Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 133
Der Psalm hebt den Segen hervor, der sich aus guten, ungestörten Beziehungen zu Brüdern ergibt, wenn alle „einträchtig beieinander wohnen“ (Vers 1). Zwischen leiblichen Geschwistern besteht von Natur aus eine enge Verbindung. Da sie anfällig ist für Disharmonien, muss sich jeder bemühen, Übereinstimmung zu suchen und Eintracht zu pflegen. Der Heranwachsende erlebt dies zunächst in der Familie, danach auch unter den Menschen. Eine damit vergleichbare Eintracht wird auch in der geistlichen Gemeinschaft der Gläubigen erfahren. Doch solchen Frieden sucht der Teufel zu stören. Er sucht zu entzweien und Streit auszulösen. Wenn es ihm gelungen ist, das gute Miteinander von Gläubigen zu unterbinden, dann ist auch die geistliche Gemeinschaft dahin. „Denn wo Neid und Streitsucht ist, da ist Zerrüttung und jede schlechte Tat“ (Jak 3,16; 4,1). Dann bleibt der Segen von oben aus und der Herr wird verunehrt. Vielleicht ist Einzelnen noch bekannt, was geistliche Einheit unter den Gliedern des Leibes Christi bedeutet, aber das Gesamtbild bezeugt des Öfteren das Gegenteil. Daher das ernste Wort des Apostels: „Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle dasselbe redet und nicht Spaltungen unter euch seien, sondern dass ihr in demselben Sinn und in derselben Meinung vollendet (oder: zurecht gebracht) seiet“ (1. Kor 1,10; 2. Kor 13,11). Das Ziel dieser Schriftstellen ist, dass die Glaubensgeschwister geschlossen dastehen, nämlich in dem trefflichen Zustand schriftgemäßer Ordnung, unter bereitwilliger Einordnung jedes Einzelnen. Nach der Ausgießung des Heiligen Geistes am Tag der Pfingsten, als „sie alle an einem Ort beisammen“ waren, trat besonders hervor, dass der Geist Gottes die an Christus Glaubenden eint (Apg 2, Vers 1f und Verse 42–47). „Die Menge derer aber, die gläubig geworden waren, war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32). Daher konnte sich in ihrer Mitte geistliche Kraft offenbaren. Der Geist der Liebe war in ihre Herzen ausgegossen und verband sie in friedlicher Eintracht miteinander (Vers 1). Es gab keine Spaltungen unter ihnen, auch keine unterschiedlichen Anschauungen, weil sie sich ausnahmslos dem Herrn und der Führung durch den Heiligen Geist unterordneten. Sie waren „gleich gesinnt...untereinander“ und verherrlichten „einmütig mit einem Mund den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (Röm 15,5f; Phil 2,2–5).
Ein gutes Verhältnis unter Brüdern wird seit ältesten Zeiten als löblich betrachtet. Ist dies gestört, aufgelöst oder ins Gegenteil verkehrt, dann wird dies als außergewöhnlich und verderblich dargestellt. Man denke nur an die Ermordung Abels durch Kain und an die Auseinandersetzungen zwischen Jakob und Esau. Statt friedlicher Gemeinsamkeit in wohlwollendem Miteinander und anstelle gegenseitiger Liebe und Achtung traten Selbstsucht, Zwietracht, Sonderinteressen und Unverträglichkeit hervor und bewirkten Streit und Zerfall. Der große Segen, der die Eintracht unter Brüdern begleitet, ging verloren, weil die von Gott gewollte grundlegende Ordnung für eine gute Gemeinschaft außer Acht gelassen wurde. Man war nicht mehr in der Liebe Gottes für einander, sondern in Feindschaft gegeneinander. So erreicht der Feind Gottes und der Menschen seine Ziele.
Echte brüderliche Eintracht gedeiht nur bei gegenseitiger Aufrichtigkeit und Offenheit als Grundlage des Vertrauens. Einträchtigkeit, die nur zur Schau getragen wird, bleibt oberflächlich und wird bald zerbrechen. In noch zukünftiger Zeit wird durch den Geist Gottes echte Einmütigkeit unter den Israeliten im Reich des Messias bewirkt werden. Es wird ein makelloses Miteinander geben „an einer Wohnstätte des Friedens“ (Jes 32,15–18; Hes 37,16–23; Joel 3,1). Erst wenn die Herrschaft des menschlichen Geistes endgültig beseitigt ist und die Ziele Gottes, das Wirken des Heiligen Geistes und die Gesinnung Jesu an die Stelle eigenwilliger, von der göttlichen Wahrheit abweichender Gedankengänge getreten sind, wird es vollkommene Einheit geben. Dann werden alle in Liebe und Rechtschaffenheit beieinander wohnen.
In noch kommender Zeit werden mächtige Wirkungen des Heiligen Geistes, die durch „das kostbare Öl auf dem Haupt“ Aarons vorgebildet werden, sich in ganz Israel verbreiten. Die Gesinnung des Geistes der Liebe und der Wahrheit wird die Herzen einnehmen und alle Verhältnisse durchdringen. Der Wohlgeruch des ‚Öls‘ wird dann überall wahrgenommen und als lieblich empfunden (Vers 2; 2. Mo 29,7; 30,32f). Dieses Öl fließt sinnbildlich von oben herab, es kommt als Segen von Gott und erhält die Verbindung mit Gott auf vollkommene Weise aufrecht. Die Salbung war nicht auf das Haupt begrenzt. Sie ging zwar von ihm aus, – und das kann nicht anders sein, – entfaltete aber ihre Wirkung erst recht beim Herabfließen auf den Bart und den Halssaum der Kleidung Aarons. Damit vergleichbar, geht heute „die Salbung von dem Heiligen“ von Christus aus und wirkt in der Versammlung der Gläubigen (Apg 1,5.8; 2. Kor 1,21f; 1. Joh 2,20.27). Die Glieder des Leibes Christi werden durch die Salbung mit Heiligem Geist miteinander verbunden. Die davon ausgehende Kraft stärkt sie und verbindet sie in der Liebe des Geistes. Der Herr Jesus bekennt Sich mit Seinem Segen zu solchen, die in wahrhaft geistlicher Weise in Lehre und Wandel übereinstimmen und in aufrichtiger Liebe beieinander wohnen (Eph 4,1–6). Sie kommen gerne in Seine Gegenwart und sind bestrebt, geistliche Gemeinschaft miteinander zu pflegen. Sie lieben ihre Brüder und Schwestern im Herrn und achten einander. Unter ihnen kann der Geist Seine heiligende Kraft entfalten und die Ihm gemäße Frucht hervorbringen (vgl. Rossier und Darby).
Der Schlussvers stellt ein weiteres Bild von dem Segen eines einträchtigen Miteinanders vor die Blicke. In dem reichlichen Maß, wie der Tau des Hermon auf die Berge Zions herabfällt, wird sich auch eine Fülle von Segen auf Israel herabsenken. Auch dieses Bild veranschaulicht Schönheit und Lieblichkeit. Wie in dem vorhergehenden Bild wird hier wieder der Begriff ‚herabfallen' oder ‚herabfließen' verwendet. Der Segen fließt nicht aus menschlichen Quellen; er kommt wie das „kostbare Öl“ von dem HERRN herab zu denen, die sich an der von Ihm verordneten Stätte, dem Heiligtum in Zion, das heißt in Jerusalem, versammeln. „Denn dort hat der HERR den Segen verordnet“ (Vers 3). Als die Quelle, an der man in den Genuss der von oben kommenden Segnung gelangt, hat Gott einen bestimmten Platz vorgeschrieben; er ist eindeutig gekennzeichnet, um eigenwilligen Ordnungen vorzubeugen und zu verhindern, dass Gottesdienste an beliebigen Orten eingerichtet werden. Der HERR hatte für Israel „die Berge Zions“ erwählt, „um seinen Namen dahin zu setzen, dass er dort wohne“. Er hat dem Volk befohlen, dorthin zu kommen, um zu opfern (5. Mo 12,5f). Nicht irgendwo und überall, sondern an diesem Platz lässt Er den Tau vom Himmel herabfließen, um geistliches Leben und Wachstum zu ermöglichen und vielfältige Gnade zu gewähren. Von dort aus erreicht der geistliche Segen das ganze Land. Keinem anderen Ort außer dem Platz, wo der Herr gegenwärtig ist, kommt eine ähnliche Vorrangstellung zu. Mit dieser Anordnung wird auch dem Aufkommen von Rivalitäten auf dem Gebiet des Gottesdienstes gewehrt. Der Erhaltung der Einheit in geistlicher Hinsicht und in brüderlicher Eintracht hingegen wird aufs Beste gedient. Wenn der Geist Gottes wirken kann, empfängt der Gläubige den größtmöglichen Segen von Gott, und das ist hier „Leben bis in Ewigkeit“ (Vers 3). Durch den Heiligen Geist kommen immer nur Werke zustande, die das Zeitliche überdauern. Alle Gläubigen werden ein ewiges Heil in Frieden und in der Gemeinschaft mit dem Herrn genießen.