Jesus Christus - mehr als ein König
Eine Auslegung des Matthäusevangeliums

Einleitung

Jesus Christus - mehr als ein König

Wenn man sich den Worten des Neuen Testaments und besonders den Evangelien zuwendet, kann man dies nur mit großer Furcht und Ehrerbietung tun. So hat es einmal John Nelson Darby geschrieben, ein empfehlenswerter Bibelausleger des 19. Jahrhunderts. Denn hier geht es nicht nur um Gottes Handeln, sondern um Gott selbst, die Person des Ewigen, offenbart im Fleisch.

Wenn man im Blick auf seine Person eine falsche Aussage macht, ist die heilige und herrliche Person unseres Retters und Gottes, Jesus Christus, direkt betroffen. Was uns betrifft, macht uns dies vorsichtig. Zugleich aber motiviert uns seine herrliche und erhabene Person, uns mit Ihm zu beschäftigen. Es geht nicht um irgendjemanden, sondern wir haben es mit unserem Retter selbst zu tun. Er ist ein Gott voller Güte, der uns helfen möchte, seine Gedanken richtig zu verstehen.

In den Evangelien zeigt uns der Geist Gottes die Herrlichkeit des Herrn Jesus während seines Lebens auf der Erde. Jeder Evangelist betrachtet Ihn aus einem anderen Blickwinkel. Es werden jeweils zahllose Aspekte im Detail beschrieben. Dennoch hat es Gott gefallen, jeweils eine Seite der Herrlichkeit seines Sohnes besonders zu betonen. Diese wird ergänzt durch eine zweite, dazu passende Schönheit.

  1. Markus zeigt uns den Herrn als vollkommenen Knecht, der seinem Gott dient (Mk 10,45). Zugleich aber beschreibt er Ihn als den von Gott gesandten Propheten, der Gottes Worte an die Menschen weitergibt (Mk 6,4.15; 8,25; 11,32; Kapitel 4.13).
  2. Lukas stellt uns Christus als „Sohn des Menschen“ vor, der vollkommen Mensch war (Lk 2,26–45; 2,1–52; 5,24; 24,7). Zugleich betont Lukas, der „geliebte Arzt“, dass dieser demütige Mensch niemand anderes ist als der „Sohn des Höchsten“ (vgl. Lk 1,32.35.76; 2,14; 6,35; 8,28; 19,38).
  3. Johannes sieht in Ihm den ewigen Sohn des ewigen Vaters, den Sohn Gottes (Joh 1,18; 19,7). Zugleich offenbart er uns, was es bedeutet, dass der Ewige wirklich Mensch wurde (Joh 19,5). Wir lesen beispielsweise von Ihm, dass Er ermüdet von der Reise war (Joh 4,6) oder Durst hatte (Joh 19,28).

Auch im Matthäusevangelium sehen wir den Herrn Jesus in einer zweifachen Herrlichkeit. Diese wird bereits im ersten Vers des Buches deutlich: „Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“ Als Sohn Davids ist Christus Derjenige, der Anspruch auf den Thron des Königs Israels besitzt. Als Sohn Abrahams ist Er der Träger aller Verheißungen, die Abraham und seinen Nachkommen gegeben worden sind.

Die Instrumente Gottes

Gott hat sich menschlicher Instrumente bedient, um uns die Botschaft zu vermitteln, die Er über seinen Sohn, über das Erlösungswerk und über seine Pläne an Menschen weitergeben wollte. Die Quelle von allem ist Gott. Er ist unendlich und vollkommen. Sie ist für Menschen nicht erfassbar, denn sie sprengt den Rahmen dessen, was Menschen erkennen können. Die Offenbarungen, die Er uns gemacht hat, kommen aus der Fülle der in Gott verborgenen Wahrheit hervor. Das ist die Wahrheit über Gott selbst, über seine Gedanken, über den Menschen, über die Sünde, über Gottes Heilsabsichten: über alles. Wenn auch dies alles göttlich ist, werden sie uns doch durch verschiedene menschliche Instrumente mitgeteilt. Gott benutzt also für die Mitteilung seines Ratschlusses Werkzeuge, die in sich selbst beschränkt und sogar mit Sünden behaftet sind. Aber Gott benutzte sie – und in dem, was Er von ihnen gebrauchte, kam ein vollkommenes Ergebnis hervor. Denn Gott inspirierte sie auf göttliche Weise (vgl. 2. Tim 3,16). In dem Augenblick, in dem sie von Gott zum Aufschreiben seines Wortes benutzt wurden, standen sie unter der absoluten Führung des Geistes Gottes. Er selbst führte ihre Feder. Damit hat Gott verhindert, dass fehlbare Menschen ein fehlbares Werk zusammengestellt haben.

Das reine und lebendige Wasser des göttlichen Wortes ist in keiner Weise durch die Fehlerhaftigkeit der Instrumente verdorben worden. Der Kanal war zwar nicht unendlich. Aber das Wasser, das hindurchfloss, war es. Gott hat seine Gedanken nicht in einen einzelnen Brief oder ein einzelnes Bibelbuch konzentriert. Die Schreiber weissagten gewissermaßen stückweise. So dürfen wir Mut haben, diese ewigen Gedanken Gottes über seinen Sohn, Jesus Christus, zu lesen, und versuchen, sie auszulegen. Wir wollen das mit der notwendigen Ehrfurcht tun.

Ein Überblick

Es ist meine Absicht, in dieser Arbeit einen detaillierten Überblick über das Matthäusevangelium zu geben. Allerdings soll der rote Faden des Bibelbuches erkennbar bleiben und auch verfolgt werden. Es ist jedoch der Mühe wert, soweit das möglich ist, ein Weniges von der Tiefe einzelner Abschnitte zu erfassen zu suchen.

Damit wir die grundsätzliche Perspektive des Matthäusevangeliums jedoch gut verstehen, stelle ich einige prinzipielle Hinweise voran. Diese gliedere ich in vier Abschnitte:

  • Das Reden Gottes im Alten und im Neuen Testament
  • Das Alte und das Neue Testament – ein Überblick
  • Die Evangelien – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
  • Das Matthäusevangelium – Christus, der Gesalbte Gottes

1. Das Reden Gottes im Alten und im Neuen Testament

Warum sprechen wir zunächst über das Reden Gottes, wie es in den beiden Bibelteilen erkennbar ist? Ich stelle das an den Anfang, weil der Charakter des Redens Gottes in diesen beiden Zeitabschnitten sehr unterschiedlich ist. Die beiden Teile der Bibel unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht. Der Charakter der betroffenen „Zeiten“ ist grundlegend verschieden voneinander.

Der Wert des Alten Testaments

Dass das Alte und Neue Testament in ihrem Charakter sehr unterschiedlich sind, wird vermutlich jedem Bibelleser auffallen. Es lohnt sich, in ausgewogener Weise beide Teile zu lesen, denn beides ist Gottes Wort. Auch das Alte Testament hat einen besonderen Wert. Es ist – wie oft gesagt – das Bilderbuch des Neuen Testaments. Zudem sollte uns klar sein, dass Gott uns nicht umsonst sowohl das Alte als auch das Neue Testament geschenkt hat. Das macht uns dankbar, wenn wir erkennen, wie bevorrechtigt wir sind. In den ersten Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte gab es überhaupt kein geschriebenes Wort Gottes. Und dann gab es zunächst – nach und nach – nur das Alte Testament. Wir dagegen haben die vollständige Offenbarung der Gedanken Gottes in unseren Händen. Darüber hinaus lernen wir durch den Vergleich dieser beiden Bibelteile auch manches über die Wege Gottes. Das Alte Testament ist uns nicht einfach „nebenbei“ gegeben worden. Es ist wie das Neue Testament ein direktes Geschenk Gottes an uns. Gott spricht, wenn auch in einer etwas anderen Art, im Alten Testament ebenfalls zu uns!

Gott war im Alten Testament hinter dem Vorhang verborgen. Mose nahm hier offensichtlich eine Ausnahmestellung ein. Gott sprach mit ihm von Angesicht zu Angesicht und von dem Sühnungsdeckel im Allerheiligsten herab (vgl. 4. Mo 7,89). Aber außer Mose konnte nur der Hohepriester in die Nähe des Thrones Gottes ins Allerheiligste kommen, und das nur einmal im Jahr an einem festgelegten Tag. Nur über die Mittlerschaft des Hohenpriesters konnte das Volk mit Gott in Kontakt treten.

Gott sprach zu den Menschen also nur mittelbar. Zudem richtete Er sich im Wesentlichen nur an ein einzelnes, kleines Volk. Er hatte das Volk Israel auserwählt, Gegenstand seiner besonderen Zuwendung zu sein. Aber selbst dieses Volk hatte keinen direkten Zugang zu Ihm. Er gab den Israeliten ein Gesetz, das ihren Alltag und auch den Gottesdienst regelte. Er liebte das Volk und hat es ihm auch mitgeteilt. Aber sein Herz in seiner ganzen Tiefe hat Gott in dieser Zeit nicht geöffnet und offenbart. Gott war auch in dieser Zeit ein Gott der Liebe und Gnade. Und doch fehlte die Grundlage für die unbehinderte Entfaltung seiner Gnade: das Erlösungswerk Christi. Denn der Mensch hatte sich von Gott entfernt und war zum Sünder geworden. Zudem handelte es sich um eine Erprobungszeit. Gott prüfte den Menschen unter ganz unterschiedlichen Bedingungen und Arten von Zuwendungen, ob dieser bereit wäre, sich Gott unterzuordnen und gehorsam zu sein. Das Ergebnis dieser Prüfungen war: Selbst die bevorrechtigsten Menschen haben den Sohn Gottes an das Kreuz gebracht und Gott aus ihrem persönlichen und gemeinschaftlichen Leben hinausgeworfen.

Das Neue Testament: die vollkommene Offenbarung Gottes

Das ist im Neuen Testament ganz anders. Gott hat sich vollkommen offenbart, und zwar im Herrn Jesus, seinem ewigen Sohn (Joh 1,18). Gott hat die Prüfung des Menschen abgeschlossen, weil sich der Mensch als vollkommen unfähig, gottlos und sündig erwiesen hatte. Hier finden wir, dass Gott sein Herz vollständig offenbart und seinen eigenen Sohn als stellvertretendes Opfer für den Sünder gegeben hat. Wer Ihn als Retter annimmt, ist aus der Gottesferne in den Bereich der Liebe des „Sohnes seiner Liebe“ gebracht worden. Dort genießt der erlöste Christ die Liebe und Fürsorge Gottes.

In Christus hat Gott denen, die Jesus als Retter angenommen haben, jede geistliche Segnung in den himmlischen Örtern geschenkt. Sie dürfen Anteil haben an der Beziehung Gottes zum Menschen Jesus Christus. Für sie ist Gott nicht mehr hinter einem Vorhang verborgen, auch wenn wir Gott nicht sehen können. Er ist ein Geist, der für das menschliche Auge verborgen ist. Da Er aber in der Person seines Sohnes Mensch geworden ist, können wir Ihn in Christus, unserem Herrn, sehen und erkennen. Wir haben freien Zugang zu Ihm.

Wenn man eine der schwierigen Stellen im Alten Testament missversteht, führt das zu echtem Verlust. Das ist immer so, wenn wir göttliche Mitteilungen mit unserem menschlichen Verstand zu beurteilen suchen. So schlimm das schon im Blick auf das Alte Testament ist, im Neuen Testament hat ein Missverstehen noch größere Folgen. Die vollkommene und vollständige Offenbarung des ewigen Gottes selbst im Herrn Jesus wird dadurch verdunkelt. Gerade im Blick auf die Evangelien ist daher Vorsicht und Zurückhaltung bei der Auslegung sehr wichtig. Es geht direkt um die hochgelobte Person unseres Retters!

Fünf große Blickwinkel auf das Neue Testament

Das, was uns im Neuen Testament berichtet wird, kann man von verschiedenen Seiten aus betrachten. Fünf Sichtweisen möchte ich nennen:

  1. Im Neuen Testament haben wir die Offenbarung der ewigen Natur Gottes. Er ist Licht und Liebe.
  2. Es zeigt uns die Herrlichkeit des ewigen Sohnes Gottes, der Mensch geworden ist. Er ist die Offenbarung Gottes.
  3. Wir können das Neue Testament in seinen Beziehungen und Unterschieden zum Alten Testament betrachten. Es zeigt uns die Erfüllung vieler Verheißungen, die im alten Bund gegeben wurden. Das Alte Testament ist nur ein Schatten der Dinge, die wir im Neuen Testament finden (vgl. Kol 2,17; Heb 8,5; 10,1). Mit anderen Worten: Im Neuen Testament finden wir die Wirklichkeit dessen, was im Alten Testament nur im Vorbild bestand.
  4. Im Neuen Testament wird Gottes irdische Regierung beiseitegesetzt, die zuerst das Volk Israel und später die Weltreiche Babylon, Medo-Persien, Griechenland und Rom übernahmen. Stattdessen wird das eingeführt, was ewig und himmlisch und damit in seinem Wesen nicht mit dieser Erde verbunden ist. Im Alten Testament gehörte Gott das Volk Israel, das von seinem Charakter her irdisch ist. Dieses Volk war zugleich sein Instrument in der Regierung dieser Welt, bis es sich durch Götzendienst und Eigenwillen ganz von Gott entfernt hatte. Durch Israel regierte Gott die Welt. Nachdem das Volk Israel vollkommen versagt hatte, übergab Gott seine Regierung den Nationen, anfangend mit Nebukadnezar, dem Herrscher Babels. Das ist im Neuen Testament ganz anders. Jetzt gibt es ein himmlisches Volk auf der Erde – die Versammlung (Gemeinde, Kirche) des lebendigen Gottes. Aber sie ist heute kein Regierungsinstrument für diese Erde, denn sie gehört nicht zu ihr. Sie ist zwar in der Welt, nicht aber von ihr. Sie ist vom Himmel und für diesen bestimmt. Jetzt gibt es daher statt einer irdischen eine himmlische, indirekte Regierung. Gott hat kein Volk auf der Erde, das seine Regierung übernimmt, sondern Er führt die Menschen in unsichtbarer Weise durch seine Vorsehung. Die menschlichen Regierungen sind von Ihm, und Er lenkt sie, ohne dass sie sich dessen bewusst sind.
  5. Schließlich lernen wir im Neuen Testament, welche Beziehung die Wahrheit Gottes zum Menschen hat. Er hat sich als Sünder vollkommen verderbt und von Gott losgesagt. Aber Gott wollte den Menschen nicht in seinem verlorenen Zustand lassen. Daher ist Er in der Person des Sohnes Mensch geworden. Christus als „das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh 1,4). Gott wollte sich im Menschen verherrlichen. Daher kam die Wahrheit Gottes zu den Menschen, um sie zu erleuchten. Und Gott hat sich nicht nur offenbart, sondern Er hat erlöste Menschen sogar zum Träger der Wahrheit gemacht.

Jede Einzelheit der Wahrheit des Neuen Testaments kann man unter diesen Aspekten betrachten. Es handelt sich um eine einzige Wahrheit, wie sie von dem einen Gott ist. Aber sie wirft Licht auf alle „Dinge“ (z.B. den Menschen, die Sünde, die Wahrheit, Gott) und zeigt deren wahren Charakter an. Sie entfaltet jeden Aspekt der großartigen Wahrheit Gottes.

Vom Alten Testament zum Neuen Testament

Das Neue Testament behandelt also die Offenbarung Gottes. Es zeigt uns den Menschen, der auf der Grundlage göttlicher, offenbarter Gerechtigkeit in die Gegenwart Gottes gebracht worden ist. Im Alten Testament gab Gott Verheißungen und führte seine Gedanken im Gericht oder in Barmherzigkeit aus. Er regierte sein Volk Israel auf der Erde und handelte in Bezug auf die „draußen“ stehenden Nationen. Sein Volk war der Mittelpunkt seines Ratschlusses für die Erde. Er gab ihnen das Gesetz und schenkte ihnen durch die Propheten zunehmend Licht. Er kündigte nach und nach das Kommen des Gesalbten Gottes an, der ihnen wiederum Gott selbst offenbaren würde.

Aber die Gegenwart Gottes als Mensch, eines Menschen unter Menschen, der zugleich mehr als ein Mensch war, veränderte alles. Es gab nur zwei Reaktionsmöglichkeiten auf seine Ankunft:

  1. Entweder nahm man Ihn an als Krone des Segens und der Herrlichkeit, als den Einen, dessen Gegenwart alles Böse verbannen würde. Dann hätte man das Zentrum aller Zuneigungen Gottes in seiner Mitte zum Segen gehabt. Er ist Derjenige, der vollkommen glücklich macht.
  2. Oder man offenbarte durch das Verwerfen dieser Person die armselige, sündige Natur des Menschen in ihrer Feindschaft gegen Gott. Aber gerade dadurch hätte man die Notwendigkeit einer vollkommen neuen Ordnung der Dinge bewiesen. Das hätte gezeigt, dass das Glück des Menschen und die Herrlichkeit Gottes auf einer neuen Schöpfung basieren müssen.

Der Mensch und auch das Volk Israel haben sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Sie haben Christus und in Ihm Gott verworfen. Gott hat dies zum Anlass genommen, seinen ewigen Ratschluss auszuführen. Der Herr musste sagen: „Gerechter Vater! Und die Welt hat dich nicht erkannt“ (Joh 17,25). „Sie haben gesehen und doch gehasst sowohl mich als auch meinen Vater“ (Joh 15,24).

Die Verwerfung Christi führte zur Rettung der Welt

Die Verwerfung des Gesalbten Gottes hat die Erfüllung des göttlichen Ratschlusses nicht verhindern können. Im Gegenteil! Die Menschen, die Ihn verwarfen, wurden das Instrument seiner Erfüllung. Nachdem der sündige Mensch Gott und seinen Gesalbten vollkommen verworfen hat, ist Gott in seiner Barmherzigkeit in die Mitte dieses Elends gekommen. Er verwarf den Menschen nicht, bis nicht dieser Ihn verworfen hatte. Dasselbe gilt übrigens für Israel als Volk – und wird für die Christenheit ebenfalls gelten.

Gott ist frei, seine ewigen Ratschlüsse auszuführen. Aber es ist nicht einfach Gericht – wie in Eden –, das Gott ausgeführt hat. Das heißt nicht, dass das Kreuz nicht für viele in seiner Konsequenz Gericht bedeuten wird. Aber Gott handelte zunächst nicht in Gericht, sondern in souveräner Gnade. Das steht im Gegensatz zu Gottes Handlungsweise im Alten Testament, wo die Erprobung des Menschen aufgrund seines Versagens grundsätzlich mit Gericht verbunden war. Auch im Alten Testament hat Gott sein Volk und den Menschen in Gnade getragen. Aber der grundlegende Charakter der damaligen Zeit war: Wenn der Mensch Gott ungehorsam ist, kommt er unter das Gericht. Das Werk der Erlösung durch die Gnade Gottes gab es noch nicht.

Im Neuen Testament wird die Herrlichkeit Gottes als Licht und Liebe dargestellt. Im Alten Testament blieb Gott im Verborgenen. Jetzt dagegen hat Er sich vollkommen offenbart. Er kam in Liebe – das ist die souveräne Gnade –, ohne sein Wesen als Licht je aufzugeben.

Das Werk Gottes ist im Neuen Testament ein ganz neues. Wir bewundern zugleich die vollkommene Weisheit Gottes. Er ließ nicht zu, dass sein Handeln im Alten Testament sozusagen als unvollendetes Werk oder als gescheitertes Wirken angesehen werden könnte. Nein, das Werk souveräner Gnade, in der sich Gott offenbart hat, hat eine direkte Verbindung zu allen Handlungen des Alten Testaments. So kann man beispielsweise im Galaterbrief lesen, dass „das Gesetz unser Erzieher gewesen ist auf Christus hin, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden“ (Gal 3,24).

Fünf wichtige Themen des Neuen Testaments

Im Neuen Testament finden wir fünf große Themen oder Themenbereiche, die sich dem Auge des Glaubens entfalten:

  1. Das erste große Thema ist die Offenbarung des Lichtes: Gott offenbart sich. Aber dieses Licht ist in Liebe offenbart worden, dem zweiten Wesenszug Gottes. Wenn sich Gott dem Menschen zuwendet, dann ist es bis heute in Liebe. Wenn es anders wäre, müsste Er jeden Menschen sofort verurteilen und ewig bestrafen.
  2. Christus ist die vollkommene Offenbarung dieses Lichts und dieser Liebe. Wenn der Mensch Ihn angenommen hätte, hätte Er alle Verheißungen des Alten Testaments sofort erfüllt. Er wurde den Menschen und speziell Israel „angeboten“. Aber sowohl Israel als auch die Welt haben Ihn verworfen. Deshalb hat niemand eine Ausrede. Es kam kein Sünder zu den Menschen, kein Unvollkommener, keiner, gegen den der Mensch auch nur ein einziges Argument hätte vorbringen können. Der Vollkommene kam zu ihnen.
  3. Christus wurde verworfen. Das ist die Seite der menschlichen Verantwortung. Zugleich hat Gott die Verwerfung benutzt, im Herrn Jesus die ewige Errettung zu vollbringen. Aufgrund der Verwerfung gibt es eine vollständig neue Ordnung der Dinge: eine neue Schöpfung, einen verherrlichten Menschen, die Versammlung, verbunden mit Christus und seiner himmlischen Herrlichkeit.
  4. Die Beziehung zwischen der alten Norm auf der Erde und der himmlischen, neuen Ordnung finden wir ebenfalls im Neuen Testament. Dort wird immer wieder Bezug genommen auf das Gesetz, die Verheißungen, die Propheten und die göttlichen Anordnungen für die Erde. Einerseits wird das Neue als Erfüllung der alttestamentlichen Vorhersagen und Bilder vorgestellt (vgl. Röm 15,4). Andererseits wird gelehrt, dass die alten Dinge beiseitegestellt werden, ja sogar der Gegensatz zwischen Alt und Neu wird gezeigt. Das, was wir im Alten Testament finden, ist der Schatten (Kol 2,17) – Christus im Neuen Testament ist der Körper, das Eigentliche, die Wirklichkeit. Die vollkommene Weisheit Gottes wird in alldem sichtbar. Wir lernen auch die künftige Regierung dieser Welt kennen, die prophetisch an verschiedenen Stellen gezeigt wird, übrigens auch im Matthäusevangelium (Kapitel 24.25). Gott selbst wird in Christus diese Regierung ausüben. Und die Erlösten der alt- und neutestamentlichen Zeit werden daran teilnehmen. Gott zeigt uns im Neuen Testament auch die Zukunft Israels. Er erneuert seine Beziehungen mit seinem irdischen Volk, sei es in Gericht oder in Segen (z.B. in Röm 9–11).
  5. Das Neue Testament gibt dem erlösten Christen geistliche Nahrung und Führung für sein Glaubensleben. Alles, was für ihn als Fremdling und Wanderer auf der Erde nötig ist, bis Gott seine Ratschlüsse an ihm in Macht erfüllt, findet er dort. Unser neues Leben ist nicht autark, sondern bedarf der Führung und Pflege, bedarf einer Autorität über ihm. Der Gläubige braucht ein Ziel vor Augen – das wird ihm im Neuen Testament gegeben. Es ist nicht eine Sache, sondern eine Person: Christus. Diese wird nicht als auf der Erde lebend gezeigt, sondern im Himmel. Das ist unser Ziel, unsere Bestimmung.

Die Art des Neuen Testaments, Belehrung zu geben

Es fällt dem aufmerksamen Leser auf, dass diese verschiedenen Aspekte nicht in einer methodischen Abhandlungsform erklärt werden. Gott hat nicht die Form gewählt, die wir an Schulen und Universitäten vorfinden: jeweils separat ein Buch für ein Oberthema. Menschen meinen oft, dass eine solche systematische Abhandlung einfacher zu verstehen wäre. Aber Gott kennt uns besser. Er ist allwissend und göttlich weise. Wir können das, was Er uns lehren möchte, viel besser aufnehmen und verarbeiten, wenn es in einen lebendigen Zusammenhang gestellt wird. So hat Gott die Zustände und Situationen einzelner Versammlungen und Diener benutzt, um uns zu belehren. Die wichtigen Heilstatsachen und neutestamentlichen Lehren werden uns in lebendiger und kraftvoller Weise in den einzelnen Briefen gezeigt, auch in den Evangelien. Wir finden dort Christus als Person, das ist das wichtigste Thema überhaupt. Wir werden durch den Heiligen Geist unterwiesen, der die Schreiber inspirierte. So wirken die einzelnen Aspekte in verflochtener Weise und im Hinblick auf das Thema jedes einzelnen Bibelbuches auf unsere Herzen. So lernen wir nach Gottes Gedanken am besten.

Gott hat uns also kein Lexikon gegeben, in dem wir jedes Thema in alphabetischer Reihenfolge abgehandelt finden. So nützlich solche Hilfswerke für uns sind – Gottes Wort hat eine andere, lebendige und göttliche Ordnung. Das heißt nicht, dass wir nicht Vorträge und Bücher mit Gewinn aufnehmen, die sich einem einzelnen Thema der Bibel widmen. Belehrungen über die Versammlung Gottes, über das Königreich Gottes oder über die Zukunft der Menschheit sind von Nutzen. Aber Gott belehrt uns im Allgemeinen in einem größeren Zusammenhang. Dafür dürfen wir dankbar sein.

2. Das Alte und das Neue Testament – ein kurzer Überblick

Das Alte Testament kann nach den Worten des Herrn in drei Teile gegliedert werden (vgl. Lk 24,27.44): die Bücher Mose, die Propheten und die Schriften. Die insgesamt 36 Bibelbücher1 würden dann folgendermaßen aufgeteilt:

Die 3 Teile des Alten Testaments

Im ersten Teil, den fünf Büchern Mose, dem sogenannten Pentateuch2, auch als Gesetz (Moses) bezeichnet, finden wir den Anfang von allem. Es ist der Anfang

  • der Schöpfung Gottes
  • der Wege Gottes mit dem Menschen
  • der Sünde
  • der Rettung des Menschen
  • der Auserwählung: einer Person (Abraham) und eines Volkes (Israel)
  • des Regierungshandelns Gottes mit den Menschen
  • von Wiederherstellung
  • von Versagen
  • des Gerichts

In Grundzügen finden wir hier wirklich die ganze Wahrheit des Wortes Gottes vorgestellt, teilweise natürlich auch in bildlicher oder symbolischer Form. Auch die Zeitepochen des unterschiedlichen Handelns Gottes mit der Erde werden uns in diesen fünf Büchern präsentiert.

In den fünf Büchern Mose liest man,

  • wie der Mensch begann, Gott zu nahen
  • den Anfang des Gerichtes aber auch des Segens Gottes
  • den Anfang, der bereits auf das Ende hinweist.

Als Zweites haben wir die Propheten, die sich in die sogenannten frühen oder vorderen Propheten und die späten Propheten aufteilen lassen. Zu den frühen Propheten gehören die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige. Zu den späten Jesaja, Jeremia und Hesekiel sowie die sogenannten zwölf kleinen Propheten. In den „Propheten“ wendet sich Gott durch seine Instrumente an sein Volk, an diejenigen, die sich zu dem lebendigen Gott bekannt haben. Gott spricht ihr Gewissen an, um sie aufzufordern, sich treu an das Gesetz zu halten. In der späteren Zeit werden sie ermahnt, zum Gesetz zurückzukehren, das sie verlassen und aufgegeben haben. Die Propheten riefen die Israeliten dazu auf, Gott im Herzen und durch ihren Lebenswandel die Ehre zu geben.

Die Schriften bilden die dritte Kategorie des Alten Testaments. Sie werden manchmal auch als Psalmen bezeichnet. Die Psalmen sind das größte Buch dieser Gruppe. Sie stehen zudem in der hebräischen Bibel an erster Stelle dieses letzten Teils des Alten Testaments. Zu dieser Gruppe gehören neben den Psalmen die Bücher Hiob, Sprüche, Ruth, Lied der Lieder/Hohelied, Prediger, Klagelieder, Esther, Daniel, Esra, Nehemia und Chronika. Diese Bibelbücher tragen teilweise geschichtlichen Charakter, teilweise haben sie – auch in ihren geschichtlichen Erzählungen – einen sehr prophetischen Inhalt. Dazu gehören vor allem die Psalmen, das Lied der Lieder, die Klagelieder, Esther und Daniel. Zum Teil sind diese Werke auch in poetischer Form geschrieben worden (z.B. Psalmen, Lied der Lieder, Klagelieder). Manche von ihnen werden bis heute an jüdischen Festtagen vorgelesen (die sogenannten Rollen, von Ruth bis Esther).

Die hier aufgeführte Aufteilung finden wir so im hebräischen Alten Testament. Mit der griechischen Übersetzung dieser Bibelbücher, der Septuaginta, änderte sich die Reihenfolge. Heute richten sich die meisten Bibelausgaben nach der Reihenfolge der Septuaginta: Auf die fünf Bücher Mose folgen geschichtliche Bücher (Josua bis Esther), dann kommen fünf Lehrbücher bzw. poetische Schriften von Hiob bis zum Hohenlied. Schließlich folgen die 17 prophetischen Bücher, zu denen man auch Daniel rechnet.

Die Gliederung des Neuen Testaments

Im Unterschied zum Alten Testament besitzen wir für das Neue Testament keine „inspirierte“ Aufteilung, die der Herr Jesus – analog zu Lukas 24 – vorgenommen hätte. Dennoch kann man die 27 (3³ = 3x3x3) Bibelbücher des Neuen Testaments gut in drei bzw. vier Abschnitte untergliedern:

  1. Die Evangelien bilden die erste Einheit: das Leben und Wirken des Herrn. Es handelt sich nicht um klassische Biographien, sondern um Porträts aus jeweils einem bestimmten Blickwinkel. Biographien müssen bestimmte Lebensereignisse wie die Geburt, die Kindheit und Jugendzeit usw. unbedingt erwähnen. Das finden wir in den Evangelien zum Teil nicht. Sie gleichen Porträts, die mit einem ganz bestimmten Zweck spezielle Seiten einer Person (oder Sache) vor Augen führen.
    Das große Thema der Evangelien ist: Gott sendet seinen Sohn, Jesus Christus. Er ist nicht nur Gesandter, sondern zugleich in eigener Souveränität und freiwillig auf diese Erde gekommen. Jesus ist Gott und Mensch in einer Person. Er bietet seinem Volk Israel und auch den Nationen das Heil und die Gunst Gottes an (2. Kor 5,19). Aber der Mensch lehnt die Gnade Gottes ab, die heilbringend für alle Menschen erschienen ist. Der Fürst des Lebens wird ans Kreuz genagelt. Dort stirbt Er – auch das freiwillig. Er selbst gibt sein Leben in den Tod.
    Dieses Werk am Kreuz ist der Zentralpunkt des Ratschlusses Gottes, um die Sünde aus der Welt zu schaffen (Joh 1,29). Es dient in erster Linie der Verherrlichung und Freude Gottes. Er hatte alles in Vollkommenheit erschaffen. Vieles davon hat der Mensch zerstört. Jetzt aber kam Christus und hat am Kreuz Gott in jeder Hinsicht verherrlicht und zufriedengestellt. Durch dieses Werk sind zugleich Menschen, die Sünder waren, zu Gott geführt worden (1. Pet 3,18).
    Der Herr Jesus ist nicht nur gestorben, Er ist auch auferstanden. Gleichermaßen hat Gott seine tiefe Freude über das vollkommene Werk Christi dadurch gezeigt, dass Er seinen Geliebten aus den Toten auferweckt hat. Er hat Ihn verherrlicht und zu seiner Rechten gesetzt. Genauso lesen wir, dass Christus sich selbst zur Rechten Gottes gesetzt hat, zur Rechten der Majestät in der Höhe. Aus dem Markus-Evangelium lernen wir, dass Er von dort aus mitwirkte bei der Tätigkeit der Apostel, die uns in der Apostelgeschichte beschrieben wird.
  2. An zweiter Stelle steht im Neuen Testament die Apostelgeschichte. In ihr lesen wir von der Fortführung des Dienstes und Wirkens des Herrn auf der Erde durch den Heiligen Geist. Denn Christus hat Gott, den Heiligen Geist, auf diese Erde gesandt (Joh 15,26). An anderer Stelle lesen wir, dass der Vater Ihn gesandt hat (Joh 14,26) bzw. dass Er selbst hierhin gekommen ist (Joh 16,13). Der Geist Gottes wirkt im Blick auf die Erde und die Menschen. Das lesen wir schon in 1. Mose 1,2. Der Heilige Geist hat mit seinem persönlichen Kommen auf diese Erde die Versammlung (Gemeinde, Kirche) gebildet (Apg 2). Er sammelt aus dieser Welt Menschen für den Herrn Jesus, indem Er an ihren Herzen wirkt, damit sie sich bekehren. Er schenkt ihnen neues Leben und führt sie auf einen Weg der Nachfolge des Herrn Jesus. Das gilt auch heute noch. Dieses Wirken des Geistes Gottes in den ersten Tagen und Jahren nach dem Tod Christi finden wir in der Apostelgeschichte geschildert. Der Geist Gottes benutzt in dieser Zeit besonders zwei Männer – Petrus und Paulus –, um von Christus und seiner Botschaft zu zeugen.
  3. An dritter Stelle stehen die neutestamentliche Lehre und die Belehrungen durch die Apostel und Propheten (die Briefe).
    Hier haben wir zunächst die 14 Briefe des Apostels Paulus, wenn man ihm den Hebräerbrief zurechnet. Die besondere Gnade dieses Mannes war es, den Herrn von Anfang an in der Herrlichkeit und verherrlicht zu sehen. Das prägte auch seinen gesamten Dienst. Die Zwölfe sahen den Herrn hier auf der Erde. Paulus dagegen sah den Herrn von Anfang an als den Verherrlichten, der im Himmel ist. Dazu passt, dass Paulus das Evangelium der Herrlichkeit predigte (2. Kor 4,4). Dieses Wort – Herrlichkeit – wird von Paulus oft und gerne verwendet. Er benutzt es in jedem seiner Briefe (bis auf den Brief an Philemon). Dieser Apostel stellt uns den verherrlichten Sohn des Menschen, Christus Jesus, im Himmel vor. Die Gläubigen werden gesehen als in Christus vor Gott, dem Vater, stehend. Nur Paulus spricht in den Briefen von der Versammlung.3 Matthäus ist der einzige Evangelist, der davon schreibt, dass Christus selbst diese ankündigt. Paulus zeigt, dass die Gläubigen nicht nur persönlich mit Christus verbunden sind, sondern auch miteinander. So bilden sie den Leib Christi, von dem Christus selbst das Haupt (im Himmel) ist.
    Johannes
    zeigt uns besonders die Herrlichkeit des Herrn Jesus als ewiger Sohn Gottes des ewigen Vaters. Aber Johannes zeigt die Gläubigen nicht wie Paulus als in die himmlischen Örter in Christus Jesus versetzt. Bei ihm sehen wir, dass Gott in der Person des Sohnes zu uns Menschen kommt. Er ist das Leben, und dieses Leben wurde auf der Erde offenbart und uns geschenkt. Johannes sieht uns somit nicht in Christus im Himmel vor Gott, sondern Gott in Christus auf der Erde. Gott wohnt in uns in dem uns geschenkten ewigen Leben.
    Jakobus
    nimmt einen besonderen Platz unter den Schreibern des Neuen Testaments ein. Er wendet sich nicht an Christen aus den Nationen, nicht einmal speziell an Christen aus den Juden. Sein Blick geht noch weiter: Er schreibt an Christen aus allen 12 Stämmen Israels. Jona richtet sich in seinem Dienst in für das Alte Testament außergewöhnlicher Weise an Heiden. Bei Jakobus finden wir im Neuen Testament den umgekehrten und genauso eigentümlichen Fall. Das Thema von Jakobus ist: ein gottesfürchtiges Leben im Glauben – wie sieht das praktisch aus? Gerade bei ihm ist es enorm wichtig, den Empfängerkreis im Auge zu behalten, wenn man das Buch auf unsere heutige Situation anwendet.
    Petrus
    hat als großes Thema: das Königreich Gottes. Gottes Regierungshandeln wird in seinen beiden Briefen ausführlich behandelt. Im ersten spricht Petrus von Gottes Handeln mit den Gläubigen. Das bedeutet in der heutigen Zeit vor allem Leiden. Darin wird dem leidenden Gläubigen die Person des Herrn Jesus besonders wertvoll, da Er für uns gelitten hat. Im zweiten Brief geht es besonders um Gottes Handeln mit dieser Welt, auch mit den ungläubigen Personen und bloßen Bekennern, die Jesus Christus ablehnen.
    Schließlich finden wir Judas, dessen Brief zu Recht am Ende der neutestamentlichen Briefe steht. Sein Dienst besteht darin, das Abfallen der Christenheit als unabwendbar darzustellen. Er sagt es in noch drastischerer Weise vorher, als Petrus dies in seinem zweiten Brief tut. Jedoch haben die beiden nicht voneinander abgeschrieben, auch wenn es eine Reihe von Ähnlichkeiten gibt. Beide hatten einen direkten Auftrag, von der negativen Entwicklung inmitten der Christenheit zu schreiben. Der Brief des Judas ist ein prophetisches Dokument über die Endzeit. Zugleich zeigt uns Judas die Hilfsquellen für den Glauben in einer solch schrecklichen Zeit, um einen Weg mit dem Herrn Jesus gehen zu können.
  4. Der vierte und letzte Teil des Neuen Testaments umfasst, wie der zweite, nur ein Buch: die Offenbarung. Dieses Buch schließt letztlich an die Vorhersagen des Judasbriefs an. Johannes hat in „seinem“ Evangelium in eindrucksvoller Weise die Herrlichkeit des Sohnes Gottes auf der Erde verkündet. Sowohl im Evangelium als auch in seinen Briefen durfte er über die Liebe Gottes schreiben. In diesem letzten Buch der Bibel zeigt er nun die Erfüllung des Ratschlusses Gottes zugunsten seines Sohnes auf, des Menschen Jesus Christus. Dieser Ratschluss bezieht sich in diesem Fall nicht auf den Himmel, wie im Epheserbrief bei Paulus, sondern auf diese Erde. Die Vollendung der Wege Gottes schließt die großen Gerichte über diese Erde mit ein, sie nehmen darin einen zentralen Platz ein. Damit wird die Offenbarung zu einer Art Zusammenfassung alt- und neutestamentlicher Prophetie. Alles mündet in die vollständige Ausführung des Ratschlusses Gottes bezüglich der irdischen und himmlischen Herrlichkeit des Sohnes des Menschen. Dann wird Gott im Menschen Jesus Christus eine ewige Regierung der Menschen im Segen verwirklichen.

Die biblische Gliederung des Neuen Testaments

Der Herr Jesus deutet in seinen Abschlussreden im Johannesevangelium an, dass der Heilige Geist Aufgaben wahrnimmt, die mit diesen vier Teilen des Neuen Testaments zusammenhängen. Insofern haben wir eine Art inspirierte Ordnung des Neuen Testaments. Der Sohn Gottes selbst gibt uns eine Charakterisierung des Wirkens des Geistes Gottes in Verbindung mit den neutestamentlichen Schriften. Der Heilige Geist ist wie der Vater und der Sohn eine Person der Gottheit. Er stellt sich in unseren Dienst, um die vom Herrn Jesus genannten Aufgaben auszuführen.

  1. Nach Johannes 14,26 sagt der Herr Jesus, dass der Heilige Geist die Jünger an alles erinnert, was der Herr Jesus ihnen gesagt hat. Genau das tut der Geist durch die Evangelien, die uns die Worte (und Taten) des Herrn Jesus vorstellen.
  2. In Johannes 15,26 spricht der Herr Jesus davon, dass der Heilige Geist vom Herrn Jesus zeugt. Ist das nicht der Dienst, den Er durch die Apostel in der sogenannten Apostelgeschichte ausgeführt hat?
  3. In Johannes 16,13a spricht der Herr Jesus davon, dass der Heilige Geist als der Geist der Wahrheit in die ganze Wahrheit leitet. Finden wir diesen Dienst nicht durch die Briefe des Neuen Testaments erfüllt, in denen wir die ganze offenbarte christliche Wahrheit finden?
  4. Nach Johannes 16,13b sagt der Herr Jesus vom Heiligen Geist, dass Er den Jüngern das Kommende verkündigt. Es ist kein Geheimnis, dass uns in der Offenbarung genau dieses Kommende vorgestellt wird.

Was für einen vollkommenen Dienst hat der Heilige Geist getan und tut Er noch immer. Er teilt uns das mit, was wir nötig haben. Wenn man die Schriften des Alten und Neuen Testaments so aufteilt, kommt man auf insgesamt sieben Teile der Bibel. Sieben ist die Zahl der Vollkommenheit bzw. der Vollendung. Gottes Wort ist wirklich vollständig, vollkommen und abgeschlossen!

Das Neue Testament und das Zelt der Zusammenkunft

Zum Schluss sei noch ein Vergleich mit dem Zelt der Zusammenkunft gewagt. Nach 2. Mose 26,37 hing der Vorhang am Eingang dieses Zeltes an fünf Säulen. Ist es von ungefähr, dass wir mit Paulus, Jakobus, Petrus, Johannes und Judas gerade fünf Schreiber der Briefe und der Offenbarung im Neuen Testament haben? Sie führen uns sozusagen durch den ersten Vorhang hindurch, um uns die christliche Lehre und Praxis – Tisch und Leuchter, – darzustellen. Auch das, was Anbetung ist und wie wir anbeten können – goldener Altar –, lernen wir durch sie. Manche Ausleger haben an dieser Stelle auch an die fünf in Epheser 4,11 genannten Gaben an die Versammlung (Gemeinde, Kirche) gedacht.

Der Vorhang zwischen dem Heiligtum und dem Allerheiligsten hing jedoch an vier Säulen (2. Mo 26,32). Er verdeckte die Bundeslade. Hier können wir an die vier Evangelisten denken. Sie zeigen uns in besonderer Weise die Person des Herrn Jesus selbst – die Bundeslade – und führen uns zu Christus. Dieser Vorhang ist nach Hebräer 10,20 „durchlässig“. Gott hat dazu gerade diese vier Männer benutzt, um uns die Herrlichkeit seines Sohnes wertvoll zu machen.

Die Grundlage von dem allen finden wir im Vorhof. Das ist die Botschaft an alle Menschen: Jesus Christus ist gestorben (Brandopferaltar), um Menschen mit Gott zu versöhnen. Wer sein Werk im Glauben annimmt, wird in die ganze Wahrheit geführt (vgl. 1. Tim 2,4). Aber ohne den rettenden Glauben an das Blut Jesu wird niemand die Briefe des Neuen Testaments verstehen können. Das Verständnis dieser Lehrbriefe (Heiligtum) wiederum führt uns zu der Person des Herrn Jesus (Allerheiligstes). Alles geht von Ihm aus und führt zu Ihm.

3. Die Evangelien – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Warum vier Evangelien?

Gott hat es für gut befunden, uns nicht nur ein Evangelium zu geben, sondern vier. Man kann die Person des Herrn Jesus nicht durch ein einziges Bibelbuch angemessen darstellen. Die Zahl „4“ ist die Zahl der Universalität: vier Himmelsrichtungen, vier Winde, vier Ecken der Erde (Off 7,1; 20,8). Die vier verschiedenen Blickwinkel geben uns ein rechtes und gebührendes Verständnis dieser für uns Menschen nicht ergründbaren Person. Wir werden auch in Ewigkeit nicht erfassen können, dass Christus Mensch und Gott in einer Person ist.

Wir haben also vier Evangelien vor uns, weil diese Vielfalt die Wichtigkeit des Themas unterstreicht. Es geht um den Sohn Gottes, der als Mensch auf der Erde lebte. Eine solche, vierfache Beschreibung seines Lebens gibt es bei keinem anderen Menschen in der Bibel. Diese Ehrerweisung ist allein dem Herrn Jesus vorbehalten.

Eine derartige Vielfältigkeit zeigt außerdem den Reichtum und die Fülle des „Themas“ der Evangelien. Bei jeder anderen Person würde man sich spätestens beim dritten Porträt fragen: Was soll man jetzt noch anderes schreiben, ergänzen und kennenlernen? Beim Herrn Jesus ist das nicht so. Seine Person ist und bleibt unbegreiflich für uns Menschen (vgl. Joh 21,25). Dass jeder Schreiber aus einem anderen Blickwinkel, mit einem anderen Zweck und an eine andere Zielgruppe geschrieben hat, zeigt schließlich einen weiteren Punkt dieser Vielfältigkeit. Die unterschiedlichen Ziele der Schreiber darf man beim Lesen nicht außer Acht lassen. Das zeigt uns die Größe der herrlichen Person Christi, unseres Retters.

Die Verbindung der Evangelien untereinander

Die Evangelien ergänzen sich gegenseitig. Die Evangelisten widersprechen einander nicht und schreiben dennoch nicht dasselbe. Es gibt viele Ähnlichkeiten, sogar manche direkten Übereinstimmungen. Das zeigt, dass die Berichte zusammengehören und gemeinsam ein großes Ganzes bilden. Man kann nicht das eine Evangelium auf Kosten der anderen lesen. Wir brauchen sie alle. Dabei ist offensichtlich, dass die ersten drei viele Ähnlichkeiten aufweisen. Daher heißen sie synoptische4 Evangelien. Johannes schrieb wesentlich später. Er setzt die Kenntnis der anderen drei voraus. Er schreibt angesichts der drohenden Gefahr der sogenannten Gnosis. Die Gnosis geht von einer sich weiterentwickelnden Wahrheit aus, die man nur als Wissender und Eingeweihter verstehen kann. Es handelt sich um eine Irrlehre!

Wenn Gott mehrere Berichte über das Leben seines Sohnes gibt, hält Er sich sozusagen an seine eigenen Vorschriften, wie Er sie zum Beispiel in 5. Mose 19,15 gegeben hat. Dort verlangt Er, dass eine Sache durch zwei oder drei Zeugen bestätigt wird. Gott gibt in den Evangelien die größere Zahl: Drei Evangelisten bezeugen die Worte und Werke des Herrn. Er schenkt mit Johannes sogar noch einen vierten Zeugen, der darüber hinaus eine deutlich andere Blickrichtung verfolgt. Er bestätigt das, was die anderen geschrieben haben, und führt uns in die ewige Herrlichkeit des Sohnes Gottes ein. Er geht also zeitlich weiter zurück als die drei anderen Evangelien.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich gerade Matthäus als der Schreiber, der sich an Juden richtet, an die Maßgabe von 5. Mose 19 hält. Immer wieder lesen wir im Matthäusevangelium von zwei geheilten Personen, wenn andere Evangelisten nur eine Person nennen (vgl. Mt 8,28; 9,27; 20,30; 26,60). Das unterstreicht das göttliche Zeugnis des wunderbaren Wirkens Jesu.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Das Neue Testament steht auf der Grundlage der Apostel und Propheten (Eph 2,20). Auf diese Weise kann man die neutestamentlichen Schreiber tatsächlich unterscheiden. Dies trifft auch für die Schreiber der Evangelien zu. Zwei von ihnen waren Apostel, Jünger des Herrn Jesus: Matthäus und Johannes. Die beiden anderen waren keine Apostel, wohl aber Propheten, welche die Wahrheit Gottes verkündigten, ohne die amtliche Autorität eines Apostels zu besitzen: Markus und Lukas.

Zwei der Schreiber waren direkte Augenzeugen des Lebens des Herrn Jesus: verständlicherweise wieder Matthäus und Johannes. Gleichwohl ist es auffallend und beeindruckend, dass einer von ihnen über 60 Jahre warten musste, bis er den Auftrag bekam, das Evangelium aufzuschreiben: Johannes. Es ist auch beeindruckend, dass bei Begebenheiten, bei denen er im Unterschied zu Matthäus Augenzeuge war, es gerade Matthäus ist, der davon berichtet: die Auferweckung der Tochter des Jairus; der Berg der Verklärung; Gethsemane.

Zwei der vier Evangelien zeichnen sich durch ein hohes Maß an chronologischer Treue aus: Markus und Johannes. Auch bei ihnen gibt es ausnahmsweise Abweichungen davon. Aber im Allgemeinen bewahren diese beiden Evangelien die geschichtliche Reihenfolge. Matthäus und Lukas dagegen stellen ihre Abschnitte unter thematischen Gesichtspunkten zusammen. Auch das ist eine vollkommene Ordnung! Bei Matthäus sind es zum Beispiel besonders Reden des Herrn Jesus, die zu größeren Abschnitten zusammengefasst werden. Man denke unter anderem an die sogenannte Bergpredigt in Matthäus 5–7, die Christus sicher nicht zusammenhängend gehalten hat, wie ein Vergleich mit dem Lukasevangelium zeigt, der zum Teil konkrete Zeitangaben in Verbindung mit Redeteilen dieser Predigt nennt (Lk 7,1; 11,1; 12,41; 14,14). Er hat auch besonders die verschiedenen Epochen des Handelns Gottes mit Menschen im Auge. Bei Lukas sind es moralische Gesichtspunkte, die seine „Ordnung“ bestimmen.

Zwei der vier Schreiber sprechen hauptsächlich von „amtlichen“ Herrlichkeiten des Herrn. Wir werden später sehen, dass Matthäus besonders den König Israels, den Gesalbten Gottes präsentiert. Markus spricht vom Diener und Propheten. Die beiden anderen Evangelisten zeigen uns mehr die persönliche Herrlichkeit des Herrn Jesus. Lukas offenbart die des Sohnes des Menschen, des vollkommenen Menschen, und Johannes die des ewigen Sohnes des ewigen Vaters. Aber man sollte aus diesen Hinweisen nicht den falschen Schluss ziehen, die Evangelien würden sich mehr oder weniger auf jeweils eine Herrlichkeit des Herrn beschränken. Bei Markus wird beispielsweise immer wieder Wert darauf gelegt, dass der Diener zugleich der Sohn Gottes ist. Ganz am Anfang und am Ende des Evangeliums fällt dies besonders auf. Bei Johannes finden wir in einmaliger Weise Hinweise darauf, dass der Sohn Gottes vollkommen Mensch war – Er war ermüdet von der Reise (Joh 4,6) ... Die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus ist vielseitig und vollkommen.

Zielgruppen und Themen der einzelnen Evangelien

Man kann auch den direkten Zielkreis der Evangelien unterscheiden. Matthäus richtet sich – wie wir schon erwähnt haben und noch sehen werden – an die Juden. Er zitiert viele Schriftstellen aus dem Alten Testament, die ein Heide nicht ohne weiteres verstehen kann. Markus richtet sich mehr an Römer – man nimmt auch an, dass er sein Evangelium in Rom geschrieben hat. Vielen Römern waren die Gebräuche der Juden unbekannt. Daher werden diese von Markus immer wieder erklärt und besonders beschrieben (Mk 1,9; 3,17; 5,41; 7,3.4).

Lukas, der nach seinem Namen zu urteilen selbst griechischer Herkunft zu sein scheint, schreibt an Theophilus und damit an Griechen, man könnte sagen, an alle Nationen. Griechisch war zu dieser Zeit noch die Weltsprache, auch wenn das griechische Weltreich bereits von dem Römischen Reich abgelöst worden war. Johannes richtet sich an die ganze Welt: „Diese [Zeichen] aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20,31).

Matthäus

Matthäus, der den Herrn Jesus besonders als den Gesalbten Gottes beschreibt, bringt mit Abstand die meisten Zitate aus dem Alten Testament. Das wundert uns nicht, weil er gerade dadurch aufzeigen kann, dass der Herr Jesus wirklich der im Alten Testament angekündigte Messias war. Matthäus wendet sich in seinem Evangelium an Juden und besonders an die religiöse Welt. Als Überschrift aus dem Alten Testament könnte man Sacharja 9,9 zitieren: „Frohlocke laut, Tochter Zion; jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König wird zu dir kommen: Gerecht und ein Retter ist er, demütig und auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen der Eselin.“

Man könnte ebenso Jeremia 23,5 anführen: „Siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da ich David einen gerechten Spross erwecken werde; und er wird als König regieren und verständig handeln und Recht und Gerechtigkeit üben im Land.“ Wir müssen allerdings bedenken, dass der Herr Jesus in diesem Evangelium nicht als Messias auf das Land Israel und die Juden beschränkt bleibt. Sein Königreich – zwar von Jerusalem aus regiert – ist ein ewiges Reich und sein Königreich umfasst letztlich die ganze Erde und mit ihr alle Nationen. Alle werden Ihm dann dienen.

Markus

Die Römer waren keine Theologen und waren auch nicht die Kultur-Philosophen wie viele Griechen. Was sie interessierte, waren Fakten. Genau das finden wir im Markusevangelium. Dieses ist das kürzeste Evangelium und besticht durch seine Prägnanz in den Berichten. Nur das Wesentliche wird berichtet, wobei auch dieses Evangelium an bestimmten Stellen auf einmal sehr ausführlich wird und umfassender berichtet als die anderen Evangelien. Wie schon gesagt, erklärt Markus an manchen Stellen die jüdischen Sitten, die seinen Empfängern offensichtlich unbekannt waren. Die drei Sprachen Hebräisch, Lateinisch und Griechisch, in denen die Überschrift am Kreuz geschrieben war, wenden sich an verschiedene soziale Gruppen; von diesen Sprachen könnte man das Lateinische, das sich an die politische Welt richtet – auf das Markusevangelium beziehen.

Das große Thema des Evangelisten Markus ist Jesus, der Knecht Gottes, der Prophet Gottes, der auf die Erde gesandt worden ist. Wir finden den Herrn Jesus in diesem Buch ständig im Dienst für andere. Kaum, dass Er einen Dienst vollendet hat, kommt bereits die nächste Aufgabe, die Er für die Menschen und für sein Volk ausführt. Wir finden im Vergleich zu den anderen Evangelien weniger Reden des Herrn – der Schwerpunkt liegt auf dem tätigen Dienen.

Eine alttestamentliche Überschrift ist Sacharja 3,8: „Denn siehe, ich will meinen Knecht, Spross genannt, kommen lassen.“ Gott wollte einen Knecht senden, der Ihm in vollkommener Weise dient und allen Menschen bezeugt, wie Gott geehrt werden kann und soll. Dieser Knecht sollte die Grundlage für jeden Segen und jede Freude legen (Sach 3,10).

Lukas

Lukas zeigt uns Denjenigen, der vollkommen Mensch war. Nur Lukas schreibt von der Kindheit des Herrn Jesus. Er sagt – und das passt zu dem Werdegang eines Menschen, der älter und groß wird: „Und Jesus nahm zu an Weisheit und an Größe und an Gunst bei Gott und Menschen“ (Lk 2,52). In diesem Evangelium finden wir den Herrn Jesus immer wieder im Gebet – vierzehnmal. Gerade Lukas beschreibt, wie Jesus sich am Kreuz an seinen Vater wendet, diese Beziehung, die Er als Mensch genoss und die Ihn auszeichnete. In vielen Einzelheiten und auch durch seine anspruchsvolle Sprache entspricht Lukas auch den Erwartungen geistig anspruchsvoller Menschen – zugleich aber können auch wir seine Worte gut verstehen. Wenn sich Lukas an einen besonderen Teil der Welt richtet, dann an die kulturelle philosophische (griechische).

Als alttestamentliche Überschrift passt hier Sacharja 6,12: „So spricht der Herr der Heerscharen und sagt: Siehe, ein Mann, sein Name ist Spross; und er wird von seiner Stelle aufsprossen und den Tempel des Herrn bauen.“ Das ist unser Herr – Er ist vollkommen Mensch und vollkommener Mensch. Er hat den Tempel Gottes, das Haus Gottes, gebaut. Es ist sicher nicht von ungefähr, dass Lukas in der Apostelgeschichte den Anfang dieses Hauses Gottes in der Gnadenzeit, der Versammlung (Gemeinde, Kirche) beschrieben hat. Er war der Reisebegleiter von Paulus, der die besondere Aufgabe hatte, über die Versammlung zu schreiben, die der Herr Jesus gebaut hat (vgl. Eph 2,21; Mt 16,18).

Johannes

Johannes hat einen anderen Blickwinkel als die drei ersten Evangelisten. Er schreibt von dem ewigen Sohn des ewigen Vaters. Der, von dem Johannes schreiben durfte, ist in seinem Charakter ewig (Joh 1,1a), unterschieden von Gott als eine eigene Persönlichkeit (1,1b), und zugleich ist Er Gott (1,1c). Diese Beziehung des Sohnes zu dem ewigen Gott bestand schon „immer“ (1,2). Er ist der Schöpfer, durch den alles ins Dasein gerufen worden ist (1,3), der sowohl die Lebensquelle ist als auch Gott hier auf der Erde offenbart hat (1,4.5.18). Wir können Gott nicht erfassen; so können wir auch den Herrn Jesus nicht begreifen, insbesondere nicht angesichts der Tatsache, dass Er Gott und Mensch in einer Person ist. Beide Seiten finden wir in diesem Evangelium wieder.

Als alttestamentliche Überschrift könnte man Jesaja 35,4 wählen: „Siehe, euer Gott kommt“, und Jesaja 4,2: „An jenem Tag wird der Spross des Herrn zur Zierde und zur Herrlichkeit sein.“ Er ist der Gott, der gekommen ist, der Spross des Herrn, der Gottes Herrlichkeit offenbart hat.

Die Sicht der 12 Jünger

Man kann die vier Evangelien auch im Hinblick auf die Darstellung der 12 Jünger vergleichen. Im Matthäusevangelium werden sie sozusagen als Jünger sowie Schüler des Königs und als Bewohner des Königreichs des Herrn gesehen. Im Markusevangelium handelt es sich um Diener, die ihrem Meister dienen und zugleich Ihn in seinem Dienst nachahmen. Im Lukasevangelium hat der Herr seine Zeugen, denen Er ein Zeugnis weiterzugeben hat. Vielleicht kann man die Jünger in diesem Evangelium auch als Söhne sehen, die Einsicht in die Gedanken Gottes haben. Johannes sieht die Jünger sozusagen als Kinder Gottes, die zu seiner Familie gehören. Wir wissen, dass dies aber auf den Verräter des Herrn nicht zutrifft.

Die fünf Opfer

Oft sind auch die Opfer aus 3. Mose 1–7 mit den Evangelien verglichen worden.

  1. Das Brandopfer (3. Mo 1) war ganz für Gott da. In allen seinen Teilen diente es der Verherrlichung Gottes – es wurde ganz für Gott verbrannt. Finden wir das nicht im Johannesevangelium, wo das Wort „Herrlichkeit“ und damit verwandte Wörter mit Abstand am häufigsten verwendet werden? Hier finden wir auch nicht die drei Stunden der Finsternis, in denen Christus zur Sünde gemacht wurde und sich Gott von Ihm wegen unserer Sünden abwenden musste. Als Christus am Kreuz hing, war Er in jeder Hinsicht und vollständig zum duftenden Wohlgeruch Gottes, des Vaters.
  2. Das Speisopfer ist ein unblutiges Opfer, das mehr das Leben des Herrn Jesus in seiner Reinheit vorstellt, geprüft (Feuer) bis in den Tod. Dieses Opfer wurde immer zusammen mit einem anderen Opfer gebracht, besonders dem Brandopfer, aber auch mit den anderen Opfern. So finden wir in allen Evangelien den Herrn Jesus als die Erfüllung des Speisopfers. Besonders finden wir die Reinheit und Vollkommenheit der Person Jesu im Lukas- und Johannesevangelium präsentiert.
  3. Das Friedensopfer (3. Mo 3) war zugleich ein Dank- und Lobopfer. Es war das „Gemeinschaftsopfer“, an dem Gott seinen Anteil hatte, aber auch der Priester und sogar der Opfernde. Wann immer das Volk im Land Israel (Kanaan) Fleisch von reinen Haustieren essen wollte, sollte es als Friedensopfer auf dem Brandopferaltar in Jerusalem geschlachtet werden (5. Mo 12,6.7). Allerdings gestand Gott in seiner Gnade dem Volk auch zu, dass man bei großen Entfernungen nach Jerusalem unter besonderen Bedingungen Fleisch auch ohne diese Opferweihe essen durfte (vgl. 5. Mo 12,15–28). Das Friedensopfer lässt sich besonders auf das Lukasevangelium anwenden. Freude und Frieden sind zentrale Wörter, die man immer wieder bei Lukas findet. Auch das Loblied, mit dem dieses Evangelium endet, zeugt von dem Charakter des Friedensopfers. Nicht zuletzt finden wir gerade in diesem Evangelium die Einsetzung des Gedächtnismahls (Abendmahls) in besonders ausführlicher Weise.
  4. Das Sündopfer (3. Mo 4) war zur Sühnung für diejenigen, die gesündigt hatten (Verse 20.26.31). Die Sünden des Volkes wurden auf das Tier gelegt – es musste stellvertretend dafür sterben. Wir können dies mit dem Markusevangelium verbinden, das zusammen mit dem Matthäusevangelium von den drei Stunden der Finsternis und dem Ausspruch unseres Herrn berichtet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In diesen drei Stunden hat Jesus Christus Sühnung für unsere Sünden getan. Der Herr Jesus konnte sagen: „Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Er ist an unserer Stelle zur Sünde gemacht worden.
  5. Das Schuldopfer (3. Mo 5) ist dem Sündopfer sehr verwandt. Daher sprechen auch viele von dem Sünd- und Schuldopfer als einer gewissen Einheit. Nicht von ungefähr finden wir sowohl den Ausspruch des Herrn am Kreuz zu seinem Gott als auch seinen Hinweis über das Lösegeld in beiden Evangelien, Matthäus und Markus. Aber der besondere Charakter der Schuld, die Vergebung nötig macht, kommt bei Matthäus zum Vorschein, während man bei Markus besonders die Verdorbenheit des Menschen findet. Im Matthäusevangelium wird gesagt, dass der Herr Jesus sein Blut „zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28) vergießen würde. Gerade hier wäscht sich Pilatus die Hände und sagt: „Ich bin schuldlos an dem Blut dieses Gerechten, seht ihr zu“ (27,24), worauf die Juden antworten: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder.“

Die vier Farben der Stiftshütte

Einen weiteren alttestamentlichen Vergleich könnte man mit den vier Farben des Vorhangs anstellen, der das Heilige von dem Allerheiligsten trennte. In 2. Mose 25,4 und 26,31 werden die vier Farben genannt: blauer und roter Purpur, Karmesin und Byssus. Diese Vergleiche sind nicht mehr so scharf umrissen wie die der vier Opfer. So verwundert es kaum, dass die Ausleger an dieser Stelle unterschiedliche Bezüge zu den Evangelien sehen. Es hat den Anschein, dass diese vier Farben – ähnlich wie die Opfer – zunächst den größtmöglichen Blickwinkel einnehmen, der zunehmend eingeengt wird.

  • Blauer Purpur: Es fällt nicht schwer, in der blauen Farbe einen Hinweis auf den Himmel zu sehen. Der Herr Jesus ist der Mensch vom Himmel, wie wir Ihn im Johannesevangelium finden (vgl. Joh 6,38).
  • Roter Purpur: Diese Kleidung ist diejenige von Königen und Herrschern. Aber es fällt auf, dass sie besonders häufig in Verbindung mit Königen steht, die nicht aus Israel kamen (vgl. Dan 5,29; Est 1,6; Ri 8,26). Der Herr Jesus wird als Sohn des Menschen über die ganze Erde herrschen. Diese Herrschaft wird von Daniel mehrfach vorhergesagt (z.B. Dan 7,13.14) und im Neuen Testament bestätigt. Besonders im Lukasevangelium wird der Herr Jesus als Mensch bzw. Sohn des Menschen vorgestellt, dem diese Macht geschenkt wird. Als solcher wird Er nach Psalm 8 die Herrschaft über die Erde antreten (Lk 21,27).
  • Karmesin (oder Scharlach) ist ebenfalls eine königliche Kleidung. Wir finden sie in Verbindung mit Israel und mit seinem König Saul (2. Sam 1,24). Es gibt einen bemerkenswerten Bezug zu Sünden, den Jesaja zieht: „Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, wie Schnee sollen sie weiß werden; wenn sie rot sind wie Karmesin, wie Wolle sollen sie werden“ (Jes 1,18). Beides finden wir im Matthäusevangelium. Es geht hier um den König, den König über Israel. Er ist für die Sünden seines Volkes gestorben, um Vergebung anzubieten.
    So hat das Volk Israel seinen König auch verspottet, als Er zu ihnen kam: „Und sie zogen ihn aus und legten ihm einen scharlachroten Mantel um. Und sie flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie ihm auf das Haupt und gaben ihm einen Rohrstab in die Rechte; und sie fielen vor ihm auf die Knie und verspotteten ihn und sagten: Sie gegrüßt, König der Juden!“ (Mt 27,28.29.42). Was für eine Königswürde!
  • Byssus: Hier handelt es sich um reine Leinwand, die ein Bild der vollkommenen Reinheit des Herrn Jesus ist. Gerade Markus spricht davon. Bei der Verwandlung Jesu auf dem Berg spricht er von glänzenden Kleidern, „sehr weiß, wie kein Walker auf der Erde weiß machen kann“ (Mk 9,3). In der leeren Gruft nach der Auferstehung des Herrn Jesus sitzt ein Jüngling „mit einem weißen Gewand“ (Mk 16,5). Spricht das nicht alles von der Reinheit unseres Herrn, des vollkommenen Dieners? Das heißt nicht, dass nicht auch die anderen Evangelisten die Reinheit unseres Herrn, des zweiten Menschen vom Himmel (1. Kor 15,47), betonen würden (vgl. Mt 17,2; 28,3; Lk 9,29; Joh 20,12). Markus aber betont die unübertroffene Reinheit Dessen, der hier als Diener tätig war. In gleicher Weise finden wir den Herrn auch als König nicht nur in Matthäus vorgestellt, in seiner himmlischen Würde nicht nur bei Johannes usw.

Die vier lebendigen Wesen in Hesekiel 1

Im Hinblick auf die vier Evangelien ist auch die Beschreibung der vier lebendigen Wesen in Hesekiel 1,10 interessant, die in Offenbarung 4,6.7 wieder aufgegriffen wird.

Cherubim begegnen uns das erste Mal in der Bibel in Verbindung mit dem Sündenfall. Gott ließ sie östlich vom Garten Eden lagern, damit sie den Zugang zum Baum des Lebens zum Wohl des Menschen bewachten (1. Mo 3,24). Ihr Charakter dort ist der von Gericht, wie die Flamme des kreisenden Schwertes deutlich macht. Damit war dem Menschen der Zugang in die Gegenwart Gottes versperrt. Im zweiten Buch Mose finden wir sie auf dem Gnadenstuhl der Bundeslade, auf dem Deckel der Lade (2. Mo 25,17.18). Auch dort stehen sie also in Verbindung mit der Gegenwart Gottes, mit seinem Thron.

In Psalm 99,1.4.6 werden sie wieder mit dem Thron Gottes verbunden – mit Gerechtigkeit und Gericht. Aber es ist schön zu sehen, dass es Priester dieses Thrones gibt, d. h. man kann Gott nahen, und die Cherubim sind Zeugen davon. Auch im Buch Hesekiel sind sie Zeugen davon, dass die Herrlichkeit Gottes den Tempel verlässt (Hes 9,3; 10,4.18.19; 11,22.23). Dasselbe gilt für die künftige Rückkehr dieser Herrlichkeit im 1000-jährigen Friedensreich (Hes 43,2.4.5; 44,4). Einerseits sind sie also Zeugen, andererseits sind sie solche, die das Gericht Gottes ausführen. Ihr gerichtlicher Charakter wird in Hesekiel 10,14 besonders unterstrichen, wenn statt des sonst verwendeten Stier-Angesichts das Angesicht eines Cherubs gesehen wird.

Wem aber ist im eigentlichen Sinn das Gericht übergeben worden? „Denn der Vater richtet auch niemand, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohn gegeben, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“ (Joh 5,22.23). Insofern sprechen die in Hesekiel 1 und Offenbarung 4 genannten Merkmale der Angesichter der vier lebendigen Wesen auch von der Person des Herrn Jesus. Natürlich in erster Linie von Eigenschaften, die Er als Richter besitzt.

  1. Das erste Angesicht der vier lebendigen Wesen, das genannt wird, ist das eines Menschen: Erinnert uns das nicht zunächst an die Weisheit seines Gerichts, das Er in vollkommener Einsicht ausführen wird? Es ist aber zugleich seine Weisheit und Einsicht, seine vollkommene Menschheit, die wir im Lukasevangelium wiederfinden.
  2. Das zweite Angesicht ist das eines Löwen. Dieses Symbol finden wir in Offenbarung 5 wieder. Dort wird von dem Herrn Jesus gesagt: „Siehe, es hat überwunden der Löwe, der aus dem Stamm Juda ist, die Wurzel Davids“ (Off 5,5). Unzweifelhaft ein Verweis auf die Kraft und königliche Macht des Herrn Jesus – einerseits im Gericht, andererseits als der König in Israel. Finden wir Ihn nicht so im Matthäusevangelium?
  3. Das dritte Angesicht ist das eines Stieres. Auch dieser spricht von Kraft, aber mehr unter dem Gesichtspunkt der Arbeitskraft: „Wo keine Rinder sind, ist die Krippe rein; aber viel Ertrag ist durch die Kraft des Stieres“ (Spr 14,4). Der Herr Jesus wird sein Gericht in dieser ausdauernden Kraft ausführen. Und diese ausdauernde Kraft finden wir im Markusevangelium in seinem Dienst wieder, wo Er ständig im Einsatz ist, um seinem Vater im Himmel zu dienen, jedoch auch, um den Menschen zu helfen und sie zu Gott zu führen.
  4. Schließlich ist noch von dem Angesicht des Adlers die Rede. Der Adler zeichnet sich durch seine Schnelligkeit und Zielstrebigkeit im Beutefang aus. Er taucht plötzlich auf und ergreift sein Opfer. David verbindet in seinem Trauerlied über Jonathan und Saul gerade die Schnelligkeit ihres Handelns mit der des Adlers (2. Sam 1,23; vgl. auch Hiob 9,26). So wird das Gericht des Herrn sein: schnell und plötzlich für diejenigen, die Gott und seinen Sohn, Jesus Christus, ablehnen. Aber ist der Adler nicht auch ein Bild von dem Himmlischen, dem vom Himmel gekommenen Sohn Gottes, wie wir Ihn im Johannesevangelium finden? Gott selbst verweist auf die Höhe des Adlers (Hiob 39,27). Salomo spricht von dem zum Himmel fliegenden Adler (Spr 23,5) – der Herr Jesus ist es, der vom Himmel gekommen und in den Himmel gegangen ist, der ewige Sohn Gottes!

Es ist im Übrigen interessant, dass die Reihenfolge der Charakterisierungen der vier lebendigen Wesen in Offenbarung 4 genau der Reihenfolge der vier Evangelien entspricht. Vielleicht darf man das als eine Bestätigung dieser Überlegungen verstehen.

Die vier Teppiche in der Stiftshütte

Neben den Farben des Vorhangs ist ein Vergleich der verschiedenen Teppiche der Stiftshütte (2. Mo 26,1–14) mit den Evangelien von Interesse. Dabei muss man sich bewusst bleiben, dass ein solcher Vergleich immer der Gefahr einer Überinterpretation unterliegt. Aber es scheint gewisse schöne Parallelen zu geben, die an dieser Stelle einfach aufgezeigt werden sollen.

  1. Bei der bedeutendsten Decke, die als erstes erwähnt wird, finden wir die Farben des Vorhangs wieder. In diesem Sinn ist sie sicher die umfassendste Beschreibung der verschiedenen Herrlichkeiten der Person des Herrn Jesus. Aber an dieser Stelle werden die Cherubim in der Decke ausdrücklich erwähnt. Wir können das als einen Hinweis auf die Regierung und das Gericht (Richten) Gottes durch den Herrn Jesus verstehen. Seine Regierung als König finden wir besonders im Matthäusevangelium. So kann man diese Decke vielleicht als einen Hinweis auf das Matthäusevangelium verstehen.
  2. Dann wird die Decke aus Ziegenhaar erwähnt. Damit kann man zwei Gedanken verbinden. Einerseits ist es gerade die Ziege, die typischerweise bei dem Sündopfer verwendet wurde. Vorhin wurde darauf hingewiesen, dass wir dieses besonders im Markusevangelium finden. Zudem kann man daran denken, dass die Kleidung von Propheten – man denke an Elia und Johannes den Täufer – aus zu Stoffen gewebten Haaren bestand. Von Elia heißt es: „Er war ein Mann mit einem härenen Gewand“ (2. Kön 1,8). Johannes war mit Kamelhaaren bekleidet. So sprechen diese Tierhaare besonders von einem Prophetendienst. Genau diesen finden wir bei Markus wieder. Denn dort wird Jesus nicht nur als Diener, sondern als der wahre Prophet Gottes gezeigt, der das Wort Gottes zu seinem Volk redet.
  3. Als dritte Decke wird das rot gefärbte Widderfell erwähnt. Der Widder – also das männliche Schaf – wurde besonders bei Brandopfern verwendet. Man denke auch an die Einweihungsfestlichkeit der Priester (2. Mo 29). Bei dem Widder denken wir unter anderem an die Energie des Tieres und damit an die Energie der Hingabe des Opfers. Ist es nicht ein Hinweis auf den Herrn Jesus als das wahre Brandopfer, wie wir Ihn im Johannesevangelium vorgestellt bekommen?
  4. Die äußerlich sichtbare Decke bestand aus Seekuhfellen. Dazu sagt uns die Schrift nicht viel mehr. In Hesekiel 16,10 finden wir, dass der Herr Juda mit Schuhen aus Seekuhfellen bekleidet habe. Die ganze Beschreibung ist eine Beschreibung der Herrlichkeit, die Gott seinem Volk zugeschrieben hatte, aber auch von der Heiligkeit, die damit verbunden ist. Es ist gerade die Haut der Seekuh5, die sehr dick ist und sie vor Einflüssen von außen beschützt. Finden wir nicht die Herrlichkeit des Herrn und auch seine persönliche Heiligkeit besonders im Lukasevangelium beschrieben? Er war ein Mensch unter Menschen. Aber gerade im Kontrast zu den anderen Menschen war Er vollkommen heilig, Gott geweiht!
    Andere haben darauf hingewiesen, dass die Seekuh zwar im Wasser lebt, aber als ein Säugetier nicht wirklich zum Wasser gehört, so wie der Herr Jesus als Mensch auf diese Erde gekommen ist, um hier zu leben, aber von seinem Wesen her vollkommen abgesondert von dieser Welt gelebt hat, zu der Er nicht gehörte. Genau diese Decke wurde außen gesehen. Sicher diente diese äußere Decke auch dem Regenschutz, der bei diesen Fellen natürlich in besonderem Maß vorhanden war.

Die Bundeslade und die Evangelien

Es gibt sicher noch eine Reihe von weiteren Beispielen im Alten Testament, in denen bestimmte Gegenstände Hinweise auf die Person des Herrn Jesus sind, wie sie in der unterschiedlichen Sichtweise der Evangelien ausgedrückt werden. Dazu gehört die Bundeslade (2. Mo 25,10.11). Sie besteht aus Akazienholz – ein Hinweis auf die Menschheit des Herrn Jesus, wie sie im Lukasevangelium besonders beschrieben wird. Aber sie ist vollständig mit reinem Gold überzogen – ein Hinweis auf die ewige Gottheit und Herrlichkeit des Herrn Jesus.

Diese Lade hat verschiedene Bezeichnungen. Vier davon finden wir in Josua 3 und 4. Sie ist die „Lade des Bundes“ (3,6) – und Gott hat besonders mit seinem Volk Israel einen Bund geschlossen (Matthäus). Sie ist die „Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde“ (3,11) – als Mensch wird der Herr über die ganze Erde herrschen (Lukas). Sie ist die „Lade des Herrn“ (4,11) – des ewigen Gottes (Johannes). Sie ist die „Lade des Zeugnisses“ (4,16), so wie der Herr Jesus der treue Zeuge als Diener und Prophet hier auf dieser Erde für Gott gewesen ist (Markus).

Vier Flüsse, vier Bestandteile des Räucherwerks und der Gewürzsalbe

Ob auch die vier Flüsse im Garten Eden (1. Mo 2) schon einen Hinweis auf vier große Herrlichkeiten des Herrn sind, wie wir sie in den Evangelien finden? Manche haben auch die vier Teile der Gewürzsalbe des Salbenmischers (2. Mo 30,23.24) sowie die vier Bestandteile des Räucherwerks (2. Mo 30,34) mit den vier Evangelien verglichen. Aber wo – wie hierbei – die direkte Nähe zu den einzelnen Evangelien nicht immer nachvollziehbar ist, ist es gut, mit Anwendungen vorsichtig zu sein. Bei diesem Thema ist der Grat zwischen Spekulation und direkter Ableitung wie oft nur sehr schmal ...

Das einzige Wunder in allen vier Evangelien

Zum Schluss möchte ich noch kurz auf das einzige Wunder, das in allen vier Evangelien berichtet wird, bezüglich seiner unterschiedlichen Stoßrichtung eingehen. Die Tatsache, dass es in jedem Evangelium, sogar im Evangelium nach Johannes, erwähnt wird, zeigt, dass es eine zentrale Bedeutung besitzt, auch wenn sie in jedem Evangelium ihren besonderen Charakter haben wird. Die vierfache Erwähnung dieses Wunders zeigt uns seine universelle Anwendung.

Wir finden die Berichte in Matthäus 14,13–21; Markus 6,30–44; Lukas 9,10–17; Johannes 6,1–13.

Das Johannesevangelium zeigt uns das Brot des Lebens, den Herrn Jesus, der als der Himmlische aus dem Himmel auf die Erde gekommen ist. Insofern sehen wir hier in wunderbarer Weise eine Beschreibung der Herrlichkeit der Person des Sohnes Gottes in seiner Menschwerdung. Er wusste, was Er tun wollte (Joh 6,6). Hier geht es nicht um die Zahl der Gesättigten – der Sohn Gottes kann jede „große Volksmenge“ sättigen. Aber bei der Menge vergisst Er nicht den Einzelnen – auch nicht den Knaben, den Er als Diener benutzt. Das ist charakteristisch für das Johannesevangelium. Der Sohn Gottes begegnet jedem Bedürfnis, so groß es sein mag, so groß die Menge auch ist, die zu Ihm kommt. Aber zugleich begegnet Er immer wieder jedem Einzelnen, um diesem zu helfen, auch, um dessen Dienst anzunehmen.

Im Matthäusevangelium lernen wir etwas anderes. Der König ist verworfen. Aber Er hat eine Mission zu erfüllen. Noch war die Zeit des Werkes am Kreuz nicht da. Zudem ging „es nicht an, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umkommt“ (Lk 13,33). Der Herr Jesus entfernt sich und zieht sich zurück. Aber der Gesalbte Gottes kann nicht allein bleiben – denn die Volksmengen wissen, dass Er der von Gott bestimmte König ist. So kommen sie zu ihrem eigentlichen König, um geheilt, belehrt und genährt zu werden. Der Messias ist in der Lage, alle ihre Bedürfnisse zu stillen. Doch dies ist nicht alles, was dort geschieht. Der Herr Jesus deutet in diesem Zusammenhang eine Veränderung in dem Regierungshandeln mit dieser Erde an. Denn der Herr Jesus bleibt nicht bei dem Volk, sondern zieht sich von diesem zurück auf den Berg (Mt 14,23), um dort allein zu sein – ein Bild des Beiseitestellens des Volkes Israel.

Zugleich finden wir in diesem Wunder jedoch auch eine Vorausschau auf das 1000-jährige Friedensreich. Da wird es der Herr Jesus als der König Israels sein, von dem gesagt wird: „Seine Speise will ich reichlich segnen, seine Armen mit Brot sättigen“ (Ps 132,15).

Im Markusevangelium finden wir dieses Wunder in dasselbe Umfeld gestellt wie bei Matthäus. Doch wird deutlich, dass hier ein Mann wirkt, der ständig unterwegs ist. Sein Dienst wird genauso verworfen wie der von Johannes dem Täufer. Aber Jesus wirkt weiter. Er lässt die Jünger ausruhen (6,31) – aber zugleich ist Er so beschäftigt mit anderen, dass es heißt: „Sie fanden nicht einmal Zeit, um zu essen.“ Den ganzen Tag unterwegs und andere lehrend, ist auch abends sein Dienst noch nicht beendet. Denn ein Diener des Herrn belehrt die Menschen nicht, um sie dann mit ihren übrigen Bedürfnissen alleine zu lassen. Zugleich belehrt Er damit seine Jünger, wie man ein Gott wohlgefälliger Diener werden kann – alles entsprechend dem Charakter, den dieses Evangelium trägt.

Das Lukasevangelium ist im Bericht dieses Wunders am kürzesten. Lukas zeigt uns, wie der Herr Jesus als vollkommener Mensch in vollständig ausreichender, ja übermäßiger Weise die Bedürfnisse von uns Menschen kennt und ihnen zu begegnen weiß. Ihm ist nichts verborgen – und Er hat das Mitempfinden in Bezug auf das, was wir nötig haben. Er kennt die Bedürfnisse der Menschen aus eigener Erfahrung und begegnet ihnen im Aufblick zu und in der Abhängigkeit von Gott. Er lässt uns nicht im Stich, wo immer wir uns befinden und in was für einem Zustand wir auch sind.

4. Das Matthäusevangelium – Christus, der Gesalbte Gottes

Allgemeine Bemerkungen (auch zur Entstehungszeit)

Damit sind wir also beim Matthäusevangelium selbst angekommen. Die Reihenfolge der biblischen Bücher, wie wir sie in der Bibel vorfinden, ist nicht inspiriert, das heißt von Gott in übernatürlicher Weise eingegeben. Dennoch können wir den Platz bestimmter Bücher gut verstehen. So ist es auch einleuchtend, dass das Matthäusevangelium als erstes Buch des Neuen Testaments eingeordnet wurde. Denn Matthäus schließt mehr als die anderen Evangelisten an das Alte Testament an. Er stellt den Herrn Jesus als den lang ersehnten König vor – den Messias, auf den zumindest der gläubige Teil des Volkes Israel wartete.6

Geschichtliche Einordnung des Matthäusevangeliums

Wenn wir uns mit dem Matthäusevangelium beschäftigen, fragen wir uns: In welche Zeit hat Gott dieses Evangelium schreiben lassen? Und: In was für eine Zeit hinein wurde Jesus Christus geboren? An dieser Stelle möchte ich daher kurz eine geschichtliche Einordnung nennen.

Der letzte Schreiber des Alten Testaments war Maleachi. Vielleicht handelt es sich sogar um einen „namenlosen“ Boten Gottes. Denn die Bedeutung von Maleachi ist ja „mein Bote“ – so wird es auch in Maleachi 3,1 übersetzt. Das wäre dann ein Hinweis darauf, dass Gott – stellvertretend für sich und letztlich alle Propheten – einen letzten Boten zu seinem Volk gesandt hat; auf den Namen kam es dabei nicht an. Aber auch der letzte Bote blieb ungehört. Darauf folgt das Schweigen Gottes. Es gibt von Henry A. Ironside ein schönes Buch im Englischen: „Die 400 stummen Jahre“. Ganz zutreffend ist das natürlich nicht. Denn zu gewissen Zeiten stieg beispielsweise ein Engel in den Teich (Bethesda) hinab und bewegte das Wasser (zur Heilung von Kranken), was auch ein Wirken und Reden der Gnade Gottes war (Joh 5,4). Es wird auch andere Beispiele geben. Wir müssen daher sagen: Die Bibel schweigt während dieser Zeit. Aber auch in dieser Zeit hatte Gott seine Diener, bis dann Johannes der Täufer als wirklich letzter Bote des Alten Bundes auftritt, um den König Israels und Gesalbten Gottes anzukündigen.

Von den Persern zu den Griechen

Im Land Kanaan, Israel bzw. Palästina ging es in diesen Jahren drunter und drüber. Das Land befand sich ja in der Zeit der drei Nachexil-Propheten Sacharja, Haggai und Maleachi unter persischer Herrschaft. Diese wurde 336 vor Christus durch die griechische Weltmacht Alexander des Großen abgelöst. Daniel hatte das angekündigt. Im Zuge der Nachfolge von Alexander dem Großen (356 bis 323 vor Christus) gab es grausame Kämpfe zwischen seinen Generälen, die das Reich unter sich aufteilten. Besonders Seleukos (und seine Nachfolger), der über das Zweistromland und Nordsyrien herrschte, sowie Ptolemäus (und seine Nachfolger), der über Ägypten herrschte, stritten sich immer wieder um das zwischen ihnen befindliche Palästina. Leidtragende waren die Israeliten.

Parallel entwickelten sich innerhalb Israels strengere und liberalere Strömungen, Kämpfe um das Hohenpriesteramt und sogar Bestrebungen um die Königskrone. Man wandte sich dabei immer wieder um Hilfe an die eine oder andere Seite. Als dann unter dem Seleukiden Antiochus IV. jemand das Amt des Hohenpriesters übertragen bekam, der nicht aus der Linie Aarons und Zadoks stammte (vgl. 2. Mo 29,9; 4. Mo 25,13; Hes 43,19) und Antiochus zudem in Erfüllung von Daniel 7,25 und 8,8–13 in den Tempeldienst und die heiligen Vorschriften eingriff, entstand eine Widerstandsbewegung, angeführt von dem Priester Mattatias (Mattathja). Sein Bestreben war es, gegen abtrünnige Juden vorzugehen und die Vorschriften Gottes in Bezug auf den Tempeldienst und das priesterliche Leben wiederherzustellen und einzuhalten.

Nach seinem Tod im Jahr 166 vor Christus ging die Führung dieser Gruppe auf seinen Sohn Judas über, der den Beinamen Makkabaios, der Hammergleiche, trug. Gott konnte ihn und die Juden, die sich um ihn scharten, dazu benutzen, für eine Zeit Ruhe in das Land zu bringen und den Tempeldienst wiederherzustellen. Andererseits fing Judas an, auch politische Ziele wie die Unabhängigkeit des Staates Israel zu verfolgen. Das ging über viele Jahre gut, führte aber letztlich zu seiner Ermordung. In dieser Zeit, die in den nicht zum biblischen Kanon gehörenden apokryphen („verborgenen“) Büchern behandelt wird, entstanden auch die Gruppierungen der Pharisäer und Sadduzäer, die wir in den Evangelien wiederfinden. Bis ungefähr 63 vor Christus konnten die Makkabäer bzw. das Geschlecht der Hasmonäer, das durch sie begründet wurde, die Macht erhalten. Sie endete unter Pompeius, einem brillanten Heerführer Roms. Ab diesem Jahr zählt man auch das Ende des Griechischen Reiches und den Beginn des Römischen Reiches.

Herodes, der Große

Wie sah es in Israel aus, als der Herr Jesus geboren wurde? Es gab verschiedene politische Verquickungen, welche die rivalisierenden Hohenpriester und Königsanwärter in Israel eingingen. So kam es schließlich dazu, dass sich mit Herodes dem Großen ein Nachkomme Edoms die Königskrone in Israel (37–4 v. Chr.) sicherte. Er verstand es, sich den Schutz und die Gunst des jeweiligen Herrschers in Rom zu sichern, auch wenn er zuvor auf Seiten von dessen Vorgänger und Rivalen gestanden hatte. Unter Herodes blühte Israel wirtschaftlich und politisch auf; auch militärische Kämpfe hielten sich in Grenzen.

Dieser Herodes ist es, von dessen Kindermord wir im Matthäusevangelium in Kapitel 2 lesen. Die Juden misstrauten ihm, weil er ein „Fremder“ war. Herodes war ein grausamer Mann, der selbst auch jedem misstraute. Daher ließ er viele seiner Kinder und Verwandten ermorden sowie seine zweite Ehefrau (von zehn). Er war ein böser König und voller Gewalttat. Zugleich war er ein falscher König, weil er als Edomiter kein Anrecht auf den Königsthron besaß. Deshalb musste er seine Position sichern. Als er davon hörte, dass ein König, der im Alten Testament angekündigt worden war und auf den die gläubigen Juden warteten, geboren worden war, versuchte er umgehend, diesen „Konkurrenten“ umzubringen. Zu diesem Zweck ließ er in Bethlehem und Umgebung alle Kinder bis zum Alter von zwei Jahren töten.

Herodes war es auch, der den zweiten Tempel Jerusalems (aus der Nach-Exil-Zeit) in prächtiger Weise aus- und umbaute, so dass sogar die Jünger bewundernd von diesem Tempel sprachen (Mk 13,1). In seiner Zeit hatte Palästina einen Umfang und einen Glanz, die dem von David und Salomo äußerlich glichen. Kurz nach der Ermordung der kleinen Kinder (Mt 2,16) starb Herodes an einer schmerzhaften Krankheit, die ihn schon lange gequält hatte.

Der Verfasser

Der Verfasser dieses Evangeliums wird wie in manchen anderen Büchern des Neuen Testaments nicht genannt. Aber von Anfang an bezeugt die Tradition der Christen, dass es der Apostel Matthäus ist. Matthäus bedeutet „Gabe des Herrn“. Er steht in allen Aufzählungen der Apostel an 7. oder 8. Stelle (Mt 10,2–4; Mk 3,16–19; Lk 6,13–16; Apg 1,13). Auch wenn er anscheinend innerhalb der Jüngergruppe keine hervorstechende Rolle gespielt hat, gebraucht der Herr Jesus ihn – vielleicht gerade wegen seiner vorherigen Beschäftigung – für diesen ganz besonderen Dienst. Es ist zweifellos eine Auszeichnung, über den Gesalbten Gottes schreiben zu dürfen.

Matthäus war ein Jude. Aber er gehörte nicht zu der religiösen, ausgebildeten Klasse der Schriftgelehrten, sondern vielmehr zu der Gruppe, welche die Juden am meisten hassten. Er war ein Steuereintreiber (Zöllner) für das römische Regime. Die römische Regierung hatte Beamte eingestellt, deren Aufgabe es war, die Steuern einzutreiben. Diese Beamten waren alle, zumindest fast alle, Nicht-Juden. Sie bestimmten die tatsächlichen Eintreiber, die in aller Regel Juden waren. Doch nur die skrupellosesten Juden machten sich um des Gewinns willen zu Handlangern dieser Feinde Israels. Wo immer es auch nur noch einen Funken von Hoffnung auf das Kommen des Messias gab, wäre jeder Jude vor der Zusammenarbeit mit einem Heiden zurückgeschreckt, der ja bei dem Kommen des Königs aus dem Land geschwemmt worden wäre. Aus diesem Grund wurden die jüdischen Zöllner noch mehr gehasst als die Heiden und Römer. Ein solcher war der Schreiber des ersten Evangeliums. Das ist sicher bezeichnend, denn er muss das Evangelium schreiben, in dem eine neue Ordnung der Dinge eingeführt wird, nämlich die Berufung der verachteten Heiden.

Derjenige also, der früher die Fremdherrschaft und einen fremden Herrn unterstützte, sollte dann das Evangelium über den wahren Herrscher Israels, den Herrn Jesus, schreiben. Das ist die Vorsehung Gottes, weil ein solches Instrument in besonderer Weise empfindsam dafür ist, wenn ein Herrscher abgelehnt wird. Aber der Herrscher, über den Matthäus jetzt schreiben durfte, war im Gegensatz zu dem römischen vollkommen, und das in jeder Hinsicht!

Levi, Matthäus

Über seine Berufung wird in den drei synoptischen Evangelien (wg. ihrer Ähnlichkeit so genannt) berichtet: Mt 9,9; Mk 2,14; Lk 5,27. Während er bei dieser Gelegenheit jedoch von Lukas „Levi, der Zöllner“ (Levi bedeutet Anschließung, Anhänglichkeit) und von Markus „Levi, der Sohn des Alphäus“ genannt wird, heißt er in unserem Evangelium nur Matthäus. Matthäus nennt sich jedoch nur in der Aufzählung in Mt 10,3 Matthäus, der Zöllner. Wie Petrus, der immer wieder seinen alten Namen Simon nennt, hat er seine Herkunft nicht vergessen! Zugleich lernen wir von diesem Mann, was Nachfolge für einen Jünger bedeutet: hören und sofort Gehorsam leisten. Das hat Matthäus getan, weil er so von der Begegnung mit seinem zukünftigen Meister beeindruckt war.

Was die Abfassungszeit betrifft, gibt es keine genauen Angaben. Irenäus (140–202) nennt 61–66 nach Christus. Diese Zeitangabe ist bis heute nachvollziehbar. Damit wäre dieses Evangelium vor der Zerstörung Jerusalems abgefasst worden. Manche meinten, dass die Zerstörung bei Abfassung dieses Evangeliums bereits geschehen sei. Dann aber hätte man an Stellen wie Matthäus 24,2, nach denen die Jünger dem Herrn die großartigen Steine des Tempels gezeigt haben und der Herr Jesus die Zerstörung prophezeit, einen Hinweis darauf erwartet.

Es gab im Übrigen Überlegungen, dass das Matthäusevangelium zuerst in Aramäisch geschrieben worden sei, um dann ins Griechische übersetzt zu werden. Möglicherweise hat Matthäus tatsächlich zuerst in Aramäisch geschrieben. Doch das Original des Matthäusevangeliums liegt jedenfalls in Griechisch vor.

Von Maleachi zum Neuen Testament

Das Evangelium bildet den Übergang, das Bindeglied vom Alten Testament zum Neuen Testament – daher steht es zu Recht in unseren Ausgaben am Anfang des Neuen Testaments. Es gibt ungefähr 60 Anführungen aus dem Alten Testament. Dabei handelt es sich zum Teil jedoch nur um wenige Worte (Mt 5,21.27.38). Insgesamt 30 Zitate aus dem Alten Testament werden jedoch deutlich als solche kenntlich gemacht (z.B. Mt 2,5.6; 3,3; 4,4.7.10).

14 Mal werden Ereignisse im Leben des Herrn Jesus ausdrücklich als Erfüllungen von Weissagungen des Alten Testaments beschrieben: Mt 1,22.23; 2,5–6.15.17–18.23; 4,14–16; 8,17; 11,10; 12,17–21; 13,35; 21,4.5.42; 26,31; 27,9.10. Damit wird sehr deutlich, dass der Herr Jesus wirklich der von Gott gesandte Messias war, der zu seinem Volk kam, wie Er im Alten Testament vorhergesagt wurde. Davon spricht Jesus selbst in Johannes 10: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht durch die Tür in den Hof der Schafe eingeht, sondern woanders hinübersteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür eingeht, ist Hirte der Schafe“ (Joh 10,2). Die angeführten alttestamentlichen Vorhersagen stellen diese Tür symbolisch dar. Christus ist nicht nur die Erfüllung vieler Bilder, Opfer und Andeutungen im Alten Testament. Viele prophetische Aussagen sind ausschließlich gemacht worden, um auf Christus hinzuweisen. Das darf uns alle anspornen, in diesem Sinn das Alte Testament noch einmal gründlich zu lesen!

Das Thema des Matthäusevangeliums

Das Matthäusevangelium ist das Buch der Anfänge einer neuen Haushaltung (Dispensation). So, wie in dem ersten Buch der Bibel sozusagen die ganze Bibel in ihren Wurzeln enthalten ist, ist es ähnlich mit dem Matthäusevangelium. Hier geht es

  • um den Gedanken des Reiches – dieser wird kurz erwähnt;
  • um die Versammlung – sie wird erstmalig eingeführt;
  • um die Zukunft Israels – diese wird ausführlich beleuchtet;
  • um allgemeine prophetische Ereignisse – diese werden kurz genannt.
  • um das Kommen des Heiligen Geistes – zumindest wird davon implizit gesprochen.

Einige dieser Themen sind Punkte der christlichen Lehre, die in den Briefen dann ausführlich entwickelt und erklärt werden. Ihre wichtigsten Grundsätze werden hier bei Matthäus bereits benannt. Zu diesen Themen gehören besonders die oben schon genannten: die Versammlung, das Königreich Gottes/der Himmel und das Kommen des Heiligen Geistes.

Man könnte das Matthäusevangelium mit einem Baum vergleichen. Die Wurzeln sind untrennbar mit dem Felsen verbunden, während seine unzählbaren Zweige sich höher und höher entwickeln. Das Fundament ist das Alte Testament mit seinen messianischen und auf das Königreich bezogenen Verheißungen. Aus diesem allen entwickelt sich in vollkommener Harmonie alles Weitere, indem es in die neue Haushaltung führt bis zum Beginn des 1000-jährigen Reiches.

Die Haushaltungen (Zeitepochen, Dispensationen)

Eine Reihe von Abschnitten in diesem Evangelium kann man nur dann verstehen, wenn man die jüdischen Gebräuche kennt und mit den Belehrungen des Alten Testaments vertraut ist. Man kann das Matthäusevangelium daher auch als das „jüdische Evangelium“ bezeichnen. Dies zu bedenken hilft zu einem besseren Verständnis und bewahrt vor Fehlschlüssen.

Dieses „jüdische Evangelium“ wurde allerdings für eine christliche Zeit geschrieben- es geht also um einen gravierenden Wechsel in den Wegen Gottes mit dieser Erde. Daher kann man auch sagen, dass dieses Buch „dispensational“ ist. Dispensationalismus bedeutet, dass die verschiedenen Zeitalter in der biblischen Heilsgeschichte unterschieden und bei der Auslegung berücksichtigt werden. Jemand, der diese Unterscheidung beispielsweise bezüglich der Juden, der Heiden und der Kirche Gottes nicht festhält, wird das Matthäusevangelium nicht gut verstehen können.

Dieser Hintergrund ist wichtig, um zum Beispiel die Bergpredigt richtig begreifen und einordnen zu können. Es geht nicht um einfache ethische Lektionen, die Menschen mitgeteilt werden, unabhängig davon, ob ihre Sünden gesühnt worden sind oder nicht. Jesus predigte kein „soziales Christentum“. Die Bergpredigt ohne das Sühnungswerk des Messias ist einfach undenkbar, nein, die Bergpredigt setzt Sühnung voraus; durch das Befolgen der Bergpredigt wird einem Menschen also nicht die Sühnung zugerechnet. Auch bei den Gleichnissen in Matthäus 13 kommt man zu falschen Schlüssen, wenn man die Lehre der Zeitperioden im Handeln Gottes nicht berücksichtigt.

Alle beschriebenen Wunder, alle gesprochenen Worte, die Ereignisse, die in ihrer speziellen Form wiedergegeben werden, jedes Gleichnis – alles folgt in diesem Evangelium als Vorschattung oder Lehre der haushaltsmäßigen Wahrheit des Wortes Gottes. Das scheint mir wirklich der richtige Schlüssel für das Matthäusevangelium zu sein.

Göttliche Redaktion

Es ist auch nicht von ungefähr, dass die Evangelien nicht einfach einen chronologischen Bericht des Lebens des Herrn Jesus darstellen. Jemand hat mal gesagt: „Der Heilige Geist ist kein Reporter, sondern ein Redakteur, ein Herausgeber.“ Die Aufgabe eines Reporters ist es, die Dinge so wiederzugeben, wie sie geschehen sind. Ein Redakteur dagegen stellt das Material in einer Weise zusammen, die seinen Überlegungen entspricht. Der Schreiber legt demzufolge den Schwerpunkt oft nicht auf die zeitliche Reihenfolge, sondern gruppiert inhaltlich zusammengehörige Themenblöcke.

Matthäus zeigt immer wieder den Zustand des Volkes Israel, der so schlimm ist, dass es mit seinen stolzen religiösen Führern den Herrn, ja seinen eigenen König, verwirft. Das drohende Gericht als Folge ist ein wahres Foto des Endes auch der gegenwärtigen Zeitepoche, und darin sehen wir das kommende Schicksal der Christenheit. Die Charakteristika der Zeiten, als der Herr zu seinem Volk kam, das so religiös, selbstgerecht, in Sekten unterteilt (Ritualisten – Pharisäer, Rationalisten – Sadduzäer, höhere Kritik), menschlichen Lehren folgte und sich mit menschengemachten Glaubensbekenntnissen und Lehren beschäftigte – was letztlich in den Abfall mündete -wiederholt sich in der Christenheit mit seinen menschengemachten Verordnungen, Ritualen und rationalistischen Belehrungen.

Die Einteilung des Matthäusevangeliums – ein kurzer Überblick

Das Matthäusevangelium umfasst 28 Kapitel. In den ersten 12 finden wir, dass der Herr Jesus als verheißener König zu seinem Volk kommt, um es zu Gott zurückzuführen. Aber das Volk Israel will Ihn nicht annehmen, weder die Führungsschicht des Volkes in ihren verschiedenen religiösen und politischen Gruppierungen (die Hohenpriester, Schriftgelehrten, Pharisäer und Sadduzäer) noch das „einfache“ Volk.

Daher zieht sich der Herr Jesus (ab Kapitel 13) von dem jüdischen Volk zurück, um jetzt auch den anderen Nationen Errettung und Gnade anzubieten. In seiner Gnade ist Er aber immer noch ansprechbar für Israel – weiter tut Er Wunder für sein irdisches Volk. Aber die Öffnung für die Heiden ist unverkennbar! Christus wird ab diesem Zeitpunkt als der von seinem Volk Verworfene gezeigt. Charakteristisch heißt es zu Beginn dieses Kapitels: „An jenem Tag ging Jesus aus dem Haus hinaus und setzte sich an den See.“ Hier konnten sich Juden und Nicht-Juden (Heiden, Nationen) zu Ihm versammeln, um seine Botschaft der Gnade zu hören. Vorher, in dem „jüdischen Haus“, hatten sie keinen Zutritt!

In den Schlusskapiteln des Evangeliums wird – wie auch in den anderen Evangelien – die Kreuzigung und Auferstehung Jesu geschildert (ab Kapitel 26). Sehr auffällig ist, dass wir – wie schon erwähnt – die Himmelfahrt des Herrn Jesus in diesem Buch nicht finden. Er sagt zu seinen Jüngern: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (28,20). Das scheint ein Hinweis darauf zu sein, dass das Werk Jesu für diejenigen aus dem Volk Israel, die in der Zukunft an Ihn glauben werden, Auswirkungen hat, die durch die Gegenwart des Herrn bewirkt werden. Er wird auch in künftigen Tagen bei seinem Volk sein.

Die großen Reden des Herrn Jesus im Matthäusevangelium

Ein wichtiger Teil des Matthäusevangeliums sind die Reden des göttlichen Lehrers. Auch sie sind letztendlich die Erfüllung einer alttestamentlichen Prophezeiung: „Durch seine Erkenntnis wird mein gerechter Knecht die Vielen zur Gerechtigkeit weisen“ (Jesaja 53,11). Fünf große Reden finden wir in diesem Buch. Matthäus hat von Gott den Auftrag bekommen, viele der Worte unseres Herrn, die Er vermutlich nicht alle jeweils bei derselben Gelegenheit geäußert hat, in fünf großen „Reden“ zusammenzuführen. Damit gibt uns Gott jeweils eine bestimmte Lehrbotschaft weiter.

1. Die Bergpredigt (5,1–7,28)

In dieser wohl bekanntesten Rede verkündigt der Herr Jesus die Grundsätze des Königreichs der Himmel. Diese drei Kapitel sind häufig das „Grundgesetz des Königreichs“ genannt worden. Es fällt auf, dass der Herr Jesus in dieser sogenannten „Bergpredigt“ mit keinem Wort auf seine persönlichen Leiden und seinen Tod eingeht. Vielmehr legt Er den wesentlichen Charakter seiner künftigen Regierung dar: Gerechtigkeit. Dieser soll schon vor Aufrichtung des Königreiches in Macht in dem Bereich verwirklicht werden, der sich nach Ihm benennt.

In vollkommener Weise wird das erst im 1.000-jährigen Reich Wirklichkeit werden. Zum ersten Mal wird man mit Recht sagen können, dass eine Regierung durch und durch gerecht ist. Im Gegensatz zum Alten Testament, wo es immer wieder um die äußerliche Darstellung des Reiches geht, zeigt der Herr Jesus hier die innere Seite. Es geht um die Grundsätze seiner Regierung und damit auch um die Gesinnung derjenigen, die in diesem Königreich leben. Sie sollen die Gesinnung ihres Meisters tragen, und das angesichts von Hass und Verfolgung – eins der Themen, die zum Inhalt der Bergpredigt gehören.

2. Die Aussendungspredigt (10,1–11,1)

In seiner zweiten „großen“ Rede wendet sich der Herr Jesus ausschließlich an seine 12 Jünger. Der König sendet sozusagen seine Untertanen aus, damit sie in seinem Reich von Ihm zeugen, denn sein Reich soll aufgerichtet werden. Dieser Dienst sollte zunächst während der Zeit seiner damaligen Gegenwart auf der Erde ausgeführt (Verse 1–15), dann aber fortgeführt werden, bis das 1.000-jährige Reich wirklich errichtet würde (Verse 16–23).7 In diesem Sinn sind die zwölf Apostel hier wie Johannes der Täufer und Elia Vorläufer des Herrn und Königs, Jesus Christus.

Einige Anordnungen dieser Rede tragen einen deutlich jüdischen Charakter, so dass wir die Einzelheiten nicht ohne weiteres auf unser „Dienstleben“ übertragen können.8 Dennoch können wir Christen dieses Kapitel ebenso wenig wie die Kapitel 5–7 außer Acht lassen. Wer seinen Herrn und Retter liebt, wird sich auch für das interessieren, was Er für andere Zeitepochen vorgesehen hat. Zudem gilt auch hier, dass uns bestimmte moralische9 Prinzipien vorgestellt werden. Diese sollen wir in unserem eigenen Leben verwirklichen.

3. Die Predigt des „Reiches der Himmel“ (13,1–53)

In Matthäus 13 lesen wir von sieben bzw. acht Gleichnissen, die der Herr den Volksmengen und zum Teil allein seinen Jüngern erzählt. In dem „Gleichnis vom Sämann“ zeigt der Herr Jesus einleitend etwas von der Vollkommenheit des Wortes Gottes. Viele hören es, aber die Empfänger reagieren ganz verschieden darauf. Viele lehnen das Wort letztlich ab – einige glauben dem Wort und bringen Frucht für Gott (V. 1–23).

Danach folgen drei Gleichnisse, welche die äußere Entwicklung aufzeigen, die dieses Reich der Himmel nach dem Weggehen des Herrn des Reiches (Jesu) nehmen würde. Die nächsten drei Gleichnisse schildert der Herr Jesus nur noch seinen Jüngern. Sie sprechen von Dingen, die nur Gläubige richtig verstehen können. Hier geht es nicht mehr um den äußeren, sondern um den inneren Charakter dieses Reiches. Christus zeigt uns den Wert, den Er dem wahren Kern des Königreichs der Himmel beimisst. Er rundet diese Rede mit einem achten Gleichnis ab, das die Wichtigkeit der Belehrungen dieses Kapitels unterstreicht.

4. Die Predigt über „persönliches und gemeinsames Verhalten“ (18,1–19,1)

In dieser Rede geht der Herr Jesus auf eine Reihe von Grundsätzen für das persönliche und gemeinsame Verhalten von Gläubigen ein. Dabei spricht Er über die Gesinnung der Jünger (Demut). Zugleich ermahnt Er sie, nicht zum Anstoß zu werden, und zeigt, was für einen Wert Gott einer einzigen Seele und ihrer Rettung beimisst.

Eine weitere Belehrung betrifft unsere Haltung anderen gegenüber, z. B. Vergebungsbereitschaft. Schließlich behandelt der Herr Jesus das Thema der Segnungen für die Versammlung. Er klärt die Jünger auf, wie sie Gott gemäß miteinander umgehen können. In diesem Zusammenhang belehrt Er sie, was zu tun ist, wenn ein Gläubiger gegen einen anderen sündigt.

5. Die Predigt über die Endzeit, die „Vollendung der Zeitalter“ (24,1–25,46)

In dieser letzten großen Predigt erklärt der Herr Jesus seinen Jüngern die Entwicklungen, die es auf dieser Erde nach seiner Himmelfahrt geben würde. Dabei wird deutlich, dass die Jünger Jesu genau wie ihr Meister Verwerfung und Verfolgungen erdulden werden. Der Herr Jesus zeigt zunächst die Zukunft Israels und besonders des gläubigen Überrestes künftiger Tage auf (24,1–44). Dann beschäftigt Er sich in drei Gleichnissen mit der Zeit der Christenheit (24,45–25,30). Schließlich erklärt der Herr seinen Jüngern die Zukunft der Nationen. Er spricht von ihrem Gericht, wenn Er als der Sohn des Menschen wieder auf diese Erde zurückkommen wird, um sein Reich aufzurichten und in Gerechtigkeit zu herrschen (25,31–46).

Große Themen des Matthäusevangeliums

Unser Evangelium kann man in sieben große Abschnitte einteilen, die stark mit den angesprochenen verschiedenen Zeitepochen zu tun haben, die den wichtigen Hintergrund dieses Buches darstellen und um die herum alles Weitere gruppiert wird.

Der Messias

Das erste große Thema des Matthäusevangeliums ist, wie wir gesehen haben, der verheißene König, der Messias. Das Alte Testament ist voll von Vorhersagen, die vom Kommen nicht nur eines Erlösers oder eines Sündenträgers, sondern auch von dem Kommen eines Königs reden: des „König Messias“, wie Er noch immer von den orthodoxen Juden genannt wird. Dieser König wurde eifrig erwartet, auf Ihn wurde gehofft, ja für Ihn beteten die gottesfürchtigen Juden in Israel sogar. Das Matthäusevangelium beweist, dass unser Herr Jesus Christus wahrhaftig dieser verheißene König Messias ist. Wir sehen Ihn hier als König der Juden; alles zeigt, dass Er in Wahrheit die königliche Person ist, von der die Seher und Propheten und auch die inspirierten Psalmisten gesprochen und gesungen haben. Wir wollen kurz untersuchen, wo und wie Matthäus auf dieses große Thema in seinem Evangelium eingeht.

Das wird schon im ersten Kapitel durch das Geschlechtsregister klar, das deutlich zeigt, dass Er königlicher Abstammung ist. Es geht hier in drei Mal 14 Geschlechterfolgen über David zurück bis auf Abraham, den Urvater des Volkes. Für einen König ist es wichtig, die Abstammung von David nachweisen zu können. Abraham als Vorvater zu haben ist aber daneben von Bedeutung, wenn es um das Land als Königreich geht, denn gerade das wurde Abraham verheißen. Dagegen geht Lukas bis auf Adam zurück, was wichtig ist, wenn man die Abstammung des Sohnes des Menschen nachzeichnen möchte.

Der Sohn Davids war der große König Salomo. Mit diesen beiden Königen wird der Herr Jesus hier in Verbindung gebracht – als der eigentliche Sohn Davids. Später würde der Herr Jesus noch deutlich machen, dass Er nicht nur Sohn, sondern sogar Herr Davids ist (Kapitel 22,41–46). Und in Offenbarung 22,16 lesen wir, dass Er sich „die Wurzel und das Geschlecht Davids“ nennt. Zehnmal wird Er in diesem Evangelium als Sohn Davids vorgestellt (Mt 1,1; 9,27; 12,23; 15,22; 20,30.31; 21,9.15; 22,42.45). Er ist der rechtmäßige Erbe Davids.

Der Sohn Abrahams

Aber der Herr Jesus ist laut dem Geschlechtsregister auch der „Sohn Abrahams“. Damit kommen wir zu der zweiten Herrlichkeit des Herrn, die wir im Matthäusevangelium finden. Sehr schnell, fast von Beginn des Evangeliums an, lesen wir, dass das eigene Volk seinen Messias ablehnen würde. Gott sorgte aber dafür, dass Er einen noch herrlicheren Platz bekam als den des Königs in Israel: Er sollte nicht nur über Israel regieren, sondern zum Segen für alle Nationen werden. Das wird im Propheten Jesaja vorhergesagt. Dort wird uns in prophetischer Weise ein Gespräch zwischen dem Herrn Jesus und seinem Gott mitgeteilt: „Ich aber sprach: Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt ... Und nun spricht der HERR ...: Es ist zu gering, dass du mein Knecht seist, um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Bewahrten von Israel zurückzubringen. Ich habe dich auch zum Licht der Nationen gesetzt, um meine Rettung zu sein bis an das Ende der Erde“ (Jes 49,4–6).

Das erinnert uns an die Herrlichkeit des Sohnes des Menschen, der nach seiner Erniedrigung als Herrscher über die gesamte Schöpfung gestellt wird (vgl. Ps 8,7–9). Zugleich aber erinnert uns diese umfassende Herrlichkeit an Abraham. In diesem Sinn ist auch der Anfang des Matthäusevangeliums zu verstehen, wo Jesus Christus „Sohn Abrahams“ genannt wird (Kap. 1,1). Abraham war der Träger der Verheißung, in dem alle Geschlechter der Erde gesegnet werden sollten (1. Mo 12,3). Noch deutlicher wird es im Blick auf den Sohn Abrahams gesagt: „Und in deinem Nachkommen werden sich segnen alle Nationen der Erde“ (1. Mo 22,18). „Er sagt nicht ‚und den Nachkommen‘, als von vielen, sondern als von einem: ‚und deinem Nachkommen‘, welcher Christus ist“ (Gal 3,16). In Ihm findet die Zusage Gottes an Abraham ihre Erfüllung. Denn allein in Ihm und durch sein Erlösungswerk am Kreuz kann es Segen für alle Nationen geben.

Von Beginn des Matthäusevangeliums an finden wir Hinweise auf diesen Segen für alle Nationen. Mindestens drei der im Geschlechtsregister des Herrn genannten Frauen (Tamar, Rahab, Ruth, vielleicht auch Bathseba) kamen aus dem Heidentum. Als König Herodes und die Führer der Juden den geborenen König ablehnten und zu Tode bringen wollten, kamen Magier aus dem Orient. Diese erwiesen dem Herrn Jesus in gebührender Weise Ehre.

Von ihnen spricht Johannes der Täufer: „Ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag“ (Mt 3,9). Denn diejenigen, zu denen der Herr eigentlich gekommen war, lagen in tiefem, geistlichem Schlaf. Sie waren nicht bereit, sich vor Ihm niederzuwerfen. Aber Gott hatte „geistliche“ Kinder Abrahams erweckt – aus solchen, die von Juden als tote „Steine“ angesehen wurden: den Heiden.

Zu allen Gelegenheiten sorgte Gott dafür, dass seinem Sohn die Ehre gegeben wurde, die Ihm gebührt. Wenn das Volk schwieg – die Steine würden schreien (Lk 19,40).

Genau das geschah hier. Die Führer des Volkes Israel versagten dem Messias ihre Huldigung und ächteten Ihn. Aber dann bewirkte Gott, dass Menschen aus götzendienerischen und heidnischen Gegenden kamen. Diese Magier beugten sich vor dem „König der Juden“ – so der Titel des Herrn am Kreuz – nieder. So gehörten sie zu den toten Steinen, die den Segen Abrahams offenbaren. Diese Magier brachten Christus ihre Huldigung dar.

Das Königreich der Himmel

Im Matthäusevangelium wird uns – wie wir bereits gesehen haben – mehr als in den anderen Evangelien eine Belehrung über die verschiedenen Heilsepochen gegeben. Gott handelt in den einzelnen Zeitabschnitten sehr unterschiedlich. Er selbst ändert sich nicht, sein Wesen ist und bleibt unwandelbar, aber seine Regierungsart ändert sich. Im Alten Testament lesen wir beispielsweise, dass Er durch Noah eine menschliche Regierung errichtete. Gott gab dem Menschen das Schwert, um auf der Erde eine ethische Ordnung zu gewährleisten (vgl. 1. Mo 9,3–7). Später regierte Er mittels seines irdischen Volkes und der Könige, die Er in Israel bzw. Juda einsetzte. Dadurch sollte Segen zu allen Völkern ausgehen (vgl. 1. Mo 12,3; 1. Kön 8,59.60).

Dieses Königreich erlebte seinen größten Glanz unter Salomo, dem Sohn Davids. Das war schon ein Vorgeschmack auf die Regierung, die Gott für diese Erde vorgesehen hat. Durch sein irdisches Volk Israel wollte Er selbst regieren, auf dieser Erde ein Reich (wörtlich steht hier immer: Königreich) haben. Dieses Reich war jetzt nahe gekommen, was sowohl Johannes der Täufer (Mt 3,2) als auch der Herr selbst (Mt 4,17) ankündigten. Gott war in Christus auf diese Erde gekommen, um dieses Reich aufzurichten. Es wird im Neuen Testament im Allgemeinen „Königreich Gottes“ genannt. Matthäus nennt es 32-mal „Königreich der Himmel“.

Dieser letztere Ausdruck kommt nur im Matthäusevangelium vor. Aber was bedeutet er? Es geht nicht um die Versammlung (Gemeinde, Kirche). Sie ist nicht das Königreich der Himmel, auch wenn es Zusammenhänge zwischen beiden gibt, wie in den Kapiteln 13, 16 und 18 verdeutlicht wird. Man hört und liest schon einmal, die Versammlung sei auf der Erde, um die Nationen und die Welt zu erobern – aber das ist unbiblisch.

Versammlung und Königreich: zwei verschiedene Dinge

Es ist wichtig zu verstehen, dass das Königreich der Himmel oder Gottes nicht gleichbedeutend ist mit der Versammlung Gottes. Es geht um zwei deutlich zu unterscheidende Dinge. Die Versammlung ist die Gesamtheit aller Gläubigen in der Zeit zwischen ihrer Geburtsstunde, als der Heilige Geist als Person auf diese Erde kam (Apg 2), und der Entrückung (1. Thes 4,13 ff.). Sie besteht also aus allen, die das Werk des Herrn Jesus am Kreuz von Golgatha für sich persönlich in Anspruch genommen haben. Das Königreich der Himmel bzw. Gottes dagegen umfasst alle, die sich zu Christus bekennen, seien sie bekehrt oder nicht. Mit einem Wort: Zum Reich können auch Ungläubige gehören, nicht jedoch zur Versammlung Gottes (vgl. 1. Kor 1,2).

Das Königreich der Himmel ist somit nicht die Versammlung und die Versammlung ist nicht das Königreich. Die Regierungsprinzipien des Königreichs der Himmel, wie es Israel erwartete und die gläubigen Juden immer noch erwarten, kommen direkt von Gott, denn Gott selbst wird es in der Person des Herrn Jesus regieren: in Frieden und Gerechtigkeit. Das Reich selbst aber ist irdischer Natur. Die Versammlung dagegen hat einen ganz anderen Status. Ihre Hoffnung, ihr Platz, ihre Berufung, ihre Zukunft, ihr (künftiges) Mitherrschen und -regieren ist nicht irdisch, sondern himmlisch bzw. geschieht vom Himmel aus. Das verdeutlichen besonders der Epheser- und der Kolosserbrief.

Wenn unser Herr (bis einschließlich Kapitel 1210) vom Königreich der Himmel redet, knüpft Er an das Königreich im Sinn des Alten Testaments an, wie es Israel versprochen worden war (vgl. 2. Mo 19,6; 4. Mo 24,7). Dass Gott ein Reich besitzen würde, in dem Er regieren und herrschen würde, war schon im Alten Testament bekannt. „Sie werden sprechen von der Herrlichkeit deines Reiches und werden reden von deiner Macht“ (Ps 145,11). Doch der König würde dazu auf die Erde kommen, um dieses Reich hier zu regieren. Es war verheißen, dass es im Land Kanaan mit Jerusalem als Zentrum liegen und von dort über die ganze Erde verbreitet werden sollte. Es sollte alle Nationen umfassen. Das hatte David bereits gesagt: „Dein, Herr, ist die Größe und die Stärke und der Ruhm und der Glanz und die Pracht; denn alles im Himmel und auf der Erde ist dein. Dein, Herr, ist das Königreich, und du bist über alles erhaben als Haupt“ (1. Chr 29,11).

Was erwarteten nun die gottesfürchtigen, gläubigen Juden nach den alttestamentlichen Schriften? Sie warteten – und warten noch immer! – auf das Kommen des Messias. Er ist Derjenige, der diesen Thron seines Vaters David besetzen wird. Er wird Gericht über die Feinde Jerusalems bringen und die Ausgestoßenen aus Israel wieder versammeln. Das Land Jahwes wird wie nie zuvor blühen und universeller Friede wird herrschen. Gerechtigkeit und Friede in der Kenntnis der Herrlichkeit des Herrn werden die Erde bedecken wie die Wasser die Tiefe. Alle Nationen werden nach Jerusalem kommen, um Jahwe, den Gott Israels, anzubeten. Auch die Jünger erwarteten dieses machtvolle Königreich – denken wir nur an die beiden auf dem Weg nach Emmaus (Lk 24). Das gilt ebenso für die Zwölf, die immer wieder nach dem sichtbaren Aufrichten des Königreichs Ausschau hielten.

Nun war der König, der lange erwartet worden war, gekommen. Er predigte, das Reich der Himmel sei nahe gekommen (Kap. 4,17) – dieses verheißene irdische Königreich für Israel. Als Johannes der Täufer sagte: „Tut Buße, denn das Königreich der Himmel ist nahe gekommen“ (Kap. 3,2), meinte er genau dasselbe.

Daniel und die regierenden Himmel

Wenn Johannes der Täufer vom Königreich der Himmel spricht, sagt er nichts, was den Juden vollkommen unbekannt ist. Deshalb hören wir auch nichts davon, dass die Jünger oder Johannes der Täufer irgendeine Frage im Blick auf das „Königreich der Himmel“ gehabt hätten. Wie so oft bezieht sich der Evangelist in dem, was er in seinem Evangelium wiedergibt, auf Ausdrücke und Hinweise des Alten Testaments. Schon Daniel sprach davon, dass der Himmel regiert. Der König Nebukadnezar musste lernen: „Dein Königtum wird dir wieder zuteil werden, sobald du erkannt haben wirst, dass die Himmel herrschen“ (Dan 4,23). Bereits in Daniel 4,14 heißt es: „Die Lebenden [sollen] erkennen, dass der Höchste über das Königtum der Menschen herrscht und es verleiht, wem er will.“ Tatsächlich scheint der Leitgedanke beim Ausdruck „Königreich der Himmel“ zu sein: Es ist die Regierung des Himmels im Gegensatz zur Regierung des Menschen, wie erhaben er auch sein mag.

Natürlich steht der König selbst im Zentrum der Gedanken Gottes. Aber immer wieder lesen wir vom Königreich, das hier mit dem Himmel verbunden wird. Das war für die Juden zur Zeit Daniels etwas vollkommen Neues, denn bis dahin hatte Gott durch den König in Jerusalem auf der Erde regieren lassen. Zur Zeit Daniels wollte Gott aber keinen König in Israel mehr anerkennen. Selbst die Zeitrechnung würde sich nicht mehr von den Königen in Jerusalem ableiten. Von jetzt an würde Gott vom Himmel aus regieren. Dass Gottes Königreich mit dem Himmel zu tun hat, war also durch Daniel schon im Alten Testament bekannt. Bereits in Kapitel 2,44 hatte Gott durch den Propheten Daniel deutlich gemacht, dass in den Tagen des Endes „der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten“ würde, „das in Ewigkeit nicht zerstört und dessen Herrschaft keinem anderen Volk überlassen werden wird“. Nachdem alle Könige in Israel versagt hatten und die großen Herrscher der Weltreiche ebenso versagt haben würden, würde der Gott des Himmels regieren. Dazu würde Er sein eigenes Königreich aufrichten.

Kapitel 7 greift diesen Punkt noch einmal auf. Dort wird sogar deutlich, wer dieses Königreich regieren wird: der verherrlichte Sohn des Menschen (Vers 14). Er, der nach Psalm 8 über alle geschaffenen Dinge gesetzt werden sollte, wird – aus dem Himmel herniederkommend (vgl. Joh 1,51 und Apg 7,56) – die ewige Herrschaft über dieses Königreich antreten. Sein Königreich ist nicht auf Israel beschränkt, sondern umfasst die ganze Erde, ist also universal. Wir erinnern uns: Als Sohn Abrahams war Er zum Segen für alle Nationen (Dan 7,14.27).

Wenn nun Israel dem Zeugnis des Johannes geglaubt, Buße getan und den König angenommen hätte, dann wäre das Königreich wirklich in Macht und Herrlichkeit gekommen. Aber das Volk der Juden lehnte seinen König ab. Daher wurde der Beginn des Königreichs verschoben. Es wird erst beginnen, wenn die jüdischen Jünger – angeleitet durch die Predigt des kommenden Königreichs – wieder beten werden: „Dein Königreich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf der Erde“ (vgl. Mt 6,10). Das wird geschehen, wenn die Versammlung schon in den Himmel aufgenommen sein wird (vgl. 1. Thes 4,13–5,11).

Was hat das Königreich mit dem Himmel zu tun?

Es bleibt die Frage bestehen: Warum wird das Königreich in diesem Ausdruck mit dem Himmel verbunden? Die gläubigen Juden warteten darauf, dass Gott ihnen durch seinen Messias sein Reich öffentlich errichten werde. Dieser Herr würde aus dem Himmel zu ihnen kommen und vom Himmel ausgehend ein Reich nach göttlichen und himmlischen Grundsätzen aufrichten. Jetzt war der Herr Jesus auf die Erde gekommen, und die Gläubigen erkannten in Ihm den König (vgl. z. B. Joh 4,29; 6,15). Seine Jünger rechneten fest damit, dass der Herr Jesus während seines Erdenlebens das Reich Gottes auf der Erde aufrichten würde: „Wir aber hofften, dass er der sei, der Israel erlösen solle“ (Lk 24,21) – und unter dieser Erlösung wurde zumindest auch eine politische Befreiung verstanden.

Doch die Masse des Volkes Israel wollte Jesus nicht als König haben. Sie verwarfen Ihn und nagelten Ihn ans Kreuz. Dennoch hat Gott den Gedanken an sein Königreich nicht aufgegeben. Zwar ist die öffentliche Einrichtung des Reiches verschoben worden, bis der Herr Jesus in Macht und Herrlichkeit auf diese Erde zurückkommen wird (Off 19,11 ff; Sach 14,3 ff.). Aber Gott wird seine Herrschaft nicht nur in der Zukunft verwirklichen. Schon jetzt hat Er sein Reich hier auf der Erde – aber in einer geheimnisvollen Form, wie sie im Alten Testament so nicht angekündigt worden war.

Der Ausdruck „Himmel“ spricht im Übrigen zuweilen auch von einer gewissen Distanz. Seit dem Exil bezeichnete Gott sich als der Gott des Himmels (Esra, Nehemia, Daniel). Gott hatte sich gewissermaßen in den Himmel zurückgezogen und verband sich nicht mehr mit seinem Volk. Stattdessen hatte Er die Herrschaft Königen der Nationen wie Nebukadnezar übertragen. Das drückt eine gewisse Entfernung aus.

Auch das wird durch den Ausdruck „Reich der Himmel“ deutlich. Der Herrscher, der König, ist abwesend. Der König ist nicht mehr auf der Erde, sondern muss sich als der Verworfene in den Himmel zurückziehen. Er ist jetzt im Himmel und regiert von dort aus. Sein Reich trägt auch in diesem Sinn himmlischen Charakter.

Die Geheimnisse des Königreichs der Himmel

Jesus Christus ist nicht nur persönlich als König verworfen worden. Auch sein Königreich ist durch Israel, also das Volk des Königreichs, abgewiesen worden (vgl. Mt 21,23.38). Jesus, der Messias, hat daraufhin die Erde verlassen und ist in den Himmel aufgefahren. Während seiner Abwesenheit befindet sich das Königreich der Himmel in gewisser Hinsicht in den Händen von Menschen, denn der Herr regiert heute nicht in direkter, sondern in indirekter Weise das Geschehen inmitten des Bereiches, der Ihn als Christus und Herrn anerkennt. Dadurch ist es in einem vollkommen anderen Zustand, als es im Alten Testament als Muster offenbart worden ist.

Das wird vom Herrn Jesus verdeutlicht, indem Er in Matthäus 13 von „Geheimnissen des Königreichs der Himmel“ (Mt 13,11.35) spricht. Ein Geheimnis ist etwas, das von Grundlegung der Welt an verborgen gewesen ist, aber durch den Herrn Jesus oder die Apostel bekannt gemacht wurde. Diese Offenbarung nimmt der Herr Jesus, was das Königreich betrifft, in Matthäus 13 vor.

Was aber ist das Königreich dann und worin besteht sein Geheimnis? Die sieben bzw. acht Gleichnisse von Kapitel 13 belehren uns darüber. Es geht um den Bereich, in dem der Herr Jesus – wenigstens äußerlich – als Herr und Herrscher anerkannt wird. Das ist seit der Himmelfahrt des Herrn der christliche Bereich. Dieser befindet sich heute aber in einem ungeordneten Zustand. Einige der Gleichnisse zeigen genau das: gutes Korn und Unkraut existieren nebeneinander – es gibt sowohl echte Christen als auch reine Namenschristen inmitten dieses Reiches. Das ist nichts anderes als ein Zustand von Vermischung. Der Begriff „Christenheit“ schließt alle Christen ein, also alle Bekenner, auch die „Unechten“ – sie alle gehören zum Königreich der Himmel im weitesten Sinn.

In diesem Sinn bleibt wahr, dass das Reich der Himmel auch heute mit der Herrschaft des Herrn verbunden wird. Aber es ist möglich, diese Autorität zwar äußerlich anzuerkennen, innerlich aber ohne Gott zu leben. Es gibt in dieser Hinsicht heute viele Menschen, die sich nur äußerlich zu dem Herrn Jesus bekennen und sich Christen nennen. In Wirklichkeit aber nehmen nur diejenigen Ihn als Herrn und Autorität an, die „echte“ Christen sind. Sie haben Ihn als Retter und Herrn in ihr Leben aufgenommen und gehören somit zur Versammlung Gottes.

Die Gleichnisse, welche die äußere Entwicklung des Reiches der Himmel beschreiben, könnte man – etwas verkürzt – als Geschichte der allgemeinen Christenheit bezeichnen. Es ist eine Geschichte von Versagen und Fehlern, mit der Folge, dass aus dem Königreich das wurde, was der König nie beabsichtigt hatte. Durch den Sauerteig der Bosheit ist die ganze Masse dieses Königreiches durchsäuert worden (Mt 13,33). Diese traurige Entwicklung wird so weitergehen, bis der König wiederkommt. Dann werden alle Bösen, alle Ungläubigen, aus dem Königreich gesammelt und weggetan werden (Mt 13,41.42). Das ist die Geschichte und Entwicklung dieses Königreichs. Innerhalb dieses Gebildes gibt es aber auch echte Gläubige. Davon sprechen drei der sieben bzw. acht Gleichnisse in Matthäus 13 (Verse 44–50). In der heutigen Zeit gehören diese Gläubigen alle zur Versammlung (Gemeinde, Kirche) Gottes. Darauf weist das Gleichnis von der Perle hin. Diese ist ein wunderschönes Bild für die Versammlung in ihrer Einheit und in ihrem großartigen Wert für Gott.

Zur Unterscheidung von Königreich der Himmel und Königreich Gottes

Im Neuen Testament lesen wir nun sowohl vom „Königreich Gottes“ als auch vom „Königreich der Himmel“. Mit beiden Begriffen wird prinzipiell dasselbe ausgedrückt. Daher gibt es eine Reihe von Versen, in denen Matthäus den Ausdruck „Königreich der Himmel“ verwendet, während Markus oder Lukas in derselben Sache vom „Königreich Gottes“ sprechen (vgl. z. B. Mt 4,17 mit Mk 1,14.15 und Lk 4,43 bzw. Mt 8,11 mit Lk 13,28.29 und 14,15). Bis einschließlich Matthäus 12 unterscheidet sich die Bedeutung von „Reich der Himmel“ und „Reich Gottes“ nicht grundsätzlich. Es werden durch die beiden unterschiedlichen Begriffe lediglich verschiedene Schwerpunkte ausgedrückt. Das ändert sich mit der Verwerfung Jesu in Kapitel 13.

Das „Königreich Gottes“, nimmt sowohl auf den äußeren Bereich des Reiches als auch auf den moralischen Inhalt, also die innere Seite des Königreichs, Bezug. Der Ausdruck „Königreich der Himmel“ spricht demgegenüber in erster Linie von der äußeren Form des Reiches. Allerdings schließt er den moralischen Aspekt nicht aus (vgl. Mt 11,11; 18,3).

Vor allem wird „Königreich der Himmel“ in einen Zusammenhang unterschiedlicher Epochen (Haushaltungen, Dispensationen) gestellt. Das ist ein großes Thema, das Matthäus immer wieder betont, denn Gott hat zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlicher Weise mit Menschen gehandelt.

Es gab zum Beispiel eine Zeit des Gesetzes, in der Gott seinem Volk Israel Gebote gegeben hatte: Wenn sie diesen Gesetzen gehorsam waren, sollten sie gesegnet werden. Israel hat vollkommen darin versagt und am Ende sogar Gott selbst in der Person seines Sohnes verworfen. Daher veränderte Gott sein Handeln mit dieser Erde. Er zog seine sichtbare Regierung gewissermaßen zurück in den Himmel und regierte von nun an in verborgener, geheimnisvoller Weise. Noch immer gibt es – seit dem Kreuz und der für die ungläubigen Menschen verborgenen Himmelfahrt Jesu – einen Bereich, der unter der Autorität des Herrn steht. Aber das ist kein machtvolles Königreich, sondern eines, das dadurch geprägt ist, dass man sich zu Christus bekennt. Erst dann, wenn man den Herrn Jesus als Herrscher und König öffentlich anerkennen wird, kann das Reich der Himmel öffentlich in Macht beginnen.

Das Königreich der Himmel in dieser Form war zu der Zeit, als der Herr Jesus noch vor seinem öffentlichen Dienst stand, noch zukünftig. Daher heißt es zum Beispiel hier in Matthäus 3,2: „Das Königreich der Himmel ist nahe gekommen“ – es war in seiner äußeren Form eben noch nicht da. Tatsächlich blieb das Reich der Himmel die gesamte Zeit des Dienstes unseres Herrn zukünftig, denn solange der König als Herrscher dieses Königreichs nicht angenommen wurde, konnte es nicht beginnen.

Wenn dagegen allein die moralische Seite betont wird, verwendet selbst Matthäus den Ausdruck „Königreich Gottes“: „Das Königreich Gottes ist zu euch gekommen“ (Mt 12,28). Der König war bereits in ihrer Mitte. Gottes Wort ist genau und diese Aussage konnte im Blick auf das „Reich der Himmel“ nicht gemacht werden – und zwar aus zwei Gründen:

  1. Öffentlich beginnt das Reich der Himmel mit der öffentlichen Anerkennung Jesu als Herrscher auf der Erde. Und das gab es zu Lebzeiten des Herrn auf der Erde und bis heute nicht.
  2. Die geheimnisvolle Form des Reiches der Himmel setzte die Verherrlichung, das heißt Himmelfahrt Christi voraus. Diese war noch nicht eingetreten.

An folgenden fünf Stellen kommt der Begriff des Königreiches Gottes im Matthäusevangelium vor:

  1. Mt 6,33: „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden.“
    Hier wird uns die innere Seite des Königreiches Gottes genannt.
  2. Mt 12,28: „Wenn ich aber durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch gekommen.“
    Der Herr hat durch seinen Dienst gezeigt, dass Er der König ist. In seiner Person war dieses Königreich in moralischer Weise gegenwärtig.
  3. Mt 19,24: „Wiederum aber sage ich euch: Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes eingehe.“
    Um moralisch in das Königreich einzugehen, ist ein Werk Gottes nötig. Dieses Werk können Menschen nicht ausführen. Nur Gott ist es möglich.
  4. Mt 21,31: „Jesus spricht zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch, dass die Zöllner und die Huren euch vorangehen in das Reich Gottes.“
    Der Herr zeigt, dass der Besitz einer äußeren Stellung kein Anrecht darauf bedeutet, Teil des moralischen Reiches zu sein. In diesem Sinn würden sogar die Zöllner und Prostituierten den Pharisäern und Schriftgelehrten vorangehen.
  5. Mt 21,43: „Deswegen sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch weggenommen und einer Nation gegeben werden, die dessen Früchte bringen wird.“
    Die Juden damals hatten das Vorrecht, dass Christus als das Reich Gottes in Person bei ihnen war. Weil sie Ihn aber verwarfen, würde ihnen dieses Vorrecht weggenommen und einem wiederhergestellten Israel gegeben werden – das ist die in diesem Vers genannte „Nation“.

Johannes predigte, dass das Reich der Himmel nahe gekommen war. Das bedeutete einfach, dass der Gott des Himmels im Begriff stand, seine Herrschaft über die Erde anzutreten. Letztere würde bald nicht mehr sich selbst überlassen sein. Ein König, der vom Himmel kommen sollte, würde das Zepter übernehmen. Er würde das erfüllen, was in Daniel 2 und 7 über das ewige Reich angekündigt worden war. In Daniel 7 verbindet der Geist Gottes diese Regierung mit dem Sohn des Menschen. Da aber dieser König abgelehnt wurde, wurde die Aufrichtung des Reiches verschoben.

Matthäus spricht vom „Königreich der Himmel“, weil dieser Begriff besonders gut zu dem epochenmäßigen, dem sogenannten dispensationalen Charakter des Matthäusevangeliums passt. Daniel hatte zwar das Reich des „Gottes des Himmels“ für die gläubigen Juden angekündigt, aber die Juden standen jetzt im Begriff, ihren eigenen Messias und Gott zu verwerfen. Dadurch nahm dieses Reich eine gänzlich andere Form an. Es würde nicht öffentlich mit Macht, sondern mit einem abwesenden Herrscher verbunden sein. Und es sollte nicht mehr auf Israel beschränkt sein, auch die Nationen wurden jetzt einbezogen.

Aufschub der Einführung des Königreichs in öffentlicher Form

Das Königreich konnte also noch nicht öffentlich beginnen. Das ist insofern von Wichtigkeit, als die Juden, ja selbst Johannes der Täufer (vgl. Mt 11,3), auf einen Messias warteten, der sein Königreich in Macht hier auf der Erde errichten und auf der Erde seine Herrschaft antreten würde. Der Herr Jesus kannte jedoch im Voraus ihren Unglauben und wusste, dass sie Ihn ablehnen und verwerfen würden. Daher war es unmöglich, dieses Königreich in dieser Form unmittelbar beginnen zu lassen. Außerdem wollte Er das Erlösungswerk vollbringen. Er war ja gekommen, „um seinem Volk Erkenntnis [des] Heils zu geben in Vergebung ihrer Sünden“ (Lk 1,77) – und nicht nur eine äußere Befreiung von Krankheit und Knechtschaft.

Das Königreich der Himmel war damals noch zukünftig. Es begann tatsächlich erst mit der Himmelfahrt des Herrn. Seitdem regiert der Herr diese Erde in Vorsehung vom Himmel aus. Das heißt nicht, dass jeder seine Herrschaft anerkennt. Denn wir sehen Ihm noch nicht alles sichtbar unterworfen (vgl. Heb 2,8). Aber diejenigen, die sich zu Christus bekennen, und sei es nur dem Namen nach, gehören diesem Königreich an.

Der König und sein Königreich werden verworfen.

Das vierte große Thema ist die Verwerfung des Königs und seines Reiches. Das haben wir jetzt bereits mehrfach gesehen, so dass ich darauf nicht weiter eingehen muss.

Diese Verwerfung wird schon im Alten Testament vorhergesagt: Jesaja 53; Daniel 9,26; Psalm 22; usw. Man kann es auch in den Vorbildern erkennen: Joseph, David und manche andere. Zunächst wird der Herold des Königs verworfen; er endet im Gefängnis – ermordet. Dies spricht zugleich von der Verwerfung des Königs selbst. In keinem anderen Evangelium wird seine Verwerfung so ausführlich behandelt wie bei Matthäus. Sie beginnt in Galiläa, in seiner eigenen Stadt, und endet in Jerusalem.

Diese Verwerfung ist nicht einfach menschlicher Natur, sondern zudem satanisch. Alle Bosheit und Verdorbenheit des Herzens werden offenbart, und eben auch Satan selbst. In dieser Verwerfung vereinigen sich alle Klassen der Menschen: Die Volksmengen, die Ihm gefolgt waren und von Ihm gespeist worden waren, die Pharisäer, die Sadduzäer, die Herodianer, die Priester, die Hauptpriester (in manchen Übersetzungen heißt es: die Hohenpriester), der Hohepriester und die Ältesten. Schließlich wird offenbar, dass sie Ihn als Denjenigen erkannt hatten, der Er war: ihr Herr und König. Vorsätzlich überliefern sie Ihn in die Hände der Nationen. Die Erzählung über die Kreuzigung in Matthäus zeigt die dunkelste Seite der Verwerfung. So wird die Weissagung in der Verwerfung des Königs erfüllt.

Die Verwerfung seines irdischen Volkes und ihr Gericht

Das fünfte Thema – ebenfalls eines des Alten Testaments – kommt sehr prominent bei Matthäus vor. Die Juden haben Christus verworfen, so verlässt auch Er sie, und Gericht fällt auf sie: Im 11. Kapitel schilt Er die Städte, in denen die meisten seiner Werke der Macht vollbracht wurden, weil sie nicht Buße getan haben. Am Ende des 12. Kapitels verleugnet Er seine Beziehungen und lehnt es ab, die Seinen zu begrüßen. Am Anfang des 13. Kapitels verlässt Er das Haus und geht an den See – einem Synonym für die Nationen.

Nach seiner königlichen Einführung in Jerusalem verflucht Er am nächsten Tag frühmorgens den Feigenbaum, was den nationalen Tod der Nation Israel bedeutet (Kap 21). Nachdem Er zwei weitere Gleichnisse zu den Hohenpriestern und den Ältesten gesprochen hat, verkündigt Er, dass das Reich Gottes von ihnen genommen und einer Nation gegeben würde, die dessen Früchte bringen würde (21,43). Dann folgt ein Wehe über die Pharisäer im 23. Kapitel, an dessen Ende Er sich an die Stadt Jerusalem selbst wendet und ankündigt, dass ihr Haus öde gelassen würde, bis sie wieder sagen würden: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn“ (23,39).

Die Versammlung

In keinem anderen Evangelium wird die Versammlung (Gemeinde, Kirche) ausdrücklich erwähnt als nur in Matthäus. Im 16. Kapitel gibt Petrus sein Zeugnis über den Herrn ab, wie es ihm vom Vater offenbart worden ist, der in den Himmeln ist. Der Herr teilt ihm mit, dass Er auf diesen Felsen, von dem Petrus (übersetzt „Stein“) ein Stein sein würde, seine Versammlung bauen würde. Unmittelbar danach, in Kapitel 16,21, folgt die Ankündigung seiner Leiden und seines Todes, gefolgt von dem Bericht über die so genannte „Verklärung“ auf dem Berg (Kapitel 17). Diese Verklärung spricht zwar in erster Linie von der auf seine Leiden folgenden Herrlichkeit und ist ein Bild der Macht und Ankunft unseres Herrn Jesus Christus (2. Pet 1,16) zur Aufrichtung seines 1000-jährigen Königreichs, dennoch kann man manches, das der Erwähnung der Versammlung im weiteren Verlauf des Evangeliums folgt, auf diese anwenden. Denn der genannte Abschnitt von Kapitel 16,18 bis Kapitel 17,8 zeigt im Zusammenhang, dass nach seinem Tod, seiner Auferstehung und Himmelfahrt eine „Gemeinschaft“ von Menschen auf der Erde sein würde, die besondere Kennzeichen trägt und besondere Segnungen bekommen würde. Es geht dabei um alle Gläubigen, die in der Zeit von Pfingsten (Apg 2) bis zum Wiederkommen des Herrn Jesus ihre Sünden bekennen und den Herrn Jesus als ihren persönlichen Retter annehmen.

In Matthäus 16,18 spricht der Herr Jesus davon, dass Er selbst der Eigentümer und die Grundlage dieser Versammlung ist, die weder vom Tod noch vom Teufel angetastet werden kann. Damit ist die Versammlung und sind alle, die zu ihr gehören, vollkommen sicher bei dem Herrn Jesus aufgehoben11. In Matthäus 18,15–20 zeigt der Herr Jesus dann, was für eine Autorität Er der örtlichen Versammlung übertragen hat. Das ist mit herrlichen Segnungen, aber auch mit hoher Verantwortung verbunden, wie Vers 20 zeigt: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte.“

Diese Abschnitte zeigen uns also, was für eine herausragende Stellung die Versammlung bei Matthäus einnimmt!

Prophetische Belehrungen bezüglich des Endes des Zeitalters

Das letzte der sieben großen Themen des Matthäusevangeliums sind die recht langen Reden des Herrn Jesus an seine Jünger über „die Vollendung des Zeitalters“ (24,4–25,46). Der Herr gibt diese Belehrungen den Jüngern auf dem Ölberg, nachdem Er seine letzten Worte an Jerusalem gerichtet hatte. Diese Kapitel 24 und 25 bilden einen der bemerkenswertesten Abschnitte des ganzen Evangeliums. Darin lehrt der Herr über die Juden, die Versammlung Gottes und die Nationen (wie auch schon an anderen Stellen, zum Beispiel bei den Gleichnissen über das Königreich der Himmel in Kapitel 13). Die ungläubige Christenheit, die ausschließlich aus bloßen Bekennern besteht, wird in diesen Kapiteln ebenfalls erwähnt – unter dem Bild des Knechtes, der Jungfrauen und der Knechte. Alles dies wird aber aus einem anderen Blickwinkel betrachtet als in Kapitel 13. In Kapitel 24 und 25 befinden sich die Nationen am Ende. Die Kirche wird zuerst von der Erde entfernt, so dass die reinen Bekenner der Christenheit übrigbleiben. Diese reinen Namenschristen sind vor Gott nichts anderes als Heiden, die von dem Gericht der Nationen, wie es der Herr hier zeigt, getroffen werden.

Der erste Teil der langen Rede des Herrn Jesus in Matthäus 24 und 25 (Kapitel 24,4 bis 44) ist durch und durch jüdisch und betrifft ausschließlich den gläubigen Überrest aus den Juden. In diesem ersten Teil finden wir eine sehr wichtige Weissagung über Ereignisse, welche die dann lebenden gläubigen Juden erleben werden, wenn die Versammlung von der Erde weggenommen sein wird. Der Herr nimmt hier eine Reihe von alttestamentlichen Weissagungen auf und fügt sie zu einer gesamten, großen Weissagung zusammen. Die Geschichte der letzten Woche von Daniel 9 finden wir hier wieder. Die Mitte der Woche nach den ersten dreieinhalb Jahren kann man in Vers 15 erkennen. Auch die Ereignisse von Offenbarung 6–19 sind in diesen Worten des Herrn vollständig enthalten. Die drei Gleichnisse, die folgen (ab Kapitel 24,45), zeigen uns Gerettete und Nicht-Gerettete. Wachen und Dienen ist der Leitgedanke. Lohn auf der einen und das Werfen in die äußerste Finsternis auf der anderen Seite sind die Ergebnisse. Dieser zweite Teil der Rede des Herrn (Kap 24,45 bis 25,30) findet seine Anwendung auf die allgemeine (ungläubige) Christenheit, aber auch auf die Versammlung. Der dritte Teil der Rede schließlich (ab Kapitel 25,31) betrifft das Gericht der Nationen. Hier geht es nicht um das universelle Gericht, sondern um das Gericht der Nationen zu der Zeit, wenn unser Herr als Sohn des Menschen und Richter auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzen wird.

Natürlich wäre noch viel mehr in einer Einleitung zu sagen: die immer vollkommen passenden Zitate aus dem Alten Testament, die vollkommene Struktur dieses Evangeliums, usw. Aber das können wir vielleicht besser im Rahmen der Betrachtung sehen...

Literatur zum Matthäusevangelium

Es gibt eine Fülle von Literatur zu diesem wunderbaren Bibelbuch über den Herrn Jesus. Im Folgenden werden die Bücher genannt, die ich für besonders nützlich in der Beschäftigung mit dem Matthäusevangelium empfunden habe.

  1. Synopsis von John Nelson Darby (Matthäusevangelium; Einleitung zum Neuen Testament)
  2. Betrachtungen und Notizen von John Nelson Darby über das Matthäusevangelium
  3. Einführende Vorträge über die Evangelien von William Kelly
  4. Vorträge über das Matthäusevangelium von William Kelly
  5. Auslegung zum Matthäusevangelium von Arno C. Gaebelein
  6. Diverse Betrachtungen zum Matthäusevangelium, z. B. von: Frederick W. Grant, Leslie M. Grant, Frank B. Hole, Henry A. Ironside, Jean Jeannin, Samuel Prod‘hom
  7. Spezielle Auslegungen: Gleichnisse (Christian Briem, Frederick W. Grant), Bergpredigt (Andrew Miller, Arend Remmers)

Alle diese Bücher haben jedoch nur dann einen Wert, wenn das Wort Gottes selbst der Mittelpunkt der Beschäftigung ist. Die Bücher übernehmen eine Hilfsfunktion – aber sie ersetzen das Wort Gottes nicht! Christus selbst, „der geschriebene Christus“, soll unsere Herzen ausfüllen.

Fußnoten

  • 1 36 = 2²x3²; früher waren Samuel, Könige und Chronika jeweils ein Bibelbuch und nicht – wie heute – zwei.
  • 2 Die Tora (die deutsche Bedeutung dieses hebräischen Wortes ist: Gebot, Weisung, Belehrung oder Unterweisung) ist der erste Teil der hebräischen Bibel (hebr. Tanach), also des Alten Testaments. Sie besteht aus fünf Büchern und heißt im Griechischen daher Pentateuch.
  • 3 Wenn man davon absieht, dass der Gedanke der Versammlung natürlich auch in dem geistlichen Haus bei Petrus zu finden ist. Johannes sieht die Versammlung in Offenbarung 1-3 unter lokalem Gesichtspunkt. Er betont die Verantwortung, Zeugen Jesu Christi am Ort zu sein. In seinem 3. Brief erwähnt er die Versammlung, aber nicht in einem erklärenden Sinn. Nur der Apostel Paulus spricht von der Versammlung als Leib Christi.
  • 4 Synopsis bedeutet: Zusammenschau, Entwurf, Überblick.
  • 5 Früher dachte man bei diesem Wort an den Dachs – aber diese Übersetzung wurde inzwischen verworfen. Vielleicht handelt es sich auch um den „Dugong“, das Seeschwein, ein der Seekuh verwandtes Tier, das es auch im Roten Meer gibt. Denn die Tiere müssten den Israeliten beim Auszug ja auch zur Verfügung gestanden haben, wenn sie daraus Decken für die Stiftshütte machen sollten.
  • 6 Dieser gläubige Teil des Volkes wird in der Bibel öfter „Überrest“ [Übriggebliebene] genannt. Es war und ist nicht mehr das ganze Volk, was sich den Geboten Gottes unterwarf bzw. unterwirft, sondern nur ein Teil – ein Überrest. Diesen gab es in Bezug auf das Volk Israel (vgl. z.B. Jesaja 1,9; Micha 2,12), aber auch heute werden letztlich diejenigen, die an den Herrn Jesus glauben, ein Überrest genannt. Denn es gibt viele, die sich Christen nennen, aber nur wenige, bei denen hinter diesem Bekenntnis auch wahrer Glaube steht. Und in Zukunft wird nicht das ganze Volk Israel zu dem Herrn Jesus umkehren, sondern nur ein Teil des Volkes – der Überrest (Römer 9,27). Aber vor Gott steht der Überrest im Hinblick auf Vorrechte und Verantwortung für das ganze Volk. Diesen Gedanken finden wir immer wieder in der Bibel, unter anderem auch in Römer 11,26.
  • 7 Der Herr Jesus bezieht sich dabei nicht auf die „eingeschobene“ Zeitperiode, die wir die christliche Zeit nennen und in der wir heute leben. Von dieser Zeit war den Juden und insbesondere den alttestamentlich Gläubigen nichts bekannt. Sie stellt ein Geheimnis dar, das Gott erst dem Apostel Paulus und anderen Aposteln offenbart hat.
  • 8 Das betrifft zum Beispiel die Krankenheilungen und Dämonenaustreibungen (V. 8). Aber es geht auch um Anweisungen, welche die Ausstattung des Boten betreffen: keine zwei Paar Sandalen und keinen Stab mitzunehmen. Sie werden in den Briefen des Neuen Testamentes nicht wiederholt oder bestätigt. Die Gerichtsäußerung in Vers 14, den Staub von den Füßen zu schütteln, hat ebenfalls einen direkten Bezug zum Volk der Juden, was in Apostelgeschichte 13,51 bestätigt wird. Heute soll uns im Gegensatz dazu die Gnade gegenüber allen Menschen kennzeichnen.
  • 9 Das sind geistliche, sittliche, innere – nicht äußerliche – Grundsätze.
  • 10 Ab Kapitel 13 spricht der Herr von den „Geheimnissen des Königreiches der Himmel“ (Mt 13,11). Dieser Begriff zeigt, wie wir noch sehen werden, dass die Gestalt dieses Reiches für eine vorübergehende Zeit anders sein würde als diejenige, die das Volk Israel schon im Alten Testament erwartete.
  • 11 Das heißt natürlich nicht, dass diese Menschen auf der Erde nicht äußere Schwierigkeiten haben könnten. Petrus, an den der Herr Jesus sich bei den Worten in Matthäus 16 wendet, ist das beste Beispiel dafür, denn er wurde zu einem Märtyrer. Aber darum geht es hier dem Herrn Jesus nicht. In geistlicher Hinsicht lässt Er nicht zu, dass die Versammlung (die Gläubigen, aus denen sie besteht) angetastet wird. Sie werden bei Christus in der Herrlichkeit sein.
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