Einführende Vorträge zur Offenbarung
Kapitel 13
Das Geschilderte führt uns folglich zu den Plänen, welche Satan erdacht hat, um seine schon lange gehegte Absicht auszuführen. Er möchte nicht allein Evangelium und Gesetz, sondern auch das Zeugnis vom Königreich Gottes in der Welt verdrängen. Es gibt zwei besondere Methoden, welche Satan anwenden wird und die geeignet sind, zwei Klassen von Menschen, die in dieser Welt niemals fehlen, zu fangen. Es handelt sich um natürliche Menschen; die einen lieben Macht, die anderen Religion. Ich spreche jetzt keinesfalls von irgend jemand, der aus Gott geboren ist. Doch es ist klar, daß das Herz des Menschen entweder hinter Verstand und Macht her läuft oder in religiöse Äußerlichkeiten strebt. Der Teufel wird daher zwei Hauptwerkzeuge als Führer von Systemen in den Mittelpunkt stellen, welche die menschliche Natur nach beiden Seiten ausdrücken. Sie sind völlig dem angepaßt, was das Menschenherz sucht und haben möchte. Satan hatte von Anfang an die Absicht, sich in dem Menschen als Gott darzustellen. Denn auch er möchte durch den Menschen wirken, so wie es Gott gefällt, alle Seine wunderbaren Wege und Ratschlüsse im Menschen zu verwirklichen. So ist der Herr Jesus nicht nur eine göttliche Person, sondern nicht weniger der Ausdruck der göttlichen Herrlichkeit und Seiner Gnade; und wie die Kirche der Gegenstand Seiner Liebe im himmlischen Segen – und Israel für die Erde – ist, so wird der Teufel genauso gewiß seine „Tiere“ haben wie Gott Sein Lamm. (Der Teufel kann nichts wirklich erschaffen, sondern nur die Wahrheit verderben und durch eine Art weltliche Nachahmung der Ratschlüsse Gottes lügen.). Das wird in Offenbarung 13 offen herausgestellt. Es gibt diese beiden Tiere: Das erste zeigt weltliche Macht, das zweite Religion; und beide sind abtrünnig.
„Und ich stand auf dem Sande des Meeres. Und ich sah aus dem Meere ein Tier aufsteigen, welches zehn Hörner und sieben Köpfe hatte.“ (Offenbarung 12,18–13,1). Das Tier, welches aus der rebellischen römischen Welt auftaucht, ist genau passend für den Drachen, um es mit Widerstand gegen die Absichten Gottes zu erfüllen. In Kapitel 12 wurde der Drache ähnlich gekennzeichnet wie jetzt das Tier. Beide zeigen die besonderen Formen der Macht, wie sie zum Römischen Reich gehören. Aber es gibt auch Unterschiede. „Und auf seinen Hörnern zehn Diademe, und auf seinen Köpfen Namen der Lästerung.“ Der Drache hatte die Diademe auf seinen Köpfen. Das Tier zeigt uns mehr den tatsächlichen Zustand: Die Hörner sind gekrönt. Der Drache steht für den Feind Christi, der in politischer Hinsicht das Römische Reich benutzt – und zwar vom Anfang bis zum Ende. Folglich sind die Köpfe bzw. die aufeinanderfolgenden Machtstrukturen gekrönt, nicht die Hörner. Letztere bilden sich erst wirklich vor dem Abschluß der Geschichte des römischen Reiches, jedenfalls nicht bevor die gotischen Barbaren das römische Westreich zerstörten.1 Auf der anderen Seite sehen wir in dem Tier von Kapitel 13 nicht nur den verborgenen Geist des Bösen, der von der Macht Roms in seinen verschiedenen Wandlungen Gebrauch macht, sondern auch dieses Reich in seinem letzten Zustand, nachdem seine Todeswunde am kaiserlichen Haupt geheilt und Satan ihm in seiner wiederhergestellten Gestalt seine Macht, seinen Thron und große Autorität gegeben hat. Das ist genau die Zeit, zu der die zehn Hörner ihre Macht als Könige empfangen. Das geschieht gemeinsam und stetig mit dem Tier, wie uns Kapitel 13 informiert. So sehen wir die Hörner des Tiers gekrönt (und nicht einfach die Häupter wie vorher bei dem Drachen).
Des weiteren wird das Tier danach in bemerkenswerten Ausdrücken beschrieben, die an jene anspielen, die aus Daniel 7 gut bekannt sind. „Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Pardel, und seine Füße wie die eines Bären, und sein Maul wie eines Löwen Maul.“ (V. 2). Hier finden wir gewisse Eigenschaften, welche den drei zuerst genannten Tieren des Propheten Daniel ähneln. Obwohl Satan nichts eigenständig erschaffen kann, übernimmt er doch alles, was er gebrauchen kann, aus dem, was einmal gewesen ist. Er bemüht sich durch diese einzigartige Kombination das Tier des vierten Reiches auf den Schauplatz zu führen (und es gibt keines mehr, das diesem nachfolgen wird). Auf diese Weise will er in den letzten Tagen alles übertreffen, was aus den alten Zeiten bekannt ist.
Was ist mit einem Tier gemeint? – Ein kaiserliches System oder Reich, welches es indessen ablehnt, den Gott in der Höhe wahrzunehmen. Der Mensch wurde erschaffen, um Gott anzuerkennen; und, wenn von Gott belehrt, ist er der einzige, der so handelt. Von allen Wesen auf der Erde war der Mensch so erschaffen worden, daß er auf eine Person in der Höhe hinaufblicken konnte. Er ist verantwortlich, den Willen Gottes zu tun. Das Tier blickt nicht hinauf, sondern nach unten. Es hat kein Empfinden für einen unsichtbaren Oberherrscher. „Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott!“ (Psalm 53, 1). Dem Grundsatz nach gilt dieser Satz für jeden unerneuerten Menschen. Doch hier ist dieses Kennzeichen umso furchtbarer, weil ein Reich die Autorität Gottes, die ihm in Seiner Vorsehung übertragen wurde, in dieser Welt widerspiegeln sollte. Kein Reich hat es vermieden, das sittliche Urteil, das diese Sinnbilder andeuten, auf sich zu ziehen. Dieses Tier hingegen wird alles übertreffen, was sich jemals erhoben hat.
Zur Zeit, als diese Weissagung gegeben wurde, existierte das vierte Tier noch. Dem Propheten wurde indessen gezeigt, daß aus einem Zustand politischer Erschütterung dieses Tier unmittelbar vor den letzten dreieinhalb Jahren aus dem „Meer“ heraufsteigt; und es steht in Verbindung mit dem Hinaustreiben Satans aus dem Himmel durch die Macht Gottes. Somit wird ein Zustand völliger Verwirrung im Westen gesehen; und eine kaiserliche Macht wird sich erheben. Das ist diejenige, die hier beschrieben wird: „Und ich sah einen seiner Köpfe wie zum Tode geschlachtet. Und seine Todeswunde wurde geheilt, und die ganze Erde verwunderte sich über das Tier.“ (V. 3).
Es ist nicht schwer, genügend Gründe zu finden, daß der verletzte Kopf die kaiserliche Macht der Herrschaft darstellt. Das Kaisereich des Westen wird schon lange untergegangen sein, wenn es merkwürdigerweise in den letzten Tagen wieder erscheint. Es ist jedoch einiges mehr als eine Neubelebung des Kaisertums, welches das Erstaunen der Welt hervorruft. Letztere hatte gedacht, daß es mit dem Römischen Reich ein- für allemal vorbei sei. Ein völlig neues Reich wäre für sie durchaus verständlich gewesen. Sie könnte sich ohne Weiteres ein Deutsches Reich oder eine Moskowiter Oberherrschaft oder irgendeinen anderen großräumigen Herrschaftsbereich mit einer großen Bevölkerungszahl vorstellen. Aber die Wiederbelebung des Römischen Reiches wird die Welt überraschen. Das ist ein Teil dessen, auf das sich hier bezogen wird. Die Grundlage für diese Behauptung beruht allerdings auf Offenbarung 17, sodaß ich hier nicht auf die Einzelheiten eingehen kann. Ich möchte auch nicht vorwegnehmen, was im nächsten Vortrag vor uns kommen wird. Es möge genügen, daß ich jetzt angebe, was ich für die Wahrheit halte, wie wir sie im Weitergehen zu diesem Thema geoffenbart sehen.
Aber dann wird es nicht einfach so sein, daß dieses Reich Eigenschaften der Macht aufweist, die auch zu mehr als einem der vorherigen Reiche gehörten, sowie auch eigene Besonderheiten, indem es durch eine Wiederbelebung des Kaisertums am Ende gekennzeichnet ist. Uns wird nämlich gesagt: „Und sie beteten den Drachen an, weil er dem Tiere die Gewalt gab, und sie beteten das Tier an und sagten: Wer ist dem Tiere gleich? Und wer vermag mit ihm zu kämpfen?“ (V. 4). Offensichtlich finden wir hier die Welt in einem Zustand des Abfalls (Apostasie) und des Götzendienstes. Sowohl der Drache als auch das Tier werden angebetet; und aus 2. Thessalonicher 2 wird klar, daß auch noch einer anderen Person Anbetung zuteil wird, die mit diesen beiden verbunden, aber doch unterschieden ist. Jene wird als „Mensch der Sünde“ bezeichnet. Dabei handelt es sich mehr um eine religiöse Macht. Das erste Tier ist eine politische Körperschaft. Das religiöse Haupt wird sich überhaupt nicht im Westen aufhalten, sondern in Jerusalem, und ein ganz besonderer Gegenstand der Anbetung im Tempel Gottes dort am Ende sein.2
Das erscheint vielen schwer verständlich, weil ausdrücklich gesagt wird, daß dieser Mensch der Sünde keinen anderen Gegenstand der Anbetung duldet. Doch dann mußt du dich daran erinnern, daß sie alle zu demselben „Unternehmen“ gehören! Daher bedeutet die Anbetung des einen, auch die Anbetung der anderen. So gibt es auch in Bezug auf die Anbetung des wahren Gottes keine Anbetung einer Person in der Gottheit, ohne den übrigen Personen dieselbe Huldigung zu erweisen. Es ist verkehrt, wenn jemand behauptet, den Vater anzubeten ohne den Sohn anzubeten; und wer Vater und Sohn anbetet, kann dieses ausschließlich in der Kraft des Heiligen Geistes. Wenn wir Gott als Solchen anbeten – wenn wir „Gott“ sagen, meinen wir nicht allein den Vater, sondern Vater, Sohn und Heiliger Geist. Genauso ist es auch bei diesem schrecklichen Gegenstück – der Frucht satanischer List und Macht am Ende. Das Anbeten des Drachen und des Tiers erscheint daher völlig vereinbar mit der göttlichen Anbetung an den Menschen der Sünde. Tatsache ist, daß sie, wie schon oft zu Recht bemerkt worden ist, als die große Gegen-Dreieinigkeit bezeichnet werden können – die Dreieinigkeit des Bösen im Widerstand gegen die Trinität der Gottheit. Die Quelle von allem ist offensichtlich der Teufel. Aber dann ist der öffentliche Führer seiner Macht in politischer Hinsicht das Tier und der große religiöse Bevollmächtigte, der alle Pläne und sogar Wunder zur Stützung des teuflischen Systems ausführt, das zweite Tier, das ist der Mensch der Sünde.
Das scheint die wahre und gemeinschaftliche Tragweite des Ganzen zu sein, wenn wir uns allen diesen Schriftstellen beugen. Ich bin mir bewußt, daß hier, wie in fast allem, unterschiedliche Ansichten bestehen. Doch dieser Einwand ist kraftlos. Die einzige Frage liegt darin: Was wird am besten dem Wort Gottes gerecht? Was stimmt am treuesten nicht nur mit seinem Wortlaut, sondern auch mit seinen großen Grundsätzen überein? Ich bin daher davon überzeugt, daß es keinen wirklichen Hinderungsgrund dafür gibt, daß diese drei Personen in der Anbetung vereinigt sind. Ich denke im Gegenteil, daß die Bedeutung und das Wesen dieser Angelegenheit nicht gut verstanden werden kann, wenn dieses nicht gesehen wird.
Verfolgen wir die anderen Punkte, welche die Bibel vor uns stellt! „Und es wurde ihm ein Mund gegeben, der große Dinge und Lästerungen redete; und es wurde ihm Gewalt gegeben, zweiundvierzig Monate zu wirken. Und es öffnete seinen Mund zu Lästerungen wider Gott, seinen Namen zu lästern und seine Hütte und die, welche ihre Hütte in dem Himmel haben.“ (V. 5–6). Auch hier scheint offensichtlich zu sein, daß es ein Volk im Himmel gibt, das aus dem Wirkungsbereich Satans und seiner öffentlichen Werkzeuge der Bosheit in der Welt weggenommen ist. (Vergl. Fußnote in der „Elb. Bib.“!; Übs.). Aber es gibt auch Erlöste auf der Erde. Die Hütte im Himmel mag verlästert werden und Satan mag jene, die dort wohnen, schmähen – er kann sie indessen nicht mehr antasten. Er kann sie nicht einmal mehr vor Gott anklagen. Darum verwendet er alle seine Kraft darauf, sich mit den Menschen auf der Erde zu beschäftigen.
„Und es wurde ihm gegeben, mit den Heiligen Krieg zu führen“ - sicherlich mit jenen, die nicht im Himmel sind – „und sie zu überwinden; und es wurde ihm Gewalt gegeben über jeden Stamm und Volk und Sprache und Nation. Und alle, die auf der Erde wohnen, werden es anbeten.“ (V. 7–8). Wir können feststellen, daß es unveränderlich eine Unterscheidung gibt zwischen der Menge der Heiden, welche über die Erde zerstreut leben, und jenen Menschen, „die auf der Erde wohnen.“ Der Unterschied besteht darin, daß der erstere Ausdruck umfassender ist; er umschließt die Welt als ganze. Der letztere spricht von einem beträchtlich kleineren Kreis, dessen Charakter von Weltlichkeit ausgeprägter ist, weil seine Menschen das himmlische Zeugnis von Christus und Seiner Kirche gekannt haben. Der Name [des Christentums; Übs.] mag zwar festgehalten werden, doch abtrünnige Herzen ziehen bewußt die Erde dem Himmel vor. Darum werden sie weder auf der einen, noch in dem anderen ihr Teil finden, sondern in dem See von Feuer.
Es ist ernst, wenn wir sehen, daß die Christenheit diesem Ziel entgegen hastet. Unglaube und Aberglaube sind heutzutage am Werk, die Christenheit rasend schnell dafür umzubilden. Alles, was in ihr wirkt, soll diesen weltlichen und gottlosen Zustand herbeiführen. Niemals, seitdem das Evangelium gepredigt wird, haben sich die Menschen in dieser Welt so häuslich niedergelassen, um sie zu verbessern. Als Folge vergessen sie Tag für Tag den Himmel. Sie denken an ihn als eine trübselige Unvermeidlichkeit, wenn sie sterben, weil sie es nicht vermeiden können, diese Welt zu verlassen. Doch ein Hinwenden zum Himmel sowohl als eine Hoffnung voller Freude als auch eine Heimat für die Sehnsucht – wann wurde er jemals so gänzlich aus dem Gedächtnis der Menschen verbannt? Diese Gedanken bereiten uns auf die Kennzeichnung vor, welche jenem Volk gegeben wird, welches vom Himmel gehört hat, aber mit Vorbedacht alle mit ihm verbundenen Hoffnungen aufgeben und sich auf der Erde niedergelassen hat. Sie wurden Bewohner der Erde. Die anderen werden „jeder Stamm und Volk und Sprache und Nation“ genannt. Sie haben verhältnismäßig wenig über das Evangelium gehört. Das Tier wird sich indessen um beide Gruppen bemühen, und ganz besonders um jene, von denen wir lesen: „Und alle, die auf der Erde wohnen, werden es anbeten, ein jeder, dessen Name nicht geschrieben ist in dem Buche des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an.“
Beachte sorgfältig: „Von Grundlegung der Welt an“ bezieht sich nicht auf das „geschlachtet“, sondern auf den aufgeschriebenen Namen! Johannes meint nicht, daß das Lamm von Grundlegung der Welt an geschlachtet worden ist. Hingegen wurde der Name von Grundlegung der Welt an nicht in das Buch des Lebens des geschlachteten Lammes eingetragen. Vergleiche Offenbarung 17, 8!
„Wenn jemand ein Ohr hat, so höre er! Wenn jemand in Gefangenschaft führt, so geht er in Gefangenschaft.“ (V. 9–10). Die Bedeutung dieser Aussage besteht darin, die Erlösten davor zu bewahren, die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen. Sie dürfen zu Gott schreien; sie dürfen Ihn auffordern aufzustehen, um die Erde zu richten; sie sollten jedoch nicht selbst kämpfen. Wenn das Tier seine Gewalt ausübt, sollten sie die Folgen davon erdulden. Es mag in die Gefangenschaft führen, darum muß es in die Gefangenschaft gehen. Es mag mit dem Schwert töten, doch es muß selbst getötet werden. Tatsächlich wird ihm ein noch schrecklicherer Untergang bereitet. Darüber hinaus wird dieses Ausharren mit den angehefteten vergeltenden Maßnahmen als ein allgemeiner Grundsatz und in einer Gestalt gebracht, daß er sich auf jeden Menschen beziehen kann. Er wurde sicherlich und ausdrücklich gegeben, um die Erlösten vor Fehler und Bösem zu bewahren. Ich denke nicht, daß dieser Vers sich unmittelbar auf das Tier bezieht. Es scheint mir vielmehr eine Warnung an die Erlösten Gottes zu sein. „Hier ist das Ausharren und der Glaube der Heiligen.“ Darin sehen wir die Anwendung.
Im letzten Teil des Kapitels sehen wir ein zweites Tier. Dieses erfordert mehr Aufmerksamkeit, denn es hat über diesen Gegenstand sehr viel Verwirrung und Schwierigkeiten gegeben; und diese Gefahr besteht immer noch.3 Beachten wir, daß es das zweite Tier ist, welches dem Herrn Jesus insbesondere ähnelt, indem es in Verruchtheit das darstellt, was den Herr Jesus im Guten kennzeichnet! Es ist wirklich ein „Tier“, das heißt, es besitzt eine Art kaiserliche Macht, obwohl höchstwahrscheinlich in einem viel kleineren Maß als das erste Tier. Dennoch sind die Kennzeichen kaiserlicher Macht mit ihm verbunden. Es ist ein Tier und nicht einfach ein Horn. In seinen Hörnern zeigt es seinen bezeichnenden Charakter. „Es hatte zwei Hörner gleich einem Lamme.“ (V. 11). Es täuschte vor, der Messias zu sein. Doch „es redete wie ein Drache.“ In Wirklichkeit war es ein Ausdruck Satans. „Und die ganze Gewalt des ersten Tieres übt es vor ihm aus.“ (V. 12). Daher ist klar, daß das zweite Tier in Wirklichkeit das tatkräftigere von den beiden und das wirksame Werkzeug des Bösen ist.
Das war schon immer der Fall in jeder Form der Bosheit, welche als Fälschung in diese Welt gebracht wurde. Die Organisatoren derselben – jene Menschen, welche diesen Einfluß ausüben, manchmal ungesehen, manchmal öffentlich – sind in der Regel Personen, welche Religion vorbringen. Die Religion der Erde ist die fruchtbare Quelle des schlimmsten Bösen, das unter der Sonne getan wird. Der Teufel könnte seine Pläne nicht ausführen, wenn es nicht so etwas wie eine irdische Religion gäbe. Ist es nicht schrecklich, daran zu denken? Ist es nicht auch ernst für solche, welche die geringste Verbindung zu ihr aufweisen?
In diesem Fall sollten wir auch beachten, daß das zweite Tier, welches Christus nachahmt und jenen Platz einnimmt, nicht aus dem Meer oder dem turbulenten Zustand der Nationen stammt, sondern aus der Erde. Es handelt sich um einen geordneteren Zustand, aus dem dieses Tier erscheint, welches alle Gewalt des ersten Tieres vor diesem ausübt. Das heißt, es geschieht in seiner Gegenwart und mit seiner vollen Einwilligung und nicht aufrührerisch. Nichts geschieht ohne das erste Tier. Alles geschieht in seiner Gegenwart; so wird hier ausdrücklich gesagt. „Und es macht, daß die Erde und die auf ihr wohnen das erste Tier anbeten“ (zwischen ihnen herrscht völlige Übereinstimmung), „dessen Todeswunde geheilt wurde.“ Bemerkenswerterweise erfahren wir in 2. Thessalonicher 2 nichts davon, daß dieser Mensch die Welt veranlaßt, das erste Tier anzubeten. Statt dessen erzwingt (bzw. auf jeden Fall beansprucht) er Anbetung und wird selbst als Gott angebetet; denn er fordert göttliche Anbetung für sich selbst.
Es klärt die ganze Angelegenheit, wenn wir uns daran erinnern, daß das erste Tier das Römische Reich ist und folglich seinen Regierungssitz im Westen hat. Im Gegensatz dazu hält sich das zweite Tier im Land Palästina auf und zeigt eine jüdische Gestalt. Jeder, der 2. Thessalonicher 2 betrachtet, vermag zu erkennen, daß wir auf das blicken, was sich im Land Judäa und nicht in Rom befindet. Insbesondere wird der Tempel Gottes gesehen, in den sich der Mensch der Sünde hineinsetzt, um ein Gegenstand der Anbetung zu werden. Wir sollten uns nämlich daran erinnern, daß wir die Heilige Schrift unter Zuhilfenahme der Heiligen Schrift lesen müssen. Angenommen, ich setze voraus, daß das zweite Kapitel von 2. Thessalonicher mir alles gibt, was die Bibel über den Menschen der Sünde mitteilt, beschneide ich die Schrift und muß notwendigerweise eine unvollständige Darstellung bekommen. Falls wir auf der anderen Seite nur das annehmen, was wir in Offenbarung 13 erfahren, fehlen uns gewisse Bestandteile des Bildes, die zur Vollständigkeit nötig sind. Ich glaube, daß alles dieses mit unübertrefflicher Weisheit durch Gott so geordnet worden ist, weil Er möchte, daß wir nicht nur einen Teil Seines Wortes lesen. Er wünscht, daß wir Sein ganzes Wort gründlich untersuchen. Er will kein angemessenes Verständnis über die heiligen Schriften geben, solange kein wahres Vertrauen auf alles, was Er uns gegeben hat, besteht und alles richtig gewürdigt wird. Demnach müssen wir alle Schriftstellen zusammensuchen, welche ausreichendes Licht zu dem Gegenstand liefern, auf den sie sich beziehen, um ein Thema wirklich verstehen zu können.
Es ist nun klar genug, daß wir im ersten Teil des Kapitels eine mächtige politische Macht vor uns haben. In gleicher Weise ist sicher, daß 2. Thessalonicher 2 kein gewaltiges kaiserliches System beschreibt, sondern eine religiöse Macht. Der Mensch der Sünde ist eine ganz und gar gesetzlose Persönlichkeit und doch in seinem Wesen eine religiöse Macht. Er beansprucht für sich, was eigentlich Gott gehört. Genau das erkennen wir auch in Bezug auf das zweite Tier.
Wir können in dem Sinnbild hier noch einen weiteren Gesichtspunkt erkennen. Das Tier hat zwei Hörner. Der Grund dafür steht, wie ich annehme, in Verbindung mit dem ganzen Zeugnis von Johannes. Jeder, der in dasselbe tiefer hineingeschaut hat, wird sehen, daß die allgemeine Linie dahin geht zu zeigen, was unser gesegneter Herr auf der Erde war, und nicht, was Er im Himmel ist. Ich gebe zu, daß es Ausnahmen bei Johannes gibt. Doch während Paulus‘ Thema darin besteht, unsere Blicke auf Christus im Himmel zu richten, zieht Johannes hingegen als ein besonderes Kennzeichen seines Zeugnisses unsere Aufmerksamkeit auf Christi Erdenleben.
Das scheint mir wichtig zu sein in Hinsicht auf die Bedeutung der beiden Hörner. Der Herr Jesus war, wie uns allen bewußt ist, ein Prophet auf der Erde; und sicherlich wird Er, wie wir wissen, als König über die Erde herrschen. Doch was befindet sich dazwischen? Er ist Priester; aber Er ist Priester im Himmel. Folglich ist es nicht Johannes‘ Aufgabe, das himmlische Priestertum Christi herauszustellen, sondern Paulus‘. Johannes entfaltet, soweit ich weiß, niemals die Ämter Christi in der Höhe. Das heißt aber nicht, daß er vermeidet, auf das hinzuweisen, was mit jenen in Verbindung steht. Beispiele finden wir in Kapitel 13 und auch Kapitel 14 sowie in den Kapiteln 17 und 20 seines Evangeliums. Das sind jedoch Ausnahmen. Die allgemeine Linie bei Johannes liegt darin, sich mit der Offenbarung Gottes durch Christus hienieden zu beschäftigen. Paulus‘ Lehre handelt von dem verherrlichten Menschen im Himmel.
Das, glaube ich, ist der Schlüssel zu den beiden Hörnern des Tieres. Wenn der Antichrist erscheint, wird er nicht den Platz eines Priesters einnehmen. Seine Anmaßung wird viel größer sein. Er wird behaupten, ein Prophet und König zu sein, indem er das nachahmt, was Christus für Israel sein wird. Wir haben zwei Hörner, nicht sieben. (Vergl. Offenbarung 5, 6!; Übs.). Es ist eine Nachahmung, doch nicht die volle Macht Christi. In dem Herrn sehen wir die Vollkommenheit der Macht. Genauso könnte auch vom Heiligen Geist in Bezug auf Seine Fülle der Macht für die Herrschaft gesprochen werden. Im Antichrist sehen wir das Sichanmaßen von dem, was Christus in Verbindung mit der Erde gehört, und die völlige Abwesenheit dessen, was für Ihn im Himmel gilt.
Hier haben wir beiläufig keinen geringen Beweis, daß der Gedanke, alles dieses in seiner vollen Bedeutung auf das Papsttum zu richten, ein Irrtum ist; denn das wesentliche Merkmal des Papsttums besteht gerade in der Behauptung, es sei der lebendige irdische Bevollmächtigte des Priestertums Christi. Genau genommen ist das eine Verfälschung des Himmlischen und nicht des Messianischen. Papismus ist viel mehr eine Anti kirche als ein Anti christ. Darin liegt der Unterschied.
Aber wenn Offenbarung 13 seine Erfüllung findet, gibt es keine Frage hinsichtlich der Kirche mehr. Der christliche Leib wird auf der Erde nicht mehr zu sehen sein. Die Heiligen der höchsten Örter befinden sich dann im Himmel. Folglich tritt der Antichrist nicht einfach mit einer Vortäuschung der priesterlichen Macht Christi auf, sondern mit einer betrügerischen Anmaßung der prophetischen Stellung Christi, die Er auf der Erde einnahm, und von Seinem königlichen Bereich, den Er auf der Erde beherrschen wird. Diese Person erhebt Anspruch auf beide Gewalten. Sie hat zwei Hörner wie ein Lamm und ist tätig in der Ausführung großer Zeichen und Wunder. Sie zeigt eine doppelte Wirksamkeit. Zunächst einmal leiht sie sich den kontrollierenden Einfluß des Römischen Reiches – sie übt die ganze Macht des ersten Tieres aus. Aber außerdem verrichtet sie sehr viel auf eigene Rechnung, das der römische Kaiser nicht tun kann. „Und es tut große Zeichen, daß es selbst Feuer vom Himmel auf die Erde herabkommen läßt vor den Menschen.“ (V. 13). Das heißt: Sie ahmt nicht allein die Macht Christi nach, sondern auch die Macht Gottes. Sie beansprucht Jahwe, der Gott Israels, zu sein. So wie Jesus genauso Jahwe ist wie der Messias, so wird dieses Gefäß der Macht Satans in Jerusalem das nachahmen, was Gott durch Elia tat, um die Ansprüche Baals zu widerlegen. (1. Könige 18). Wie wir wissen, kam Feuer hernieder und verzehrte das Opfer im Altertum. Gott bewies damit eindeutig, daß Baal kein Gott war, sondern nur Jahwe. So wird das zweite Tier Wunder bewirken – nicht in der Wirklichkeit, sondern nach dem Augenschein. „Es tut große Zeichen, daß es selbst Feuer vom Himmel auf die Erde herabkommen läßt vor den Menschen; und es verführt, die auf der Erde wohnen wegen der Zeichen, welche vor dem Tiere zu tun ihm gegeben wurde.“
Alles das zeigt, daß dieses Tier der Antichrist ist. Das erste Tier wirkt kein Wunder irgendwelcher Art. Es erstaunt die Welt durch die Wiederbelebung des Kaisertums. Das ist indessen etwas ganz anderes und kann richtigerweise nicht „Zeichen“ genannt werden. Es kann die Welt verblüffen (und wird es auch); dennoch ist es kein Wunder. Aber das Tier aus der Erde oder aus dem Land ist unvergleichlich mehr tätig und kraftvoll als das erste Tier; denn es bewirkt große Zeichen (zweifellos durch Satans Kraft, trotzdem ist es dieses Tier, welches sie vollbringt). Infolgedessen „verführt (es), die auf der Erde wohnen“, indem es insbesondere zu ihnen sagt, „ein Bild dem Tiere zu machen, das die Wunde des Schwertes hat und lebte.“ (V. 14). Ich bin nicht in der Lage zu sagen, ob es sich dabei um den Greuel der Verwüstung handelt, der am heiligen Ort aufgestellt wird. (Vergl. Matthäus 24, 15!) Es gleicht jedenfalls jenem Götzenbild und mag möglicherweise mit ihm identisch sein.
„Und es wurde ihm gegeben, dem Bilde des Tieres Odem zu geben, auf daß das Bild des Tieres auch redete und bewirkte, daß alle getötet wurden, die das Bild des Tieres nicht anbeteten. Und es bringt alle dahin, die Kleinen und die Großen, und die Reichen und die Armen, und die Freien und die Knechte, daß sie ein Malzeichen annehmen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn; und daß niemand kaufen oder verkaufen kann, als nur der, welcher das Malzeichen hat, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier ist die Weisheit. Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres, denn es ist eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.“ (V. 15–18).
Die verschiedenen Vermutungen, die hinsichtlich dieser Zahl gemacht wurden, sind mehr als unzulänglich. Es mag sein, daß es sich hier um eines jener Geheimnisse handelt, welche nicht enträtselt werden können, bevor diese Person erscheint. Wir dürfen sicher sein, daß dann wenigstens der Weise verstehen wird. Daß wir das Geheimnis heute schon verstehen sollen, ist, wie ich denke, mehr als wir voraussetzen können. Zu welchem sittlichen Nutzen kann es dann möglicherweise dienen? – Sicherlich zu allem, was die Seele belehren und erfrischen und vom Heiligen Geist zum wirklichen Segen benutzt werden kann, um uns von der Welt abzusondern und mit dem Himmel und vor allem Christus zu verbinden! Das dürfen wir aus der „Offenbarung“, wenn wir Heutige sie richtig verstehen, entnehmen. Tatsächlich glaube ich, daß wir viel mehr aus diesem Buch zu sammeln ver-mögen als jene Menschen, welche sich in den dort geschilderten Umständen befinden werden, in ihren Tagen ernten können. Trotzdem mag es einige Punkte geringfügigerer Anwendung geben, welche Gott in weiser Voraussicht noch zurückhält, Der nicht einfach die Neugier befriedigen will, wie es sonst der Fall wäre. Diese Kenntnisse werden erst von praktischer Bedeutung sein, wenn jene Zeit kommt. Ich bezweifle daher nicht, daß dieses hier einer jener Punkte ist, in denen der Herr den Verstand der Menschen heutzutage nicht zufriedenstellen will. Ich habe keine Erklärung gehört, welche in irgendeiner Weise überzeugend ist. Viele von den Deutungen, die angeboten wurden, sind völlig und offensichtlich falsch – zum Beispiel „Abfall“ (Apostasie) und ähnliche Auslegungen. „Abfall“ ist nicht die Zahl eines Menschen. Aus ähnlichen Gründen kann auch „abtrünnig“ nicht bestehen, noch „der Lateiner“ oder „das lateinische Reich“, obwohl sie sicherlich Beachtung verdienen.4 Des weiteren scheint es nicht so, daß es sich hier als allgemeiner Gedanke um die Zahl des Antichristen, des zweiten Tieres, handelt, sondern um die des Römischen Reiches oder vielmehr des Kaisers in seiner abschließenden Gegnerschaft gegen Jahwe und Seinen Gesalbten. (Vergl. Psalm 2!)
Fußnoten
- 1 Anm. d. Übers.: Im Jahr 410 wurde die Stadt Rom zum ersten Mal seit Christi Geburt geplündert, und zwar durch die Westgoten unter Alarich.
- 2 Vergl. J. N. Darby: Der Antichrist der Bibel, Die Zeit ist nahe, Heft 2, erhältlich bei: J. Das, Diekmissen 16, 24159 Kiel, das.joachom@vodafone.de
- 3 Siehe vorige Fußnote!, Übs.).
- 4 Es handelt sich hier um Vorschläge, die in der Auslegungsgeschichte dieses Verses gemacht worden sind. Vergl. Adolf Pohl (2000): Die Offenbarung des Johannes, 10./11. Aufl., Wuppertaler Studienbibel, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal, S. 365–368! (Übs.).