zu bewegen. Deswegen schätzen sie durchaus auch künstliche Lichtquellen, wenn deren Licht auch, wie im Altertum, gering sein mag. Nein, sie würden eine brennende Lampe nicht mit einem Gefäß bedecken (Lk 8,16) oder sie ins Verborgene stellen (Kap. 11,33), sondern vielmehr auf das Lampengestell, damit „die Hereinkommenden den Schein (oder: das Licht) sehen“.

Doch im geistlichen Bereich handeln sie oft ganz anders. Geistliches Licht wird keineswegs so geschätzt wie natürliches. Daher besteht die Gefahr, daß man durch übergroße Geschäftigkeit und Gewinnsucht (Scheffel) oder durch den Hang zur Bequemlichkeit (Bett) oder auf irgendeine andere Weise (Gefäß) das empfangene Licht erstickt. Wir wissen, daß gerade dies in der Christenheit geschehen ist. Ja, man fürchtet dieses Licht, das das eigene Versagen und die ganze Hohlheit des Systems bloßlegt.

Das »Haus« versinnbildlicht offensichtlich einen inneren Bereich, der uns Christen anvertraut ist. Es ist der Wille Gottes, daß in diesem Bereich Sein Licht die Szene erhellt. Lukas zeigt uns in seinem Evangelium, daß der Herr Jesus das Bild von der angezündeten Lampe zweimal, in verschiedenem Zusammenhang, benutzt hat. Zweimal zitiert er auch die Worte des Herrn: „... damit die Hereinkommenden das Licht sehen“.

Wir haben bereits berührt: Als die Königin von Scheba zu Salomo kam, um seine Weisheit zu hören, da sah sie etwas von dem Licht und der Ordnung Gottes in seinem Haus. Wie ist es bei uns? Wenn Fremde zu uns in unser Haus oder in unsere Zusammenkünfte kommen, werden sie dann auch von dem Licht beeindruckt, das dort vorherrscht? Wenn man von außen in das „Haus“ der Christenheit kommt, mag man nicht mehr viel von dem Licht sehen, das Gott ursprünglich geschenkt hat. Aber der Herr wolle uns helfen, darum besorgt zu sein, daß in dem Bereich, in dem wir noch Einfluß ausüben können, göttliches Licht die Führung hat! Die Hereinkommenden werden es wahrnehmen (vgl. auch 1. Kor 14,24.25). Und was diejenigen betrifft, „die im Haus sind“-, die Lampe leuchtet ihnen, in ihrem Licht können sie sich sicher bewegen. Welch ein unschätzbarer Segen ist es, wenn vor allem die Häuser der Gläubigen von dem Licht göttlicher Gedanken und Offenbarungen geleitet werden, und nicht durch menschliche Weisheit oder gar durch Willkür oder Zufälligkeiten!

Aber der »Scheffel« und das »Bett« stellen auch für uns jederzeit eine Gefahr dar, wir sollten sie nicht unterschätzen. Geben wir nämlich der Neigung zu dem einen oder anderen nach, werden wir das Licht nach und nach verlieren.

Gute Werke

Der Heiland schließt das Gleichnis damit ab, daß Er dessen Belehrung in die folgende Aufforderung zusammenfaßt:

Ebenso laßt euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen“ (Mt 5,16).

Das Licht, das Er uns gegeben hat, soll vor den Menschen leuchten. Der Besitz der „Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi“ ist dafür Voraussetzung und Verpflichtung zugleich. Nun müssen wir zweifellos darauf bedacht sein, daß das Licht auch im Verborgenen seine Wirkung tut, dort, wo Menschen es nicht sehen, sondern wo nur Gott, unser Vater, es wahrnimmt – Er, der „im Verborgenen sieht“ (Kap. 6,6). Doch hier haben wir die Seite nach außen hin.

Nicht unsere guten Werke sollen wir vor den Menschen leuchten lassen, sondern unser Licht. Das erste würde den Nachdruck auf die falsche Seite verschieben und würde nur zur Verherrlichung des Menschen führen. Wir müssen nicht suchen, gute Werke hervorzubringen, sondern dem Zeugnis für unseren Herrn sollen wir die größte Bedeutung beimessen. Wenn Gott Sich uns in Seinem Sohn zu erkennen gegeben hat, so möchte Er auch, daß wir Ihn vor der Welt in Wort und Tat bezeugen. Tun wir es? Dabei brauchen wir nicht auf besondere, große Augenblicke zu warten. Das tägliche Leben bietet tausendfach Gelegenheit, den Menschen zu zeigen, was uns der Herr Jesus bedeutet. Ein Leben der Gemeinschaft mit Ihm wird auch reich sein an guten Werken, die dann von den Menschen gesehen werden.

Was meint nun der Herr mit »guten Werkern? Denkt Er dabei an das, was die Menschen der Welt darunter verstehen, Werke der Nächstenliebe zum Beispiel? Wenn das so wäre, würde Er die Seinen auf einen Boden mit den Ungläubigen stellen und das, was „gut“ ist, von deren Beurteilung abhängig machen. Wenn sie Wohltätigkeit üben – und dazu sind edle und religiöse Menschen bereit und in der Lage dann deshalb, weil sie es für „gut“ halten. Doch in den Augen Gottes ist nur das gut, was Seinem Willen entspricht und was aus Gehorsam zu Ihm getan wird. Nur Gott tut Gutes, ohne zu gehorchen, eben weil Er Gott, weil Er der Souverän ist. In einem ähnlichen Sinn sagte der Herr einmal zu dem reichen Jüngling: „Niemand ist gut als nur einer, Gott“ (Mk 1o,18). Das Geschöpf aber tut nur dann Gutes, wenn es Ihm dabei gehorcht.

Nein, es sind nicht die Taten der Nächstenliebe an sich, die der Herr von Seinen Jüngern erwartet, sondern Er sucht etwas Größeres: Werke des Glaubens, die der Gemeinschaft mit Ihm entspringen und die in der Kraft des Heiligen Geistes vollbracht werden. Unter »guten Werken« können wir all das verstehen, was in unserem Leben den Willen und die Absicht Gottes widerspiegelt. Wie nahe müssen wir Ihm dann aber sein, um das tun zu können! Und welch ein weites Betätigungsfeld tut sich uns hier auf in den normalen Umständen unseres Lebens!

Das Ergebnis eines treuen Zeugnisses und eines hingebungsvollen Wandels wird sein, daß Gott verherrlicht wird, und nicht der Mensch. Die Menschen werden nicht in Bewunderungsrufe über die Gläubigen ausbrechen für das, was sie in ihnen sehen. Alles wird vielmehr zu Dem zurückgehen, von dem es kam: zu unserem Vater, der in den Himmeln ist. Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben auf uns herab, von dem Vater der Lichter (Jak 1,17), und alles muß in Dankbarkeit und Anbetung zu Ihm, der Quelle, zurückkehren. Das ist die Weise Gottes, und das allein ist Seiner würdig.

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