Betrachtung über das vierte Buch Mose (Synopsis)

Kapitel 6

Betrachtung über das vierte Buch Mose (Synopsis)

Der Nasir stellt uns einen anderen Wesenszug in Verbindung mit dem Wandel des Geistes hienieden dar - besondere Absonderung und Ergebenheit zu Gott. Sie sonderten sich zu Ihm hin ab. Christus ist das vollkommene Beispiel davon. Die Kirche sollte in Seine Fußstapfen treten. Fälle einer besonderen Berufung, sich dem Herrn zu weihen, gehören zu dieser Klasse.

Es waren drei Dinge mit dieser Absonderung verbunden: der Nasir sollte keinen Wein trinken; er sollte sein Haar wachsen lassen; er sollte sich für die Toten nicht verunreinigen. Der Wein bezeichnet die Freude, die man bei gesellschaftlichem Vergnügen verspürt, welcher das Herz derer erfreut, die sich ihm hingeben. Der „Most, der Götter und Menschen erfreut“ (im Englischen: Gott). Von dem Augenblick an, wo Christus Seinen öffentlichen Dienst begann, war Er von allem abgesondert, woran das Natürliche seinen gerechten Anteil hat. Als Er mit Seinen Jüngern zu einer Hochzeit eingeladen wurde, sagte Er zu Seiner Mutter: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Weib?“ Tatsächlich aber kannten Ihn Seine Jünger „nach dem Fleische“ 1. Sein Umgang mit ihnen fußte, was ihre Befähigung zur Gemeinschaft betraf, auf der damaligen Darstellung des Reiches, als im Fleische gekommen.

Doch auch diesbezüglich muß Er Sein abgesondertes Wesen eines Nasirs annehmen, und wie wahrhaftig Seine Liebe zu Seinen Jüngern auch war, selbst in jenem menschlichen Bereich, wo Er, der durch Schwachheit hindurchblickte, an den wahrhaftigen „Herrlichen der Erde“ Seine Lust hatte, an den Elenden der Herde, die auf Ihn harrten, so mußte Er doch auch von dieser Freude getrennt werden. Der Herr spricht: „Ich sage euch aber, daß ich von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken werde, bis an jenem Tage, da ich es neu mit euch trinken werde in dem Reiche meines Vaters.“ Er trennte Sich tatsächlich von jenem Umgang, wozu Ihn (wie elend die Seinigen auch waren) Seine Liebe trieb, diesen mit ihnen zu pflegen. Er hatte gesagt: „Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen.“ Er hatte schon dieser natürlichen Zuneigung entsagt, weil die Weihe Gottes auf Seinem Haupt war. Die Worte: „Was habe ich mit dir zu schaffen?“ hatten das Seiner Mutter gegenüber schon zum Ausdruck gebracht. Es ist nicht so, daß Er nicht die zärtlichste Liebe zu ihr hegte, sondern Er war von nun an von allem abgesondert, um für Gott zu sein 2.

Zweitens ließ der Nasir sein Haar wachsen: es bedeutete eine Vernachlässigung seiner selbst in der Ergebenheit in den Willen Gottes, ein Verzicht auf seine Würde und seine Rechte als eines Mannes; denn bei einem Manne deutet langes Haar einerseits auf eine Vernachlässigung seiner Person und andererseits auf Unterwürfigkeit, auf ein Zeichen der Macht auf dem Haupte (1.Kor 11, 10). Es war eine Weihe für Gott im Aufgeben der Freude, der Würde und der natürlichen Mannesrechte (des Mannes als Mittelpunkt der ihm gebührenden Zuneigungen betrachtet), und zwar um voll und ganz für Gott zu sein.

Der Mann hat seinen Platz als der Darsteller und die Herrlichkeit Gottes, und an diesem Platze ist er durch eine Vielfalt von Zuneigungen, Freuden und Rechten umgeben, deren Mittelpunkt er selbst ist. Er kann diesen Platz für den besonderen Dienst Gottes aufgeben, da ja die Sünde in alle diese Dinge eingedrungen ist, die an sich gar nicht schlecht sind, im Gegenteil - sie sind gut an dem ihnen zukommenden Platze. Dieses hat Christus getan. Indem Er Sich zum Nasir machte, nahm Er nicht Seinen Platz als Mann ein, noch nahm Er Seine Rechte auf als Sohn des Menschen, sondern um der Herrlichkeit willen ward Er vollkommen unterwürfig: Er unterwarf Sich alledem, was die Herrlichkeit verlangte. Er machte Sich mit dem gottesfürchtigen Überrest des sündigen Volkes eins, das Er geliebt hatte, und Er wurde den Kindern Seiner Mutter zum Fremdling. Er tat nichts, was Ihm nicht vorgeschrieben wurde; Er lebte durch das Wort, das aus dem Munde Gottes hervorging; Er trennte Sich von allen Banden des menschlichen Lebens, um Sich der Herrlichkeit und dem Dienste Gottes und dem Gehorsam Ihm gegenüber zu weihen. Wenn Er in der Liebe der Seinigen irgend Trost fand, der ja nur sehr gering und armselig sein konnte, mußte Er auch dies aufgeben und in bezug darauf wie in bezug auf alles andere in Seinem Tode ein vollständiger Nasir werden, allein in Seiner Absonderung für Gott. Die Kirche hätte Ihm nachfolgen sollen, aber ach! sie hat starkes Getränk getrunken; sie hat mit den Trunkenen gegessen und getrunken und angefangen, die Knechte des Hauses zu schlagen.

Der Gläubige mag dazu berufen werden, sich wegen des kostbaren Dienstes seines Heilands selbst zu verleugnen und Dingen zu entsagen, die an sich nicht schlecht sind. Das wird aber innerlich getan. „Ihre Fürsten (oder Nasiräer) waren reiner als Schnee“, sagt Jeremia. Ergebenheit ist eine innere Sache. Es geziemt sich hier zu betrachten, welchen Dingen sich solche aussetzen, die in dieser Absonderung versagen.

Wenn wir uns dem Herrn auf eine Weise geweiht haben, die in Seinen Augen wohlgefällig ist, so wird dieser Ergebenheit Freude folgen, und zwar in dem Maße des Zeugnisses, das in bezug auf Ihn abgelegt wird. Gott ist Seiner Berufung gemäß mit Seinem Knechte; es ist aber ein Geheimnis zwischen Ihm und Seinem Knechte, obwohl die äußeren Auswirkungen von anderen gesehen werden. Wenn wir in dieser Absonderung versagt haben, müssen wir von neuem beginnen: Göttlicher Einfluß und Kraft sind in dem Werk verloren. Es mag in anderer Hinsicht nichts Verkehrtes sein; wir mögen uns wie Simson herausschütteln wollen, doch haben wir, ohne es zu merken, unsere Kraft verloren. Gott ist nicht mehr mit uns. Der Fall Simsons ist ein außerordentlicher, aber recht ernster Fall, denn es mag sein, daß unsere Kraft uns dem Bösen gegenübergestellt hat, und dann, wenn Gott mit uns ist, entfaltet sich Seine prachtvolle Herrlichkeit; wenn Er aber nicht mit uns ist, hat der Feind die traurige Gelegenheit, sich über einen lange Zeit bekannten Streiter für Gott zu rühmen, und augenscheinlich auch über Gott Selbst. In diesem zweiten Falle war das innere Geheimnis, die wahrhaftige Kraft der Absonderung für Gott, verloren.

Hüten wir uns in gewöhnlichen Dingen vor dem ersten Schritt, der uns von jener inneren Heiligkeit trennt, von jener Absonderung des Herzens zu Ihm, die uns Sein Geheimnis gibt - Licht von droben über alles ringsum; denn das Geheimnis des Herrn ist für die, welche Ihn fürchten. Wenn die Gnade uns zur Absonderung für irgendeinen besonderen Dienst berufen hat, so laßt uns uns vor jeglichem Mangel an Gehorsam gegenüber dem Worte vom Kreuz bewahren, durch das wir der Welt, der Sünde und dem Gesetz gekreuzigt sind 3.

Im allgemeinen kehrt der treulose Nasir durch das Opfer Christi zu seiner Absonderung zurück; er wird Gott aufs neue geweiht 4. Alles, was uns mit der Sünde in Berührung bringt, beeinflußt unser Nasiräertum. Wir verlieren die mit der Gemeinschaft mit Gott verbundene Kraft und auch die besondere Gegenwart des Geistes bei uns, welcherart das Maß auch gewesen sein mag, in dem uns diese Kraft gewährt wurde. Doch leider ist die vorherige Zeit verloren, wir müssen von neuem anfangen. Es ist eine große Gnade, daß das ganze Vorrecht, Gott zu dienen, uns nicht fortgenommen wird; obwohl es aber nicht fortgenommen wird, müssen wir an den Folgen unserer Untreue leiden, wenn uns die Kraft wiedergegeben wird. Ein blinder Simson wurde gezwungen, sich selbst zu töten, indem er seine Feinde tötete. Es geziemt uns aber jedenfalls, sofort unsere Verunreinigung zuzugeben und zu Christo zu gehen; wir sollen nicht äußerlich so tun, als wären wir Nasiräer, wenn wir es in den Augen Gottes nicht sind. Nichts ist so gefährlich wie der Dienst Gottes, wenn das Gewissen nicht rein ist; laßt uns jedoch immer im Sinn behalten, daß wir unter Gnade stehen.

Dieses Abgesondertsein und dieses Entsagen sind nicht für immer. Selbst Christus wird nicht immer ein Nasir sein. Er wird mit Gott und mit den Seinigen die Fülle der Freude erleben. Er wird sagen: „Esset, Freunde, trinket und berauschet euch, Geliebte!“ Es geschieht durch die alleinige Kraft des Geistes, daß wir von dem, was böse ist, und oft sogar von dem Natürlichen, abgesondert werden, um Gefäße des Dienstes und des Genusses zu sein, ein Zeugnis für Gott inmitten des Bösen. Es wird eine Zeit kommen, wo das Böse beseitigt werden wird und wir unserer Natur freien Lauf lassen dürfen, es wird aber eine neue Natur sein; das wird eine Zeit sein, wo die Wirksamkeit der Kraft des Heiligen Geistes nur Freude hervorbringen und wo alles ringsum mit uns im Einklang stehen wird. Dann wird Christus eine Stellung einnehmen, die Er bisher unmöglich beziehen konnte, obwohl Er immer der vollkommene gesellige Mensch war, den Sündern vollkommen zugänglich, weil Er von ihnen völlig abgesondert war und, innerlich für Gott abgesondert, allem entsagt hatte, um nur durch die Worte Gottes zu leben 5.

Solcherart ist das Leben Gottes hienieden. Das, was Er erschaffen hat, kann nicht schlecht sein, Gott verhüte, daß wir so denken! Eine derartige Behauptung ist ein sicheres Zeichen der letzten Tage. Als das Werk Seiner Seele am Kreuze beendet war, gedachte der Herr Seiner Mutter mit Zärtlichkeit. Der Heilige Geist schaltet Sich aber als eine diesem Leben fremde Kraft ein und nimmt Sich des Menschen an, um ihn zu befähigen, im Einklang mit dieser Kraft durchs Leben zu gehen. Je mehr also der Mensch selbst diesem fremd ist, desto mehr Mitgefühl kann er und wird er denen erweisen, die hienieden gottgemäß wandeln. Irgend etwas anderes ist nur mönchisch. Wenn wir innerlich wahrhaftig frei sind, können wir mit dem, was draußen ist, mitfühlen; wenn wir das nicht sind, werden wir zu Mönchen werden, in der eitlen Hoffnung, diese Freiheit zu erlangen.

Schließlich, wenn das Gelübde des Nasirs erfüllt war, wurden alle die Opfergaben dargebracht und das Haar des Hauptes seiner Weihe wurde in dem Feuer, das das Friedensopfer verzehrte, verbrannt: ein Vorbild von der vollen Gemeinschaft, die das Ergebnis des Opfers Christi ist. Wenn in der von Gott festgesetzten Zeit das Opfer Christi in seinen Auswirkungen sein volles und vollständiges Ergebnis erlangt haben wird, wird die tragende Kraft der Absonderung mit der Gemeinschaft verschmelzen, die die glückselige Folge dieses Opfers sein wird. Wir sind dankbar zu wissen, daß die Kraft des Geistes, die jetzt in einem großen Maße gebraucht wird, um die Lust des Fleisches zu hemmen, dann voll und ganz eine Kraft der Freude in Gott und auch der Gemeinschaft mit allem, was uns umgibt, sein wird.

Laßt uns nun über die Wege Gottes reden, nachdem das Gelübde des Nasirs vollendet ist. Dann wird das Ergebnis des Werkes Christi hervorgebracht werden; all die mannigfaltigen Auswirkungen Seines Opfers werden anerkannt werden, Sein Volk wird in die Gemeinschaft Seiner Freude eingehen; Wein wird mit Freuden getrunken werden. Jesus Selbst harrt dieser Zeit. Ich glaube, das betrifft besonders Sein Volk hienieden, den jüdischen Überrest in den letzten Tagen. Ihr Anteil am Heiligen Geist wird Freude und Wonne sein. Uns erwartet nun etwas Ähnliches, nur auf eine bessere Weise. Bis zu einem gewissen Punkte genießen wir diese Freude schon vorweg, denn der Heilige Geist erzeugt diese zwei Dinge: die Freude der Gemeinschaft und die Absonderung in Einsamkeit für den Dienst Gottes. Es ist ein wenig wie das, was der Apostel durch diese Worte an die Korinther sagen wollte: „So denn wirkt der Tod in uns, das Leben aber in euch.“ Immerhin kann von allen Christen gesagt werden: „Ich wollte wohl, daß ihr herrschst, auf daß auch wir mit euch herrschen möchten.“

Nachdem Gott das Volk um Sich gestellt hatte - nachdem Er sie namentlich gemustert (gezählt) und sie für den Dienst geordnet und das Lager gereinigt (was sich vom Reinigen verunreinigter Einzelpersonen unterscheidet, ein Gegenstand, der in das dritte Buch Mose gehört) und auf die wahre Stellung des treuen Dieners hingewiesen hatte, eine Stellung, die Israel hätte einnehmen können, und die Christus, der wahrhaftige für Gott abgesonderte Knecht, einnahm - endet Gott damit, daß Er Seinen Segen und Seinen Namen auf das Volk legt. Der Segen stellt sie unter die Bewahrung und die Gnade und in den Frieden Jehovas; tatsächlich segnete Jehova sie zuerst in einer allgemeinen Weise, dann, indem Er Sein Angesicht über sie leuchten ließ, ließ Er sie Seine Gnade genießen; und schließlich, indem Er Sein Angesicht auf sie erhob, gab Er ihnen die Gewißheit des Friedens.

Hier endet dieser Teil des Buches. Das nach der Anordnung Gottes geordnete Lager wird unter Seinen Segen gestellt 6.

Fußnoten

  • 1 Es ist eine auffallende Tatsache, daß es keinen einzigen Fall gab, wo die Jünger verstanden, was Er sagte, wenn Er das, was in Seinem Herzen war, zum Ausdruck brachte. Er war vollständig isoliert.
  • 2 Der Unterschied zwischen diesen zwei Phasen des Charakters Christi als Nasir in Seinem Leben und in Seinem Tode ist nicht so groß, wie es erscheinen mag. Er war stets sowohl von menschlicher Freude als auch von allem Bösen abgesondert - da war kein Honig, wie auch kein Sauerteig da war. Er war ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, indem Er in heiliger Liebe durch eine Welt von Sündern zog - Seine Liebe wurde zurückgedrängt, und so war Er beengt; das Werk der Versöhnung eröffnete sich. Er ist jetzt tatsächlich äußerlich von Sündern abgesondert. Die frühe Verwerfung des Anspruchs Seiner Mutter im Johannesevangelium gehört gerade in dieses Evangelium, weil Er darin von Anfang an in Seiner eigenen Person für Sich steht, und die Juden sind ein verworfenes Volk.
  • 3 Dies sind die drei Dinge, auf die das Kreuz im Galaterbrief angewandt wird.
  • 4 Hier geht es nicht darum, daß sein Gewissen betreffs der Schuld wieder gereinigt ist. Das wird niemals getan. Hier handelt es sich nirgendwo um die Erlösung, sondern um den Wandel eines bekennenden Volkes, das es mit Gott zu tun hat.
  • 5 Natürlich bedeutet das nicht, daß bei ihm irgendeine böse Natur gewesen wäre wie bei uns, um ihr zu entsagen, sondern Er hatte einen Willen und eine Natur, worin nichts Übles war. Ich nehme die Worte: „Was habe ich mit dir zu schaffen, Weib?“ nur als ein Beispiel. Auf dem Kreuz, als alles vollbracht war, erkannte Er sie fürsorglich an. in einem Opfer durfte ebensowenig Honig als auch Sauerteig enthalten sein.
  • 6 Man beachte: die Kapitel 5 und 6 geben uns die allseitige Reinigung des Lagers von Unreinigkeit und von Unrecht, und die Weihe des Nasirs für Gott, und auch den Segen. Dann kommt die freiwillige Opfergabe. Die Reinheit des Lagers und die persönliche Absonderung zu Gott - dies ist Heiligkeit im zwiefachen Charakter: negativ die Reinigung und positiv die Weihe für Gott. Dann kommt das freiwillige Opfer. Das Auflegen des Namens folgt auf die Reinigung und die Weihe.
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