Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 106
Die Verse 1 und 2 rufen zur Verherrlichung Gottes auf. Das Gewissen erforschend, stellt schon der zweite Vers die Frage, wer denn zum Lob Gottes geeignet sei. Die Verse 3 bis 5 gehen dann weiter darauf ein, welche innere Einstellung und welches Verhalten den Anbeter vor Gott angenehm macht. Dieses Anliegen weiterverfolgend, sprechen sie vom Glück und von der Freude eines Herzens, das inmitten des Volkes Gottes im Bewusstsein der Errettung und der Gemeinschaft mit Ihm lebt. Von Vers 6 an macht sich der Psalmdichter eins mit den Sünden des Volkes Israel bis zurück in die Zeit seiner Väter in Ägypten. Anschließend kommt es bis Vers 40 zu einem umfassenden Sündenbekenntnis, das schonungslos herausstellt, dass sich das Volk in verschiedenen Situationen als gottlos und gleichgültig, als widerspenstig und lüstern, als götzendienerisch und abergläubisch gezeigt hatte. Durch ihre Verirrungen hatten sie den HERRN erzürnt und Seinen Geist derart gereizt, dass Er Sein Erbteil verabscheute (Vers 40). In den Versen 41 bis 47 ist von Strafgerichten für ihre Sünden die Rede, aber auch von dem Erbarmen des HERRN, der ihr Schreien hörte und sie rettete. Die letzten beiden Verse des Psalms kommen zurück auf das Lob und den Ruhm Gottes. Bei alledem ist aus der Fehlentwicklung der Mehrheit des Volkes die Lehre zu ziehen, dass selbst das eigene Anschauen und Miterleben von Wundern Gottes nicht genügt, um gottesfürchtig und gläubig einen guten Weg nach Seinen Gedanken zu gehen. Das Eindrucksvolle der Wunder verändert offenbar nicht das Herz und Gewissen des Menschen. Unerlässlich ist, dass er den Allmächtigen auch als den heiligen Gott und als den Richter über die Sünde erkennt und sich mit dem Bekenntnis seiner Sünden vor Ihm demütigt. Erst die tatsächlich vollzogene Abkehr von dem bisherigen, ins Verderben führenden Lebenswandel beweist, dass eine innere Erneuerung stattgefunden hat und die Hinwendung zu Gott echt ist. Der vorliegende Psalm sucht dies am Beispiel des Volkes Israel vorzustellen.
Mit kurzen Worten fassen die ersten beiden Verse des Psalms zunächst das zusammen, was Gott als Verherrlichung Seines Namens zukommt, sodann, was dem Glaubenden mit Gottes gnädiger Hilfe zur Gerechtigkeit und Glückseligkeit dient (Verse 3 und 4). Vers 5 beschreibt, welche Segnungen Gott Seinem Volk und somit jedem Einzelnen der Auserwählten zuerkennt, um Seine Erretteten in der Zukunft durch beständige Wohlfahrt im ewigem Heil zu erfreuen. Bereits jetzt, in der Zukunft aber in Vollkommenheit, werden die Erlösten Seine ewig währende Güte preisen (Jer 33,10–14). Gott ist gut, und Gutes zu erweisen ist Seine Freude. Darum beginnen und enden mehrere Psalmen mit dem Aufruf, Ihn wegen der vielfältigen Offenbarungen Seines Wesens zu rühmen und anzubeten (Verse 1 und 48; Ps 100,5; 107,1f; 118,1; 136,1). Das Ihm gebührende Lob ist zu groß, zu vielseitig und Seine Machttaten sind zu gewaltig, als dass man sie mit menschlichen Worten gebührend beschreiben könnte. Nicht hinreichend ist selbst die sehr große Zahl der vereinten Stimmen aller Erlösten (Vers 2; Ps 40,6; 71,14–19; 78,4). Dennoch erfreut es den HERRN jedes Mal, wenn durch Wenige oder Viele in dieser Zeit und Welt die Gelegenheiten zu wahrer, geistlicher Anbetung wahrgenommen werden.
Höchstes Glück ist es, zu denen zu zählen, die den HERRN in Ewigkeit preisen. Zu diesem Glück gelangt man auf dem Weg, den Sein Wort vorschreibt; es ist der Weg der Wahrheit, der Gerechtigkeit und Heiligkeit. Während der jetzigen christlichen Gnadenzeit ist Christus der Weg zum Heil und zum Frieden mit Gott. Durch Ihn erlangt der Glaubende Gerechtigkeit, Heiligkeit, Erlösung und ewiges Leben (Joh 11,25; 14,6; 1. Kor 1,30). Durch Ihn und Seinen Geist geleitet, kann der Gottesfürchtige „das Recht bewahren“ und Gerechtigkeit üben (Vers 3). Zur Belohnung ist ihm ein ewiges Teil in Glückseligkeit verheißen (Vers 31; Ps 15,1f; 19,12; 103,17f; 119,1–3, Mt 5,3–12). Gott wird sich ihm zuwenden und ihn aus der gegenwärtigen Gefahr retten (Vers 4; Ps 119,132). Denn „er zieht seine Augen nicht ab von dem Gerechten“ (Hiob 36,7). Die Tatsache, dass Gott dem Rechtschaffenen Gunst erweist, unterscheidet die Ihm Gehorchenden von allen anderen. „Und ihr werdet wieder den Unterschied sehen zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen, zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient“ (Mal 3,18). In Ewigkeit werden die, welche Gott dienen, Sein Heil als Auserwählte genießen und sich erfreuen an dem, was Er ihnen als Erbteil gibt (Vers 5). Die Geretteten aus dem Volk Israel sind Sein Erbteil auf der Erde (5. Mo 32,9; Ps 33,12). Sie werden hier die Erfüllung Seiner Verheißungen im Reich ihres Messias erfahren und sich miteinander und mit Ihm, ihrem König und HERRN, an der überall herrschenden Vollkommenheit erfreuen (Ps 37,11.34; Jes 65,18). Es gibt kein Heil und kein ewiges Wohlergehen ohne Ihn, den Heiland und Retter Jesus Christus. Die Gemeinsamkeit unter Seiner Gunst wird in Vers 5 besonders hervorgehoben, denn dann beschränken sich Glück und Freude nicht mehr auf nur Einzelne, sondern sind das Teil aller. Sein Volk im Himmel sowie das auf der Erde werden dann keinen anderen Wunsch mehr haben, als sich mit dem Herrn und untereinander zu freuen und Seinen Namen zu rühmen.
Vers 6 steht sozusagen als Überschrift über dem nun folgenden Sündenbekenntnis derer aus Israel, die das zukünftige Volk des Messias auf der Erde bilden werden. Das umfassende Bekenntnis betrifft nicht nur die frommen Israeliten zur Zeit des Psalmisten, es schließt auch die Sünden früherer Zeiten ein. Ähnliche, die Vergangenheit des Volkes betreffende Bekenntnisse finden sich in Esra 9, Neh 9, Ps 78, Jes 59, Klgl 3,40–43; 4,6; 5,7 und Dan 9. Dass sie in zukünftiger Zeit ein ehrliches Bekenntnis ihrer Ungerechtigkeit als Volk ablegen werden, wird schon in 3. Mo 26,40–45 prophetisch vorausgesagt, es schließt auch dort die Treulosigkeit der Väter dem HERRN gegenüber ein. Bereits in jener weit zurückliegenden Zeit hatte Gott ihnen versprochen, dass Er sie nicht verachten und Seinen Bund mit ihren Vorfahren nicht auflösen werde (1. Kön 8,46–53).
Die Verse 7 bis 33 beschreiben Vergehungen, durch die sich das Volk von der Zeit des Auszugs aus Ägypten an bis zur Inbesitznahme des Landes Kanaan verschuldet hatte. Schon als die ersten Wunder Gottes vor den Augen Israels in Ägypten geschahen, begegneten sie der Macht und Liebe Gottes vielfach mit Gleichgültigkeit und Unglauben. Als sie noch in Ägypten geknechtet waren und der HERR im Begriff stand, sie zu befreien, waren sie entgegen Seiner Aufforderung nicht bereit, ihre Götzen wegzuwerfen (Hes 20,6–8). Die Wunder, die vor dem eigentlichen Auszug geschehen waren, hatten sie nicht von Seiner überwältigenden Allmacht überzeugen können. Seine großen Taten hatten sie nicht dazu gebracht, Ihm Vertrauen entgegenzubringen, als das Heer der Ägypter sie bis zum Roten Meer verfolgte und ihr Glaube zum ersten Mal auf die Probe gestellt wurde (Vers 7). Stattdessen unterstellten sie Mose, er habe sie gegen ihren Willen und zu ihrem Schaden aus Ägypten weggeführt (2. Mo 14,9–12; Ps 78,11.42; Apg 7,38.39). Ein so offensichtliches Wirken Gottes unbeachtet zu lassen, kommt einer argen Herabsetzung Gottes gleich. Ein solcher Mangel an Glauben und Ehrerbietung Gott gegenüber bereitet den Weg zu weiterem Abwärtsgleiten und kann sogar dahin führen, sich offen gegen Ihn zu empören.
Trotz ihres Unglaubens blieb Gott bei dem Beschluss, Israel zu retten, und verfolgte weiter das Ziel Seines Bundes mit ihnen (5. Mo 4,37f; 7,7f). Er handelte um Seines Namens willen, „damit er nicht entweiht würde vor den Augen der Nationen“ (Hes 20,9–14). Außerdem wollte Er für alle Zeiten Seine göttliche Macht vor der Welt offenbaren (Vers 8). Wenn Er ihr damaliges Verhalten Seinem Handeln zugrunde gelegt hätte, dann hätte Er sie gerechterweise ihrem Schicksal überlassen müssen. Doch vor allem anderen geht es in der Heiligen Schrift um die Offenbarung der Herrlichkeit des Namens Gottes, und diese übersteigt menschliche Vorstellungen. Er allein vermag Wunder zu tun. Nur Er vermag die Schöpfung zu lenken und die Einhaltung der Regeln für alle Naturabläufe sicherzustellen. Bei Ihm ist die Fülle der Weisheit. Er ist der, der göttlich gerecht entscheidet und Güte erweist. Nur bei Ihm sind sichere Zuflucht, ewiger Frieden und Schutz zu finden. Durch Erweisungen der Herrlichkeit Seines Namens will Er Sich den Menschen zu erkennen geben, damit sie ihre Hilfe allein bei Ihm suchen und Gnade finden möchten (Verse 8ff; 2. Mo 9,16b; Jos 2,10). Darum ließ Er zur Zeit Moses den Meeresgrund so trocken werden wie Wüstensand und bereitete Seinem Volk den Weg zur Erlösung aus größter Not (Verse 9 und 10; 2. Mo 14,21). Die Heilige Schrift bringt dieses einmalige, wunderbare Ereignis in Ps 66,6; 78,13; Jes 63,11; Nah 1,4 in Erinnerung. Die Meerestiefe, die naturgemäß den Tod bedeutet, wurde durch göttlichen Befehl zu dem Weg ins Leben. Am gleichen Ort brachte die Wassermasse des Meeres für die Feinde bald darauf den Tod, „nicht einer von ihnen blieb übrig“ (Vers 11; 2. Mo 14,28f). Der in jeder Einzelheit übernatürliche Ablauf dieses Geschehens offenbart die herrliche Größe dessen, der es bewirkte. Das Wunder am Schilfmeer (Vers 9) stellt in Verbindung mit dem vorausgegangenen Passah bildlich den allein wahren Heilsweg vor Augen: die Erlösung von den Sünden und die Errettung aus der Macht des Feindes. Beides beruht auf dem Werk des Herrn am Kreuz! Wer den HERRN zum Führer hat, braucht selbst den Tod nicht mehr zu fürchten (Joh 10,9f; Heb 2,14f), denn er hat sich im Glauben dem wahren Erlöser und Befreier anvertraut. Angesichts der Verwirklichung des ihnen vorher angekündigten Wunders glaubte Israel zwar für kurze Zeit den Worten des HERRN durch Mose (Vers 12; 2. Mo 14 und 15). Doch sehr bald wurde offenbar, dass ihnen die Kraft zum Ausharren mangelte (Heb 10,38f; Jak 1,3f; 1. Pet 1,7). Ähnliches geschah, als später die Juden die wunderbaren Zeichen des Herrn Jesus sahen. Nur wenige von ihnen nahmen sie als Beweis Seiner göttlichen Macht wahr. Die Übrigen nannte der Herr wegen ihres Unglaubens „ein böses Geschlecht“ (Mt 12,39; 16,4).
Der freudige Gemütszustand und die momentan überzeugenden Eindrücke Israels waren nicht von Dauer; sie überstanden nicht die bald folgende Erprobung (Ps 78,11–13; Jer 2,31.32; Hos 6,4). Ihr Blick blieb nicht auf Gott gerichtet. Sie waren nicht wirklich von Seiner unendlichen Macht und Liebe überzeugt. Sie waren weit davon entfernt, auf die weitere Erfüllung der göttlichen Zusagen zu warten, und rechneten nicht mit der Durchführung Seines Plans, der nur Gutes für sie vorsah und ihre endgültige Rettung garantierte (Vers 13; Ps 33,11). Nicht Sein Wort gab ihren Gedanken die Richtung vor, sondern der Druck von außen, „denn der Mensch sieht auf das Äußere“ (1. Sam 16,7). Nicht durch Glauben wurden sie gelenkt, sondern durch das, was ihnen durch die Umstände gerade vor Augen trat (Röm 8,25; 2. Kor 5,7; Heb 11,1). Statt sich an die wunderbare Hilfe Gottes zu erinnern, dachten sie gleich zu Beginn der Reise ins verheißene Land an die Fleischtöpfe Ägyptens und sehnten sich dahin zurück (Vers 14; 2. Mo 16,3; Ps 78,18; Spr 21,26). Von ihrer „Begierde fortgezogen und gelockt“ (Jak 1,14f), verfielen sie in die Sünde, ihren Gott auf die Probe zu stellen (4. Mo 11,18ff), ob Er denn Vorsorge für sie getroffen habe und ob Er überhaupt in der Lage sei, in der Wüste ihre Ernährung sicherzustellen. Den Segen einer im Glauben verwirklichten Abhängigkeit von Gott kannten sie kaum. Ihr bitterer Vorwurf gegenüber Mose und Aaron, dass sie das Volk zum Verhungern in die Wüste geführt hätten, hieß nichts anderes, als an der Bereitschaft Gottes zu zweifeln, dass Er auf der weiteren Reise für sie sorgen werde. Nachdem sie erst vor kurzem durch Sein Eingreifen eine herrliche Befreiung erlebt hatten, wäre zu erwarten gewesen, dass sie im Vertrauen auf Seine Güte in Ruhe Sein erneutes Eingreifen abgewartet hätten. Mit Großmut und viel Nachsicht gab Gott ihnen trotz ihrer tadelnswerten Herausforderung „ihr Begehr, aber er sandte Magerkeit in ihre Seelen“ (Vers 15; 4. Mo 11,4–6.20). Nun hatten sie das, was sie für ihr Gelüst und für ihr Wohlergehen verlangt hatten. Aber der Verlust war weit größer als der Gewinn. Sie hätten besser daran getan, die Entbehrungen, die Gott ihnen auferlegte, auf sich zu nehmen. Zurückhaltung und Selbstbeherrschung wären eher am Platz gewesen. Was nützt die Förderung des äußeren Menschen, wenn dies für den inneren Menschen Nachteile zur Folge hat? Sie hätten alles Weitere der Liebe Gottes überlassen sollen. Seine Güte hätte sie sicherlich nicht verhungern lassen. Unglaube und Kurzsichtigkeit offenbarten ihre schlechte Haltung. Sie ließen sich von ihren Gelüsten leiten und ernteten Gottes Unwillen und unersetzliche Einbußen.
Die schwierigen Lebensbedingungen waren die äußere Ursache für das Aufbegehren des Volkes. Sie verlangten die Verbesserung der Lebensumstände. Als Nächstes lehnten sie sich gegen ihre Führer auf, deren Autorität Gott offensichtlich bestätigt hatte. Er sprach durch die Führer zu ihnen und ließ Seine Wunder durch sie geschehen. Unbestreitbar handelten Mose und Aaron im Namen Gottes, und von Ihm hatten sie die Ermächtigung dazu erhalten. Deshalb war der Aufruhr des Volkes nicht nur eine vom Neid geprägte Aufsässigkeit Mose und Aaron gegenüber, sondern eine offenkundige Empörung gegen den HERRN, denn vor ihren Augen war Aaron von Gott für sein Amt geheiligt und geweiht worden (Vers 16; 4. Mo 16). Eine größere Zahl machthungriger Männer nutzte einen im Volk gärenden Unwillen betreffs der Führungsposition von Mose und Aaron, um sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Sie warfen ihren Führern Überheblichkeit und Machtstreben vor und behaupteten, die gleichen Ansprüche wie Mose und Aaron zu haben. Weder der Gott wohlgefällige selbstlose Einsatz dieser beiden Männer noch deren Sendung und Anerkennung vonseiten Gottes fanden Beachtung. In Wirklichkeit waren die Aufrührer von Neid und Ehrsucht getriebene Rebellen. Nach Gottes Willen fragten sie nicht (1. Kor 16,15f; 1. Thes 5,12f). Sie waren gottlose Rädelsführer, die im Verlauf durch Gott Selbst auf furchterregende Weise vor aller Augen bestraft wurde (Verse 17 und 18; 5. Mo 11,6; vgl. Heb 13,17).
Die Verse 19 bis 23 beklagen, dass Israel sich in der Wüste bereits am Berg Horeb dem Bilderdienst hingegeben hatte (2. Mo 32) und gegen das Verbot verstieß, ein Abbild von Gott herzustellen. Statt sich im Glauben vor dem lebendigen Gott niederzuwerfen, huldigten sie einem gegossenen Bild und verneigten sich davor. Nicht mehr den wahren, alleinigen Gott hatten sie bei dieser Art von Gottesdienst vor Augen, sondern das goldene Abbild eines Stieres, der Gras frisst (Vers 20). Ihre,Herrlichkeit', den HERRN Selbst, hatten sie vertauscht gegen ein lebloses, materielles Gebilde ihrer eigenen Hände und nach ihren Vorstellungen, das in Wirklichkeit nichts kann und nichts nützt, das von ihnen jedoch nun wie Gott behandelt und verehrt wurde (Jer 2,11). Sie hatten Gott vergessen, „der Großes getan hatte in Ägypten“ und „Furchtbares am Schilfmeer“ (Verse 20 bis 22; 5. Mo 8,11; Jes 17,10). Angesichts dieser Nachbildung eines Kalbes, die man sich anschauen und mit den Händen betasten konnte, redeten sie sich ein, den Gott vor sich zu haben, der sie aus Ägypten heraufgeführt hätte (2. Mo 32,4 im Vergleich zu 5. Mo 10,21; Apg 7,40ff). Offenbar fehlte den Meisten von ihnen jede Einsicht über ein geistliches, dem Glauben gemäßes Betrachten des unsichtbaren, wahren Gottes. Für die Kunstbetrachtung mag ein goldenes Götzenbild ein eindrucksvolles Gebilde sein, das zu übersinnlichen Vorstellungen und allerlei Zeremonien anregen kann. Aber für Gott ist es ein Scheusal, das durch den bloßen Vergleich mit Ihm eine Schmähung Seines Namens ist. Und außerdem verstellt es allen, die es anschauen, gewollt oder ungewollt den Blick auf Ihn. Die Mehrzahl des Volkes hatte vergessen oder niemals verstanden, dass der wahre, alleinige Gott kein Ebenbild neben Sich duldet. Wer dies unbeachtet lässt und menschliche Erfindungen als seine Götter erwählt und sich vor Augen stellt, hat härteste Bestrafung zu erwarten (Vers 23; 2. Mo 32,10; 5. Mo 9,14). Die Verehrung eines Kalbes bedeutete nichts Geringeres als das Abfallen von dem allein wahren Gott. Jedenfalls war durch diese Sünde eine nicht zu schließende Bresche zwischen ihnen und Gott entstanden, vergleichbar dem Durchbruch oder einer Lücke im Verbund einer Schutzmauer (vgl. Jes 30,9–13). Wird der Riss, die Bresche in der Stadtmauer, nicht ausgefüllt, dann sind Verderben und Untergang die unvermeidliche Folge, wie es der HERR durch den Propheten Hes 22,30f, ankündigen lässt. Im vorliegenden Fall nahm Gott die Fürbitte Moses an, der mutig und selbstlos in die Bresche trat, die zwischen Gott und dem Volk entstanden war, und sich im festen Glauben an Gottes Barmherzigkeit für das Volk einsetzte (5. Mo 9,18–21.25f;Jes 22,9). Mose ist hier prophetisch ein Bild von Christus, der in den Stunden der Finsternis am Kreuz Sühnung getan hat, für alle, die an Ihn glauben.
Die Verse 24 bis 27 befassen sich damit, dass das Volk, das ihnen verheißene Land verschmähte und das ihnen Zugedachte für wertlos und gefährlich hielt. Mit dem herabsetzenden Urteil über das ihnen in Aussicht gestellte Geschenk verunglimpfte das Volk gleichzeitig Gott als dessen Geber (4. Mo 13,32; 14,1.11.23). Sie glaubten Ihm nicht und hörten nicht auf Seine Stimme (Verse 24 und 25; 5. Mo 1,25–32; Heb 3.16–19). Offenbar zogen sie anderes der Gabe Gottes vor. Nicht gerade in der Öffentlichkeit, aber „in ihren Zelten“, zu Hause in ihren Familien, murrten sie und beschwerten sich über das, wodurch Gott sie segnen wollte. Mit der bisherigen Führung waren sie nicht einverstanden. Es kennzeichnete sie, dass sie mit Gott unzufrieden waren und Ihm misstrauten. Sie konnten sich für ihre Zukunft Besseres vorstellen und hielten sich selbst für die Klügeren. Im Aufruhr gegen Gott entzogen sie sich Seiner Führung, um nach Ägypten zurückzukehren (4. Mo 14,3f). Sie glaubten nicht, dass Gott das Beste für das Volk vorhatte und es in jedem Fall herbeiführen würde, selbst wenn die derzeitigen Umstände es zu verhindern schienen. Vertrauensvolles Hoffen auf ein gutes Gedeihen im versprochenen Land war nicht vorhanden. Darauf folgte der Schwur Gottes, dass das ganze Geschlecht dieser Glaubenslosen als Leichname in der Wüste fallen sollte. So musste das eigenwillige, von Gott unabhängige Volk erfahren, was es heißt, wenn Er Sich abwendet (Vers 26; Ps 95,10f; 4. Mo 14,34f; 1. Kor 10,5). Sollten später ihre Nachkommen das gleiche Verhalten an den Tag legen, dann würde das Gericht der Vertreibung unter fremde Nationen die Folge sein, sie würden in alle Länder zerstreut werden (Vers 27; 3. Mo 26,32–35; Klgl 5,7f; Hes 20,23). Auch kommende Geschlechter Israels, die Gottes Gaben ebenso wenig achten und von Ihm abfallen, werden die Segnungen verlieren (5. Mo 28,15ff; 2. Kön 25). Ebenso schwerwiegende Verluste wird auch eine von dem Herrn abgefallene Christenheit erleiden.
Die Verse 28 bis 31 berichten, dass das Volk schon während der Wüstenreise in den Götzendienst abglitt, und dass daraufhin eine Plage unter ihnen ausbrach. Die Verse rühmen das mutige Einschreiten des Pinehas gegen den Hauptschuldigen (Vers 30; 4. Mo 25; 5. Mo 32,16; Hos 9,10) Durch den hinterhältigen Einfluss des Verführers Bileam, der vorher einmal schöne und sogar zutreffende Aussagen über das Volk gemacht hatte, wurde Israel seinem HERRN untreu (4. Mo 31,16). Es hatte Gemeinschaft gemacht mit den Verehrern des Götzen Baal-Peor, indem es von ihren Opfern aß (1. Kor 10,18–22; 2. Kor 6,14–16). Dabei war es Verbindungen eingegangen mit den Gegnern des allein wahren Gottes. Das hieß für die Beteiligten, den Tod anstelle des Lebens gewählt zu haben. Das Wissen um die unausbleiblichen Folgen der Verbindung mit gottlosen Menschen wird auch heute oft verdrängt. Einen ähnlichen Fehler begehen Christen, die an den verderbten Genüssen dieser Zeit und Welt teilhaben wollen. „Wir sind Schuldner, nicht dem Fleisch, um nach dem Fleisch zu leben, denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet (oder: müsst) ihr sterben“ (Röm 8,12.13). Wenn Pinehas wortlos über die Untreue des Volkes hinweggegangen wäre und den üblen Zuständen tatenlos zugesehen hätte, dann wäre er ebenfalls schuldig geworden, besonders angesichts seiner Stellung als Hüter der Heiligkeit des HERRN. Doch Pinehas hatte erkannt, wie sehr Gott hier herausgefordert wurde und was für ein Angriff auf breiter Front gegen den Heiligen Israels stattfand. Darum schritt er mit allem Nachdruck gegen das Böse ein. Sein Handeln richtete sich nicht gegen eine bestimmte Gruppe im Volk. Es galt ohne Ansehen der Person allein der Sache Gottes. Er tat es durch Glauben und wusste sich darin eins mit seinem Gott. Das von Gott abhängige Handeln dieses einen Mannes und seine aus der Gemeinschaft mit Gott gewonnene Kraft genügte, um die Plage abzuwehren, die als göttliche Vergeltung über das Volk kommen musste. Gott rechnete ihm diese Tat zur Gerechtigkeit. Er gab dem Pinehas Seinen „Bund des Friedens“ und eine außergewöhnlich weitreichende Verheißung für seine Nachkommen, die sich bis in die Ewigkeit erstreckt (Verse 30 und 31; 4. Mo 25,11–13). Erneut war ein treuer Mann des Glaubens rettend in den entstandenen Riss getreten (Vers 23) und Gott blickte mit Wohlgefallen auf ihn. Denn bei dem richterlichen Vorgehen, das Standfestigkeit und Überwindung erforderte, leitete ihn eine Gott gefällige Gesinnung, nicht etwa Überheblichkeit oder Fanatismus. Die hohe Belohnung (Vers 31) entsprach der göttlichen Einschätzung des Vorgefallenen. Daraus wird ersichtlich, wie schwerwiegend die Sünde Israels war.
Die Verse 32 und 33 befassen sich mit der Reaktion Moses bei einer ähnlich schlimmen Sachlage. Allerdings fand sein Handeln bei einer Versündigung Israels in der Wüste Zin nicht die Zustimmung Gottes. Das Aufbegehren des Volkes konnte selbst einen Knecht Gottes wie Mose derart in Zorn versetzen, dass er sich zu Affekthandlungen hinreißen ließ (4. Mo 20,1–13; 5. Mo 1,37; 3,26; 32,51). Im Unterschied dazu haben Gottes Zorn und Seine Langmut immer das richtige Maß. Vollkommenheit in dieser Hinsicht wird selbst von einem erfahrenen, in der Selbstbeherrschung Geübten kaum erreicht werden. Von jeder Sünde gehen Wirkungen aus, die dem zum Fallstrick werden können, der sich notwendigerweise damit zu befassen hat. Ein altes Sprichwort weist auf diese Gefahr hin: ‚Wer Pech anfasst, besudelt sich‘. „Es erging Mose übel ihretwegen“ (Vers 32), obwohl ein wiederholtes Fehlverhalten des Volkes die eigentliche Ursache gewesen war. Der Verweis darauf schützt allerdings nicht vor der Bestrafung eines persönlichen Fehlverhaltens. Entschuldigen kann auch nicht der Hinweis, die andauernd starke Belastung Moses sei für sein falsches Verhalten verantwortlich. Erklärend mag jemand vom ‚gerechten Zorn‘ reden, um den überreizten Geist verständlich zu machen. Indessen muss gerade der erforderliche Umgang mit Bösem im Selbstgericht vor den heiligen Augen Gottes geschehen, damit Sein Name in allem geehrt und geheiligt wird (4. Mo 20,8–13). Mose und Aaron sollten zu dem Felsen reden, nicht aber ihn mit dem Stab schlagen, wie Mose es getan hatte. Bei seiner Gereiztheit stand ihm vornehmlich das murrende Volk vor den Blicken. Im Zorn redete er sie als Widerspenstige an und schlug zweimal auf den Felsen ein, anstatt zu dem Felsen zu reden und geduldig auf das barmherzige Handeln Gottes zu warten. Mose zeigte sich hier nicht abhängig von Gottes Geist. Hatte denn die Kraft Gottes menschliche Unterstützung nötig? Durfte Mose die eigene Autorität zur Geltung bringen? Niemand sollte es dahin kommen lassen, dass er beim Urteilen und Richten sich selbst gefällt und sich über die stellt, die zu beurteilen sind. Eine ungute Art in Moses Charakter war sichtbar geworden, nicht aber Gottes Heiligkeit und Güte. In ihrer Gereiztheit sprachen einst die Jünger Jakobus und Johannes keineswegs im Geist des Herrn Jesus, als sie Feuer vom Himmel auf die Samariter, die Ihn nicht aufnahmen, herabfallen lassen wollten; und dieserhalb ernteten sie den Tadel des Herrn (Lk 9,51–55). Dadurch, dass er durch üble Vorfälle ungehalten und aufgereizt wurde, kann ein Christ den Heiligen Geist so betrüben, dass er für einen erforderlichen Dienst in der anstehenden Sache nicht mehr geeignet ist. Der Geist des Petrus war gereizt, als er bei der Festnahme des Herrn das Schwert zog und dem Knecht des Hohenpriesters das rechte Ohr abschlug. Auch ihn belehrte der Herr tadelnd (Mt 26,51f). Wer dem Herrn und den Menschen dienen will, muss im ständigen Aufschauen zu Ihm handeln und sich durch Seinen Geist führen lassen, nicht aber durch eigene Überlegungen und vermeintlich gute Absichten. Sonst wird Gott den Zwiespalt zwischen Seinem Sinn und menschlichem Sinn offenbar machen. Der Mensch, mag er auch rechtschaffen gesonnen sein, darf nicht in den Vordergrund treten. Gottes Wesen muss in allem zur Geltung kommen und Seine Absichten haben absoluten Vorrang. Mose gebrauchte damals in der Wüste unangebrachte Worte:,Werden wir euch Wasser hervorbringen?' (4. Mo 20,10). Gott wird nie durch Umstände beeinflusst. Dies nachzuahmen gelingt einem Menschen nur unvollkommen. Menschliches Handeln unterliegt allzu oft den Gefühlen.
Die Verse 34 bis 42 handeln weiter von wiederholtem Fehlverhalten des Volkes und von der darauf folgenden Strafe. Es sind Vorgänge, die in der Folgezeit die Geschichte Israels wiederholt kennzeichneten. Bis zum 39. Vers berichtet jeder Satz von der Missachtung ausdrücklicher Gebote und Verbote Gottes. Der Ungehorsam nimmt in Vers 34 seinen Anfang mit dem Vernachlässigen der Anweisung, bei der Inbesitznahme des Landes die bisher dort wohnenden Völker zu vertilgen (Ri 1,21.27ff; 2,1–5; 3,1–7). Die von Gott vorausgesagte Folge war, dass die Stämme Israels sich mit den Nationen vermischten und von jenen die Denkart und die üblen Gewohnheiten ihres Götzenkults übernahmen (Vers 35; Ri 2,12–15; 2. Kön 17,15; Esra 9,2; Hos 7,8). Die Stämme Israels wandten sich ab von der Verehrung des allein wahren Gottes und wurden Götzendiener. Weil sie nicht dem göttlichen Auftrag gemäß gegen die Kanaaniter vorgingen, fielen sie selbst schließlich schwerster Züchtigung anheim, obwohl sie von Gott frühzeitig vor den Folgen gewarnt worden waren (2. Mo 23,32f; 34,11–17). Rebellisches Verhalten und Angleichung an weltliche Gewohnheiten wird immer verheerende Folgen nach sich ziehen (Ri 5,8; 21,25). Auch heutzutage muss das ganze geistliche Gebiet, in dem Christen sich gemeinsam bewegen, vor der Verunreinigung geschützt werden. Der Götzendienst der Welt darf keinerlei Raum haben neben dem wahren Gottesdienst, der sich dadurch kennzeichnet, dass die heilige Gegenwart Gottes geglaubt und verwirklich wird. Dies gilt an erster Stelle für das Herz der Beteiligten und außerdem für den Ort, wo man sich zum Herrn hin versammelt und wo der Heilige Geist unter den Versammelten wirken will. Wenn man meint, wie Israel damals im Miteinander von Geistlichem und Weltlichem leben und Gottesdienst üben zu können, dann entweiht man das, was als heiliges Gebiet nicht nur ausgewiesen, sondern in Wahrheit und Wirklichkeit als solches erhalten werden muss. Man verschuldet sich, wenn man gleichgültig und leichtfertig die diesbezüglichen Warnungen des Wortes Gottes missachtet. Sowohl den Gläubigen als auch dem Herrn wird das weggenommen, was Gottes Haus und Sein besonderer Einflussbereich ist (Lk 19,45.46; Joh 2,13–17). Wenn man „weder kalt noch warm“ ist wie die Versammlung in Laodizea, dann wird Christus mit dem Ausspeien aus Seinem Mund antworten (Off 3,14–17). Die Haltung Gottes hierzu ist aus Vers 40 zu ersehen: „Da entbrannte der Zorn des HERRN gegen sein Volk, und er verabscheute sein Erbteil“ (Ps 78,58; Jes 1,10–15).
Die Verse 37 bis 39 lassen erkennen, in welche Tiefen der Verworfenheit die einmal eingegangene Verbindung mit weltlicher, völlig anders ausgerichteter Umgebung geführt hat. Es hatte sich ein ständiger Kontakt mit Völkern entwickelt, die den wahren Gott nicht kannten. Mehrere Stämme Israels duldeten die Gemeinschaft mit Personen und mit Gebräuchen der verbliebenen früheren Einwohnerschaft des Landes. Die Israeliten waren vielleicht der Meinung, diese Umstände beherrschen zu können, auch wenn die eigene geistliche Haltung dadurch sehr gefährdet wurde (Ri 1,35; 3,5–7). Dabei verkannten sie die Größe der Gefahr und ebenso sehr die nicht zu vermeidenden Schäden, obwohl sie vorher eindringlich darauf hingewiesen worden waren. Überdies besaßen sie selbst Götzen, weil sie ihre Neigungen zu fremden Göttern nie ganz abgelegt hatten (Jos 24,14f). Daraus entwickelten sich im Lauf der Zeit Übelstände, die sich bis zu der schrecklichen Opferung der eigenen Kinder ausweiteten und zum Entweihen des Landes durch unschuldiges Blut führten (3. Mo 18,21; 4. Mo 35,33f; 2. Kön 17,17; Jer 19,4.5; Hes 16,20). Im Lauf der Zeit sanken die Stämme Israels moralisch so tief herab, dass sie weder Gott noch das Leben der eigenen Söhne und Töchter achteten (Vers 38). Durch diese Taten, auch durch das Herstellen von Götzen und deren Verehrung, waren sie verunreinigt und zu einem wahren und heiligen Gottesdienst unfähig geworden. Das Unreine der heidnischen Gegenstände und Denkgewohnheiten, womit sie sich beschäftigten, schlug auf die Täter selbst zurück und verunreinigte sie. Denn „ihnen (den Götzen) gleich sind die, die sie machen“ (Ps 115,8; Jes 44,9; Jer 2,5). „Und sie verunreinigten sich durch ihre Werke und hurten durch ihre Handlungen“ (Vers 39), nämlich durch ihren Götzendienst, den die Heilige Schrift um seiner ekelhaften Unreinheit willen mit der Hurerei vergleicht (2. Mo 34,16; Hes 16,15ff; 20,43).
Mit der fortwährenden Auflehnung gegen Gott hatte das Volk schließlich „das Maß der Bosheit“ überschritten (Jer 5,28; Mt 23,32), so dass Gott Sein Erbteil mit Abscheu verließ und es den Feinden preisgab (Verse 40 und 41). Um Seiner Heiligkeit willen wandte Er Sich mit Zorn von ihnen ab (Ri 2,11–14). So ernteten sie die bitteren Früchte ihrer Schamlosigkeit. Entsprechend der Ankündigung in 5. Mo 28,63f wurden sie aus dem ihnen zugesprochenen Land herausgerissen, das ihre Vorfahren vordem unter vielen Entbehrungen und Kämpfen in Besitz genommen hatten (Neh 9,27–31). Wer den HERRN verlässt, den er als den allein wahren Gott kennt, der muss bedenken, dass er gleichzeitig sein Glück und seinen Frieden verliert und dass sein Schicksal letztlich ein Elend sein wird. Denn wer der Herrschaft des Herrn entfliehen will, öffnet sich gleichzeitig dem Einfluss des Feindes Gottes und wird von dessen Gefolgsleuten beherrscht werden. „Und ihre Hasser herrschten über sie; und ihre Feinde bedrückten sie, und sie wurden gebeugt unter ihre Hand“ (Verse 41 und 42; 2. Kön 17,20; 24,2ff; 25,21). Um frei von den Vorschriften des Wortes Gottes nach eigenen Vorstellungen Religion betreiben zu können, hatten sie ihre Abhängigkeit von Gott und die Gemeinschaft mit Ihm aufgegeben. Dadurch verloren sie Seinen Schutz und den Segen Seines Heilsplans, ebenso ihr Land und ihre innere und äußere Freiheit.
Die Schlussverse 43 bis 47 überblicken zusammenfassend die zurückliegende Geschichte Israels und äußern die Bitte um Rettung und Rückführung in ihr Land in der Zukunft. Oftmals hatte der HERR sie errettet, weil Er ihr Schreien gehört hatte und ihr Elend sah (Ri 2,18). Im Gegensatz zu Israels Schwanken zwischen Einsicht und erneuter Untreue bleibt Gott ewig Derselbe. In unveränderlicher Treue steht Er zu den Zusagen Seines Bundes mit ihnen und unverändert groß bleibt Seine Güte (Esra 9,9; Jes 63,9). Aber zum Ersten macht Er Sein Erbarmen grundsätzlich von Israels Demütigung abhängig und zum Zweiten davon, dass sie die Strafe für ihre Ungerechtigkeit annehmen (1. Kön 8,46–53). Sind diese Bedingungen ihrerseits erfüllt, dann wird Er des Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob und des verheißenen Landes gedenken (Vers 45). Seinen Bund mit ihnen vergisst Er nicht, denn Er bleibt ihr HERR, ihr Bundesgott (3. Mo 26,40–45). Was die zukünftige Wiederherstellung des Volkes betrifft, wird ein echtes gläubiges Vertrauen auf göttliches Erbarmen eine wichtige Stütze im Anschauen der Glaubenserfahrungen ihrer Vorfahren gewinnen. Denn schon zur Zeit Esras, Nehemias und Daniels hatte der HERR sich ihrer angenommen, indem Er sie „Erbarmen finden ließ vor allen, die sie gefangen weggeführt hatten“ (Vers 46). Israel darf sich in Zukunft auf die Zusage der Heiligen Schrift berufen: „Ich werde sie in das Land zurückbringen, das ich ihren Vätern gegeben habe, damit sie es besitzen“ (Jer 30,3.18; 31,23–25; Röm 11,25–29). Er wartet auf ihre in wahrem Glauben und Vertrauen ausgesprochene Bitte: „Rette uns, HERR, unser Gott“ (Vers 47a). Er wünscht, dass sie um Seines Namens willen beten: „Sammle uns aus den Nationen, dass wir deinen heiligen Namen preisen, dass wir uns rühmen deines Lobes!“ (Vers 47b). Eine solche Bitte wird der HERR erhören. Wenn die Umkehr zu Ihm in der Zukunft Wirklichkeit geworden ist, dann ist das Ziel Seines Plans trotz aller Widrigkeiten in der langen Geschichte des Volkes erreicht (Jes 14,24–27; Ps 33,10–12; Lk 1,68ff). Danach werden sie Ihn für immer preisen und loben. Sie rühmen Seinen Namen wegen der vielen Offenbarungen Seiner Herrlichkeit, die sie auf dem Weg als Volk Gottes kennengelernt haben. Der Inhalt des Psalms bezeugt die Treue des HERRN. Er gibt den einmal gefassten Ratschluss trotz aller Hindernisse auf menschlicher Seite nicht auf und verhindert, dass er von der Macht und List Satans durchkreuzt wird. Er erhält den Bund mit Abraham aufrecht und bleibt der barmherzige Gott, dessen Liebe sich stets als heilig, gerecht und wahr erweist. Dafür wird Er von Ewigkeit zu Ewigkeit gepriesen werden (Vers 48).