Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 146
Zu Beginn bestärkt der Psalmdichter seine eigene Seele darin, dem HERRN Lob zu bringen: „Lobe den HERRN, meine Seele!“ (Vers 1). Sein Leben und seine ganze Kraft sollen dazu dienen, seinem Gott mit Freudigkeit Loblieder zu singen. Der Inhalt dieser Aufforderung hat in den Herzen vieler Gläubiger Widerhall gefunden und hat sie in die Stimmung versetzt, Gott Loblieder zu singen und zum Lob geeignete Gedichte niederzuschreiben. Ihre Freude am Herrn und ihre Glaubenserfahrungen stimmten mit den Erlebnissen des Dichters überein. Von Herzen pflichteten sie seinen dankerfüllten Worten über die vielfältigen Beweise der Güte Gottes bei (Ps 34,2–4; 103,1f). Wenn ein Gläubiger nicht wachsam ist, wird seine Seele leicht mit viel Unnützem und allerlei eigenen Wünschen erfüllt. Dann wird er bald von den unterschiedlichsten Empfindungen hin und her geworfen. Rasch wechselt dabei die Stimmungslage. Wiewohl gerade noch der Herr vor den Blicken des Glaubens gestanden hatte, drängen sich andere Beschäftigungen ablenkend zwischen ihn und den Herrn. Der Psalmdichter aber ruft seine Seele zur Beständigkeit in geistlicher Haltung auf. Er will sich nicht durch andere Dinge in Beschlag nehmen lassen, und der Entschluss hierzu in Vers 2 klingt fast wie ein Gelübde (Ps 63,5; 104,33f; 116,2). Er befürchtet, dass unversehens das Sichtbare dieser Welt und die eigenen Belange die Herrschaft über seine Sinne gewinnen könnten. Er will aber, dass seine Zeit, seine Kräfte und seine Gedanken dem Herrn gehören sollen. Was sein Glaube vor Augen hat, das ist bestimmend für seine Haltung, es soll sein ganzes Leben kennzeichnen. Deswegen ermuntert er sich selbst zum beständigen Lob. Zum Ausharren im Glauben gehört auch die Lobeserhebung Gottes, sie ist eine nie endende Aufgabe aller Gläubigen.
Der Gottesfürchtige kann dazu verleitet werden, Verehrung nicht ausschließlich Gott zukommen zu lassen, sondern sie nebenbei auch Menschen zuzuwenden, die sein Vertrauen und seine besondere Wertschätzung gewonnen haben. Hervorragende Leute sind zumeist besonders begabt; sie mögen mit Recht hochangesehen sein und in der Tat Außergewöhnliches geleistet haben, was zum Nutzen der Allgemeinheit dient. Hochgestellte und von vielen hochgeachtete Persönlichkeiten gewinnen auch Einfluss auf Gläubige, und mancher neigt dazu, den Großen zu vertrauen. Damit die Gottesfürchtigen gewarnt sind und wachsam bleiben, ruft Gottes Wort ihnen zu: „Vertraut nicht auf Fürsten, auf einen Menschensohn, bei dem keine Rettung ist“ (Vers 3). Die Großen unserer Zeit und Welt sind weder Retter der Menschheit noch feste Grundpfeiler. Allzu oft folgen darauf Enttäuschungen. Man hat an eine Stärke und an eine Beständigkeit geglaubt, die Menschen nicht bieten können. Auch die Größten werden ins Grab gelegt und werden vergessen (Verse 3 und 4; Ps 62,10f; Pred 9,11). Ihnen allen hat Gott einen bestimmten Wirkungsbereich vorgegeben, dessen Anfang und Ende bereits festliegen (Pred 3,1–11.17). Außerdem steht es fest, dass Gott niemals andere Götter neben sich duldet (2. Mo 20,3; Jer 10,11). Obwohl dies den Gottesfürchtigen nicht unbekannt ist, gleichen sie manchmal den Gottlosen, die die Großen verehren und deren Weltanschauung zu ihrer Religion machen. Sie trauen dem Menschen zu viel zu, machen Fleisch zu ihrem Arm und bemerken nicht, dass dabei ihr Herz von dem HERRN abgewichen ist (Jer 17,5.7). „Es ist besser, bei dem HERRN Zuflucht zu suchen, als sich auf Fürsten zu verlassen“ (Ps 118,9). Nur Er verdient uneingeschränktes Vertrauen. Nur Er vermag wirklich und für immer aus jeder Not zu erretten (Apg 4,12; Jes 30,15). Ewiger Bestand in jeder Hinsicht, die ewige Wahrheit und die ewige Rettung sind nur in Gott und durch Sein Wort zu finden.
Zu wirklicher Hilfe und zu wahrem Glück gelangt der, „dessen Hoffnung auf den HERRN, seinen Gott, ist,... der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was in ihnen ist, der Wahrheit hält auf ewig“ (Verse 5 und 6; Ps 117,2). Gott hat Sich in der Heiligen Schrift offenbart, insbesondere auch in der dort beschriebenen Geschichte des Volkes Israel. Auf Seinem Weg mit Israel hat Er Sich in vielen Wundertaten als der Allmächtige erwiesen und als der treue Gott, der zu Seinem Wort steht und es erfüllt (4. Mo 23,19; Ps 121,1–3). So verhält Er Sich auch heute dem Glaubenden gegenüber. Wer an Ihn, den gerechten Gott und Richter aller Menschen, glaubt, der überlässt Ihm den Ausgang seiner Rechtssache (Vers 7; Ps 35,10). Er vertraut der Gerechtigkeit und Allmacht Gottes, auch Seiner Barmherzigkeit. Der Gläubige kennt Gott als den Geber aller Gaben und als den Schöpfer, dem alles zur Verfügung steht; er ist überzeugt, dass Gott den Mangel behebt und ihm das Nötige zukommen lassen wird, auch wenn die Abhilfe nicht zu der Zeit und in der Weise geschieht, wie er es erwartet hätte (Vers 7; Ps 23,1f; 107,28; Jak 1,5.6). Der Fromme weiß sich in der Liebe Gottes geborgen, und der HERR wird für ihn eintreten als der Befreier derer, die keine Aussicht auf Hilfe haben (Verse 5 und 7; Jes 42,7; 61,1; Ps 68,7). Er ist imstande, selbst aus der Knechtschaft der Todesfurcht zu befreien (Lk 4,18; Heb 2,14f).
Der HERR ist barmherzig. Mitfühlend sieht Er, was Seinen Geschöpfen fehlt. Er nimmt Kummer und Bedrückung wahr, auch Hunger, Trostlosigkeit und Erblindung (Vers 8; Ps 102,20f; Mk 7,32–35; Joh 9,6f.32). Er ist besorgt um die Leidenden und tröstet sie. Die Niedergebeugten richtet Er auf (Ps 145,14; Lk 7,13; 13,11f). Er liebt die Gerechten, die Seine Ansprüche anerkennen, Sein Wort lieben und ihm gehorchen, denn „der HERR sieht auf das Herz“ (1. Sam 16,7; Ps 34,16; Joh 14,21). Im Besonderen nimmt Er Sich der Benachteiligten an, die unverschuldet in angreifbarer und oft schutzloser Lage sind. Dazu zählen die Fremden im Land, die Waisen und die Witwen. Ihnen allen wird hier Bewahrung und Hilfestellung zugesagt (Vers 9; 5. Mo 10,18f; 27,19; Ps 10,14, 68,6; Spr 15,25; Jer 49,11). Der HERR greift mit Macht ein und durchkreuzt die Pläne der Widersacher. Er bestraft sie dadurch, dass Er sie weiter in die Irre gehen und umkommen lässt (Vers 9b; Ps 9,16–19; 147,6). Obgleich der HERR nicht bei jeder Ungerechtigkeit sofort und vor der Öffentlichkeit eingreift, wird Er das Böse nicht übersehen und es nicht unbestraft lassen. Seine Regierung über die ganze Erde kennt keine Lücken und Unterlassungen. Die Regierungen dieser Welt erstarken und büßen ihre Macht irgendwann ein; Weltreiche erstehen und vergehen wieder. Aber die Herrschaft Gottes beherrscht und überdauert jede andere Machtentfaltung. Unverändert besteht Seine Macht in Ewigkeit (Vers 10; Ps 29,10; 103,19; 145,13). Der letzte Vers verdeutlicht nochmals, dass im Gegensatz zu dem Vertrauen auf Menschen (Vers 3) nur das Vertrauen auf den ewigen Gott eine unerschütterliche Grundlage hat. Darum gebührt Ihm höchster Ruhm und ewiges Lob.