Betrachtung über Kolosser (Synopsis)
Kapitel 4
Der Apostel schließt seinen Brief mit einigen wichtigen, allgemeinen Ermahnungen. Er wünscht, dass die Heiligen durch das Gebet in der Gemeinschaft mit Gott und in dem Gefühl ihrer Abhängigkeit von Ihm bewahrt bleiben mögen, indem sie sich seiner Nähe und seiner Bereitwilligkeit, sie zu hören, bewusst sind. Denn das, was hinsichtlich unseres Wandels zu dem Herzen spricht, genügt nicht; die Seele muss ihre eigenen Beziehungen zu Gott kennen und sich darin üben; sie muss unmittelbar von Ihm empfangen, was sie seiner Liebe versichert. Darin muss Ausharren vorhanden sein. Wir liegen im Kampf mit dem Bösen, das einen Stützpunkt in unseren eigenen Herzen findet, wenn wir ohne die Kraft Gottes sind. Deshalb müssen wir im Verkehr mit Gott bleiben. Wir müssen darin wachen mit Herzensentschluss, nicht bloß gelegentlich beten; ein jeder kann schreien, wenn er in Not ist. Aber ein Herz, das von der Welt und von allem, was der Welt angehört, getrennt ist, beschäftigt sich mit Gott und mit allem, was die Verherrlichung seines Namens betrifft, insoweit wir dabei in Betracht kommen. Der Kampf wird geführt im Geist der Sanftmut und Freiheit, indem man die Verherrlichung des Herrn, sowohl in der Versammlung als auch im persönlichen Wandel, als einziges Ziel vor Augen hat. So versteht man, dass Gott wirkt und dass Er uns nicht verlässt, und so wird mit dem Gebet stets die Danksagung verbunden sein. Der Apostel fühlte seine Abhängigkeit in dieser Beziehung und bittet die Kolosser, in ihren Gebeten auch seiner zu gedenken, damit Gott seinen Mund öffnen und er das Evangelium so verkündigen möge, wie er solle.
Wir befinden uns in einer feindseligen Welt, in der die Feindseligkeit leicht geweckt werden kann, wenn sie nicht schon offen vorhanden ist, und in der man schnell etwas übel nimmt in Dingen, in denen wir vielleicht nichts Böses sahen noch beabsichtigten. Da müssen wir die Anlässe denen selbst abschneiden, die sie suchen, und in Weisheit wandeln gegen die, die draußen sind. – Wie klar ist hier das Drinnen und Draußen unterschieden! Die, welche drinnen sind, die Gott anerkennt, seine Familie, seine Versammlung, sind die Seinigen. Die, welche draußen sind, bilden die Welt; es sind die, die nicht mit dem Herrn verbunden sind. Der Unterschied ist klar bezeichnet, doch die Liebe ist tätig gegen die, die draußen sind, und da wir selbst die Gemeinschaft mit Gott genießen, so vermeiden wir sorgfältig alles, was andere verhindern könnte, auch zu dem Genuss dieser Gemeinschaft zu gelangen.
Aber es gibt noch etwas mehr: Wir sollen die Zeit auskaufen. Der natürliche Mensch ist durch seine eigenen Angelegenheiten in Anspruch genommen und ernsten Dingen abgeneigt. Er gibt der christlichen Liebe wenig Gelegenheit, ihm die Gnade und Wahrheit vorzustellen und ihn dahin zu bringen, für seine Seele zu sorgen, wenn wir auf diese Weise dem Herrn dienen und die Zeit in seinem Namen verwenden wollen. Aber das Herz des Menschen kann sich nicht immer dem Einfluss der ihn umringenden Umstände entziehen, die seinem Herzen und Gewissen bezeugen, dass er unter der Herrschaft der Sünde steht und die bitteren Früchte derselben schon hienieden kosten muss. Solche Umstände erinnern sein Gewissen an einen nur zu sehr vergessenen Gott, der mit der gewaltigen Sprache der Leiden zu einem zerbrochenen Herzen redet, so dass ein solcher Mensch schließlich froh ist, zu Gott noch seine Zuflucht nehmen zu können, nachdem seine Hand durch den zerbrochenen Rohrstab, auf den er sich stützte, durchbohrt ist. Gott selbst wirkt auf den Menschen durch diese Umstände, ja, durch alle Umstände des Lebens; und wer mit dem Herrn wandelt, weiß solche Umstände zu benutzen. Satan mag wohl einen Menschen irreleiten, aber er kann Gott nicht verhindern, jederzeit zu dem Herzen zu reden. Es ist gesegnet, so mit Gott zu wandeln, dass Er uns als seine Stimme benutzen kann, wenn Er also zu armen Sündern reden will. Unser Wort soll allezeit der Ausdruck sein von dieser Trennung vom Bösen, von dieser Macht der Gegenwart Gottes, die uns innerlich vom Bösen fernhält, so dass auch anderen diese Macht fühlbar wird, indem wir in allen Fragen, die in dem Herzen eines in Verwirrung und Finsternis umhertappenden Menschen aufsteigen, wodurch selbst andere mitverwirrt werden, eine Antwort zu geben wissen, die aus dem Licht kommt und Licht verbreitet.
Tychikus sollte den Kolossern das Zeugnis von dem Interesse überbringen, das der Apostel an ihrer Wohlfahrt nahm, und ihnen zugleich sein Vertrauen bezeugen, dass auch sie Interesse an ihm hätten. Paulus gedenkt auch der Liebe, die andere zu den Kolossern hatten, und hebt hervor, welchen Anteil dieselben an den Fortschritten des Evangeliums und an dem Wohlergehen der Gläubigen nahmen. Markus, der sich früher von der mühevollen Arbeit des Werkes zurückgezogen hatte, empfängt hier ein Zeugnis von Seiten des Apostels, und später, in 2.Tim 4,11, ein noch besseres, denn er hatte sich dem Apostel nützlich gemacht. So handelt die Gnade. Hier zeigt sich auch, warum seinerzeit (Apg 15,37–40) Barnabas so viel Interesse für Markus an den Tag gelegt hatte: Er war nahe verwandt mit ihm. Dieser teure Diener Gottes war auch von Cypern. Barnabas ging dorthin und nahm Markus mit. Das Fleisch und das Judentum zeigen sich überall und es gehört die Kraft des Geistes Gottes dazu, um uns über die Bande des Fleisches zu erheben und uns seinem Einfluss zu entziehen. – Demas empfängt kein besonderes Zeugnis; der Apostel sendet den Kolossern seine Grüße, schweigt aber über ihn selbst. Nur in dem Brief an Philemon wird er als Mitarbeiter des Apostels erwähnt; später verließ er den Apostel. Er war ein Bruder. Paulus erkennt ihn an, sagt aber nichts über ihn; er hatte nichts zu sagen. Die Worte „und Demas“, ohne weitere Hinzufügung, klingen gegenüber der sonstigen Schreibweise des Apostels sehr kalt.
Man beachte, dass der Brief an die Epheser zu gleicher Zeit geschrieben und durch denselben Tychikus gesandt wurde. Der Brief „aus Laodicäa“ (V. 16) ist, wie ich nicht bezweifle, ein von Paulus geschriebener Brief, den die Kolosser von der Versammlung in Laodicäa empfangen und aus dem sie Nutzen ziehen sollten; vielleicht ist es der Brief an die Epheser, den er möglicherweise den Laodicäern mitgeteilt hatte. Wie dem auch sei, alles, was gesagt wird, ist, dass es ein Brief war, den die Versammlung in Laodicäa in Händen hatte, jedoch keineswegs, dass derselbe unmittelbar an diese gerichtet war, eher das Gegenteil. Es ist sehr wohl möglich, dass ein Brief oder hundert Briefe von Paulus an andere geschrieben worden sind, die für die allgemeine Kirche aufzubewahren nicht in den Absichten Gottes gelegen hat; hier aber liegt kein Beweis vor, dass ein Brief an die Laodicäer geschrieben worden ist. Tychikus war der Überbringer von zwei Briefen. Es ist möglich, dass er drei zu überbringen hatte, von denen der eine nur in einigen praktischen Einzelheiten von den anderen abwich, und der dazu dienen konnte, den Brief an die Kolosser zu bekräftigen, ohne dass er im Grund andere göttliche Mitteilungen enthalten hätte, die für andere Zeiten dienlich sein konnten; aber ich wiederhole: nach den Worten des Apostels scheint es nicht so zu sein. Er konnte sagen: „ein Brief aus Laodicäa“, weil der Brief dort war, anstatt „ein Brief an Laodicäa“; aber es ist nicht seine gewöhnliche Ausdrucksweise. Wir haben gesehen, dass der Brief an die Epheser eine andere Mitteilung des Geistes Gottes ist, und deshalb ist er für uns aufbewahrt worden. Ob aber der Brief aus Laodicäa derselbe war, indem die Epheser ihn den dortigen Christen mitgeteilt hatten, oder ob es ein anderer Brief war, den diese den Kolossern (einer benachbarten Versammlung) senden sollten, und der, weil er den göttlichen Offenbarungen nichts hinzufügte, nicht für uns aufbewahrt worden ist – wissen wir nicht.
Es scheint, dass die Zahl der Christen in Laodicäa nicht sehr groß war. Der Apostel grüßt die „Brüder“ daselbst. Es versammelten sich einige in dem Haus eines gewissen Nymphas; sie erhielten nicht einen besonders an sie gerichteten Brief, doch vergisst der Apostel sie nicht. Aber was er hier sagt, ist ein fast sicherer Beweis, dass er keinen Brief an sie gerichtet hat. Er würde keine Grüße an die Brüder in Laodicäa durch die Kolosser gesandt haben, wenn er zu derselben Zeit einen besonderen Brief an sie geschrieben hätte. Der Fall liegt klar genug; es gab in Laodicäa Brüder, aber nicht in großer Anzahl; auch befanden sie sich nicht in einer so bestimmt ausgeprägten Stellung, dass diese Veranlassung zu einem Brief gegeben hätte. Aber doch sollte diese kleine Versammlung in dem Haus des Nymphas nicht vergessen werden; sie sollte Nutzen ziehen aus den Briefen, die an andere, zahlreiche Versammlungen gerichtet waren, deren Zustand einen Brief erforderlich machte oder doch Anlass zum Schreiben gab, und diese Briefe sollten nach der Anordnung des Apostels nach Laodicäa gesandt werden.
Hinsichtlich des Briefes an die Kolosser ist dies keine Vermutung. Der Apostel gebietet den Kolossern ausdrücklich, den an sie gerichteten Brief in der Versammlung zu Laodicäa lesen zu lassen. In gleicher Weise sollten sie Nutzen ziehen aus dem Brief, den die Laodicäer von irgendeiner anderen Versammlung empfangen hatten. So sollten diese beiden benachbarten Versammlungen sich gegenseitig mit den geistlichen Segnungen erfreuen, die ihnen zuteil wurden.
Der Apostel vergisst sogar die einzelnen nicht. Archippus empfängt eine feierliche Ermahnung, auf den Dienst zu sehen, den der Herr ihm aufgetragen hatte, und seinen Dienst zu erfüllen. – Der Apostel hatte diese Versammlungen zu Kolossä und Laodicäa nie gesehen (Kol 2,1).