Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 147
Dieser Psalm ist wie der vorhergehende dem Lob des HERRN gewidmet. Unter anderem wird hier betont, dass der HERR der Bundesgott Israels ist. Die Gläubigen aus dem Volk kennen Ihn als ihren HERRN (oder: Jehova; Jahwe), auch als Schöpfer und Richter und als den allein weisen Gott. In Seinem Wort besitzen sie Seine Satzungen und Rechte; es sind die göttlichen Normen für ihr Verhalten. Als Sein Volk wissen sie um ihre Vorrechte und vertrauen Seiner Zusage, dass Er Jerusalem für sie und ihre Kinder bauen und befestigen wird. Er hat verheißen, sie zu segnen, und wird es verwirklichen. Sie verkennen nicht, dass Er nur an denen Gefallen hat und nur die segnet, die Ihn fürchten und ihre Abhängigkeit von Seiner Güte anerkennen. Wenn sie dem entsprechen, können sie sicher sein, dass der HERR ihrem Land Heil und Frieden verschaffen wird. Der Gedankengang dieses Psalms setzt durchweg voraus, dass ihre Beziehung zu Ihm als Sein Volk nicht (wie sonst des Öfteren) durch Unglauben und Auflehnung gegen Ihn und Sein Wort gestört wird. Der gute Zustand derer, die Ihn fürchten, hat zur Folge, dass die Verheißungen unter ihnen wirksam werden. Ihr Gehorsam gegenüber den Bedingungen des HERRN ist unumgänglich, denn: „Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr keinen Bestand haben“, also auch keinen bleibenden Segen (Jes 7,9). Ist wahrer Glaube vorhanden, dann wird auch ihr Lobgesang geziemend sein und wird gerne von Gott angenommen werden (Vers 1; Ps 33,1; 92,2; 135,3). Mit ganzem Herzen rühmen die Glaubenden die Wohltaten Seiner Güte, denn nicht vergeblich haben sie als Sein Bundesvolk auf Seinen Bund und Seine Treue vertraut. Offensichtlich hat der HERR Sich des Landes und der Hauptstadt Israels wieder angenommen (Vers 2) und sammelt die Vertriebenen Israels, um sie in ihr Land zurückzuführen (Ps 69,36f; 102,17; Jes 44,26; Jer 23,3; 31,10–14; Hes 37,21–28).
In Vers 3 wird rühmend hervorgehoben, dass der HERR Freude daran hat, zerbrochene Herzen zu heilen und Wunden zu verbinden. Seine Liebe neigt sich zu ihnen herab, weil Er ihren Kummer mitempfindet. Darauf dürfen Seine Geliebten auch heute immer rechnen (2. Mo 15,26; Ps 34,19.20; 103,3). Er ist der beste Arzt für den Körper und die Seele der Gerechten. Prophetisch gesehen, ist Vers 3 auf die Wiederherstellung Israels in der Zukunft anzuwenden. Wenn der HERR Sich Seinem Volk am Ende des jetzigen Zeitalters wieder zuwendet, werden die Juden, die nach den Prophezeiungen der Heiligen Schrift in der Zukunft an Ihn als ihren Messias glauben (Nah 2,3; Apg 3,21), Seine Barmherzigkeit als Trost für ihre Seelen und heilende Kraft für ihren Körper erfahren (Vers 3; Jes 30,26; 57,13–19; 61,1; Jer 30,17; 33,6; Hos 6,1). Eine Zeit lang haben sie auf den Trost des HERRN warten müssen, doch dann wird Er zu ihren Herzen reden und ihnen, den von Israel Übriggebliebenen, zurufen, „dass ihre Mühsal vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist“ (Jes 40,2). Inzwischen hatten sie harte Erprobungen ihres Glaubens zu erdulden (Mt 24,9f) und standen in Gefahr, an der Zuverlässigkeit der Zusagen des HERRN zu zweifeln (Jes 40,27; 49,14). Doch nach dieser Zeit der Bewährung wird Er nicht zögern, Sich zu dem echten Glauben Seiner Knechte zu bekennen, und dann erfahren sie mit großer Freude die ewige Treue und die über jede feindliche Macht erhabene Majestät ihres Bundesgottes.
Gott allein kennt die unfassbar große Zahl der Sterne. Er hat ihre Art und Ordnung festgelegt, jeden einzelnen der Himmelskörper erhält Er und unterscheidet ihn von allen übrigen Sternen (Vers 4; Jes 40,26). Er gebietet dem Weltall und lenkt dessen weitere Entwicklung. In gleicher Machtvollkommenheit handelt Er mit Israel, dem Volk Seines Bundes, und dabei verfolgt Er einen längst festliegenden Plan, dessen Enderfolg Er vor Beginn des Geschehens kennt. Das ist nur der Allwissenheit des Ewigen möglich. Seine Einsicht ist unbegrenzt und nicht zu bemessen. An die Gegebenheiten von Zeit und Raum ist Er nicht gebunden (Vers 5; Ps 145,3; 1. Tim 6,16). Die große Not Israels in der kommenden Endzeit gibt Ihm Gelegenheit, Seine göttliche Barmherzigkeit an ihnen zu offenbaren, indem Er sie als Volk wieder aufrichtet (Vers 6; Jer 31,1–6.23–28; Jes 54,10ff). Es ist ein Wesensmerkmal Seines Erbarmens, dass der HERR Sich der Elenden und der Niedergedrückten annimmt (Vers 6a; Ps 9,13.19; 10,2; 74,19; Lk 7,13). Wenn im kommenden Endgericht alle Dinge auf der Erde auf göttlich gerechte Weise geordnet werden, dann wird Er die Gottlosen erniedrigen und ewiger Bestrafung zuführen (Vers 6b; Ps 55,24; Mal 3,19–21). Diese vollkommene Wendung zum Guten wird den Gläubigen aus Israel in der Zukunft zu Dankliedern und anhaltendem Lobpreis Anlass geben. Sie werden die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit Gottes rühmen, die dann in Herrlichkeit zu ihrem und der ganzen Welt Nutzen offenbar werden (Vers 7; Ps 95,7f; 96,10; 98,2; Jes 51,3–5).
Die beiden folgenden Verse sprechen von Gottes machtvollem Wirken auf den Gebieten der Schöpfung; sie beschreiben Sein gütiges Handeln gegenüber aller Kreatur. Dabei wird deutlich herausgestellt, dass das Geschaffene ohne Ihn und Seine erhaltende Macht nicht existieren kann (Verse 8 und 9; Ps 104,13ff; 145,9.16; Lk 12,24). In besonderer Weise jedoch gilt das Wohlgefallen des HERRN denen, die Ihn kennen und Seiner Güte vertrauen, die Sein Wort lieben und in Gottesfurcht Ihm dienen (Vers 11; Ps 33,18; 121,1–8). Dagegen hat Er kein Gefallen an den Hochmütigen, die sich selbst überschätzen. In ihrer Überhebung meinen sie, nicht auf Ihn angewiesen zu sein, und daher weisen sie Seine Gnade mit Verachtung zurück. Selbstsicher glauben sie auf eigenen Füßen zu stehen und verlassen sich auf ihre Fähigkeiten (Vers 10; Ps 20,8; 33,16f; Pred 9,11). Jerusalem und Zion hingegen, die in Vers 12 Israel verkörpern, verehren den HERRN als ihren Helfer. Sie haben in der Zukunft allen Grund, Ihn als ihren Bundesgott zu loben (Ps 9,12.15; 97,8; 146,10). Denn nach der noch zukünftigen Drangsalszeit Israels wird der HERR die Stadt Jerusalem wieder aufbauen (Vers 2). Er segnet ihre Bewohner und schenkt ihnen Frieden für alle Zukunft (Verse 13 und 14; Ps 85,9ff; Jes 4,5; 54,11ff; Jer 33,10.11). Was Gott baut, ist für ewig gebaut; es ist unangreifbar und überdauert alle Zeiten. Er selbst verbürgt Sich für das ewige Bestehen Seines Volkes Israel (Jes 32,15–18). Er ist der Gott des Friedens (Röm 15,33; 16,20), und Christus, Israels König und Messias, ist der ihnen vor langer Zeit angekündigte Friedefürst und der „Herr des Friedens“ (Vers 14; Jes 9,5.6; 2. Thes 3,16).
Die Verse 15 bis 20 sprechen von den Anweisungen, die Gott der Schöpfung zukommen lässt, um die Witterung auf der Erde nach Seinen Plänen zu lenken. Zugleich nimmt Er dadurch entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Menschen (Vers 15; Ps 33,6–9; 104,30–32; 148,8; Hiob 37,5ff; 38,22–30). Als Mensch auf dieser Erde offenbarte Jesus Christus wiederholt, dass Er der Schöpfer ist, auf dessen Befehl hin die gerade vorherrschende Wetterlage unverzüglich Gehorsam leistet: „Dann stand er (Jesus) auf und schalt die Winde und den See; und es trat eine große Stille ein. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was für einer ist dieser, dass auch die Winde und der See ihm gehorchen?“ (Mt 8,26f). Die sofort eingetretene Wetteränderung bewies das, was Vers 15 sagt: „Sehr schnell läuft sein Wort“. Dass Sein Wort auf allen Gebieten der Schöpfung sofort befolgt wird, bestätigen unter anderem die Krankenheilungen und die Austreibungen von Dämonen, die auf das Wort des Sohnes Gottes hin unverzüglich geschahen (Mt 8,13; Mk 10,52; Lk 4,36). Er ist der allmächtige Gott, „der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ruft, wie wenn es da wäre“ (Röm 4,17). Keins der Worte Gottes bleibt wirkungslos; nicht eins von ihnen lässt das geplante Ergebnis vermissen (Jes 55,10f). Seine Befehle sind der Ausdruck Seines Willens, und sie bedeuten gleichzeitig, dass alles zu ihrer Durchsetzung Notwendige sichergestellt ist. Verweigert jemand Seinem Wort bewusst den Gehorsam, dann kommt dies einer Auflehnung gegen Gott gleich, es ist eine Missachtung des Allmächtigen, und dies führt zum Gericht (Röm 2,8; 2. Kor 2,14–16; 2. Thes 1,8f). „Denn das Unsichtbare von ihm wird geschaut, sowohl seine ewige Kraft als auch seine Göttlichkeit, die von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen werden“ (Röm 1,19f).
Die Verse 15 bis 18 lassen deutlich werden, dass die Fürsorge des Schöpfers immer rasch zur Stelle ist und die notwendige Harmonie in den Wetterverhältnissen der Erde wiederherstellt, damit das von Ihm geschaffene Leben erhalten bleibt (1. Mo 8,22). Rechtzeitig macht Er einer Kälteperiode ein Ende. „Er sendet sein Wort und schmelzt“ Schnee und Eis, indem Er Wärme herbeiführt, und dabei entstehen zugleich lebenswichtige Wassermengen (Vers 18). Diese natürlichen Vorgänge liefern nebenbei ein treffendes Bild von den mächtigen geistlichen Wirkungen des Wortes Gottes. In alle Erdteile sendet Gott das Wort, das „wie der Regen und der Schnee vom Himmel herabfällt“ (Jes 55,10f), um geistliche Frucht hervorkommen zu lassen (5. Mo 8,3b; Mt 13,8.23). Die hauptsächlich an ihren Wirkungen erkennbare Energie des Windes (Vers 18) veranschaulicht die lebendig machende Kraft des Heiligen Geistes, die das göttlich Gute zur Ausführung bringt, sie vermag kalte, geistlich tote Herzen mittels der Wärme der Liebe Gottes ‚aufzutauen' und sie zu neuem geistlichem Leben zu bringen (Joh 3,5–8).
Die Verse 19 und 20 sprechen von dem besonderen Vorrecht Israels, das Wort Gottes des Alten Testaments zu besitzen und dadurch göttliche Rechtsgrundsätze und Urteile sein Eigen zu nennen. Von Anfang an hatte der Herr dem Volk Sein Wort verkündet, damit sie wussten, was Sein Wille fordert. Demnach ist Gottes Rechtsempfinden in Israel nichts Unbekanntes (Vers 19; Jes 42,21; Mich 6,8; Mal 3,22). Durch das Alte Testament waren sie gut darauf vorbereitet, in Jesus ihren Messias zu erkennen und Ihn als den Christus, ihren Retter, anzunehmen (Joh 5,39f). Als das Wort Gottes selbst, das schon „im Anfang bei Gott war“, kam der Herr Jesus zu ihnen „in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an; so viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,1f.11f). Den Juden zuerst hat Gott Sein Wort verkündet, und in ihr Land hat Er Seinen Sohn, das ewige Wort, gesandt. Durch Mose hatte Er Israel sagen lassen: „Es ist nicht ein leeres Wort für euch, sondern es ist euer Leben“ (5. Mo 32,47). Mahnend rief Mose dem Volk in Erinnerung: „Welche große Nation gibt es, die Götter hätte, die ihr so nahe wären wie der HERR, unser Gott, in allem, worin wir zu ihm rufen? Und welche große Nation gibt es, die so gerechte Satzungen und Rechte hätte wie dieses ganze Gesetz, das ich euch heute vorlege?“ (5. Mo 4,7.8). „Keiner Nation hat er so getan“ (Vers 20). Diesen Vorzug genießt Israel, weil es das erwählte Volk Gottes auf der Erde ist (5. Mo 7,6; Ps 135,4). „Denn zuerst einmal sind ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut worden“ (Röm 3,2). Eine solche Bevorzugung wird bei denen unter dem Volk, die das Wort des HERRN hochschätzen und bewahren, zu allen Zeiten Lob und Dank hervorrufen. Bei dem zukünftigen gläubigen Überrest des Volkes Israel wird dies in vollem Maß der Fall sein (Ps 98 und 136; Jes 12; 35,10; Jes 52,8f; 63,7). Sie kommen in den Genuss der Segnungen, die der HERR Seinem irdischen Volk vor langer Zeit durch seine Propheten verheißen hat. Aber den Menschen, die den HERRN nicht kennen, fehlen die Kenntnis und die Hochachtung vor Seinem Gesetz (Ps 79,6; Apg 14,16.17; 2. Thes 1,8). Sie haben keine Beziehung zu Ihm (Vers 20b). Sie sind nicht unter die spezielle Verantwortung gestellt, die die Beziehung Israels zu dem HERRN kennzeichnet. Das galt damals zur Zeit des Alten Testaments für die Völker außerhalb der Grenzen Israels. „Jedem aber, dem viel gegeben ist – viel wird von ihm verlangt werden“ (Lk 12,47.48). Diese Worte Christi schließen auch die vielen Menschen ein, die das Evangelium der Gnade gehört haben. An Israel richtet sich daher die mahnende Frage des Propheten Micha: „Ist es nicht an euch, das Recht zu kennen?“ (Mich 3,1.4.9; Jes 58,2).