Das Lied der Erlösung
Das Lied der Erlösung
Der Blick nach vorne
„Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst hast, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung.
Die Völker hörten es, sie bebten; Angst ergriff die Bewohner Philistäas.
Da wurden bestürzt die Fürsten Edoms; die Starken Moabs, sie ergriff Beben; alle Bewohner Kanaans verzagten.
Schrecken und Furcht überfiel sie; wegen der Größe deines Armes verstummten sie gleich einem Stein, bis hindurchzog dein Volk, HERR, bis hindurchzog das Volk, das du erworben hast.
Du wirst sie bringen und pflanzen auf den Berg deines Erbteils, die Stätte, die du, HERR, zu deiner Wohnung gemacht hast, das Heiligtum, Herr, das deine Hände bereitet haben.
Der HERR wird König sein immer und ewig!“ (2. Mo 15,13–18).
Durch seine Güte und Stärke geleitet
Es fällt auf, dass in den Versen 13–16 zukünftige Dinge in der Vergangenheitsform berichtet werden. Man hat fast den Eindruck, dass Volk sei bereits im Land angekommen und die Feinde dort seien bereits besiegt, denn in diesen Versen geht es nicht mehr um den großen Feind „Ägypten“, sondern um die Feinde im Land. Das Volk sieht die Dinge hier aus der Sicht Gottes, denn für Gott gibt es nicht den geringsten Zweifel daran, dass sein Plan in Erfüllung geht. Im Neuen Testament finden wir so etwas ebenfalls. In Römer 8 beschreibt Paulus den Vorsatz Gottes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dennoch schreibt er so, als sei alles schon zu Ende gebracht. „Denn welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch zuvor bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche er aber zuvor bestimmt hat, diese hat er auch berufen; und welche er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; welche er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht“ (Röm 8,29.30). Tatsächlich sind wir noch nicht verherrlicht, doch es gibt keinen Zweifel, dass es so kommen wird. So wie Israel einmal zum Berg des Erbteils gebracht werden würde, so werden wir einmal im Haus des Vaters sein, wo wir einen Anteil am „Erbe der Heiligen in dem Licht“ haben werden (Kol 1,12).
Zunächst erkennt das Volk an, dass Gott sie durch seine Güte geleitet hat. Auch wenn sie später das Gesetz bekamen, war es bis zum Ende Gottes Güte, die das Volk leitete. Güte ist unverdiente Zuwendung Gottes, die daraus hervorgeht, dass Gott „gut“ ist. „Preist den HERRN, denn er ist gut, denn seine Güte währt ewig!“ (1. Chr 16,34). Psalm 136 besingt die Güte Gottes in ihren unterschiedlichen Aspekten. Unter anderem lesen wir: „ ….und ihr Land zum Erbteil gab, denn seine Güte währt ewig, zum Erbteil seinem Knecht Israel, denn seine Güte währt ewig“ (Verse 21.22). Durch seine Güte leitet Gott ein erlöstes Volk und bringt es in sein Erbteil.
Doch es war nicht nur Güte, die sie leitete, sondern zugleich Stärke, die sie führte. Auf dem Weg gab es viele Gefahren. Die Macht Gottes, die sie gerettet hatte, war unverändert da und führte sie durch die Wüste bis an das Ziel. Diese Worte atmen das volle Vertrauen des Volkes. Das Rote Meer war der Beweis und die Garantie dafür, dass Gott ein einmal begonnenes Werk auch zu Ende bringt. Das ist immer die Weise Gottes. Paulus schreibt: „… indem ich eben darin guter Zuversicht bin, dass der, der ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Jesu Christi“ (Phil 1,6). Auch hier geht der Blick von der Vergangenheit direkt in die Zukunft. Den Korinthern schreibt er: „… der uns von so großem Tod errettet hat und errettet, auf den wir unsere Hoffnung gesetzt haben, dass er uns auch ferner erretten wird“ (2. Kor 1,10). Gott ist mächtig, das zu Ende zu bringen, was Er in Macht begonnen hat.
Zu seiner Wohnung gebracht
Vers 13 spricht von „deiner heiligen Wohnung“. Gemeint ist die „Wohnung des Zeltes der Zusammenkunft“ (vgl. 2. Mo 39,32), das „Heiligtum“1. Später lesen wir, wie diese heilige Wohnung aufgestellt und von Gottes Herrlichkeit erfüllt wurde (2. Mo 40,34.35). Es war Gottes Gedanke, bei seinem Volk zu wohnen und es nahe bei sich zu haben.
Christus ist gestorben, um uns zu Gott zu führen (1. Pet 3,18). Wir sind jetzt „nahe geworden“. Wir sind „nicht mehr Fremdlinge und ohne Bürgerrecht, sondern … Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,19). Das sind wir jetzt schon, obwohl wir tatsächlich noch auf der Erde leben. Voraussetzung dafür, dass Gott bei seinem Volk wohnen konnte, war die Erlösung (Passah und Rotes Meer). Gott wohnte nicht in Ägypten bei seinem Volk. Deshalb wird die Wohnung Gottes hier zum ersten Mal erwähnt2. Gott wohnt nur bei einem erlösten Volk. Im Neuen Testament ist das nicht anders. Gott wohnt in der Zeit der Gnade nicht in einem mit Händen gemachten (Gottes)Haus, sondern Er wohnt in seiner Versammlung. Der Heilige Geist kam zu Pfingsten – nach vollbrachtem Erlösungswerk – und hat Wohnung in jedem einzelnen Gläubigen genommen (1. Kor 6,19). Gleichzeitig wohnt Er von diesem Zeitpunkt an in der Gesamtheit aller Gläubigen der Gnadenzeit, das ist die Versammlung (1. Kor 3,16; Eph 2,22).
In Vers 2 hatte das Volk gesungen, dass sie Gott verherrlichen wollten. Andere übersetzten diesen Satz so: „… ich will ihm eine Wohnung machen (oder bauen)3“. Eine „Wohnung“ ist das, wo man „zu Hause“ ist. Gott hat den Wunsch, bei uns zu wohnen (es ist seine Wohnung), und wir haben den Wunsch bei Ihm zu sein (wir machen Ihm eine Wohnung). Er möchte, dass Er mit uns Gemeinschaft hat und wir mit Ihm. Dieses Privileg genießen wir heute schon, während wir noch in der „Wüste“ sind.
Die Völker unterjocht
Gott hatte die Ägypter schon besiegt, doch jetzt ist die Rede von den Völkern, die noch besiegt werden mussten. Diese Völker hatten von der Rettung Gottes gehört und fürchteten sich. Es waren mächtige Feinde. Das wird durch die Ausdrücke „Fürsten Edoms“ und „Starke Moabs“ ausgedrückt. Dennoch wurden sie bestürzt. Sie würden schweigen wie ein Stein. Es gibt eine Reihe von Beispielen dafür (vgl. 2. Mo 18,10.11; Jos 2,9.10; Jos 9,9). Noch Jahre später hören wir die Philister – die Bewohner Philistäas – sagen: „Wehe uns! Wer wird uns aus der Hand dieser mächtigen Götter erretten? Das sind die Götter, die die Ägypter schlugen mit allerlei Plagen in der Wüste“ (1. Sam 4,8). Interessant ist, dass sie von Plagen „in der Wüste“ sprechen. Vielleicht nimmt das besonders Bezug auf den Untergang der Ägypter am Roten Meer.
In der Anwendung auf uns denken wir an den triumphierenden Ausspruch von Paulus in Römer 8,35–39: „Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus? Drangsal oder Angst oder Verfolgung oder Hungersnot oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? … Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“. Nichts und niemand in dieser Welt kann Gott davon abhalten, seinen Plan mit uns zu erfüllen und uns zu seiner heiligen Wohnung zu bringen. Niemand kann uns von der Gemeinschaft mit Gott abhalten und davon trennen. Es ist keine Anmaßung, wenn wir in diesem Punkt völlig sicher sind. Es ist der einfache Glaube an das, was Gott sagt. Ja, die Feinde sind mächtig und wir unterschätzen sie nicht, doch „in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat“. Die Feinde mögen versuchen, Gottes Plan zu durchkreuzen und uns unseren Segen streitig zu machen, sie werden es nicht schaffen. Das Ende ist von Anfang an sicher.
Das Endziel Gottes
Die Verse 17 und 18 sprechen von dem Endziel Gottes. Er würde sie bringen und auf den Berg seines Erbteils pflanzen, an den Ort, den Er zu seiner Wohnung gemacht hat. Das bezieht sich nicht – wie Vers 13 – auf das Zelt der Zusammenkunft in der Wüste, sondern auf den Tempel Gottes in Jerusalem. Das Zelt der Zusammenkunft war für die Zeit der Wüstenwanderung gedacht. Es war nicht das eigentliche Ziel. Ihre Hoffnung richtete sich auf das Land und den Tempel, der dort gebaut werden würde. Jetzt sprechen sie auch nicht mehr in der Vergangenheitsform, sondern in der Zukunftsform. Gleichwohl waren sie sicher, dass es so und nicht anders kommen würde.
Wir haben ebenfalls eine lebendige Hoffnung, eine Hoffnung, die uns sicher ist. Wir hoffen nicht, weil der Gegenstand der Hoffnung unsicher ist, sondern weil er unsichtbar ist. Paulus wartete darauf, dass der Herr Jesus einmal der „Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Röm 8,29). Das nimmt Bezug auf das Haus des Vaters, der Heimat des ewigen Lebens. Es ist seine Absicht und sein Plan, dass diejenigen, die Er erlöst hat, einmal bei Ihm sind, wo Er ist. Das ist das Endziel unserer Hoffnung. Wo Gott, der Vater, wohnt, werden wir einmal sein. In diesem Haus gibt es viele Wohnungen. In Gottes Plan war es immer so, dass wir einmal in diesem Haus sein sollten. Der Herr Jesus ist hingegangen, uns eine Stätte zu bereiten und Er kommt wieder, um uns zu sich zu holen. Dann werden auch wir „auf den Berg seines Erbteils gepflanzt“. Im Unterschied zu Israel ist dieses ewige Haus allerdings nie „bereitet“4 worden. Das Haus des Vaters ist so ewig wie Gott selbst.
Natürlich hat das für Israel eine prophetische Bedeutung. Davon spricht Mose am Ende seines Lebens: „Denn des HERRN Teil ist sein Volk, Jakob die Schnur seines Erbteils“ (5. Mo 32,9). Gott wollte sie im Land Kanaan wohnen lassen und dort in seiner Mitte sein. Als der Tempel eingeweiht wurde, wurde er von der Herrlichkeit Gottes erfüllt (2. Chr 7,1.2). Aber letztlich geht es um das kommende Reich. Dann wird die Herrlichkeit Gottes sein Haus auf ganz andere Weise erfüllen: „Die letzte Herrlichkeit dieses Hauses wird größer sein als die erste, spricht der HERR der Heerscharen; und an diesem Ort will ich Frieden geben, spricht der HERR der Heerscharen“ (Hag 2,9). Dann wird der Herr König sein und immer und ewig regieren. „Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird“ (Dan 7,14).
Fußnoten
- 1 Gemeint ist das transportable Heiligtum Gottes in der Wüste, für das die Bibel unterschiedliche Bezeichnungen gebraucht, z. B. „Wohnung“, „Heiligtum“, „Zelt der Zusammenkunft“. Der Hebräerbrief gebraucht häufig den Ausdruck „Hütte“. Die deutsche Bezeichnung „Stiftshütte“ ist aus der Lutherbibel bekannt. Es handelt sich dabei nicht um einen biblischen Ausdruck, sondern ist aus der lateinischen Bezeichnung „tabernaculum“ oder „taberna“ abgeleitet, das „Hütte“ oder „Gasthaus“ bedeutet.
- 2 Wir finden das nicht im ersten Buch Mose. Gott besuchte Abraham, aber Er wohnte nicht bei ihm. Nicht einmal im Paradies wohnte Gott. Das Haus (die Wohnung) Gottes wird im ersten Buch Mose nur einmal in der Geschichte Jakobs angedeutet: „Und er fürchtete sich und sprach: Wie furchtbar ist dieser Ort! Dies ist nichts anderes als Gottes Haus, und dies ist die Pforte des Himmels“ (1. Mo 28,17). Vor der vollbrachten Erlösung war der Gedanke an ein Wohnen Gottes bei den Menschen mit Furcht verbunden. Gott ist heilig und wer nicht erlöst ist, muss Gott fürchten.
- 3 J.N. Darby weist in seiner englischen Übersetzung in einer Fußnote darauf hin, dass es für diese Lesart gute Argumente gibt („for which there is some authority“). Allerdings übersetzt er im Text ebenfalls: „ich will ihn verherrlichen“.
- 4 Der Herr Jesus sagt nur, dass die Stätte bereitet wird. Das Haus des Vaters und die Wohnungen sind ewig. Sie werde nicht bereitet, sondern existieren ewig. Dadurch, dass der Herr Jesus nach vollbrachtem Werk als Mensch zum Vater zurückgekehrt ist, hat Er uns dort eine Stätte bereitet. Er ist die Garantie dafür, dass wir einmal dort sein werden.