Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 132
Die erste Hälfte des Psalms befasst sich vorwiegend mit dem Wunsch Davids nach einer würdigen Anbetungsstätte. Die zweite Hälfte wendet sich der Zukunft des Hauses Davids zu. Es handelt sich um so bedeutungsvolle Zusagen an David und seine Nachkommen, dass Gott sie mit einem Schwur bekräftigt (Vers 11; Ps 89,4.5; Apg 2,30). Durch diese Verheißungen erfuhr David, dass der HERR noch Größeres und weit Höheres beabsichtigte als das bis dahin dem Volk Israel Offenbarte: Den Gottesfürchtigen wird eine Zukunft zugesichert, in der das bis dahin Bekannte durch unendlich weitreichende Segnungen übertroffen wird. Die Zukunft der Gläubigen ist ein ewig währendes Heil, das durch die ewige Herrschaft eines Nachfahren Davids sichergestellt wird. Das Heil ist gewährleistet durch die Vollkommenheit des kommenden Herrschers, der ununterbrochenen Frieden und ewige Ruhe schafft und dessen Krone ewig glänzt (Vers 18). Dieser Sohn Davids, der in Vers 17 „das Horn Davids“ und „mein Gesalbter“ genannt wird, ist Jesus Christus, der Messias Israels. Er bringt eine untrennbare Beziehung zwischen Gott und denen zustande, die Gott und Seinen Gesalbten Jesus Christus lieben. Ohne diesen Gesalbten hätte eine solche Verbindung niemals zustande kommen können.
Wenn das Werk Christi in der Zukunft vollendet sein wird und Er fortan als Herr und Gebieter über die ganze Erde herrscht, dann gibt es auf der Erde einen Mittelpunkt der Anbetung, den Tempel in Jerusalem, der für alle Menschen da ist. Währenddessen gibt es droben ein himmlisches Jerusalem, eine „Stadt des lebendigen Gottes“, deren Bewohner die Gläubigen des Alten und Neuen Testaments sind (Heb 12,22). Sowohl für den Himmel als auch für die Erde ist dann der Ratsbeschluss Gottes verwirklicht: „Ich will (oder: werde) unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein“ (2. Kor 6,16; Hes 37,27). Wer den Anforderungen Gottes entsprechend gereinigt ist, strebt der zukünftigen Herrlichkeit in der Gegenwart Gottes zu, er ist Gott wohlgefällig und wird Zutritt zu der Stätte Seiner Wohnung haben. Für Israel war die Stätte der Wohnung und Anbetung Gottes damals die Stelle, an der die Lade Gottes ruhte (Vers 8); sie wird hier die „Wohnungen für den Mächtigen Jakobs“ genannt (Vers 5). David hatte zu seiner Zeit durch den Geist Gottes erkannt, welch eine überragende Bedeutung diese „Stätte für den HERRN“ hat (Vers 5). Daher bemühte er sich mit heiligem Eifer, den passenden Ort und ein entsprechendes Haus bereitzustellen. In der Folge gab der HERR ihm die einzigartige Verheißung, dass einer seiner Nachkommen der Christus, der Messias, sein würde, in dem allein das Heil ist und „in dem wir errettet werden müssen“ (Apg 4,12).
In Vers 1 wird die Bitte geäußert, es möge dem HERRN vor Augen stehen, dass David mit unermüdlichem Eifer einen angemessenen Aufenthaltsort für die Lade Gottes als Mittelpunkt der Anbetung gesucht hat. Für David war es klar, dass der Wohnort der göttlichen Herrlichkeit nur durch die Bundeslade in würdiger Weise ausgestattet sein konnte. „HERR, ich habe geliebt die Wohnung deines Hauses und den Wohnort deiner Herrlichkeit“, so hatte David bereits in Psalm 26,8 geschrieben (1. Chr 22,1.14; 28,2ff). Eine derart hohe Wertschätzung der Wohnung des HERRN entsprach den Plänen Gottes (Ps 78,60–70; 2. Mo 29,42–45; 2. Sam 7; Apg 7,46). Und Gott ist nicht ungerecht, ein solches Werk zu vergessen, das wahre Liebe Seinem Namen gegenüber bewies und gute Einsicht erkennen ließ in das, was Gott gebührte (Heb 6,10). Die gnädige, weitreichende Antwort Gottes im weiteren Verlauf des Psalms bestätigt dies, insbesondere die Verheißungen der beiden abschließenden Sätze (Verse 17 und 18; Jes 37,35). Wie stark die Empfindungen Davids und wie fest seine Überzeugung hinsichtlich der Lade und des Wohnorts Gottes waren, wird eindrücklich sichtbar an seinem Gelübde in den Versen 2 bis 5. In seinem Bemühen und in der Festigkeit seines Vorsatzes bildete David den Herrn Jesus vor, der auf diese Erde gekommen ist, um einen Gott gemäßen, geistlichen Tempel und ein ewig bestehendes Heiligtum aufzurichten. Dabei übertraf die Größe der Verzichtleistung Jesu bei weitem den in den Versen 3 und 4 geäußerten Verzicht Davids auf Ruhe, solange die Lade nicht zur Ruhe gebracht war. Denn der ewige Sohn Gottes verließ die Herrlichkeit des Himmels und kam in Niedrigkeit auf diese Erde. Er machte keinerlei Gebrauch von den irdischen Bequemlichkeiten und ging zuletzt ans Kreuz, um am Fluchholz Sein Blut, Sein Leben hinzugeben. Es ging Jesus darum, zur Ehre Gottes das Ziel zu erreichen, dass verlorene Menschen in die heilige Gemeinschaft mit Gott kommen können und als Glaubende die alles Denken übersteigende Liebe Gottes erkennen.
Obwohl die Bundeslade in Vers 6 nicht ausdrücklich genannt wird, ist dort zweifellos die Rede von ihr. Man erinnerte sich zurzeit Davids daran, dass sie in Ephrata untergebracht war, und fand sie auf den Feldern Jaars, in einer Gegend, die wahrscheinlich mit Kirjat-Jearim identisch ist. David ließ sie herbeibringen, bis sie schließlich in Jerusalem ihren endgültigen Standort fand (2. Sam 6,2.15–17). Die Verse 6 bis 8 beschreiben den Erfolg der Bemühungen Davids (1. Chr 15,1ff; Hag 1,4). Nun hatte die Bundeslade, die in Vers 8 „Lade deiner Stärke“ genannt wird, einen Ruheplatz gefunden. Damit war mehr und Besseres erreicht als nur ein vorübergehendes Wohnen. Das Ruhen der Lade betont die Würde des Ortes, an dem Gottes Thron auf der Erde stand und der Sein Wohnort unter dem Volk und die von Ihm erwählte Stätte der Anbetung war, sowohl zur Zeit Davids und in der Folgezeit. Endgültig fand die Lade erst durch Salomo später im Tempel einen Ruheplatz. Zur Zeit Davids waren die Stiftshütte zu Gibeon und die Lade in Jerusalem noch getrennt. Der Brandopferaltar stand im Vorhof der Stiftshütte, nicht vor der Lade, und deshalb wurden die Opfer dort gebracht. Ps 84,3.5 setzt den Tempel voraus, indem es Vorhöfe gab.
In zukünftiger Zeit nach der Wiederherstellung Israels wird dann eine unveränderliche, Gott gemäße Heiligkeit und Gerechtigkeit dort wohnen (Vers 7; Ps 99,5; 100,4). Doch schon zu Davids Zeit und danach fanden die Anbeter dort die Ruhe für Herz und Seele, die zu einer Anbetungsstätte gehört. Gemeinsam hörten sie hier der Verkündigung der Wahrheit zu. Sie hatten Gemeinschaft mit Gott und untereinander und erfreuten sich daran. Damals war es Aufgabe der Priester, dort die Opfer darzubringen und dort die ihnen aufgetragene Rechtspflege wahrzunehmen (Vers 9a; 5. Mo 21,5). Dort können die Frommen in der Nähe Gottes weilen, beten und lobsingen. Sie wissen, in wessen heilige Nähe sie gekommen sind, sie verehren den HERRN und zeigen ihre Demut, indem sie „vor dem Schemel seiner Füße niederfallen“ (Vers 7). Die Sinne der Glaubenden sind auf das Geistliche ausgerichtet; sie sind von der Gegenwart des HERRN überzeugt. Seine Nähe findet damals in der Lade des Bundes ein sichtbares Sinnbild (Verse 8 und 9; vgl. 1. Sam 5). An diesem Ort erwartet Gott das Erscheinen der Frommen, die Seine Gegenwart und Seinen Segen suchen (Ps 84,8). Sie sind bekleidet „mit Kleidern des Heils“ und mit dem „Mantel der Gerechtigkeit..., nach Priesterart“, ihre Seele frohlockt in Gott (Verse 9 und 16; Jes 61,10; Sach 3,4f). Das freudige Herzunahen der Gläubigen ist der Beweis dafür, dass sie die Nähe ihres HERRN schätzen. Das Wesentliche des Gottesdienstes aber ist die Gegenwart des HERRN im Heiligtum bei der Bundeslade und neutestamentlich in der Versammlung (Mt 18,20). Seine Gegenwart wird im Glauben verwirklicht, sie verleiht der Anbetung den Sinn (4. Mo 10,35f; 2. Chr 6,41f).
Die Zusage des HERRN, dass es ganz sicher zu dieser Fülle von Gnadenerweisungen kommen wird, ist in den Verheißungen der Verse 11 und 12 an Seinen Knecht David enthalten. David, der Mann nach dem Herzen Gottes, ist durch seine Frömmigkeit, seinen Einsatz für das Heiligtum und durch seine Treue zum Empfänger der Verheißung und für viele andere zum Vermittler der darin enthaltenen Gnade geworden. Dieses Vorrecht hat Gott David, Seinem Auserwählten, eingeräumt, und das ist eine beispiellose Würdigung seiner Person (1. Sam 16,6–13; Ps 89,4.20; Apg 13,22.23). Gleichzeitig erwählte der HERR auch den Stamm Juda und den „Berg Zion, den er geliebt hat“ (Ps 78,68–72; 87,2), weil dort Sein Heiligtum erbaut werden sollte (Verse 13 und 14; 5. Mo 26,2). Gott gab dem David die herausragende Stellung mit den überaus weitreichenden Verheißungen um des hohen Zieles Seiner Ratschlüsse willen. Denn aus Davids Nachkommenschaft sollte der Messias Israels kommen, der Erretter aller Gläubigen (Apg 2,30ff; 2. Sam 7,10–14a). Dieser Beschluss enthielt bereits für die alttestamentliche Zeit, die mit dem Kommen Jesu Christi, Seinem Dienst in Israel und Seiner Verwerfung endete, ein über die Epoche des Gesetzes weit hinausreichendes Ziel für den Glauben und die Hoffnung der Gottesfürchtigen. Christus, der Gesalbte, ist als Mensch der Sohn Davids. Er zeigt die geforderten Eigenschaften des in den Versen 11 und 12 angekündigten Königssohnes in unvergleichlicher göttlicher Vollkommenheit. Gott bestätigte Ihm dies vom Himmel her mit den Worten: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Und die Gebete dieses einzigartigen Sohnes des Menschen werden immer erhört werden (Vers 10; Joh 11,42). So geschah es auch am Kreuz von Golgatha (Ps 22,22). Selbst den besten und berühmtesten unter den Königen aus Davids Geschlecht mangelte es an dieser Vollkommenheit (Amos 9,11). Keiner von ihnen hätte, „auf ewig“ auf dem Thron Davids sitzen können (Vers 12), um eine ewige Ruhe und immerwährenden Frieden in diese Welt zu bringen. Keiner konnte die Gott wohlgefällige Stätte bereiten, wo Er für immer wohnen will (Verse 13 und 14; Ps 48,2–9; 68,17; Jes 11,10; Röm 15,11.12; Off 22,16). Nur der Herr Jesus Christus, der allein vollkommene Sohn Davids und zugleich Gottes Sohn, füllt diesen Platz aus (Jes 9,5f; 53,10–12; Lk 1,31–33; Off 11,15). David hat sich in einer Gott wohlgefälligen Weise der Sache des Heiligtums angenommen und sich für die Wohnung des HERRN eingesetzt. Daher wurde er der Zusage für würdig erachtet, dass einer seiner Nachkommen, nämlich Jesus Christus, eine ewige Regentschaft empfangen sollte. An diese Verheißung schließt das Neue Testament an und verkündet gleich zu Beginn die Erfüllung des David zugesicherten Wortes.
Die Verheißung eines vollkommenen Sohnes Davids, der Israel eine Fülle von Segnungen geistlicher und irdischer Art und dazu göttlich geordnete Verhältnisse bringen würde, stützte bereits die gläubigen Israeliten in längst vergangenen Zeiten; dies wird sich in der noch kommenden Drangsalszeit Israels wiederholen (Jer 30,7–9; Mt 24,21.22). Anhand der Hinweise der Schrift haben gottesfürchtige Juden, die vor mehr als 2000 Jahren den Messias erwarteten, den Verheißenen in Jesus von Nazareth erkannt. Sie „hofften, dass er der sei, der Israel erlösen solle“. Aber ihre Hohenpriester und Obersten verurteilten Jesus Christus zum Tod und kreuzigten Ihn (Lk 24,20.21). Doch der Herr Jesus ist auferstanden und wird wiederkommen, um die Verheißungen der Heiligen Schrift in allen Teilen zu erfüllen. „Denn so viele der Verheißungen Gottes sind, in ihm ist das Ja, darum auch durch ihn das Amen“ (2. Kor 1,20). Dann wird Er nach dem Wortlaut der Verse 15 und 16 handeln und eine nicht endende Fülle von Segnungen über die gläubigen Israeliten bringen. Der Jubel Seiner Frommen wird sich fortan für immer fortsetzen (Ps 89,16–29; Jes 4,2–6). Das in Vers 17 genannte Horn ist ein Sinnbild der Kraft; es deutet die zukünftige Machtentfaltung Christi als Herrscher auf der Erde an (1. Sam 2,10; Hes 29,21; Lk 1,68–75). Der Ausdruck „wachsen“ im gleichen Vers hat auch die Bedeutung „sprossen“. Hierin liegt ein Hinweis auf Christus, den gerechten „Spross“ des HERRN, der dann als König regieren und Juda retten wird (Jes 4,2; Jer 23,5f; Sach 3,8; 6,12). Unter Seiner Herrschaft wird Heil sprossen und „Gerechtigkeit hervorwachsen“ (Jes 45,8). Er wird für immer als König der Könige und Herr der Herren herrschen und mit Ruhm und Ehre gekrönt sein (Ps 21,4–7; Off 17,14; 19,6.12.16). Er gibt Licht, und von Ihm wird überallhin Licht ausgehen und alles durchdringen. Er ist die mehrmals angekündigte Leuchte des Hauses Davids (Vers 17b), die nie erlöschen wird (1. Kön 11,36; 2. Chr 21,7). Aber Seine Feinde wird Schande und Vergeltung treffen (Vers 18; Jes 66,6.15; Lk 20,16).