Was Paulus den Kolossern noch sagen wollte …
Eine Auslegung zu Kolosser 4
Die Sendung um Empfehlung von Tychikus und Onesimus (Kol 4,7-9)
In den folgenden Versen werden eine Reihe von Brüdern, Dienern und Mitarbeitern genannt, die alle voneinander verschieden waren, unterschiedliche Aufgaben hatten und doch im gleichen „Werk des Herrn“ arbeiteten. Es war und ist nicht das Werk dieser Brüder, obwohl sie es taten. Es ist auch nicht das Werk von örtlichen Versammlungen, obwohl sie davon profitierten. Es ist das Werk unseres Herrn. Das ist wichtig für uns. Jeder von uns muss erkennen, welchen Dienst der Herr ihm gegeben hat. Es ist gut, dass wir darin verschieden sind und uns in dieser Verschiedenheit anerkennen.
Paulus selbst einen besonderen Dienst empfangen (Apg 9,15). Trotzdem wird deutlich, wie er nicht nur die Aufgaben anderer, sondern die Diener wertschätzt und achtet, die in dem gleichen Werk tätig waren wir er selbst. Wir erkennen, mit welcher Sorgfalt und Liebe Paulus darauf bedacht war, dass vertrauenswürdige Brüder und Mitarbeiter empfohlen und anerkannt wurden. Er freute sich über jeden, den er empfehlen konnte. Es ist ihm nicht lästig. Gleichwohl weist er auf gewisse Missstände hin und verschweigt sie nicht.
„Alles, was mich angeht, wird euch Tychikus kundtun, der geliebte Bruder und treue Diener und Mitknecht im Herrn“ (Kol 4,7).
Tychikus – ein Bruder, Diener und Mitknecht
Tychikus wird im Neuen Testament fünf Mal erwähnt (Apg 20,4; Eph, 6,21; Kol 4,7; Tit 3,12; 2. Tim 4,12). Die Berichterstattung über ihn umfasst einen Zeitraum von etwa zehn Jahren. Das allein macht schon klar, dass er ein dauerhafter Diener war und seine Aktivität nicht mit einem Strohfeuer verglichen werden kann.
Tychikus stammte aus Asien und war ein Reisebegleiter von Paulus während seiner dritten Missionsreis (Apg 20,4). Die Stellen in Titus 3,12 und 2. Timotheus 4,12 zeigen, dass er brauchbar war und für verschiedene Aufgaben an verschiedenen Orten (Ephesus, Kreta) im Werk des Herrn eingesetzt werden konnte.
Der Text hier spricht von Vertrauen und Zuneigung. Paulus schätzte diesen Bruder und setzt ihm hier ein Denkmal. Was er von seiner Gesinnung und seinem Dienst schreibt, ist mehr wert, als alle theologischen oder wissenschaftlichen Titel, die Menschen in dieser Welt bekommen oder vergeben mögen. Den Ephesern schreibt er Ähnliches (Eph 6,21).
- Er war ein geliebter Bruder: Das betraf vor allem seine Beziehung zu Paulus. Tychikus hatte das gleiche Leben aus Gott. Er war ein Teil der Familie Gottes und wird deshalb als Bruder bezeichnet. Er war ohne Frage von Gott und vom Herrn geliebt (1. Thess 1,4; 2. Thess 2,13). Doch der Schwerpunkt scheint hier darauf zu liegen, dass Paulus ihn liebt. Er nennt ihn nicht „einen lieben Bruder“, sondern einen „geliebten Bruder“. Die Formulierung in „lieber Bruder“ mag gut gemeint sein und einer natürlichen Sympathie entsprechen, ein „geliebter“ Bruder zu sein, geht jedoch weiter. Das ist die Sprache des Glaubens.
- Er war ein treuer Diener im Herrn: Es heißt hier nicht, dass er ein Diener des Herrn (oder für den Herrn) war, sondern „im Herrn“. Das war er natürlich. „Im Herrn“ weist jedoch wieder auf seine Verantwortung hin, der Tychikus im Blick auf seinen Dienst nachkam. Deshalb scheint es hier vornehmlich um seine Beziehung zu den Geschwistern zu gehen, denen sein Dienst galt. Was er für andere tat, tat er so, als wenn er es für seinen Herrn tat (vgl. Mt 25,40). Für „Diener“ wird hier ein Wort gebraucht, aus dem zwar unser Wort „Diakonie“ abgeleitet ist, das wir allerdings nicht auf diakonischen Dienst im heute verstandenen Sinn beschränken können. Es umfasst deutlich mehr1. Es ist ein Dienst, den jemand für einen anderen tut. Von einem solchen sagt der Herr Jesus: „Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren“ (Joh 12,26). Worin sein Dienst konkret bestand, wissen wir nicht.
Paulus unterstreicht hier seine Treue. Das Wort kommt im Neuen Testament häufig vor und wird manchmal mit „gläubig“ übersetzt. Der Gedanke hier ist, daran zu erinnern, dass dieser Diener seine Aufgabe zuverlässig erfüllte. Das ist bis heute wichtig. Gott wartet darauf, dass wir treu und zuverlässig sind. Dieses Attribut wird im Neuen Testament neben Tychikus noch Timotheus, Silvanus, Antipas, Epaphras und Onesimus zugeschrieben. Vor allem denken wir natürlich an unseren Herrn. Er war „der treue Zeuge“ (Offb 1,5). - Er war ein Mitknecht: Erneut wird gesagt, dass er es „im Herrn“ war. Paulus bezieht sich immer wieder auf den Herrn, der alle Autorität hat und dessen Diener und Knechte wir sind. Für „Knecht“ wird hier das Wort „Sklave“ benutzt, d.h. es wird gezeigt, dass Tychikus ganz seinem Herrn gehört. Deshalb spricht er nun von seiner Beziehung zu seinem Herrn2. Ein Knecht tut den Willen seines Herrn und setzt nicht seinen eigenen Willen durch. Tychikus war jedoch nicht nur ein Knecht, sondern ein Mitknecht. Es handelt sich um ein zusammengesetztes Wort. Knecht im Herrn zu sein ist eine Sache. Ihm gemeinsam mit andern zu dienen ist eine andere Sache. Das Wort kommt im Neuen Testament zehn Mal vor.
Es ist wahr, dass jeder Knecht seinem eigenen Herrn steht und fällt (Röm 14,4). Dienst ist zunächst eine persönliche Verantwortung. Dennoch stellt der Herr uns gerade im Dienst immer mit anderen Knechten zusammen. Das zeigen die Ausdrücke wie „Mitarbeiter“, „Mitälteste“, „Mitgenossen“, „Mitjünger“ „Mitkämpfer“, „Mitstreiter“ und „Mitknechte“. Epaphras trägt übrigens diesen gleichen Titel wie Tychikus. Er war ein „geliebter Mitknecht, der ein treuer Diener des Christus ist“ (Kol. 1,7).
Botendienst und Austausch von Informationen
Einen solchen Mann konnte Paulus gebrauchen. Tychikus sollte den Gläubigen in Kolossä alles berichten, was Paulus betraf. Wir lesen nichts davon, dass Tychikus das Wort gepredigt hat oder dass er ein befähigter Evangelist war. Was Paulus hier unterstreicht, ist die Tatsache, dass er ein zuverlässiger Informant war. Solche Brüder sind bis heute nötig. Dabei wollen wir nicht verkennen, dass der Austausch von Informationen damals völlig anders war, als wir es kennen. Um Informationen von einem Ort zum anderen zu bringen, musste ein Bote geschickt werden. Die Reisen waren anstrengend und gefährlich. Insofern war ein zuverlässiger Bote eine wesentliche Voraussetzung, um Informationen austauschen zu können.
Paulus legt Wert darauf, dass die Geschwister seine „Umstände“ kannten – und umgekehrt wollte er die „Umstände“ der Geschwister gerne wissen. Dazu war es nötig, dass Tychikus nicht nur reden, sondern gleichzeitig zuhören konnte – eine Eigenschaft, die bis heute wertvoll ist. Von dieser gegenseitigen Fürsorge und Liebe können wir lernen. Je besser wir die Umstände des anderen kennen, umso besser können wir konkret füreinander beten und konkrete Hilfestellung geben.
Wir können davon ausgehen, dass die Kolosser ein Interesse an dem hatten, was Tychikus über Paulus und dessen Umstände zu sagen hatte. Dabei müssen wir bedenken, dass sie Paulus ja persönlich nicht kannten, weil er noch nie bei ihnen gewesen war. In seinem Brief hat Paulus darüber nicht viel geschrieben, sondern überließ es Tychikus, Paulus nahm sich selbst nicht allzu wichtig. Mit persönlichen Informationen war er immer sehr zurückhaltend. Er gab sie nur dann, wenn es nötig war.
„Den ich ebendeshalb zu euch gesandt habe, damit er eure Umstände erfahre und eure Herzen tröste“ (Kol 4,8).
Die Aufgabe von Tychikus
Paulus hatte Tychikus von Rom aus gesandt. Das zeigt zum einen die Autorität, die er als Apostel besaß. Zum anderen lernen wir von der Bereitschaft des Tychikus, sich senden zu lassen. In seinem Reisegepäck befanden sich unter anderem die Briefe an die Epheser, die Kolosser und an Philemon. Obwohl einige hier übersetzen: „... damit ihr unsere Umstände erfahrt“, scheint dieser Vers doch den Gedanken von Vers 7 zu erweitern. In Vers 7 sollten die Kolosser erfahren, wie es Paulus ging. Hier geht es um die Umstände der Kolosser, die Tychikus in Erfahrung bringen wollte. Jedenfalls wird das gegenseitige Interesse deutlich.
Die Aufgabe von Tychikus bestand nicht nur darin, über die Umstände von Paulus zu berichten und die Umstände der Kolosser in Erfahrung zu bringen. Zugleich sollte er die Herzen der Gläubigen trösten. Das Wort „trösten“ wird in den Briefen häufig gebraucht und an anderen Stellen mit „ermahnen“ „ermuntern“ oder „bitten“ übersetzt. Das Wort hat die Grundbedeutung, dass eine Person an die Seite gerufen und zu etwas veranlasst wird. Der Zusammenhang macht klar, ob es eher eine Bitte, eine Ermunterung, eine Ermahnung oder ein Trost ist.
Paulus lag es jedenfalls am Herzen, die Kolosser in ihrem Glauben zu motivieren. Letztlich ist jede Ermahnung zugleich eine Ermunterung und ein Trost, und in jedem Trost liegt eine Ermunterung. Dieser richtet sich nicht so sehr an den Verstand, sondern vielmehr an das Herz als den Sitz unserer Empfindungen und Entscheidungen. In Kapitel 2,2 spricht Paulus ebenfalls von Trost. Dort war er es, der die Herzen trösten wollte, und das war für ihn mit innerem Konflikt verbunden.
„Mit Onesimus, dem treuen und geliebten Bruder, der von euch ist; sie werden euch alles kundtun, was hier geschieht“ (Kol 4,9).
Onesimus, ein treuer und geliebter Bruder
Onesimus war den Geschwistern in Kolossä bekannt. Es handelt sich um den von Philemon entlaufenen Sklaven, über den wir im Brief an Philemon nähere Einzelheiten erfahren. Paulus sagt hier nichts über seine Vergangenheit. Er erwähnt das Fehlverhalten in seinem öffentlichen Brief nicht. Es war eine Sache zwischen seinem Herrn, dem Sklaven und Paulus. Onesimus hatte auf seiner Flucht in Rom Paulus getroffen und war durch ihn zum Glauben an Jesus Christus gekommen. In Philemon 1,10 nennt Paulus ihn „mein Kind, das ich gezeugt habe in den Fesseln, Onesimus“. In Vers 12 bezeichnet er ihn sogar als „mein Herz“ (d.h. mein Inneres oder mein „Eingeweide“). Paulus muss diesen Mann sehr lieb gewonnen haben, und es sind Worte der Zuneigung und Wertschätzung, die er den Kolossern gegenüber findet, die diesen ehemaligen Sklaven sicherlich zunächst kritisch beäugt haben, als er mit Tychikus nach Kolossä zurückkehrte. Paulus sagt drei Dinge über ihn:
- Er ist ein Bruder: Das zeigt, dass Paulus das neue Leben bezeugt, das Onesimus hatte. Er gehörte jetzt zur Familie Gottes, weil er aus Gott geboren war. Die Bekehrung hatte Paulus selbst erlebt und war das Werkzeug geworden, das Gott dazu benutzt hatte.
- Er ist ein treuer Bruder: Obwohl Onesimus bisher nur relativ wenig Gelegenheit hatte, sich zu bewähren, stellt Paulus ihm dieses Zeugnis aus und gibt ihm damit einen gewissen Vertrauensvorschuss. Paulus hatte ihn kennengelernt und war für sich überzeugt, dass es sich um einen treuen Bruder handelte.
- Er ist ein geliebter Bruder: Wie vorher bei Tychikus scheint sich das vornehmlich auf die Liebe von Paulus zu ihm zu beziehen. Paulus Herz war für Onesimus in Bewegung geraten. Er verachtete ihn nicht wegen seiner Vergangenheit, sondern liebte ihn von Herzen.
Nur die Gnade ist in der Lage, in kurzer Zeit aus einem entlaufenen Sklaven eine Person zu machen, die so beschrieben wird. Er gehörte nun – ebenso wie Tychikus – zur Familie des Glaubens und war ein Teil der örtlichen Versammlung in Kolossä. Die innere Haltung und Beurteilung von Paulus ist richtungweisend für uns.
Onesimus, ein guter Zeuge
In Vers 8 haben wir gesehen, dass Tychikus der Handelnde und Redende war. Wenn es nun heißt, dass beide Brüder das kundtun sollten, was in Rom geschah, dann lässt das den Rückschluss zu, dass Onesimus als Zeuge dabei war um zu bestätigen, was Tychikus sagte. 2. Korinther 13,1 zeigt das wichtige Prinzip aus dem Alten Testament, dass es mindestens zwei oder drei Zeugen geben soll. Onesimus war ein solcher Zeuge. Nachrichten und Informationen aus dem Werk des Herrn sollten möglichst bezeugt werden können.
In Vers 7 und 8 ging es mehr um persönliche Informationen, die ausgetauscht wurden. Jetzt sagt Paulus, dass die beiden kundtun sollten „was hier geschieht“: Damit ist nicht nur Paulus gemeint, sondern seine Mitarbeiter und der Fortgang des Werkes des Herrn in Rom sind eingeschlossen. Bei den Geschehnissen in Rom ging es ganz sicher nicht um die politische und gesellschaftliche Entwicklung in der Hauptstadt des damaligen Römischen Reiches, sondern um das Wohlergehen der Geschwister und den Fortgang des Werkes des Herrn. Das war Paulus wichtig. Das andere interessierte ihn nicht. Auch davon können wir lernen.
Fußnoten