Antworten auf Fragen in Römer 11
"Um sie zur Eifersucht zu reizen"
Die nächste Antwort auf unsere Frage findet sich in Römer 11,11: „Ich sage nun: Sind sie etwa gestrauchelt, damit sie fallen sollten? Das sei ferne! Sondern durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden, um sie zur Eifersucht zu reizen.“ Wir haben schon gesehen, dass die Beiseitesetzung Israels keine endgültige, ihre Verblendung und Herzenshärtigkeit nicht ihr dauerhafter Zustand ist. Wohl sind sie gestrauchelt, aber ihr Straucheln war nicht wegen ihres Fallens. Zum zweiten Mal in diesem Kapitel steht hier nachdrucksvoll: „Das sei ferne!“ Weise diesen Gedanken soweit wie nur möglich von dir: den Gedanken, als könne Gott es zulassen, dass sein Volk, das Er auserwählt, das Er zuvor erkannt hat, gestrauchelt habe, um zu Fall zu kommen. Es wird uns hier eine herrliche Tatsache mitgeteilt; die Weisheit Gottes und die tiefgehenden Ratschlüsse seiner Gnade werden uns vorgelegt: „Durch ihren Fall ist den Nationen das Heil geworden.“
Diese wichtige Wahrheit ist in der alttestamentlichen Weissagung nicht unberührt gelassen, obwohl die volle Einführung in die erstere eine neue Offenbarung darstellt; denn wir lesen im Brief an die Epheser, dass die Fülle der Gnade Gottes gegenüber den Nationen (Heiden) eines der Geheimnisse ist, die durch Paulus kundgemacht worden sind. „ Deshalb ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für euch, die Nationen – (wenn ihr nämlich gehört habt von der Verwaltung der Gnade Gottes, die mir in Bezug auf euch gegeben ist, dass mir durch Offenbarung das Geheimnis kundgetan worden ist – wie ich es zuvor in kurzem beschrieben habe, woran ihr beim Lesen mein Verständnis in dem Geheimnis des Christus wahrnehmen könnt –, das in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden ist, wie es jetzt offenbart worden ist seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geist: dass die aus den Nationen Miterben seien und Miteinverleibte und Mitteilhaber der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium“ (Eph 3,1–6).
Bedeutet die Tatsache, dass der unergründliche Reichtum des Christus (Eph 3,8) unter den Nationen verkündigt werden sollte – damit die Versammlung (Gemeinde oder Kirche), die sein Leib ist, auch aus ihnen gebildet werde –, eine neue Offenbarung, so finden wir andererseits, dass der Wortlaut des Verses, mit dem wir uns gegenwärtig beschäftigen, uns auf das Alte Testament rückverweist.
In 5. Mose 32 gibt uns der Heilige Geist, in den Abschiedsworten Moses, einem von dem Hauch Gottes durchwehten Gesang und einer wunderbaren Weissagung, zugleich auch eine Geschichte des Volkes Israel. Seine Herkunft und Berufung, die Gnade und Güte Gottes gegen dasselbe, sein Ungehorsam und Abfall, seine Verwerfung und Bestrafung, Wiederherstellung und herrliche Zukunft: dies alles ist deutlich vorhergesagt und dargelegt. Lassen wir ruhig den ungläubigen Bibelkritiker versuchen, den Beweis für die in dem Lied Moses enthaltenen, übernatürlichen Dinge durch seine Erklärung zu entkräften. Es gibt keine Erklärung dafür; es ist ein Wunder.
Wir lesen in diesem Kapitel vom 15. Vers an: „Da wurde Jeschurun fett und schlug aus; du wurdest fett, dick, feist! Und er verließ Gott, der ihn gemacht hatte, und verachtete den Felsen seiner Rettung. Sie reizten ihn zur Eifersucht durch fremde Götter, durch Gräuel erbitterten sie ihn. Sie opferten den Dämonen, die nicht Gott sind, Göttern, die sie nicht kannten, neuen, die vor kurzem aufgekommen waren, die eure Väter nicht verehrten. Den Felsen, der dich gezeugt hat, vernachlässigtest du, und vergaßest den Gott, der dich geboren hat. Und der HERR sah es und verwarf sie vor Kummer über seine Söhne und seine Töchter. Und er sprach: Ich will mein Angesicht vor ihnen verbergen, will sehen, was ihr Ende sein wird; denn ein Geschlecht voll Verkehrtheit sind sie, Kinder, in denen keine Treue ist. Sie haben mich zur Eifersucht gereizt durch Nicht-Götter, haben mich erbittert durch ihre Nichtigkeiten; so will auch ich sie zur Eifersucht reizen durch ein Nicht-Volk, durch eine törichte Nation will ich sie erbittern“ (5. Mo 32,15–21).
Hier lesen wir von dem Abfall Israels. Der Fels, den es verachtet, der Felsen seiner Rettung ist kein anderer als der Herr Jesus Christus. Haben die Kinder Israel Gott gereizt durch ihre Untreue, so will der Herr sie durch ein Nicht-Volk zur Eifersucht reizen. Beachten wir, dass diese Ankündigung stattfindet, nachdem ihr Abfall voll und ganz erwiesen und dargestellt ist. Ebenso war es bei der Erfüllung. Als der Herr Jesus auf Erden war und das Reich der Himmel verkündigte, tat Er das den Seinen gegenüber, den Nationen wurde nichts davon kundgetan. Seinen Jüngern gebot Er, nicht auf einen Weg der Nationen, vielmehr zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel zu gehen. Nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt und nach der Ausgießung des Heiligen Geistes war seine liebende Hand noch immer nach seinem verblendeten, irrenden Volk ausgestreckt. Seine Gnade schwebte noch immer, gleichsam zögernd, über Jerusalem. Das sehen wir im ersten Teil der Apostelgeschichte. Erst nachdem der Abfall sich völlig erwiesen hatte, wurde Paulus, der Apostel der Nationen, als Werkzeug berufen, und durch ihn ließ Gott mitteilen, dass „durch ihren Fall den Nationen das Heil geworden“ ist, „um sie zur Eifersucht zu reizen“.
Im neunten und zehnten Kapitel unseres Briefes sind weitere Stellen aus dem Alten Testament angeführt, die Licht geben über die zeitweilige Verwerfung Israels und die Berufung der Nationen: „...uns, die Er auch berufen hat, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen. Wie Er auch in Hosea sagt:,Ich werde Nicht-mein-Volk mein Volk nennen, und die Nicht-Geliebte Geliebte.' Und es wird geschehen, an dem Ort, wo zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, dort werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt werden' (Röm 9,24–26, vgl. Hos 2,1.25). – „Jesaja aber erkühnt sich und spricht:,Ich bin gefunden worden von denen, die mich nicht suchten, ich bin offenbar geworden denen, die nicht nach mir fragten.' Von Israel aber sagt Er:,Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widersprechenden Volk'“ (Röm 10,20.21 und Jes 65,1.2). Wir wissen, dass das, was wir hier ausführen, von allen wahren Gläubigen, die Gottes Wort lesen und erforschen, angenommen ist. Es wird nicht bestritten, dass der, welcher „Gott ist, offenbart im Fleisch“, den Nationen gepredigt worden ist (1. Tim 3,16), nachdem die Seinen Ihn verworfen hatten. Durch ihren Fall ist das Heil den Nationen geworden; das wird von den Christen allgemein geglaubt. Was aber nicht bekannt ist und wenig geglaubt wird, ist die Tatsache, dass durch ihren Fall den Nationen das Heil geworden ist, um sie zur Eifersucht zu reizen. In dieser Tatsache liegt die Gewähr dafür, dass Gott sein Volk nicht verstoßen hat; denn hätte Er es verstoßen, warum sollte Er es dann zur Eifersucht reizen wollen? Diese seine Absicht, sein irdisches Volk dadurch zur Eifersucht zu reizen, dass Er das Heil auch auf die Nationen erstreckt hat und diese nun in Christus Segnungen empfangen, beweist hinlänglich, dass Gott sich noch immer mit seinem Volk beschäftigt.
Der Apostel bekräftigt ferner in diesem Kapitel, dass dieses Reizen zur Eifersucht die Errettung etlicher aus ihnen zum Ziel haben sollte (Röm 11,14). Wie deutlich geht auch hieraus wieder hervor, dass „Gott sein Volk nicht verstoßen“ hat. Ist nun aber der göttliche Vorsatz zur Ausführung gekommen? Ist Israel durch die Nationen, die im Besitz des Heils sind, zur Eifersucht gereizt worden? Haben die Juden erkennen können, dass die Nationen mit dem Christentum die besseren Dinge besitzen, die sie und ihre Väter zurückgewiesen haben? Ach! die Geschichte der Menschheit weist bis auf den heutigen Tag leider ein ganz anderes Bild auf. Im ersten Nachtgesicht Sacharjas findet sich die ernste Anklage: „Sie (die Nationen) haben zum Unglück (Israels) geholfen“ (Sach 1,15). Das ist jahrhundertelang der Fall gewesen, und es ist noch im zwanzigsten Jahrhundert so. Statt die Juden zur Eifersucht zu reizen, damit etliche von ihnen errettet werden, haben die Nationen sie gehasst und grimmig verfolgt, und durch die unchristliche, ja unmenschliche, grausame und gehässige Behandlung, der sich die Juden vonseiten der Nationen ausgesetzt sahen, sind die ersteren nicht nur nicht zur Eifersucht angeregt, sondern noch mehr verhärtet, und ihre Trübsale sind durch die Nationen noch vermehrt worden. Die Sünde gegen Israel ist die Sünde der Nationen, und wegen dieser Sünde wird der, der nicht nur der König der Könige, sondern auch der König der Juden ist, das Gericht an ihnen vollziehen (Mt 25,41; Joel 4,1.2).
Der Verfasser hat das Wort vielen Hunderten von Juden verkündigt. Mehr als einmal haben seine Zuhörer ihn unterbrochen mit der Frage, ob Jesus von Nazareth wirklich der Messias sei. Die Entkräftung jüdischer Einwendungen und Urteile gegen unseren Herrn hat ihm niemals Schwierigkeiten bereitet. Aber er musste mit Beschämung das Haupt sinken lassen, wenn der eine oder andere gebildete Israelit von den schrecklichen Verfolgungen sprach, durch die sein Volk in der Vergangenheit zu gehen hatte, von der barbarischen Behandlung, die ihnen in vielen so genannten „christlichen“ Ländern zuteilwird. Einmal erklärte ein älterer Jude: „Der Messias, dessen Nachfolger solche Dinge tun und uns hassen können, kann nicht unser Messias sein.“
Doch ist dies nicht überall der Fall. In diesen letzten Tagen wenden viele christliche Gläubige dem Volk Israel ein liebevolles Interesse zu, beten für dasselbe und erkennen, was sie dem Juden schuldig sind. Wir glauben, dass für Israel und für den Frieden Jerusalems mehr gebetet wird, als dies seit den Tagen der Apostel geschehen ist. Und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass „etliche von ihnen“ errettet werden.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen zwei Tatsachen: einmal, dass den Nationen durch ihren Fall das Heil geworden ist, und zweitens, dass eine Zeit kommt, in der Israel wieder angenommen wird: die Zeit ihrer Vollzahl. Diesen Zusammenhang finden wir im nächsten Vers, und damit einen der schlagendsten Beweisgründe für die Hoffnung Israels und ihre Berufung, von der danach die Rede ist.
Wir wollen die Betrachtung unseres Verses damit schließen, dass wir uns an eine andere Wahrheit erinnern. Wohl ist durch ihren Fall den Nationen das Heil geworden; doch wird das Heil der Welt nicht immer dargeboten werden, wie es jetzt geschieht. Das Jahr der Annehmung des HERRN, das nun ca. 2.000 Jahre währt, ist weit vorgerückt und bald wird ein neuer Tag anbrechen.