Betrachtung über 2.Timotheus (Synopsis)
Kapitel 1
Der Apostel stellt sich gleich von Anfang an auf den Boden der Gnade und des persönlichen Lebens (das sich in seinem wesentlichen Charakter nie verändert) außerhalb aller kirchlichen Vorrechte. Nicht dass sich diese verändert hätten, aber er konnte sie nicht mehr mit dem allgemeinen Körper auf der Erde in Verbindung bringen. Er nennt sich hier einen Apostel nach der Verheißung des Lebens, das in Christus Jesus ist. Er spricht nicht einfach von dem Messias, noch von dem Haupt des Leibes, sondern von der Verheißung des Lebens, das in Ihm ist.
Er wendet sich an sein geliebtes Kind Timotheus. Er erinnert sich seiner Liebe und wünscht sehr, ihn zu sehen, indem er der Tränen gedenkt, die Timotheus wahrscheinlich vergossen hatte, als Paulus ins Gefängnis gesetzt wurde, oder als er sich bei dieser Gelegenheit von ihm trennen musste, oder auch bei der Nachricht von seiner Gefangennahme. Was hier ausgedrückt ist, ist das Vertrauen eines Freundes, der zu jemand redet, dessen Herz er kennt. Wir sehen in Jesu auf dem Kreuz etwas von diesem Vertrauen (jedoch in der Ihm eigenen Vollkommenheit) in dem, was Er zu Johannes und zu seiner Mutter sagt. Eine ähnliche Ausdrucksweise würde für Paulus unpassend gewesen sein. Die Gefühle der Liebe in den Menschen zeigen sich in den Bedürfnissen ihrer Herzen, diejenigen des Herrn in seiner Herablassung. Bei Ihm ist alles in sich selbst vollkommen während bei uns alles nur durch die Gnade an seinem wahren Platz ist. Doch wenn die kraftvolle Absonderung für den Dienst, die nichts anderes als das kennt, dahin ist, so hat die Natur Gott gemäß ihren wahren Platz. Es durfte dem geweihten Speisopfer, das am Feuer zubereitet werden musste, kein Honig beigegeben werden.
Der Apostel spricht nicht mehr von dem hohen Charakter seines Werkes, sondern von seiner dem Geist gemäß richtig gefühlten persönlichen Stellung (V. 3). Er hatte indem er in den Fußstapfen seiner Voreltern gewandelt hatte, Gott mit reinem Gewissen gedient. Er war in jeder Beziehung ein zur Ehre bereitetes Gefäß. Mehrere Geschlechter hindurch hatten sich seine Voreltern durch ein gutes Gewissen ausgezeichnet; und seine persönliche, auf die Wahrheit gegründete Frömmigkeit zeigte sich im Dienst Gottes. Paulus drückt hier nicht ein Urteil über den inneren Zustand jedes einzelnen Geschlechts seiner Voreltern aus, sondern spricht von ihrem Charakter. Er erinnert in Bezug auf Timotheus an eine ähnliche Tatsache; in dessen Geschichte wird jedoch ein persönlicher Glaube erwähnt, der dem Apostel selbst bekannt war, so dass das Band zwischen ihnen, obgleich ein Band persönlicher Gefühle, ein christliches war 1. Doch war in dieser Familie das Judentum, bezüglich seiner äußeren Verpflichtungen, völlig vernachlässigt worden; denn Timotheus Vater war ein Grieche, und folglich war die Heirat seiner jüdischen Mutter nach dem Gesetz unrein, und Timotheus selbst war nach dem Gesetz unrein und der jüdischen Rechte beraubt; er war auch in der Tat nicht als Kind beschnitten worden. Es war auch nicht nach dem Gesetz, dass Paulus ihn beschnitt, es sei denn, dass Timotheus ein Proselyt geworden wäre. Wir lesen in Nehemia, dass sowohl die Heiden als auch die aus Ehen zwischen Juden und Fremden hervorgegangenen Kinder von Israel ausgeschlossen waren. Die Handlungsweise des Apostels in dieser Beziehung stand über dem Gesetz. Hier spricht er nicht davon; er lässt den heidnischen Vater ganz aus dem Auge, indem er nur von dem persönlichen, ungeheuchelten Glauben der Mutter und Großmutter des Timotheus sowie von dem Glauben seines geliebten Jüngers selbst spricht.
Der Zustand der Versammlung war nur eine neue Gelegenheit für die Ausübung des Glaubens des Apostels und seiner eifrigen, mutigen Tätigkeit. Die Schwierigkeiten und Gefahren mehrten sich auf allen Seiten, und dazu gesellte sich noch die Untreue der Christen. Aber Gott ist dessen ungeachtet mit seinem Volk. Er hat uns nicht einen Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit gegeben, so dass der Arbeiter des Herrn, der Mensch Gottes, der mit Gott in Gemeinschaft bleibt, um Ihn auf der Erde darzustellen, die ihm geschenkte Gabe anfachen und (wie der Apostel es mit bewunderungswürdiger Kraft und Klarheit ausdrückt) mit dem Evangelium Trübsal leiden soll nach der Kraft Gottes. Der Apostel konnte in dem vorliegenden Fall einer besonderen Gabe des Geistes Erwähnung tun, die dem Timotheus durch das Auflegen seiner Hände anvertraut worden war. In dem ersten Brief spricht er von der Weissagung, die ihn zu dem Besitz dieser Gabe berufen oder bezeichnet hatte, und sagt, dass diese Weissagung von dem Händeauflegen der Ältesten begleitet gewesen sei; hier vernehmen wir, dass ihm die Gabe mittelst Auflegung seiner eigenen Hände erteilt worden war.
Der Apostel erinnert Timotheus an diesen Beweis von Kraft und Wirklichkeit in seinem Dienst (wie auch in dem Dienst Pauli selbst) im Blick auf den vorliegenden Zeitabschnitt, wo dessen Ausübung schwieriger war. Wenn alles gedeiht und der Fortschritt des Evangeliums deutlich erkennbar ist, so dass selbst die Welt davon getroffen wird, dann findet man das Werk trotz der Schwierigkeiten und des Widerstandes leicht, und man ist (so ist der Mensch) selbst infolge dieses Widerstandes kühn und beharrlich. Aber wenn andere, selbst Christen, den Arbeiter verlassen, wenn das Böse und die Verführungen des Feindes inmitten des Zeugnisses Eingang finden, wenn die Liebe erkaltet und die menschliche Klugheit durch die Treue des Arbeiters ängstlich wird und es angemessen findet, nicht länger mit ihm voranzugehen – in solchen Umständen ist es keine leichte Sache, festzustehen, im Werk zu verharren und den Mut nicht zu verlieren. Um auszuharren, müssen wir das Christentum mit Gott besitzen, so dass wir wissen, weshalb wir feststehen. Wir müssen selbst in Gemeinschaft mit Ihm sein, um die zur Fortsetzung der Arbeit in seinem Namen nötige Kraft und die Unterstützung seiner Gnade zu aller Zeit zu haben.
Gott hat uns also den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit gegeben. Der Apostel hatte eine solche Stellung von Gott empfangen, dass er fähig gewesen war, dem Timotheus die für seinen Dienst nötige Gabe mitzuteilen; doch der Geistes- und Seelenzustand, der diese Gabe benutzen konnte, war ein Teil des Erbes eines jeden Christen, wenn er anders sich wirklich auf Gott stützte. Auch sollte Timotheus sich weder des Zeugnisses schämen, das äußerlich nicht mehr seine erste Kraft in der Welt ausübte, noch des Paulus, der jetzt ein Gefangener war. Wie köstlich ist es, etwas zu besitzen, das ewig ist und das auf die Macht und das Werk Gottes selbst sich gründet! Die Trübsale des Evangeliums waren allerdings vorhanden, aber er sollte an ihnen teilnehmen und nicht zurückschrecken, sondern darin ausharren nach der Kraft Gottes. Gott hat uns errettet und berufen mit heiligem Ruf, nicht nach unseren Werken, als ob irgendetwas von dem Menschen abhängig wäre, sondern nach seinem eigenen Vorsatz und nach der Gnade, die uns in Christus Jesus gegeben worden ist, ehe die Welt war (V. 9). Das ist die sichere und unerschütterliche Grundlage für unsere Seelen, der Fels, gegen den die Wogen der Schwierigkeiten vergeblich anprallen, obwohl sie eine Kraft entwickeln mögen, der wir keinen Augenblick widerstehen können, die aber dem Vorsatz und dem Werk Gottes gegenüber sich als völlig ohnmächtig erweisen. Die Anstrengungen des Feindes zeigen nur, dass er ohne Kraft ist gegenüber dem, was Gott ist und was Er für uns getan hat. Und hiermit bringt der Apostel sowohl seinen Dienst als auch die Leiden, die er erfuhr, in unmittelbare Verbindung. Aber er wusste, wem er geglaubt hatte, und seine Glückseligkeit war bei Ihm sicher aufgehoben.
Was wir zu suchen haben, ist die Kraft des Geistes, damit wir durch den Glauben das von Gott Gegebene uns zu eigen machen und mit unseren Herzen in praktischem Glauben das Bewusstsein unserer Verbindung mit Christus festhalten auf diesem unerschütterlichen Grund, der in nichts Geringerem besteht, als in der Unwandelbarkeit und Herrlichkeit Gottes selbst. Denn sein Vorsatz, der uns einen Platz und ein Teil in Christus selbst gegeben hat, ist jetzt durch die Erscheinung dieses Christus offenbart worden.
Es handelt sich nicht mehr um eine Nation, die von Gott in der Welt auserwählt worden ist, um in ihr die Grundsätze seiner Regierung, seine Wege der Gerechtigkeit, Geduld, Güte und Macht auf der Erde zu entfalten (so unveränderlich sein Ratschluss und so sicher seine Berufung auch sein mögen), wie dies in seinen Wegen mit dem von Ihm berufenen Volk geschehen ist. Vielmehr handelt es sich um einen Ratschluss Gottes, der in Christus vor Grundlegung der Welt gefasst und festgestellt worden ist, um einen Ratschluss, der seinen Platz in den außerhalb und über der Welt liegenden Wegen Gottes, in Verbindung mit der Person seines Sohnes, hat, um ein mit demselben in der Herrlichkeit vereinigtes Volk zu offenbaren. Es ist also eine Gnade, die uns in Christus gegeben ist, ehe die Welt war. Dieser Vorsatz Gottes, verborgen in seinen Ratschlüssen, ist offenbart worden durch die Offenbarung Dessen, in dem er seine Erfüllung fand. Er umfasst nicht bloß Segnungen in den Wegen Gottes mit den Menschen, sondern Leben, ewiges Leben für die Seele und Unverweslichkeit für den Leib. So war Paulus ein Apostel „nach Verheißung des Lebens.“
Dieser Vorsatz Gottes wurde indes in Bezug auf uns nicht erfüllt, solange Christus hienieden lebte, obgleich das Leben in Ihm war. Die Macht des Lebens, göttliche, Leben gebende Macht, sollte sich offenbaren in der Zerstörung der Macht des Todes, der durch die Sünde eingeführt worden war, und in dem Satan über Sünder herrschte. Christus hat in seiner Auferstehung den Tod zunichte gemacht und durch das Evangelium Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht, nämlich diesen Zustand des ewigen Lebens, der Seele und Leib jenseits des Todes und seiner Macht versetzt. So richtet sich die frohe Botschaft von diesem Werk an alle Menschen. Dieses Evangelium gründet sich auf die ewigen Ratschlüsse Gottes in der Person Christi, der das zu ihrer Erfüllung notwendige Werk vollbracht hat, und es hat deshalb einen Charakter, der ganz und gar außerhalb des Judentums und der bloßen Regierung Gottes über die Erde steht. Das Evangelium des Paulus richtete sich daher an den Menschen, an alle Menschen, Juden oder Heiden, ohne Unterschied; denn es ist die Offenbarung der ewigen Ratschlüsse und der Macht Gottes und beschäftigt sich mit dem Zustand des unter der Macht des Todes gefangen liegenden Menschen und mit einem Werk, einem Sieg, wodurch der Mensch außerhalb jener Macht in einen ganz neuen Zustand versetzt wird, der von der Macht und den Ratschlüssen Gottes abhängig ist. Indem Paulus Adam durch die Sünde tot sah, Christus aber lebend in der Macht des göttlichen Lebens, verkündigte er den Menschen diese gute Botschaft – die Befreiung und einen ganz neuen Zustand der Dinge.
Der Apostel war berufen worden, dieses Evangelium als Herold zu verkündigen. Dafür litt er; und da er wusste, dass er für das Evangelium litt, so schämte er sich dieser Leiden nicht, denn er wusste, wem er geglaubt hatte; er kannte seine Macht. Er glaubte an das Evangelium, das er verkündigte, und deshalb auch an die siegreiche Macht Dessen, dem er glaubte. Er konnte sterben dem Leben nach, das er von dem ersten Adam empfangen hatte, er konnte in der Welt und durch dieselbe geschmäht und verunehrt werden; aber das Leben in Christus, die Kraft, durch die Christus einen Platz für den Menschen außerhalb des Zustandes des ersten Adams erworben hat, das Leben, wie Christus es jetzt besitzt, konnte nicht dadurch berührt werden. Nicht als ob das Leben vorher nicht da gewesen wäre; aber der Tod und der, der die Macht des Todes hatte, waren nicht überwunden, und jenseits des sich schließenden Grabes war alles dunkel. Ein leuchtender Blitzstrahl mochte das Dunkel für einen Augenblick erhellen, ein berechtigter Grund für die richtige Schlussfolgerung der Pharisäer vorhanden sein, aber Leben und Unverweslichkeit wurden erst in Christus und in seiner Auferstehung ans Licht gebracht.
Aber das erschöpft nicht den Sinn dessen, was hier ausgedrückt ist. Der Apostel sagt nicht: „an was ich geglaubt habe“, sondern: „wem ich geglaubt habe“, und das ist ein wichtiger Unterschied; der Christ wird hierdurch bezüglich seines Vertrauens mit der Person Christi selbst in Verbindung gebracht. Der Apostel hat von der Wahrheit gesprochen, aber die Wahrheit knüpft sich an die Person Christi; Er ist die Wahrheit. In Ihm hat die Wahrheit Leben und Kraft und ist mit der Liebe verbunden, die sie auf die Seele anwendet und sie so in dem Herzen und das Herz durch sie aufrecht hält. „Ich weiß“, sagt der Apostel, „wem ich geglaubt habe.“ Er hatte seine Glückseligkeit Christus anvertraut; in Ihm war das Leben, an dem er teilhatte; in Ihm war die Kraft, die es unterhielt, und die im Himmel das ihm gehörende Erbe der Herrlichkeit aufbewahrte – da, wo dieses Leben sich offenbart. Ermutigt durch diese Hoffnung und sich Christus anvertrauend, erduldete der Apostel alles für Ihn und die Seinen; er unterwarf sich allen Leiden hienieden und war täglich bereit zu sterben. Er hatte das Gut seines Glückes in der Herrlichkeit jenes neuen Lebens Jesu anvertraut und arbeitete inzwischen inmitten der Trübsale in der vollen Gewissheit, dass er an dem Tag, wo er den Herrn sehen und wo alle seine Leiden beendigt sein würden, alles das, was er Ihm anvertraut hatte, ohne jede Enttäuschung wieder finden würde. In der Erwartung jenes Tages hatte er Ihm sein Glück und seine Freude anvertraut.
Überdies nahte seine eigene Laufbahn ihrem Ende, und er richtet, besorgt für das Wohl der Versammlung hienieden, sein Auge auf Timotheus. Er ermahnt ihn, standhaft zu sein, die Wahrheit festzuhalten, wie er sie von dem Apostel gehört hatte, denn sie war das Zeugnis des Herrn; und diese Wahrheit sollte er verwirklichen durch Glauben an Christus und nach der Kraft der Liebe, die in der Gemeinschaft mit Ihm gefunden wird. Das war es, was auch der Apostel, wie wir gesehen haben, verwirklichte. Die Wahrheit und die belebende Gnade in Jesu, festgehalten im Glauben und in der Liebe, die der Wahrheit ihre Kraft und ihren Wert verleiht, – das sind gleichsam die Stützpunkte der Energie und der Treue zu allen Zeiten, und besonders für den Menschen Gottes, wenn die Versammlung im Allgemeinen untreu ist.
So wie die Wahrheit durch die Apostel gelehrt und ausgedrückt worden ist, in der Art und Weise, wie sie sie dargestellt haben, das Bild gesunder Worte, so ist sie der inspirierte Ausdruck dessen, was Gott offenbaren wollte, und zwar in allen ihren verschiedenen Teilen und in all den Beziehungen, in denen die Wahrheit zusammengefügt ist, nach der lebendigen Natur und Macht Gottes, der notwendig ihr Mittelpunkt und ihre Quelle ist. Nur durch eine unmittelbare Offenbarung konnte dieser Ausdruck zustande kommen. Gott drückt alles, was Er mitteilen will, genau so aus, wie es ist, und zwar in einer lebendigen Weise. Alles, was besteht, ist durch sein Wort. Er ist die Quelle und der Mittelpunkt aller Dinge. Alles fließt von Ihm aus, steht in Verbindung mit einer lebendigen Person, nämlich mit Ihm selbst, der die Quelle von allem ist, und durch den alles sein Dasein erhält. Dieses Dasein kann nur bestehen in Verbindung mit Ihm; und die Beziehung aller Dinge zu Ihm und untereinander wird in dem Ausdruck seiner Gedanken gefunden, wenigstens nach dem Maß, in dem Er sich mit dem Menschen betreffs aller dieser Dinge in Beziehung setzt. Das Hervortreten des Bösen, sei es hinsichtlich des Willens oder seiner Folgen im Gericht, beweist, dass die Beziehung, die mit Gott vorhanden war, unterbrochen ist; zugleich ist diese so unterbrochene Beziehung der Maßstab für das Böse.
Wir sehen also, welche unermessliche Wichtigkeit das Wort Gottes hat. Es ist der Ausdruck der Beziehungen, in denen alle Dinge zu Gott stehen, sei es bezüglich ihres Daseins (die Schöpfung), sei es bezüglich der Ratschlüsse Gottes, oder selbst betreffs der Natur Gottes und der Beziehungen des Menschen zu Ihm sowie der Mitteilung des von Ihm empfangenen Lebens und der Aufrechthaltung seines wahren Charakters. So wie Christus, das lebendige Wort, vom Himmel hernieder kam, so kommt auch das Wort Gottes vom Himmel und offenbart das, was dort ist; es passt sich aber, wie es auch das lebendige Wort getan hat, dem Menschen hienieden an und leitet ihn, wenn Glauben vorhanden ist; aber es leitet ihn aufwärts, dorthin, wohin das lebendige Wort als Mensch gegangen ist.
Je mehr wir das Wort betrachten, desto mehr werden wir seine Wichtigkeit erkennen. Gleich Christus, dem lebendigen Wort, hat es seine Quelle droben und offenbart das, was dort ist; es ist auch, wie gesagt, dem Menschen hienieden völlig angepasst, indem es ihm eine vollkommene Richtschnur in Übereinstimmung mit dem, was droben ist, darbietet und uns, wenn wir geistlich sind, nach oben leitet – „unser Bürgertum ist in den Himmeln“. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Verhältnis, in dem der Mensch als Kind Adams stand, und seiner Stellung als Kind Gottes. Das Gesetz ist für den Menschen als Kind Adams der vollkommene Ausdruck der an ihn gestellten Forderungen, seine Lebensregel; allein es „erwies sich ihm zum Tode“. Von dem Augenblick an, da wir Kinder Gottes sind, wird das Leben des Sohnes Gottes als Mensch hienieden unsere Lebensregel. „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt hat.“
Gott, als der Urheber alles Bestehenden und der Mittelpunkt jeder Autorität und jedes Daseins außer Ihm, ist in seiner Natur der Mittelpunkt und Erhalter von allem. Hinsichtlich seiner Ratschlüsse ist Christus der Mittelpunkt, und hier hat der Mensch einen besonderen Platz. Das Wohlgefallen der Weisheit war ewiglich in Ihm, und alles soll seinen Füßen unterworfen sein. Damit die Natur und die Ratschlüsse Gottes nicht getrennt würden (was allerdings unmöglich ist, was aber auch nach seinen Ratschlüssen nicht geschehen sollte), wurde Gott Mensch. Christus ist Gott, offenbart im Fleisch – das Wort, Fleisch geworden. Auf diese Weise sehen wir die göttliche Natur, den Ausdruck dieser Natur, in dem, was den Gegenstand und Mittelpunkt der Ratschlüsse Gottes bildet. So ist Christus die Wahrheit, der Mittelpunkt aller bestehenden Verhältnisse: alle beziehen sich auf Ihn. Wir sind durch Ihn, für Ihn, oder wir sind gegen Ihn: alle bestehen durch Ihn. Wird jemand gerichtet, so geschieht es, weil er sein Feind ist. Christus ist (geistlicherweise) das Leben alles dessen, was sich der Mitteilung der göttlichen Natur erfreut, wie Er auch der Träger alles Bestehenden ist. Seine Offenbarung bringt die wahre Stellung aller Dinge ans Licht: Er ist die Wahrheit. Alles, was Er sagt, ist Geist und Leben, weil es die Worte Gottes sind, und wirkt entweder belebend, wenn Er nach der Gnade handelt, oder richtend, wenn die Verantwortlichkeit seiner Geschöpfe in Betracht kommt.
Aber das ist noch nicht alles. Christus ist die Offenbarung der Liebe. Gott ist Liebe, und in Jesu zeigt sich die Liebe in Tätigkeit und wird gekannt von dem Herzen, das Ihn kennt. Ein solches Herz lebt in der Liebe und kennt die Liebe in Gott. Christus ist aber auch der Gegenstand, in dem Gott uns offenbart ist und auf den wir unser ganzes Vertrauen zu setzen berufen sind. Durch die Offenbarung Christi ist der Glaube geboren. Wohl war schon der Glaube vorhanden durch teilweise Offenbarungen desselben Gegenstandes, mittels deren Gott sich bekannt machte; doch waren das nur teilweise, vorauslaufende Offenbarungen von dem, was in der Offenbarung Christi, des Sohnes Gottes, völlig erfüllt worden ist. Der Gegenstand des Glaubens ist immer derselbe: ehemals war es das, wovon die Verheißungen und Weissagungen redeten; jetzt ist es die persönliche Offenbarung alles dessen, was Gott ist – „das Bild des Unsichtbaren Gottes“, Der, in dem auch der Vater gekannt ist.
Glaube und Liebe haben also ihr Entstehen, ihre Quelle, in dem Gegenstand, der sie durch die Gnade in der Seele hervorgerufen hat, in dem Gegenstand, in dem man kennen gelernt hat, was Liebe ist, und hinsichtlich dessen der Glaube zur Ausübung kommt. Durch Ihn glauben wir an Gott. „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht.“ So ist die Wahrheit offenbart worden; denn Jesus ist die Wahrheit, der Ausdruck dessen, was Gott ist, so dass auf diese Weise alle Dinge vollkommen an ihren Platz gestellt werden, sowohl in ihrer wahren Beziehung zu Gott als auch zueinander. Glaube und Liebe haben ihren Ursprung in der Offenbarung des Sohnes Gottes, der Offenbarung Gottes als eines Heilandes in Christus.
Aber es gibt noch eine andere Seite der Erfüllung des Werkes und der Ratschlüsse Gottes, die wir noch nicht berührt haben, nämlich die Mitteilung der Wahrheit und der Erkenntnis Gottes. Diese ist das Werk des Heiligen Geistes, in dem die Wahrheit und das Leben sich vereinigt finden; denn wir sind durch das Wort gezeugt. Der Geist ist die göttliche Kraft in der Gottheit, die in alledem wirkt, was Gott mit dem Geschöpf oder das Geschöpf mit Gott verbindet. Indem Er in göttlicher Vollkommenheit als Gott, eins mit dem Vater und dem Sohn, handelt, offenbart der Heilige Geist die Ratschlüsse, von denen wir gesprochen haben, und macht sie im Herzen wirksam, nach dem Vorsatz des Vaters und durch die Offenbarung der Person und des Werkes des Sohnes.
Wenn ich sage die göttliche Kraft so will ich damit nicht eine theologische Erklärung geben, denn damit beschäftige ich mich hier nicht, sondern eine praktische Wahrheit vorstellen. Denn wenn auch alles, was die Schöpfung betrifft, dem Vater und dem Sohn zugeschrieben wird (ausgenommen das Gericht, das dem Sohn allein übergeben ist, weil Er des Menschen Sohn ist), so wird doch die unmittelbare Tätigkeit in der Schöpfung und in dem Geschöpf, wo immer sie stattfindet, dem Geist zugeschrieben. Der Geist Gottes schwebte über den Wassern, als diese Erde gebildet wurde; durch den Geist wurden die Himmel geschmückt; wir sind aus dem Geist geboren und mit dem Geist versiegelt; heilige Männer Gottes redeten, getrieben durch den Geist; die Gaben sind eine Wirkung des Geistes, der jedem austeilt, wie Er will; Er gibt Zeugnis mit unserem Geist; Er seufzt in uns; wir beten durch den Heiligen Geist, wenn uns anders die Gnade, so zu beten, verliehen ist. Der Herr selbst, als Mensch in dieser Welt geboren, war durch den Heiligen Geist gezeugt; durch den Geist Gottes trieb Er Dämonen aus. Der Geist gibt Zeugnis von allen Dingen, das heißt von aller Wahrheit in dem Wort: die Liebe des Vaters, die Natur, und die Herrlichkeit Gottes selbst, sein Charakter sowie die Person, die Herrlichkeit und Liebe des Sohnes und Dessen Werk bilden mit allem, was sich in Verbindung mit diesen Wahrheiten auf den Menschen bezieht, den Gegenstand seines Zeugnisses. Das Zeugnis des Geistes bezüglich dieser Dinge ist das Wort, und indem es durch die Vermittlung von Menschen hervorgebracht wird, nimmt es die Gestalt der Wahrheit an, wie sie durch Offenbarung förmlich kundgemacht ist. Christus ist, wie wir gesehen haben, die Wahrheit, der Mittelpunkt aller Wege Gottes; aber das, wovon wir jetzt reden, ist die göttliche Mitteilung dieser Wahrheit; und in dieser Hinsicht kann gesagt werden, dass das Wort die Wahrheit ist 2. Doch obwohl die offenbarte Wahrheit durch die Vermittlung von Menschen mitgeteilt worden ist und also eine dem Menschen angepasste Form angenommen hat, ist ihre Quelle dennoch göttlich, und Der, der sie mitgeteilt hat, ist göttlich – Er, von dem es heißt: „Er wird nicht von sich selbst reden“, das heißt, nicht aus sich selbst, abgesondert von dem Vater und dem Sohn. Das Wort, die Offenbarung der Wahrheit, hat folglich alle die Tiefen, die Gesamtheit der Beziehungen, die unzertrennliche Verbindung mit Gott (ohne die es nicht Wahrheit sein würde; denn alles, was von Gott getrennt ist, ist Lüge), welche die Wahrheit selbst besitzt und notwendig besitzen muss, weil sie der Ausdruck der Beziehungen aller Dinge zu Gott in Christus ist, das heißt der Ausdruck der Gedanken Gottes, die alle diese Beziehungen nur zum Ausdruck bringen. Freilich richtet das Wort auch alles, was mit diesen Beziehungen nicht im Einklang steht, und zwar richtet es dasselbe nach dem Wert der Beziehung, die gebrochen wurde im Blick auf Gott selbst und auf den Platz, den diese Beziehung in seinen Gedanken hat 3. Wenn dieses Wort durch die lebendig machende Wirksamkeit des Heiligen Geistes im Herzen aufgenommen wird, so beweist es seine Kraft: der Glaube ist vorhanden, die Seele ist in wirklicher, lebendiger und praktischer Verbindung mit Gott, gemäß dem, was in der von ihr aufgenommenen Offenbarung ausgedrückt ist. Wenn die Wahrheit (die von Gottes Liebe, von Heiligkeit, Reinigung von aller Sünde, von dem ewigen Leben und dem Kindesverhältnis redet) in dem Herzen Eingang gefunden hat, so versetzt sie uns in eine wirkliche, gegenwärtige und lebendige Beziehung, zu Gott, nach der Kraft all dieser Wahrheiten, wie Gott sie versteht, und wie Er sie der Seele offenbart hat. So sind diese Wahrheiten lebendig und wirksam in der Seele durch den Heiligen Geist; und das Bewusstsein von dieser Offenbarung der Wahrheit, das Bewusstsein von der Wahrheit dessen, was offenbart ist, das wirkliche Hören der Stimme Gottes in seinem Wort, ist Glaube.
Doch das alles ist in dem geoffenbarten Wort wahr, bevor ich daran glaube, und damit ich daran glaube, nämlich an die Wahrheit; aber der Heilige Geist allein lässt uns in dem Wort die Stimme Gottes vernehmen und bringt so den Glauben hervor. Das im Wort Geoffenbarte ist der Ausdruck dessen, was einerseits dem Unendlichen angehört und andererseits in dem Endlichen ausgedrückt ist; es ist der göttliche Ausdruck dessen, was die Tiefe der Natur Gottes hat – des Gottes, von dem alles kommt, mit dem und mit dessen Rechten alles in Verbindung steht –, was aber, weil es außerhalb Gottes ist, in der Schöpfung und in dem Endlichen dargestellt ist.
Die Vereinigung von Gott und Mensch in der Person Christi ist, wie wir gesehen haben, der Mittelpunkt – wir können sagen (jetzt, wo wir es wissen) der notwendige Mittelpunkt von allem diesem. Und das inspirierte Wort ist der Ausdruck davon nach der Vollkommenheit Gottes und in menschlichen Formen, Gott sei dafür gepriesen! da der Heiland der große Gegenstand der Schriften ist; „denn“, sagt Er, „sie zeugen von mir“. Da aber dieses Wort göttlich und von Gott eingegeben ist, so ist es der göttliche Ausdruck der göttlichen Natur, der göttlichen Personen und Ratschlüsse. Nichts kann diesen Platz haben, was nicht in dieser Weise inspiriert ist; denn niemand, als Gott allein, kann vollkommen ausdrücken oder offenbaren, was Gott ist. Daher ist das Wort seinem Inhalt nach unendlich; denn es ist der Ausdruck der Tiefen der göttlichen Natur und mit denselben verbunden, und ist also in dieser Verbindung unendlich, obgleich es in einem endlichen Sinn ausgedrückt und insoweit dem Ausdruck nach endlich und dem endlichen Menschen angepasst ist. Nichts anderes als das inspirierte Wort ist der göttliche Ausdruck der göttlichen Gedanken und der Wahrheit, nichts anderes steht in unmittelbarer Verbindung mit der unvermischten Quelle, selbst wenn es aus derselben Quelle geschöpft wäre; die unmittelbare Verbindung ist dann unterbrochen. Das Gesagte ist nicht mehr göttlich. Es mag viele Wahrheiten enthalten, aber es fehlt darin der lebendige Ursprung, das Unendliche, die Verbindung mit Gott, die unmittelbare und ununterbrochene Herleitung von Gott; das Unendliche ist nicht mehr da. Der Baum wächst von seinen Wurzeln aus und bildet ein Ganzes; die Kraft des Lebens, der von den Wurzeln ausgehende Saft, durchdringt alle seine Teile. Wir mögen den einen oder anderen Teil desselben, wie Gott ihm seinen Platz gegeben hat, als Teil des Baumes betrachten; wir können die Wichtigkeit des Stammes, die Schönheit der Entwicklung in den kleinsten Einzelheiten der Zweige und Blätter sowie die Pracht des Ganzen bewundern, in dem die lebendige Kraft Freiheit und Harmonie der Form vereinigt. Wir erkennen, dass es ein durch dasselbe Leben erzeugtes und geeinigtes Ganzes ist. Die Blätter, die Blüten, die Früchte – alles zeugt von der Wärme der göttlichen Sonne, die sie entwickelt hat, von jener stets sprudelnden, unerschöpflichen Quelle, die sie ernährt. Aber wir können keinen Teil, wie schön er auch sein mag, von dem Baume trennen, ohne ihn der Lebenskraft und seiner Verbindung mit dem Ganzen zu berauben.
Wenn die Macht des Geistes Gottes die Wahrheit hervorbringt, so entwickelt sie sich, in Verbindung mit ihrer Quelle, entweder in Offenbarung, oder auch in dem Leben und dem Dienst des einzelnen, obwohl in den beiden letzten Fällen, infolge der Schwachheit des Menschen, eine Vermischung mit anderen Elementen eintritt. Wenn der Geist eines Menschen die Wahrheit erfasst und ihr eine Form zu geben sucht, so tut er es nach der menschlichen Fähigkeit, die nicht deren Quelle ist. Die Wahrheit, wie er sie ausdrückt, ist, selbst wenn sie rein wäre, von ihrer Quelle und dem Ganzen getrennt; aber außerdem trägt die Form, die der Mensch ihr gibt, immer den Stempel der Schwachheit des Menschen. Er hat sie nur teilweise erfasst und stellt nur einen Teil der Wahrheit vor, und dann ist es nicht mehr die Wahrheit. Überdies muss er sie, wenn er sie aus dem Kreis der Wahrheit, in den Gott sie gestellt hat, herausnimmt, notwendigerweise in eine neue Form kleiden, in ein vom Menschen kommendes Gewand; und sogleich vermischt sich Irrtum mit ihr. So ist die Wahrheit, die er wiedergibt, nicht mehr ein lebendiger Teil des Ganzen, sondern steht vereinzelt da und ist deshalb nicht mehr die Wahrheit; sie ist tatsächlich mit Irrtum vermischt. – Das ist die Theologie.
In der Wahrheit finden sich, wenn Gott sie ausdrückt, Liebe, Heiligkeit, Autorität, so wie diese in Ihm selbst der Ausdruck seiner Beziehungen zu dem Menschen und der Herrlichkeit seines Wesens sind. Wenn hingegen der Mensch ihr eine Form gibt, so fehlt alles das. Es kann auch nicht anders sein, weil eben der Mensch es ist, der ihr die Form gibt. Es ist nicht mehr Gott, der spricht. Gott gibt der Wahrheit eine vollkommene Form, das heißt, Er drückt sie in zuverlässigen Worten aus. Wenn der Mensch ihr eine Form gibt, so ist es nicht mehr die von Gott gegebene Wahrheit. Deshalb ist es von der höchsten Wichtigkeit, die Wahrheit festzuhalten in der Form, wie Gott sie gegeben, in dem Bild oder der Gestalt, wie Er sie ausgedrückt hat; denn indem wir das tun, sind wir in Verbindung mit Gott, entsprechend der Zuverlässigkeit dessen, was Er offenbart hat. Diese göttliche Offenbarung der Wahrheit ist für die Seele die sichere Hilfsquelle, wenn die Versammlung ihre Kraft und Energie verloren und aufgehört hat, eine Stütze der Schwachen zu sein, wenn das, was den Namen Versammlung trägt, dem ihr im ersten Brief beigelegten Charakter als „Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit“ nicht mehr entspricht 4.
Das, was wir festzuhalten haben, ist die Wahrheit, die klare und bestimmte Wahrheit, die als eine Offenbarung von Gott gegeben ist, und zwar in Worten gegeben, die mit seiner Autorität bekleidet sind, in denen Er selbst der Wahrheit eine Form gegeben hat indem Er die Tatsachen und göttlichen Gedanken mitteilte, die zum Heil der Menschen und zu ihrer Teilnahme am göttlichen Leben nötig waren. Wir sind nur dann sicher, dass wir die Wahrheit haben, wenn wir genau die Ausdrücke festhalten, in die Gott sie gekleidet hat. Ich kann durch die Gnade mit aller Freiheit über die Wahrheit sprechen, ich kann nach dem Maß des Lichts und der geistlichen Kraft, die mir verliehen sind, sie zu erklären, mitzuteilen oder auf das Gewissen anzuwenden suchen; ich kann mich bemühen, ihre Schönheit und die Verbindung ihrer verschiedenen Teile untereinander darzulegen (alle Christen und besonders solche, die zu diesem Zweck eine besondere Gabe von Gott empfangen haben, können das tun), aber die von mir erklärte und vorgestellte Wahrheit ist die Wahrheit, wie Gott sie in seinen eigenen Worten in der von Ihm gemachten Offenbarung gegeben hat. So halte ich das Bild gesunder Worte fest, wie ich es von einer göttlichen Quelle und Autorität empfangen habe; das macht mich gewiss in der Wahrheit.
Es ist wichtig, hier die Aufgabe der Versammlung zu beachten, wenn sie treu ist. Sie empfängt die Wahrheit und hält sie aufrecht in ihrem eigenen Glauben; sie bewahrt sie, bleibt ihr treu und unterworfen als einer Wahrheit, einer Offenbarung, die von Gott kommt. Sie ist nicht die Quelle der Wahrheit. Als Versammlung breitet sie dieselbe nicht aus, lehrt sie nicht. Sie sagt: „ich glaube“, nicht aber: „glaubt“. Das letztere ist die Sache des Dienstes, in dem der Mensch immer persönlich zu Gott in Beziehung steht durch eine von Ihm empfangene Gabe, für deren Ausübung er Gott verantwortlich ist. Das ist höchst wichtig. Die solche Gaben besitzen, sind Glieder des Leibes. Die Versammlung übt über sie ihre Zucht aus, und zwar bezüglich alles dessen, was vom Fleisch ist bei der Ausübung oder scheinbaren Ausübung einer Gabe, wie in jeder anderen Beziehung. Die Versammlung bewahrt ihre eigene Reinheit ohne Rücksicht auf das äußere Ansehen der Person, indem sie in dieser Zucht durch das Wort geleitet wird (denn dafür ist sie verantwortlich), aber als Versammlung (Gemeinde) lehrt und predigt sie nicht.
Das Wort war, bevor die Versammlung bestand; denn sie ist durch das Wort gesammelt worden. Die Apostel, ein Paulus, solche, die durch Verfolgungen überallhin zerstreut wurden, tausend andere gläubige Seelen haben das Wort verkündigt, und so hat sich die Versammlung allmählich gebildet. Man hat gesagt, dass sie vor den Schriften bestanden habe. Das ist im Blick auf den geschriebenen Inhalt des Neuen Testamentes wahr; aber das gepredigte Wort war vor der Versammlung. Sie ist die Frucht des Wortes, aber nie die Quelle desselben. Selbst die Auferbauung der Versammlung, nachdem sie gesammelt worden ist, kommt unmittelbar von Gott mittels der von Ihm verliehenen Gaben, die der Heilige Geist einem jeden austeilt, wie Er will.
Gott hat die Schriften als das Mittel gebraucht, um die Wahrheit zu bewahren und uns gewiss in ihr zu machen; denn Er kennt die Schwachheit der Werkzeuge, durch welche die Wahrheit ausgebreitet wird, nachdem die Offenbarung aufgehört hat. Wenn Er im Anfang gewisse Personen in solchem Maß mit seinem Geist erfüllte, dass der Irrtum von ihrer Predigt ausgeschlossen blieb, wenn Er außerdem damals Offenbarungen gab, die nichts anderes als nur sein eigenes Wort enthielten, so ist doch als allgemeine Regel die Predigt eine Frucht des Heiligen Geistes in dem Herzen; und da die Geistlichkeit des Predigenden immer nur nach Maß ist, so ist Irrtum möglich. Wir müssen deshalb, mag auch die Kraft des Werkes des Geistes noch so groß sein, die Mitteilungen beurteilen (vgl. Apg 17,11; 1.Kor 14,29). Wir werden später sehen, dass es die Schriften sind, die denen, die von Gott geleitet werden, bei dieser Beurteilung Gewissheit geben.
Wir finden also in den Wegen Gottes bezüglich dieses Gegenstandes drei Dinge, die eng miteinander verbunden und dennoch verschieden sind: den Dienst, die Versammlung und das Wort Gottes, d. i. das geschriebene Wort; denn wenn es nicht geschrieben ist, so gehört es zum Dienst.
Der Dienst (das heißt der Dienst am Wort, denn es gibt noch andere Dienste in der Versammlung) predigt der Welt und belehrt oder ermahnt die Glieder der Versammlung, des Leibes Christi.
Die Versammlung genießt die Gemeinschaft mit Gott, wird genährt und wächst mittelst dessen, was ihre verschiedenen Glieder ihr darreichen. Sie bewahrt die Wahrheit und gibt ihr Zeugnis durch ihr Bekenntnis. Sie hält die Heiligkeit aufrecht, genießt durch die Gnade und Gegenwart des Heiligen Geistes die gegenseitige Gemeinschaft und sorgt in Liebe für die zeitlichen Bedürfnisse all ihrer Glieder.
Das geschriebene Wort ist die von Gott gegebene Regel, die alles enthält, was Er offenbart hat; es ist vollständig (Kol 1,25). Es kann, weil es die Wahrheit ist, das Mittel sein, einer Seele die Wahrheit mitzuteilen. Der Heilige Geist kann es als Mittel anwenden; aber es ist in allen Fällen für die Versammlung die vollkommene Richtschnur, die Autorität besitzende Mitteilung des Willens und der Gedanken Gottes. Die Versammlung nimmt eine unterwürfige Stellung ein; sie soll treu sein und keinen Willen haben. Sie offenbart nicht, sondern hält durch ihr Bekenntnis die Wahrheit aufrecht. Sie wacht über das, was sie hat; sie teilt nicht mit; sie hat nur empfangen und muss dieses treu bewahren. Der Mann, Christus, leitet; die Frau, die Versammlung, gehorcht und ist den Gedanken ihres Mannes treu; wenigstens sollte es so sein (1.Kor 11). Die Aussprüche Gottes sind ihr anvertraut. Sie gehorcht ihnen, aber sie gibt keine.
Der Diener ist selbstverständlich persönlich zu derselben Treue verbunden; und in unserem Brief haben wir es besonders mit dieser persönlichen Verantwortlichkeit zu tun. Was die Versammlung in dieser Beziehung ist, finden wir in dem ersten Brief (1.Tim 3,15). Hier, in dem zweiten, ist es der einzelne, der das Bild gesunder Worte, das er aus einer göttlichen Quelle empfangen hat, festhalten soll; denn eine solche Quelle war der Apostel als Werkzeug in seinem apostolischen Dienst. Weder Timotheus noch die Versammlung konnten solch ein Bild gesunder Worte hervorbringen; ihr Teil war, es festzuhalten, nachdem sie es empfangen hatten.
Wie gesagt, der einzelne ist verbunden, treu zu sein, und zwar allezeit, wie untreu die Versammlung auch sein mag. Was wir also zu tun haben, ist folgendes: wir (jeder einzelne) haben die in dem inspirierten Wort ausgedrückte Wahrheit festzuhalten in der Form, in der sie uns vorgestellt ist. Ich habe sie festzuhalten, nicht bloß als Satzung, sondern in Verbindung mit dem Haupt, in Glauben und Liebe, die in Christus Jesus sind. Die Kraft, dies tun zu können, kommt von oben. Das führt uns zu einem anderen Punkt: der Heilige Geist ist gegeben, und zwar der Versammlung gegeben worden; aber wir sehen, dass der Apostel hier von einer Zeit der Untreue spricht (V. 15). Der Heilige Geist ist dem einzelnen, dem Menschen Gottes, jedem Christen und jedem Diener gegeben worden mit Rücksicht auf den Dienst, den er zu erfüllen hat. Durch Ihn haben wir das uns anvertraute Gut zu bewahren. Das war es, was der Mensch Gottes in einer Zeit, wie die damalige, zu tun hatte. In unseren Tagen sind die Dinge noch viel weiter gediehen, als zur Zeit des Apostels. Nun, im Besitz der Verheißung des Lebens, verlassen von der Masse der Christen, soll der Mensch Gottes die Wahrheit festhalten in den Worten, in denen sie durch göttliche Autorität ausgedrückt worden ist. Das ist es, was wir in dem Wort haben; es ist nicht bloß Lehre. Es könnte jemand sagen, dass er die Lehre des Petrus und Paulus habe; aber niemand kann sagen, dass er ihre Worte, die Form der Wahrheit, wie Paulus und Petrus sie gegeben haben, anderswo habe als in ihren Schriften. Der treue Christ soll diese Wahrheit festhalten in Glauben und Liebe, die in Christus sind. Überdies soll er durch die Kraft des Heiligen Geistes den wesentlichen Inhalt der Wahrheit bewahren, das, was uns als ein Schatz gegeben ist – das anvertraute Gut der göttlichen Wahrheit und der göttlichen Reichtümer, das uns als unser Teil hienieden gegeben ist.
In den Versen 15 – 18 finden wir, dass die Masse der Christen sich von dem Apostel völlig abgewandt hatte, so dass ihm die Zuneigung und Treue der einzelnen umso köstlicher war. Welch eine Veränderung hatte seit dem Anfang des Evangeliums bereits stattgefunden! Man vergleiche mit unserem Brief die Briefe an die Thessalonicher, oder auch den an die Epheser. Es waren dieselben Leute (denn Ephesus war die Hauptstadt des Bezirks, der hier „Asien“ genannt wird), unter denen Paulus einst gepredigt hatte, so dass alle, die in Asien wohnten, das Wort des Herrn hörten; aber jetzt sehe man, wie sie alle ihn verlassen hatten! Man braucht nicht gerade anzunehmen, dass diese alle das Bekenntnis des Christentums aufgegeben hätten; aber ihr Glaube war schwach geworden, und sie mochten sich nicht einsmachen mit einem Mann, der bei den Obrigkeiten in Ungnade stand, der verachtet, verfolgt und gefangen war, mit einem Mann, dessen Energie ihm Schmach und persönliche Schwierigkeiten eintrug. Sie zogen sich von ihm zurück und überließen ihm die Verantwortung allein. Trauriges Ergebnis des geistlichen Verfalls!
Fußnoten
- 1 Das ist gerade die Grundlage der Ermahnung in Vers 6. Wenn der Glaube bei so vielen erkaltete, wandte sich Paulus dem persönlichen Vertrauen zu, das sein Herz zu Timotheus hatte, der mittelst der Gnade durch die Atmosphäre auferzogen worden war, in der er gelebt hatte.
- 2 Deshalb wird auch in 1. Joh 5 gesagt: „Der Geist ist die Wahrheit.“
- 3 Das ist wahr betreffs der Schuld. Aber da Gott vollkommen, und zwar in Gnade als der Vater und der Sohn, offenbart ist, so geht unser Begriff von dem Verderben, in dem wir uns befinden, weit tiefer, als das Gefühl von der Schuld, die wir durch den Bruch der vorher bestehenden Beziehungen auf uns geladen haben. Wir waren schuldig unserem Platz entsprechend, den wir als Menschen hatten; aber wir waren auch ohne Gott in der Welt, und das ist, sobald Gott erkannt wird, schrecklich. Der Anfang des Römerbriefes behandelt die Frage der Schuld; in Eph 2 haben wir den Zustand, in dem wir uns befanden; und in Joh 5,24 wird uns mit wenigen Worten gesagt, was die Gnade in Bezug auf beides getan hat. Das Verhältnis, in dem wir jetzt stehen, ist ganz neu; es ist auf den Vorsatz Gottes, auf die Erlösung und auf die Tatsache gegründet, dass wir Kinder Gottes sind.
- 4 Die Lehren oder Dogmen der Schrift sind deshalb so überaus wichtig und den einfältigsten Seelen angepasst, weil es Tatsachen und deshalb Gegenstände des Glaubens und nicht der Begriffe sind. Die Wahrheiten: Christus ist Gott, Christus ist Mensch, der Heilige Geist ist eine Person und dergleichen, sind Tatsachen für den Glauben, die der einfältigsten Seele zu Wirklichkeiten werden.