Das Buch des Propheten Jeremia
Kapitel 23
Die Ankündigung des Königs der Gerechtigkeit und das Gericht der Propheten
„Wehe den Hirten, die die Schafe meiner Weide zugrunde richten und zerstreuen!, spricht der HERR. Darum, so spricht der HERR, der Gott Israels, über die Hirten, die mein Volk weiden: Ihr habt meine Schafe zerstreut und sie vertrieben und habt nicht nach ihnen gesehen; siehe, ich werde die Bosheit eurer Handlungen an euch heimsuchen, spricht der HERR. Und ich werde den Überrest meiner Schafe sammeln aus allen Ländern, wohin ich sie vertrieben habe; und ich werde sie auf ihre Weideplätze zurückbringen, dass sie fruchtbar seien und sich mehren. Und ich werde Hirten über sie erwecken, die sie weiden werden; und sie sollen sich nicht mehr fürchten und nicht erschrecken und nicht vermisst werden, spricht der HERR.
Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da ich David einen gerechten Spross erwecken werde; und er wird als König regieren und verständig handeln und Recht und Gerechtigkeit üben im Land. In seinen Tagen wird Juda gerettet werden und Israel in Sicherheit wohnen; und dies wird sein Name sein, womit man ihn nennen wird: „Der HERR, unsere Gerechtigkeit“. Darum, siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da man nicht mehr sagen wird: So wahr der HERR lebt, der die Kinder Israel aus dem Land Ägypten heraufgeführt hat!, sondern: So wahr der HERR lebt, der die Nachkommenschaft des Hauses Israel heraufgeführt und sie gebracht hat aus dem Land des Nordens und aus allen Ländern, wohin ich sie vertrieben hatte! Und sie sollen in ihrem Land wohnen“ (23,1–8).
Die Könige von Juda, die Propheten und die Priester werden hier alle zusammen als Hirten bezeichnet, als solche, die die Verantwortung hatten, das Volk des HERRN zu weiden, „ die Herde meiner Weide“ (Hes 34,31; Ps 74,1; Ps 79,13; Ps 100,3). In diesen verantwortungsvollen Ämtern kann sich die Bosheit des menschlichen Herzens besonders entfalten. Wenn sie nicht mit der Demut und der Abhängigkeit des Erzhirten (1. Pet 5,4) eingenommen werden, werden diese Plätze benutzt, um das persönliche Interesse zu suchen, zu herrschen und zu unterdrücken, anstatt für die Schafe zu sorgen.
Der HERR spricht ein ernstes Gericht über ein solches Verhalten aus und kündigt an, dass er an ihrer Stelle treue Hirten unter der Autorität des Königs der Gerechtigkeit, des Sohnes Davids, „des großen Hirten der Schafe“ (Heb 13,20) einsetzen wird. Er formuliert drei Verheißungen, die folgendermaßen zusammengefasst werden können:
- Ich werde über mein Volk Hirten einsetzen, die für es sorgen werden (V. 4).
- Ich werde David einen gerechten Spross, einen König, erwecken; unter seiner Autorität werden Juda und Israel zusammen in Sicherheit wohnen (V. 5.6).
- Ich werde die Nachkommenschaft Israels aus dem Land ihrer Gefangenschaft herausführen (V. 8).
Die Verdorbenheit der Propheten
„Über die Propheten:
Mein Herz ist gebrochen in meinem Innern, es schlottern alle meine Gebeine; ich bin wie ein Betrunkener und wie ein Mann, den der Wein überwältigt hat, wegen des HERRN und wegen seiner heiligen Worte. Denn das Land ist voll von Ehebrechern; denn das Land trauert wegen des Fluches, die Weideplätze der Steppe verdorren, und ihr Lauf ist böse, und ihre Macht ist Unrecht. Denn sowohl Propheten als Priester sind ruchlos; sogar in meinem Haus habe ich ihre Bosheit gefunden, spricht der HERR. Darum wird ihnen ihr Weg sein wie schlüpfrige Stellen in der Dunkelheit, sie werden gestoßen werden und auf ihm fallen; denn ich bringe Unglück über sie, das Jahr ihrer Heimsuchung, spricht der HERR. Und an den Propheten Samarias habe ich Torheit gesehen: Sie weissagten durch den Baal und führten mein Volk Israel irre. Aber an den Propheten Jerusalems habe ich Schauderhaftes gesehen: Ehebrechen und Wandel in der Lüge; und sie stärken die Hände der Übeltäter, damit sie nicht umkehren, jeder von seiner Bosheit; sie sind mir allesamt wie Sodom geworden und seine Bewohner wie Gomorra. Darum, so spricht der HERR der Heerscharen über die Propheten: Siehe, ich will ihnen Wermut zu essen und Giftwasser zu trinken geben; denn von den Propheten Jerusalems ist Ruchlosigkeit ausgegangen über das ganze Land“ (23,9–15).
Jeremia ist tief erschüttert, als er durch das Wort des HERRN feststellt, dass die Propheten und die Priester selbst der Ursprung der Gottlosigkeit und der Verdorbenheit im ganzen Land waren. Die Propheten des Baal in Samaria haben Israel zu den Gräueln der Nationen weggewendet. Die Propheten von Jerusalem haben in moralischer Verdorbenheit gelebt und sie gefördert, während sie weiter im Haus des HERRN dienten. Der Zustand von Jerusalem und seinen Einwohnern wird mit dem von Sodom und Gomorra verglichen. Es ist zu bemerken, dass dieses Böse sich schon lange Zeit entwickelte. Man sieht es in den Söhnen Elis zum Ausdruck kommen (1. Sam 2,12.22–24). Später, zurzeit gottesfürchtiger Könige, wendet sich Jesaja mit diesen Worten an Juda und Jerusalem: „Hört das Wort des HERRN, Vorsteher von Sodom; horcht auf das Gesetz unseres Gottes, Volk von Gomorra!“ (Jes1,10).
Was hat das Stroh mit dem Korn gemeinsam?
„So spricht der HERR der Heerscharen: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen; sie täuschen euch, sie reden das Gesicht ihres Herzens und nicht aus dem Mund des HERRN. Sie sagen stets zu denen, die mich verachten: „Der HERR hat geredet: Ihr werdet Frieden haben“; und zu jedem, der im Starrsinn seines Herzens wandelt, sprechen sie: „Es wird kein Unglück über euch kommen.“ Denn wer hat im Rat des HERRN gestanden, dass er sein Wort gesehen und gehört hätte? Wer hat auf mein Wort geachtet und gehört? Siehe, ein Sturmwind des HERRN, ein Grimm, ist ausgegangen, ja, ein wirbelnder Sturmwind; er wird sich herabwälzen auf den Kopf der Gottlosen. Nicht wenden wird sich der Zorn des HERRN, bis er getan und bis er ausgeführt hat die Gedanken seines Herzens. Am Ende der Tage werdet ihr es ganz verstehen. Ich habe die Propheten nicht gesandt, und doch sind sie gelaufen; ich habe nicht zu ihnen geredet, und doch haben sie geweissagt. Hätten sie aber in meinem Rat gestanden, so würden sie mein Volk meine Worte hören lassen und es abbringen von seinem bösen Weg und von der Bosheit seiner Handlungen.
Bin ich ein Gott aus der Nähe, spricht der HERR, und nicht ein Gott aus der Ferne? Oder kann sich jemand in Schlupfwinkeln verbergen, und ich sähe ihn nicht?, spricht der HERR. Erfülle ich nicht den Himmel und die Erde?, spricht der HERR. Ich habe gehört, was die Propheten sagen, die in meinem Namen Lüge weissagen und sprechen: Einen Traum, einen Traum habe ich gehabt! Wie lange soll das im Herzen der Propheten sein, die Lüge weissagen und Propheten des Truges ihres Herzens sind, die beabsichtigen, meinen Namen bei meinem Volk in Vergessenheit zu bringen durch ihre Träume, die sie einer dem anderen erzählen, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Der Prophet, der einen Traum hat, erzähle den Traum; und wer mein Wort hat, rede mein Wort in Wahrheit! Was hat das Stroh mit dem Korn gemeinsam?, spricht der HERR. Ist mein Wort nicht so – wie Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert?“ (23,16–29).
Die Propheten verübten das Böse und gaben gleichzeitig vor, im Namen des HERRN zu sprechen. Angesichts ernster Warnungen, die Gerichte ankündigten, suchten die Propheten das rebellische Volk in Sicherheit zu wiegen, indem sie behaupteten aus der Gegenwart des HERRN zu sprechen: „Ihr werdet Frieden haben… es wird kein Unglück über euch kommen“ (V. 17). Ein Beispiel dafür gibt uns Hananja in Kapitel 28.
All diese Propheten, die vorgaben Träume und Offenbarungen des HERRN zu haben, führten nur hinters Licht. Wie viele falsche Propheten sind im Laufe der Zeit aufgestanden und haben durch Worte, die ihren Zuhörern schmeichelten, Menschenmengen mitgerissen. Heutzutage verdoppelt der Feind die Anstrengung, um mit ihrer Hilfe zu verführen. Das sollte uns nicht verwundern, denn Gott warnt uns durch sein Wort. „Viele falsche Propheten werden aufstehen und werden viele verführen“ (Mt 24,11). „In den letzten Tagen werden schwere Zeiten eintreten… böse Menschen und Betrüger werden zu Schlimmerem fortschreiten, indem sie verführen und verführt werden“ (2. Tim 3,1). „Und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren, aber zu den Fabeln hingewandt werden“ (2. Tim 4,4).
Die Mitteilung seiner Gedanken empfängt im Gegensatz dazu derjenige, der im Rat des HERRN steht (V. 18.22; Hiob 15,8) und sich in seiner Gemeinschaft aufhält, indem er „auf sein Wort achtet“. Dieses Wort besteht mit all seinem Reiz und seiner Kraft weiter fort. Es eröffnet sich demjenigen, der es aufnimmt (1. Thes 2,13):
- Göttliche Nahrung (Korn anstelle von Stroh),
- Kraft, die die Weisheit der Menschen zu nichts macht, die auch reinigt (Feuer) und das härteste Herz und den größten Widerwillen zerbrechen kann (Hammer).
Ihr sollt nicht sagen: „Last des HERRN“
„Darum siehe, ich will an die Propheten, spricht der HERR, die einer vom anderen meine Worte stehlen. Siehe, ich will an die Propheten, spricht der HERR, die ihre Zungen nehmen und sprechen: Er hat geredet. Siehe, ich will an die, spricht der HERR, die Lügenträume weissagen und sie erzählen und mein Volk irreführen mit ihren Lügen und mit ihrer Prahlerei; da ich sie doch nicht gesandt und ihnen nichts geboten habe und sie diesem Volk gar nichts nützen, spricht der HERR.
Und wenn dieses Volk oder ein Prophet oder ein Priester dich fragt und spricht: Was ist die Last des HERRN?, so sprich zu ihnen: Was die Last ist? – Ich werde euch abwerfen, spricht der HERR. Und der Prophet und der Priester und das Volk, die sagen werden: „Last des HERRN“, diesen Mann und sein Haus werde ich heimsuchen. So sollt ihr sprechen, jeder zu seinem Nächsten und jeder zu seinem Bruder: Was hat der HERR geantwortet, und was hat der HERR geredet? Und die Last des HERRN sollt ihr nicht mehr erwähnen, denn die Last wird für jeden sein eigenes Wort sein; denn ihr verdreht die Worte des lebendigen Gottes, des HERRN der Heerscharen, unseres Gottes. So sollst du zu dem Propheten sagen: Was hat der HERR dir geantwortet, und was hat der HERR geredet? Wenn ihr aber sagt: „Last des HERRN“, darum, so spricht der HERR: Weil ihr dieses Wort sagt: „Last des HERRN“, und ich doch zu euch gesandt und gesprochen habe: Ihr sollt nicht sagen: „Last des HERRN“ – darum, siehe, werde ich euch ganz vergessen und euch und die Stadt, die ich euch und euren Vätern gegeben habe, von meinem Angesicht verstoßen; und ich werde ewigen Hohn auf euch legen und eine ewige Schande, die nicht vergessen werden wird“ (23,30–40).
Diese Propheten verpacken ihre Lügenworte in Ausdrücke, die der wahren prophetischen Sprache entnommen sind. Sie gaben vor im Auftrag Gottes zu sprechen und täuschten das Volk, indem sie sagten: „Last des HERRN“. Dieses Verhalten rief den Zorn des HERRN hervor, so dass er das Verbot aussprach, nie wieder diesen Ausdruck zu verwenden. Die Botschaft, die wirklich von Gott kommt, wird hier so zusammengefasst: „Ich werde euch abwerfen“ (V. 33). Die Worte Gottes haben keine Ergänzung nötig, um ihre Kraft zu zeigen. Diejenigen aber, die sich weiterhin auf die Autorität der Last des HERRN berufen, würden nur ihre Falschheit aufdecken und die schwersten Gerichte auf sich ziehen.
Es ist eine subtile Falle, einerseits in den Worten einen guten Anschein zu geben und sich auf die göttliche Autorität zu berufen, während andererseits das Herz nicht aufrichtig ist und man den Gehorsam gegenüber dem Wort der Wahrheit aufgegeben hat. Die Propheten Israels sind nicht plötzlich in diesen bedauernswerten Zustand verfallen. Die Beschäftigung mit heiligen Dingen, ohne dass unser Gewissen angerührt wird, ohne Konsequenz in unserem praktischen Leben, führt zu einer solchen Verhärtung.
Lasst uns das Gebet Davids beten: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz… Und sieh, ob ein Weg der Mühsal bei mir ist“ (Ps 139,23.24).