Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 112
Der Psalm spricht von der Fülle des Glücks und des Guten, das der HERR dem zukommen lässt, der Ihn fürchtet. Die Grundhaltung und die Beweggründe der Gottesfürchtigen gefallen dem HERRN. Reichlich belohnt Er den Treuen, den Aufrichtigen und den Freigebigen. Die Gottesfurcht erschließt den Reichtum der Gott gemäßen Weisheit (Ps 111,10). Gottesfurcht und Weisheit sind voneinander abhängig; sie stützen und dienen einander, daher gehen sie miteinander. Sie gehören zum Fundament alles geistlichen Segens. So stellt es auch Spr 8,12f dar. Darüber hinaus ist ein fester Glaube unentbehrlich; offensichtlich war er bei dem Psalmdichter vorhanden. Der Psalm verheißt reiche Belohnung für einen Gott wohlgefälligen Wandel in der jetzigen Zeit und in den irdischen Verhältnissen. Dies beschränkt sich nicht auf materielle Güter, denn ein bemerkenswerter Teil des Segens erstreckt sich bis in die Ewigkeit, wie im zweiten und dritten Vers zu erkennen ist. Auch der sechste und der neunte Vers enthalten Hinweise auf eine ewige Segnung. Die einzelnen Verse des Psalms bestätigen die Glückseligkeit des Gottesfürchtigen (Mt 5,1–12). Wie im vorhergehenden Psalm folgt auch hier der Anfangsbuchstabe der Sätze der Ordnung des hebräischen Alphabets. Hier wie dort lautet die Überschrift: „Lobt den HERRN!“.
In Vers 1 ist Glückseligkeit als Lohn dafür verheißen, dass man den HERRN fürchtet, Seine Gebote hochschätzt und ihnen bei allen Entscheidungen den Vorrang einräumt (Ps 1,1f; 19,8–12; 119,1–6.24; 128,1f). Nur der fürchtet Gott wirklich, der Ihn und Seine Gebote liebt (Joh 14,21). Aus solcher Liebe und wirklichem Wohlgefallen an den Worten des HERRN geht wie von selbst deren Befolgung hervor. Die Neigung zum Gehorsam wird dann stärker sein als das Verlangen, „den Willen des Fleisches und der Gedanken“ zu tun (Eph 2,3). „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust; und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Ps 40,9; Heb 10,7–9; 1. Joh 5,3). Auf eine solche Haltung antwortet der HERR mit Segen in dieser Zeit und für die Ewigkeit (Verse 2 und 3; Ps 25,12–14; 102,29). Mit Wohlgefallen blickt Er auf den, der seine eigenen Belange zurückstellt und das Gott Wohlgefällige vorzieht, weil er Ihn vor Augen und im Herzen hat (Ps 84,11–13; 2. Kor 6,10; Eph 5,1f.15; Phil 3,7f). Für das, was man aufzugeben bereit war, gibt Gott überreichlichen und viel wertvolleren Ersatz. Das ist die Handlungsweise der ewigen Gerechtigkeit Gottes (Vers 3; Ps 34,10f; 111,3); sie hält eine hohe Belohnung für den bereit, der die göttliche Gerechtigkeit zu seinem Leitmotiv macht (Röm 2,6.7). Diese Verse reden nicht nur von geistlichen Gütern in ewigem Glück, sie gelten auch der gesegneten Zukunft eines Hausstandes und der Nachkommen, die dem guten Vorbild ihrer Vorfahren folgen möchten und daraus reichen Nutzen und Segen ziehen werden. Darüber hinaus dient ihre gottesfürchtige Haltung der gesamten Umgebung zum Zeugnis (Ps 37,18f.24f). Die göttliche Weisheit sagt: „Ich liebe, die mich lieben, und die mich früh suchen, werden mich finden. Reichtum und Ehre sind bei mir, bleibendes Gut und Gerechtigkeit. Meine Frucht ist besser als feines Gold,... um ihre Vorratskammern zu füllen“ (Spr 8,17–21). Gott liebt es, die zu ehren, die in Übereinstimmung mit Ihm leben und Ihn durch einen Wandel nach Seinen Gedanken ehren. Die höchste Ehrung für einen vollkommenen Wandel fand statt in der Auferweckung Jesu und in Seiner Erhöhung zur Rechten Gottes.
In den Versen 4 bis 9 häufen sich weitreichende Verheißungen von Glück und Segen für den rechtschaffenen Frommen. Sein Blick des Glaubens sieht die Zukunft zunehmend im Licht der Erkenntnis Gottes. Das Dunkle in den gegenwärtigen Umständen wird erhellt durch das vor ihm liegende Teil in der Nähe seines Herrn. Auf dieses Ziel schreitet der aufrichtige Gläubige geradlinig zu. Die gegenwärtigen Verhältnisse beurteilt er im Licht des vor ihm liegenden glücklichen Teils (Vers 4; Ps 97,11f). Gerade in der Nacht des Leidens und selbst beim Drohen der Dunkelheit des Todes strahlt dieses Licht als unzerstörbare Hoffnung, denn er vertraut dem Wort Dessen, der „den Todesschatten in Morgen verwandelt“ (Amos 5,8). Durch Glauben weiß er: „Der HERR ist mein Licht und mein Heil“ (Ps 27,1). Angesichts dieses Lichts verlieren persönliche, irdische Ziele ihren Glanz. Hinausschauend über die eigenen Belange, macht es ihn glücklich, den HERRN ehren zu können von seinem Vermögen, und der HERR wird es ihm vergelten (Vers 5; Spr 3,9f). Jesaja verheißt dem Barmherzigen: „Wenn du deine Speise dem Hungrigen darreichst und die niedergedrückte Seele sättigst, dann wird dein Licht aufgehen in der Finsternis, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag“ (Jes 58,9.10; Ps 37,26f; 1. Pet 3,8f). Gottes Wesen ist Licht und Liebe und das wird im Leben des Gottesfürchtigen sichtbar werden. Der Unbarmherzige handelt nach dem Urteil der Schrift nicht nur lieblos, sondern auch ungerecht. „Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde“ (Jak 4,17).
Wer Gottes Gebote liebt, wird auch Nächstenliebe zeigen. Von dem, der Güte liebt, kann man erwarten, dass er Recht übt und „die Hand des Elenden und des Armen stärkt“ (Hes 16,49; Jes 58,6.7; Mich 6,8; Sach 7,9), denn so wird die Person des Schwächeren geachtet und ihr Wohl gesucht. Das ist im Sinne Gottes und ehrt Ihn, weil es Seine Barmherzigkeit und Gerechtigkeit verwirklicht (Ps 111,4b; Mt 5,16; 1. Joh 3,7b). Daraufhin wird Gott das Wohl des Wohltäters suchen und ihm in Angelegenheiten, die Sorge bereiten, Barmherzigkeit und Recht widerfahren lassen (Vers 5b). Der Gottesfürchtige wird nicht eigensinnig sein Recht durchsetzen wollen, sondern die Dinge in die Hand Gottes legen, damit sie Seinem Willen gemäß geordnet werden. Er kann sicher sein, dass er bei solchem Vorgehen nie unglücklich werden wird. Zugleich bleibt er in der Gemeinschaft mit Gott. Nur das, was Gott will, hat Bestand, daher wird auch der bestehen bleiben, der Seinen Willen tut, und dies in Ewigkeit. In allen Fällen ist es das Richtige, sich im Reden und Handeln nach der Gerechtigkeit und Wahrheit Gottes auszurichten (Lk 6,35–38). Dann steht man auf dem Grund des ewig Beständigen, das seinen Ursprung in Gott hat. Wer diesen Standpunkt eingenommen hat, muss um seinen guten Ruf nicht bangen. Denn sein vorbildliches Verhalten bleibt im Gedächtnis, dies nicht nur bei Menschen, sondern vor allem bei Gott und dort für immer (Vers 6; Spr 10,7; 1. Thes 4,12; Heb 11). Das bedeutet ewiges Glück, und das ist ein weit größerer Vorteil als ein materieller Gewinn oder das glückliche Ende einer Angelegenheit. Der gottesfürchtige Gerechte wird nie vergessen werden, im Gegensatz zu dem Gottlosen, dessen Gedächtnis von der Erde ausgerottet werden wird (Vers 10; Ps 9,6; 34,17; 37,37f).
Wenn ihm auch Feinde übelwollen, wenn die Umstände gefahrvoll und die Nachrichten niederdrückend sind, ruht die Seele des Frommen trotzdem in Gott und vertraut Seinen Verheißungen (Vers 7; Ps 57,4–8). Der Gottesfürchtige verkennt die Gefahren nicht, er gewinnt seine Gelassenheit nicht durch Selbsttäuschung. Er vertraut auf den HERRN und erlangt dadurch innere Festigkeit. „Wer im Schutz des Höchsten sitzt, wird bleiben im Schatten des Allmächtigen“ (Ps 91,1). Von der Wahrheit dieser Zusage überzeugt, genießt er inneren Frieden und erfreut sich der Gemeinschaft mit Gott (Jes 26,3.4; Jer 17,7f; Apg 16,25). Er weiß den Allmächtigen auf seiner Seite. So verliert das drohende Unglück den bedrängenden Einfluss auf sein Herz. Die üblen Umstände einer Sache können sehr beängstigend sein und ihr Ausgang ungewiss, aber der Herr kennt die weitere Entwicklung und lenkt sie. Dies sicher zu wissen, genügt dem Gottesfürchtigen (Ps 55,23; Jer 29,11; 1. Kor 10,13). Der Glaube stützt sein Herz und gibt ihm Kraft, so dass er seinen Befürchtungen nicht erliegt (Vers 8; Spr 3,24–26; 24,10). Ein befestigtes Herz, in dem der Herr und die Gottesfurcht wohnen, ist gut gerüstet, allem Widerwärtigen standzuhalten. Doch der Glaube der Frommen wird der Prüfung unterworfen, damit er sich als echt erweist und sich im Ausharren bewährt. „Das Ausharren aber habe ein vollkommenes Werk, damit ihr vollkommen und vollendet seid und in nichts Mangel habt“ (Jak 1,4). Am Ausharren darf es nicht mangeln, bis die Prüfung überstanden ist. Wiederholt löst diese häufig bedrückende Zeitspanne in anderen vergleichbaren Schriftstellen ein banges Fragen aus: „bis wann?“ und „wie lange?“. Doch gerade in einer solchen Notzeit werden wir die stützende Hand des Herrn kennenlernen und zur Dankbarkeit geführt werden. Die Erprobung ist nötig, damit wir ein uneingeschränktes Ja finden zu Seinen Wegen mit uns. „Und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube“ (1. Joh 5,4).
Wenn der Gläubige die Güte und Barmherzigkeit Gottes selbst erlebt hat, dann wird es ihn hilfsbereit machen, gerne wird er sich anderer annehmen und sie unterstützen (Vers 9). „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Lk 6,36.). „Glückselig, wer Acht hat auf den Armen! Er wird glücklich sein auf der Erde“ (Ps 41,2.3). Gott liebt einen fröhlichen Geber und belohnt ihn, indem Er ihn in allem reich macht und ewige Frucht aus der geübten Gerechtigkeit hervorkommen lässt (2. Kor 9,7–11; Spr 11,24). Auf die Freigebigkeit des Gottesfürchtigen hin zeigt sich der Herr in göttlicher Weise freigebig und verheißt ihm Glück in jeder Hinsicht. Er wird ihm Widerstandskraft für jede schwierige Situation geben, wann und in welchem Maß auch immer er sie nötig hat. Gott allein vermag auf eine wirkliche und dauerhafte Weise zu belohnen und zu ehren. Zu solcher Ehre gelangt der Fromme unter anderem durch seine Barmherzigkeit. Der Gottlose dagegen hat kein bleibendes Glück zu erwarten (Vers 10; Spr 11,7; 24,20). Er begehrt Ehre und Reichtum und mag dies vorübergehend auch erreichen, doch er endet zuletzt in Verderben und Untergang. Das Heil und Glück eines Gottesfürchtigen anschauen zu müssen, mag in einem Gottlosen Unverstand und Ärger aufkommen lassen. Dagegen geht der auf Gott und Sein Wort vertrauende Gerechte einer wunderbar glücklichen Zukunft entgegen. Auch für diese Erde besitzt er bereits Zusagen, die ihn glücklich machen.