Jesus Christus - mehr als ein König
Eine Auslegung des Matthäusevangeliums

II. Der König wird in sein Volk eingeführt

Jesus Christus - mehr als ein König

Kapitel 1 hat gezeigt, dass Jesus der rechtmäßige König auf dem Thron Davids ist und alle Bedingungen erfüllt, um der Gesalbte Gottes in Israel zu sein. In Kapitel 2 wurde deutlich, wie Er von den Seinen aufgenommen wurde. Die Repräsentanten des Volkes Israel kümmerten sich nicht um ihren König. Und als sie gehört hatten, dass Er geboren war,versuchten sie, Ihn umzubringen. An ihrer statt erweckte Gott Menschen, die aus dem entfernten Osten kamen, um den Messias Gottes anzubeten.

In den Kapiteln 3 und 4 berichtet Matthäus nun, wie der König bei seinem Volkeingeführt wird. Bekannte Könige hatten im Allgemeinen einen Herold, einenVorläufer. So auch Christus. Sein Vorläufer, Johannes der Täufer, kündigt Ihnan. Im Anschluss lesen wir, dass der Messias das erste Mal öffentlich auftritt. Schließlich, nachdem Er von dem großen Feind, dem Teufel, versucht worden ist, predigt der Herr Jesus selbst. Bislang war das seinem Herold vorbehalten. Sogleich beruft Er Jünger in seine Nachfolge und tut die ersten Wunder.

Das Reich der Himmel ist nahe gekommen (Mt 3)

Rund 28 Jahre (vgl. Mt 2,16 und Lk 3,23) werden im Matthäusevangelium übersprungen. Die Jugendzeit Jesu ist hier nicht wichtig, weil Er in dieser Zeit nicht als der Messias und König in Israel auftrat. Überhaupt schweigt Gottes Wort bis auf eine Ausnahme (Lk 2) über diese Zeit. Nur diese eine Begebenheit wird im Lukasevangelium berichtet. Sie macht deutlich, dass dieser Jesus wirklicher Mensch war und als solcher auch eine Jugendzeit hatte – und sie in einzigartiger Weise durchlebt hat. Zugleich zeigt sie, dass Er sich von Anfang an bewusst war, dass Er der Sohn des Vaters war, der ewige Sohn Gottes.

Wie wir schon sahen, hatte der Herr Jesus seiner Königswürde entsprechend einen Vorläufer. Das war Johannes der Täufer, der hier im dritten Kapitel vor uns kommt. Johannes macht klar, dass sein „Nachfolger“ Anspruch auf ein Königreich hat – dieses war nahe gekommen. Schließlich zeigen die letzten Verse, dass dieser König einmalig ist. Obwohl Er Sohn Gottes ist, macht Er sich doch mit seinem sündigen Volk eins, das bußfertig zu Johannes dem Täufer kommt.

Dieser ganze Abschnitt steht in direkter Verbindung mit der Beziehung des Herrn, des Gottes Israel, zu seinem Volk. Das unterscheidet ihn von den Berichten in Markus und Lukas. Lukas zieht den Kreis deutlich weiter als Matthäus. Er spricht z.B. auch von den Zöllnern, die zu Johannes kamen. Matthäus dagegen legt die Betonung auf die Beziehung des Herrn zu seinem Volk.

Verse 1–12: Der Vorläufer bereitet das Volk Israel auf den König vor

In den ersten zwölf Versen dieses Kapitels tritt der Vorläufer des Königs in Erscheinung. In seinem Werk und in seinen Worten gehört er, was seinen Charakter und den seines Dienstes betrifft, zum Alten Testament. Damit steht er für eine andere Epoche als diejenige, die der Herr im Begriff stand einzuführen. Und doch führt er in etwas ganz Neues ein, auch zu einer Person einer ganz neuen Ordnung hin. Der Bericht unseres Evangelisten unterscheidet sich deutlich von dem des Lukas. Dort wird auch die Geburtsgeschichte von Johannes erzählt. Bei Lukas steht der Mensch Jesus im Vordergrund, der entsprechend auch einen Menschen als Vorläufer hatte. Das soll deutlich gemacht werden. Matthäus allerdings geht es darum zu schildern, dass Gott jemanden in das Amt des Vorläufers eines Königs berufen hat. Der Vorläufer als Person ist nicht wichtig – aber seine Aufgabe für den König ist von Bedeutung. Daher finden wir hier keine Beschreibung seiner Geburt, sondern schlicht sein erstes Auftreten.

Mit seinem Dienst erfüllt Johannes im Auftrag Gottes mehrere Aufgaben:

  1. Der Herr des Alten Testaments, Gott selbst, stand im Begriff, sich seinem Volk zu offenbaren. Er, Jahwe, war schon „im Fleisch gekommen“ und als Mensch geboren. Aber sein Volk hatte noch keine Kenntnis von Ihm genommen. So bereitete Johannes das Volk auf seinen Herrn und Gott vor, um den verheißenen König einzuführen.
  2. Jahwe selbst würde nicht nur als einfacher Mensch zu seinem Volk kommen – wie der Ausdruck „Gott mit uns“ aus Kapitel 1 deutlich macht. Nein, Er besaß darüber hinaus auch ein Königreich. Zu diesem Königreich sollten solche gehören, die sich zu Christus, dem König Gottes, bekannten. Johannes zeigt, wie man zu diesem Königreich gehören kann. Aber im Unterschied zu früheren Zeiten, in denen Jahwe durch Könige auf der Erde herrschte, würde jetzt das „Königreich der Himmel“ eingeführt werden. Der Himmel würde die Erde regieren.
  3. Johannes der Täufer muss denen, die nicht bereit waren, die Bedingungen Gottes für die Aufnahme in das Reich zu erfüllen, Gericht ankündigen. Er würde das Gericht nicht selbst ausführen. Aber er kündigte dieses in Form der „Feuertaufe“ an. Er macht deutlich, dass dieses Gericht nahe war, genau wie derjenige nahe war, der das Gericht ausführen sollte.

Zweifellos war die erste Aufgabe, nämlich den König Israels einzuführen, die vornehmste für Johannes. Genau deshalb wird er auch als der Größte „unter den von Frauen Geborenen“ bezeichnet, und zwar vom Herrn Jesus selbst (Mt 11,11). Es gab keine größere und wichtigere Aufgabe, als den König, den Messias Israels, einzuführen. Ähnliches finden wir im Alten Testament in Bezug auf die Einführung großer Könige und Persönlichkeiten.

Das war auch für Samuel die größte Aufgabe, die er bei all seiner segensreichen Tätigkeit ausführen konnte. Er hatte den Auftrag, den König nach dem Herzen Gottes, David, zu salben und einzuführen (1. Sam 16). Für den Priester Jojada war die herrlichste Aufgabe, den kleinen Joas als König auf den Thron Davids zu setzen (2. Chr 23).

Diesen Gedanken dürfen wir auch in unsere Zeit übertragen: Gibt es im übertragenen Sinn für uns eine schönere Aufgabe, als den König (und Sohn des Menschen, Sohn des Vaters und Diener Gottes) in die Mitte der Menschen und der Gläubigen „einzuführen“? Was gibt es Erhabeneres, als Ihn vorzustellen? Wenn Er gesehen wird und wir Menschen als Werkzeuge Gottes aus dem Blickfeld verschwinden, haben wir die vornehmste Aufgabe tun dürfen, die man ausführen kann!

Verse 1.2: Die Botschaft Johannes' des Täufers

„In jenen Tagen aber kommt Johannes der Täufer und predigt in der Wüste von Judäa und spricht: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen“ (Verse 1.2).

Der Übergang von Kapitel 2 zu Kapitel 3 mag ein wenig abrupt wirken. Aber wie schon gesagt überspringt Matthäus hier auch eine Zeitspanne von rund 28 Jahren. Wenn es heißt: „In jenen Tagen ...“, sind damit nicht die Tage von Kapitel 2,23 gemeint, denn diese lagen schon viele Jahre zurück. Nein, gemeint sind die Tage, von denen jetzt berichtet wird – die des Dienstes Johannes' des Täufers.

Doch trotz der 28 Jahre des Schweigens scheint der Übergang doch in einer Hinsicht fließend zu sein: Denn die ganze Zeit war Jesus der Mann von Nazareth. Dort wohnte Er, dort wirkte Er in seinem Elternhaus im Verborgenen, bis jetzt der Zeitpunkt seines öffentlichen Auftretens gekommen war. Dazu passt Apostelgeschichte 10,37.38: „Das Zeugnis, das, angefangen von Galiläa, durch ganz Judäa hin ausgebreitet worden ist, nach der Taufe, die Johannes gepredigt hatte: Jesus, den von Nazareth, wie Gott ihn mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat, der umherging, wohltuend und alle heilend, die von dem Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit ihm.“ Genau dieser Vers überschreibt in eindrucksvoller Weise unter anderem die Kapitel 3 und 4 des Evangeliums nach Matthäus. Und nicht von ungefähr wird Christus im letzten Vers des zweiten Kapitels als „Nazarener“ bezeichnet.

In dieser Zeit also kommt Johannes der Täufer. Er war jetzt, wie auch der Herr Jesus, ungefähr 30 Jahre alt, ein halbes Jahr älter als sein Meister. Was für eine Vorbereitung dieser Gottesmann für seinen Dienst erfahren hat, wissen wir nicht. Wir finden außer den Mitteilungen über die besonderen Geburtsumstände keine weiteren Hinweise auf seine Jugend, bis er jetzt hier auftritt. Aufgrund von Lukas 3,2 dürfen wir annehmen, dass er seinen Wohnsitz in dieser Einöde der Wüste hatte, wo er jetzt zu sehen und zu hören ist.

Johannes predigt in der Wüste

Dass dieser Mann in der Wüste und nicht in Jerusalem auftrat, ist von großer Bedeutung. Schließlich war er der Sohn des Priesters Zacharias, so dass seine Aufgaben eigentlich in Jerusalem auszuführen waren.

Zudem wäre zu erwarten gewesen, dass der Herold des Königs in der Königsstadt, also am Regierungssitz in Jerusalem auftreten würde. Das aber war nicht der Fall. Johannes hielt sich auch nicht bei den religiösen Führern des Volkes im Tempel auf, obwohl er Priester und Prophet Gottes war. Wir sehen ihn auch nicht im Tempel bei den Schriftgelehrten, obwohl er sicher besser als alle anderen im Gesetz Gottes Bescheid wusste. Außerdem gesellte er sich nicht zu den Hohen des Volkes, obwohl er der Größte von Frauen Geborene war (Mt 11,11). Aber nichts davon finden wir. Nein, er wirkte außerhalb des Lagers (vgl. Heb 13,13) und trennte sich von dem, was die Juden in dieser Zeit in besonderer Weise hochhielten.

Anstelle Jerusalems gab Gott ihm einen Platz in der Wüste, vielleicht knapp 40 Kilometer entfernt, wenn wir den Jordan als Fixpunkt benutzen. Johannes lebte in der Wüste und predigte dort. Welcher Diener Gottes sucht sich wohl die Wüste als den Ort seines Dienstes aus – da, wo eigentlich niemand ist? Wird dadurch nicht sofort deutlich, welchen Platz die Treuen in Israel einnehmen mussten, um Gott zu gefallen? Wenn Gott an diesem Ort durch Johannes zu dem Volk redete (vgl. Lk 3,2) und er dort draußen die göttliche Botschaft verbreiten sollte, dann lehnte Gott offensichtlich das gesamte religiöse System Jerusalems ab. Nur dieser Weg, den Johannes im Auftrag Gottes wählte, war der Weg der Gerechtigkeit (Mt 21,32), den Gott anerkennen konnte.

Das Volk musste zu Johannes kommen – er kam nicht zu ihnen. So verwirklichte Johannes der Täufer gewissermaßen die Worte, die Gott zu Jeremia gesprochen hatte: „Jene sollen zu dir umkehren, du aber sollst nicht zu ihnen umkehren“ (Jer 15,19). Man könnte fast sagen, dass Johannes durch seinen Dienstort das Volk an eine viel frühere Zeit erinnerte: „Geh und rufe vor den Ohren Jerusalems und sprich: So spricht der HERR: Ich gedenke dir die Zuneigung deiner Jugend, die Liebe deines Brautstandes, dein Wandeln hinter mir her in der Wüste, im unbesäten Land. Israel war heilig dem HERRN, der Erstling seines Ertrags; alle, die es verzehren wollten, wurden schuldig: Unglück kam über sie, spricht der HERR“ (Jer 2,2.3). Aber jetzt war das Volk selbst schuldig und musste Buße tun!

Auch an die Worte Gottes im Propheten Hosea über das Volk Israel kann in diesem Zusammenhang erinnert werden, auch wenn sie ihre eigentliche Erfüllung erst in der Zukunft finden werden. Aber das gilt auch für die Weissagung Jeremias. „Darum siehe, ich werde sie locken und sie in die Wüste führen und zu ihrem Herzen reden; und ich werde ihr von dort aus ihre Weinberge geben und das Tal Achor zu einer Tür der Hoffnung. Und sie wird dort singen wie in den Tagen ihrer Jugend und wie an dem Tag, als sie aus dem Land Ägypten heraufzog“ (Hos 2,16.17).

Bevor das Volk moralisch in der Lage sein würde, seinen König aufzunehmen, war es nötig, zu seinem Herzen zu reden. Dafür war die Wüste der geeignete Ort, wo sie nicht durch ihre Kultur und andere Dinge von dem eigentlichen Ziel Gottes abgelenkt werden konnten. Es war der Ort des Ursprungs, wo das Volk Israel sozusagen seine Entstehungsgeschichte hatte (vgl. 2. Mo 15 ff.). Durch die Wüste führte Gott damals sein Volk, um es in das Land zu bringen. Jetzt mussten sie gewissermaßen wieder zurück zum Ausgangspunkt, um von Gott angenommen zu werden.

Der Inhalt der Predigt

Die Predigt Johannes' des Täufers war eine Bußpredigt. Er rief das Volk auf, Buße zu tun, also innerlich anzuerkennen, dass es gesündigt hatte. Die Juden sollten die Notwendigkeit erkennen, eine Sinnesänderung im Leben vornehmen zu müssen. Grund für die Unausweichlichkeit der Buße war, dass das Königreich der Himmel – also das Königreich des Messias – unmittelbar bevorstand. Der Zustand des Volkes ließ aber die Aufrichtung des Reiches nicht zu. Für die meisten stand Gott nicht an der ersten Stelle des Lebens. Der Zustand, den bereits Maleachi anprangern musste, hatte sich nicht verbessert. Im Gegenteil! Zwar gab es einzelne, die auf den verheißenen Messias warteten (Zacharias, Simeon, Anna). Aber für die meisten traf dies nicht zu.

Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Buße im Blick auf das bevorstehende Reich macht deutlich, dass Johannes das Volk nicht mehr als Volk Gottes anerkannte. Nur durch die Umkehr und Buße, also eine innere Gesinnungsänderung, würde Gott sie wieder annehmen können. Ohne diese Buße gab es keine Aufrichtung des Reiches.

Der Aufruf zur Buße zeigt außerdem, dass es auch in Bezug auf das Reich des Messias letztlich nicht mehr um die Masse ging. Wenn jeder Einzelne zur Buße aufgerufen wird, war nicht zu erwarten, dass alle diesem Ruf Folge leisten würden. Denn an keiner Stelle der Menschheitsgeschichte waren alle bereit, umzukehren. Hier kommen wir bereits zu dem, was im Alten Testament „Überrest“ bzw. „Übriggebliebene“ genannt wird (vgl. 2. Kön 19,4; Jes 1,9; 10,20.21; usw.). Auch in das Reich des Messias würde nur ein bußfertiger Überrest eingehen.

Johannes predigte nicht die Gnade. Zwar würde später im Königreich auch diese gepredigt werden. Das aber konnte erst geschehen, nachdem der Herr das Werk der Erlösung vollbracht hatte. Jetzt war es eine Predigt zur Buße und zum Gericht, die vor der Predigt der Gnade kommen musste. Diesen Grundsatz finden wir schon im Alten Testament vorgebildet: Wir erinnern uns daran, dass die Bundeslade und das Volk den Jordan durchqueren mussten. Die Bundeslade musste in den Wassern des Jordan zunächst still stehen. Niemand kann schadlos das Todeswasser des Jordan betreten, bevor die Lade nicht durch das Wasser gegangen ist. Das ist ein Bild einer für uns heute wesentlichen Heilswahrheit: Christus musste zuerst diesen Tod erleiden, bevor dem Menschen die Gnade Gottes in Christus gepredigt werden konnte. So ruft Johannes zur Buße auf – er kann noch nicht die Gnade verkündigen, solange Christus nicht gekommen ist und sein Werk vollbracht hat.

Übrigens: Johannes stand mit seiner Predigt nicht alleine, denn auch Jesus selbst predigte später exakt dasselbe: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen“ (Kapitel 4,17). Wir erkennen, dass der Vorläufer und der König mit demselben geistlichen Ziel tätig waren. Sie stimmten in ihren Predigten inhaltlich überein.

Die Situation der Führer des Volkes Israel

Wir müssen uns an dieser Stelle die Einstellung der Juden, besonders der Führer des Volkes Israel, vergegenwärtigen. Sie waren von sich selbst überzeugt – das haben wir schon in Kapitel 2 gesehen. Sie waren der Meinung, dass sie als Volk einen Anspruch auf die Herrschaft inmitten der Völker hatten. Sie glaubten sich auf dem richtigen Weg. Es war ja auch seit geraumer Zeit kein Prophet mehr in Israel tätig gewesen, der den Zustand des Volkes angeprangert hätte. 400 stumme Jahre lagen hinter ihnen. Aber sie verstanden nicht, dass die Ursache dafür nicht der vermeintlich gute Zustand des Volkes war. Es war ein Schweigen Gottes angesichts der unbeugsamen Gesinnung der Führer des Volkes und des Volkes im Allgemeinen. Dennoch waren die Vornehmen des Volkes in ihrem Hochmut von ihrem guten geistlichen Zustand sehr überzeugt.

Genau in diese Situation kam Johannes der Täufer und predigte, dass es nur einen Weg gab, Gott zu gefallen. Er konnte sein Königreich nicht unabhängig von ihrem Zustand einführen: Sie mussten Buße tun, sich ändern, über den eigenen Zustand trauern. Das muss wie ein Hammerschlag in den Gewissen der Hohenpriester und Schriftgelehrten geschallt haben! Sie, die meinten, auf dem einzig richtigen Weg zu sein, mussten auf einmal hören: „Ihr müsst umkehren, innerlich und äußerlich. Nicht nur die Heiden müssen sich bekehren – auch, ja gerade die Juden! Ja, auch Ihr hochgestellten Pharisäer und Sadduzäer!“ Bislang waren sie daran gewöhnt, den Heiden Buße aufzuerlegen. Jetzt wurde sie ihnen selbst vorgestellt. Und dann brachte Gott ihnen diese Botschaft noch nicht einmal nach Jerusalem, sondern verbreitete sie in den Wüstengebieten Judäas. Das war schon eine Missachtung, die es in sich hatte!

Dennoch: Durch den Vorläufer lud der Herr Jesus jeden Juden und auch jeden Pharisäer ein in sein Königreich. Allerdings mussten die Juden akzeptieren, dass auch jeder Heide einen Platz in dem Königreich hat, wenn er bereit ist, sich zu bekehren.

Buße tun

Noch ein Wort zu dem Aufruf, Buße zu tun. Diese Botschaft hat sich bis heute nicht geändert. Wie wir aus Apostelgeschichte 17,30.31 entnehmen können, wird auch in unsrer Zeit verkündigt: „Nachdem nun Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen hat, gebietet er jetzt den Menschen, dass sie alle überall Buße tun sollen, weil er einen Tag festgesetzt hat, an dem er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und er hat allen den Beweis davon gegeben, indem er ihn aus den Toten auferweckt hat.“ Auch jetzt noch ist diese innere Beugung und Sinnesänderung notwendig, um dem Gericht des Sohnes des Menschen am Ende der Tage entfliehen zu können.

Es ist auffallend, dass im Johannesevangelium das Wort „Buße“ kein einziges Mal vorkommt. Dabei ist es das Buch, das geschrieben wurde, „damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20,31). Auch in den Briefen des Johannes finden wir „Buße“ nicht erwähnt. Das gilt sogar (fast) für den Römerbrief, in dem wir ja das Evangelium Gottes in umfassender Weise vorgestellt bekommen. Dort wird das Wort „Buße“ nur ein einziges Mal in Kapitel 2,4 erwähnt. Dort betrifft es keinen Aufruf, Buße zu tun. Der Apostel spricht an dieser Stelle vielmehr von einer Wirkung der Güte Gottes.

Buße und Glaube gehören zusammen

Heißt das nun, dass wir heute keine „Buße“ oder Sinnesänderung mehr nötig hätten? Natürlich nicht! Aber es verdeutlicht, dass diese Sinnesänderung und der Glaube an den Herrn Jesus Christus beides unabdingbare Voraussetzungen für eine Umkehr zum Herrn Jesus sind. Beides gehört zusammen.

Wenn dem Gefängnisleiter in Philippi (Apg 16) gesagt wird: „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus“, dann hat Paulus vorher sicher auch von Buße gesprochen. Er will diesem Mann nicht sagen: Glaube ist ohne innere Umkehr möglich. Der Glaube an diese herrliche Person Christi ist es, der uns heute rettet. Und wer im Glauben vor Christus steht, kann nicht anders, als sein bisheriges Leben zu verurteilen. Glaube schließt die Buße somit ein.

Das Evangelium des Königreichs – das Evangelium der Gnade

Johannes predigte in der Wüste das Evangelium des Königreichs, was die Buße betonte. Diese Predigt war daher beschränkter, als es die gute Botschaft heute ist. Man muss also das Evangelium des Königreichs (vgl. Mt 4,23; 9,35) und das der Gnade (Apg 20,24) unterscheiden. Sie widersprechen sich nicht, aber der Inhalt des Evangeliums der Gnade Gottes, der guten Botschaft des Christus, geht deutlich über das des Königreichs hinaus. Damals wurde die Buße gepredigt, letztlich auch die Annahme des Messias. Die gute Botschaft bestand darin, dass das im Alten Testament angekündigte Königreich im Begriff stand zu beginnen, denn der König war gekommen.

Das Evangelium der Gnade bezieht sich demgegenüber auf die Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi (2. Kor 4,6). Das ist weit mehr. Es setzt voraus, dass Christus gestorben, auferstanden und verherrlicht ist. Zudem beinhaltet es auch, dass der Geist Gottes vom Vater und vom Herrn Jesus auf diese Erde gesandt worden ist. Er wohnt jetzt im Gläubigen und in der Versammlung Gottes. Die gute Botschaft der Gnade schließt als Frucht einer durch Christus vollbrachten Sühnung zudem die Vergebung der Sünden mit ein.

Verse 3.4: Der angekündigte Vorläufer

„Denn dieser ist der, von dem durch Jesaja, den Propheten, geredet ist, der spricht: ‚Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn, macht gerade seine Pfade.‘ Er aber, Johannes, hatte seine Kleidung aus Kamelhaar und einen ledernen Gürtel um seine Lenden; seine Nahrung aber war Heuschrecken und wilder Honig“ (Vers 3.4).

Dieser dritte Vers zeigt uns die Autorität, mit der Johannes der Täufer auftreten konnte. Aber es war keine Autorität, die er in sich selbst besessen hätte. Gottes Wort hatte von dem Vorläufer des Königs gezeugt, und zwar an mehreren Stellen. Hier in Matthäus 3 wird Jesaja 40 zitiert, wo es wörtlich heißt: „Stimme eines Rufenden: In der Wüste bahnt den Weg des Herrn; ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!“

Matthäus lässt im Unterschied zu Lukas die Folgeworte aus: „Jedes Tal soll erhöht und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden; und das Höckerige soll zur Ebene werden und das Hügelige zur Talebene! Und die Herrlichkeit des Herrn wird sich offenbaren, und alles Fleisch miteinander wird sie sehen; denn der Mund des Herrn hat geredet“ (Jes 40,3-5). Denn Matthäus geht es nicht um die Auswirkungen des Handelns von Johannes. Er beschränkt sich auf den Ruf zur Umkehr durch den Vorläufer. Und diese war nötig, sollte das Volk Israel Segen bekommen können. Lukas dagegen zeigt das Ergebnis des Dienstes des Johannes: Sie würden das Heil Gottes sehen. Lukas, der Evangelist der Freude, spricht von der Fülle der göttlichen Gnade. Matthäus hat ein anderes Thema. Er legt den Schwerpunkt auf das Gericht.

Im Unterschied zu Markus und Lukas lesen wir bei Matthäus auch nicht, dass Johannes die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt hätte. Denn Matthäus geht es darum zu zeigen, dass das Volk Israel umkehren musste. In ihrem schlechten Zustand waren sie nicht würdig, ihren König in Empfang zu nehmen. Sie mussten umkehren! Das ist die „unbequeme“ Botschaft, die der Heilige Geist durch Matthäus zeigen möchte.

Die Art des Zitierens ist in diesem Vers auffallend. Denn Matthäus sagt nicht, dass die Verse aus Jesaja 40 mit diesen Worten und dieser Szene in Erfüllung gehen. Sie zeigen vielmehr, auf welchem Weg sich der Herr seinem Volk in der Zukunft zuwenden wird, um es in den Segen des Friedensreiches einzuführen. Zuvor ist es aber nötig, dass das Volk Buße tut, seine Sünden bekennt und auf gebahnten Wegen zu Gott zurückfindet.

Matthäus spricht von einem Rufenden, der seine Stimme hören lässt. Von ihm – Johannes dem Täufer – hatte Jesaja gesprochen. Das steht in Übereinstimmung mit Matthäus 11,14, wo Johannes vom Herrn Jesus ausdrücklich „Elia“ genannt wird. Es geht dem Herrn dort nicht um die Person Elias, sondern um seinen Charakter. Zur Zeit Jesu wirkte Johannes der Täufer. Als Vorläufer des Herrn zur Aufrichtung des Königreichs Christi auf dieser Erde sollte und wird nach Maleachi 3,23 Elia kommen. Beide Male geht es nicht um die Persönlichkeit Elias, sondern um den Charakter seines Auftretens.1 Der Charakter und die Predigt von Johannes dem Täufer entsprachen dem Geist Elias. Das heißt, dass Johannes wie Elia dem Volk Israel die Notwendigkeit von Buße und Umkehr gepredigt hat. Zugleich haben beide das Gericht für diejenigen angekündigt, die sich Gottes Wort widersetzen. In diesem Sinn bezieht sich Jesaja 40 auf Johannes. Allerdings wird dem Volk kein Prophet vorhergesagt, der in der Art und Weise Elias Wunder vollbringt. Seine Arbeit und seine Wirkung sollte moralischer Natur sein.2

Die Aufgabe des Vorläufers

Früher war es zuweilen nötig, dass ein Vorläufer Steine aus dem Weg räumte und Wege begradigte, damit der König ohne Stolpern oder mit freier Fahrt seinen Weg ziehen konnte. Dieses Bild wird hier aufgegriffen, allerdings in moralischer Hinsicht. Der Vorläufer des Christus musste die Steine falscher Gesinnung, die krummen Wege von Sünden anprangern und aus dem Weg räumen. Das war nötig, damit der Messias in der rechten Weise empfangen werden konnte. Dazu musste Johannes laut rufen. Er war nur die Stimme eines Größeren. Er sah sich selbst nicht als etwas Größeres an (vgl. Joh 1,23), sondern war damit zufrieden, nur die Stimme und nicht einmal der Mund des Herrn zu sein.

Johannes wollte und sollte das Volk auf den König vorbereiten. Dieser Aufgabe widmete er sich mit Hingabe, selbst wenn es in der einsamen Wüste sein sollte. Das Volk musste lernen, dass sich nicht nur die Heiden ändern mussten. Auch sie selbst werden vom Täufer aufgefordert, ihre Sünden zu bekennen und umzukehren – die Steine in ihrem Herzen und Leben wegzuräumen.

Die Kleidung des Johannes

Matthäus berichtet dann vom äußeren Erscheinungsbild des Johannes. Diese Beschreibung scheint auch symbolischen Charakter zu haben. Seine Kleidung spricht von Selbstverleugnung, von Demut und niedriger Gesinnung. Sie ist aber auch ein Hinweis auf Weihe für Gott und Absonderung vom sündigen Volk. Das Kamel war das Lasttier im Orient. Trug nicht Johannes der Täufer die Last des traurigen Zustands in Israel auf seiner Seele? Dabei war die Kleidung des Johannes „echt“ und nicht das Gewand eines Lügenpropheten, wie man es im Propheten Sacharja findet (Sach 13,4). Man kann demütig nach außen erscheinen, aber in Wirklichkeit innerlich von Gott weit entfernt sein. Das war bei diesem Mann nicht der Fall.

Der um die Lenden gebundene Ledergürtel spricht von großer Dienstbereitschaft. Ein Gürtel hält das Gewand zusammen, so dass man besser Dienstarbeit tun kann. Er erinnert uns daran, dass Johannes ständig im Dienst für Gott war, um das Herz des Volkes zu erreichen. Doch jetzt ging es nicht mehr darum wie bei Mose, dem Volk das Gesetz zu lehren. Johannes hatte auch nicht wie Elia die Aufgabe, das Volk zum Gesetz zurückzuführen. Ziel des Dienstes des Johannes war, das Volk im Blick auf seinen schlechten, sündigen Zustand einsichtig zu machen. Es sollte Buße tun.

Johannes aß Heuschrecken – sie sind nach 3. Mose 11,22 reine Tiere. Diese Nahrung passte gut zur Wüste, wo er sich aufhielt. Denn Heuschreckenplagen werden im Alten Testament oft mit Dürreperioden und Hungersnot verbunden. Oft kamen sie gerade in solchen Zeiten in Schwärmen über das Land, als das Volk Gott ungehorsam war. Geistlich gesehen befand sich das Volk Israel auch jetzt in einem wüsten und dürren Zustand. Der Prophet machte sich damit eins, indem er sich in der Wüste aufhielt und diese Heuschrecken aß.

Zudem wissen wir, dass Heuschrecken Nahrungsmittel von armen Leuten waren. Das offenbart noch einmal die Demut und den Verzicht auf Bequemlichkeit dieses Propheten. Er hätte – menschlich gesprochen – als bekannter und angesehener Prophet sicher ein luxuriöses Leben in der Stadt führen können. Aber Johannes hatte nicht den Auftrag bekommen, an Orten zu wirken, wo Menschen versammelt waren. So aß er wilden Honig aus der Natur, getrennt von den Menschenmassen, einsam vor seinem Gott. Dessen Wort war ihm süß (vgl. Ps 119,103).

Verse 5.6: Das Wirken Johannes' des Täufers

„Da ging zu ihm hinaus Jerusalem und ganz Judäa und die ganze Umgebung des Jordan; und sie wurden von ihm im Jordan getauft, indem sie ihre Sünden bekannten“ (Verse 5.6).

Die Wirkung der Predigt des Johannes ist beeindruckend. Obwohl er sich nicht unter die Menschen in Jerusalem mischte, wirkte seine Predigt in tiefgreifender Weise. Menschen kamen zu ihm, um sich taufen zu lassen, und das in die Wüste. Sie erkannten, dass hier jemand in der Kraft Gottes sprach. Nicht, weil er Gott gewesen wäre, sondern weil Gott durch seinen Knecht zum Volk redete. Die souveräne Macht des Heiligen Geistes bewirkte diese große Zuhörerschaft und Resonanz. Sein Dienst wurde zunächst vermutlich von der direkten Umgebung wahrgenommen. Doch das sprach sich natürlich dann schnell herum. Viele kamen, sogar von Jerusalem, das mehr als 40 Kilometer entfernt liegt. Selbst aus ganz Judäa strömten die Menschen zum Täufer. Sein Dienst muss außerordentlich mächtig gewesen sein. So ist es immer, wenn Gott durch seine Werkzeuge sprechen kann, ohne dass menschliche Gedanken beigemischt werden.

Und doch war sein Dienst nicht großartig, sondern von Schlichtheit geprägt: Er hielt keine großen Reden, welche die Menschen beeindrucken sollten. Auch schmeichelte er seinem Auditorium nicht. Nein, er predigte die Buße und taufte jeden, der seine Sünden bekannte. Johannes ging davon aus, dass die Menschen in Aufrichtigkeit zu ihm kamen. So taufte er sie.

Es ist nicht leicht zu erklären, wie die Handlung der Taufe entstanden ist. Manche meinen, dass die sogenannte Proselytentaufe bereits im 1. Jahrhundert vor Christus existiert hat. Zwar findet man bei Josephus3 keinen Hinweis darauf, wohl aber in den Schulen der bedeutenden Schriftgelehrten Hillel und Schammai. Deren Schüler haben diese Aufzeichnungen zusammengetragen. Es hat den Anschein, als sei diese Taufe des Übertritts eines Heiden zum jüdischen Glauben durch die rituelle Reinigungshandlung der Taufe institutionalisiert worden. In Matthäus 23 lesen wir, dass der Herr diese Taufart als bekannt voraussetzt.

Wenn das wahr ist, mussten viele Juden die Handlung Johannes des Täufers wie einen direkten Affront begreifen. Bislang galt diese Taufe aus Sicht der Juden nur für die unreinen Heiden. Sie mussten sich durch die Taufe zeremoniell reinigen, um Teil des Volkes Gottes zu werden. Nur so wurden sie „Juden“. Wenn das aber nun auch für Juden selbst galt, um Gott zu gefallen, dann zeigte Johannes dem Volk unmissverständlich seinen sündigen und unreinen Zustand. Bestätigt wird dieser Gedanke später durch Stephanus in seiner ergreifenden Rede an die Obersten der Juden. Er musste sie anklagen als „Unbeschnittene an Herz und Ohren“. Sie waren nur äußerlich Juden, innerlich stand es schlimm um sie. Ihr geistlicher Zustand war sogar noch schlimmer als derjenige der unbekehrten Heiden. „Denn nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist..., sondern der ist eine Jude, der es innerlich ist, und die Beschneidung ist die des Herzens“ (Röm 2,28.29). Die Heiden gaben nicht vor, Gott zu kennen und Ihm zu dienen. Diese Juden aber behaupteten, den wahren Gottesdienst zu üben. In Wirklichkeit dienten sie sich selbst.

Aber wie gut: Trotz dieser für Juden demütigenden Taufhandlung waren viele bereit, sich diesem Urteil Gottes zu unterstellen. Natürlich wissen wir nicht, wie viel sie wirklich verstanden und eingesehen haben. Sie begriffen jedenfalls, dass sie ihre Sünden bekennen mussten. Wir können sagen, dass auch dieses Wasser des Jordan damals bei Johannes – wie bei der christlichen Taufe – ein Bild des Todes ist. Es war und ist das Urteil Gottes über die Sünde. Wer gesündigt hat, muss sterben. Das erkannten diese bußfertigen Juden im Bilde gesprochen an.

Verse 7–9: Das Urteil über die Pharisäer und Sadduzäer

„Als er aber viele der Pharisäer und Sadduzäer zu seiner Taufe kommen sah, sprach er zu ihnen: Ihr Otternbrut! Wer hat euch gewiesen, dem kommenden Zorn zu entfliehen? Bringt nun der Buße würdige Frucht, und denkt nicht, bei euch selbst zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater; denn ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag“ (Verse 7–9).

Nach einer gewissen Zeit müssen dann auch die Führer des Volkes Israel zu Johannes gekommen sein. Bis dahin war es nur das normale Volk; jetzt kamen auch etliche von den Obersten. Es scheint insofern zunächst bemerkenswert, als Johannes ja eine Taufe zur Buße ausführte. Sie, die Pharisäer und Sadduzäer, brauchten Buße? Es ist wohl kaum anzunehmen, dass sie wirklich meinten, dies nötig zu haben. Nein, wenn wir ihren stolzen Charakter in die Überlegungen mit einbeziehen, ist es wahrscheinlich, dass sie mit anderen Motiven kamen. Wollten sie sich anschauen, was dieser Priester hier tat? Sie hatten gehört, dass es am Jordan zu Massenbewegungen gekommen war. Das wollten sie genauer sehen. Viele von ihnen kamen zwar, aber mit unaufrichtigen Herzen. Wollten sie durch diese Handlung vor den anderen Juden als gut dastehen? Vielleicht wollten sie auch nur einmal da draußen in der Wüste „nach dem Rechten sehen“, wo doch das ganze Volk dorthin ging. Schließlich waren sie der Meinung, sie seien die Hirten und geistlichen Führer des Volkes.

In Bezug auf das Volk der Juden lesen wir kein einziges Mal, dass Johannes jemandem die Taufe verwehrt hätte. Wir lesen, dass er die Heuchelei der Pharisäer und anderer durchaus durchschaute (vgl. Lk 3,7). Daher können wir davon ausgehen, dass das Volk im Allgemeinen aufrichtig zu ihm kam. Denn er konnte die Menschen durchaus richtig beurteilen. Auch in unserem Abschnitt erkennen wir, dass dieser Knecht Gottes ein einsichtsvolles Urteil über die Führer des Volkes hatte.

Vielleicht war es in diesen Tagen modern, zu Johannes zu gehen. Oder die Pharisäer trieb ganz einfach die Neugier an diesen Ort. Denn man sprach sicher viel von Johannes. Wenn Menschenmassen hierhin kamen, wollten auch sie nicht zu kurz kommen und übersehen werden. Die Pharisäer und die Sadduzäer sind die beiden Klassen von Menschen, denen wir im Verlauf des Lebens des Herrn immer wieder begegnen. Eigentlich waren sie einander feindlich gesinnt. Aber wenn es einen gemeinsamen Feind gab, konnten sie sich auch vereinen.

Was Johannes den Pharisäern und Sadduzäern hier sagt und was er tut, war hart für diese Männer. Die „Taufe“ bestand im Alten Testament in erster Linie aus Waschungen (vgl. Heb 9,10), welche die innerliche und äußerliche Reinigung bedeuteten. Genau das macht Johannes jetzt den Pharisäern und Sadduzäern deutlich: Er offenbart schonungslos ihren inneren Zustand und ihre Heuchelei, in der sie zu ihm kamen. Indem er sagt: „Wer hat euch gewiesen, dem kommenden Zorn zu entfliehen“, sagt er ihnen gewissermaßen: „Ich kenne eure selbstgerechte Haltung! Ihr meint doch gar nicht ernsthaft, Buße nötig zu haben! Aber irrt euch nicht, auch ihr müsst euch reinigen lassen. So, wie ihr seid, kann Gott euch nicht annehmen.“ Beachten wir: Hier steht nicht, dass Johannes sie in ihrem Zustand wirklich getauft hat. Aber er hat ein Wort der Ermahnung an sie.

Die Pharisäer und die Sadduzäer

Die Pharisäer – das Wort heißt Abgesonderte – waren Traditionalisten, wie sie im Buche stehen. Unter ihnen gab es verschiedene Lehrschulen, die nebeneinander und gegeneinander arbeiteten. Es gab also nicht nur eine Lehrmeinung bei den Pharisäern. Sie waren diejenigen, die das Gesetz hochhielten und in besonders strenger Weise auslegten. Zugleich wachten sie über die äußere Reinheit der Juden, ja sie herrschten über das Volk. Letztlich sind die orthodoxen Juden heute nichts anderes als die geistigen Nachkommen dieser Pharisäer.

Die Sadduzäer waren in der damaligen Zeit die Liberalen. Sie hatten es durch Zusammenarbeit mit Herodes geschafft, die Hohenpriesterschaft zu stellen. Vermutlich kann der Name Sadduzäer auf Zadok zurückgeführt werden. Aber im Gegensatz zu diesem treuen Mann waren sie untreu. Auf ihrer Seite stand mit Herodes zudem ein Mann, der zu Unrecht König in Israel war. Was hatte ein edomitischer Mann als Nachkomme Esaus auf dem Thron Israels zu suchen? So waren sie letztlich die Politiker der damaligen Zeit. Sie waren Rationalisten, die nur an das glaubten, was man sehen konnte. Sie leugneten die Auferstehung (vgl. Apg 23,8). Dabei waren sie nicht weniger religiös als die Pharisäer. Das zeigt ihre Verbindung mit den Hohenpriestern. Aber sie waren der Meinung, dass sich die Theologie der Politik zu unterstellen hat.

Johannes' Urteil über diese hochgestellten Gruppen

Diese beiden Klassen, die viel von sich selbst, wenig von der jeweils anderen Klasse und noch weniger vom gemeinen Volk hielten, kamen zu Johannes. Dieser lässt das zu, erkennt jedoch ihr Herz und muss ihnen daher vorhalten: „Ihr Otternbrut!“ Allein eine solche Anrede ist schon von äußerster Schärfe. Diese hochgestellten und geehrten Menschen hielten sich für die eigentlichen Nachkommen Abrahams. Auf ihn beriefen sie sich immer wieder. Jetzt wird ihnen jedoch entgegengerufen, dass sie Nachkommen der Schlange – also des Teufels sind. Das muss sie schwer getroffen haben.

Otternbrut! Johannes riss diesen vornehmen Menschen die Maske ab. Er durchschaute sie und ihre Haltung. Man muss unwillkürlich an den Fluch über die Schlange denken: „Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen“ (1. Mo 3,15).

Jesaja spricht über den Zustand des Volkes der Juden unter dem satanischen Einfluss des Antichristen. „Denn eure Hände sind mit Blut befleckt und eure Finger mit Ungerechtigkeit; eure Lippen reden Lüge, eure Zunge spricht Unrecht. Niemand ruft Gerechtigkeit aus, und niemand rechtet in Treue; man vertraut auf Nichtigkeit und redet Falschheit; man ist schwanger mit Mühsal und gebiert Unheil. Schlangeneier brüten sie aus, und sie weben Spinngewebe: Wer von ihren Eiern isst, muss sterben, und wird eines zertreten, so fährt eine Otter heraus“ (Jes 59,3-5).

So steht die Schlange für Satan und seinen Einfluss, hier in Verbindung mit Lügenrede, Falschheit und Unheil. Wir haben bereits gesehen, dass Johannes zwischen ihrem äußeren Kommen in einer gewissen Unterwerfung und dem inneren, unbeugsamen Zustand dieser hochgestellten Leute unterscheiden kann. So, wie sie von sich dachten und nicht bereit waren umzukehren, würde er sie nicht taufen. Denn die Taufe geschieht zwar äußerlich. Doch hat diese äußere Handlung nur dann einen wirklichen Wert, wenn sie der Spiegel dessen ist, was innerlich in dem Getauften vor sich geht. Das gilt damals wie heute.

Bei Johannes handelte es sich um eine Taufe zur Buße. So war wirkliche, innere Umkehr nötig, wenn jemand getauft werden wollte. Nur in einer Haltung der Buße würden die Pharisäer und Sadduzäer dem Gericht Gottes, das über das Volk kommen würde, entfliehen können. Das bedeutet letztlich, dass das Volk der Juden und besonders die Führer des Volkes auf die Gnade Gottes angewiesen waren. Denn sie brauchten Vergebung ihrer Sünden durch Gott. Sie selbst konnten sich nicht „vergeben“. Was für eine Demütigung für diese hochmütigen Menschen: auf die unumschränkte Gnade angewiesen zu sein, um in das Königreich der Himmel aufgenommen werden zu können. Dazu waren sie nicht bereit. Dabei ist es herrlich, Gegenstand der Gnade Gottes zu sein!

Wenn Gott Steine benutzt ...

Johannes weist seine Widersacher darauf hin, dass Buße nicht verborgen bleibt. Sie würde eine angemessene Frucht im Leben eines Menschen zeigen. Es genügte eben nicht, dass man auf natürliche Weise ein Nachkomme von Abraham war. Später einmal sagt der Herr Jesus diesen Menschen, dass nur derjenige wirklich ein Nachkomme Abrahams ist, der auch die entsprechenden Werke vollbringt (Joh 8,39).

Aber damit ist Johannes mit seiner Botschaft noch nicht zu Ende. Er lehnt rundweg ab, dass die vor ihm Stehenden überhaupt den Anspruch besaßen, sich Kinder Abrahams nennen zu können. „Denn ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag.“ Mit anderen Worten: Ihr nennt Euch zwar Kinder Abrahams, aber ihr seid es nicht. Doch Gott wird Abraham Kinder erwecken, und wenn Er es aus diesen Steinen tun muss.

Wofür stehen die Steine hier? Offenbar will Johannes der Täufer damit den Gegensatz zwischen den Nachkommen Israels und Menschen aus den Nationen illustrieren. Denn diese Steine versinnbildlichen die Heiden, die ohne Beziehung zu Gott waren. Sie hatten keinen Anspruch auf die Verheißungen Abrahams; sie waren und lebten in der Finsternis. Aber Gott würde sie erwecken, weil Ihn sein eigenes Volk mit einem unbußfertigen Herzen ablehnte. Das traf ganz besonders auf die Führer des Volkes zu.

Hat der Geist Gottes für diese Erweckung aus Steinen nicht schon ein Beispiel durch die Magier gegeben, die nicht zum Volk Israel gehörten? Aber durch ihre Tat waren sie die wahren Nachkommen Abrahams. Ihrer würde sich Abraham nicht schämen, wohl aber dieser Pharisäer und Sadduzäer. Da die Juden den Herrn verwarfen, würden „die Steine schreien“ (Lk 19,40). Das hatten sie durch die Magier getan, die vor Jesus niederfielen und Ihm huldigten. Gott konnte „Steinen“ Leben geben auf dem so einfachen Grundsatz des Glaubens. Nur solche, die im Glauben leben, sind wirklich Kinder Abrahams (vgl. Röm 4,16; Gal 3,29).

Nebenbei bemerkt: Es gab für die Juden in dieser Situation nur eine Möglichkeit, wirklich Frucht zu bringen. Es ging nicht um große Taten oder Worte. Die Frucht war jetzt schlicht davon abhängig, ob das Volk Buße tat und sich taufen ließ. Dadurch erkannten sie nämlich an, dass sie – in ihrem natürlichen Zustand – vor Gott überhaupt nicht in der Lage waren, Frucht zu bringen. Aber durch die Buße nahmen sie das Gerichtsurteil Gottes über ihr Leben an. Sie hatten den Tod verdient, den sie im Bild der Taufe auch auf sich anwandten. Das war die Frucht, die Gott suchte.

Verse 10–12: Die Taufen des Messias

„Schon ist aber die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum nun, der keine gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Ich zwar taufe euch mit Wasser zur Buße; der nach mir Kommende aber ist stärker als ich, dem die Sandalen zu tragen ich nicht wert bin; er wird euch mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen; dessen Worfschaufel in seiner Hand ist, und er wird seine Tenne durch und durch reinigen und seinen Weizen in die Scheune sammeln, die Spreu aber wird er verbrennen mit unauslöschlichem Feuer“ (Verse 10–12).

Nun stellt Johannes den religiösen Führern eine direkte Gerichtsbotschaft vor. Das hatte er nicht getan, als das „normale“ Volk zu ihm gekommen war. Aber als die Vornehmen des Volkes in so anmaßender Weise vor ihm auftraten, konnte Er nicht schweigen. Er muss ihren Herzenszustand bloßlegen und kündigt zugleich ein vernichtendes Gericht an. Wir wissen, dass sich weder die Pharisäer noch die Sadduzäer diese Ankündigung zu Herzen genommen haben. Sonst hätten sie sich im weiteren Verlauf anders verhalten.

Zunächst greift Johannes der Täufer das Thema „Frucht bringen“ auf. Johannes erklärt nicht, wie ein Sünder gerettet wird oder wie Gott Sünden vergibt. Aber wenn ein Mensch mit Gott verkehren möchte, muss er die Stellung einnehmen, die vor Gott angemessen ist. Das bedeutet, dass er Buße tun und Frucht bringen muss.

Johannes verschärft seine Ansprüche dann und weist darauf hin, dass die Axt des Gerichts bereits an die Wurzel der Bäume gelegt ist. Das ist keine Vorwarnung mehr, denn die Zeit der Geduld Gottes war vorüber. Der Moment göttlichen Handelns war gekommen. Das Gericht stand vor der Tür. Zunächst spricht Johannes noch nicht davon, wer diese Axt in die Hand nehmen würde. Er sagt nur, dass sie schon an die Wurzel der Bäume gelegt sei, nicht an den Baum als solchen, wie man hätte erwarten können. Dadurch wird deutlich, dass es nicht um das äußere Erscheinungsbild (den Baum selbst) geht. Die Wurzel des Bösen ist im Blickfeld.

Das ist deswegen von Bedeutung, weil die Pharisäer und Sadduzäer sich besonders um ihre öffentliche Anerkennung kümmerten. Vor allem waren sie der Meinung, dass sich umliegende Völker, die Heiden dieser Welt, taufen lassen mussten. Es war doch vorhergesagt, dass die Nationen nur durch Israel Segen bekommen sollten. Wenn der Messias kommen würde, um sein Volk zu befreien, dann war das mit Gericht für die anderen Nationen verbunden. Das hatten Jeremia und die Propheten immer wieder betont. So kamen diese selbstbewussten Führer des Volkes zu Johannes. Sie konnten nicht leugnen, dass hier eine Volksbewegung entstanden war. Dazu wollten auch sie gehören. Aber Böses – das war doch nicht bei ihnen vorhanden! Das sollte Johannes lieber bei den Heiden suchen, so ihre Meinung.

Die Wurzel ist entscheidend

Johannes muss sie aber gerade darauf hinweisen, dass das Entscheidende für jeden Menschen – sei er Jude oder Heide – die Wurzel seines Lebens ist. Denn der Zustand der Wurzel hat Auswirkungen auf das gesamte Verhalten. Eine gute Wurzel bringt gute Frucht, eine schlechte Wurzel dagegen schlechte Frucht. Das Leben der Pharisäer nun zeigte, dass die Wurzel nicht gut war. So musste die Axt an der Wurzel des Übels angesetzt werden. Aber noch wurde das Gericht nicht ausgeführt, denn man liest nicht, dass die Axt die Wurzel schon abschlug. Dennoch – ihr Zustand machte das kommende Gericht unausweichlich. Die Axt war an die Wurzeln gelegt und blieb auch dort bis zur Ausführung des Gerichts. Wenn das Gericht vollzogen werden würde, wäre das Ergebnis, dass der Baum ins Feuer geworfen würde: unbrauchbar für Gott, für immer hinweggetan!

Da stellt sich die Frage, ob es nicht auch gute Wurzeln gab. Hier ist von keiner einzigen die Rede. Denn die Wurzel ist beim Menschen nichts anderes als die sündige Natur. Für diese gibt es keine Hoffnung. Für sie gibt es auch nichts, das positiv zu deuten wäre. So blieb kein Ausweg: Die Axt musste an dieser Wurzel handeln.

So hatten die Pharisäer und Sadduzäer – aber letztlich alle – zu lernen, dass es nicht auf das äußere Erscheinungsbild ankommt. Entscheidend ist der innere, wirkliche Zustand des Herzens. Vor den Augen der Menschen kann man vieles verbergen und sich anders geben, als man wirklich ist. Aber der eine König, der König des Himmels und der Erde, durchschaut jeden. Er ist der entscheidende Richter!

Wer ist der Richter?

Im 11. Vers zeigt Johannes dann, wer das Gericht ausführen wird. Er nennt zwar keinen Namen, aber die Verbindung der nächsten Verse macht unmissverständlich klar: Es wird der nach ihm Kommende sein. Der Kommende ist der Messias und damit niemand anderes als Jesus Christus.

Johannes war ein Werkzeug in der Hand Gottes. Er rief das Volk zur Buße auf – deshalb taufte er mit Wasser zur Buße. Denn diese Taufe symbolisierte die Buße. Sein Dienst war aber nur ein vorbereitender Dienst. Wenn die Menschen bereit wären, diese Buße zu tun, dann akzeptierten sie damit das Urteil Gottes über sich: ins Feuer geworfen zu werden, den Tod verdient zu haben. Genau das ist die Bedeutung der Taufe. Und allein das gibt Hoffnung für den Menschen. Nur auf diesem Weg kann er von Gott gesegnet werden.

Aber der nach Johannes Kommende würde nicht einfach zur Buße aufrufen. Er würde die göttliche Einsicht haben zu unterscheiden, wer mit Segen (Taufe mit Heiligem Geist) und wer mit Gericht (Taufe mit Feuer) zu taufen wäre. Johannes wusste, dass er selbst diese Differenzierung nicht treffen konnte. Er besaß zwar Unterscheidungsvermögen. Aber auch er konnte nicht hinter die Fassade, hinter die Stirn des Menschen sehen. Wohl aber Christus.

So ist sich Johannes des Unterschieds zwischen sich und der Würde des Christus bewusst:

Der nach ihm Kommende wäre stärker als er, sagt er zunächst. Wir sollten dabei daran denken, was für einen starken Eindruck die Predigt des Johannes auf das Gewissen der Zuhörer von nah und fern gemacht hat. Die Kraft seiner Predigt war so groß, dass sie sogar von weither kamen, um sich von ihm taufen zu lassen. Und doch war die Kraft des nach ihm Kommenden unvergleichlich höher.

Er wäre nicht einmal wert, Christus die Sandalen zu tragen oder abzunehmen. Kann man sich eine geringere Tat des größten von Frauen Geborenen (vgl. Mt 11,11) vorstellen, als einem anderen die Sandalen abzunehmen? Was für eine Demut besaß er! Johannes ist uns hier ein großes Vorbild. Aber nicht einmal dieses untersten Dienstes fühlte er sich würdig, wenn es um den Herrn Jesus ging. So gering dachte er von sich.

Die zwei Taufen

Johannes stellt nun seiner Taufe zwei Taufen des Herrn Jesus gegenüber. Er selbst vollzog nur eine äußerliche Taufe4. Dabei bedenken wir, dass er nur dann taufte, wenn er den Eindruck hatte, dass die Getauften auch bereit waren, wirklich Buße zu tun. Aber Christus würde nicht einfach nur äußerlich taufen. Seine beiden Taufen haben vor allem eine innere Dimension. Sie symbolisieren etwas, was von gewaltiger Kraft zeugt. Und diese Kraft besaß Er in sich selbst; Johannes konnte nur taufen, ohne selbst ein inneres Werk an den Seelen vollführen zu können.

Christus würde auf zwei verschiedene Weisen taufen: mit Heiligem Geist und mit Feuer. Was ist nun mit diesen beiden Arten der Taufe gemeint? Manche haben aufgrund dieser Zusammenstellung gedacht, dass sich beides auf Apostelgeschichte 2 bezieht: Dort wurden die im Obersaal versammelten Jünger mit dem Heiligen Geist getauft (vgl. Apg 1,5; 2,1-4; siehe ebenfalls Apg 11,16). Dabei setzten sich „Zungen wie von Feuer auf jeden Einzelnen von ihnen“ (Apg 2,3), womit man dann die Feuertaufe erklärt.

Was die Taufe mit Heiligem Geist betrifft, sehen wir in der Apostelgeschichte sicher eine erste Teilerfüllung. Doch Apostelgeschichte 1,5 macht deutlich, dass die Taufe mit Feuer in der Apostelgeschichte nicht gemeint sein kann. Sonst hätte der Herr Jesus die Feuertaufe dort ebenfalls erwähnt. Genau das aber geschieht nicht. Die bewundernswerte Genauigkeit des Wortes Gottes weist uns darauf hin, dass hier nur die Taufe mit dem Heiligen Geist gemeint ist. Die Erscheinung von „Zungen wie von Feuer“, die das Herniederkommen des Heiligen Geistes nach Apostelgeschichte 2 begleitete, hat nichts mit der Feuertaufe zu tun.

Was kann dann aber unter der Taufe mit Feuer verstanden werden? Das Feuer ist in der Schrift immer wieder ein Symbol für Gericht. Das wird in Vers 12 noch einmal sehr deutlich, aber auch zum Beispiel in Matthäus 13,40: „Wie nun das Unkraut zusammengelesen und im Feuer verbrannt wird, so wird es in der Vollendung des Zeitalters sein.“ Besonders das Alte Testament ist voll von Stellen, in denen Feuer als ein Hinweis auf Gericht genannt wird.

Zwei Taufen der Zukunft

Sehr hilfreich ist in diesem Zusammenhang Joel 3: „Und danach wird es geschehen, dass ich meinen Geist ausgießen werde über alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen ... Und sogar über die Knechte und über die Mägde werde ich in jenen Tagen meinen Geist ausgießen. – Und ich werde Wunder geben im Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und Rauchsäulen; die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare. Und es wird geschehen: Jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden; denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Errettung sein, wie der Herr gesprochen hat, und unter den Übriggebliebenen, die der Herr berufen wird“ (Verse 1–5).

In diesem Abschnitt werden die beiden Taufen des Herrn Jesus nebeneinandergestellt:

  • Einerseits eine Taufe mit Heiligem Geist, andererseits eine Taufe mit Feuer;
  • Einerseits Segen, andererseits Gericht.

Genau so wird es am Ende der Zeiten kommen. Dann wird die Versammlung (Gemeinde, Kirche) im Himmel sein (vgl. 1. Thes 4,13-18). Gott wird sich speziell um Israel kümmern und das Volk der Juden durch eine große Drangsal (Mt 24,21) bringen. Das ist die Feuertaufe. Es handelt sich um das Gericht, das über das Volk Israel ausgegossen werden wird. Diejenigen nun, die sich dann in Buße vor Gott beugen und ihre Sünden bekennen, wird Er annehmen. Über sie wird Er den Geist Gottes ausgießen (vgl. Hes 37,7-14).

Es geht in Matthäus 3 also nicht um die Versammlung. Dazu kommen wir erst später in diesem Evangelium. Der Zusammenhang macht klar, dass bei der Taufe mit Heiligem Geist nicht das Ereignis aus Apostelgeschichte 2 gemeint sein kann. So scheint sich dieser Vers tatsächlich auf eine noch zukünftige Zeit zu beziehen, wenn Christus wieder auf diese Erde kommen wird – mit Gericht und Segen. Im Unterschied zu Johannes wird der Herr Jesus das in vollkommener Einsicht und mit absolutem Urteilsvermögen tun, wie Vers 12 deutlich macht. Er wird alle Gottesfürchtigen segnen und alle Eigensinnigen, Hochmütigen und Bösen richten.

Die Taufe mit Heiligem Geist in Apostelgeschichte 2

Wie schon angedeutet bleibt dennoch wahr, dass Apostelgeschichte 2 eine Teilerfüllung dieser Weissagung des Johannes ist. Nicht von ungefähr führt der Herr Jesus sie ja in Apostelgeschichte 1 auch an. Es ist weiter auffallend, dass Petrus in seiner Rede Joel 3 zitiert (Apg 2,16-21), wobei er die Seite des Gerichts unerwähnt lässt. Die „christliche“ Taufe mit Heiligem Geist ist im Übrigen die höhere, die größere, die herrlichere. Durch diese Taufe „sind wir alle in einem Geist zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt worden“ (1. Kor 12,13). Das ist das Geheimnis der Versammlung Gottes, von der wir im Alten Testament nichts niedergelegt finden. Sie ist sozusagen ein ewiger Gedanke Gottes für seinen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus.

So weist dieser elfte Vers eigentlich auf beides, auf das erste und das zweite Kommen Christi hin. Der Schwerpunkt aber wird auf das zweite Kommen in Macht und Herrlichkeit gelegt, ohne aber die Bildung der Versammlung an dieser Stelle auszuschließen. Was für ein Augenblick wird das sein, wenn der Retter von heute als Richter von morgen sein Gericht auf einer Erde ausüben wird! Das ist die Erde, auf der Er vor 2000 Jahren abgelehnt und ans Kreuz genagelt wurde ...

Die Art des Gerichts Christi

Im zwölften Vers führt Johannes die Art des Gerichts Christi noch weiter aus. Jetzt spricht er nicht mehr von der Axt, sondern von der Worfschaufel. Sie stellt im Unterschied zu der Axt, die auf die Wurzel des gesamten Baums gerichtet ist, ein unterscheidendes Gericht an seinem Volk dar. Die Axt trifft das gesamte Volk, gewissermaßen sein Gesamtzeugnis, das gerichtet wird. Die Worfschaufel dagegen unterscheidet zwischen den Gläubigen (Weizen) und der Spreu (den Ungläubigen).

Niemand anderes als Christus selbst ist der Mann, der das Gericht ausüben wird: „Denn der Vater richtet auch niemand, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohn gegeben, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“ (Joh 5,22.23, vgl. Apg 17,31). Die Menschen unterstehen somit dem Gericht des Sohnes des Menschen, der die Worfschaufel in seiner Hand hält. Er wird seine Tenne – sein eigenes Volk Israel und besonders den jüdischen Teil – reinigen. Das wird ein furchtbares Gericht sein: „Und ich werde den dritten Teil ins Feuer bringen, und ich werde sie läutern, wie man das Silber läutert [reinigt], und sie prüfen, wie man das Gold prüft. Es wird meinen Namen anrufen, und ich werde ihm antworten; ich werde sagen: Es ist mein Volk [meine Tenne]“ (Sach 13,9).

Die Juden würden lernen müssen, dass der Kommende nicht einfach ein Mensch ist. Es geht um den Herrn selbst, um Jahwe. Johannes konnte von seiner Tenne, der Tenne des Richters, sprechen. Dieser würde handeln. Er würde der Emmanuel sein, der „Gott mit uns“. Was für ein Segen spricht aus diesen Worten. Aber zugleich ist dieser Name mit großem Ernst verbunden. Der Herr würde in seinem Haus aufräumen, und zwar gründlich!

Der Weizen weist auf die Treuen hin, die Frucht bringen. Er wird in die Scheune gesammelt werden. Die Spreu symbolisiert den Teil des Volkes, der keine Buße getan hat, der Christus ablehnt und kein wahres Leben aus Gott besitzt. Diese Spreu wird verbrannt werden. Johannes benutzt dafür einen starken Ausdruck – mit unauslöschlichem Feuer. Es handelt sich um ein bleibendes, unaufhörliches Gericht.

Ein Neuanfang in der Menschheitsgeschichte

Bleiben wir noch einen Moment bei diesem Vers stehen. Wir haben hier einen besonderen Augenblick in der Geschichte des Menschen im Allgemeinen vor uns. Er betrifft auch das Volk Israel im Besonderen.

Denn vor uns tritt hier gewissermaßen ein Neuanfang. Der Herr Jesus selbst stellt es später wie folgt dar: „Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis auf Johannes“ (Mt 11,13). Johannes stellt uns also das Ende einer Zeitperiode dar, nämlich der Zeit der Propheten und des Gesetzes. Johannes kündigt das Neue – das Königreich der Himmel – bereits an, wie wir in Vers 2 gesehen haben. Doch mehr Gewicht legt er in seiner Rede auf das Gericht (Axt und Feuer). Er macht deutlich, dass die Geschichte des Volkes Gottes zu einem Abschluss kommt, und zwar zu einem Ende im Gericht.

Mit diesem Gericht lassen sich einige bedeutsame Feststellungen treffen:

  1. Es hat sich erwiesen, dass der Mensch nicht in der Lage ist, Gott zu gefallen und das zu tun, was Gott verherrlicht. Damit ist das Verlorensein des Menschen ein für alle Mal erwiesen. Selbst in den besten Umständen – Gott hatte sein Volk umzäunt (vgl. Mt 21,33; Eph 2,14) und ihm alles Nötige gegeben – zeigte sich der Mensch nicht in der Lage, Gott wirklich zu dienen.
  2. Die Zeit ist zu Ende, in welcher der Mensch in seiner Verantwortlichkeit vor Gott geprüft wurde. Er hat sich als unfähig erwiesen, Gottes Ansprüchen gerecht zu werden. Das Kreuz ist letztlich dieser Endpunkt. Von nun an prüft Gott den Menschen nicht mehr, ob er bereit und fähig ist, Gott zu gehorchen. Sein Volk Israel hat bewiesen, dass es in dieser Hinsicht vollkommen unfähig ist.
  3. Diese Feststellung gilt nicht nur für das Volk Israel und die Juden, sondern für jeden Menschen. Denn sein Volk steht sozusagen exemplarisch für die ganze Menschheit, damit deutlich wird, dass der Mensch nicht in der Lage ist, von sich aus Gott zu gefallen.
  4. In Christus hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Der letzte Adam (1. Kor 15,45) ist der Anführer einer ganz neuen Rasse von Menschen. Der zweite Mensch (1. Kor 15,47) bildet die Grundlage für ein himmlisches Menschengeschlecht. Dafür war es allerdings nötig, dass Er das Erlösungswerk für den Menschen vollbrachte. „Jetzt aber ist er einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer“ (Heb 9,26).
  5. Gott prüft jetzt den Menschen nicht mehr darauf, ob er in der Lage ist, seine Forderungen zu erfüllen. Der Mensch hat endgültig bewiesen, dass er den Tod verdient hat. Wenn er zu Gott kommen möchte, ist dies nicht auf Basis eigener (vermeintlicher) Gerechtigkeit möglich. Allein auf der Grundlage des von Christus am Kreuz vollbrachten Werkes kann der Mensch zu Gott kommen. Denn Gott ist in Christus zu uns Menschen gekommen und hat die unüberbrückbare Kluft in seiner Gnade überwunden.

Verse 13- 17: Christus lässt sich im Jordan taufen

Die letzten Verse dieses Kapitels lassen uns nun einen Blick in die geöffneten Himmel tun. Wir finden hier eine wunderbare Offenbarung, wie es sie vorher noch nie auf der Erde gegeben hat. Wir dürfen Teilhaber einer Szene sein, die uns einen kleinen Einblick in die Beziehung des Vaters zu dem Sohn gibt. Es gebührt uns, diesen heiligen Boden mit gereinigten Herzen zu betreten.

Vers 13: Der Messias kommt zu Johannes

„Dann kommt Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, um von ihm getauft zu werden“ (Vers 13).

Dieser Vers leitet eine besondere Wendung in diesem Kapitel ein. Bislang haben wir den Vorläufer gesehen, der in Treue die Botschaft der Buße an das Volk weitergab. Aber Johannes war nur der Vorläufer, der für und auf den König vorbereitete. Dieser kommt jetzt persönlich in die Mitte des Volkes. Die Frage kommt auf: Wie wird Er kommen?

Erneut sind wir beeindruckt: Er kam bei seiner Geburt in keinem Palast zur Welt. Er wählte für sich keine ehrwürdige Familie aus. Genauso wenig tritt Er bei seinem ersten öffentlichen Erscheinen in großem Prunk auf. Im Gegenteil. Wie die vielen anderen Juden kommt auch Er in die Wüste zu Johannes. Er begibt sich an die Stelle, wo sich das bußfertige Volk befindet. Er bekennt sich damit zu denen, die sich als Sünder anerkennen. Nicht die sind seine Herrlichen, die so groß und vornehm taten wie die Pharisäer, sondern diese: „Du hast zu den Heiligen gesagt, die auf der Erde sind, und zu den Herrlichen: An ihnen ist all mein Gefallen“ (Ps 16,3). Damit bestätigt der Herr auf eindrucksvolle Weise das, was Er in Lukas 15,7 sagt: „Ebenso wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über 99 Gerechte, welche die Buße nicht nötig haben.“ Diese Bußfertigen waren seine Herrlichen. Zu ihnen wollte Er sich gesellen.

Christus in Niedrigkeit

Auch an dieser Stelle in Matthäus 3 merken wir wieder, wie Jesus die Geschichte des Volkes Israel von vorne beginnt. Er war schon in Ägypten gewesen. Jetzt geht Er in die Wüste – dort, wo das Volk auf der Reise nach Kanaan 40 Jahre lang nahezu ununterbrochen versagt hatte. Und Christus? Seine Vollkommenheit in Liebe und Wahrheit strahlt erneut hervor.

Wir müssen bedenken: Johannes hatte Jesus in großer Würde, ja in richterlicher Herrlichkeit angekündigt. Man hätte jetzt jemanden erwarten können, ja müssen, der in großer Pracht daherkommt. Aber Er kam eben nicht in dieser majestätischen Form, sondern als Mensch unter Menschen, in vollkommener Demut! In seiner Niedriggesinntheit geht Christus so weit, dass Er sich im Wasser des Jordan taufen lassen will. Wir müssen dabei noch einmal bedenken, was diese Taufe symbolisiert: Das Gericht Gottes über das sündige Tun des Menschen ist der Tod (das Wasser der Taufe). Durch diese Wassertaufe erkennt man dieses berechtigte Urteil Gottes an und bekennt seine Sünden.

Traf das auf Christus zu? Musste Er ein Urteil über sich anerkennen? Hatte Er Sünden zu bekennen? Auf alle diese Fragen müssen wir mit einem deutlichen „Nein“ antworten. Er war von Beginn an, ja von Natur der Unschuldige und Sündlose. Für Ihn gab es kein Urteil und kein Gericht. Er hatte auch in seiner Jugendzeit nichts anderes als den Willen seines Gottes getan. Er tat nicht nur keine Sünde, Er war auch vollkommen ohne Sünde. Warum aber kam Er dann, um sich taufen zu lassen?

Christus identifiziert sich mit den Übriggebliebenen

Christus wollte sein Volk nicht nur durch seine Haltung der Güte trösten. Er wollte auch Anteil nehmen an ihren inneren Seelenübungen, an den Schwierigkeiten, in denen sie waren. Er wollte sich ganz mit ihnen und ihrem Zustand einsmachen, auch wenn es sich natürlich nicht um seinen eigenen Zustand handelte. Er konnte sich nicht mit den Gottlosen in Israel einsmachen, was für einen großen Namen sie auch tragen mochten. Aber mit den Elenden identifizierte Er sich, mit denjenigen, die ihren sündigen Zustand – wenn auch vielleicht nur in geringem Maß – anerkannten.

Er machte sich jetzt eins mit ihnen, damit Er sie später mit den Segnungen seiner Person einsmachen konnte. Das ist eine Belehrung, die wir in den Opfern finden: Als Sündopfer machte sich Christus eins mit unserer Sünde und mit unseren Sünden – das ist das Handauflegen beim Sündopfer. Weil Er dieses Werk vollbracht hat, kann Er uns nun auch mit dem Wohlgeruch seiner Person vereinigen – das ist das Handauflegen beim Brandopfer.

So finden wir hier Christus, der die Sünden seines Volkes gewissermaßen zu den eigenen macht und sie in der Taufe bekennt. An der Taufstelle war das äußerlich so. Am Kreuz würde der Herr Jesus die volle Bedeutung dieser Einsmachung erleben müssen, ja freiwillig auf sich nehmen.

Wenn es auch nicht im umfassendsten Sinn wahr ist, so gab es im Alten Testament mit Daniel und Esra (Daniel 9; Esra 9) auch Glaubensmänner, die sich ähnlich verhielten. Sie waren an dem Zustand und den Sünden des Volkes schuldlos und bekannten diese dennoch anstelle des Volkes. Wohl selten trifft eine solche absolute Schuldlosigkeit auf uns zu. Dennoch dürfen und sollten auch wir uns mit dem Zustand des Volkes Gottes heute einsmachen. Wir werden dann zuerst unsere eigene Schuld als Anteil daran zu bekennen haben. Und dann dürfen wir auch in Fürbitte die Schuld des Volkes vor Gott bekennen.

Hier sehen wir, dass Christus nicht nur für uns auf diese Erde kam. Das kam Er! Aber Er kam auch „mit uns“ – Gott mit uns. Er kam in die Mitte der Sünder, Er nahm unsere Stelle ein. Er stellte sich auf unseren Platz.

Verse 14.15: Christus stellt sich mit Johannes auf eine Stufe

„Johannes aber wehrte ihm und sprach: Ich habe nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen; denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Dann lässt er es ihm zu“ (Verse 14.15).

Auch Johannes kann nicht fassen, dass sich der Herr Jesus von ihm taufen lassen möchte. Er hatte ja diese Taufe nötig – er selbst musste als von Natur sündiger Mensch Buße tun und umkehren, um von Gott angenommen zu werden. Und da kommt der Eine, der keine Umkehr nötig hatte, der nichts zu bekennen hatte, um sich von ihm taufen zu lassen! Durch die Reaktion des Johannes haben wir von Anfang an das Zeugnis der Heiligkeit und Sündlosigkeit Jesu. Hier ist es das des Johannes. Zwei Verse später bezeugt Gott es: der Heilige Geist und der Vater. Christus ist der Einzige, der unbefleckt und vollkommen ist.

Wir müssen bedenken, dass Johannes sofort erkannte, wer da zu ihm kam. Das ist insofern von Bedeutung, als die anderen Juden und insbesondere die Pharisäer und Sadduzäer nicht dazu in der Lage waren. Johannes aber steht auf der Höhe seines Glaubenslebens und erkennt sofort, durch Gott geleitet, wen er vor sich hat. Nach Johannes 1,33 hatte Gott ihm angekündigt, dass der Herr Jesus zu ihm kommen würde.

Vorher hatte er gesagt, dass er nicht wert ist, dem Kommenden die Sandalen zu tragen. Wie wir sehen, war das kein bloßes Lippenbekenntnis. Hier zeigt er, dass ihn genau diese Haltung auszeichnet. So lehnt Johannes es zunächst ab, Christus zu taufen. Aber der Herr Jesus erklärt Johannes in einer zu Herzen gehenden Weise, was Er jetzt tun möchte:

Die Gründe für die Taufe
  1. Lass es jetzt geschehen: Die Handlung des Johannes, den Herrn zu taufen, würde nicht zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt angemessen sein, sondern nur gerade jetzt. Johannes der Täufer sollte „jetzt“ diese Dinge geschehen lassen. Es war nötig, bevor der Messias seinen öffentlichen Dienst beginnen konnte. Gott wollte es so. Und daher wollte es auch der demütige Mensch Jesus.
  2. Es gebührt uns: Hatte Johannes nicht soeben anerkannt, dass er im Vergleich zu Christus vollkommen unwürdig war? Das ist der Anlass für Christus, diesen demütigen Mann mit sich selbst zu verbinden. Er sagt gewissermaßen: „Uns beiden gebührt es, diese Taufe zu vollziehen“. Was für eine Herablassung, dass der Mensch gewordene Ewige hier Johannes auf seine eigene Stufe stellt.
  3. Uns: In gewisser Weise verbindet sich Christus sogar mit allen, die sich vor Ihm haben taufen lassen. Damit haben sie Gott und sein Urteil als gerecht anerkannt. Auch der Herr Jesus ehrt Gott dadurch, dass Er dessen Handeln als gerecht beurteilt. So verbindet Er sich auch dadurch mit seinem Volk.
  4. Alle Gerechtigkeit zu erfüllen: Dass der Retter sich hier taufen ließ, war ein Akt der Gerechtigkeit. Christus musste sich nicht wegen Sünde in seinem Leben taufen lassen – Er war völlig ohne Sünde. Er tat es um der praktischen Gerechtigkeit willen. Dabei geht es hier nicht nur um eine Gerechtigkeit des Gesetzes. Christus wollte alle Gerechtigkeit erfüllen. Es war gerecht, dass sich das sündige Volk unter die Hand Gottes beugte und taufen ließ, indem es seine Sünden bekannte. So sehr identifizierte sich Christus mit dem sündigen Volk, dass auch Er die Taufe an sich geschehen ließ. Noch einmal: Er hatte keine Sünde zu bekennen. Aber Er erfüllte die Gerechtigkeit Gottes, sich als Teil dieses Volkes unter die Hand Gottes zu beugen. So taten es Männer Gottes, die im Gegensatz zu dem Herrn sündig, aber in der konkreten Situation unschuldig waren. Man kann an Daniel, Esra und Nehemia denken. Hier war es die Herablassung des Sohnes Gottes, des Königs Israels, ja seine Liebe, sich hier auf die Ebene seines Volkes zu erniedrigen.
    Es war im Übrigen auch Gerechtigkeit, den wahren Zustand anzuerkennen, der auch für die Besten des Volkes wie Johannes galt. Was war der Zustand? Das Bedürfnis von Sündenvergebung zu haben, die Notwendigkeit, die Sünden zu bekennen. Und das kennzeichnete diejenigen, die sich von Johannes taufen ließen. Das war das Merkmal von Johannes. Und genau das bestätigt der Herr Jesus durch sein Einsmachen mit diesem Überrest.
  5. Erfüllen: In Matthäus 1,21 lesen wir von Christus: „Du sollst seinen Namen Jesus nennen; denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden.“ Wenn der Messias für sein Volk sterben wollte, musste Er sich – allerdings freiwillig – in allem mit diesem sündigen Volk eins machen. Genau das tat Christus, und nur so konnte Er diesen Vers und auch „alle Gerechtigkeit“ erfüllen. Durch die Taufe – sie spricht vom Tod – deutet Jesus an, was das Ende seines Weges sein würde: der Tod für sein Volk. Wenn Er sich schon hier mit seinem bußfertigen Volk einsmachte, würde Er das am Ende des Weges in viel höherem Maß tun. Da würde Er den buchstäblichen Tod am Kreuz von Golgatha auf sich nehmen. Hier schon identifizierte Er sich mit den Bußfertigen und nahm ihren Platz im Gericht Gottes ein, damit sie Gottes Gerechtigkeit in Ihm werden konnten (2. Kor 5,21). So brachte Er ihnen „Gottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesus Christus gegen alle und auf alle, die glauben“ (Röm 3,22). Davon ist diese Szene ein Bild.

Johannes der Täufer tut, was der Herr ihm sagt. Er zeigt prompten Gehorsam und führt diese hehre, einzigartige Aufgabe aus. Er tauft den Einen, den Gerechten, den Reinen, den Sündlosen.

Hier sei daran erinnert, dass der Herr Jesus auch an anderer Stelle etwas an sich vollziehen lässt, um „alle Gerechtigkeit zu erfüllen“. Auch bei diesem weiteren Mal traf der Inhalt dessen, was Er an sich geschehen ließ, nicht auf Ihn zu. Er ließ sich nämlich beschneiden. Aber genauso wenig, wie Christus hätte Buße tun oder Sünden bekennen müssen, wäre die Beschneidung bei Ihm notwendig gewesen. Dennoch ließ Er es zu, am achten Tag beschnitten zu werden nach der Vorschrift des Alten Testaments (vgl. Lk 2,21-24; 1. Mo 17,12).

Die Beschneidung ist das Wegschneiden eines Stückes des Fleisches des Mannes. Obwohl nur ein Stück abgeschnitten wird, symbolisiert dies, dass nicht nur der weggeschnittene Teil des Menschen unbrauchbar ist. Nein, dieser Teil steht stellvertretend für den ganzen Menschen. Alles vom natürlichen Menschen ist für Gott unbrauchbar. Natürlich traf das niemals auf den Vollkommenen, unseren Herrn Jesus Christus zu! Dennoch lässt Er die Beschneidung zu, weil Er sich auch in diesem Punkt mit dem bußfertigen Teil des Volkes einsmachen wollte. Es ist bewegend, seine vollkommene Herablassung anzuschauen. Das ist derjenige, der alles in allem erfüllt!

Verse 16.17: Gott ehrt den Einzigartigen auf einzigartige Weise

„Als Jesus aber getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser herauf; und siehe, die Himmel wurden ihm aufgetan, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herniederfahren und auf ihn kommen. Und siehe, eine Stimme ergeht aus den Himmeln, die spricht: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Verse 16.17).

Bisher hatte der Herr Jesus alles bestimmt. Er war der Handelnde gewesen und hatte die Verantwortung für seine Taufe übernommen. Eigentlich liegt das bei dem, der tauft, denn sich selbst kann man nicht taufen.

Auch jetzt hat der Herr das weitere Geschehen in seiner Hand: Er steigt sogleich aus dem Wasser herauf.5 Christus stand eben nicht unter dem Gerichtsurteil Gottes, und darin ist Er der Einzige! Weil Er aber dennoch bereit war, sich diesem Akt der Gerechtigkeit zu unterziehen, gab es eine prompte Antwort Gottes.

Die Reaktion Gottes auf die Erniedrigung Christi

Wir finden keine Beschreibung der Taufe Jesu selbst. Aber wir finden den ausführlichen Bericht darüber, wie Gott auf diese demütige Haltung seines Sohnes reagierte. Dasselbe gilt übrigens für das Werk des Herrn. Sein Tod wird genannt, aber nicht beschrieben. Seine Zeit im Grab wird uns mitgeteilt, aber nicht ausführlich.

Der Herr Jesus hat sich auf die Stufe der bußfertigen Übriggebliebenen gestellt. Er hat sich mit Johannes dem Täufer einsgemacht. Und dennoch bleibt absolut wahr: Er steht nicht auf derselben Stufe. Das macht sein himmlischer Vater sofort deutlich.6 Er begegnet damit sofort möglichen Missverständnissen der Menschen, die hätten meinen können, dass Jesus dieses Taufbekenntnis nötig gehabt hätte. Nein – hier ließ sich der einzigartige Sohn taufen, der das Wohlgefallen des Vaters besaß und hoch über jeden Menschen erhaben ist!

Was lesen wir dann im Einzelnen:

  • Die Himmel wurden Ihm aufgetan. Hat es das schon einmal gegeben, dass sich die Himmel einem Menschen hier auf der Erde „auftaten“? Ja, in gewisser Weise gab es das schon einmal. In Hesekiel 1,1 lesen wir, dass sich die Himmel öffneten, um Hesekiel eine prophetische Vision zu zeigen. Tatsächlich ging es auch damals wie hier in Matthäus 3 um die Herrlichkeit Gottes. Aber es war nur eine Vision. Und sie hatte Gericht für das Volk Israel zum Inhalt.
    In Matthäus 3 dagegen geht es nicht um eine Vision. Hier tun sich die Himmel auf, um die Herrlichkeit eines Menschen in seiner Person und in seiner Beziehung zum Vater zu offenbaren.
  • Und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herniederfahren und auf Ihn kommen. Hat es das schon einmal gegeben, dass der Geist Gottes auf einen Menschen herniedergefahren ist? Ja, in gewisser Weise gab es das mehrfach im Alten Testament. Man kann an 4. Mose 11,25 denken, als der Geist Gottes auf die 70 Ältesten im Lager kam. Oder als Er auf (über) Bileam kam, oder auf gottesfürchtige Männer in Israel (vgl. z. B. 4. Mo 24,2; 1. Chr 12,19; 2. Chr 15,1).
    Aber an keiner Stelle war es so, dass der Geist Gottes in Person auf einen Menschen kam und auf ihm blieb. Hier bei Christus finden wir dagegen, dass der Geist Gottes als Person auf Ihn kam, und zwar, um dort zu bleiben. Das war die „Salbung“ (mit Heiligem Geist), wie es im Alten Testament bei einem König (und auch bei Propheten und Priestern) geschah. Nicht, dass Christus hier schon gekrönt worden wäre. Das wird erst in der Zukunft geschehen. Aber im Bild wird Er hier schon gesalbt – wie auch David lange vor Antritt seines Königtums gesalbt wurde.

So begann der Herr Jesus von nun an in der Öffentlichkeit seinen Dienst in der Kraft des Heiligen Geistes.

  • Und siehe, eine Stimme ergeht aus den Himmeln. Hat es das schon einmal gegeben, dass eine Stimme aus den Himmeln erging? Ja, in gewisser Weise hatte Gott mit Mose gesprochen. Sogar öffentlich bekannte Er sich zu Mose, als Aaron und Mirjam gegen diesen aufstanden. Auch zu anderen Menschen sprach Gott aus dem Himmel.

Aber Gott bezeichnete keinen einzigen dieser Menschen als „geliebter Sohn“. Nur zu diesem Einen gab und gibt es diese einzigartige Beziehung.

  • Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe. Hat es das schon einmal gegeben, dass Gott jemand auf der Erde seinen Sohn nannte? Ja, in gewisser Weise hatte Gott das Volk Israel als seinen Sohn bezeichnet. Man denke beispielsweise an Hosea 11,1. Auch hatte Gott schon öfter seine Freude im Blick auf gute Werke von Menschen Gottes im Alten Testament ausgedrückt.
    Aber es gibt nur einen geliebten Sohn. Und es gibt nur Einen, von dem der Vater in dieser absoluten Weise sagen kann, dass Er Wohlgefallen an Ihm gefunden hat. Es gibt nur den Einen, der sich – ewiger Gott seiend – so sehr zu uns Menschen erniedrigte, dass Er sogar unsere Stelle im Gericht Gottes einnahm. Da kann Gott, der Vater, nicht schweigen! Seinem Sohn gegenüber macht Er seine ganze Liebe und sein ganzes Wohlgefallen deutlich. Und das tut Er hier sogar öffentlich.

Angesichts dieser erhabenen Szene weist Matthäus, vom Geist Gottes gewissermaßen aufgefordert, wie mit einem betonenden Zeigefinger auf das Geschehen hin. Er sagt: „Siehe“! Es war Gott derart bedeutsam, dass Er die Besonderheit dieses Ereignisses besonders unterstreicht.

Geöffnete Himmel über Christus

Geöffnete Himmel finden wir im Neuen Testament mehrfach in Verbindung mit dem Herrn Jesus:

  1. Hier in Matthäus 3,16 öffneten sich die Himmel, weil Christus sich mit den bußfertigen Übriggebliebenen der Juden einsmachte und tief erniedrigte. Der Vater konnte da nicht schweigen. Als sich der Sohn so mit den Juden identifizierte, machte Gott sofort deutlich, dass ein himmelweiter Unterschied zwischen diesen und Christus, seinem geliebten Sohn, besteht. Er – und Er allein! – besitzt das vollkommene Wohlgefallen des Vaters.
  2. In Apostelgeschichte 7,56 öffneten sich die Himmel über Stephanus, damit er den verherrlichten Sohn des Menschen im Himmel sehen konnte. Dieser Blick in den Himmel auf den Herrn Jesus sollte zu seiner Ermutigung dienen. Christus hingegen brauchte nie einen Gegenstand im Himmel zur Ermutigung. Die Himmel öffneten sich Ihm selbst.7 Ähnlich wie bei Stephanus dürfen wir es heute erleben: Durch die geöffneten Himmel sehen wir geistlicherweise Christus, wie Er jetzt in der Herrlichkeit ist, um auch dort für uns tätig zu sein.
  3. In Apostelgeschichte 10,11 und Offenbarung 4,1 finden wir die geöffneten Himmel in Verbindung mit der Versammlung. Petrus brauchte das Wunder geöffneter Himmel, um zu lernen, dass sich Christus in der Versammlung mit Gläubigen aus den Juden und Heiden verbindet. Aus der zweiten genannten Stelle sehen wir, dass Christus kommt – gewissermaßen durch geöffnete Himmel. Er wird seine Braut, die Versammlung (Gemeinde, Kirche) Gottes zu sich in den Himmel entrücken. Zwar ist davon nicht direkt die Rede. Aber aus dem prophetischen Zusammenhang von Offenbarung 3 und 4 können wir die Entrückung der Gläubigen im Bild der geöffneten Tür im Himmel erkennen.
  4. In Offenbarung 19,11 öffnen sich die Himmel und der Sohn des Menschen kommt wieder auf die Erde zurück. Dann kommt Er nicht mehr in Demut und Niedrigkeit, sondern als der Herr der Herren und König der Könige. Mit seinem Kommen beginnt seine Regierung, durch die Er sich alles unterwerfen wird.
  5. In Johannes 1,51 schließlich lesen wir, dass im 1000-jährigen Reich die Himmel geöffnet sein werden über dem Sohn des Menschen. Das erste Mal seit dem Sündenfall wird es eine (bleibende) Gemeinschaft zwischen Himmel und Erde geben. Das beständige Wohlgefallen des Himmels wird auf der Erde ruhen, weil Christus endlich Herrscher sein wird.

Schauen wir uns die fünf Punkte noch einmal genauer an! Dann stellen wir fest, dass die geöffneten Himmel im neuen Testament immer mit dem Herrn Jesus zu tun haben. Er ist der Grund dafür, dass der Himmel nicht verschlossen bleiben kann.

Und auch nur Er ist hier in der Stelle in Matthäus 3 der Grund für den geöffneten Himmel. Niemand anderes hätte dies bewirken können, nicht der Mensch und auch nicht das Volk Israel. Das Volk hatte vielleicht erwartet, dass der König bei seinem (ersten) Kommen den ganzen Segen Gottes für sie bringen und sie befreien würde. Aber genau das finden wir nicht, weil dies nicht zu dem damaligen Auftrag des Herrn passte. Da galt es, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Nein, die Himmel öffnen sich über Christus, über Ihm allein, um Ihn zu segnen. Das ist der Ausgangspunkt seines öffentlichen Weges hier auf der Erde.

Christus wird mit Heiligem Geist gesalbt

Auch das Herniederkommen des Geistes Gottes ist ein besonderer Augenblick. Natürlich besaß der Herr Jesus von Beginn seines Lebens an den Heiligen Geist, denn Er war vom Heiligen Geist gezeugt worden. Aber hier haben wir den Menschen Jesus vor uns, der bislang nur im privaten Umfeld aufgetreten war. Bevor Er seinen öffentlichen Dienst beginnt, salbt Gott, der Vater, seinen Sohn sichtbar und in der Öffentlichkeit mit dem Heiligen Geist, damit jeder weiß: Dieser Mensch hat das Siegel Gottes. Er besitzt den Heiligen Geist und wird von diesem Geist Gottes in allem geführt, Er ist von Ihm geprägt. In seinem Auftrag ist Er für Gott tätig.

Diese beiden Seiten finden wir sehr schön im Speisopfer vorgebildet: die Tatsache,

  • dass der Heilige Geist seit der Geburt des Herrn in Ihm wohnte, und
  • dass Gott dennoch als ein öffentliches Zeugnis seinen Sohn mit dem Heiligen Geist salbte.

In 3. Mose 2 ist immer wieder von Öl die Rede. Manchmal wird davon gesprochen, dass das Opfer mit Öl gemengt war (z. B. 3. Mo 2,4). Das erinnert uns daran, dass der Herr Jesus von Beginn seines Lebens an den Heiligen Geist besaß. Er war von Diesem gezeugt worden (Mt 1,20) und völlig von Ihm „durchdrungen“ (gemengt!) war.

Aber manche Opfer wurden auch mit Öl begossen (z. B. 3. Mo 2,1) bzw. gesalbt (3. Mo 2,4). Und dies ist der Gedanke in Matthäus 3. Denn hier haben wir den Menschen Jesus vor uns, den der Vater vor seinem öffentlichen Auftreten sichtbar salbt (vgl. Apg 10,38). Das Öl, das über das Opfer gegossen wurde, war öffentlich sichtbar.

Man kann diese Salbung auch mit der Einweihung und Heiligung der Priester vergleichen. Der Hohepriester wurde mit Öl begossen (2. Mo 29,7), bevor Blut auf ihn gesprengt wurde. Im Gegensatz dazu mussten seine Söhne zuerst mit Blut bestrichen werden (Verse 20.21). Erst dann konnte Öl auf sie gesprengt werden, was dann auch ein zweites Mal auf den Hohenpriester gesprengt wurde.

Für uns ist zuerst das Opfer Jesu nötig. Wir müssen erlöste Menschen sein, damit wir mit dem Geist Gottes versiegelt und gesalbt werden können. Diese Erlösung und das Opfer waren bei Christus nicht nötig. Er ist der Vollkommene, der ohne Blut gesalbt werden konnte, kraft des Wohlgeruchs seiner eigenen, vollkommenen Person.

Der Geist Gottes wie eine Taube

Der Geist Gottes kam in Gestalt einer Taube auf den Herrn Jesus herab. Die Taube kommt das erste Mal in der Bibel bei Noah vor, nachdem die Arche auf dem Gebirge Ararat auf Grund gelaufen war. Noah ließ eine Taube aus der Arche hinaus. Aber sie konnte zunächst keinen Ruheplatz finden (1. Mo 8,9). Beim zweiten Mal hatte sie ein Olivenblatt im Schnabel (Vers 11). Erst beim dritten Mal fand die Taube einen Ort auf der Erde, um zu überleben. Dann kehrte sie nicht mehr zur Arche zurück.

Doch den wahren Ruheort konnte die Taube erst finden, als Christus auf die Erde kam. Bis dahin konnte der Geist Gottes zwar wirken und immer wieder auf Menschen kommen. Einen Ruheplatz aber fand Er allein in dieser Person, die allezeit – auch als Kind und Jugendlicher – nur das Gott Wohlgefällige getan hat.

Darüber hinaus denken wir daran, dass die Taube ein reines Tier war. Daher konnte sie als Opfer verwendet werden. So sticht hier angesichts der Sünde der Menschen und der Bosheit der Führer des irdischen Volkes Gottes die Reinheit des Einen hervor. Er sollte, getrieben durch den Heiligen Geist, das wahre Opfer für Gott am Kreuz von Golgatha stellen. Nur Er war dazu in der Lage.

Schließlich gibt die Taube uns auch einen Hinweis auf den himmlischen Charakter des Herrn. Er war der vom Himmel Gekommene. Er kam aus dem Himmel, um später wieder in den Himmel zu gehen.

Gott kann über seinen geliebten Sohn nicht schweigen

Der Vater kann angesichts dieser Demut Jesu nicht schweigen. Aus dem Himmel ruft Er allen Dabeistehenden zu: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe.“

Wir werden durch diese Worte an zwei Stellen im Alten Testament erinnert. Zunächst an den bereits genannten Vers aus Psalm 2: „Der Herr hat zu mir gesprochen: Du bist mein Sohn“ (Vers 7). Es gab nur den einen Sohn – seinen Sohn. Dieser hatte sich selbst zu nichts gemacht (Phil 2,7). Er hat sich der äußeren Herrlichkeit Gottes entäußert, als Er als Mensch auf diese Erde gekommen ist. Nur so konnte Er von uns Menschen empfangen werden, ohne uns durch seine göttliche Erscheinung sofort zu vernichten. Das heißt nicht, dass Er nicht Gott, der Sohn, blieb. Es war die äußere Herrlichkeit Gottes, die Er ablegte. So war und blieb Er trotz seiner Erniedrigung der Sohn Gottes, „sein eigener Sohn“. Der Vater sah Ihn hier auf der Erde und erfreute sich daran. Das war der Sohn, mit dem Er als Vater eine ewige Beziehung besaß.

Die zweite Stelle ist Jesaja 42,1, wo wir lesen: „Siehe, mein Knecht, den ich stütze, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.“ Dieser Mensch, der sich von Johannes taufen ließ, war niemand anderes als der Auserwählte des Vaters, an dem dieser sein Wohlgefallen gefunden hatte. Der Sohn besaß das Wohlgefallen des Vaters vor Grundlegung der Welt. Und das änderte sich jetzt auch als Mensch auf der Erde nicht. Alles, was Er tat, rief das Wohlgefallen des Vaters hervor, und zwar in solchem Maß, dass der Vater nicht schweigen konnte. Einzigartig stand der Sohn hier vor dem Vater – und das vor den Augen der vielen Menschen, die sich hier zu Gott bekannten.

Der Ausdruck „Auserwählter“ kann sich nur auf den Menschen Jesus Christus beziehen. Denn er zeugt davon, dass es mehrere gibt, unter denen Gott eine Auswahl trifft. Es gibt aber nur einen Sohn Gottes – es gibt keinen zweiten! Daher kann Christus nicht als „Gott, der Sohn“ hier gemeint sein. Menschen dagegen gibt es viele.8

Die erste Offenbarung der Dreieinheit Gottes in der Schrift

In diesen Versen 16 und 17 erleben wir zugleich eine Offenbarung, die es vorher noch nie gegeben hatte! Denn das erste Mal seit der Schöpfung des Menschen finden wir, dass der eine Gott sich in seinen drei Personen offenbart:

  • Der Sohn ist hier auf der Erde und lässt sich in göttlicher Herablassung als Mensch taufen.
  • Der Geist Gottes kommt aus dem Himmel hernieder und bleibt auf Christus.
  • Der Vater lässt seine Stimme erschallen, um sein Wohlgefallen über den Sohn auszudrücken.

Das ist keine Nebensächlichkeit! Noch nie vorher war in dieser Weise die Dreieinheit Gottes offenbart worden. Jetzt war der Zeitpunkt dafür endlich gekommen. Als hätte Gott lange darauf gewartet, benutzt Er die erste Gelegenheit dafür. Beim ersten öffentlichen Auftritt Jesu zeigt Gott uns, was in seinem Herzen ist. Er öffnet sein Herz in Christus uns gegenüber durch den Heiligen Geist.

Ein Bild der christlichen Stellung

Zugleich finden wir – sozusagen vorausblickend – in diesen beiden Versen die gewaltige christliche Stellung vorgeschattet. Der Epheserbrief zeigt uns deutlich, dass Gott uns „in Christus“ sieht. So dürfen wir in der Zeit der Abwesenheit des Herrn hier auf der Erde seine Stellung einnehmen: Das Wohlgefallen Gottes ruht auf uns, und der Heilige Geist wohnt in uns. Dazu müssen wir verstehen, dass der Herr Jesus hier als Mensch gesehen wird. Seine ewige Beziehung als ewiger Sohn zum ewigen Vater wird auf Ihn, den Menschen Jesus, bezogen. Auch als Erlöste werden wir nie mit dem Sohn Gottes verbunden sein. Wir werden vor Ihm als Gott, dem Sohn, niederfallen. Aber Gott verbindet uns seit Golgatha und dem Kommen des Geistes Gottes mit dem verherrlichten Menschen Jesus Christus.

Dabei dürfen wir bedenken, dass seit der Verherrlichung Jesu der Name „Christus“ mehr bedeutet, als dass Er nur „König Israels“ und „Messias“ ist. Er trägt auch diese Herrlichkeiten. Aber Christus ist von hier an der Gesalbte Gottes, und zwar in dem Sinn, dass Er das ganze Wohlgefallen Gottes, seines Vaters, besitzt. Gott hat Ihn „sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht“ (Apg 2,36). Wenn von Gläubigen daher gesagt wird, dass sie „in Christus“ sind, dann ist damit nicht gemeint, dass sie in dem Messias wären. Sie haben jetzt ihren Platz in Ihm und ihre Beziehung zu der Person, welche die ganze Freude des Vaters ausmacht. So dürfen wir unsere christliche Stellung verstehen. Ist das nicht eine unvorstellbar hohe Auszeichnung?

Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus hat uns auserwählt in Ihm vor Grundlegung der Welt. So sind wir seine Auserwählten (Eph 1,4). Christus ist der Sohn – wir sind zuvor bestimmt zur Sohnschaft durch Jesus Christus (Eph 1,5). Als Söhne haben wir diese einzigartige Beziehung zu Ihm: „Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt“ (Gal 4,6). Auch wir sind mit dem Heiligen Geist gesalbt worden: „Der uns aber mit euch befestigt in Christus und uns gesalbt hat, ist Gott, der uns auch versiegelt hat und das Unterpfand des Geistes in unsere Herzen gegeben hat“ (2. Kor 1,21.22).

Geliebte des Vaters

Wenn Gott sagt, dass der Herr Jesus sein geliebter Sohn ist, dürfen wir daran denken, dass der Vater auch uns liebt. Zunächst hat uns der Herr Jesus den Weg zum Vater gezeigt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich“ (Joh 14,6). Dann hat Er uns beim Vater eingeführt: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater“ (Joh 20,17). Und Er hat uns die Liebe des Vaters offenbart: „Denn der Vater selbst hat euch lieb“ (Joh 16,27). „Damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt und sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast“ (Joh 17,23). „Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen“ (Joh 17,26).

Was für ein Wunder der Gnade! Die Liebe, mit der wir geliebt werden, ist dieselbe Liebe, die auch den Sohn liebt! Wir sind jetzt „begnadigt ... in dem Geliebten“ (Eph 1,6).

Christus und der Christ: Gewaltige Unterschiede!

Trotz dieser Gemeinsamkeiten bleibt ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen Christus und uns bestehen. Damit meine ich nicht seine Sündlosigkeit. Diese unterscheidet Ihn grundlegend von uns, die wir in Sünden geboren wurden und selbst als Erlöste immer wieder sündigen. Er dagegen hat keine Sünde getan und kannte Sünde nicht (1. Pet 2,22; 2. Kor 5,21).

Auch das schon zeigt uns den Unterschied: Er erhielt diese Segnung und viele andere aufgrund dessen, was Er ist und getan hat. Wir erhalten alle Segnungen aufgrund seiner Person und seines Handelns: seiner Liebe, seiner Hingabe und seines Opfers. Auf unserer Seite sind Glaube und Bekehrung notwendig. Er hatte diese nicht nötig.

Doch nicht nur unser sündiger Zustand macht den Unterschied aus. Christus wird immer der Eine bleiben, der Eingeborene des Vaters als Sohn Gottes. Wir waren und bleiben Menschen. Er aber war (und ist) der Ewige, Gott, gepriesen in Ewigkeit, Gott und Mensch in einer Person. Aber selbst als Mensch ist Er, und nur Er, der Erstgeborene unter vielen Brüdern. Außerdem bleibt wahr: Wir brauchen grundsätzlich einen Gegenstand vor unseren Augen, nach dem wir uns ausstrecken können. Das ist für uns vor allem der verherrlichte Mensch im Himmel, Christus Jesus, unser Lebensziel. Christus hatte das nicht nötig! Er selbst war hier und bei anderen Gelegenheiten der, auf den man schaute. Seinetwegen öffneten sich die Himmel. Seinetwegen kam der Geist Gottes auf die Erde. Seinetwegen kam die Stimme Gottes, des Vaters, aus dem Himmel. Er selbst und sein Leben sind so einmalig, dass Er aufgrund seiner herrlichen Person ewig im Mittelpunkt stehen wird.

Mit diesem Abschnitt endet der eigentliche Dienst Johannes' des Täufers. Er hat seine Aufgabe erfüllt, das Volk auf den Messias vorzubereiten. Er hat den Messias eingeführt in sein Volk. Jetzt konnte er „abnehmen“, Christus aber „zunehmen“, nämlich, was den Dienst dieser beiden Personen betrifft. Johannes hatte seinen Dienst erfüllt, der des Messias und Sohnes des Menschen nahm nun, was die Öffentlichkeit betrifft, seinen Anfang.

Anhang zu Matthäus 3: Das Königreich der Himmel

Da Johannes in Kapitel 3,2 vom Königreich der Himmel spricht, seien hier kurz ein paar Gedanken zu diesem Begriff geäußert. Wir dürfen nicht übersehen, dass in den Evangelien verschiedene aber ähnliche Ausdrücke gebraucht werden, wenn es um das Reich geht.

Bereits in der Einleitung haben wir den Begriff „Königreich der Himmel“ gestreift. Im Neuen Testament finden wir sowohl das „Königreich Gottes“ als auch das „Königreich der Himmel“. Der zweite Ausdruck wird ausschließlich von Matthäus verwendet. Mit beiden Begriffen wird prinzipiell dasselbe ausgedrückt. Daher gibt es eine Reihe von Versen, in denen Matthäus den Ausdruck „Königreich der Himmel“ und Markus oder Lukas der Begriff „Königreich Gottes“ verwenden (vgl. z. B. Mt 4,17 mit Mk 1,14.15 und Lk 4,43 bzw. Mt 8,11 mit Lk 13,28.29 und 14,15).

Das „Königreich Gottes“, nimmt sowohl auf den äußeren Bereich des Reiches als auch auf den moralischen Inhalt des Königreichs Bezug. Der Ausdruck „Königreich der Himmel“ spricht demgegenüber in erster Linie von der äußeren Form des Reiches, ohne jedoch den moralischen Aspekt auszuschließen.

Das Königreich war zur Zeit, als der Herr Jesus auf der Erde lebte, noch zukünftig. Daher heißt es zum Beispiel hier in Matthäus 3,2: „Das Königreich der Himmel ist nahe gekommen“ – es war in seiner äußeren Form eben noch nicht da. Wenn dagegen allein die moralische Seite betont wird, verwendet auch Matthäus den Ausdruck „Königreich Gottes“: „Das Königreich Gottes (ist) zu euch gekommen“ (Mt 12,28). Gottes Wort ist genau!

In diesem – moralischen – Sinn kann der Ausdruck „Königreich der Himmel“ grundsätzlich durch „Königreich Gottes“ ersetzt werden – nicht aber umgekehrt. Denn während der Begriff „Königreich Gottes“ besonders auf Denjenigen hinweist, der Herrscher in diesem Königreich ist – nämlich Gott, der in der Person des Sohnes Gottes (Psalm 2) das Zepter in der Hand hält und im Unterschied zu Königreichen von Menschen steht, weist der Ausdruck „Königreich der Himmel“ in erster Linie darauf hin, von wo aus dieses Königreich regiert wird: vom Himmel und nicht von der Erde aus. Das heißt nicht, dass das Königreich im Himmel wäre. Wenn Johannes predigte, dass das Reich der Himmel nahe gekommen sei, dann bedeutete dies einfach, dass ausgehend vom Himmel geherrscht werden würde. Die Erde würde bald nicht mehr sich selbst überlassen sein. Ein König, der aus dem Himmel kommen würde und himmlischen Charakters wäre, würde das Zepter übernehmen. Matthäus spricht 32-Mal von dem „Königreich der Himmel“, weil dieser Begriff besonders gut zu dem haushaltsmäßigen, also dispensationalen, epochenmäßigen Charakter des Matthäusevangeliums passt.

Die Juden erwarteten einen mächtigen Herrscher

Das ist insofern von Wichtigkeit, als die Juden, ja selbst Johannes der Täufer, wie Matthäus 11,3 deutlich macht, auf einen Messias warteten, der sein Königreich in Macht hier auf der Erde errichten und auf der Erde seine Herrschaft antreten würde. Der Herr Jesus kannte jedoch im Voraus ihren Unglauben und wusste, dass sie Ihn ablehnen und verwerfen würden. Daher war es unmöglich, dieses Königreich in dieser Form unmittelbar beginnen zu lassen. Außerdem wollte und musste Er zunächst das Erlösungswerk vollbringen.

So beginnt das Königreich der Himmel tatsächlich erst mit der Himmelfahrt des Herrn (und war also damals noch zukünftig). Das wird unter anderem aus den Worten des Herrn an seine Jünger in Matthäus 18,3 deutlich. Der Herr sagt seinen Jüngern, was für eine Gesinnung auch bei ihnen nötig war, um in das Königreich einzugehen. Noch waren sie offenbar nicht in diesem Reich, weil es noch nicht begonnen hatte. Erst mit der Himmelfahrt würde der Herr diese Erde vom Himmel aus regieren. Das heißt nicht, dass jeder seine Herrschaft auch anerkennen würde. Aber diejenigen, die sich zu Christus bekennen, und sei es nur dem Namen nach, gehören diesem Königreich an, wenn es für viele auch nur äußerlich sein mag.

Wichtig ist zu verstehen, dass das Königreich der Himmel oder Gottes nicht gleichbedeutend ist mit der Versammlung (Gemeinde, Kirche) Gottes. Wenngleich es natürlich auch Berührungspunkte gibt – Matthäus 13,45.46 macht das sehr deutlich –, geht es doch um zwei deutlich zu unterscheidende Dinge. Die Versammlung ist die Gesamtheit aller Gläubigen in der Zeit zwischen dem Kommen des Heiligen Geistes und der Entrückung, die das Werk des Herrn Jesus am Kreuz von Golgatha für sich persönlich in Anspruch genommen haben. Das Königreich der Himmel bzw. Gottes dagegen umfasst alle, die sich zu Christus bekennen, seien sie bekehrt oder nicht. Denn man kann sich auch äußerlich zu Ihm bekennen, ohne wahres Leben aus Gott zu besitzen. Mit einem Wort: Zum Reich können auch Ungläubige gehören, nicht jedoch zur Versammlung Gottes. Zudem gelten in diesem Königreich andere Grundsätze als in der Versammlung, was in Matthäus 13 deutlich wird. Dort sollten die Jünger das Reich nicht von dem Bösen reinigen, während wir in der Versammlung das Böse hinaustun müssen (vgl. 1. Kor 5).

Daniel und die regierenden Himmel

Indem Johannes der Täufer von dem Königreich der Himmel spricht, sagt er nichts, was den Juden vollkommen unbekannt war. Denn auch Daniel hatte schon davon gesprochen, dass der Himmel regiert. Der König Nebukadnezar musste lernen: „Dein Königtum wird dir wieder zuteil werden, sobald du erkannt haben wirst, dass die Himmel herrschen“ (Dan 4,23). Schon in Daniel 4,14 heißt es: „Die Lebenden [sollen] erkennen, dass der Höchste über das Königtum der Menschen herrscht und es verleiht, wem er will“. Das war für die Juden zur Zeit Daniels etwas vollkommen Neues. Denn bis dahin hatte Gott durch den König in Jerusalem auf der Erde regieren lassen. Zur Zeit Daniels konnte Gott aber keinen König in Israel mehr anerkennen, und selbst die Zeitrechnung würde sich nicht mehr von den Königen in Jerusalem ableiten. Von jetzt an würde Gott vom Himmel aus regieren.

Bereits in Kapitel 2,44 hatte Gott durch den Propheten Daniel deutlich gemacht, dass in den Tagen des Endes „der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten“ würde, „das in Ewigkeit nicht zerstört und dessen Herrschaft keinem anderen Volk überlassen werden wird“. Nachdem alle Könige in Israel versagt hatten und auch die großen Herrscher der Weltreiche ebenso versagen würden, sollte der Gott des Himmels regieren – nämlich in seinem Königreich.

Auch Kapitel 7 greift diesen Punkt noch einmal auf. Dort wird sogar deutlich, wer dieses Königreich regieren wird: der verherrlichte Sohn des Menschen (Vers 14). Er, der nach Psalm 8 über alle geschaffenen Dinge gesetzt werden sollte, wird – aus dem Himmel herniederkommend (vgl. Joh 1,51 und Apg 7,56) – die ewige Herrschaft über dieses Königreich antreten. Sein Königreich ist nicht auf Israel beschränkt, sondern umfasst die ganze Erde, ist also universal (Dan 7,14.27). Das passt zu den Einleitungsworten unseres Evangeliums, indem der Herr Jesus „Sohn Abrahams“ genannt wird (Mt 1,1).

Wenn also von dem „Königreich der Himmel“ die Rede ist, so ist grundsätzlich dieses Reich gemeint. Dem muss allerdings vorausgehen, dass der Messias von seinem Volk verworfen wird und Er deshalb wieder in den Himmel auffährt. Von dort aus würde Er sein Volk regieren.

Das bedeutet aber zugleich, dass das Königreich der Himmel und das Königreich Gottes bis Matthäus 13 dieselbe Bedeutung haben, wenn auch die Schwerpunkte im Blick auf das Reich unterschiedlich gesetzt werden. Aber bis zur offensichtlichen und für alle deutlichen Verwerfung des Herrn werden beide Ausdrücke parallel verwendet, wie die Vergleichsstellen jeweils deutlich machen.

 

Der König beginnt seinen öffentlichen Dienst (Mt 4)

Im vierten Kapitel lernen wir, dass es noch eine letzte „Bedingung“ gab, die der Herr Jesus vor Beginn seines öffentlichen Dienstes erfüllen musste: Christus musste dem Satan begegnen und ihn überwinden. Denn dieser hatte sich königliche Rechte auf der Erde angemaßt, die ihm nicht zustanden. Jetzt würde sich erweisen, wer wirklich die moralische Autorität und Fähigkeit und Würde besäße, Herrscher auf der Erde sein zu können. Auch Adam und Eva waren in Eden dem Versucher ausgesetzt, erlagen aber seinen Versuchungen. Wir werden sehen, dass der Herr Jesus diesen Versuchungen siegreich widerstand und danach seinen öffentlichen Dienst beginnen konnte.

Verse 1–11: Als Sieger bindet Jesus Satan, den Starken

Jesus war aus Israel nach Ägypten vertrieben worden (Mt 2,13). Dann war Er, aus Ägypten gerufen (2,15.21), wieder in das dem Volk Israel verheißene Land zurückgekehrt. Jetzt wird Er von dem Geist in die Wüste hinaufgeführt. Das erinnert uns an Stationen im Leben des Volkes Israel: Das Volk war auch (durch eine Hungersnot) nach Ägypten vertrieben worden, hatte dort eine Zeit lang zugebracht, war dann wieder aus Ägypten ausgezogen, auf Mose in der Wolke und in dem Meer getauft worden (1. Kor 10,2) und hatte sich dann 40 Jahre in der Wüste aufgehalten. Dort prüfte Gott das Volk – teilweise durch Hunger – ob es Ihm völlig vertrauen und gehorchen würde. Denn es hatte eine sehr bevorrechtigte Stellung vor Gott gegenüber allen anderen Völkern. Ausdrücklich heißt es: „Dort gab er [der Herr] ihm Satzung und Recht, und dort prüfte er es“ (2. Mo 15,25; vgl. auch 2. Mo 16,4; 5. Mo 8,2). Dies alles – auch die Versuchungen – erlebte Christus in ähnlicher Weise. Es zeigt uns: Christus erfährt die Geschichte des Volkes Israel, des Knechtes Gottes (Jes 49,3) wieder von Anfang an.

Aber nicht nur das – es ist letztlich auch die Geschichte des Menschen. Der Herr Jesus kam auf diese Erde und wurde wie Adam und Eva in dreierlei Hinsicht versucht. Auch kam Christus mit dem Tod in Verbindung wie der erste Mensch. Während aber der Mensch sich durch seine Sünde für den Tod entschied, begegnet Christus dem gefallenen Menschen im Tod; das sehen wir in der Taufe (3,15.16) und später im Tod Christi.

Christus schreibt die Geschichte des Menschen neu

In einem französischen Lied von Jean Koechlin9 wird dieser Gedanke aufgegriffen, hier in einer deutschen Übersetzung von Gundolf Lüling:

  1. O Gott, wer könnte es verstehen:
    Dein Sohn in unsre Mitte trat,
    um neu des Menschen Weg zu gehen,
    gehorsam, treu, nach Deinem Rat!
  2. Wie ist der Liebling Deiner Seele
    für Dich, o Vater, wunderbar!
    Und staunend sieht auch unsre Seele:
    Dort ist Dein Wesen offenbar!
  3. Wir sehen Ihn so niedrig werden,
    voll Mitleid und Barmherzigkeit.
    Wie einsam war Sein Weg auf Erden,
    doch zeigte Er nur Herrlichkeit!
  4. In Seinem Sterben wie im Leben
    verherrlichte Er Dich, o Gott.
    Er wollte Dir die Ehre geben
    im Dienst, im Leiden und im Tod.
  5. Man wies Ihn ab, statt Ihn zu loben,
    und hat Ihn gar ans Kreuz gebracht.
    Doch weil Er Dich so hoch erhoben,
    gabst Du Ihm auch die höchste Macht.
  6. Wenn wir durch Deine Gnade stehen
    im Vaterhaus nach dieser Zeit,
    dann werden wir Sein Antlitz sehen,
    Ihn preisen bis in Ewigkeit.
Warum musste Jesus versucht werden?

Man kann sich die Frage stellen, warum der Herr versucht werden musste. Gottes Wort selbst gibt uns darauf eine Antwort: „Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen; denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden“ (Heb 2,17.18).

Als vollkommen passend erwiesen für die Sühnung

Dabei ist diese göttliche Antwort zweigeteilt: Erstens war das siegreiche Bestehen der Versuchungen die Voraussetzung dafür, dass Christus die Sünden des Volkes sühnen konnte. Dieser Kardinalpunkt könnte leicht übersehen werden. Denn es war notwendig, dass sich Der, der für die Sünden Sühnung tun sollte, zunächst als der Vollkommene, Reine und der aus jeder Versuchung als Sieger Hervorgehende erwies. Der „Sieg“ konnte dabei nicht einfach von dem Sohn Gottes als dem über den Teufel und die Umstände Erhabenen errungen werden, sondern musste von dem Menschen Jesus erzielt werden. Als Mensch musste Er sich als vollkommen, sündlos und in allem Gott geweiht erweisen.

Wenn wir hier auch die Unterscheidung zwischen seiner Gott- und Menschheit treffen, wissen wir doch, dass wir als Menschen natürlich nicht in der Lage sind, wirklich „in die Bundeslade hineinzuschauen“, das heißt, die Menschheit und die Gottheit Jesu, der beide Naturen in sich vereinte, zu analysieren und zu erfassen. Wir bewundern Ihn und beten Ihn dafür an. Und doch dürfen wir bei den drei Versuchungen erkennen, dass Er sie gerade in seiner Natur als Mensch erduldete.

Ein vollkommener Hoherpriester

Daneben gibt uns Hebräer 2,17 noch eine zweite Antwort auf die Frage, warum unser Herr die Versuchungen erdulden musste: Der Herr Jesus musste versucht werden, um jetzt den Dienst des Hohenpriesters für uns in Vollkommenheit ausführen zu können, wenn wir versucht werden. Auch dazu musste Er nicht nur Mensch werden, sondern auch die Versuchungen erleben, die aus unserem menschlichen Dasein entspringen, natürlich „ausgenommen die Sünde (Heb 4,15). Er hat vollkommene Einsicht in unsere Lage und kann in Barmherzigkeit und Treue diesen wichtigen Dienst ausführen.

Satan endlich überwunden!

Neben den beiden Antworten aus Hebräer 2,17.18 finden wir noch einen dritten Grund für die Versuchungen des Heilands: Bislang war Satan immer Sieger gegenüber den Menschen gewesen. Es begann mit dem ersten Menschenpaar, Adam und Eva. Satan näherte sich ihnen in Form einer Schlange – und sie kamen zu Fall. Wann immer Satan mit einem Menschen kämpfte und ihn zu verführen suchte, versagte dieser und unterlag dem gefallenen Engelfürsten. Man denke auch an David in 1. Chronika 21,1, wo Gott den Teufel benutzte, um David zu versuchen – auch er fiel. Man könnte noch eine lange Reihe von Beispielen anführen. Doch wenn der erste Adam und seine Nachkommen versagt hatten, würde auch der letzte Adam unterliegen? Dann gäbe es keine Hoffnung gegen den Fürsten (Joh 12,31) und Gott (2. Kor 4,4) dieser Welt – dann wäre der Mensch diesem für immer ausgeliefert und für ewig verloren und zur Hölle verdammt.

Da aber – Ihm sei Dank! – Christus siegreich aus diesen Versuchungen hervorgegangen ist, gibt es auch für den Menschen in dem Herrn Jesus noch Hoffnung. Der Herr Jesus kleidet dies in eine Frage: „Oder wie kann jemand in das Haus des Starken eindringen und seinen Hausrat rauben, wenn er nicht zuvor den Starken bindet? Und dann wird er sein Haus berauben“ (Mt 12,29). Durch das Überwinden Satans konnte Christus die Beute (uns) des Starken (des Teufels) rauben – das werden wir in diesem Kapitel noch deutlich sehen.

Die Versuchungen in den vier Evangelien

Wir finden die Zeit der Versuchungen des Herrn in der Wüste in den drei synoptischen Evangelien.

Markus schreibt nur ganz kurz davon (Mk 1,12.13). Wenn ein Diener Versuchungen überwindet, so ist es nicht wichtig, die Herrlichkeit des Siegers über diese Versuchungen zu zeigen, es ist eben „nur“ ein Diener. Ein Diener muss aber das tun, was sein Herr ihm aufträgt. Der Herr lässt sich vom Geist hinaus in die Wüste treiben. Sein Platz war unter den wilden Tieren, die ihrem Schöpfer nichts anhaben konnten. So zeigt Markus, dass dieser Diener weit mehr war als ein schlichter Knecht. Die Engel dienten Ihm nach diesen Versuchungen, was deutlich macht, dass ER nicht nur wahrer Mensch war, sondern zugleich weit über ihnen stand. Wir haben es mit dem Sohn Gottes zu tun! Es beeindruckt, dass wir bei dieser Gelegenheit um den Herrn Jesus herum die gefallenen Wesen (Satan), die irdischen Wesen (die wilden Tiere), aber auch die treuen himmlischen Wesen (Engel) sehen – sie alle bekunden ihr Interesse am Sohn des Menschen. Er war eben kein gewöhnlicher Diener.

Lukas zeigt uns ausführlich, wie der Herr in den Versuchungen bestand. Er wählt dabei offenbar nicht die chronologische Folge der drei letzten Versuchungen, sondern stellt sie in moralischer Hinsicht in einer an Intensität zunehmenden Art zusammen. Gerade das Abweichen von der historischen Reihenfolge zeigt die ordnende Hand Gottes in den Evangelien.10 Es ist kein Fehler, sondern ein Zeichen der Vollkommenheit! Bei Lukas erweist sich der wahre und vollkommene Mensch dem Satan gewachsen, im Gegensatz zum ersten Menschenpaar.

Lukas verdanken wir auch die Kenntnis darüber, dass der Herr nicht nur diese drei letzten Versuchungen erduldet hat, sondern vermutlich während der 40 Tage von diesem Widersacher versucht wurde. Es handelte sich also nicht einfach um eine punktuelle Versuchung, sondern um fortwährende Angriffe Satans! Aber der Herr legt über die erste Versuchungszeit einen Schleier, vielleicht weil es Ihn allein in seiner Person betraf. Die letzten drei Versuchungen sind es, die wir verstehen können, denn Satan benutzt sie auch gegen uns.

Johannes berichtet nichts von den Versuchungen, denn er schreibt von dem Sohn Gottes. Hier finden wir den großen Widersacher und Versucher überhaupt nicht – wie könnte er auch gegen den Sohn Gottes zu Felde ziehen? Er begegnet dem Herrn nur in einer Person, so furchtbar das ist: in Judas! Dieser war der Teufel, in den Satan gefahren war (vgl. Joh 6,70; 8,44; 13,2.27).

Obwohl Matthäus in seinem Evangelium immer wieder von der historischen Folge abweicht, scheint er das in diesem Fall im Unterschied zu Lukas nicht zu tun. Wir lernen, dass der wahre König sich auch von seinem erbittertsten Feind nicht von dem Weg wahrer Gottesfurcht und Unterordnung unter den Willen Gottes abbringen lässt.

Da, wo der erste Mensch in geradezu herrlichen Umständen, den günstigsten Bedingungen, in die ein Mensch kommen kann, versagt hat, verherrlichte der zweite Mensch vom Himmel in den schwierigsten Umständen seinen Gott und Vater. Das tat Er 40 Tage lang. Uns werden nur die drei letzten Versuchungen mitgeteilt, weil wir das Ausmaß dieser gesamten Prüfungen vermutlich gar nicht fassen könnten. Man kann in Verbindung mit dem Speisopfer auch daran denken, dass es Leiden gibt, in die wir gar nicht hineinschauen können, weil es Leiden sind, die nur Gott selbst erfassen und entsprechend würdigen kann (vgl. in 3. Mo 2,4 das Ofengebäck; was die Hitze des Ofens in dem Gebäck bewirkte, konnte man nicht verfolgen).

Konnte Christus in den Versuchungen fallen?

Bei uns findet Satan einen willigen Bundesgenossen in unserem Fleisch, das jeder Gläubige sein Leben lang an sich trägt. Bei Christus war das nicht so! Er kannte keine Sünde, Er tat keine Sünde, Sünde war nicht in Ihm. Für Ihn gab es keine böse Lust und Begierde. Er wurde nicht wie wir von innen, sondern ausschließlich von außen versucht. Und diese Versuchungen fanden nichts in Ihm, was ihnen eine Antwort gegeben hätte. Darum hören wir Ihn sagen: „Der Fürst dieser Welt kommt und hat nichts in mir“ (Joh 14,30).

Das führt natürlich sofort zu der Frage: Waren es dann überhaupt Versuchungen für Ihn? Die Antwort ist klar: Ja, denn Gottes Wort sagt es uns. Aber es waren keine Versuchungen in dem Sinn, dass Er hätte sündigen können. Es waren aber Versuchungen insofern, als Er viel stärker als wir spürte, dass der Teufel Ihn auf einen Weg der Unabhängigkeit von Gott führen wollte. Es war eine Prüfung für den Herrn Jesus, weil Er die Macht der Finsternis, wie sie durch den Teufel sichtbar und fühlbar wurde, tief empfunden hat. Aber Gott sei Dank: Wenn das Licht in der Finsternis scheint, muss die Finsternis weichen!

Die Versuchungen waren nicht dazu da, um seine Gerechtigkeit erst zu bewirken, sondern um zu zeigen, dass Er auch als Mensch in den schwierigsten Umständen nie etwas anderes war und tun konnte, als seine Vollkommenheit zu offenbaren; die göttliche Gerechtigkeit, die Er in sich selbst ist. Er wurde nicht geprüft, um zu sehen, ob Er zu Fall kommen könnte, sondern um zu zeigen, dass Er nicht fallen konnte!

Vers 1: Die Versuchungen im Einzelnen – ein Überblick

„Dann wurde Jesus von dem Geist in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden“ (Vers 1).

Der König Gottes musste an diesen öden Ort geführt werden, um dort den Angriffen des Teufels ausgesetzt zu sein. Es fällt zunächst auf, dass nicht der Herr Jesus selbst dorthin ging, sondern dass der Geist Gottes, der in Ihm wohnte, Ihn in die Wüste führte. Manche haben daraus geschlossen, dass der Herr Jesus nicht von sich aus in die Wüste gehen wollte, weil Er als Mensch die Konfrontation mit Satan scheute. Aber dieser Gedanke ist abwegig. Damit würde man die vollkommene Einheit der Gott- und Menschheit des Herrn Jesus schmälern und gewissermaßen einen Spalt in die Person des Herrn – als Gott und Mensch in einer Person – treiben. Nein, der Herr ging in der Kraft des Geistes in die Wüste hinein – wie Er natürlich alles in der Kraft des Geistes getan hat. Hier wird dies nur besonders betont, sozusagen um deutlich zu machen, dass der Heilige Geist, der gerade auf Ihn gekommen war, auch in Ihm blieb.

Wir lesen hier, dass Jesus in die Wüste „hinaufgeführt“ wurde. Das ist natürlich zunächst eine topologische Frage. Die Wüste liegt einfach höher als der Jordan, in dem Jesus getauft worden war. Aber da dieser Begriff gerade hier im Matthäusevangelium benutzt wird, so kann man hinzufügen, dass Gott deutlich macht, dass der König, der sich auf eine Weise zu seinem irdischen Volk erniedrigt hat, dass Er sogar den Platz mit ihnen im Jordan geteilt hatte, weit mehr ist als nur einer von ihnen. Gott führt Ihn höher und höher hinaus – bis zur Verherrlichung dieser Person im Himmel. Natürlich bleibt dennoch wahr, dass die Erniedrigung des Messias ihren absoluten Höhepunkt erst am Kreuz finden sollte.

Unser Vers macht außerdem klar, dass es das ausgesprochene Ziel seines Weges in die Wüste war, von dem Teufel versucht zu werden. Es war nötig, wie wir weiter oben gesehen haben. Christus musste sich von Anfang an als Satan überlegen erweisen. Zugleich musste Satan die Möglichkeit bekommen, mit aller Macht und List gegen den Gesalbten Gottes aufzutreten. Das war die erste Weissagung der Schrift!

Die verschiedenen Aspekte der drei Versuchungen
  1. In der ersten Versuchung spricht der Teufel Jesus Christus sozusagen als Sohn Gottes an, denn nur Er als Gott konnte aus Steinen Brot machen. Da der Sohn Gottes allerdings als Mensch vor dem Teufel stand, weil Er nur als Mensch Hunger fühlen konnte, handelte es sich wirklich um eine Prüfung. Bei der zweiten Versuchung zitiert Satan einen messianischen Psalm – so ist Christus besonders als Messias angesprochen. Bei der dritten Versuchung geht es um die Reiche der Welt, die dem Herrn Jesus nach Psalm 8 als dem Sohn des Menschen verheißen sind.
  2. In der ersten Versuchung wird besonders der Gehorsam des Herrn Jesus angegriffen, seine Unterordnung unter den Willen Gottes. Im zweiten Fall geht es darum, ob Er ein wirkliches Vertrauen auf Gott besitzt, oder ob Er Gott versuchen, das heißt herausfordern muss, um zu prüfen, dass Gott seine Verheißungen erfüllt. In der dritten Prüfung geht es darum, wem der Mensch Gottesdienst, wahre Anbetung zukommen lassen darf.
  3. Nach 1. Thessalonicher 5,23 besteht der Mensch aus Geist, Seele und Leib (Körper). Diese drei Teile des Menschen werden in den drei Versuchungen angesprochen. Bei der Frage von Steinen und Brot geht es um den Körper des Herrn. Bei der Frage des Hinabwerfens von der Zinne des Tempels geht es um den Geist des Herrn: Würde Er sich erheben, wie Satan es getan hat, oder würde Er der demütige Mensch auf der Erde bleiben? Der Herr Jesus hätte nicht seine Ihm als Mensch gegebene Stellung eingenommen, wenn Er sich von der Zinne gestürzt hätte. In der dritten Versuchung geht es um die Seele, die innere Gesinnung – Gott bzw. Satan gegenüber.
  4. Die Methoden Satans wechseln im Verlauf dieser Versuchungen. Im ersten Fall versucht er, den Herrn mit List zu fangen. Als Sohn Gottes hätte der Herr aus Steinen Brot machen können, aber Er war als Mensch hier auf diese Erde gekommen und litt daher Hunger. Satan tritt hier als der Teufel und Satan, als der Durcheinanderbringer und Verleumder der Führung des Vaters auf. In der zweiten Versuchung zitiert er als Engel des Lichts, der aber mitten in der Finsternis wohnt, die Bibel in falscher Weise und versucht, Christus durch eine Lüge zu Fall zu bringen. Im dritten Fall verstellt sich Satan nicht mehr und tritt als Gott dieser Welt (2. Kor 4,4), der sich die Herrschaft über diese Welt gewaltsam angeeignet hat, in direkter Feindschaft gegen den Herrn auf. Wie konnte er glauben, dass der Herr vor ihm und nicht vor seinem Gott niederfällt?
  5. In der „äußeren Dynamik“ nehmen die Versuchungen im Matthäusevangelium zu. Zuerst geht es „nur“ um den Menschen Jesus und sein irdisches Bedürfnis des Hungers. In der zweiten Versuchung geht es immerhin um Jerusalem und den Tempel, den Ort, wo man mit Gott zusammenkam, und um das bedingungslose Vertrauen auf Gott. In der dritten Versuchung dagegen geht es um einen noch umfassenderen Bereich: alle Weltreiche.
  6. Was die Intensität der Versuchungen allerdings betrifft, ist die zweite Versuchung die größte Herausforderung. Vor vieler Augen sich von der Spitze des Tempels herunterzuwerfen und Gottes Zusagen auszutesten – war das nicht sein Recht als König und Sohn Gottes? Auch diese schwerste Versuchung bestand Jesus in absoluter Vollkommenheit. Ein Vergleich der Reihenfolge der Versuchungen bei Matthäus und Lukas zeigt ebenfalls diese Intensitätszunahme. Die Reihenfolge der Versuchungen ist bei Lukas durch eine Zunahme an innerer Schwere und Bedeutung bestimmt.
  7. Eine andere Perspektive der drei Versuchungen berücksichtigt die unterschiedlichen Schwerpunkte, die der Geist Gottes im Lukas- und Matthäusevangelium gewählt hat. Matthäus zeigt den Herrn Jesus besonders als König. Ist es für Ihn als Messias nicht die größte Versuchung gewesen, ohne das Leiden und Sterben am Kreuz auf den Königsthron zu kommen? Für den Sohn des Menschen (Lukas) war es gewissermaßen die größte Herausforderung, sich als von Gott bewahrter Mensch feiern zu lassen. So sehen wir auch in der Reihenfolge der drei Versuchungen die Vollkommenheit göttlicher Inspiration.

Die erwähnten Gesichtspunkte werden nun zusammen mit weiteren, leicht erkennbaren Aspekten in einer Tabelle zusammengefasst. Dabei wird deutlich, wie grundlegend die Belehrung ist, die wir aus diesem Abschnitt ziehen können.

Aspekte der Versuchungen Die Versuchungen
- 1 - - 2 - - 3 -
Ort Wüste Tempel hoher Berg
Christus gesehen als Sohn Gottes Messias Sohn des Menschen
Anknüpfungspunkt Gehorsam Vertrauen Gottesdienst
Angegriffener Teil Leib Geist Seele
Bereich irdisch religiös weltlich
Bezugnahme auf irdische Bedürfnisse Verheißungen Herrlichkeit der Welt
Versuchungsumfeld persönlich Tempel/religiös interessierte Menschen die ganze Welt
Inhalt der Versuchung eigenes Bedürfnis stillen Gottes Treue herausfordern Herrschen, ohne zu sterben
Ausgangspunkt Satans Wenn Gottes Sohn Wenn doch geschrieben steht Wenn du mich anbetest
Satans Methode List Lüge Offene Feindschaft gegen Gott
Charakter Satans Teufel, Schlange Engel des Lichts Satan, der Gott dieser Welt
Grundlage der „Antwort“ 5. Mose 8,3 5. Mose 6,16 5. Mose 6,13
Zielpunkt im Blick auf sündige Menschen Lust des Fleisches Hochmut des Lebens Lust der Augen
Äußerliche Dynamik der Versuchungen * ** ***
Moralische Intensität der Versuchungen * *** **

Verse 2–4: Die erste Versuchung – aus Steinen Brot machen

„Und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn schließlich. Und der Versucher trat zu ihm hin und sprach: Wenn du Gottes Sohn bist, so sprich, dass diese Steine zu Broten werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: ‚Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht.‘“ (Verse 2–4).

Wenn wir diese übernatürliche Erprobung des Herrn anschauen, muss uns das zum Staunen und Bewundern seiner Person führen.

Es gab zwei Personen, die in den günstigsten Umständen erprobt wurden: Adam und Eva. Wir haben weiter oben schon öfter an diese Situation dort im Garten Eden gedacht. Alles, was sie brauchten, stand ihnen zur Verfügung. Dennoch haben sie nicht überwunden.11 Und was war aus diesem Paradies geworden? Die Sünde des Menschen hatte es sozusagen zu einer Wüste gemacht, zu einem Ort, an dem der Mensch keine Freude mehr finden konnte, bis der Eine kam. Der Garten war gewissermaßen zu einem Ort geworden, wo sogar wilde Tiere hausten (Mk 1,13).

Dann gab es zwei Männer, die – wie der Herr – vierzig Tage und vierzig Nächte ohne Essen waren: Mose (2. Mo 34,28) und Elia (1. Kön 19,8). Aber diese beiden Männer fasteten, um auf dem Berg vor Gott zu stehen. Beide wurden von Gott in wunderbarer Weise versorgt und erhalten! Und auch hier sehen wir Versagen: Selbst vor Gott stehend konnte Elia nicht überwinden, sondern er sündigte (1. Kön 19,14). Wie groß ist der Unterschied zwischen den geistlichsten Gläubigen und dem Herrn Jesus!

Hier sehen wir nun den Einen, der – körperlich geschwächt nach dieser schweren, übernatürlichen Erprobung, 40 Tage lang nichts zu essen – auch noch von dem großen Feind der Menschen versucht wird. Seien wir uns sicher: Satan hatte Ihn während der 40 Tage in der Wüste beobachtet. Bedenken wir dabei: Auch Satan sah Jesus, seinen Schöpfer12 (!), zum ersten Mal, als Er als Mensch auf diese Erde kam. Und jetzt sah er seine große Stunde gekommen, Ihn, der ihn wegen des Hochmuts gerichtet hatte, zu Fall zu bringen. Dass Satan Ihn gerade in den schwierigsten Umständen erprobte, zeigt, dass der Versucher Ihm den größten Respekt zollte und er von vornherein wusste, dass er Ihn nie unter normalen Umständen würde überwinden können.

Der Teufel sucht die Gelegenheit

Nun aber sah er dazu die Gelegenheit, nachdem Jesus 40 Tage lang gefastet hatte und vor Hunger geschwächt war. Er war eben wirklicher Mensch. Auf diese Situation kann man zweifellos die Worte aus Jesaja 53,2 anwenden: „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht.“ Wir kennen in Westeuropa heute wohl kaum richtigen Hunger. Aber genau das lesen wir jetzt vom Herrn Jesus. „Ihn hungerte.“

Das war die Chance für den Versucher, wie er meinte. Hier wird der Teufel „Versucher“ genannt und damit sein Ziel, nämlich die Versuchung, enttarnt. Wir wissen nicht, in welcher Gestalt der Widersacher zu Christus kam. Einst kam er als eine Schlange. Dabei dürfen wir nicht an das heutige Erscheinungsbild einer Schlange denken. Vermutlich gehörte sie am Anfang zu einem der beeindruckendsten Tiere, die es gab. Erst der Fluch Gottes nach dem Sündenfall führte dazu, dass die Schlange auf dem Boden kriechen musste (vgl. 1. Mo 3,14). Ob er jetzt als ein Engel des Lichts zu Christus kam – wieder in herrlichem „Anzug“? Wir wissen es nicht. Entscheidend ist: Er kam, um Christus zu versuchen. Das Bemerkenswerte an dieser Situation ist, dass sie von dem Teufel gesucht und von Gott bezweckt ist. Einen ähnlichen Gedanken in Bezug auf die Jünger findet man in Lukas 22,31: „Der Herr aber sprach: Simon, Simon! Siehe, der Satan hat begehrt, euch zu sichten wie den Weizen.“ Satan wollte die Jünger zu Fall bringen. Dazu suchte er jede Gelegenheit. Gott wollte die Jünger sichten, das heißt sieben, um das Gute in ihnen zu bewirken, denn Er versucht niemand (zum Bösen), wie Jakobus schreibt (vgl. Jak 1,13).

Bei Christus musste das Gute nicht bewirkt werden – es war immer und in vollkommener Weise vorhanden. Aber durch die Versuchungen sollte seine Vollkommenheit hervorstrahlen. Und Satan wollte Ihn zu Fall bringen. Man kann verstehen, dass sowohl Satan diese Versuchungen wollte als auch Gott sie zuließ oder sogar bewirkte.

Der Teufel sät immer Misstrauen

Zunächst sehen wir von dem Versucher das, was er immer getan hat und tun wird, bis er in der Hölle landen wird: Zweifel und Misstrauen säen. Manchmal tut er das, indem er Menschen benutzt. Ein anderes Mal versucht er, in einem Menschen Zweifel aufkommen zu lassen. Das tat er bei Eva – es ist die erste Tat, die wir von ihm kennen: „Hat Gott wirklich gesagt ...?“ (1. Mo 3,1). Gott hatte zu dem Menschen gesprochen und ihm vieles geschenkt. Es bestand ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen dem Menschen und Gott. Dieses versuchte der Teufel zu zerstören: „Hat Gott wirklich gesagt ...?“ Und er hatte Erfolg.

Dasselbe macht er jetzt mit dem Herrn Jesus. Soeben noch hatte Gott, der Vater, für viele Menschen hörbar gesagt: „Dieser ist mein geliebter Sohn.“ Da kommt der Teufel und sagt: „Wenn du Gottes Sohn bist ...“ Bestand daran noch irgendein Zweifel, wenn Gott selbst das gesagt hatte? So ist es noch heute: Satan versucht besonders an den Aussagen und Verheißungen Gottes, die Er selbst in seinem Wort niedergelegt hat, Zweifel zu wecken.

Der Teufel versucht schon hier, einen Keil zwischen den Menschen Jesus und seinen himmlischen Vater zu treiben. Das gilt auch für seinen nächsten Angriff, bei dem er Christus von dem Weg der Abhängigkeit abbringen wollte: „Sprich, dass diese Steine zu Broten werden.“

Wäre das eine Sünde gewesen? Die Antwort lautet: Ja! Sonst wäre es keine Versuchung gewesen. Nicht der Hunger war die Versuchung – er war ein menschliches Bedürfnis. Aber diesen Hunger dadurch zu stillen, dass der Herr ohne einen Auftrag von seinem Vater – und damit unabhängig von Ihm – aus Steinen Brote gemacht hätte, wäre eine Sünde gewesen. Man mag weiter fragen: Aber was ist denn verkehrt daran, dass ein hungriger Mensch, der in der Lage ist, aus Steinen Brot zu machen, sich dieser Macht bedient? Die Antwort auf diese Frage trifft den Kern dieser Versuchung. Auch für den Herrn galt das Wort, was wir uns ins Gedächtnis rufen müssen: „Ob ihr nun esst oder trinkt oder irgendetwas tut, tut alles zur Ehre Gottes“ (1. Kor 10,31). Man könnte auch sagen: Tut alles im Auftrag Gottes. Unser Herr wusste, dass es jetzt nicht der Auftrag Gottes war, aus den Steinen Brote zu machen.

War Er Gottes Sohn?

Der Herr Jesus lebte als Mensch hier auf der Erde, ohne dass Er aufgehört hätte, Gott zu sein. Aber als Mensch ließ Er sich taufen, als Mensch wurde Er von Gott gesalbt, als Mensch – Jesus! – wurde Er in die Wüste hinaufgeführt. Als Mensch musste Er seinem himmlischen Vater gehorsam sein. Mit seiner Menschwerdung hatte Er gesagt: „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun“ (Heb 10,9). War es der Wille Gottes, aus den Steinen Brot zu machen? Nein, das haben wir schon gesehen. Der Wille seines Vaters war für Ihn nicht nur seine Lebensregel, sondern sogar stets der Beweggrund zum Handeln.

Bei Kindern ist es so, dass sie den Willen ihrer Eltern (hoffentlich) freudig tun, wenn sie ihn erkennen, und dann das aufgeben, was sie sich vielleicht vorgenommen haben. Ist das nicht auch oft unser Kennzeichen, dass wir den Willen Gottes überhaupt erst einmal kennenlernen müssen? Dann sind wir (hoffentlich) bereit, einen eigenwilligen Weg aufzugeben. Bei Christus war das anders! Weder musste Er den Willen des Vaters „kennenlernen“, noch musste Er jemals einen eigenwilligen Weg aufgeben, um dann den Willen des Vaters zu tun. Selbst in den schwierigsten Umständen wie in Gethsemane war der Wille des Vaters stets auch sein Wille. Eines sollten wir bedenken: Wir sind zu seinem Gehorsam geheiligt (vgl. 1. Pet 1,2). Was für ein Maßstab! Bei Christus war es das geschriebene Wort Gottes, durch das Er lebte und Satan in die Schranken wies. Dazu kommen wir im nächsten Abschnitt.

Nun mag man noch fragen: Aber Er war doch selbst der „Sohn Gottes“, wie der Versucher auch indirekt bestätigt. Das ist wahr – und das machte auch einen Teil dieser Versuchung aus. Als Schöpfer und Sohn Gottes hatte Er immer befohlen und alles stand Ihm zur Verfügung. Warum sollte Er dann jetzt nicht aus den Steinen Brote machen? Aber nun war Er gekommen, um als Mensch den Willen Gottes, seines Vaters, auszuführen. „Wenn du Gottes Sohn bist, ...“ – ja, das war und blieb Er. Aber „er machte sich selbst zu nichts“ [wörtlich: entäußerte sich selbst] (Phil 2,7) und verschleierte so auf dieser Erde seine Herrlichkeit als Gott, der Sohn. Er verzichtete freiwillig auf die Ihm zustehenden Rechte, um das Werk der Erlösung vollbringen zu können. So gewaltig ist seine frei gewählte Erniedrigung! Äußerlich sah der Herr nicht danach aus, der Sohn Gottes zu sein. Wie unterscheidet Er sich von uns, die wir gerade äußerlich oft so groß sein wollen!

Übrigens hat der Herr Jesus kein einziges Wunder zu seinen eigenen Gunsten getan! Auch Paulus hat das nie getan, bei sich selbst nicht und auch nicht, wenn enge Gefährten krank wurden (Trophimus, Epaphroditus).

Bevor wir uns zu der Antwort des Heilands wenden, sei noch erwähnt, dass wir eine sehr ähnliche Versuchung ganz am Ende des Lebens des Herrn finden. Als Er in größten Schmerzen am Kreuz hing, sagten die Juden in spöttischer Weise zu Ihm: „Wenn du Gottes Sohn bist, so steige herab vom Kreuz!“ (Mt 27,40). Die Bedingung „wenn“ erfüllte Er vollends, Er war Gottes Sohn! Aber dort am Kreuz hing Er, der Mensch Jesus Christus, der gerade deswegen nicht vom Kreuz stieg, weil Er der Retter der Welt werden sollte. Was für eine Tragik! Der Mensch forderte von seinem Schöpfer, das zu tun, was zum ewigen und völligen Schaden des Menschen gewesen wäre. Doch Gott sei Dank! Christus blieb bis zum Ende seines Lebens der gehorsame Mensch, der sich in allem seinem himmlischen Vater unterordnete, und, „obwohl er Sohn war, an dem, was er litt, den Gehorsam lernte“ (Heb 5,8).

Drei Antworten Jesu

Allen drei Versuchungen begegnet Jesus mit dem Verweis auf Gottes Wort. Erstaunlicherweise nimmt er dabei nicht drei verschiedene Bücher des Alten Testaments, sondern beschränkt sich auf ein einziges Buch, das 5. Buch Mose, und zitiert aus diesem nur aus den Kapiteln 6 und 8.

Daraus lernen wir also zunächst, wie man den Versuchungen des Feindes widersteht: indem man das Wort Gottes anwendet. Der Herr diskutiert nicht mit Satan, während Er später gegenüber den Menschen in Gnade auf deren Einreden eingeht. Er weist ihn einfach mit dem Wort Gottes zurecht – das ist unser Vorbild. Dazu müssen wir aber das Wort kennen, und zwar gut kennen, wie sich aus der zweiten Versuchung ergibt. Denn auch Satan weiß, die Bibel zu zitieren. Er kennt das Wort Gottes wohl besser als wir alle. Aber er zitiert Gott immer unvollständig und damit falsch. Umso wichtiger ist, dass das Wort Gottes in uns wohnt. „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, um was ihr wollt, und es wird euch geschehen“ (Joh 15,7). Nur dann sind wir in der Lage, dem Teufel zu widerstehen, wie Christus es getan hat.

„Unterwerft euch nun Gott. Widersteht aber dem Teufel, und er wird von euch fliehen“ (Jak 4,7). Daraus lernen wir: Wenn wir Gott gegenüber die richtige Stellung einnehmen, können wir dem Teufel widerstehen, indem wir auf das Wort Gottes verweisen. Er wird nicht vor uns fliehen, sondern von uns. Nicht wir selbst sind es, die ihn dann in die Flucht schlagen, sondern Christus in uns. Er weiß, dass er ein besiegter Feind ist, der durch Christus ein für alle Mal bezwungen worden ist. Sieht er Christus in uns, indem dessen Wort in uns wohnt, wird der Teufel von uns fliehen!

Zitate aus dem 5. Buch Mose

Warum aber zitiert Christus nur aus dem 5. Buch Mose? Diese Frage wollen wir in diesem Abschnitt kurz untersuchen, denn im Wort Gottes ist nichts von ungefähr.

Bis auf zwei Männer war das ganze Volk Israel während der Wüstenreise gestorben. Es war das Gericht Gottes wegen des Unglaubens dieses Volkes (4. Mo 13.14). Die meisten des Volkes, die am Ende der Wüstenreise lebten, waren keine Zeugen der Gesetzgebung gewesen. Daher stellt ihnen Mose noch einmal das Gesetz vor die Herzen. Aus diesem Grund wird das 5. Buch Mose auch Deuteronomium genannt, zweites Gesetz. Es hatte seine Gültigkeit nicht verloren, übrigens auch nicht zur Zeit Jesu, denn sonst würde Er nicht hieraus zitieren. Außerdem wird Er dies auch in Matthäus 5 ganz deutlich machen.

Ein Kerngedanke des Gesetzes, der besonders im 5. Buch Mose herausgestellt wird, ist der Gehorsam. 26-mal finden wir diesen Ausdruck (als Verb, Adjektiv oder Substantiv) im 5. Buch Mose. Das ist ungefähr ein Fünftel des Vorkommens dieses Begriffs in der ganzen Schrift.

Diese beiden letzten Gedanken – Gültigkeit des Gesetzes und Gehorsam – verbinden sich direkt mit der Situation des Herrn.

  1. Er macht durch den Verweis auf das 5. Buch Mose und damit das Gesetz deutlich, dass dieses noch immer Bestand hatte. Keine neuen Verordnungen der Menschen, sondern das alte Gesetz hatte nach wie vor Gültigkeit – auch für Ihn selbst.
  2. Zugleich wollte Er seinem Gott gehorsam sein. Es war sein Wille, den Willen des Vaters zu tun und Ihm gehorsam zu sein. Das konnte Er durch Zitate aus dem 5. Buch Mose besonders deutlich ausdrücken. In diesem Buch steht nicht der Gehorsam gegenüber rituellen, den Gottesdienst betreffenden Vorschriften im Vordergrund, sondern der Gehorsam des Herzens Gott gegenüber.
  3. Im 5. Buch Mose lesen wir in sehr klarer Weise von den Sünden und Fehlern des Volkes Israel unter Gesetz, wie sie Mose zurückblickend in mehreren Reden zusammengefasst hat. Zugleich aber macht Gott deutlich, wie Er immer wieder in Gnade eingeschritten ist, als alles durch das Volk zerstört und verdorben worden war. Das sollte der Glaube an die Gerechtigkeit Gottes festhalten. War es nicht Christus, der trotz des vollständigen Ruins des Volkes Israel in göttlicher, souveräner Gnade seinem Volk zu Hilfe kam, indem Er an dessen Stelle die Versuchungen erduldete und das ganze Gesetz in vollkommenem Gehorsam ausführte?
  4. Im 5. Buch Mose gibt Gott einen Vorausblick auf das verheißene Land Kanaan, also Israel. Das Volk sollte auf den Besitz der Segnungen vorbereitet werden, die der Herr ihm im Land schenken wollte. Für den Herrn Jesus ging es zwar nicht darum, die Segnungen des Landes zu genießen. Sein Ziel war, aufgrund seines Werkes am Kreuz ein Königreich aufzurichten und einzunehmen, was Ihm als Sohn des Menschen zustehen würde. Dazu aber musste Er seinem himmlischen Vater gehorsam sein und den Weg der Leiden wählen. Und das erforderte, dem Feind zu widerstehen. Auch deshalb – so scheint es – zitiert Er aus diesem bemerkenswerten Bibelbuch des Alten Testaments.
  5. Gerade durch das Zitieren des 5. Buches Mose verbindet sich Jesus mit seinem Volk, wie wir es schon am Ende von Kapitel 3 in seiner Taufe gesehen haben. Gott sagt seinem Volk im 5. Buch Mose immer wieder, wie es sich im Land Israel zu verhalten hat. Christus stellt sich ebenfalls unter diese Vorschriften, indem Er sie für sich und sein Verhalten hier anführt. Er war ja gekommen, sein Volk zu erretten von seinen Sünden, und so musste Er die Stellung dieses Volkes einnehmen, um es aus der Gefangenschaft der Sünde befreien zu können. Das tut Er – auch in den Versuchungen des Teufels, denen das Volk immer wieder erlegen war. Christus dagegen überwindet den Teufel und beginnt auch hiermit die Geschichte des Volkes Israel von vorne!
Nicht vom Brot allein!

Jesus antwortete dem Teufel: „Es steht geschrieben: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Wort, das durch den Mund Gottes ausgeht.“ Damit macht der Herr seinem Widersacher sofort deutlich, dass für Ihn allein das Wort Gottes Gültigkeit besitzt. Die Aussage und Aufforderung des Teufels mochten noch so plausibel sein. Denn wer hätte dagegen etwas einwenden können, dass der Herr das in seiner Macht Stehende tut und sich aus Steinen Brot macht. Aber Er hatte dazu keinen Auftrag von Gott. Aber das von Ihm selbst gegebene Wort im Alten Testament machte deutlich, dass das Brot zwar eine wichtige irdische Nahrung für den Menschen, aber im Vergleich zu den Worten Gottes nur zweitrangig ist.

Auch für Jesus als Mensch galt, sich von den Worten zu nähren, die durch den Mund Gottes gesprochen wurden. Er war es, der sich jeden Morgen das Ohr wecken lies, um wie jemand zu hören, der belehrt wird (vgl. Jes 50,4). In auffallender Weise verweist Christus hier nicht einfach auf das Wort Gottes im allgemeinen Sinn. Er zeigt, dass Er für jede Tat und jedes Wort einen ausdrücklichen Auftrag Gottes erwartete. Es war das konkrete Wort, das „durch den Mund Gottes“ ausgesprochen wurde. Gott hätte Ihm den Auftrag geben können, aus Steinen Brote zu machen. Aber Er tat es nicht. Deswegen wartete Christus und blieb gehorsam. Das ist im Übrigen auch der Geist, der immer wieder aus den Psalmen spricht, die über die Leiden Jesu weissagen. Er war der gehorsame Jude, der auf ein Wort Gottes wartete, ohne welches Er nichts tun wollte. Er nimmt keine Erleichterung und Befreiung an, es sei denn, dass Gott selbst ins Mittel tritt.

Wenn man nun den zitierten Vers in 5. Mose 8 aufsucht, so stellt man fest, dass er dort gerade mit materieller Speise in Verbindung steht. „Und er [der Herr, dein Gott] demütigte dich und ließ dich hungern; und er speiste dich mit dem Man, das du nicht kanntest und das deine Väter nicht kannten, um dir kundzutun, dass der Mensch nicht von Brot allein lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was aus dem Mund des Herrn hervorgeht“ (Vers 3). Gott schickte ihnen den Hunger – er kam nicht zufällig – damit sie auf Gott warteten und Gott um Hilfe riefen. Gott wollte damit das Volk lehren, allein auf Ihn zu vertrauen. Er würde ihnen Speise zur rechten Zeit geben, Er hatte alles Notwendige für sie. Sie brauchten nicht die Ressourcen dieser Welt – Gott hatte alles, was nötig war für sie.

Das ist der Punkt, den Jesus in der Versuchung jetzt aufgreift. Dem Volk in seinem Hunger sandte Gott dieses Manna, Brot vom Himmel. Aber Ihm in seinem Hunger hat Gott eben kein Brot geschickt. Sollte Er dann in Unabhängigkeit handeln und sich selbst Brot machen? Dann wäre Er nicht besser gewesen als das sündige Volk Israel. Nein – Gott sei Dank! Christus wartete auf die Anweisung aus dem Mund Gottes. Da sie jetzt nicht kam, wollte Er auch nicht zu seiner Wundermacht greifen und in Unabhängigkeit von Gott handeln. Seine Kraft zog Jesus nicht aus Wundertaten oder anderer Vorsorge für sich selbst, sondern direkt aus dem Wort Gottes.

Ein Wort für Jünger

Das ist zugleich ein Wort an Jünger. Wir haben gesehen, dass wir in diesem Evangelium nicht nur den König sehen, sondern auch seine Untertanen, seine Jünger. Wir lernen vom Herrn Jesus. Wann immer der Feind des Herrn zu uns kommt, wollen wir ihm wie Christus begegnen. Wir werden ihm das „Es steht geschrieben“ entgegenhalten und nur dann einen Schritt tun, wenn Gott uns diesen gezeigt hat. Wir wollen auf die Zeit Gottes warten und nicht unabhängig handeln. In eigener Kraft vermögen wir nichts.

Wenn aber das Wort Gottes das wahre Geheimnis unserer Kraft und unseres Lebenswandels ist und wir uns täglich von diesem Wort nähren, werden wir in der Lage sein, den Listen und Angriffen des Feindes zu widerstehen. Wachstum in dem Verstehen und Anwenden dieses Wortes – das ist die Voraussetzung, um dem Herrn Jesus nachzufolgen.

Christus hing allein am Wort Gottes. Hier ist nicht der Ausdruck für das allgemeine Wort Gottes in seinem ganzen Umfang verwendet worden, sondern ein Wort, dass eine ganz konkrete Aussage aus dem Mund Gottes meint. So genau nahm es unser Herr. Solch einen detaillierten Gehorsam verwirklichte Er. Sein himmlischer Vater hatte Ihm hier nicht den konkreten Auftrag gegeben zu handeln. So wartete Er. Das ist unser Vorbild. Wenn wir auf eine Weisung von unserem Vater warten, dann folgen wir Christus. Der Glaube beweist sich dadurch, dass er auf Gott wartet, bis Er uns seinen Willen offenbart.

Verse 5–7: Die zweite Versuchung – von der Tempelzinne springen

„Dann nimmt der Teufel ihn mit in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und spricht zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: ‚Er wird seinen Engeln deinetwegen befehlen, und sie werden dich auf Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuß an einen Stein stößt.‘ Jesus sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.‘“ (Verse 5–7).

In dieser zweiten Versuchung erkennen wir die Macht des Teufels. Er nimmt Jesus mit in die heilige Stadt. Wir wissen nicht, in welcher Gestalt der Teufel vor den Herrn trat. Wir wissen auch nicht, ob er von den Menschen gesehen werden konnte. Jedenfalls nimmt er Christus mitten in die heilige Stadt Jerusalem mit, um Ihn auf die Zinne des Tempels zu stellen. Wir staunen, dass der Herr Jesus als der ewige Gott das einfach mit sich machen lässt. Aber wir erkennen erneut, dass Er auch hier den Auftrag Gottes erfüllen möchte. Er ist bereit, sich von dem abgefallenen Geschöpf dorthin bringen zu lassen.

Die verschiedenen Stachel des Feindes

Wieder kommen die Worte: „Wenn du Gottes Sohn bist ...“ Noch einmal versucht Satan die Taktik, an die Allmacht des Herrn Jesus Christus anzuknüpfen und Ihn gerade darin zu Fall zu bringen. Aber dieses Mal geht es nicht um die menschlichen Bedürfnisse des Herrn. Würde der Herr seine Geschöpfe herausfordern, ihrem Schöpfer einen Wunderdienst zu erweisen? „Wirf dich hinab!“ Was für eine Herausforderung! Viele Menschen werden dort auf dem Tempelplatz gestanden haben. Wir erhalten keine Mitteilung, ob sie Christus auf der Zinne ganz oben sehen konnten. Aber wir müssen das annehmen.

Was für einen Empfang bei seinem Volk hätte der Herr erhalten, wenn Er dort oben von der Zinne hinabgesprungen und ohne Verletzung unten angekommen wäre! Hätten Ihm nicht alle zu Füßen gelegen? So hätte Er von dem Volk auf glanzvolle Weise in Empfang genommen und groß vor aller Augen stehen können. – Wir wollen uns selbst fragen, ob wir nicht auch in der großen Gefahr stehen, einer solchen Versuchung zu erliegen, weil sie uns vor den Augen der Menschen und sogar Christen größer macht, als es uns zusteht?

Der Widersacher hat noch einen weiteren Stachel. Eben noch hatte Christus das Wort Gottes zitiert, um die erste Versuchung des Teufels abzuwehren. Die Bibel zitieren – das kann der Feind auch. Er versucht, das Wort Gottes als Waffe gegen den Gesalbten Gottes einzusetzen. Er sagt: „Denn es steht geschrieben: ‚Er wird seinen Engeln deinetwegen befehlen, und sie werden dich auf Händen tragen, damit du nicht etwa deinen Fuß an einen Stein stößt.‘“

Es ist ein Zitat aus Psalm 91. Das Bemerkenswerte an diesem Zitat ist, dass es direkten Bezug auf Christus hat, weil es sich bei Psalm 91 um einen messianischen Psalm handelt. Wir erkennen, dass Satan durchaus in der Lage ist, zielgerecht seine Pfeile abzuschießen. Kann er einen wunden Punkt bei Christus finden und treffen? Wir wissen, dass es einen solchen Punkt nicht gibt.

Bevor wir die Antwort des Herrn betrachten, wollen wir uns kurz den Psalm anschauen, den der Teufel zitiert. Psalm 90 zeigt uns den sterblichen, ersten Menschen, nämlich Adam und seine Rasse. Psalm 91 stellt uns dagegen Christus als den vollkommen abhängigen Menschen, den zweiten Menschen, im Gegensatz zu dem sterblichen Mann des 90. Psalms vor. In den Versen 9 bis 13 finden wir Christus, wie Er in allem auf Gott vertraut. Daher würde Ihm kein Unglück widerfahren.

Belehrungen aus Psalm 91

„Denn er wird seinen Engeln über dir befehlen, dich zu bewahren auf allen deinen Wegen. Auf den Händen werden sie dich tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Auf Löwen und Ottern wirst du treten, junge Löwen und Schlangen wirst du niedertreten“ (Ps 91,11-13). Wir erkennen aus diesen Versen eine ganze Reihe von Punkten:

  1. Gott beantwortete die Treue und das Vertrauen Christi. Er würde Ihn retten und Ihn vor Unglück bewahren.
  2. Die Engel standen Christus zu Diensten.
  3. Der Teufel zitiert Gottes Wort. Aber dadurch, dass er es unvollständig tut, verfälscht er es.
  4. Christus sollte „auf allen seinen Wegen“ bewahrt werden. Warum lässt Satan gerade diese Worte aus? Er war sich bewusst, dass die Wege, von denen hier die Rede ist, für den Herrn Jesus keine anderen Wege als die des Gehorsams waren. Wäre es ein Weg des Gehorsams gewesen oder gab es eine Anweisung von oben, „ein Wort aus dem Mund Gottes“, sich von dem Tempel herabzustürzen? Nein, und deshalb lässt der Teufel diesen Satzteil aus. Nur auf einem solchen Weg des Gehorsams gab es die Bewahrung von Gott durch die ausgesandten Engel.
  5. Es fällt nicht schwer zu erkennen, warum Satan nicht den 13. Vers zitiert. Denn dieses Wort spricht davon, was ihm selbst widerfahren wird. Der Löwe und die Otter, junge Löwen und Schlangen sind Symbole, die in der Bibel immer wieder in Verbindung mit dem Teufel benutzt werden (vgl. 1. Mo 3,1.14; Ps 22,14; Jes 27,1; 1. Pet 5,8; Off 13,2). Ob Satan instinktiv gespürt hat, dass hier sein eigener Untergang beschrieben wird? Aber obwohl er weiß, dass er am Ende unterliegen wird, versucht er bis zum Schluss, sich gegen Christus und die Seinen zu erheben.
Die Antwort Jesu

Die Antwort des Herrn ist so schlicht und durchschlagend wie die erste. Unser Herr analysiert nicht, was Satan gesagt hat. Er macht auch keine Unterscheidungen, was gut und was verkehrt war von dem, was der Teufel vorbrachte. Damit ist Er erneut das Vorbild für uns. Es mag solche geben, die Einzelheiten des Wortes Gottes unterscheiden können. Aber viele können das vielleicht nicht; und es ist letztlich auch nicht ausschlaggebend. Der Herr zeigt, wie wir mit einem solchen Feind umgehen müssen: „Jesus sprach zu ihm: Wiederum steht geschrieben: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.‘“ Wenn der Teufel das Wort Gottes auch zu benutzen wusste, musste er doch lernen, dass er vor dem Wort Gottes selbst – wenn auch im Sinn von Johannes 1,1 – stand. Christus lebte in diesem Wort, das Wort wohnte in Ihm und so wehrt Er in vollkommener Ruhe diesen Giftpfeil des Widersachers ab.

Es war nicht der Weg des Gehorsams, die Engel und die Macht Gottes herauszufordern, Ihn vor einer Verletzung aufgrund eines Herabwerfens von der Zinne des Tempels zu bewahren. Natürlich hatte Christus volles Vertrauen, dass Gott Ihn auf allen seinen Wegen bewahren würde. Dazu musste Er Gott nicht erst herausfordern, ja besonders versuchen. Es ist beeindruckend, dass der Herr hier gerade nicht seine Rechte als Messias und Gott geltend macht, sondern in einer einzigartigen Niedrigkeit von sich als Mensch spricht, dem es nicht zusteht, Gott zu versuchen.

Der Kontext in 5. Mose 6

Es ist interessant, in welchem textlichen Zusammenhang der zitierte Vers in 5. Mose 6,16 steht. „Ihr sollt den Herrn, euren Gott, nicht versuchen, wie ihr ihn bei Massa versucht habt.“ (Christus zitiert nur den ersten Teil, aber im Gegensatz zu seinem Widersacher verfälscht Er das Wort damit nicht.) Der zweite Teil des Verses hilft uns zu verstehen, was Versuchung in diesem Zusammenhang bedeutet. Das Volk hatte in Rephidim gelagert und kein Wasser zum Trinken gehabt. Da hatte es gemurrt. „Und Mose sprach zu ihnen: Was hadert ihr mit mir? Was versucht ihr den Herrn?“ (2. Mo 17,2). Dieses Wasser wird dann später Massa genannt, „wegen des Haderns der Kinder Israel und weil sie den Herrn versucht hatten, indem sie sagten: Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?“ (Vers 7).

Offenbar hatte das Volk Gott herausfordern wollen. Sie sprachen sozusagen zu Ihm: „Wir glauben nur, dass Du wirklich in unserer Mitte bist, wenn Du uns auf der Stelle Wasser beschaffst.“ Gott gibt es ihnen in seiner Barmherzigkeit, aber Er machte deutlich, dass das Volk Ihn hiermit in böser Weise versucht hatte. Noch viele Jahre später, am Ende der Wüstenreise, kommt Mose auf diese Sache zurück, in dem Segen Levis. Es hat den Anschein, dass es gerade Levi war, der dieses Murren und Versuchen angezettelt hat. Gott muss ihnen das vorwerfen (5. Mo 33,8).

Sollte der Herr seinen Gott nun durch das Herabstürzen von der Zinne des Tempels versuchen, ob Er zu seinen Gunsten wirklich eingreifen würde? Nein, Er wollte weiter auf dem Weg des Vertrauens zu seinem Gott vorangehen. Er sagte: „Bewahre mich Gott, denn ich suche Zuflucht bei dir!“ (Ps 16,1). Er musste Gott nicht versuchen, denn Er wusste ohnehin, dass Gott seine Zuflucht in allem war.

Auch unser Vertrauen kann gar nicht weit genug gehen. Nicht ein – menschlich gesprochen – überhöhtes Vertrauen bedeutet, Gott zu versuchen. Nein, Gott versuchen heißt, Ihm zu misstrauen, Ihn in kritischer Weise auf den Prüfstand zu stellen oder den Wahrheitsgehalt seines Wortes zu testen. Christus aber wusste, dass Gott Ihm immer zur Hilfe kommen würde, wenn es nötig wäre.

Der Teufel versuchte niemand anderes als Gott selbst!

Was tat der Teufel eigentlich in diesem Moment? Wer stand da vor ihm? Christus, der niedrige Mensch auf der Erde, muss Satan zurechtweisen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ Das tat der Teufel aber soeben! Er meinte, den erniedrigten Menschen Jesus auf einen falschen Weg abziehen zu können. Aber der Herr Jesus musste ihm deutlich machen, dass er hier den Sohn Gottes selbst vor sich hatte. Dieser erniedrigte Mensch Jesus war gleichzeitig Gott selbst!

In dieser seiner Autorität tritt der Herr Jesus dem Versucher hier entgegen. Die Antwort auf die erste Versuchung war mehr eine Erklärung für den Grund, warum der Herr nicht auf die Versuchung einging. Hier aber finden wir einen direkten Tadel Satans. Vielleicht ist dies auch die Erklärung dafür, dass der Teufel bei der dritten Versuchung jede Zurückhaltung fahren lässt und einen Generalangriff auf den Herrn der Herrlichkeit startet.

Verse 8–10: Die dritte Versuchung – den Teufel anbeten

„Wiederum nimmt der Teufel ihn mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da spricht Jesus zu ihm: Geh hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben:,Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.‘“ (Verse 8–10).

Zum dritten und vorerst letzten Mal darf sich der Teufel dem König Israels nähern. Nachdem er in der Wüste und auf dem Tempelberg nicht zu seinem Ziel gekommen ist, nimmt er den Herrn Jesus jetzt mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt damit noch einmal seine große Macht. Er besitzt die Frechheit, Christus alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zu zeigen. Es scheint hier weniger um Weltreiche als böse Systeme ohne Gott zu gehen, als vielmehr um die äußere Schönheit dessen, was auf der Erde zu sehen war.

Wer war der Schöpfer dieser Herrlichkeit? Wer hatte sie bereitet und bis zu diesem Zeitpunkt durch seine Macht erhalten, trotz der Sünde des Menschen und des dadurch schon lange eingetretenen Verfalls? Gerade Derjenige, der jetzt vor Satan stand.

Wir können davon ausgehen, dass diese Vorstellung sehr eindrucksvoll war. Heute kennen wir Fernsehen und Internet, wo man sich durch Satellitenfotos in kürzester Zeit alle Städte, Länder, Kontinente, Gebirge etc. zeigen lassen kann. Dies alles stellt der Teufel dem Herrn Jesus vor.

Stellen wir uns einmal vor: Wie die Bilder von Ägypten und den eindrucksvollen Pyramiden in großer Schönheit vor Christus gestellt wurden. Dann verschwindet diese Vision, und alte Städte Griechenlands leuchten auf: Athen, Korinth, Ephesus ... Wieder verändert sich die Szene, und Rom – die glitzernde Welt – erscheint vor dem Herrn. Ein Reich nach dem anderen wird in schönsten Strahlen erleuchtet gezeigt, alles Länder mit Namen. Und das, wie wir aus Lukas 4,5 lernen, „in einem Augenblick“, was vielleicht auf die Vergänglichkeit dieser menschlichen Reiche hinweist.

Und denken wir dann daran, in welcher Verfassung Christus hier vor uns tritt: 40 Tage und Nächte hatte Er in der Wüste gefastet. Man konnte Ihm das zweifellos ansehen; auch seine Kleidung wird durch seine Umgebung gezeichnet gewesen sein. Er war unter wilden Tieren, wie uns Markus berichtet. Die Schöpfung seufzte unter den Folgen der Sünden, auch die Tierwelt. Sie nahmen keine Rücksicht auf ihren Schöpfer, der jetzt als Mensch bei ihnen war. So steht Er da – der Leidende – vor dem mächtigen Satan, der Ihm alle Herrlichkeit vorstellt: „Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“

Was für eine Versuchung, was für ein Angebot! Herrschen über die ganze Erde, über alle Reiche, über die Satan tatsächlich als Fürst und Gott dieser Welt verfügte! Verstehen wir, worin der Angriff des Teufels insbesondere bestand? Satan wollte Christus überwinden, indem er Ihm einen Weg aufzeigte, sich die Leiden zu ersparen. Aber auch was für ein Generalangriff! Denn jetzt gab es zum ersten Mal eine Bedingung: „Wenn du niederfällst und mich anbetest.“ Der Teufel war offenbar durch die Antwort des Herrn auf die zweite Versuchung zu einem wütenden, glühenden Zorn gekommen und versucht jetzt gar nicht mehr, mit List vorzugehen. Wie aber konnte er glauben, dass der Christus Gottes vor dem Teufel, dem Widersacher Gottes, niederfallen würde? Es handelt sich hier um einen frontalen Angriff auf den Herrn und auf Gott selbst.

Satan hatte sich immer verrechnet, wenn er meinte, einen Sieg erringen zu können. Natürlich schätzte der Herr die Gabe Gottes, über alles Geschaffene einmal regieren zu können. Er wird es einmal tun (Off 11,15; vgl. Ps 2,7.8; Ps 8,4-9)! Aber mehr als das schätzte Er den Geber dieser Gabe – und dieser stand allein vor Ihm, nur Ihm wollte Er gehorsam sein und Ihn damit verherrlichen.

Die Antwort Jesu

Die Antwort des Herrn ist dann auch schärfer als bei den beiden ersten Versuchungen: „Geh hinweg, Satan!“ Das erste Mal nennt der Herr seinen Versucher bei seinem Namen. Dieser Name bedeutet: Widersacher. Er spricht von dessen Macht als der große Feind Gottes. In dieser Eigenschaft tritt der Teufel bei der dritten Versuchung auf. Es ist aber auffallend, dass der Herr diesen Namen erst benutzt, nachdem sich der Teufel als dieser Widersacher offenbart hat. Das sollte uns vorsichtig machen, jeden Widerstand in unserem Leben oder im Dienst für den Herrn einfach direkt dem Teufel zuzuschreiben.

Christus schickt Satan jetzt weg. Der Herr hat diese Autorität – es gibt keine Widerrede Satans. Dieser weiß und fühlt, dass er jetzt vor seinem Richter steht. Mit was für einer moralischen Macht und göttlicher Autorität spricht der Herr Jesus hier!13

Der Herr schickt Satan erst an dieser Stelle weg. Hätte Christus ihn nicht bereits nach der ersten anmaßenden Bemerkung verdammen können? Natürlich! Aber Er wollte ausharren bis zum Ende der Versuchungen. Erst als Satan mit einem direkten Affront gegen die Herrlichkeit Gottes anging, musste der Herr Jesus ihn nicht nur in seine Schranken verweisen, sondern ihn auch fortschicken.14 Sein Verhalten ist beispielhaft für uns, wie wir mit Widersachern in unserem persönlichen Umfeld umgehen sollten. Natürlich haben wir keine Autorität wie der Herr. Je nach konkreter Situation können wir solche Menschen nicht einfach wegschicken. Aber wir können solche Leute aus unserem Haus weisen (2. Joh 10) bzw. uns selbst abwenden. Andererseits lernen wir von unserem Meister, wie viel Geduld wir aufbringen sollten.

Der Herr Jesus fährt dann fort: „Denn es steht geschrieben:,Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.'“ Wieder gibt es zwei Zielrichtungen des Wortes, wie auch bei der Antwort des Herrn auf die zweite Versuchung Satans.

  1. Der Herr Jesus macht klar, dass es nur eine Person gibt, die angebetet werden darf: Gott, der Herr, und niemals der Teufel. Damit ist ein Dienen und Anbeten im Sinne eines Gottesdienstes gemeint. Wir sollten aber aus seiner Antwort nicht ableiten, der Herr Jesus selber hätte Gott diesen Gottesdienst gebracht oder bringen müssen – denn Er ist selbst Gott!
  2. Zugleich zeigt Er dem Widersacher, dass dieser sich eigentlich vor Christus niederwerfen müsste, anstatt Ihn zu versuchen. Denn Er ist Gott, wie wir gerade noch einmal gesehen haben. Wir wissen, dass auch Satan einmal vor Christus niederfallen wird, weil er es tun muss: „Damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“ (Phil 2,10.11). Satan ist einer dieser Unterirdischen, die sich einmal vor Christus beugen müssen. Aber bis zu diesem Zeitpunkt, bis er in den Feuersee geworfen werden wird, ist er als Widersacher tätig, der Christus schaden, die Seinen in die Irre führen und die Menschen insgesamt vernichten will, damit sie nicht zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und sich bekehren.

Vers 11: Der Teufel muss verschwinden

„Dann verlässt ihn der Teufel, und siehe, Engel kamen herzu und dienten ihm“ (Vers 11).

Satan muss sofort gehorchen und verlässt den Herrn. Aus dem Versucher wird ein Geschlagener, der von dem Herrn weichen muss. Bedenken wir noch einmal: Sein Überwinder war Jesus, der wahrhaftige Mensch, nicht in seiner Eigenschaft als Gott, der Sohn!

Wir wissen, dass der Teufel nicht für immer von dem Herrn wegging. Denn Lukas berichtet uns, dass er nur eine Zeitlang von Ihm wich. Einige Ausleger denken, dass der Teufel gerade in Gethsemane wieder erscheint. Doch spätestens am Kreuz war er ein weiteres Mal aktiv. Dort reizte er alle auf, sich gegen Christus zu wenden, um Ihn umzubringen. Das war schon in 1. Mose 3,15 so angekündigt worden.

Anstelle Satans kamen Engel zu dem Herrn Jesus, von Gott geschickt, und dienten Ihm. Mit was für einer Bewunderung werden sie vor Ihm gestanden haben, nachdem sie Beobachter dieser eigentümlichen Szene waren, als es dem Widersacher erlaubt war, sich gegen den Herrn der Herrlichkeit zu erheben. Wie beeindruckend muss es für diese himmlischen Wesen gewesen sein, jetzt ihren Schöpfer in diesen Umständen zu bedienen – „Dinge, in welche die Engel hineinzuschauen begehren“ (1. Pet 1,12).

Die christliche Seite der ersten 11 Verse

Diese ersten Verse des Kapitels zeigen uns auch unsere Situation heute, denn auch wir werden von Satan versucht. Es gibt allerdings einen gewaltigen Unterschied zwischen Christus und uns. Während wir das sündige Fleisch an uns tragen, war Er der Sündlose, der Vollkommene. Umso wichtiger ist es für uns, den Spuren unseres Herrn Jesus Christus nachzufolgen, um Ihm ähnlicher zu werden.

Der Herr hatte seinen Jüngern gesagt: „Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende auch ich euch“ (Joh 20,21). Er hat uns nicht an einen Ort der Freude, sondern der Übung gesandt. Hier begegnen wir seinem und unserem großen Widersacher.

Wir können dem Teufel deshalb „begegnen“ oder „entgegentreten“, weil Christus ihn schon besiegt hat. Sonst hätten wir keine Chance gegen ihn. Aber da wir „in Christus“ sind, brauchen wir keine Angst vor Satan zu haben. Wenn wir Christus in die Versuchung hineinbringen, werden wir überwinden. Dann, und nur dann, gilt Jakobus 4,7: „Widersteht aber dem Teufel, und er wird von euch fliehen.“ Wir müssen uns aber bewusst sein, dass wir dem Teufel immer unterlegen sind, wenn wir auf unsere eigene Kraft vertrauen – da hilft uns auch nicht, dass der Teufel ein grundsätzlich besiegter Feind ist.

Auch für uns ist wahr, was wir über die Engel in Bezug auf Christus hier lesen. Denn der Schreiber des Hebräerbriefs sagt uns über die Engel: „Sind sie nicht alle dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, welche die Errettung erben sollen?“ (Heb 1,14). Sie sind für uns tätig in Bezug auf unsere äußeren Umstände. Was für ein Wunder! In diesem Sinn kommen auch Engel zu uns, um uns zu bedienen.

Die Taktik Satans

Abschließend zu diesem Teil wollen wir zusammenfassend noch einen Blick auf Satans Taktiken werfen, die in diesen Versen sichtbar werden:

  1. Er sät Zweifel daran, dass Gott für uns ist (Vers 6). Wir sollen unserem himmlischen Vater mit ganzem Herzen vertrauen.
  2. Er will uns zu einem unabhängigen Handeln verleiten, für das wir keine konkrete Willensäußerung Gottes erhalten haben (Vers 3). Wir sollen auf Gott warten. Wenn wir keine Weisung von oben haben, gilt es zu warten.15
  3. Er benutzt alles, was ihm zur Verfügung steht, und auch die Umstände, um uns anzugreifen: menschliche Schwachheit und Begrenztheit, Worte Gottes und Herrlichkeiten der Welt. Wir sollten – unabhängig von den Umständen – auf den Herrn vertrauen und Ihm gehorchen.
  4. Er sät Zweifel an den Aussagen Gottes (Vers 3). Er ist der Lügner von Anfang und kann nicht anders als lügen! Wir sollten trotzdem nicht zweifeln, sondern den Aussagen Gottes vertrauen.
  5. Er versucht uns zu verführen. Unsere Antwort soll sein: Es steht geschrieben.
  6. Auch Satan weiß die Bibel anzuwenden (Vers 6). Aber wenn er sie zitiert, zitiert er nur einen Teil und/oder verfälscht das Wort Gottes. Wir können dem Teufel nur wirksam begegnen, wenn das Wort Gottes in uns wohnt und wir deshalb wissen, was seine wahren Aussagen sind.
  7. Der Teufel ist nicht an einen Ort gebunden (Verse 1.5.8). Er kann uns überall begegnen, so dass wir überall vor ihm auf der Hut sein müssen! Auch an heiligen Orten sind wir nicht vor Satan sicher (vgl. Vers 5). Vielleicht sind die Zusammenkommen als Versammlung (Gemeinde) die gefährlichsten Situationen für uns, weil dort Satan in besonderer Weise angreift.
  8. Satan möchte immer, dass wir uns vor den Augen der Menschen selbst groß machen (Vers 6). Christus hat uns die Demut vorgelebt!
  9. Satan ist mächtig. Wir sollten nicht denken, dass er nicht mehr mächtig auftreten könnte (Verse 5.8). Dennoch können und sollen wir ihm widerstehen (Jak 4,7). Der, der für uns ist, ist stärker als der Teufel!
  10. Satan ist in der Lage, uns die Welt groß und herrlich vorzustellen (Vers 8). Wir sollen immer die Sichtweise Gottes einnehmen.
  11. Manchmal fährt Satan einen Frontalangriff gegen uns (Vers 9). Auch dann gilt es, ruhig zu bleiben und einfach Gottes Wort sprechen zu lassen.
  12. Wenn der Teufel eine Zeitlang von uns geht (Vers 11), sollten wir nicht glauben, dass er nicht wiederkommen könnte. Das uns glauben zu machen, ist nämlich auch eine seiner Taktiken! Wir müssen immer auf der Hut bleiben!

Es gibt für uns Gläubige zwei zentrale „Hilfsmittel“, die der Herr uns als „Verteidigungswaffen“ gegen Satan geschenkt hat:

  1. Das Wort Gottes, das in uns wohnen soll und in dem wir „zu Hause sein“ sollen. Mit einem „es steht geschrieben“ können wir den Feind in die Flucht schlagen. In diesem Wort finden wir den Willen Gottes für unser Leben fest verankert, jedenfalls, was die Grundprinzipien betrifft, nirgendwo anders. Daran sollen wir uns halten. Nur das ist der Maßstab für unser Leben.
  2. Der Heilige Geist in uns macht dieses Wort Gottes für jeden Augenblick unseres Lebens lebendig. Nicht für jedes Detail finden wir eine Handlungsanweisung in der Bibel. Aber der Geist Gottes, die göttliche Person, die in uns wohnt, wendet die Grundprinzipien des Wortes auf die konkrete Situation unseres Lebens an.
    Angesichts des Aufgebots mächtiger Taktiken des Teufels zeigt uns der Herr Jesus durch sein Verhalten drei Grundhaltungen, die wir bei Angriffen Satans beachten sollten:
    a.) Gehorsam. Wenn wir die innere Bereitschaft zum Gehorsam dem Wort Gottes und damit dem Herrn Jesus gegenüber bewahren, werden wir vor dem Fall bewahrt. Dann wohnt sein Wort in uns. Wir müssen nicht alles verstehen, sondern einfach das tun, was die Bibel sagt. „Was das Tun des Menschen betrifft, so habe ich mich durch das Wort deiner Lippen bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen“ (Ps 17,4) – das sollte unsere Haltung sein. Es setzt aber ein reines Herz voraus. Wenn wir das Wort Gottes mit der Unterscheidungskraft eines reinen Herzens anwenden, werden wir den Versuchungen widerstehen können. „In meinem Herzen habe ich dein Wort verwahrt, damit ich nicht gegen dich sündige“ (Ps 119,11).
    b.)Vertrauen: Wenn wir uns ständig bewusst machen, dass alles Handeln Gottes mit uns zu unserem Guten dient, weil Gott gut und gütig ist (1. Pet 2,3), hilft uns dies, nicht in die Fallstricke Satans zu fallen.
    c.) Gottesdienst: Wenn wahrer Gottesdienst (wahre Anbetung Gottes im Herzen) durch unseren Mund (Heb 13,15; 1. Pet 2,5) und in unserem Leben (Röm 12) Realität ist (3. Versuchung), bewahrt uns dies davor, auf Satan zu hören, der gerne an unsere natürliche Herzensneigung anknüpft, groß vor Menschen sein zu wollen und es hervorragend versteht, uns dieses Gefühl auch zu vermitteln (2. Versuchung).

Verse 12 -25: Der öffentliche Dienst des Messias beginnt

In dem zweiten Teil des Kapitels kommen wir nun zum Beginn des öffentlichen Dienstes des Messias. Nach den Versuchungen durch den Teufel begann Er seine Arbeit – in der verachteten Gegend Israels, in Galiläa, in Kapernaum. Erneut wurde eine alttestamentliche Prophetie erfüllt. Nicht, dass die Weissagungen seine Schritte bestimmt hätten. Aber seine Handlungen erfüllten die Prophetie Schritt für Schritt.

Zunächst berief Er Jünger aus dieser Gegend. Er nahm Satan jetzt Beute für Beute weg, um sie in sein eigenes Königreich zu bringen. Schließlich finden wir in den letzten Versen eine Zusammenfassung des Dienstes des Königs. Dies dient der Einführung in die Kapitel 5–7, in denen der König die Grundsätze seines Königreichs skizziert.

Verse 12.13: Der Messias wendet sich Galiläa und Kapernaum zu

„Als er aber gehört hatte, dass Johannes überliefert worden war, zog er sich nach Galiläa zurück; und er verließ Nazareth und kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naphtali“ (Verse 12.13).

Christus beginnt nun seinen öffentlichen Dienst. Man mag unwillkürlich fragen: Wo wird Er die ersten Werke tun? Was wird Er den Menschen, was seinem Volk zuerst mitgeben? Sicher wird Er in Jerusalem, der Hauptstadt Israels, auftreten. Oder zumindest in seiner Umgebung, um die Aufmerksamkeit der Vornehmen des Landes auf sich zu ziehen.

Nein, nichts von alledem. Nicht in Jerusalem, nicht in Judäa trat Er auf, sondern zog sich zurück weit weg vom Zentrum der Nation, in das verachtete Galiläa. Das jüdische Volk, versammelt um Jerusalem als Mittelpunkt, war nicht bereit für die Gegenwart seines Messias, des Sohnes Davids. Der Herr Jesus begibt sich zu den Armen und Verachteten der Herde, um sich und die Hoffnung Israels für das Volk zu offenbaren.

Die ersten historischen Stationen im Dienst des Herrn

Nun muss man berücksichtigen, dass Matthäus einige der ersten Stationen im (vor)öffentlichen Dienst Jesu auslässt. Wir wollen uns kurz vergegenwärtigen, was dem Herrn Jesus in dieser Zeit begegnete.

Johannes berichtet uns, dass durch den Dienst Johannes' des Täufers Menschen zu dem Herrn Jesus kamen (Joh 1,35-51), die wir später in allen Evangelien wiederfinden: Andreas, Petrus, Philippus und Nathanael (= Bartholomäus). Das muss in Galiläa gewesen sein, denn von dort kamen diese Jünger (vgl. Lk 22,59). Dann war der Herr in Kana (Joh 2,1-11). Hier machte Er „den Anfang der Zeichen“ (Joh 2,11).

Danach trat der Herr in Jerusalem auf, wo das erste Passah seiner Dienstzeit stattfand. Er reinigte den Tempel, der von den Juden verunreinigt worden war (Joh 2,13-25). In dieser Verbindung – Er ist noch in Jerusalem – kam auch Nikodemus zu Ihm (Joh 3,1-21). Dann ging Er nach Judäa und taufte die Menschen, wobei dies parallel zur Taufe des Johannes geschah (Joh 3,23). Da das Volk den Herrn als eine Art Konkurrenz zu Johannes dem Täufer ansah, zog Er sich nach Galiläa zurück (Joh 4,1-3). Auf dem Weg dorthin fand die Begegnung mit der Frau aus Sichar statt (Joh 4,3-42). Aus Lukas 4,16-30 wissen wir, dass Er zuerst in seine Heimatstadt Nazareth ging. Erst, nachdem Er auch dort verworfen worden war, ging Er nach Kapernaum weiter (Lk 4,31). Damit sind wir bei der Situation, in die uns Matthäus hier einführt.

Verworfen in Galiläa

Die Überlieferung des Johannes veranlasste unseren Retter, sich nach Galiläa zurückzuziehen. Wenn das Volk und seine Führer schon den Vorläufer, den Herold des Messias, verwarfen, dann würden sie auch Christus selbst verwerfen. Der Herr spürte diese Verwerfung in vollkommener Weise. Wenn man über die Leiden des Herrn nachdenkt, dann versteht man: Schon dieses Verworfensein machte einen Teil seiner Leiden aus!

Der wahre König musste die eigentliche Königsstadt – Jerusalem – verlassen. Er konnte nicht dort bleiben, wo Er gerne geblieben wäre. Stattdessen musste Er sich an einen Ort der Verachtung begeben, denn Galiläa war der verachtete Teil Israels. Dort lebten die unreinen Nationen, die Heiden, die zur Zeit der assyrischen Gefangenschaft dort angesiedelt wurden. Mit ihnen wollte niemand etwas zu tun haben. Hier sprach man einen Akzent, der anders war als im Land Juda (Mt 26,73). Aber damit nicht genug: Jesus musste dort sogar aus seiner Heimatstadt Nazareth weichen und in das noch mehr verachtete Kapernaum gehen. Kapernaum wurde zu „seiner Stadt“ (Mt 9,1).

Diese Stadt war in besonderer Weise das Symbol für den heidnischen Einfluss, denn es war eine Handelsstadt am See, im Norden des Sees Genezareth, wo die Heiden ankamen und ihre Handelswaren an den Mann brachten. Kapernaum wurde daher sogar von den verachteten Galiläern verschmäht. Dorthin also „schob“ man den Herrn der Herren „ab“. Andererseits wissen wir aber auch, dass nichts mit dem Herrn geschah, was Er nicht bewusst zuließ. In diesem Sinn wählte Er als seinen Wohnort diese Stadt der Verachtung.

Die Verwerfung Christi im Matthäusevangelium

Das ist auch im Hinblick auf das Thema des Matthäusevangeliums von Bedeutung. Wir haben von Anfang an gesehen, dass dieses Buch weit darüber hinaus geht, Jesus als den König für Israel zu sehen. Da Israel Ihn verwarf, bringt Er im Sinne Abrahams Segen für die ganze Erde, für alle Nationen. Auch für diese Heiden, die durch den Hafen von Kapernaum nach Galiläa in Israel kamen. Immer wieder werden wir im Matthäusevangelium auf die Folgen der Verwerfung des Herrn durch Israel stoßen. Es gibt besonders zwei Folgen für die Nationen:

  1. Erstens würde durch diese Verwerfung das Königreich der Himmel in einer neuen, ganz anderen Form eingeführt werden. Das wird besonders in Kapitel 13 beschrieben.
  2. Zweitens ist die Verwerfung durch die Juden der Anlass für Christus, seine Versammlung (Gemeinde, Kirche) zu bauen (Kapitel 16,18).

Schon vor seinem öffentlichen Auftreten war Christus der Verworfene – das haben wir in Kapitel 2 gesehen. Diese Tatsache nahm ihre Fortsetzung mit seinem öffentlichen Auftreten (Kapitel 4,12). Und auch während seines öffentlichen Dienstes bleibt Er derjenige, den man nicht haben wollte (Kapitel 8–12). Nachdem seine Verwerfung schließlich feststand, wurde diese weiter betrieben und verstärkt, bis man Ihn letztlich ans Kreuz nagelte (Kapitel 13–27).

Zum Trost gesetzt

Doch kommen wir zu Kapernaum zurück. Die Bedeutung des Wortes ist interessant. Kapernaum heißt Dorf des Nahum, Dorf des Trösters bzw. der Tröstung. Hier ließ sich der „wahre Trost Israels“ nieder, ja der Trost für die, die unter dem moralischen Zustand des Volkes und unter ihren eigenen Sünden seufzen. Es gibt nur einen Menschen, der mit Recht den Titel „Tröster“ trägt – der Heiland der Welt, der jetzt für eine Zeit seinen Wohnsitz in diesem Dorf einnahm.

Dieser Ort gehörte zu dem Gebiet von Sebulon und Naphtali. Dies waren keine Stämme, die durch besondere Treue oder Prominenz aufgefallen wären, was einen weiteren Grund für seine Geringschätzung durch das Volk Israel lieferte. Der Verweis auf diese beiden Stämme Israels macht schließlich deutlich, dass Jesus nicht allein in Kapernaum geblieben ist, sondern die ganze Gegend bereist hat und in ihr wirkte.

Verse 14–16: Licht in Galiläa

„Damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaja geredet ist, der spricht: ‚Land Sebulon und Land Naphtali, gegen den See hin, jenseits des Jordan, Galiläa der Nationen: Das Volk, das in Finsternis sitzt, hat ein großes Licht gesehen, und denen, die im Land und im Schatten des Todes sitzen – Licht ist ihnen aufgegangen.‘“ (Verse 14–16).

Wieder treffen wir auf eines der hervorstechenden Merkmale des Berichtes von Matthäus. Der Herr Jesus erfüllte auch mit der Wahl seines Wohnplatzes Kapernaum eine alttestamentliche Weissagung. Es ist erstaunlich, mit welcher Präzision selbst vermeintlich nebensächliche Einzelheiten im Leben des Messias im Alten Testament vorhergesagt worden waren. Kein anderes Bibelbuch wird dabei so häufig angeführt wie das des Propheten der Gnade, Jesaja. Wieder finden wir dieses Zitat nur bei Matthäus. Es handelt sich bereits um das zehnte Zitat aus dem Alten Testament.

Jesaja 8,23 - 9,1: Ein großes Licht für die finstere Gegend der Verachtung

Die in den Versen 14–16 zitierten Worte aus dem Propheten Jesaja heißen dort wörtlich: „Doch nicht bleibt Finsternis dem Land, das Bedrängnis hat. In der ersten Zeit hat er das Land Sebulon und das Land Naphtali verächtlich gemacht; und in der letzten bringt er zu Ehren den Weg am Meer [d.h. am See Genezareth], das Jenseitige des Jordan, den Kreis der Nationen. Das Volk, das im Finstern wandelt, hat ein großes Licht gesehen; die da wohnen im Land des Todesschattens, Licht hat über ihnen geleuchtet“ (Jes 8,23 - 9,1).

Diese Verse stehen natürlich nicht isoliert in diesem wunderbaren Bibelbuch über den Messias Israels. Sie bilden den Teil eines längeren prophetischen Abschnitts, in dem die Widerspenstigkeit Israels bloß gelegt wird. Als Folge davon kommen Gerichte Gottes über das Volk, da es der Aufforderung seiner Stimme nicht Folge leisten will. „Bei all dem wendet sich sein Zorn nicht ab, und noch ist seine Hand ausgestreckt“ (Jes 5,25). Inmitten dieses richterlichen Handelns Gottes wird die Herrlichkeit des Herrn in Jesaja 6 vorgestellt. Denn bei allem Gericht geht es Gott um seine eigene Ehre! Wir wissen, dass diese Herrlichkeit in der Person des Herrn Jesus, des Sohnes des Menschen, offenbart worden ist; sie ist die Herrlichkeit Christi (Joh 12,41). Daher wird im Anschluss daran von Gott durch Jesaja in Kapitel 7,14 die Geburt dieses „Gott mit uns“ angekündigt. Es ist die Weissagung einer vollkommen übernatürlichen Geburt. Jetzt saß der Richter also nicht einfach als göttliche Person auf seinem herrlichen Thron, sondern jemand war hier, der als Mensch auf dieser Erde geboren werden sollte.

Jesaja 8 zeigt uns dann die ernüchternde Wirklichkeit: Das Volk würde sich auch nach der herrlichen Geburt des Kindes (Kapitel 7) nicht um die Warnungen Gottes kümmern. Im Gegenteil – sie würden Gott verachten und verwerfen. Wir finden im achten Kapitel die gottesfürchtigen Übriggebliebenen, die mehr und mehr inmitten des furchtbaren Zustands des Volkes isoliert sind. „Und ich will auf den Herrn harren, der sein Angesicht verbirgt vor dem Haus Jakob, und will auf ihn hoffen“ (Jes 8,17). Wenn Israel seinen Herrn und König verwirft, erscheint dieser treue Überrest; für sie wird es am Ende einen bleibenden Segen geben. Er wird gestützt durch Gott: „Siehe, ich und die Kinder, die der HERR mir gegeben hat, wir sind zu Zeichen und zu Wundern in Israel vor dem Herrn der Heerscharen, der auf dem Berg Zion wohnt“ (Vers 18).

In den Versen, die den in Matthäus 4 zitierten vorangehen, ist dann von der Drangsal und moralischer Finsternis in Israel die Rede. Doch es gibt Treue und Übriggebliebene, die an Gott festhalten und diese „dichte Finsternis“ tief empfinden. Diese Finsternis findet ihren höchsten Ausdruck in der Verwerfung Gottes, des Königs selbst (Vers 21). Aber Gott eröffnet den Demütigen durch den Propheten Jesaja Hoffnung für diese Umstände. Wenn sie bekennen würden, dass sie in einem Land voller Finsternis leben, würde diese Finsternis nicht auf ewig bleiben.

Aber zunächst würde Gott den Landstrich Sebulon und Naphtali verächtlich machen. Dieser Teil des Volkes war es, den der assyrische König Tiglat-Pileser in der Zeit von Jotham und Ahas als Erstes in die Gefangenschaft nach Assyrien wegführte (2. Kön 15,29). Damit begann die schreckliche Schlussphase des Nordreichs, das dann in totaler Finsternis und in Götzendienst endete. Das ganze Land wurde von Assyrien mit Heiden neu besiedelt, die ihren Götzendienst dort einführten. Auf diese Weise wurde – wie wir schon sahen – die Gegend in Juda-Israel „verächtlich gemacht“.

Aber das war nicht das Ende. Dieses Volk, das im Finstern wandelt – Matthäus spricht sogar davon, dass sie in der Finsternis „sitzen“ –, sollte ein großes Licht sehen. In Christus war diesem Land Sebulon und Naphtali wirklich ein großes Licht aufgegangen. Erinnert das nicht an Paulus der auf dem Weg nach Damaskus „ein großes Licht aus dem Himmel“ sah (Apg 22,6) – nämlich Christus, der sich ihm in den Weg stellte? Es ging um den Herrn-Messias, den göttlichen König, nicht einfach um ein menschliches Wesen. Aber Ihn würde sein Volk gering achten, und Ihn würden die Führer direkt verwerfen. Er würde sich aber in Gnade denen offenbaren, die selbst der Auskehricht des Volkes waren. Unter ihnen würde der Messias einen Überrest formen, der sich zu Ihm bekennen würde.

Vom Todesschatten zum Licht

Dort, wo „Todesschatten“ waren durch die Fremdherrschaft der Assyrer und später der Römer und Edomiter, würde ein Licht der Hoffnung aufgehen, indem Gott den Menschen und sein Volk heimsuchen würde. Der, den die Juden als den „Sohn des Zimmermanns“ bezeichnen würden (Mt 13,55), war dieses große Licht. Es erschien nicht in Jerusalem, nicht bei den Führern des Volkes, sondern bei denen, die verachtet wurden. Sie durften etwas von der Herrlichkeit Gottes sehen, sie, „die in Finsternis und Todesschatten sitzen“, damit ihre Füße auf den Weg des Friedens gerichtet würden (Lk 1,79). Hier wurde eine Stadt „bis zum Himmel erhöht“ (Mt 11,23) – aber was für eine Verantwortung war damit für die Einwohner verbunden!

Damit endet die Anführung Jesajas. Denn tatsächlich hat das Volk seinen Christus, das große Licht, abgelehnt. Selbst diese Verachteten des Volkes Israel haben ihren König hinausgeworfen. Ihre eigentliche Erfüllung werden die Worte von Jesaja 9,2 daher erst finden, wenn Christus ein zweites Mal wiederkommt, um sein Volk aus der Verachtung, aus der Finsternis zu retten. Denn auch an dieser Stelle – wie schon in den Zitaten der Kapitel 2 und 3 – hat der Prophet beide Kommen Christi vor Augen.

Wie tragisch, dass das Volk Israel bis heute nicht erkannt hat, was für ein Licht ihnen damals aufgegangen war. Traurig ist aber auch, dass sogar solche, die sich nach dem Namen Christus nennen, dieses Licht grundsätzlich verwerfen!

Vers 17: Die Predigt des Christus

„Von da an begann Jesus zu predigen und zu sagen: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen“ (Vers 17).

Mit der Prophetie über Sebulon und Naphtali beginnt dann das öffentliche Wirken des Herrn Jesus. Der Rest dieses Kapitels ist wie eine vorweggenommene Zusammenfassung seines ganzen Dienstes, bevor Er dann die Grundsätze seines eigenen Königreichs verkündigt und wir die großen Einzelheiten seines Dienstes kennen lernen. Hier finden wir

  1. die Predigt der Buße zur Aufnahme in sein Königreich (Vers 17),
  2. die Berufung von Jüngern in seine Nachfolge (Verse 18–22),
  3. das Lehren und Predigen des Evangeliums und das Vollbringen von Wundern (Verse 23–25).

Die Bedeutung dieses Augenblicks ist uns leider viel zu wenig bewusst. Hier tut der König Gottes zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit seinen Mund auf. Zwar war Er zuvor schon in eher verborgener Weise tätig gewesen (Joh 2-4) und hatte auch schon in der Synagoge in Nazareth einen Dienst getan (Lk 4). Aber jetzt beginnt sein eigentlicher öffentlicher Dienst. Nachhaltig und über einen längeren Zeitraum hinweg predigt Er jetzt den Menschen und wirkt Wunder.

Der Unterschied zwischen Johannes dem Täufer und Christus

Jesus befindet sich hier auf gleichem Terrain wie Johannes der Täufer. In Kapitel 3 haben wir gesehen, dass von diesem dieselben Worte gesprochen werden. Wenn wir jedoch an den Augenblick der Taufe denken, was für ein gewaltiger Unterschied bestand zwischen diesen beiden Personen!

Jetzt sprach Derjenige, der das Königreich in sich verkörperte, der König selber! Johannes wies auf einen anderen, Größeren hin, wenn er von dem Königreich der Himmel sprach. Christus dagegen war selbst der König, dessen Königreich Er predigte. Er sprach mit einer göttlichen Autorität, die Ihm nicht gegeben war, sondern die Er in sich selbst verkörperte, da Er Gott war.

Weitere Unterschiede treten in den nächsten Versen zutage: Von Johannes lesen wir nicht, dass er Jünger anstellte. Wir wissen, dass er Jünger hatte – solche, die später die Jünger des Herrn wurden. Aber wir lesen nicht, dass er mit der Autorität des Herrn zu einem Menschen sprach: „Folge mir nach!“. Jesus aber konnte das tun, der „Gott mit uns“.

Von Johannes lesen wir nicht, dass er auch nur ein einziges Wunder getan hätte. „Johannes tat ... kein Zeichen“, lesen wir in Johannes 10,41. Er war der größte Prophet, aber er wirkte am Ende einer Zeitepoche. Christus dagegen war Gott selbst. Er eröffnete eine vollkommen neue Zeit, wie wir es auch bei Mose finden. Wunder fanden immer dann statt, wenn Gott eine neue Heilsperiode einläutete (Mose, Jesus Christus, Petrus und Paulus) oder wenn Er in einer sehr dunklen Zeit einen Überrest neu bilden ließ (Elia und Elisa, die beiden Zeugen in Offenbarung 11). Johannes kündigte zwar eine neue Zeit an – aber er wirkte am Ende einer Zeitepoche. Daher finden wir bei ihm keine Zeichen und Wunder.

Verse 18–22: Christus beruft Jünger

„Als er aber am See von Galiläa entlang ging, sah er zwei Brüder: Simon, genannt Petrus, und Andreas, seinen Bruder, die ein Netz in den See warfen, denn sie waren Fischer. Und er spricht zu ihnen: Kommt, folgt mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sie aber verließen sogleich die Netze und folgten ihm nach. Und als er von dort weiterging, sah er zwei andere Brüder: Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, im Schiff mit ihrem Vater Zebedäus, wie sie ihre Netze ausbesserten; und er rief sie. Sie aber verließen sogleich das Schiff und ihren Vater und folgten ihm nach“ (Verse 18–22).

Das zweite Kennzeichen des öffentlichen Dienstes des Herrn war, dass Er Jünger in seine Nachfolge berief. Es handelte sich nicht um die erste Begegnung von Petrus und Andreas mit dem Herrn Jesus. Ihre Bekehrung lag schon länger zurück. Denn bei ihrer ersten Begegnung mit dem Herrn, von der wir in Johannes 1,37-42 lesen, waren sie bereits Jünger des Johannes und hatten offensichtlich bereits Buße getan. Dass diese vor der in Matthäus 4 geschilderten Gelegenheit stattgefunden hat, erkennt man auch daran, dass der Herr nach Matthäus 4,18 bereits in Galiläa wirkte, während die Begebenheiten in Johannes 1 noch in der Zeit des Wirkens von Johannes in Judäa (Jerusalem) stattfanden, als Johannes der Täufer noch nicht in Gefangenschaft geraten war.

Jesus ging am See entlang, um Jünger in seine Nachfolge zu rufen. Aber es ging Ihm nicht nur um die bloße Jüngerschaft dieser Männer. Er wollte sich in seinem Werk der Liebe Gefährten suchen, die seine Gedanken und Empfindungen teilen würden und die zugleich mit Ihm im Werk Gottes tätig sein würden.

Bekehrt, um zu dienen, nicht umgekehrt!

Wenn wir hier die Berufung der Jünger betrachten, müssen wir berücksichtigen, dass Petrus und Andreas sowie Jakobus und Johannes bereits Gläubige waren. Sie gehörten zu dem sogenannten treuen Überrest, der auf den Messias wartete. Als sie ihre erste Begegnung mit dem Herrn gehabt hatten, waren sie von Ihm so überwältigt gewesen, dass sie bei Ihm hatten bleiben wollen, da, wo Er sich aufgehalten hatte (Joh 1,35-39). Daher war es jetzt nicht verwunderlich, dass sie bei dem Ruf ihres Messias sofort gehorchten.

Der Herr Jesus beruft auch heute nur solche in seine Nachfolge, die gläubig sind. Das heißt, dass wir den Herrn Jesus als Retter angenommen und sein Sühnungswerk am Kreuz von Golgatha als für uns notwendig und ausreichend in Anspruch genommen haben müssen, bevor wir seine Jünger und Diener sein können. Der Herr beruft niemand in seinen Dienst, um ihn zu bekehren, sondern Er bekehrt jemand, damit dieser Ihm dient.

Zu Ihm kommen und nachfolgen

Petrus und Andreas waren damit beschäftigt, ein Netz in den See zu werfen, um Fische zur Nahrung und zum Verkauf zu fangen. In dieser Situation spricht der Messias sie an und ruft ihnen zu: „Kommt, folgt mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen.“

Wie wir oben gesehen haben, ist der erste Schritt in die Nachfolge des Herrn die Bekehrung. Der zweite Schritt besteht darin, dass man auch im praktischen Leben zu Ihm „kommt“. „Wo ich bin, da wird auch mein Diener sein“ (Joh 12,26). Auch wenn sich diese letzte Aussage aus Johannes 12 darauf bezieht, dass wir bei Christus im Haus seines Vaters sein werden – da ist Er –, so macht der Herr durch dieses Wort doch zugleich einen Grundsatz deutlich. Der Jünger ist da, wo sich sein Lehrer aufhält. Wie sollte ein treuer Jünger sonst auch nachfolgen können? Zu den Füßen des Meisters lernen wir, wie wir Ihm nachfolgen können und wo unser Platz ist. Wenn wir auf Ihn schauen, erkennen wir, was zu tun ist.

Der dritte Schritt ist schließlich, Ihm auch konkret nachzufolgen. Das beinhaltet, dass man mit seinem früheren Leben abschließt. Das finden wir bei Petrus und Andreas. „Sie aber verließen sogleich die Netze und folgten ihm nach.“ Nachfolge schließt also mit ein, dass man sich mit allem, was man hat, auf den konzentriert, dem man nachfolgen möchte. Bei konsequenter Nachfolge ist für das alte Leben kein Platz mehr. Den Jüngern hier war der Ruf Jesu genug. Sie wussten: Wir haben einen neuen Herrn gefunden. Genauer gesagt: Er hat uns gefunden.

Ein konkreter Ruf ist nötig

Für die meisten Gläubigen muss dies aber durchaus nicht bedeuten, wie Petrus und Andreas den alten Beruf aufzugeben. Aber auch solche Diener hat der Herr heute noch. Er beruft sie in seinen Dienst als Evangelisten, Missionare, Kolporteure, Hirten und Lehrer.

Für solche ist es nötig, einen ganz klaren „Ruf“ von Ihm gehört zu haben. Dann mag man auch seinen Beruf aufgeben, um seine ganze Zeit dem unmittelbaren Dienst für den Herrn zu widmen. Das heißt natürlich nicht, dass man seine Familie im Stich lassen sollte. So dürfen wir es auch nicht bei Jakobus und Johannes verstehen. Sie verließen ihren Vater, ja, aber sicher nicht ihre Ehefrauen. Und auch ihr Vater war durch ihr Weggehen nicht wirklich „verlassen“, denn aus Markus 1,20 wissen wir, dass er noch Tagelöhner hatte, die ihn weiter in seiner Arbeit unterstützt haben.

Schön ist es, bei allen vier genannten Jüngern zu sehen, wie eifrig sie dem Herrn sofort folgten. Der Herr war noch nicht in der allgemeinen Öffentlichkeit als Wunderwirker aufgefallen; inwiefern die Jünger Kenntnis des Wunders in Kana besaßen (Joh 2,1-11), das wohl noch vor der Zeit seines öffentlichen Wirkens und damit auch vor der Berufung von Petrus, Andreas, Johannes und Jakobus (Mk 1,16 ff.; Lk 5,4 ff.; Mt 4,18 ff.) ausgeführt wurde, wissen wir nicht. Es war seine persönliche Ausstrahlung, die dazu führte, dass sie „sogleich“ alles stehen und liegen ließen, um Ihm nachzufolgen. Ob der Herr wohl bei uns eine ebenso schnelle positive Reaktion hervorruft, wenn Er uns ruft?

Die Berufung von Jakobus und Johannes ist der von Andreas und Petrus sehr ähnlich. Auch die Reaktionen sind übereinstimmend. Das darf uns zum Ansporn sein, es ihnen nachzumachen. Dabei fällt auf, dass sie keine lange „Ausbildungszeit“ absolvieren mussten, um den Titel „Menschenfischer“ tragen zu dürfen! Natürlich lernten sie in der Nachfolge des Herrn die Arbeit eines Menschenfischers über drei Jahre lang. Aber mit dem Ruf des Herrn und ohne eine akademische Ausbildung, ohne eine Bibelschule oder Missionsseminare übertrug der Herr ihnen Aufgaben, zu deren Erfüllung Er selbst ihnen in seiner Allmacht die nötigen Fähigkeiten gegeben hatte und geben würde.

Man mag sich heute rhetorisch bilden und auch im Umgang mit Menschen schulen, was viele für ihren Beruf als Pflicht auferlegt bekommen haben. Aber darauf kommt es nicht an. Man mag vielleicht ein Seminar zum Thema Gemeindegründung durchführen und auch auf andere Weise versuchen, Prediger auszubilden. Aber das ist nie der Weg, den Gott uns weist. Es kommt darauf an, Mund Gottes für Menschen zu sein. Das wird man nicht durch eine menschliche Schule, sondern allein in der Schule Gottes.

Im Übrigen erkennen wir hier auch, dass der Herr in aller Regel nicht auf die Elite der Menschen zurückgreift, wenn Er Diener beruft. Natürlich kann Er dies tun und hat es getan, wenn wir an den Gelehrten Paulus und den Arzt Lukas denken, oder auch an Brüder vor allem im 19. Jahrhundert. Aber oft benutzt Er gerade die menschlich Ungebildeten (vgl. 1. Kor 1,18 ff.), deren hervorragende Eignung darin liegt, dass der Herr sie in der rechten Weise formt und bildet. Dieses Bewusstsein bewahrt uns davor, in falscher Weise zu diesen Dienern hochzusehen (wiewohl wir sie schätzen sollten).

Der Ruf des Herrn hat Vorrang vor jeder anderen Aufgabe, vor jedem anderen Bedürfnis und vor jedem anderen Anspruch, den Menschen, so nah sie uns stehen mögen, uns gegenüber geltend machen könnten. Dies alles wird beim Herrn in der richtigen Ausgewogenheit seinen Platz haben. Wenn es recht steht, werden wir nicht schwärmerisch oder unnüchtern werden. Er lässt uns nicht Pflichten vernachlässigen, die wir ebenfalls von dem Herrn bekommen haben, wie unsere Ehen und Familien. Aber Er hat Vorrang vor allem, vor jedem anderen Ruf und vor allen natürlichen Verpflichtungen.

Irdischer Beruf – geistlicher Beruf

Am Schluss der Beschäftigung mit diesen Versen soll aber auch ein Unterschied zwischen den beiden Zweiergruppen – Petrus und Andreas auf der einen Seite, und Johannes und Jakobus auf der anderen Seite – aufgezeigt werden. Wenn wir die biblischen Biographien einzelner Gläubiger anschauen, liegen nicht selten in ihren irdischen Berufen schon Hinweise auf ihre späteren geistlichen Aufgaben. So scheint es auch hier zu sein. Petrus und Andreas waren Fischer; sie waren dabei, die Netze in den See zu werfen. An diese Aufgabe knüpft Jesus an, wenn Er ihnen sagt: „Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“

Der Herr übergab ihnen also die evangelistische Aufgabe, Menschen zu fangen. Mit dem „Fangen“ ist keine listige oder heimtückische Vorgehensweise gemeint, sondern die Arbeit, Menschen zum Herrn Jesus zu bringen. Genau das haben beide von nun an immer wieder getan. Gerade bei Andreas ist das sehr auffallend. Bevor er überhaupt in die dauerhafte Nachfolge des Herrn getreten ist, war er es, der Petrus zum Herrn führte. Andreas war es, der den Knaben mit den Broten in Johannes 6 zum Herrn Jesus führte. Er war es auch, der die Heiden in Johannes 12 zu Christus brachte. Bei Petrus ist die Wahrnehmung der evangelistischen Aufgabe offensichtlich, wenn man beispielsweise an Apostelgeschichte 2 und 10 denkt.

Als der Herr Jesus zu Jakobus und Johannes kam, waren diese nicht dabei, die Netze auszuwerfen, sondern sie besserten sie aus. Ist das nicht auch charakteristisch für ihre spätere Aufgabe? Zumindest für die des Johannes – denn von Jakobus wissen wir nicht viel, weil er sehr früh von Herodes ermordet wurde (Apg 12,2). Sowohl in seinem Evangelium als auch in seinen Briefen (besonders im ersten) begegnet Johannes dem „Riss“ in der Wahrheit über den Herrn Jesus, da durch Irrlehre erste Zweifel daran aufkamen, dass Jesus Christus ewiger Sohn Gottes und zugleich wahrer Mensch in einer Person ist. Er schreibt dasjenige Evangelium, in dem gerade diese beiden Seiten betont werden – er bessert aus.

Am Ende des ersten Jahrhunderts, als Johannes seine Schriften verfasste, kam zudem die sogenannte „Gnosis“ auf, die Erkenntnislehre. Die Gnostiker sagten, die alte Wahrheit sei ja schön und gut, aber man müsse sie weiterentwickeln, um zu einem höheren Grad der Erkenntnis zu kommen. Da besserte er die Netze aus, indem er zeigt, wie wir alle bei dem bleiben sollen, „was von Anfang ist“. Johannes wird ein Hirte in der Hand des Herrn für die Gläubigen.

Schöne und wichtige Aufgaben

Es ist bis heute wahr, dass der Herr uns Aufgaben gibt, die nicht (vollständig) unabhängig von unseren irdischen Aufgaben und Begabungen liegen. In einem der vielen Gleichnisse dieses Evangeliums heißt es: „Und einem gab er fünf Talente, einem anderen zwei, einem anderen eins, jedem nach seiner eigenen Fähigkeit“ (Mt 25,15). Nicht die Fähigkeit bestimmt die Aufgabe, und doch gibt uns der Herr nicht umsonst natürliche Fähigkeiten. Oft legt Er gerade in diese Fähigkeiten eine Gabe, um bestimmte Aufgaben von uns ausführen zu lassen.

Wenn man die beiden angesprochenen „geistlichen“ Berufe – Evangelist und Hirte – betrachtet, so handelt es sich um Aufgaben, die bis heute von großer Wichtigkeit sind. Wir brauchen solche, die als „Menschenfischer“ das Evangelium der Gnade verkündigen und die Menschen unserer Zeit für Jesus Christus gewinnen. Wir brauchen aber auch solche Brüder, die als „Netzflicker“ unterwegs sind, um das zu reparieren, was wir in unserem Miteinander und in unserem Abweichen von Gottes Wort zerstört haben.

Wie schön, wenn beide Gruppen dann in der Lage sind, so wie Petrus und Johannes zusammenzuwirken; beide mit dem Ziel, den Herrn zu verherrlichen, und mit dem Wunsch, dass der Herr auch das Wirken des anderen segnen möge.

Erfolg im Beruf als Voraussetzung zum Dienst?

In diesem Zusammenhang wird manchmal die Frage gestellt, ob die erfolgreiche Ausübung eines irdischen Berufes die Voraussetzung dafür ist, einen geistlichen Dienst für den Herrn tun zu können. Die Antwort dazu ist: Einen solchen Zusammenhang finden wir nicht in der Schrift.

Natürlich ist es selbstverständlich, dass ein Gläubiger seine Aufgabe treu und sorgfältig ausführt. Der Herr wird wohl kaum Faulenzer und Ränkeschmiede in seiner Arbeit einsetzen, solche, welche die Arbeit anderer als die eigene verkaufen, solche, die viel reden aber wenig arbeiten, solche, die von anderen immer „mitgeschleppt“ werden müssen. Aber man muss keinen besonderen Aufstieg in einer Firma erlebt haben, um die Voraussetzung zu erfüllen, eine geistliche Arbeit tun zu können. Im Gegenteil! Da man heute für eine „steile“ Karriere eher weltliche als geistliche Eigenschaften an den Tag legen muss, ist dies eher ein Hindernis als förderlich für einen geistlichen Dienst.

Der Herr hat genauso Fischer (Petrus, Andreas) berufen wie Gelehrte (Paulus), einen Arzt (Lukas) und einen Zeltmacher (Aquila). Unser Herr ist souverän, wen Er wann und wie beruft. An uns ist es, seine Aufgaben treu zu erfüllen.

Verse 23–25: Die Zusammenfassung des öffentlichen Dienstes des Messias

„Und Jesus zog in ganz Galiläa umher, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen unter dem Volk. Und die Kunde von ihm ging aus nach ganz Syrien; und sie brachten zu ihm alle Leidenden, die von mancherlei Krankheiten und Qualen geplagt waren, und Besessene und Mondsüchtige und Gelähmte; und er heilte sie. Und es folgten ihm große Volksmengen von Galiläa und der Dekapolis und Jerusalem und Judäa und von jenseits des Jordan“ (Verse 23–25).

In den letzten Versen dieses Kapitels bekommen wir einen Überblick über den Dienst des Messias in der ersten Zeit seines öffentlichen Dienstes. In keinem anderen Evangelium finden wir eine solche Anzahl von Tätigkeiten des Herrn in so wenigen Versen aufgezählt. Warum hier? Weil deutlich gemacht werden soll, dass das ganze Volk – sogar von weit her kommend – die Vollkommenheit seines Dienstes in Wort und Werk hat feststellen müssen – und sie haben Ihn doch verworfen! Die Verwerfung des Vollkommenen macht die Ursache für den Wandel deutlich, den Matthäus uns im Laufe seines Evangeliums schildern wird. Matthäus ist der Evangelist der Haushaltungen!

Offensichtlich ist es zudem die Absicht des Geistes Gottes, uns zunächst eine Art Zusammenfassung des Dienstes des Herrn zu geben, ohne die Einzelheiten zu erwähnen, bevor der König die Grundsätze seines Königreichs in den Kapiteln 5 bis 7 zeigt. Erst im Anschluss daran wird uns vorgestellt, wie der König Israels sich dann ab Kapitel 8 als derjenige erweist, der die Juden im Besonderen und die Menschen im Allgemeinen in sein Königreich beruft. Dabei wendet Er sich an sein Volk in Wort und Werk, mit Appellen und mit Wundern.

Die drei auf unseren Abschnitt folgenden Kapitel zeigen uns zusammen mit diesen Versen, dass Matthäus durchaus nicht immer chronologisch schreibt. Ein Vergleich mit den anderen Evangelien führt zu der Schlussfolgerung, dass der Geist Gottes Matthäus beauftragt hat, bestimmte Reden und bestimmtes Wundertun jeweils zusammenzufassen, um uns die Größe des Königs im Hinblick auf das große Thema der Heilsperioden zu zeigen. Wir können also davon ausgehen, dass sich die hier beschriebenen Tätigkeiten des Herrn nicht allein auf die Zeit von Kapitel 4 beschränken, sondern seinen ganzen Dienst in Galiläa kennzeichneten.

In Verbindung mit Vers 17 hatten wir schon gesehen, dass sich der Dienst des Herrn in drei Teile gliedern lässt. Vers 23 zeigt uns in Verbindung mit den beiden Schlussversen noch einmal eine (etwas andere) Gliederung des Werkes des Herrn in der Öffentlichkeit:

  1. das Lehren in den Synagogen,
  2. die Predigt des Evangeliums des Reiches,
  3. das Wundertun in Galiläa und in angrenzenden Gegenden.

Dass es sich in Vers 23 um einen Überblick über den Dienst des Herrn handelt, deuten zwei andere Verse in diesem Evangelium an. In Kapitel 9,35 lesen wir: „Und Jesus zog umher durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen.“ Auch in Kapitel 11,1 heißt es: „Und es geschah, als Jesus seine Befehle an seine zwölf Jünger vollendet hatte, ging er von dort weg, um in ihren Städten zu lehren und zu predigen“ – hier konnte Er keine Wunder tun.

Er ist der Herold der Gnade, der Diener göttlicher Güte für die Armen, die Elenden im Land. Wir haben gesehen, dass Jesaja sowohl von Gericht als auch von Barmherzigkeit spricht. Bei Matthäus sehen wir, dass es Gericht für die Juden und Barmherzigkeit für die verachteten Galiläer gibt. Hier geht das Gericht sogar weiter als im Propheten Jesaja, indem es auch das Volk Israel selbst trifft. In Lukas dagegen finden wir das Thema des Gerichts an dieser Stelle überhaupt nicht erwähnt.

Das Lehren in Synagogen

An dieser Stelle wird nicht weiter ausgeführt, was Jesus in den Synagogen lehrte. Aber der Vergleich mit anderen Stellen wie Lukas 4,16  ff. lässt vermuten, dass der Herr das Alte Testament las bzw. vorlesen lies, um es auszulegen. Wir dürfen davon ausgehen, dass Er es wie in Lukas 4 und bei anderer Gelegenheit in Lukas 24 in seiner Bedeutung auf sich selbst erklärte.

„Ihr erforscht die Schriften, denn ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die von mir zeugen“ (Joh 5,39), sagte der Herr den Juden einmal. Der Herr Jesus lehrte von Anfang an, welcher tiefere Sinn in den Schriften des Alten Testaments liegt. Ob wir diesen immer vor Augen haben?

Die Predigt des Evangeliums des Reiches

Die zweite Tätigkeit des Herrn ist die Predigt des Evangeliums des Königreichs. Er war der Verkündiger der guten Botschaft des Reiches. Er wies, wie wir schon in Vers 17 gesehen haben, die Menschen darauf hin, dass sie Buße tun mussten, dass sie umkehren, das heißt sich bekehren mussten, um in das Königreich eingehen zu können.

Welchen Menschen Er das predigte, lesen wir in den nächsten Versen: Leidende, Kranke, Besessene, Galiläer und so weiter. Ja, Christus ging es nicht um die Würde derer, die ins Königreich eingehen sollten. Ihm ging es darum, dass so viele Juden wie möglich – auch wenn sie „nur“ aus Galiläa stammten – den Weg in das Königreich der Himmel fanden. Die Predigt war nötig, weil den Menschen sonst nicht klar geworden wäre, dass sie dafür umkehren müssen.

Das Heilen von Krankheiten

Schließlich finden wir, dass der Messias sein Volk von jeder Krankheit und jedem Gebrechen heilte. Hatte es das jemals gegeben? Nein! Wenn es Männer Gottes gab, die Wunder taten wie Elia und Elisa, so waren es nur Einzelne, die in den Genuss dieser Wunderheilungen kamen. Hier jedoch trat jemand auf, der jeden, der zu Ihm kam oder gebracht wurde, von seiner Krankheit befreite und heilte (vgl. Apg 10,38). Nicht nur Einzelne, sondern jeden! Musste dieses Wunderwirken nicht dazu führen, dass das Volk seinen Messias mit offenen Armen aufnahm? War das nicht ein überdeutliches Zeichen dafür, dass der Messias unter seinem Volk war?

Nach 3. Mose 21,17-23 durfte jemand, an dem ein Gebrechen war, nicht als Priester Gott nahen. Hier lesen wir, dass diese Krankheiten offenbar das ganze Volk kennzeichneten. War das nicht ein Zeichen des Zustands des Volkes? Es rühmte sich großer Dinge; aber Gott zu nahen war in diesem Zustand unmöglich. Es war ein Volk unter der züchtigenden Hand Gottes, der viele Krankheiten und Gebrechen zuließ. Aber Gott sei Dank! Er war mitten unter ihnen und heilte sie, um sie wieder in die Lage zu setzen, Gott zu nahen und Gemeinschaft mit Gott zu pflegen.

Das kranke Volk – ein kranker Zustand des Volkes

Stellen wie 2. Mose 15,26 sind wie ein sichtbarer Fingerzeig darauf, wer hier im Volk lebte: „Ich werde keine der Krankheiten auf dich legen, die ich auf Ägypten gelegt habe; denn ich bin der HERR, der dich heilt.“ Der Herr selbst war zu seinem Volk gekommen, um es zu heilen. Wie kam es, dass sie Ihn nicht erkannten?

Das wird auch durch Psalm 103,2.3 bestätigt: „Preise den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht alle seine Wohltaten! Der da vergibt alle deine Ungerechtigkeit, der da heilt alle deine Krankheiten.“ Diese Worte helfen zudem, den Zusammenhang zwischen dem Zustand des Volkes und seinen Krankheiten besser zu verstehen. Gott wollte sein irdisches Volk segnen. Krankheiten dagegen waren ein Zeichen der Zucht Gottes. Denn Gott hatte dem Volk durch Mose sagen lassen: „Wenn du nicht darauf achtest, alle Worte dieses Gesetzes zu tun, die in diesem Buch geschrieben sind ...so wird der HERR deine Plagen und die Plagen deiner Nachkommenschaft außergewöhnlich machen: große und andauernde Plagen und böse und andauernde Krankheiten ... der HERR wird sie über dich kommen lassen, bis du vertilgt bist“ (5. Mo 28,58-62).

Daher waren diese Krankheiten ein direkter Beweis des bösen Zustands des Volkes. Aber das Beeindruckende: Der Herr ist Mensch geworden, um die Plagen des Volkes zu heilen und um das Volk zu Gott zurückzuführen. Paulus drückt das an einer Stelle so aus: „Gott war in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend“ (2. Kor 5,19). Gott wollte die Welt und besonders sein Volk, das sich als abtrünnig erwiesen hatte, nicht verderben. Er wollte die Menschen mit sich selbst versöhnen. Er kommt mit einem Gnadenangebot und einem „Vertrauensvorschuss“, indem Er sie heilt, obwohl sie noch keine Reue und Buße gezeigt hatten.

Ein Prediger des Evangeliums – kein Wunderdoktor

Man sprach über diesen Jesus. Auf einmal war hier ein Wunderheiler aufgetreten. Den wollten alle sehen, sogar aus dem Ausland: „Und die Kunde von ihm ging aus nach ganz Syrien; und sie brachten zu ihm alle Leidenden ...; und er heilte sie.“ An Christus lag es nicht, dass die Menschen sich nicht zu Gott bekehrten. Er wandte sich jedem Menschen zu, um ihm das zu schenken, was er nötig hatte. Er ist der Herr des Alten Testaments, der „Gott mit uns“.

Damals wie heute reicht es nicht, sich auf einen Wundergott einzulassen. Solange Er Wunder tat, kamen die Menschen zu Ihm. Aber es war nur ein äußerliches Interesse, wie sich bald zeigen sollte. Volksmengen aus der Nähe und Ferne folgten Ihm. Er und Er allein wusste, was in ihnen war. Seine Machtentfaltung und seine Autorität in der Predigt zog die Massen an, so dass ihm sogar große Volksmengen folgten. Noch handelte Er ausschließlich in Gnade und heilte und half. Er wies niemanden ab – der Messias war unter seinem Volk.

Diese Verse haben auch eine prophetische Seite. Wenn Christus als der König der Könige und Herr der Herren einmal über diese Erde herrschen wird, werden sich die Segnungen, ausgehend von Jerusalem, auch über die angrenzenden Länder erstrecken. Bestimmte Länder wie Assyrien und Ägypten werden dabei sogar besonders gesegnet werden (vgl. Jes 19,24.25).

Aber bevor Jesus jetzt weiter Wunder wirken konnte, musste Er seinem Volk zeigen, dass Er nicht einfach ein „Wunderdoktor“ war. Wer zu Ihm kam, der sollte wissen, dass Er ein Königreich hatte, dem göttliche Prinzipien zugrunde lagen. Auf die musste man sich einlassen, wenn man zu Jesus kam. Diese werden dann in den Kapiteln 5 bis 7 entfaltet.

Fußnoten

  • 1 Es ist übrigens sehr interessant, dass Elia auch heute noch von den Juden in hohen Ehren gehalten wird. So wird bei jeder Passahfeier ein Becher mit Wein für Elia bereitgestellt sowie die Haustür geöffnet – er könnte ja nach dem Wort Gottes (Mal 3.23) jederzeit kommen. Auch bei der Beschneidung eines Kindes wird ein Stuhl für den Propheten freigehalten.
  • 2 Hierbei ist zu bedenken, dass es drei Perioden von Wunderwirkungen gab: 1. Die erste war unter Mose, der dem Volk als Gesetzgeber gesandt wurde. Natürlich war letztlich Gott dieser Gesetzgeber. Aber Er benutzte Mose dafür. 2. Der zweite Zeitabschnitt war unter Elia und Elisa. Elia sollte das Volk zum Gesetz zurückführen, nachdem es in Götzendienst und Ungehorsam gefallen war. Damit begann eine weitere Periode im Leben des Volkes Israel. Elia war die Zuchtrute in der Hand Gottes, um das Volk zur Umkehr zu bewegen. Er ist wohl die einzige Zuchtrute im Alten Testament, die nicht überzog, sondern im Allgemeinen in Abhängigkeit von Gott blieb, wenn auch mit Fehlern behaftet. Elisa wiederum wurde von Gott benutzt, um als Instrument der Gnade das Volk zu Gott zurückzuführen. 3. In der Teilnahme an Brot und Kelch kann man vielleicht jedoch ein Bild davon sehen, dass die daran Teilnehmenden nach Joh 6 im Glauben geistlich „Fleisch und Blut“ des Herrn Jesus gegessen und getrunken haben. Davon abgesehen werden wir immer, wenn wir mit ihm beschäftigt sind, einen Segen davontragen!Schließlich finden wir im Herrn Jesus den Beginn der dritten Periode. Er beginnt einen vollkommen neuen Zeitabschnitt, nicht nur für die Juden, sondern für alle Menschen. Diese drei Zeitperioden wurden stets durch Wunder eingeleitet. Johannes der Täufer dagegen steht nicht am Anfang einer Zeit. Er wirkte am Ende eines Zeitabschnitts. Bei ihm finden wir keine Wunder. Erst in Offenbarung 11, wenn die zwei Zeugen tätig sein werden, finden wir sie wieder im Geist Moses und Elias tätig. Auch sie werden, wie Mose und Elia, noch einmal in Verbindung mit Wundern auftreten.
  • 3 Josephus ist der bekannteste jüdische Geschichtsschreiber der Zeit, in welcher der Herr Jesus gelebt hat. Hillel und Schammai gehören zu den bedeutendsten jüdischen Schriftgelehrten, welche die verschiedenen Traditionen damals geprägt haben.
  • 4 Durch die Wassertaufe wird niemand in dem Sinn errettet, dass er (heute) dadurch zur Versammlung (Gemeinde, Kirche) Gottes hinzugefügt wird. Dazu ist eine innere Umkehr und Glaube nötig. Nicht die Taufe bekehrt, sondern das Wirken Gottes im Herzen eines Menschen, das ihn zum Glauben an den Retter Jesus Christus führt.
  • 5 Ist dieses „sogleich“ nicht auch ein Hinweis auf das, was nach dem Tod des Herrn am Kreuz geschah? Ja, Er musste drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein, wie es durch Jona vorbildlich geweissagt worden ist. Aber Er wurde „sogleich“ verherrlicht (Joh 13,32). Gott wartete nicht damit, seinen Sohn zu verherrlichen, der sich so sehr erniedrigt hatte. Nein, sofort weckte Er Ihn aus den Toten auf. Und sogleich gab Er Ihm im Himmel den Platz größter Herrlichkeit.
  • 6 Ähnliches finden wir bei der Begebenheit auf dem sogenannten Berg der Verklärung. Dort wollte Petrus Mose und Elia auf eine Stufe mit dem Herrn stellen, so großartig diese beiden Männer auch waren. Genau in dem Moment, als der Jünger so sprach, wurden sie von der Wolke der Herrlichkeit Gottes überschattet. Der Vater lässt dann keinen Zweifel daran, dass es nur den Einen gibt, auf dem sein ganzes Wohlgefallen ruht. Christus ist der Eine, einzigartig und in seiner Herrlichkeit allein vor dem Vater stehend.
  • 7 Es fällt auf, dass der Geist Gottes in Apostelgeschichte 7 ein anderes Wort für „öffnen“ verwendet als in Matthäus 3. Bei Christus öffnen sich die Himmel gewissermaßen von selbst. Bei Stephanus werden die Himmel ein wenig aufgemacht, um ihm diesen Blick zu ermöglichen.
  • 8 Allerdings sollte man in Verbindung mit Jesaja 42 die Seite der konkreten „Auswahl“ nicht zu stark betonen, denn das hebräische Wort (בחר; bachar) enthält keinen direkten Hinweis auf eine „Aus“-Wahl, wie das in dem deutschen (und auch griechischen) Wort der Fall ist. Nicht von ungefähr wird in dem einzigen neutestamentlichen Zitat von Jesaja 42,1 ff. die Septuaginta zitiert. Dort steht nicht „Auserwählter“, sondern „Geliebter“. Diese Übersetzung gibt sehr gut wieder, was der Auserwählte ist: Er steht einzigartig vor Gott. Die Grundbedeutung von „bachar“ scheint zu sein: vorzuziehend, vorgezogen, vorzüglich; daher: erwählt. Oft beinhaltet dieser Ausdruck den Gedanken des Aus-Erwählens, oft auch auserwählen aus einer Menge, von der nur ein Teil gewählt wird, z. B. 1. Mose 13,11; 2. Mose 17,9 usw. Allerdings geht der Gedanke des „Aus“-Erwählens erst aus dem Kontext hervor.
  • 9 Lied Nr. 215 aus der Liedersammlung „Hymnes et Cantiques“, Vevey, Schweiz, 1991
  • 10 Bis heute werden die unterschiedlichen Reihenfolgen zum Anlass genommen, in Bezug auf die Genauigkeit der Schrift Zweifel zu streuen. Damit will man – und dahinter steckt Satan – die Inspiration der Schrift als unmöglich darstellen. Aber gerade die Verschiedenheit der Evangelien und diese unterschiedliche Reihenfolge im Bericht sind ein wunderbarer Hinweis auf die Inspiration. Denn sie zeigen, dass Gott mit jedem einzelnen Bericht eine eigene Absicht verfolgt. An uns liegt es, diese jeweils zu erkennen.
  • 11 Dabei müssen wir natürlich bedenken, dass es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Adam und Eva auf der einen Seite und Christus auf der anderen Seite gibt. Adam und Eva waren „unschuldig“, als sie versucht wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt war keine Sünde in der Welt; Adam und Eva wussten also nicht, was Sünde ist. Christus dagegen war nicht nur unschuldig, Er war heilig! Er wusste sehr wohl, was Sünde ist: natürlich nicht aus eigener Erfahrung, denn Er ist der Sündlose. Aber kraft seiner göttlichen Person musste Er sich mit der Sünde beschäftigen und sie immer wieder richten. Als Mensch war Er jetzt der Heilige, der eine Abscheu und Abneigung gegen das Böse hatte. Er besaß die Erkenntnis des Bösen und Guten und wurde jetzt hinsichtlich des Gehorsams aufs Höchste versucht.
  • 12 Wobei natürlich zu bedenken ist, dass Gott diesen Engel nicht als Satan geschaffen hat, sondern als vermutlich obersten Engelfürsten, den Luzifer (vgl. Hes 28,12-19; Jes 14,12-15).
  • 13 Lukas berichtet nicht, dass der Herr Jesus den Satan weggeschickt hätte. Aus gutem Grund, denn dort ist die Reihenfolge verändert und diese Versuchung steht nicht an letzter Stelle. Stattdessen lesen wir bei Lukas, dass der Teufel für eine Zeit von Christus wich. Er würde eine neue Gelegenheit suchen und finden, den Menschen Christus herauszufordern. Jetzt musste er zunächst als Besiegter weichen.
  • 14 An dieser Stelle ist es vielleicht gut, auf den Unterschied der Ansprache des Herrn bei Satan und bei Petrus hinzuweisen. Satan hörte: „Geh hinweg!“ Petrus musste vom Herrn die Worte hören: „Geh hinter mich, Satan!“ (Mt 16,23), als er den Herrn hindern wollte, zu leiden und zu sterben. Hier war Petrus ein Instrument Satans. Aber er war nicht verloren wie Satan selbst. Es war ein Tadel, aber kein vollständiges Verwerfen und Fortschicken.
  • 15 Das soll natürlich nicht heißen, dass wir für alles, was wir hier auf dieser Erde tun, jeweils eine konkrete Aufforderung Gottes erwarten müssen. Dafür gibt Er uns seine Grundsätze in seinem Wort, anhand derer wir erkennen können, was sein Wille ist. Wenn wir uns von seinem Geist leiten lassen und in seiner Nähe leben, wird uns Gott aber gleichwohl auch für konkrete Situationen deutlich machen, was wir und ob wir etwas tun sollen. Das gilt besonders für Entscheidungen, die wir zu treffen haben.
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