Gottes treuer Diener
Eine Auslegung zum Markusevangelium

Kapitel 6

Gottes treuer Diener

Die Ablehnung des Herrn Jesus wird jetzt immer deutlicher. Doch Er lässt sich weder dadurch noch durch die Ermordung Seines Herolds Johannes in Seinem hingebungsvollen und treuen Dienst für Gott und an Seinem Volk beirren. Im Gegenteil: Er bereitet Seine Jünger jetzt darauf vor, als Seine Boten auch in schwierigen Umständen auf Ihn zu vertrauen. Diese beiden Gegenstände, die Verwerfung Christi und die Zubereitung Seiner Jünger auf die neue Ordnung, sind daher auch die Hauptthemen der Kapitel 6 bis 10.

Die zweite Verwerfung Jesu in Nazareth (Mk 6,1–6)

(vgl. Mt 13,54–58)

„Und er ging von dort weg und kommt in seine Vaterstadt, und seine Jünger folgen ihm. Und als es Sabbat geworden war, fing er an, in der Synagoge zu lehren; und viele, die zuhörten, erstaunten und sprachen: Woher hat dieser das alles, und was ist das für eine Weisheit, die diesem gegeben ist, und solche Wunderwerke geschehen durch seine Hände? Ist dieser nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und ein Bruder von Jakobus und Joses und Judas und Simon? Und sind nicht seine Schwestern hier bei uns? Und sie nahmen Anstoß an ihm. Und Jesus sprach zu ihnen: Ein Prophet ist nicht ohne Ehre, außer in seiner Vaterstadt und unter seinen Verwandten und in seinem Haus. Und er konnte dort kein Wunderwerk tun, außer dass er einigen Schwachen die Hände auflegte und sie heilte. Und er verwunderte sich über ihren Unglauben. Und er zog durch die Dörfer ringsum und lehrte“ (6,1–6).

Der Herr Jesus kommt nun zum zweiten Mal in Seine Vaterstadt Nazareth zurück. Dort hatten Joseph und Maria schon vor Seiner Geburt gewohnt, und auch Er selbst hatte dort gelebt (vgl. Mt 2,23; Lk 2,4; 4,16–30). Seine Jünger tun das, was „Schüler“ des Herrn kennzeichnen soll: Sie folgen Ihm (V. 1). Die Ablehnung beim ersten Besuch hinderte Ihn nicht, wieder dorthin zurückzukehren! Wie üblich ging Er am Sabbat in die Synagoge, wo Er als wahrer Diener Gottes anfing zu lehren. Viele Seiner Zuhörer erstaunten über Seine Kenntnis, Seine Weisheit und die Wunderwerke, die Er tat (V. 2). Aber anstatt weiter zu forschen und zu erkennen, wer Er wirklich war, richtete sich ihr Kritikgeist gegen Seine ihnen doch so wohl bekannte Person: War dieser nicht der Zimmermann1, der in ihrer Mitte gelebt und gearbeitet hatte? Kannten sie nicht alle Seine Mutter und Seine Geschwister, die sie nach Ihm geboren hatte (V. 3)?

Wenn der Herr hier von Seinen Gegnern als „der Sohn der Maria“ bezeichnet wurde, so war das sehr ungewöhnlich. Normalerweise hätte man Ihn „Sohn des Joseph“ genannt (vgl. Joh 1,45; vgl. Mt 13,55). Wahrscheinlich lag in diesen Worten eine negative Anspielung auf Seine wunderbare Geburt, die für den natürlichen Menschen unbegreiflich und bis heute ein Gegenstand des Spottes ist (vgl. Joh 8,41). Seine Brüder waren zur damaligen Zeit noch ungläubig (Joh 7,5). Nach dem Erlösungswerk sind sie aber wohl zur Bekehrung gekommen. Sie gehörten danach mit Seiner Mutter Maria zur Schar der Jünger (Apg 1,15). Nur Jakobus und Judas sind uns näher bekannt, von Seinen Schwestern wissen wir nichts. Jakobus wurde einer der Führer der Versammlung in Jerusalem (Gal 1,19; 2,9) und ist der Verfasser des Jakobusbriefes. Judas schrieb ebenfalls einen Brief, in dem er sich „Bruder des Jakobus“ nennt (Jud 1). Da Joseph zum letzten Mal beim Besuch des Tempels mit dem zwölfjährigen Jesus erwähnt wird (Lk 2,41–51), wird von den meisten Auslegern angenommen, dass er danach nicht mehr lange lebte.

Die Menschen von Nazareth sahen einen unerklärlichen Widerspruch zwischen der Herkunft des Herrn Jesus, die sie zu kennen meinten, und Seinen außergewöhnlichen Taten und Worten. Da sie diese Frage nicht lösen konnten, wollten sie von Ihm nichts annehmen, wie deutlich und klar Sein Zeugnis auch sein mochte! Sie ärgerten und stießen sich an Ihm, dem Eckstein, der doch bei Gott auserwählt und kostbar war (vgl. 1. Pet 2,6–8)! – Ähnliches hatten bereits Joseph und David von ihren leiblichen Brüdern zu ertragen. Diese beiden Vorbilder auf unseren Herrn kannten in schwachem Maß etwas von der Verachtung, die Ihm hier entgegenschlug.

Der Herr Jesus konnte aufgrund dieses Unglaubens, der Ihn als vollkommenen Menschen in Verwunderung versetzte, in Seiner Heimatstadt kein Wunderwerk tun, außer einigen Schwachen die Hände aufzulegen und sie zu heilen. Das Hindernis lag nicht bei Ihm, sondern bei den Menschen. Er war immer bereit, in Liebe zu dienen. Doch wo die Herzen sich vor Seiner Liebe verschlossen, konnte Er sie nicht ausüben (V. 5).

Erstaunlich erscheinen die Worte „Und er verwunderte sich über ihren Unglauben“. Wie konnte der allwissende Sohn Gottes, der Er doch immer war und blieb, sich verwundern? Dies ist jedoch kein Einzelfall. Matthäus 8,10 und Lukas 7,9 berichten von Seiner Verwunderung über den Glauben des Hauptmanns von Kapernaum. Diese Bemerkungen sind ein klares Zeugnis über die Wirklichkeit der Erniedrigung des Sohnes Gottes als Mensch. Nur Johannes, der Ihn als Sohn Gottes darstellt, erwähnt diese Verwunderung des Herrn nicht.

Deshalb wandte Er sich ab und besuchte die ringsum liegenden Dörfer und lehrte dort. Nach Nazareth kehrte Er wohl nie wieder zurück. Die Evangelien schweigen jedenfalls darüber. Die ungerechtfertigte Ablehnung in Nazareth hinderte Ihn jedoch nicht, Seinen Dienst in der Umgebung fortzusetzen (V. 6).

Die Aussendung der zwölf Apostel (Mk 6,7–13)

(vgl. Mt 10,5–11,1; Lk 9,1–6)

„Und er ruft die Zwölf herzu; und er fing an, sie zu zwei und zwei auszusenden, und gab ihnen Gewalt über die unreinen Geister. Und er gebot ihnen, nichts mitzunehmen auf den Weg als nur einen Stab; kein Brot, keine Tasche, kein Geld in den Gürtel, sondern Sandalen untergebunden; und zieht nicht zwei Unterkleider an. Und er sprach zu ihnen: Wo irgend ihr in ein Haus eintretet, dort bleibt, bis ihr von dort weggeht. Und welcher Ort irgend euch nicht aufnimmt und wo sie euch nicht hören, von dort geht hinaus und schüttelt den Staub ab, der unter euren Füßen ist, ihnen zum Zeugnis. Und sie gingen aus und predigten, dass sie Buße tun sollten; und sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Schwache mit Öl und heilten sie“ (6,7–13).

Der Herr Jesus hatte aus Seinen Jüngern zwölf erwählt, die bei Ihm sein sollten, um von Ihm zu lernen (Kap. 3,13.14). Nun sandte Er sie zu zweit als Zeugen aus, um Seinen Auftrag zu erfüllen, das irdische Volk Gottes zur Umkehr und zur Anerkennung des Messias zu führen. Ihre Botschaft war das Evangelium des Reiches, das bereits von Johannes dem Täufer und anfangs vom Herrn Jesus selbst verkündigt worden war (Kap. 1,14; Lk 16,16). Über den Inhalt ihres Auftrags wird hier – im Unterschied zu Matthäus und Lukas – nur wenig gesagt. Ihre Befähigung dazu erhielten sie von Ihm selbst. Er gab ihnen Gewalt über die unreinen Geister. Dadurch wurden sie in ganz besonderer Weise als Gesandte des Königs legitimiert. Die unreinen Geister waren „Vasallen“ Satans, der sich selbst zum Fürsten der Welt gemacht hatte (V. 7). Wer sich stärker erwies als er, war ein Zeuge für die Macht und die Tätigkeit des Königs, der ja gesagt hatte: „Wenn ich aber durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch gekommen“ (Mt 12,28).

Wie alle Diener Gottes (auch in der heutigen Zeit) sollten sie sich um ihr äußeres Wohlergehen keine Sorgen machen. Ihren Wanderstab sollten sie mitnehmen, alles andere würde ihnen zur rechten Zeit gegeben werden. Der Auftrag des Herrn, nur einen Stab, aber weder Brot noch Tasche, noch Geld mitzunehmen, steht nur scheinbar im Widerspruch zu Seinen Worten in Matthäus 10,9 und 10. Der Unterschied beruht offensichtlich auf dem Tätigkeitswort „verschaffen“ bei Matthäus, das heißt auf der zusätzlichen Vorsorge. Nicht einmal die kleinste Geldreserve sollten sie bei sich haben. Das gewöhnliche Wort für „Geld“ ist dasselbe wie für „Silber“ (griech. argyrion). Hier steht jedoch „Kupfer“ (griech. chalkos); aus diesem Metall wurden nur die kleinsten, geringwertigen Münzen geprägt (V. 8). Sie sollten Sandalen an ihren Füßen tragen, aber kein zweites Unterkleid anziehen (V. 9). Alles, was auch nur den Anschein von Absicherung vor unvorhergesehenen Dingen trug, sollten sie unterlassen. Sie sollten nur auf Den vertrauen, der sie jetzt aussandte. Ist das nicht ein sehr ernster Hinweis für uns Christen in den westlichen Ländern, die wir so leicht mit in den weltlichen Sog der Sucht nach materieller Absicherung hineingezogen werden können?

Dennoch sollten wir nicht aus dem Auge verlieren, dass diese „Regeln“ in erster Linie während des Erdenlebens des Herrn Jesus galten, während Er bei Seinem irdischen Volk war. In Lukas 22,35–38 gibt Er den Jüngern andere Anweisungen für die Zeit Seiner Abwesenheit. Dann würden sie verachtet sein und mit Gewalt konfrontiert werden. Doch sind auch diese Worte unseres Herrn nicht buchstäblich aufzufassen, wie Seine Reaktion auf die Entgegnung der Jünger „Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter“ zeigt. Als Petrus dann im Garten Gethsemane dennoch das Schwert zieht, erhält er eine ernste Rüge. Immer und in allen Situationen gilt, dass wir nicht besorgt sein sollen, sondern alle unsere Sorgen auf Ihn werfen dürfen (Mt 6,25–34; Phil 4,6; 1. Pet 5,7)!

Da, wo ihnen Gastfreundschaft angeboten wurde, sollten sie sie dankbar annehmen (V. 10). Wo sie aber nicht aufgenommen wurden, sollten sie sogar den Staub unter ihren Füßen abschütteln, um zu zeigen, dass diejenigen unter dem Volk Gottes, die Seine Gnade ablehnten, wie Heiden betrachtet wurden. Auch Paulus handelte später ähnlich, wenn die Juden das Evangelium ablehnten (V. 11; vgl. Apg 13,51; 18,6).

Die zwölf Apostel zogen aus und riefen die Menschen zur Buße auf (V. 12). Aber sie machten auch von der ihnen von ihrem Herrn verliehenen Macht Gebrauch, trieben Dämonen aus und heilten viele Schwache (V. 13). Wenn auch einige Parallelen zur Aussendung der Diener in der gegenwärtigen Zeit bestehen, zeigt der Abschnitt insgesamt doch, dass es sich hier um eine besondere Sendung der zwölf Apostel während des Erdenlebens Christi inmitten Seines irdischen Volkes handelte: der Zeugnischarakter des Ausgehens zu zweit, die Macht über böse Geister und die Abwendung von solchen, die das Zeugnis der Gnade Gottes in Christus nicht annehmen wollten. Hier sehen wir deutliche Unterschiede zu unserer Zeit, in der das Evangelium der Gnade Gottes verkündigt wird. Das Vertrauen auf die Fürsorge Gottes auf dem Weg und der Aufruf zur Buße dagegen sind Dinge, die auch heute die Diener des Herrn kennzeichnen sollen.

Herodes und Johannes der Täufer (Mk 6,14–29)

(vgl. Mt 14,1–12; Lk 9,7–9)

„Und der König Herodes hörte von ihm. (Denn sein Name war bekannt geworden; und sie sagten: Johannes der Täufer ist aus den Toten auferstanden, und darum wirken solche Kräfte in ihm. Andere aber sagten: Es ist Elia. Andere aber sagten: Ein Prophet wie sonst einer der Propheten.) Als aber Herodes es hörte, sagte er: Johannes, den ich enthauptet habe, dieser ist auferstanden.

Er, Herodes, hatte nämlich hingesandt und Johannes greifen und ihn im Gefängnis binden lassen wegen Herodias, der Frau seines Bruders Philippus, weil er sie geheiratet hatte. Denn Johannes hatte Herodes gesagt: Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben. Herodias aber trug es ihm nach und wollte ihn töten, und sie konnte nicht; denn Herodes fürchtete Johannes, da er wusste, dass er ein gerechter und heiliger Mann war, und er verwahrte ihn; und wenn er ihn gehört hatte, so tat er vieles, und er hörte ihn gern.

Und als ein geeigneter Tag kam, als Herodes an seinem Geburtstag seinen Großen und den Obersten und den Vornehmsten von Galiläa ein Gastmahl gab und ihre, der Herodias, Tochter hereinkam und tanzte, gefiel sie Herodes und denen, die mit zu Tisch lagen. Der König sprach zu dem Mädchen: Erbitte von mir, was irgend du willst, und ich werde es dir geben. Und er schwor ihr: Was irgend du von mir erbittest, werde ich dir geben, bis zur Hälfte meines Reiches. Und sie ging hinaus und sagte ihrer Mutter: Um was soll ich bitten? Diese aber sprach: Um das Haupt Johannes’ des Täufers. Und sie ging sogleich mit Eile zu dem König hinein und bat und sagte: Ich will, dass du mir sofort auf einer Schale das Haupt Johannes’ des Täufers gibst. Und der König wurde sehr betrübt; doch um der Eide und um derer willen, die mit zu Tisch lagen, wollte er sie nicht zurückweisen. Und sogleich schickte der König einen Leibwächter und befahl, sein Haupt zu bringen. Und der ging hin und enthauptete ihn im Gefängnis. Und er brachte sein Haupt auf einer Schale und gab es dem Mädchen, und das Mädchen gab es seiner Mutter. Und als seine Jünger es hörten, kamen sie und hoben seinen Leichnam auf und legten ihn in eine Gruft“ (6,14–29).

Zwischen die Aussendung und die Rückkehr der zwölf Apostel fügt Markus die Erzählung von der grausigen Hinrichtung Johannes' des Täufers ein. Anlass dazu war die Tatsache, dass der König Herodes Nachrichten über den Herrn Jesus gehört hatte. Dieser Herodes Antipas war ein Sohn von Herodes dem Großen und regierte von 4 v. Chr. bis 39 n. Chr. als Vierfürst (griech. tetraarchēs), das heißt als von Rom abhängiger Herrscher, über Galiläa und Peräa. Er dachte, Johannes, den er getötet hatte, sei aus den Toten auferstanden. Das glaubten auch verschiedene Menschen, die den Namen des Herrn gehört hatten, Ihn selbst aber nicht näher kannten, denn andernfalls hätten sie ja wissen müssen, dass Johannes den Herrn am Jordan getauft hatte. Andere wiederum meinten, Er sei der vom Propheten Maleachi verheißene Elia, wieder andere hielten Ihn für einen Propheten (V. 14–16; vgl. Mal 3,23).

Schon in Kapitel 1,14 erwähnt Markus die Gefangennahme des Johannes. Grund dafür war sein ernstes Zeugnis gegen die sündige Ehe von Herodes mit Herodias, der Frau seines Bruders Philippus (vgl. 3. Mo 18,16; 20,21; Mt 5,32; 19,6). Nach dem Bericht des jüdischen Historikers Josephus hatten Herodes und Herodias sich von ihren vorigen Ehepartnern scheiden lassen, um einander heiraten zu können.

Herodias war über das klare biblische Zeugnis des Johannes mehr erbost als Herodes selbst. Sein Gewissen zeigte jedenfalls noch positive Regungen, denn er hatte großen Respekt vor Johannes. Er war davon überzeugt, dass er ein gerechter und heiliger Mann war. Die Worte „verwahrte ihn“ könnten möglicherweise auch die Bedeutung „gab acht auf ihn“ haben.2 Die folgenden Worte „und wenn er ihn gehört hatte, so tat er vieles“, legen in erster Linie Zeugnis von dem labilen Charakter des Herodes ab. Er konnte nicht von der Frau lassen, wollte aber auch gern dem Mann Gottes zu Willen sein. So hinkte er wie die Israeliten zur Zeit Elias „auf beiden Seiten“ (1. Kön 18,21). Aber er anerkannte durchaus, dass Johannes ein gerechter und heiliger Mann war, ja er fürchtete ihn sogar, das heißt wohl, er brachte ihm Ehrfurcht entgegen, „und er hörte ihn gern“ (V. 17–20).

Doch für Herodias kam bei der Geburtstagsfeier von Herodes die Gelegenheit, ihren Hass gegen Johannes zu kühlen. Offensichtlich war sie diejenige, die ihre Tochter anstiftete, vor den Gästen ihres Mannes zu tanzen, Herodes dadurch zu betören und zu unbedachten Worten zu veranlassen. Ihr Plan gelang, weil Herodes, der seine Großspurigkeit schon bald bereuen sollte, einmal wegen der anwesenden Ehrengäste und andererseits gegenüber seiner Frau Herodias seinen leichtfertig ausgesprochenen Schwur nicht brechen wollte und konnte. Obwohl er sehr betrübt war, blieb dieser Mann gegen die Verschwörung dieser beiden Frauen machtlos. Johannes, der Herold des Messias und treue Zeuge der Gerechtigkeit musste ein grausiges Ende nehmen. Wie Matthäus mitteilt, kamen die Jünger von Johannes, nachdem sie ihn begraben hatten, zu dem Herrn Jesus und berichteten ihm alles (V. 21–29; vgl. Mt 14,12).

Der Grund für diese Parenthese ist offensichtlich die Absicht des Heiligen Geistes, die Leser auf den ähnlichen, aber noch weit schrecklicheren Weg des Herrn Jesus zum Kreuz von Golgatha hinzuweisen. Er selbst sagt in Matthäus 17,12: „Ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten. Ebenso wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden.“ Der Evangelist fügt hinzu: „Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen sprach.“

Der Evangelist Lukas berichtet noch über eine spätere Zeit: „In derselben Stunde kamen einige Pharisäer herzu und sagten zu ihm: Geh hinaus und zieh von hier weg, denn Herodes will dich töten“ (Lk 13,31). Diese Notiz zeigt den verdorbenen Charakter dieses „Fuchses“, als den der Herr den König Herodes bezeichnet. Ihm ging es um die eigene Ehre, und da musste sein Gewissen, das zu Lebzeiten Johannes‘ des Täufers noch schlug, ganz zum Schweigen gebracht werden.

Die Rückkehr der Apostel (Mk 6,30–33)

(vgl. Mt 14,13; Lk 9,10–11)

„Und die Apostel versammeln sich bei Jesus; und sie berichteten ihm alles, was sie getan und was sie gelehrt hatten. Und er spricht zu ihnen: Kommt ihr selbst her an einen öden Ort für euch allein und ruht ein wenig aus. Denn es waren viele, die kamen und gingen, und sie fanden nicht einmal Zeit, um zu essen.

Und sie fuhren mit dem Schiff weg an einen öden Ort für sich allein; und viele sahen sie abfahren und erkannten sie und liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor“ (6,30–33).

Die zwölf Jünger, die der Herr Jesus mit Gewalt über die unreinen Geister ausgestattet und zu je Zweien ausgesandt hatte, kehren zu Ihm zurück (vgl. V. 7–13). Nur hier nennt Markus sie „Apostel“ (griech. apostolos „Gesandter“), sonst immer „die Zwölf“, und zwar insgesamt zehnmal. Sie versammeln sich zu Jesus, dem Ursprung, Zentrum und Ziel ihres Dienstes. Ihrem Meister können und dürfen sie alles berichten, was sie getan und gelehrt haben (V. 30). Anderen gegenüber sollen die Jünger des Herrn auch heute mit dem Erzählen über ihr Tun zurückhaltend sein und sich nicht selbst in den Vordergrund rücken. Als Paulus und Barnabas von ihrer ersten Reise zurückkehrten, berichteten sie, „was Gott mit ihnen getan hatte“ (Apg 14,27).

Der Herr Jesus, der als der wahre Diener sich selbst nie den Menschen entzog, denen Er diente, hat jedoch Mitgefühl mit Seinen Jüngern, die ermattet von ihrer Reise zurückgekehrt sind. Deshalb will Er zusammen mit ihnen einen „öden Ort“ aufsuchen, wo sie – nicht Er! – abseits von allem Getriebe der Menschen ein wenig ausruhen können. Wie weise ist doch der Herr Jesus, der besser weiß, was die Seinen brauchen als sie selbst. Wir können so sehr mit unserem Dienst und unseren Aufgaben beschäftigt sein, dass wir Ihn, für den wir doch alles tun sollten, aus dem Auge verlieren und damit das Wichtigste überhaupt. Deshalb brauchen auch wir immer wieder Augenblicke der Stille in der Gemeinschaft mit Ihm, wo wir in Seinem Licht alles, auch uns selbst, so sehen wie Er.

Wo der Herr war, da war ein Kommen und Gehen, weil Er für jeden ein offenes Herz, ein ermunterndes Wort und eine helfende Hand hatte. Er war der ansprechbarste Mensch, der je über diese Erde gegangen ist. Niemanden wies Er je zurück! Es konnte nicht ausbleiben, dass Er und die Seinen bei all dem Getriebe nicht einmal Zeit fanden, um zu essen (V. 31).

Die Männer bestiegen nun ein Schiff, mit dem sie entlang der Küste dem „öden Ort“ zustrebten, an dem der Herr mit ihnen allein sein wollte (V. 32). Aber viele Menschen sahen die Gruppe abfahren, erkannten sie und liefen eilig aus allen Städten der Umgebung am Ufer des Sees Genezareth entlang, während das Boot den gleichen Weg auf dem Wasser längs der Küste zurücklegte. Doch während dieser Zeit waren die Jünger mit ihrem Meister allein! So hatten sie wenigstens eine Zeit lang die Gelegenheit, die Gemeinschaft mit ihrem Herrn zu genießen. Als sie nach einiger Zeit anlegten, waren die Menschen, von denen der Herr sie einige Augenblicke absondern wollte, ihnen schon zuvorgekommen (V. 33)! Zur ersehnten Ruhe kamen sie nicht.

Speisung der 5000 (Mk 6,34–44)

(vgl. Mt 14,13–21; Lk 9,12–17; Joh 6,1–14)

„Und viele sahen sie abfahren und erkannten sie und liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor.

Und als er ausstieg, sah er eine große Volksmenge, und er wurde innerlich bewegt über sie, weil sie wie Schafe waren, die keinen Hirten haben. Und er fing an, sie vieles zu lehren. Und als es schon spät geworden war, traten seine Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist öde, und es ist schon spät; entlass sie, damit sie hingehen aufs Land und in die Dörfer ringsum und sich etwas zu essen kaufen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen. Und sie sagen zu ihm: Sollen wir hingehen und für zweihundert Denare Brote kaufen und ihnen zu essen geben? Er aber spricht zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Geht hin, seht nach. Und als sie es erfahren hatten, sagen sie: Fünf, und zwei Fische.

Und er befahl ihnen, dass sie alle sich in Gruppen lagern ließen, auf dem grünen Gras. Und sie lagerten sich in Abteilungen zu je hundert und je fünfzig. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte auf zum Himmel, segnete und brach die Brote und gab sie seinen Jüngern, damit sie sie ihnen vorlegten; und die zwei Fische verteilte er unter alle. Und sie aßen alle und wurden gesättigt. Und sie hoben an Brocken zwölf Handkörbe voll auf, und von den Fischen. Und die, welche die Brote gegessen hatten, waren fünftausend Männer“ (6,33–44).

Schon beim Aussteigen aus dem Boot zeigt sich ihnen eine große Volksmenge am Ufer. Doch anstatt ungehalten zu sein, steigt Jesus aus dem Schiff – von Seinen Jüngern wird hier nichts gesagt – und wendet sich der Menge zu, die erwartungsvoll am Ufer steht. Was für einen Herrn haben wir doch! Unermüdlich ist Er, der gute Hirte, um Seine Schafe bemüht. Er sieht eine „große Volksmenge“ und wird innerlich bewegt über sie, denn sie sind wie eine Herde Schafe, die keinen Hirten haben (V. 34; vgl. 2. Chr 18,16). Ja, Israel war seit alters her die Herde der Weide des Herrn, und Gott war der Hirte Israels (4. Mo 27,17; Ps 79,13; 80,2). Jetzt war Er in der Person Seines Sohnes zu ihnen gekommen, aber die Führer des Volkes, die eigentlich Hirten hinter Ihm her hätten sein sollen, nahmen Ihn nicht an und versuchten, auch das Volk in die Irre zu leiten und von dem wahren Hirten fernzuhalten. Das Volk hatte den Hirten in seiner Mitte und war doch „wie Schafe, die keinen Hirten haben“. Welch tragische Situation! Doch ist es heute im Volk Gottes anders? Gibt es nicht auch heute viele Kinder Gottes, die wie Schafe ohne Hirten umherirren? Und doch ist der Herr Jesus allen Seinen geliebten Schafen so nahe, denn Er geht ihnen voraus, damit sie die rechte Weide finden!

Anstatt sich abzuwenden, ist der Herr „innerlich bewegt“ über die arme Volksmenge. Nur von den Personen der Gottheit lesen wir immer wieder in den Evangelien diese zu Herzen gehenden Worte (vgl. z.B. Mk 1,41; 8,2; Lk 15,20). Und doch sollen auch wir diese göttlichen Empfindungen kennen (Phil 2,1). Die richtungslos dahinlebenden Menschen werden nun vom Herrn, dem wahren Propheten belehrt, damit sie den Weg wissen, den sie zu gehen haben. Wie viele von ihnen Seine vollkommenen, heiligen und gnädigen Belehrungen angenommen haben, wird sich in der Ewigkeit einmal zeigen.

Erst als der Tag sich seinem Ende zuneigt, treten die Jünger auf den Plan. Sie sehen die Volksmenge, die hier in der Einsamkeit um den Herrn Jesus versammelt ist, und fragen sich mit Recht, wie es weitergehen soll. Hier gibt es keine Lebensmittel, und die Zeit ist fortgeschritten. Sie schlagen dem Herrn daher vor, die Menschen fortzuschicken, damit sie in den Dörfern der Umgebung Nahrungsmittel kaufen können (V. 35 und 36). Die Gedanken sind folgerichtig und erscheinen verständig. Aber wie so oft auch in unserem Leben ist der Verstand ein Hindernis für den Glauben. Die Worte der Jünger zeigen, wie wenig ihnen diese Menschen am Herzen liegen. Sie meinen, es sei jetzt genug.

Wie wenig kennen sie ihren Herrn, der voll Erbarmen und innigen Mitgefühls ist. In Seiner Gnade übergeht Er Seine Jünger nicht, sondern erteilt ihnen drei Lektionen. Die erste ist, dass Er diese Menschenmenge nicht sich selbst überlässt, nachdem Er sie in Gnade und Wahrheit belehrt hat. Die zweite ist, dass Er Seinen Jüngern ihre eigene Unfähigkeit zeigt, und die dritte, dass Er sie in Seinem Dienst gebrauchen will. „Gebt ihr ihnen zu essen“ (V. 37). Deshalb betont Er das Wort „ihr“ hier besonders. Wieder arbeitet ihr Verstand, und wieder ist er ein Hindernis für den Glauben: „Vertraue auf den Herrn mit deinem ganzen Herzen, und stütze dich nicht auf deinen Verstand“ (Spr 3,5). Sie überschlagen die Anzahl der Menschen und deren Nahrungsbedarf und antworten ihrem Herrn: „Sollen wir hingehen und für zweihundert Denare3 Brote kaufen und ihnen zu essen geben?“ Ein derartiger Betrag konnte in dieser Situation unmöglich von ihnen aufgebracht werden. Wie sollten sie also dieser Volksmenge von 5000 Männern, die Frauen und Kinder nicht mitgerechnet (Mt 14,21), die nötigen Nahrungsmittel verschaffen?

Wo war der Glaube an ihren Herrn und Meister? Hatten sie nicht erlebt, welche Zeichen und Wunder Er bereits getan hatte? Hatte Er dafür menschliche Hilfsmittel benötigt? Nein, Er war überhaupt nicht darauf angewiesen. Er braucht uns zwar nicht, aber Er will uns gebrauchen. Deshalb lässt Er Seine von Ihm so geliebten und doch so unverständigen Jünger nicht beiseite, sondern gibt ihnen sogleich eine vierte Lektion. Er fragt sie: „Wie viele Brote habt ihr? Geht hin, seht.“ Das Fehlen menschlicher Hilfsquellen und Mittel ist für uns oft ein Grund zur Feststellung, wir könnten nichts für den Herrn tun. Für Ihn ist es jedoch die Voraussetzung, uns zu gebrauchen. So war es bei Mose, der meinte, nicht reden zu können, so war es bei Gideon, der seine Jugend und seine geringe Stellung ins Feld führte, und so ist es auch bei uns oft. Auch Paulus musste feststellen, dass er nur dann, wenn er schwach war, stark war (2. Kor 12,10).

Als die Jünger ihre geringen Mittel überschlagen hatten, mit denen wirklich keine große Menschenmenge gesättigt werden konnte, trat der Herr Jesus in Tätigkeit. Dabei benutzte Er das Wenige, das die Jünger hatten. Es waren fünf Brote und zwei Fische, die zudem noch nicht einmal in ihrem Besitz waren, sondern einem anwesenden Knaben gehörten (V. 38; siehe Joh 6,9).

Wo Er gegenwärtig ist, muss alles „anständig und in Ordnung“ geschehen (1. Kor 14,40). Er lässt die Scharen sich in Gruppen zu Hundert und Fünfzig auf dem grünen Gras lagern (das heißt, es war Frühling; V. 39 und 40). Dann nimmt Er die fünf Brote und die zwei Fische, blickt als abhängiger Diener auf zu Seinem Vater im Himmel (siehe Kap. 7,34), von dem jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt, preist Ihn dafür und segnet sie so für den Gebrauch (Jak 1,17; 1. Tim 4,4.5). Erst dann bricht Er die Brote in Stücke und gibt diese Seinen Jüngern – so lange, bis alle gesättigt sind (V. 41.42)! Während bei Elisa das Öl im Krug der Witwe nicht eher stillstand, als bis das letzte Gefäß gefüllt war (2. Kön 4,1–6), war hier noch mehr da: Es blieben zwölf Handkörbe voll Brocken übrig, und auch von den Fischen. Wie Gott Sein irdisches Volk in der Wüste vierzig Jahre mit dem himmlischen Manna ernährt hatte, so erquickt Sein Sohn die Armen des Volkes, auch an einem öden Ort (V. 32)!

Die fünf Brote, die von der menschlichen Verantwortung bei dieser Aufgabe sprechen, und die zwölf Handkörbe voll übrig gebliebener Brocken, die die vollkommene Verwaltung Gottes symbolisieren, weisen uns auf die Austeilung des Segens an Israel im Tausendjährigen Reich hin, wenn der Herr in Verbindung mit Seinen Gläubigen regieren wird (siehe Off 20,6; 2. Tim 2,12). Zwölf, die Zahl göttlicher Verwaltung und Regierung, weist auf den messianischen Auftrag des Herrn in Verbindung mit Seinem irdischen Volk hin. Als der Gesandte Gottes für Sein Volk hat Er auch das prophetische Psalmwort verwirklicht: „Seine Speise will ich reichlich segnen, seine Armen mit Brot sättigen“ (V. 43 und 44; vgl. Ps 132,15). – Dieses Wunder des Herrn ist das einzige, das von allen vier Evangelisten berichtet wird.

Die Jünger auf dem See (Mk 6,45–52)

(vgl. Mt 14,22–33; Joh 6,16–21)

„Und sogleich nötigte er seine Jünger, in das Schiff zu steigen und an das jenseitige Ufer nach Bethsaida vorauszufahren, während er die Volksmenge entlässt. Und als er sie verabschiedet hatte, ging er hin auf den Berg, um zu beten. Und als es Abend geworden war, war das Schiff mitten auf dem See und er allein auf dem Land. Und als er sie beim Rudern Not leiden sah – denn der Wind war ihnen entgegen –, kommt er um die vierte Nachtwache zu ihnen, wandelnd auf dem See; und er wollte an ihnen vorübergehen. Als sie ihn aber auf dem See wandeln sahen, meinten sie, es sei ein Gespenst, und schrien auf; denn alle sahen ihn und wurden bestürzt. Er aber redete sogleich mit ihnen und spricht zu ihnen: Seid guten Mutes, ich bin es; fürchtet euch nicht! Und er stieg zu ihnen in das Schiff, und der Wind legte sich. Und sie erstaunten sehr über die Maßen bei sich selbst und verwunderten sich; denn sie waren durch die Brote nicht verständig geworden, sondern ihr Herz war verhärtet“ (6,45–52).

Die Arbeit des Herrn ist noch nicht zu Ende. Zunächst nötigt Er jedoch Seine Jünger „sogleich“, mit einem Schiff an das jenseitige Ufer des Sees Genezareth nach4 Bethsaida („Haus des Fischens“) vorauszufahren. Der Grund für diesen dringenden Befehl wird in Johannes 6,15 angegeben: Das Volk wollte Ihn zum König machen! Der Herr wusste zwar, dass dies nach Gottes Ratschluss nicht möglich war, bevor Er Sein Erlösungswerk vollbracht hatte, Seine Jünger dagegen hofften inständig, dass Er jeden Augenblick Seine herrliche Regierung antreten würde (vgl. Lk 24,21).

Er wendet sich nun weiter den vielen Menschen zu, die zwar gesättigt waren, die Er jedoch nicht sich selbst überlassen wollte. Auch darin sehen wir Seine Fürsorge und die Absicht, alles in göttlicher Ordnung zu vollenden. Keiner sollte ohne ein Wort des Heilands davongehen (V. 45).

Danach zieht Er sich auf den Berg zurück, um zu beten (V. 46). Nun war es später Abend, und Er war allein – allein mit Seinem Vater, mit dem Er immer wieder in Augenblicken der Einsamkeit Gemeinschaft pflegte. Erhabene Momente, die wir als Seine schwachen Jünger umso nötiger haben und doch zu wenig kennen!

Inzwischen waren die Jünger im Schiff bereits mitten auf dem See, das heißt, weit und breit von Wasser umgeben. Sie kämpften rudernd gegen den Wind an, der ihnen entgegen wehte. Obwohl die Entfernung nicht sehr groß war, brauchten sie fast die ganze Nacht zur Überquerung (V. 47). Wie ähnelt die Situation der Jünger den Umständen, in denen wir uns oft abmühen, ohne unsere Ziele zu erreichen! Doch ihr Herr, der zwar jetzt nicht bei ihnen war, betete als abhängiger Mensch gewiss auch für sie. Zugleich sah Er als der allwissende Gott trotz des Dunkels der Nacht und der Entfernung, wie sie beim Rudern Not hatten! Er hätte nun sofort zu ihnen kommen können, aber wie beim Tod des Lazarus (Joh 11) wartete Er auch hier auf Seine Stunde, auf den rechten Augenblick. Erst in der vierten Nachtwache (das heißt in der Zeit zwischen 3 und 6 Uhr morgens) kam Er auf dem See gehend zu ihnen. Die Umstände, die für sie so widrig schienen, waren gerade der Weg, auf dem der Herr ihnen nahte. Er ging an ihnen vorüber, nicht, um sie ihrem Los zu überlassen, sondern damit alle Ihn sehen und erkennen konnten und ihre Furcht verloren (V. 48). Es war also nicht so wie in Lukas 24,28, wo der Herr Jesus sich so stellte, als wolle Er weitergehen. In beiden Fällen war es jedoch eine Prüfung der Herzenshaltung der Jünger.

Doch anstatt Ihn freudig zu begrüßen, erschrecken sie vor Ihm und kommen vor Furcht sogar auf abergläubische Gedanken! Wie kann die Angst in der Not uns doch den Blick für unseren Herrn und Seine Hilfe verstellen! Er ruft ihnen die beruhigenden, tröstlichen und ermunternden Worte zu: „Seid guten Mutes, ich bin es; fürchtet euch nicht!“ Mit dem mittleren Seiner drei ermunternden Zurufe stellt Er sich selbst als der Ewigseiende, der „Ich bin, der ich bin“ des Alten Testaments dar (2. Mo 3,14; vgl. Joh 4,26; 18,5). Er verlässt die Seinen nicht. Sobald Er in das Schiff steigt, legt sich der Wind, so dass die Jünger nur über die Maßen erstaunen können (V. 49–51).

Wie wir aus dem letzten Satz des Berichts entnehmen können, waren die beiden zuletzt beschriebenen Begebenheiten „Prüfungen“, durch die der Herr Seine Jünger, die Er als der Verworfene mit Autorität bekleidet und ausgesandt hatte, auf die Probe stellte. Bei der Speisung der 5000 war es ihr Verstand, der ihnen im Weg stand, hier ist es die Furcht, die sie hindert, die Güte ihres Herrn zu erkennen. In beiden Fällen zeigt Er ihnen, dass für Ihn nichts zu groß und zu schwer ist. Er ist der Allmächtige – und Er ist ihr (und unser) Meister. Anbetungswürdiger Herr!

Doch die Jünger waren „durch die Brote nicht verständig geworden, sondern ihr Herz war verhärtet“ (V. 52). Diese Verhärtung ihrer Herzen spricht der Herr später einmal direkt an, als sie Seine Warnung vor dem Sauerteig der Pharisäer und des Königs Herodes nicht verstanden (Kap. 8,17). Was muss es für unseren Herrn gewesen sein, immer wieder zu sehen, wie Seine Jünger sich nicht in Seine Gedanken – die Gedanken Gottes – hineinversetzen konnten und wollten! Sie dachten bei aller Hingabe und Liebe doch sehr viel an die Herrlichkeit des Reiches und an sich selbst, beziehungsweise ihre Plätze darin. Dadurch waren ihre Herzen nicht weich und gefügig, die zarten Belehrungen ihres Meisters aufzunehmen. Das war für Ihn ein großer Schmerz.

Anerkennung Christi (Mk 6,53–56)

(vgl. Mt 14,34–36)

„Und als sie ans Land hinübergefahren waren, kamen sie nach Genezareth und legten an. Und als sie aus dem Schiff gestiegen waren, erkannten sie ihn sogleich und liefen in jener ganzen Gegend umher und fingen an, die Leidenden auf den Betten umherzutragen, wo sie hörten, dass er sei. Und wo irgend er eintrat in Dörfer oder in Städte oder in Gehöfte, legten sie die Kranken auf den Märkten hin und baten ihn, dass sie nur die Quaste seines Gewandes anrühren dürften; und so viele irgend ihn anrührten, wurden geheilt“ (6,53–56).

Das Land Genezareth5 ist die fruchtbare, damals dicht besiedelte Gegend am nordwestlichen Ufer des gleichnamigen Sees. Während der Herr Jesus in Seiner Vaterstadt Nazareth abgelehnt wurde, führte Er als der treue Diener Seinen Dienst hier aus, um das Verlorene zu suchen und zu erretten. Die Menschen erkannten Ihn „sogleich“, liefen von Ort zu Ort, um die Kunde Seiner Anwesenheit zu verbreiten, und brachten die Kranken zu Ihm (vgl. Kap. 1,28). Wo Er auch hinkam, war die Neuigkeit Ihm schon vorausgeeilt, und alle, die Ihn nur anrührten, wurden geheilt.

Der Wunsch der Menschen, Ihn zu berühren, und sei es nur die Quaste Seines Gewandes (siehe 4. Mo 15,37–39), zeigt, dass Glauben bei ihnen vorhanden war. Daher wurden sie auch nicht nur physisch geheilt, sondern auch geistlich für ewig errettet, wie das hier gebrauchte Verb (griech. sōzein) zeigt, das im Neuen Testament meistens für die Errettung der Seele verwendet wird (vgl. Mt 24,22; Apg 16,31; Eph 2,8).

Ohne Zweifel gewährt dieses zu Herzen gehende Bild einen Blick auf die Zeit, wenn der Herr Jesus wieder auf der Erde erscheinen wird. Elend, Schwachheit und Krankheit werden dann vor dem Sohn Gottes verschwinden. Das Wort des Propheten Jesaja wird dann seine vollkommene Erfüllung finden: „Doch er hat unsere Leiden getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen“ (Jes 53,4). Der Evangelist Matthäus wandte diese Weissagung schon auf den damaligen Dienst des Herrn an: „... damit erfüllt würde, was durch den Propheten Jesaja geredet ist, der spricht: Er selbst nahm unsere Schwachheiten und trug unsere Krankheiten“ (Mt 8,17). Es waren „Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters“ (Heb 6,5), die damals nur deshalb nicht andauern konnten, weil Sein Volk seinen König verwarf. Aber wenn Er in Herrlichkeit wiederkommt, wird Er alle Leiden und Schmerzen Seines Volkes beenden.

Fußnoten

  • 1 Das griech. Substantiv tektōn kann auch „Bauhandwerker“ und „Baumeister“ bedeuten.
  • 2 Das griech. Verb syntēreō kommt nur viermal im NT vor und wird sonst mit „erhalten bleiben“ und „bewahren“ übersetzt (Mt 9,17; Lk 2,19; 5,38). Es ist in jedem Fall ein positives Bewahren und Beachten gemeint, obwohl dies die einzige Stelle ist, wo es sich auf Personen bezieht.
  • 3 Ein Denar war der Betrag, den ein Tagelöhner an einem Tag verdiente (Mt 20,2).
  • 4 Griech. pros: „in Richtung von“; in Joh 6,17 dagegen griech. eis: „in … hinein“. Das Ziel war also das etwas weiter entfernte Kapernaum bzw. die dortige Gegend Genezareth (Mk 6,34).
  • 5 Bei Josephus griech. Gennesar, wohl eher identisch mit neuhebr. Ginosar („Garten des Fürsten“?) als mit Kinnereth/Kinneroth („Harfe“).
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