Der Prophet Obadja

Anhang

H. P. Barker

Obadja 1.3.4.7:1 Gesicht Obadjas. So spricht der Herr, Herr, über Edom: ... 3 Der Übermut deines Herzens hat dich verführt, der du in Felsklüften, auf hohem Sitz wohnst und in deinem Herzen sprichst: Wer wird mich zur Erde hinabstürzen? 4 Wenn du dein Nest auch hoch bautest wie der Adler und wenn es zwischen die Sterne gesetzt wäre: Ich würde dich von dort hinabstürzen, spricht der Herr … 7 Bis zur Grenze haben dich deine Bundesgenossen geschickt; betrogen, überwältigt haben dich deine Freunde …

Gott hatte sein schonungsloses Gericht über Edom angekündigt, und dies führte zu der besonderen Beschreibung Christi, die Gott Obadja für uns eingegeben hat. Jeremia hatte das Gericht schon vorhergesagt: Aus Kapitel 49 des Buches, das seinen Namen trägt, sind die ersten sechs Verse in Obadja zitiert.

Edom sollte mitsamt seinem Stolz erniedrigt werden. Wenn es auch wie der Adler erhöht war und zwischen den Sternen wohnte, würde Gott dieses überhebliche Volk demütigen. Er würde dessen weise Männer vertilgen und seine Verbündeten würden durch den Wind weggetragen werden, durch die es sich eine dauerhaft führende Position in der Welt zu sichern hoffte. All das war bereits von Jeremia vorausgesagt, nun wird es von Obadja wiederholt und bekräftigt.

Hat diese uralte Botschaft den heutigen Menschen überhaupt noch etwas zu sagen? Im Grunde genommen repräsentiert Edom die Welt im Allgemeinen; es ist nur wie ein Stück Kohle, willkürlich aus der Grube genommen, das die Beschaffenheit dessen anzeigt, was sich in der Mine befindet.

Hat menschlicher Stolz je einen höheren Stand erreicht als in diesem zwanzigsten Jahrhundert? Hat man je mehr nach Bündnissen gestrebt als heutzutage? Denken wir nur einen Augenblick nach über die Welt um uns her: an den Aufstieg der Zivilisation, die Errungenschaften der Wissenschaft, die Zunahme des Wissens. Wie stolz sind die Menschen auf all das! Sie sagen wirklich in ihrem Herzen: „Wer wird mich zur Erde hinabstürzen?“ Erheben sie sich nicht wie Adler und bauen ihr Nest in die Sterne?

Beachten wir auch, wie das Prinzip von Zusammenschlüssen heutzutage in der Welt hoch im Kurs steht. Die Völker verbinden sich durch Verträge und Allianzen. Es kommt zu Konzernen und Unionen zwischen Kapitalisten und Erzeugern, Verbänden und Gewerkschaften und ihren Arbeitern. Es gibt Zusammenschlüsse für dies und jenes.

All das gab es schon im Ansatz unter den Edomitern. Sie hatten ihre Gelehrten, ihre tapferen Soldaten, ihre befestigten Städte. Auch sie praktizierten Zusammenschlüsse und verbündeten sich mit anderen Völkern, um gemeinsame Sache gegen Gott und sein Volk zu machen.

Ohne Zweifel hat diese Weissagung die Endzeit im Blickfeld, wenn Edom wiedererscheinen und eine führende Stellung im großen Zusammenschluss der Völker einnehmen wird. Schließlich wird Edom zusammen mit dem dann wiedererstandenen assyrischen Reich gegen Jerusalem ziehen.

Einige der Völker, die den großen, feindlichen Zusammenschluss der Völker bilden, sind in Psalm 83 aufgeführt; Edom erscheint als Erster auf der Liste. „Sie sprechen: Kommt und lasst uns sie vertilgen, damit sie keine Nation mehr seien, damit nicht mehr gedacht werde des Namens Israels! Denn sie haben sich mit einmütigem Herzen beraten, sie haben einen Bund gegen dich geschlossen: die Zelte Edoms und die Ismaeliter …“ (Ps 83,5–7).

Lesen wir nun die Verse 10–14:

10 Wegen der an deinem Bruder Jakob verübten Gewalttat wird Schande dich bedecken, und du wirst ausgerottet werden auf ewig. 11 An dem Tag, als du gegenüberstandest … und Ausländer zu seinen Toren einzogen und über Jerusalem das Los warfen, da warst auch du wie einer von ihnen. 13 … und du, auch du solltest nicht auf sein Unglück sehen am Tag seiner Not … 14 und du solltest nicht am Kreuzweg stehen, um seine Flüchtlinge zu vertilgen, und solltest seine Entronnenen nicht ausliefern am Tag der Bedrängnis.

Hier bringt Obadja einen anderen Charakterzug Edoms ans Licht, wohl mit dem Ziel, sein Zeugnis über Christus einzuleiten. Dieses Merkmal Edoms, auf das schon beim Zitat von Psalm 83 angespielt wird, war der bittere Hass gegen das Volk Gottes. „Wegen der an deinem Bruder Jakob verübten Gewalttat“ (V. 10). Gerade dieser Hass ist der besondere Grund, warum Edom mit Schande bedeckt und auf ewig ausgerottet werden wird. Ein Überrest aus Ägypten, Assyrien und anderen Nationen wird verschont werden und die Segnungen der Herrschaft Christi genießen, doch niemand von den Edomitern: „Und das Haus Esau wird keinen Übriggebliebenen haben“ (V. 18).

Wie wir uns erinnern, war Edom (oder Esau) Jakobs Bruder. Darum sollte der Edomiter von den Israeliten besonders geachtet werden. Er sollte bestimmte Vergünstigungen in Verbindung mit der „Versammlung des Herrn“ haben, die anderen heidnischen Nationen nicht vergönnt waren: „Den Edomiter sollst du nicht verabscheuen, denn er ist dein Bruder … Kinder, die ihnen im dritten Geschlecht geboren werden, mögen von ihnen in die Versammlung des Herrn kommen“ (5. Mo 23,8.9).

Aber schon von Anfang an hatte Edom Gehässigkeit und Feindschaft gegen Israel gezeigt, auf nationaler wie auf persönlicher Ebene. Als die Israeliten um Erlaubnis baten, auf ihrem Weg nach Kanaan durch das Land Edom zu ziehen, wurde das entschieden abgelehnt. Mose hatte eine höchst versöhnliche Botschaft vorausgeschickt, indem er sich verpflichtete, weder Feldern noch Weinbergen Schaden zuzufügen und sogar das Trinkwasser zu bezahlen. Doch „weigerte sich Edom, Israel zu gestatten, durch sein Gebiet zu ziehen“ und erwies sich schon zu diesem frühen Zeitpunkt als ein unversöhnlicher und boshafter Feind (4. Mo 20,14–21).

Einen anderen Beweis dieses fortwährenden Hasses finden wir in dem Verhalten Doegs, eines Edomiters in Sauls Dienst. David, der Gesalbte des Herrn, saß noch nicht auf dem Thron. Verfolgt und bedroht floh er zu dem Priester Ahimelech, der ihn freundlich empfing und ihn mit Brot versorgte. Doch der Verräter, der Edomiter, war Zeuge dieser Hilfeleistung und informierte Saul unverzüglich. Dadurch verursachte er den Tod von 85 Männern der priesterlichen Sippe.

„Ich wusste an jenem Tag“, rief David, als er von der schrecklichen Tat erfuhr, „weil Doeg, der Edomiter, dort war, dass er es Saul sicher berichten würde“ (1. Sam 22,22).

Obadja erwähnt noch eine andere Begebenheit, wo der unbrüderliche Hass Edoms hervortrat. Er bezieht sich auf die Eroberung Jerusalems, als die Kinder Juda in die babylonische Gefangenschaft verschleppt wurden:

Obadja 11: An dem Tag, als du gegenüberstandest, an dem Tag, als Fremde sein Vermögen wegführten und Ausländer zu seinen Toren einzogen und über Jerusalem das Los warfen, da warst auch du wie einer von ihnen.

Dann folgt die schreckliche Beschreibung der Verhaltensweise der Edomiter. Sie jubelten über den Fall der Kinder Juda, raubten ihren Besitz und standen am Kreuzweg, um die Flüchtlinge, die um ihr Leben rannten, abzufangen und sie den grausamen Babyloniern auszuliefern.

In dieser Verbindung erkennen wir die Spuren Christi, wenn wir zwischen den Zeilen von Obadjas ernster Anklage lesen. Bei der Betrachtung von Hosea sehen wir, wie Christus den Platz des wahren Israels vor Gott einnimmt. Er war der Sohn, der aus Ägypten gerufen wurde. Aus Gnade machte Er sich eins mit dem gottesfürchtigen Überrest: Er nahm teil an ihren Leiden, fühlte den bitteren Schmerz ihres Kummers, litt wegen ihrer Not und seufzte unter der Last, die sie niederdrückte. Das ist etwas völlig anderes als seine sühnenden Leiden. Zweifellos galt sein Erlösungswerk sowohl Israel als auch uns. Doch in Obadja geht es weder um Christi sühnende Leiden noch um seine Leiden um der Gerechtigkeit willen. Er nahm tatsächlich die Not und die Unterdrückung auf sich, unter der sein Volk seufzte, und empfand die entsprechenden furchtbaren Schmerzen tief in seinem Geist. Wenn wir darüber nachdenken, können wir nicht anders als Ihn umso mehr zu lieben!

Bei einem Vergleich der Prophezeiung Obadjas mit dem Schluss des Lukasevangeliums (Kap. 23) findet man in dem Bericht über die Leiden des Volkes vonseiten der Edomiter mühelos Christus. Herodes war der erbarmungslose Fürst mit Edomiterblut. Sein Hass entflammte gegen den, der aus Gnaden als Befreier zu seinem Volk gekommen war. Seit der Geburt Christi hatte der Edomiter versucht, Ihn zu töten. Sogar während der letzten Ereignisse, die nicht lange danach auf Golgatha ihren Höhepunkt erreichten, war der Edomiter zur Stelle, um die Leiden dieses Heiligen noch zu vergrößern.

Edom vereinigte sich nach der Prophezeiung Obadjas mit den heidnischen Unterdrückern. Deshalb lesen wir, dass Herodes und Pilatus – der Edomiter und der Römer – Freunde in ihrer gemeinsamen Feinschaft gegen Christus wurden.

Edom freute sich über den Untergang der Kinder Juda und sperrte am Tag ihrer Bedrängnis sein Maul in Schadenfreude weit auf (Obad 12). Auch Herodes „freute … sich sehr“, als er Jesus sah, und merkte, dass dieser in seiner Gewalt war; mit Hilfe seiner Soldaten behandelte er Ihn voller Verachtung und verspottete Ihn (Lk 23,8.11).

Edom stand am Tag der Bedrängnis Judas triumphierend am Tor Jerusalems. Bezeichnenderweise wird das zur Zeit der Leiden Christi auch von Herodes, dem Edomiter, gesagt: „… der auch selbst in diesen Tagen in Jerusalem war“ (Lk 23,7). Er war zur Stelle, um den vollen Becher dessen, der überaus litt, zum Überlaufen zu bringen.

Schlimmer noch: Edom lieferte die Entronnenen aus. Und der Evangelist berichtet über Jesus: „Herodes … sandte ihn zu Pilatus zurück“ (Lk 23,11). So niederträchtig war dieser Edomiter!

In der Endzeit, wenn die verbündeten Staaten gegen das auserwählte Volk hinaufziehen, wird es für die Gottesfürchtigen ein großer Trost sein, dass Er mitfühlt und sie stärkt, Er, der selbst den bitteren Hass des Edomiters erfahren hat. Ihre bekümmerten Herzen werden seine Gegenwart erfahren. Er, der so gut Bescheid weiß über jede Phase ihrer Bedrängnis – da Er selbst all das durchlitten hat –, wird ihnen auf wunderbare Weise Trost und Kraft spenden können.

Obadja 15: Denn der Tag des Herrn ist nahe über alle Nationen: Wie du getan hast, wird dir getan werden …

Nicht nur Edom ist der Feindschaft gegen Christus schuldig, sondern alle diese Nationen; alle haben sich zum Kampf gegen Ihn zusammengeschlossen, sowohl gegen Ihn selbst zur Zeit seiner Erdentage als auch gegen Israel. Daher werden alle Nationen gerichtet werden (V. 15.16), weniger für ihre Sünden als für die Art und Weise, wie sie Christus behandelt haben – Christus und seine jüdischen Brüder. Das ganze große Weltsystem wird gerichtet werden, vor allem wegen seines Stolzes, seiner Zusammenschlüsse und seines Hasses gegen Christus.

Obadja 17.21:17 Aber auf dem Berg Zion wird Errettung sein, und er wird heilig sein … 21 Und es werden Retter auf den Berg Zion ziehen, um das Gebirge Esaus zu richten; und das Reich wird dem Herrn gehören.

Dem Haus Jakob stehen jedoch Rettung und Segen in Aussicht. Gott wird dann klarstellen, dass alles mit dem Berg Zion verknüpft ist: „Auf dem Berg Zion wird Errettung sein.“ Außerdem wird eine weltweite Regierung errichtet werden, die ebenfalls mit dem Berg verbunden sein wird, den Gott sich auserwählt hat, denn „es werden Retter auf den Berg Zion ziehen, um das Gebirge Esaus zu richten; und das Reich wird dem Herrn gehören“.

Der Berg Zion symbolisiert das Prinzip der Regierung Gottes und den damit verbundenen zukünftigen Segen über die Erde. Er erwählte den Ort (Ps 132,13), als alles gescheitert war, was Er den Menschen übergeben hatte. All das weist auf Christus als den Auferstandenen hin, auf den, in dem sich alle Segnungen Gottes, die den Menschen verheißen sind, erfüllen. Geistlich gesehen, sind wir Gläubigen schon zum Berg Zion gekommen, so wie Hebräer 12 sagt; und wir werden Nutznießer der beiden Dinge in Obadja sein, die mit dem eigentlichen Berg Zion verbunden sind: Rettung und Herrschaft.

Der Gläubige erfährt die Befreiung von den Mächten der Welt und von allem Irdischen, wenn er sich auf das gründet, was dieser Berg vorbildet. Dies geschieht, wenn wir bewusst Gottes Ratschluss ergründen und erkennen, dass alles seinen Ursprung in Christus hat und Er das Zentrum ist.

Wir kommen ebenfalls unter seine segensreiche Herrschaft. Durch Ihn fällt das Licht der Welt Gottes auf uns und lenkt und leitet uns, wenn wir das Licht in seinem Angesicht leuchten sehen. Die Herrlichkeit, die im Universum erstrahlen wird, leuchtet schon jetzt im Angesicht Christi; der Segen, der sich über die ganze Welt erstrecken wird, ist schon heute zur Freude der Seinen in Ihm offenbar.

Die „Retter“ aus Vers 21 sind zweifellos solche, die die Segensphäre Zions weltweit ausbreiten werden. Sie sind – im Zusammenhang mit der Verwaltung des Reiches des Herrn – dazu bestimmt, nach Norden, Süden, Osten und Westen zu ziehen und die Nachricht über den reichen Segen zu verbreiten, der von diesem heiligen Berg ausgeht.

Diese Prophezeiung bezieht sich zwar auf die Zukunft, aber, Gott sei Dank, gibt es derartige „Retter“ schon heute. Es gibt solche, die offene Augen für die Herrlichkeit im Angesicht Christi haben. Und da diese Herrlichkeit durch den Heiligen Geist in ihre Herzen geschrieben ist, sind sie fähig, Christus Jesus zu verkünden und andere zu erleuchten, damit auch sie sich Ihm zuwenden. Ihr Dienst zieht die Menschen immer zu Christus selbst und führt auch unsere Herzen weg vom menschlichen Versagen und lenkt sie so, dass sie mit dem Plan Gottes übereinstimmen. Damit wird den Heiligen Gottes kein geringer Dienst erwiesen. Könnten wir in diesem Punkt einander doch mehr eine Hilfe sein!

Obadjas Ziel war ähnlich. Sein Name bedeutet „Diener des Herrn“. Er hatte das Vorrecht, seinen Zeitgenossen einen überaus wichtigen Dienst zu erweisen: Er entlarvte den wirklichen Charakter der Menschen auf der Erde, die durch Edom verkörpert werden. Auch führte Obadja die Herzen des Volkes Gottes zu dieser strahlenden Welt, die Gott mit Zion als Zentrum einführen wird. Dort hat Edom keinen Zugang, sondern dort wird Christus uneingeschränkt herrschen.

Obadja beschreibt die irdische Seite dieser Welt des Segens, doch wir Gläubigen haben heutzutage teil an den himmlischen Segnungen und haben eine Beziehung zu Gott und kennen Ihn in einer Weise, die die Kenntnis des Volkes Israel bei weitem übertrifft. In vieler Hinsicht ist die irdische Seite ein Abbild der himmlischen. Obwohl es in Obadja nicht um das Christentum geht, können wir doch in diesem kleinen Propheten Hinweise auf Christus entdecken, zum einen auf seine Leiden und seine Erniedrigung und zum anderen auf seine Verherrlichung als der eigentliche Berg Zion, wodurch nach Gottes ewigem Ratschluss der volle Segen entfaltet werden wird.

« Vorheriges Kapitel