Das Manna in der Wüste
Gedanken zu 2. Mose 16
Verse 1–3: Der Hintergrund – Erneutes Murren des Volkes
„Und sie brachen auf von Elim, und die ganze Gemeinde der Kinder Israel kam in die Wüste Sin, die zwischen Elim und Sinai ist, am fünfzehnten Tag des zweiten Monats nach ihrem Auszug aus dem Land Ägypten. Und die ganze Gemeinde der Kinder Israel murrte gegen Mose und gegen Aaron in der Wüste. Und die Kinder Israel sprachen zu ihnen: Wären wir doch im Land Ägypten durch die Hand des Hᴇʀʀɴ gestorben, als wir bei den Fleischtöpfen saßen, als wir Brot aßen bis zur Sättigung! Denn ihr habt uns in diese Wüste herausgeführt, um diese ganze Versammlung vor Hunger sterben zu lassen“.
Von Elim nach Sin
In Elim hatte das Volk Israel wichtige Erfahrungen in der Wüste gemacht. Sie mussten lernen, dass alle Hilfsquellen in ihrem Gott waren, während es auf ihrer Seite immer wieder Versagen gab. Zuerst war es der Durst, der sie quälte, und dann der Hunger.
In Elim hatte sich das Volk wohlgefühlt. Doch die Reise ging weiter. Sie konnten nicht länger in Elim bleiben. Wir kennen ebenfalls Momente in unserem Leben auf dieser Erde, die „Elim“ gleichen. Unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes finden wir Erquickung und Erfrischung. Doch dann müssen wir in die „Wüste“ zurück. Wie Israel sind wir auf der Reise und befinden uns in einer Welt, die der neuen Natur nichts zu bieten hat. Was wir in „Elim“ lernen und erfahren, muss sich in der Wüste bestätigen. Im täglichen Leben zeigt sich, ob das Wort Gottes einen echten Einfluss auf unser Leben hat oder nicht. Es geht uns wie den Jüngern, die mit dem Herrn auf dem Berg waren und dort glückliche Augenblicke verbrachten. Gerne wären sie dort geblieben. Doch es war nicht möglich. Sie mussten zurück in das Tal und in die „Niederungen“, um dort weitere Erfahrungen mit ihrem Meister zu machen (Lk 9,28–43).
„Sin“ bedeutet auf Deutsch „Dorn“ und erinnert zweifellos an die Dornbüsche, die es in der Wüste gab. Es war ein solcher Dornbusch, an dem Gott Mose erschienen war, um ihm den Auftrag zu geben, das Volk Israel aus Ägypten herauszuführen. Für uns liegt darin ein doppelter Hinweis:
a) Die Dornen sprechen davon, dass wir Menschen durch die Sünde nicht in der Lage sind, Frucht für Gott zu bringen. Die Dornen sind ein Teil des Fluches, der nach dem Sündenfall über die Schöpfung kam. Statt Frucht für Gott gibt es nun Schmerzen, Leid und Not. Das genau ist der Charakter dieser Welt, in der wir leben. Die Folgen der Sünde und des Fluches begegnen uns auf Schritt und Tritt.
b) Die Dornen lehren uns, dass die Wüste nicht in der Lage ist, Menschen zu ernähren. Der Herr Jesus sagt einmal: „ ... denn von Dornen sammelt man keine Feigen, noch liest man von einem Dornbusch eine Traube“ (Lk 6,44). Die Dornbüsche dieser Welt stillen den Hunger ebenso wenig, wie die bitteren Wasser von Mara eine Antwort auf den Durst geben konnten.
Zwischen Elim und Sinai
Nicht ganz ohne Grund wird darauf hingewiesen, dass Sin zwischen Elim und Sinai liegt. Am Berg Sinai bekam das Volk Israel später das Gesetz. Die Zeit zwischen Elim und Sinai bezeichnete den ganz speziellen Zeitabschnitt, in dem Gott ausschließlich in Gnade mit seinem irdischen Volk handelte. Es waren nur etwa drei Monate. Obwohl sie wiederholt murrten, begegnete Gott den Kindern Israel in großer Güte und in Langmut. Es war eine gesegnete Zeit, die dadurch ihren Abschluss fand, dass das Volk sich leichtfertig unter das Gesetz stellte, das es doch nie halten konnte (Kap 19,8). Der Augenblick der Gesetzgebung markiert eine deutliche Wende im Handeln Gottes mit seinem Volk. Wenn wir 4. Mose 11 mit 2. Mose 16 vergleichen, wird das an einem Beispiel sehr deutlich. In 4. Mose 11 murrte das Volk erneut in Verbindung mit der Nahrung, die Gott ihnen gab. Während Gott in unserem Kapitel das Murren nicht „bestraft“, wird es in 4. Mose 11 „geahndet“. Die Situation in beiden Kapiteln ist sehr ähnlich und doch handelt Gott verschieden. Zwischen beiden Begebenheiten liegt eine Zeitspanne von etwa einem Jahr. Wir lernen, dass unser menschliches Herz immer böse ist – egal, ob wir unter Gesetz oder unter Gnade sind. Es wendet sich immer in Undankbarkeit, im Unglauben und sogar in Rebellion gegen Gott. Gott hatte die Kinder Israel aus dem Haus der Knechtschaft befreit, und schon nach kurzer Zeit sehnten sie sich dorthin zurück. Gott hatte sie durch das Blut vor dem Gericht geschützt, und sie wünschten, das Gericht hätte sie getroffen. „Schnell vergaßen sie seine Taten, warteten nicht auf seinen Rat; und sie wurden lüstern in der Wüste und versuchten Gott in der Einöde“ (Ps 106,13.14).
Murren
Es waren nicht nur einige wenige, die murrten, sondern wir lesen ausdrücklich, dass die ganze Gemeinde murrte. Es mag sein, dass einige damit angefangen hatten, doch offensichtlich schlossen sich alle anderen an. Es war darüber hinaus nicht nur ein Murren im Herzen, sondern es äußerte sich in klaren Worten. Sie wandten sich gegen die von Gott gegebenen Führer und scheuten sich nicht einmal, den Namen des Herrn im Mund zu führen. Das war später im Gesetz ausdrücklich verboten. Der Name des Herrn durfte nicht „zu Eitlem“ ausgesprochen werden (2. Mo 20,7).
Murren bedeutet, dass man erstens nicht zufrieden und zweitens undankbar ist. Judas beschreibt solche Menschen wie folgt: „Diese sind Murrende, mit ihrem Los Unzufriedene, die nach ihren Begierden wandeln“ (Jud 16), während Paulus uns auffordert, alles „ohne Murren und zweifelnde Überlegungen“ zu tun (Phil 2,14). Unzufriedenheit und Unglaube gehen oft Hand in Hand.
Das Fleisch (die alte Natur) fühlt sich in der Wüste nie wohl. Es sehnt sich nach Ägypten zurück. Als Menschen, die von neuem geboren sind, sind wir nicht mehr „im Fleisch“, können allerdings „fleischlich“ handeln und leben (vgl. Röm 8,6–13). Wenn wir das tun, kommt auch bei uns leicht ein „Murren“ zum Vorschein. Obwohl wir die Güte Gottes oft und reichlich erfahren, ist es typisch fleischlich, dass wir sofort unzufrieden sind, wenn uns nur ein einziger Umstand begegnet, der uns missfällt. Dann wird sichtbar, dass es uns an Vertrauen in die Wege und das Handeln unseres Gottes fehlt. Es versteht sich von selbst, dass Satan solche Situationen für seine Zwecke ausnutzt und Zweifel an der Liebe Gottes in unser Herz sät. Das ist ein Beispiel für die feurigen Pfeile, von denen Paulus in Epheser 6,16 spricht. Diese Pfeile verwunden uns, wenn wir sie nicht mit dem „Schild des Glaubens“ auslöschen.
Das Murren wird in den Versen 2–12 achtmal erwähnt. Vordergründig war es gegen Mose und Aaron gerichtet, hintergründig richtete es sich allerdings direkt gegen Gott.
a) Murren gegen Mose und Aaron: Es ist immer eine ernste Sache, gegen Diener Gottes und Führer im Volk Gottes zu reden. Gott verbindet seine Botschaft an andere häufig mit den Boten, die Er benutzt (vgl. z. B. Lk 10,16). Wer den Boten oder Diener Gottes ablehnt, lehnt letztlich den ab, der ihn gesandt hat. Der Vorwurf gegen Mose und Aaron ging sehr weit, denn sie unterstellten ihnen die böse Absicht, das Volk verhungern lassen zu wollen und damit falsche Motive. Im Beurteilen von Motiven sollten wir immer große Vorsicht walten lassen.
b) Murren gegen Gott: Gott macht klar, dass sich das Murren am Ende gegen Ihn richtete. Jedes Murren richtet sich in letzter Konsequenz gegen Gott selbst. In Vers 8 sagt Mose, dass der Herr das Murren gehört hatte, womit sie gegen Ihn murrten und er fügt hinzu: „Denn was sind wir? Nicht gegen uns ist euer Murren, sondern gegen den Herrn“. Mose hatte die richtige Sichtweise. Er nahm den Angriff nicht als gegen sich gerichtet, sondern es ging ihm um die Ehre Gottes.
Sünde gegen einen Menschen ist gleichzeitig Sünde gegen Gott. Man kann sich nicht an einem Menschen versündigen, ohne gleichzeitig gegen Gott zu sündigen (vgl. Ps 51,4.6a). Gott hatte gesagt, sie würden Ihm in der Wüste dienen, und Er würde sie in das Land bringen. Nun zu sagen, dass Mose und Aaron sie verhungern lassen wollten, stellte die Worte Gottes direkt in Zweifel. Das war keine kleine Sache.
Gott nimmt jedes Murren, jede Undankbarkeit und jeden Unglauben zur Kenntnis. Er hörte es damals, und Er hört es heute. Der Text wiederholt viermal, dass Gott Kenntnis davon nahm (Verse 7.8.9.12). Als Thomas im Unglauben zu seinen Mitjüngern sprach, entging dies dem Heiland nicht. Er sagte ihm: „Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ (Joh 20,27). Der Herr Jesus hatte seine Worte des Unglaubens und Zweifelns gehört, obwohl Er körperlich nicht anwesend war.
Durst und Hunger
Werfen wir einen kurzen Blick auf die Ursache des Murrens. War es in Kapitel 15 Durst gewesen, so war es hier Hunger. Sie sehnten sich – was ja durchaus verständlich war – nach Brot zur Sättigung. In der Wüste gab es weder Wasser noch Brot, und was sie an Nahrung aus Ägypten mitgebracht hatten, war längst aufgebraucht.
Wasser und Nahrung gehören zu den Grundbedürfnissen des menschlichen Lebens. Ohne beides kann der Mensch nicht leben. Das gilt für den natürlichen Menschen, es gilt ebenso für das neue Leben. Das Bedürfnis ist da, und wir müssen lernen, dass die Welt dieses Bedürfnis des neuen Lebens nicht stillen kann. Durst spricht von dem Bedürfnis nach innerer Befriedigung, nach Erquickung und Erfrischung, die nur Gott durch den Heiligen Geist geben kann. Hunger hingegen steht in Verbindung mit Nahrung, die wir essen, um uns zu sättigen. Wir haben geistliche Nahrung nötig, um unseren Weg durch die Welt gehen zu können. Nur wenn wir die richtige Nahrung, die Gott uns gibt, zu uns nehmen, können wir in „Neuheit des Lebens wandeln“ (Röm 6,4). Das neue Leben muss genährt werden. Sonst können wir weder überwinden noch ausharren. Die Welt hat keine Nahrung. Sie kann uns nichts bieten, was mit unserem Herrn in Verbindung steht. Die Nahrung hingegen, die Gott uns gibt, hängt unmittelbar mit Ihm zusammen.
Sehnsucht nach Ägypten
Die Kinder Israel lebten nicht im Glauben, sondern sie sahen vielmehr die Realitäten des Wüstenlebens. Sie hatten in den vergangenen Monaten mehrfach erlebt, wie Gott auf wunderbare Weise eingegriffen hatte. Dennoch rechneten sie nicht mit dem Eingreifen Gottes. Sie erinnerten sich vielmehr an die Fleischtöpfe Ägyptens. Das war nichts anderes als eine grobe Geringschätzung der Rettung und der Gnade Gottes. Den wirklichen Charakter Ägyptens hatten sie scheinbar schnell vergessen. Ohne Frage gab es in Ägypten Fleischtöpfe. Es war ja kein armes Land. Ob die Kinder Israel als Sklaven allerdings wirklich an den Fleischtöpfen gesessen und Brot bis zur Sättigung gegessen hatten, darf bezweifelt werden. Doch die Erinnerung an das Negative schien schnell verblasst. Sie litten – um es neutestamentlich zu sagen – Mangel an der Gnade Gottes (Heb 12,15).
Wenn das bei uns der Fall ist, gewinnt das Fleisch in uns schnell die Oberhand, und wir sehnen uns in die Welt zurück. Plötzlich finden wir als Gläubige das Angebot der Welt viel attraktiver als das, was Gott uns gibt. Wir erkennen und unterscheiden den wirklichen Charakter der Welt nicht mehr. So erging es Lot, der das „Land Ägypten“ nicht von dem „Garten des Herrn“ unterscheiden konnte (1. Mo 13,10). So erging es Simson, der immer wieder den Weg in das Land seiner Feinde suchte. Beide waren – in der Sprache des Neuen Testamentes – fleischlich gesinnte Menschen. Wer so lebt, gleicht einem „unmündigen“ Menschen, der keine „geübten Sinne hat zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen“ (Heb 5,14). Ein Beispiel im Neuen Testament ist Demas. Paulus schreibt von ihm: „... denn Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf lieb gewonnen hat“ (2. Tim 4,10).