Einführende Vorträge zur Offenbarung
Kapitel 15
Doch in Kapitel 15 und 16 wird eine einzigartige Szene beschrieben, der ich jetzt nicht viele Worte widmen kann. „Ich sah ein anderes Zeichen in dem Himmel.“ (V. 1). Es steht eindeutig mit dem in Verbindung, was wir in Kapitel 12 fanden. „Und ich sah ein anderes Zeichen in dem Himmel, groß und wunderbar: Sieben Engel, welche sieben Plagen hatten, die letzten; denn in ihnen ist der Grimm Gottes vollendet.“ Wir bemerken, daß es sich noch nicht um das Kommen Christi handelt. Das ist von Wichtigkeit, um den Aufbau dieses Teils unseres Buches aufzuzeigen. Wir müssen uns sorgsam vor der Annahme hüten, daß die sieben Schalen nach dem Kommen des Sohnes des Menschen zur Ernte und zur Weinlese der Erde ausgegossen werden. Weit davon entfernt, daß es so ist, werden wir finden, daß die Vision wieder zurückgeht. Ich sage nicht: Zum Anfang von Kapitel 14, sondern auf jeden Fall vor dessen Ende. Die allerletzte dieser Schalen, die siebte, redet von dem Fall Babylons. Dieser Akt des Gerichts entspricht nun der dritten Handlung Gottes in Kapitel 14. Die erste bestand in der Absonderung der Juden, die zweite im ewigen Evangelium an die Heiden und die dritte im Zusammenbruch Babylons. So bringt uns die letzte Schale nur bis zu diesem Punkt zurück. Folglich müssen wir keineswegs annehmen, daß die Schalen nach [den Ereignissen von; Übs.] Kapitel 14 folgen, sondern äußerstenfalls nach jenem frühen Abschnitt. Das ist wichtig, denn es mag einigen Lesern dazu verhelfen, eine richtigere Vorstellung zu bekommen, wie die verschiedenen Teile dieses Buches chronologisch eingeordnet werden müssen. Die letzte Schale ist auch der letzte Erguß des Zornes Gottes, bevor der Herr Jesus kommt. Folglich muß sie dem letzten Teil von Kapitel 14 vorausgehen. Sie ist, wie wir gesehen haben, mit dem dritten von sieben aufeinanderfolgenden Abschnitten jenes Kapitels synchronisiert. Das Ende von Kapitel 16 kann tatsächlich nicht weiter als bis zum dritten Schritt in Kapitel 14 reichen. Das vierte Ereignis möglicherweise, doch mit Sicherheit das fünfte, sechste und siebte Ereignis – sie folgen allen diesen Schalen nach.
Laßt uns diesen Gegenstand etwas näher betrachten! „Ich sah wie ein gläsernes Meer.“ (V. 2). Aber in den Begleiterscheinungen ist es hier von der Beschreibung in Kapitel 4 unterschieden. Dort sahen wir die Ältesten auf Throne in Gegenwart des gläsernen Meeres, welches das schweigende, doch starke Zeugnis ablegte, daß für diese Gläubigen irdische Nöte und Gefahren vorbei sind. An Menschen, die eine Waschung mit Wasser durch das Wort benötigen, sollte in jener Szene nicht mehr gedacht werden. Das alles ist verständlich und klar. Wenn die verherrlichten Heiligen in den Himmel hinaufgetragen worden sind, benötigen sie nichts mehr von dem, was durch das Waschbecken und sein Wasser zur Reinigung vorgestellt wird; denn das Meer aus Glas bezeugt, daß die Reinigung unveränderlich fest steht. Tatsache ist, daß sie sich jenseits des Schauplatzes befinden, wo Wasser benötigt wird, um ihre täglichen Verunreinigungen abzuwaschen.
Hier ist es nicht einfach ein gläsernes Meer, denn es ist mit Feuer vermischt. Was lehrt uns dieses? – Es erklärt, nach meiner Meinung, daß diese Erlösten durch eine Zeit furchtbarer und feuriger Prüfungen gehen mußten, wie es bei den Ältesten nicht der Fall war. Die Abwesenheit des Feuers in Verbindung mit den Ältesten ist genauso bedeutungsvoll wie die Anwesenheit desselben in Verbindung mit den Erlösten im Widerstreit mit dem Tier und dem falschen Propheten. Davon sprechen wir jetzt. Wenn dich die Leute fragen: „Müssen die Gläubigen durch die Drangsal gehen?“, dann ist die richtige Antwort: „Welche Erlösten meinst du? Sprichst du von jenen, welche die Ältesten, die beim Kommen Christi entrückt werden, verkörpern – sie müssen nicht in die Drangsal. Die Heilige Schrift ist da eindeutig. Falls du einfach wissen willst, ob irgendwelche Erlösten durch jene schreckliche Zeit hindurchgehen sollen – zweifellos ist es so.“ Kurz gesagt, müssen wir nur unterscheiden und alles wird vollkommen klar. Doch wenn wir die beiden Menschengruppen durcheinander werfen, wird alles zu einer unverständlichen Masse. Die Heilige Schrift kann nicht gebrochen werden.
Hier sehen wir also ein mit Feuer vermischtes gläsernes Meer. „Und ich sah wie ein gläsernes Meer, mit Feuer gemischt, und die Überwinder über das Tier und über sein Bild und über die Zahl seines Namens an dem gläsernen Meere stehen, und sie hatten Harfen Gottes.“ Von den Ältesten wird nirgendwo in irgendeiner Weise ein Sieg über das Tier vorhergesagt. Das Geschilderte steht auch keinesfalls mit den Ältesten in Verbindung. Es handelt sich um die abschließende Szene einer schrecklichen Prüfung. Das ist wichtig. Die Siege hier sind beschränkt auf die Zeit, wenn Satans letzte Pläne zum Abschluß gelangen. Diese Menschen hier wurden wahrscheinlich aus ihnen befreit vor dem Sturz des Tieres. Auf jeden Fall scheint der Zeitpunkt keine große Bedeutung zu haben. Tatsache ist jedoch zweifellos, daß diese Überwinder ausschließlich zu jenem Zeitabschnitt gehören, in denen der Teufel durch das Tier und den falschen Propheten seine letzten Anstrengungen macht. Genauer gesagt, handelt es sich also um apokalyptische Erlöste, und zwar die letzte Gruppe von ihnen. (Wir werden uns erinnern, daß wir in unserem vorigen Vortrag die ersten Leidenden sahen.1). Auch wenn diese unter der Hand des Römischen Reiches getötet sein mochten, so behielten sie nichtsdestoweniger den Sieg über dasselbe. Hier sehen wir sie mit den Harfen Gottes am gläsernen Meer stehen. Ihr Lobgesang für den Herrn war in keinster Weise geringer, weil sie durch das Meer der Leiden hatten gehen müssen, um in Seine Gegenwart zu gelangen.
„Und sie singen das Lied Moses‘, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes.“ (V. 3). Damit ist klar, daß es sich nicht um Christen im eigentlichen Sinn des Wortes handelt. Natürlich handelt es sich im wahrsten Sinn um Erlöste; sie befinden sich indessen nicht in jenem Verhältnis [zu Gott; Übs.], wie es heute besteht. Sie besitzen nicht jenes Band, das durch die Einwohnung des Heiligen Geistes in jenen verwirklicht wird, welche jetzt mit Christus verbunden sind. Dieses Band ist so ausschließend, daß jene Gläubigen, die einst unter Mose standen, jetzt nicht mehr unter ihm stehen. Sie anerkennen keinen Meister oder kein Oberhaupt mehr außer Christus. Hingegen behielten die Seelen, von denen wir hier lesen, weiterhin ihre Bindung zu den jüdischen Dingen, obwohl sie jenseits eines Zweifels Gott und dem Lamm dienen. Folglich hören wir sie sagen: „Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, Gott, Allmächtiger! gerecht und wahrhaftig deine Wege, o König [nicht: der Heiligen2, sondern:] der Nationen!“
In der Bibel gibt es keinen „König der Heiligen“. Das ist eine der schlimmsten Lesarten des verderbten überlieferten Textes der „Offenbarung“ (wohl des „Textus Receptus“; Übs.). Ich zögere nicht zu sagen: Erstens daß sie gegen die besten (Text-)Zeugnisse steht und zweitens daß sie eine unbiblische Lehre enthält und folglich verderblich ist! Denn was neigt praktisch mehr dazu, die besondere Beziehung der Heiligen des Herrn zu zerstören? Wir lesen nirgendwo von einem „König der Heiligen“, auch nicht dem Sinn nach. Für die Heiligen ist der Herr Jesus zweifellos ihr Herr und Meister. König ist jedoch eine Beziehung zu den Nationen, die auf der Erde leben. Eine solche Verbindung paßt in keinster Weise zum neuen Menschen. Außerdem gehören diese Menschen, soweit sie als Märtyrer gestorben sind, in Wirklichkeit zum Himmel, wo eine solche Beziehung doch sehr seltsam wäre. Es handelt sich also um eine fremde Lehre sowie auch eine erdichtete Lesart. Es wird auf Jeremia 10, 7 angespielt. Dort finden wir den „König der Nationen“ zusammen mit anderen Worten, die hier zitiert werden. Wenn es sich bei diesen Erlösten nicht ausschließlich um Heiden handelt, so enthalten sie auf jeden Fall solche. Das muß beim Lesen des Abschnitts im Auge behalten werden. Der wahre Titel lautet folglich „König der Völker“ oder „König der Nationen“. Zweifellos ist Er der König der Juden. Aber insbesondere jene erlösten Menschen, welche zu den Nationen gehören, werden und dürfen sich daran erfreuen, Ihn als den König der Nationen preisen zu dürfen.
„Wer sollte nicht dich, Herr, fürchten und deinen Namen verherrlichen? Denn du allein bist heilig; denn alle Nationen [auch hier ist es nicht Israel, sondern: „alle Nationen“] werden kommen und vor dir anbeten, denn deine gerechten Taten sind offenbar geworden.“ (V. 4). Sie nehmen den Triumph, der Gott für den Tag der Herrlichkeit des Kommens Christi vorbehalten ist, schon vorweg.
„Und nach diesem sah ich: und der Tempel der Hütte des Zeugnisses in dem Himmel wurde geöffnet. Und die sieben Engel, welche die sieben Plagen hatten, kamen aus dem Tempel hervor, angetan mit reinem, glänzenden Linnen, und um die Brust gegürtet mit goldenen Gürteln. Und eines der vier lebendigen Wesen gab den sieben Engeln sieben goldene Schalen, voll des Grimmes Gottes, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und der Tempel wurde mit Rauch gefüllt von der Herrlichkeit Gottes und von seiner Macht; und niemand konnte in den Tempel eintreten, bis die sieben Plagen der sieben Engel vollendet waren.“ (V. 5–8). Jetzt wird nicht die Lade des Bundes Gottes im geöffneten Tempel gesehen. Letzterer wird als „Hütte des Zeugnisses“ bezeichnet; und es folgen Gerichte über die abtrünnigen Heiden anstatt einer Offenbarung der göttlichen Ratschlüsse hinsichtlich Israels.
Fußnoten