Einführende Vorträge zur Offenbarung
Kapitel 22
Danach finden wir eine weitere herrliche Beschreibung. „Und er zeigte mir einen Strom von Wasser des Lebens, glänzend wie Kristall, der hervorging aus dem Throne Gottes und des Lammes.“ (V. 1). Jetzt handelt es sich nicht um Blitze und Donner und Stimmen. (Vergl. Offenbarung 4!). Diese zeigten einfach den Charakter des Gerichts durch die Vorsehung, welches die Zwischenzeit nach dem Weggang der Kirche (Versammlung) und bis zu ihrer Herrschaft mit Christus füllt. Doch wenn Christus und die Kirche in Frieden herrschen, ist dieses das passende Bild: Ein „Strom von Wasser des Lebens, glänzend wie Kristall, der hervorging aus dem Throne Gottes und des Lammes. In der Mitte ihrer Straße und des Stromes, diesseits und jenseits, war der Baum des Lebens.“ Dieser trug nicht seine Frucht wie der ursprüngliche Baum (2. Mose 2), sondern entsprechend der Fülle der Vorsorge der Gnade Gottes für den Menschen – zunächst für den Menschen in Herrlichkeit, aber auch für den Menschen auf der Erde – jedenfalls für den Menschen in Herrlichkeit. „Der zwölf Früchte trägt und jeden Monat seine Frucht gibt; und die Blätter des Baumes sind zur Heilung der Nationen.“ (V. 2). Auch der Mensch auf der Erde hat sein Teil an der Güte Gottes, Der jetzt Sein Königreich entfaltet. „Und keinerlei Fluch wird mehr sein; und der Thron Gottes und des Lammes wird in ihr sein; und seine Knechte werden ihm dienen.“ (V. 3). Diese ganze Beschreibung schließt mit Vers 5.
Danach finden wir Ermahnungen, die zum Ende dieses Buches gehören. Darüber möchte ich nur wenige Worte sagen.
Vers 6 bestätigt noch einmal die Wichtigkeit dieser Aussagen. Auch das Kommen des Herrn wird in diesem Zusammenhang nachdrücklich vor Augen gestellt. „Siehe, ich komme bald. Glückselig, der da bewahrt die Worte der Weissagung dieses Buches!“ (V. 7). Danach wird noch einmal der Charakter dieses Buches aufgrund dessen, daß das Christentum schon seinen Verlauf genommen hat, bestätigt. „Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses Buches!“ (V. 10). In Daniels Zeiten und sogar für Daniel selbst wurde das Buch versiegelt. Die alten Prophetenworte wurden damals versiegelt, indessen nicht diejenigen von Johannes. „Und er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses Buches; die Zeit ist nahe.“ Zu Daniels Zeit stand die Erfüllung noch nicht bevor. Für die Kirche ist das Ende immer nahe. Auf ihrem Weg und in den Angelegenheiten ihres besonderen Teils kennt sie Zeit überhaupt nicht. Alles, was zum Leib Christi gehört, ist unirdisch und unweltlich. Die Kirche ist himmlisch; und im Himmel gibt es keine Zeiten und Zeitabschnitte. Es gibt Himmelslichter, um Zeiten und Zeitabschnitte für die Erde und auf der Erde zu kennzeichnen. Die Kirche indessen besteht aus Seelen, die aus der Welt herausgerufen und nicht von ihr sind. Folglich sind für die Kirche Zeiten immer nahe.
Als Christus zur Rechten Gottes bekannt gemacht wurde, schon von Anfang an, stand Er bereit, die Lebenden und die Toten zu richten. Er verharrt in jenem Zustand der Bereitschaft von dem Zeitpunkt an, als Er Sich zur Rechten Gottes setzte, bis zur Gegenwart. Die Kirche schreitet entsprechend dem Willen des Herrn voran, Der nach Seinen Absichten diesen Zeitraum verlängern oder verkürzen kann. Er befindet sich ausschließlich in Seiner Hand – und in keiner anderen. Für die Juden hingegen gibt es notwendige Zeitangaben und bedeutsame Veränderungen, die stattfinden müssen. Folglich, da Daniel für die Juden steht, werden die Unterschiede weiterhin aufrecht erhalten. Für die Christen ist das Buch nicht versiegelt. Alles ist offen gelegt, und zwar weil der Heilige Geist in uns wohnt; „denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes.“ (1. Korinther 2, 10).
Daher finden wir im Zusammenhang mit unserem Buch eine sehr ernste Warnung. „Wer unrecht tut, tue noch unrecht, und wer unrein ist, verunreinige sich noch, und wer gerecht ist, übe noch Gerechtigkeit, und wer heilig ist, sei noch geheiligt.“ (V. 11). Wenn die Stunde kommt, von der hier gesprochen wird, kommt sie nicht für uns, sondern für jene Menschen, die vorgefunden werden, nachdem wir weggegangen sind. Dann ist alles festgelegt. Dann gibt es sozusagen keine Zeit mehr für Barmherzigkeit. In welchem Zustand der Herr uns bei Seinem Kommen antreffen wird – alles ist zu Ende und steht unveränderlich fest. Daher: „Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir.“ (V. 12). Wir sehen, daß diese Worte in Verbindung mit dem vorher Gesagten stehen. Es geht nicht nur um Sein Kommen für uns, die wir diese Aussprüche bewahren, sondern auch für diejenigen, welche Er hienieden vorfinden wird, „um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird.“
Danach stellt Jesus Sich Selbst vor, Der Seinen Engel gesandt hat. „Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch diese Dinge zu bezeugen in den Versammlungen. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern. Und der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! Und wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ (V. 16–17). So ist Christus nicht nur die Wurzel und das Geschlecht Davids, sondern auch der glänzende Morgenstern. Sein Name ruft die Antwort im Herzen der Kirche hervor, und zwar unter der leitenden Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Die Kirche kann nicht von Ihm als dem glänzenden Morgenstern hören, ohne sofort zu wünschen, daß Er kommt. Doch es ist wahr – sie ruft nicht: „Komme bald!“ Das paßt nicht zur Kirche und zum einzelnen Christen. Uns geziemt Geduld bzw. die Ausdauer der Hoffnung. Aber es ist gesegnet, daß Er sagt: „Ich komme bald“ (V. 20); und es ist ausschließlich Christus, Der in der Heiligen Schrift jemals so spricht. Wir können rechtmäßigerweise sagen: „Komm!“ Wir wünschen, daß Er bald kommt. Doch wir überlassen es Ihm; denn wir kennen Seine Liebe und dürfen Ihm vertrauen. Wir wissen, daß Er, wenn Er zögert, nicht Seine Verheißungen verzieht (2. Petrus 3, 9), sondern daß Seine Langmut den Vielen das Heil bringt. Und wer möchte den Seelen das Heil vorenthalten oder den Herrn hindern, dieses zu zeigen?
„Und der Geist und die Braut sagen: Komm!“ (V. 17). Das richtet sich an Jesus. Zu wem sonst könnten sie es sagen? Dieses Seufzen der Braut richtet sich an den Bräutigam; und der Heilige Geist gibt ihrem Verlangen, daß Er komme, Kraft. Aber es gibt auch noch eine Botschaft für andere – ein Wort an jene, die hören. „Wer es hört, spreche: Komm!“ Er wird aufgefordert, diesen Ruf zu übernehmen. Falls du ein Glaubender bist, fürchte dich nicht, auch wenn du nur wenig weißt; denn der Herr vergißt noch enttäuscht solche, die vergleichsweise unwissend sind. Ich denke, Er hat genau diese Menschengruppe im Auge, wenn Er jene, die hören, zu ihrem Ruf „Komm!“ ermuntert. Die „Braut“ steht hier für die Gläubigen, die sich im normalen Besitz und Genuß ihrer Vorrechte befinden. Es gibt viele, für die das nicht gilt, aber der Herr vergißt sie nicht. Möge also, „wer es hört“, sprechen: „Komm!“ Sie müssen nur Seine Stimme hören, denn das ist trotz allem eine unberechenbare Gunst, ja, es ist der Angelpunkt für allen Segen. Das ist nicht der Genuß an allem, doch es ist der Anker, an dem alles hängt. Es ist der Weg zu allem Segen, falls es nicht sogar den unmittelbaren Eingang in denselben und seinen Genuß bildet. „Wer es hört“, sollte also ermutigt werden, „Komm!“ zu rufen. In Jesus befindet sich nichts, was ihn verletzen könnte. Alles soll segnen. An Ihm sollen wir uns erfreuen. Das gilt sogar für diejenigen, denen es an der vollen Erkenntnis dieser Wahrheit hienieden mangelt.
Doch während ein solcher Ruf sich an Christus wendet und der Gläubige sich nicht vor dem Ruf nach dem Kommen des Herrn fürchtet, vergißt die Kirche jene Menschen nicht, die noch arme Sünder sind. Diese sollen sich ihres Zustands bewußt werden oder durch die Gnade Gottes mit großem Verlangen nach diesem Bewußtsein suchen. Letzteres ist der schwächste Ausdruck eines Bedürfnisses bei einem Sünder, genauso wie wir gerade in dem vorigen Ruf den schwächsten Ausdruck bei einem Erlösten gesehen haben. So erkennen wir, wie der Herr Raum für alles hat, was ausschließlich die Frucht Seiner Gnade ist. Das gilt besonders für den Appell Seiner Gnade sogar dort, wo er möglicherweise keine Antwort findet; denn die Gnade haßt notwendigerweise ein Ende im Gericht. „Und wen da dürstet, der komme; wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst.“
Nach einer ernsten Warnung vor einem Hinzufügen zum Inhalt dieses Buches oder einem Wegnehmen endet die „Offenbarung“. „Der diese Dinge bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. – Amen; komm, Herr Jesus!“ (V. 20). „Ja, ich komme bald.“ Wie gesegnet nach einem solch langen Verzug! Nach so vielen Leiden, Versuchungen, Schwierigkeiten und Gefahren – wie schön, ein solches Wort zu besitzen und zu wissen, daß Derjenige, Der spricht, der Heilige und Wahrhaftige ist, Der im Begriff steht, in der Treue Seiner Liebe zu kommen! Nichts kann Ihn hindern, das Pfand, das Er unseren Herzen gegeben hat, einzufordern. Er kommt; und Er wird bald für uns kommen!
Mögen unsere Herzen freimütig auf Sein Wort der Liebe und Wahrheit mit unserem „Amen!“ antworten! Seine Gnade sei mit allen!
(Ende des Vortrags)