Die Heilige Schrift und wie sie redet

III. Die beiden „Bücher” Gottes

Die Heilige Schrift und wie sie redet

Gott hat zwei „Bücher“ geschrieben: die Schöpfung und Sein Wort, die Heilige Schrift. Das zweite Buch setzt das erste voraus, wie das Neue Testament das Alte Testament.

Das erste Buch

In der Schöpfung erkennen wir vor allem Gottes Weisheit und Seine Allmacht und Seine Fürsorge für Seine Geschöpfe, besonders für den Menschen (Ps 145, 16). Die Schöpfung lehrt deutlich, im Kleinen wie im Großen, daß ihr Urheber den Menschen nicht nur um einige Grade oder auch turmhoch überlegen, sondern daß Er unendlich viel höher, daß Er Gott ist. Diese überaus wichtige Erkenntnis können und sollen alle Menschen, auch die Heiden, haben, wie es in Römer 1, 20 heißt: „Denn das Unsichtbare von ihm, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, die von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen werden, wird geschaut.“ Für dieses Zeugnis sind Gott gegenüber alle Menschen, auch die Heiden, die nie von dem Herrn Jesus gehört haben, voll verantwortlich. Zwar sind der Fall Satans und der des Menschen nicht spurlos an der Schöpfung vorübergegangen, aber die Schönheit und weisheitsvolle Zweckmäßigkeit der Schöpfung weisen noch immer unverkennbar auf den göttlichen Urheber hin, so daß es dieserhalb keine Ausrede geben kann. Die genannte Stelle sagt denn auch: „wird geschaut“, nicht: wurde geschaut. Und der nächste Vers redet davon, daß die Menschen Gott kennen, nämlich durch Seine Werke, aber „ihn weder als Gott verherrlichten noch ihm Dank darbrachten“.

Man muß nicht die Schöpfung in all ihren Wundern und Einzelheiten genau kennen, um zu wissen, daß sie von Gott herkommt. Nein, das Kleinste und viele bestimmte Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten reden von Gott. Denken wir z. B. nur daran, daß alle Körper „nach unten“ fallen, aber der Saft in den Pflanzen, selbst in den höchsten Bäumen, entgegen der Schwerkraft nach oben steigt, ohne Herz oder Pumpe. Wenn man eine Nähnadel und einen Bienenstachel unter dem Mikroskop betrachtet, so staunt man, wie zackig und grantig die Nähnadel ist, wie fein glatt und spitz aber der Bienenstachel ist.

Es ist für den Christen gut, durch die Betrachtung der Schöpfungswunder sich eine hohe Vorstellung von der Majestät und Größe Gottes zu bewahren, soweit dies kleinen Wesen wie uns möglich ist.

Wie wertvoll, zu dem Gott, „der Großes und Unerforschliches tut, Wunder bis zur Unzahl“, mit David sagen zu können: „Wunderbar sind deine Werke, und meine Seele weiß es sehr wohl“ (Hiob 5, 9; Ps 139, 14). Ist es in diesem Zusammenhang nicht sehr auffallend und interessant zu sehen, daß Gott Seinen Knecht Hiob – abgesehen von zwei kurzen Zurechtweisungen – ausschließlich mit Fragen und Mitteilungen über Seine Schöpfung in vier Kapiteln dahin bringt, seine ungeziemende Haltung gegen Gott zu verurteilen und sich zu verabscheuen und zu „bereuen in Staub und Asche“?

Darüber hinaus wird der Gläubige in dem Tun Gottes mit ihm auf Erden immer wieder „Seine Wundertaten und Seine Gedanken“ (Ps 40, 5) mit Freude und Bewunderung sehen und Ihm dafür Lob und Anbetung darbringen dürfen. Ob in den Zeiten des Verfalls wohl viele die „geübten Sinne“ besitzen, um Gottes Wundertun mit ihnen zu erkennen?

Die beiden Werke Gottes sind durch Sein Wort entstanden. Im Schöpfungsbericht heißt es mehrfach: „Und Gott sprach“, „Und es ward also.“ „Durch Jehovas Wort sind die Himmel gemacht, und all ihr Heer durch den Hauch seines Mundes. . . Denn er sprach, und es war; er gebot, und es stand da.“ Er ist Der, der „das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre“ (Ps 33, 6. 9; Röm 4, 17). Der diese Worte der Allmacht sprach, ist der Sohn Gottes, „das Wort“, das im Anfang bei Gott und selbst Gott war. „Alles ward durch dasselbe (oder ihn), und ohne dasselbe (ihn) ward auch nicht eines, das geworden ist“ (Joh 1, 1–3).

Das zweite Buch

Im Blick auf das geschriebene Wort, die Bibel, finden wir noch eine höhere Stufe: Die Heilige Schrift ist Gottes Wort. Nicht nur die Mitteilungen, denen ein „Jehova redete und sprach“ oder „das Wort Jehovas geschah zu „ voraufgehen, sondern auch der ganze Bericht, ja, alles übrige ist die Heilige Schrift, ist Gottes Wort. Gott hat es Seinen heiligen Propheten und Aposteln kundgetan: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben“ (2. Tim 3, 16). „Heilige Männer Gottes redeten, getrieben vom Heiligen Geiste“ (2. Pet 1, 21). Paulus sagt: „Uns aber hat Gott es geoffenbart durch seinen Geist“, „auf daß wir die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind; welche wir auch verkündigen, nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist, mitteilend geistliche Dinge durch geistliche Mittel“ (1. Kor 2, 10. 12. 13). Die Gedanken und Wahrheiten Gottes, die „geistlichen Dinge“, wurden durch „geistliche Mittel“, d. h. durch die Inspiration aller Schreiber, aller heiligen Männer, mitgeteilt. Und zwar waren auch die Worte „gelehrt durch den Geist“. Es war eine wörtliche oder Verbal-Inspiration. So sagt auch David: „Der Geist Jehovas hat durch mich geredet, und sein Wort war auf meiner Zunge“ (2. Sam 23, 2).

Die Wichtigkeit des Umstandes, daß die Heilige Schrift mittels wörtlicher Eingebung durch den Heiligen Geist den dafür vorgesehenen Werkzeugen mit-geteilt wurde, kann wohl unterschätzt, aber nicht überschätzt werden. Wer mit der Abfassung von Vorträgen zu tun hat, weiß, daß es auf jedes Wort und seine Stellung im Satzverband, auf den genauen Wortlaut ankommt, damit das Beabsichtigte auch wirklich ausgedrückt wird. Wie gut, daß dies bei dem Wort Gottes der Fall ist!

Gottes geheimnisvolles Wirken weiterhin

Die gleiche Sorgfalt, deren Gott sich bei der Mitteilung Seines Wortes an die Schreiber bediente, sehen wir auch in der Bewahrung und Übergabe der einzelnen Schriften an Sein Volk. Dies sei im Blick auf das Neue Testament gezeigt. Hinsichtlich des neutestamentlichen Kanons, des Verzeichnisses der Gesamtheit der Bücher, seiner Bildung und Bewahrung heißt es bei J. Urquhart1: „Dr. Salmon in Dublin schreibt:,Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß keine kirchliche Autorität sich mit der Herstellung des Kanons befaßt hat; kein Konzil erörterte den Gegenstand; keine formellen Entscheidungen wurden getroffen. Der Kanon scheint sich selbst gebildet zu haben.“' An anderer Stelle des genannten Werkes lesen wir: „Dr. William Lee sagt:,Selbst die Widerstrebendsten sind gezwungen zuzugeben, daß die Anerkennung der verschiedenen Teile des Neuen Testaments als Heilige Schrift stattfand ohne vorherige Abrede – durch einen inneren Antrieb sozusagen – zu derselben Zeit und an den verschiedensten Orten; und daß mit kaum einer Ausnahme jede darin enthaltene Schrift sogleich und ohne ein Wort des Zweifels auf gleiche Stufe mit dem Alten Testament gestellt wurde, das bisher als ausschließlich göttlich betrachtet worden war. Kurz, die Autorität, welche diesen neuen Bestandteilen der Heiligen Schrift eingeräumt wurde, scheint entstanden zu sein, ohne daß jemand seinen Finger auf den Ort oder den Augenbück legen könnte, wo dies zuerst geschehen ist.'“

Am Schluß seiner Untersuchungen über diesen Punkt sagt Urquhart: „Diese Bücher wurden niemals auf die gleiche Stufe mit den anderen Büchern ihrer Zeit gestellt. Sie wurden von dem ersten Tage ihres Daseins an als ein Born himmlischer Gnade, eine Quelle göttlichen Lichtes aufgenommen. Sie waren für die Männer der apostolischen Zeit, was sie für die Christen späterer Jahrhunderte gewesen und was sie für uns jetzt sind – das Wort Gottes.“

Gott hat in geheimnisvoller Weise über Sein Wort gewacht und bewirkt, daß die Schriften des Neuen Testaments als Sein Wort in die Hände der Christen gelangten, und zwar von Anfang an.

***

Die durch die inspirierten Männer niedergeschriebenen Bücher mußten nun zu den Versammlungen, den einzelnen Gläubigen kommen. Diese notwendige Verbreitung des göttlichen Wortes geschah durch Abschriften. Aber auch in dieser Beziehung sehen wir die Sorgfalt und Weisheit Gottes.

Wir lesen bei Dr. Emil Dönges2: „Im Blick auf die Schriften des Alten und Neuen Testaments ist zu sagen: Es ist keine einzige von den Urhandschriften mehr erhalten. Nur Abschriften von ihnen stehen uns zur Verfügung.

Man wird nun denken: Wenn wir keine Originale der Schriften der Bibel besitzen, dann steht es ja sehr schlimm mit der Überlieferung des Textes; wie sollen wir da zu einem genauen Text kommen? Aber Gott hat die Überlieferung Seines Wortes auf eine Seiner würdigen Weise bewirkt. Angenommen, es würden gewisse Schriften als die Originalhandschriften gelten, die angeblich von Mose, Jesaja, Daniel, Paulus, Johannes und den übrigen Schreibern niedergeschrieben wurden, so bliebe immer der Zweifel an ihrer Echtheit bestehen und damit die Unsicherheit, ob sich Fehler eingeschlichen haben.

Die Juden haben die von ihnen für heilig gehaltenen Schriften des Alten Testaments mit Ehrfurcht und Scheu behandelt, auch in Zeiten der Untreue. Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus (geb. um das Jahr 38 n. Chr.) sagt bei der Aufzählung der Bücher des Alten Testaments von den Juden seiner Zeit:,Sie halten sie aufrecht bis in den Tod; keiner von ihnen wagt etwas hinzuzufügen oder davon wegzunehmen.' (S. Dr. Dönges: Die Zusammenstellung der einzelnen biblischen Bücher.. . und die Beglaubigung ihrer Echtheit, Seite 11).

Josephus berichtet,,daß eine sogen. Tempelabschrift der alttestamentlichen Schriften bestand, die im Tempel aufbewahrt wurde. .. Mit ihr mußte jede Abschrift, die gefertigt wurde, auf das genaueste verglichen werden; die Ansicht namhafter Gelehrter geht sogar dahin, daß alle Abschriften jener Zeiten nur von dieser authentischen Handschrift unmittelbar hergestellt werden durften, nicht von Abschriften derselben.' (Siehe auch: Die Tenne 1930, Seite 279).

... Bei dem Neuen Testament tritt die Handlungsweise Gottes, uns einen möglichst genauen Text Seines Wortes zu geben, noch deutlicher hervor. Über 40003) Handschriften des Neuen Testament, z. T. bruchstückartige und sehr kleine, z. T. aber auch größere und einige fast vollständige Handschriften bieten eine gute Vergleichsmöglichkeit. Die Textzeugen werden hinsichtlich ihres Wertes und damit ihrer Zuverlässigkeit von den Gelehrten verschieden eingestuft; den älteren Handschriften wird im allgemeinen, wenn auch nicht immer, der Vorzug zu geben sein. Nun kann jeder Vers in allen Handschriften nachgelesen und durch Vergleich, unter Berücksichtigung ihres Wertes, festgestellt werden, wie wohl die Stelle in der Urschrift gelautet haben wird. Stimmen z. B. eine größere Zahl von Handschriften bei einem Wort überein, so werden etwa vorhandene Abschriften in geringer Zahl, die Abweichungen haben, nicht berücksichtigt.

Durch die Textforschung, wie man diese Arbeit nennt, und wie sie schon in früheren Jahrhunderten und besonders durch den bekannten Prälaten Al-brecht Bengel getan wurde, besitzen wir nun einen sehr genauen, zuverlässigen Text, den Grundtext. Die Textforschung oder Textkritik kritisiert also nicht den Inhalt der Bibel, sondern benutzt die vorhandenen Dokumente im kritischen Vergleichen zur Herstellung eines möglichst genauen Textes der Schriften des Neuen Testaments. Sir Frederic G. Kenyon, eine der höchsten Autoritäten auf dem Gebiet der neutest-mentlichen Textforschung, sagt:.Sowohl die Glaubwürdigkeit als auch die Echtheit der Bücher des Neuen Testaments können als erwiesen angesehen werden.... Der Christ kann die ganze Bibel in die Hand nehmen und ohne Furcht und Zögern erklären, daß er damit das wahre Wort Gottes in Händen hat, so wie es uns ohne wesenhaften Verlust von Generation zu Generation durch die Jahrhunderte hindurch übergeben worden ist.' (Siehe auch Sauer: Gott, Menschheit und Ewigkeit, Seite 111.)

Wenn der gläubige Christ, dem an der Kenntnis des genauen Textes gelegen ist, das bisher Gesagte bedenkt, dann kann er Gottes Vorsehung und Weisheit nur bewundern und Ihm danken für den Schatz Seines Wortes. Das Wüten des Teufels, des Widersachers Gottes, im ersten Jahrhundert und später, die Schriften der Christen zu vernichten, hat dazu geführt, daß sie sie heute in großer Reinheit und Zuverlässigkeit besitzen. Möge jeder gläubige Christ das Wort Gottes als seinen größten Besitz schätzen und von ihm einen reichlichen Gebrauch machen!“

Fußnoten

  • 1 John Urquhart: Die Bücher der Bibel oder wie man die Bibel lesen soll; 1. Bd„ 3. Aufl. 1905, S. 31, 32, 44 (Verlag Max Kielmann, Stuttgart)
  • 2 Dr. E. Dönges: Die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift; S. 14–16 (Christliche Schriftenverbreitung, 5609 Hückeswagen)
  • 3 Inzwischen sind es über 5000 Handschriften geworden.
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