Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 92
Die Psalm 92 bis 101 behandeln die Regentschaft des Herrn Jesus Christus in Seinem Reich, das Er in der Zukunft auf dieser Erde errichten wird. Sie stellen Ihn prophetisch vor als den allein vollkommenen, Gott wohlgefälligen Menschen, der geeignet ist, als Sohn Gottes und als Sohn des Menschen die in den Psalm 2 und 8 verheißene Herrschaft Gottes auf der Erde einzuführen und aufrechtzuerhalten. Diese Gruppe der Psalmen beschreibt das, was notwendig geschehen muss, wenn Christus, der ewige Sohn Gottes, wieder auf diese Erde herabkommt. Seine Gegenwart erfordert, dass sich alle irdischen Verhältnisse so verändern und so grundlegend erneuern, dass sie Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit entsprechen. Er Selbst ist der Höchste, der dann in göttlicher Allmacht als der HERR regiert und das, was die Majestät Gottes verlangt, als Seine eigenen Ansprüche durchsetzt (Ps 92,2; 93,1). Seine Vorrangstellung als der Höchste kommt in den Anfangs- und Schlussversen jeweils deutlich zum Ausdruck (vgl. Kol 1,16–18). Im Gegensatz zum bisherigen Lauf der Menschheitsgeschichte beginnt mit dem Regierungsantritt des Höchsten eine Epoche der Ruhe und des Friedens auf der Erde (Jes 32,16–18; 60,18–22). Rasch und mühelos erreicht Er die Ziele, die in den angeführten Schriftstellen vorausgesagt sind. Die Verheißungen des Wortes Gottes haben sich dadurch als wahr erwiesen. Dann ist der Sohn Gottes, der „Erstgeborene“, wieder in den Erdkreis eingeführt (Ps 89,28; 97,9; Heb 1,6). Die Bewohner der Erde gehorchen Ihm, und als Folge ihrer Übereinstimmung mit Seiner Regierung ernten sie eine Fülle von Segen. Er ist überall gegenwärtig; daher herrscht das Recht, und die Güte und Liebe Gottes offenbaren sich. Auf der ganzen Erde wird dann sichtbar in Erscheinung treten, dass durch Jesus Christus auch in praktischer Hinsicht Gerechtigkeit geworden ist (Ps 33,5; 45,8). Sie tritt in herrlicher Vollkommenheit zutage.
Psalm 92 erwähnt keine Nöte und Ängste, auch keine Erprobungen des Glaubens, sondern spricht von dem, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben. Gott, der Gütige und Gerechte, belohnt hier die Gottesfurcht der Treuen. Der Sieg des Guten, den der HERR herbeigeführt hat, kommt ihnen zugute und sie erfreuen sich dessen. Jeder, der Ihm und Seinem Wort vertraut hat, darf fest mit dieser völligen Wandlung zum Guten rechnen. Bereits während der Nacht, wenn der glänzende Morgenstern noch nicht zu sehen ist (Off 22,16), kann der Glaube der Treuen den HERRN im Voraus für diese Veränderungen preisen und dem Namen des Höchsten Lieder singen, und der vorliegende Psalm ruft dazu auf (Vers 2), dies immerfort mit fröhlichem Herzen zu tun. Zu Beginn und nach Ablauf des Tages sollte der Gottesfürchtige seine Gedanken zu Gott erheben, um das höchste aller Ziele durch die Tagesereignisse nicht aus dem Auge zu verlieren. Das Herz, das ganz dem HERRN gehören will, gibt der Heiligen Schrift, dem Gebet und dem Lob Gottes den gebührenden Raum; es übt sich darin, Zeit für Ihn zu erübrigen (Verse 3 und 4; Hiob 35,9.10; Kol 3,15–17).
Einem Gläubigen, dem die eigene Errettung und die laufenden Beweise der Gnade des Herrn als Wirklichkeit vor Augen stehen, fehlt es nicht an wahrem Lob und echter Freude (Vers 5; Ps 111,1–4; 126,3). Er bewertet die Werke Gottes weit höher als die Beschäftigungen des Lebens und die vorzüglichsten Werke der Menschen. Weil uns in aller Regel das Irdische näherliegt und weil es augenfälliger ist als das Werk Gottes, muss man sich öfter einmal auffordern: „Schau das Werk Gottes an“ (Pred 7,13; Ps 104,24; 143,5). Ein gewinnbringendes Vorrecht und eine Freude für die Gottesfürchtigen ist es, der Tiefe Seiner Gedanken nachzugehen (Vers 6; Ps 119,97–100.162; 139,6.17f; Röm 11,33; 1. Kor 2,7–13; Off 15,3). Als Folge davon wird die Wertschätzung des Göttlichen weiter zunehmen. „Glückselig der Mann, der... seine Lust hat am Gesetz des HERRN und über sein Gesetz sinnt Tag und Nacht“ (Ps 1,1f). Dies führt zu bleibender Freude und Dankbarkeit, es bedeutet wahres Glück (2. Tim 3,15). Das Nachsinnen über die Größe der göttlichen Offenbarungen lässt den Gottesfürchtigen wachsen in der Erkenntnis Gottes und im Verstehen Seines Willens und Seiner Taten (Kol 1,9f). Die Verächter Seines Wortes dagegen halten den Weg der Erkenntnis Gottes für sinnlos. Manche meinen, Gott und Seiner Weisheit überlegen zu sein, und werfen sich zu Richtern über Gott auf (Vers 7; Ps 28,5; 73,21.22; 49,12–14; 1. Kor 1,18–23 und 2,14). Die Bestrebungen dieses Zeitlaufs, „die Lust des Fleisches und die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens“ nehmen begabte und unbegabte Menschen heute so völlig in Anspruch, dass ihre Erkenntnisfähigkeit bezüglich dessen, was himmlisch und ewig ist, verlorengegangen ist, und dass ihre Augen verblendet sind und ihr Verstand verfinstert wird (1. Joh 2,16; Röm 1,21f; Eph 4,18). Sie nehmen Gottes Macht und Güte, Seine Weisheit und Gerechtigkeit nicht mehr wahr.
Das,Aufsprossen' und blühende Gedeihen von Menschen, die Gott nicht kennen, mag als ein Beweis für bedeutende Fähigkeiten allgemeine Anerkennung finden (Vers 8; Ps 37,2.35f; 49,17; 73,17–19; Hiob 21,7–21). Doch die Entfaltung nützlicher Veranlagungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach der relativ kurzen Phase der Aufwärtsentwicklung das Erreichte über kurz oder lang wieder zunichte wird. Es lässt sich nicht leugnen, dass das Menschenleben von Anfang an unabänderlich unter diesem Vorzeichen steht. Der Einsichtige jedoch, der seine Mängel und seine Verfehlungen im Licht der Heiligen Schrift eingesehen hat und sich bekehrt, entgeht dem Verderben (Spr 15,24). Für ihn ist die Erkenntnis Gottes und Sein Wort das Maß aller Dinge, und er wird durch seinen Glauben leben (Hab 2,4). Seine Existenz endet nicht mit dem Verwelken und Vergehen, dem das Irdische gleich dem „Gras“ unterliegt (1. Pet 1,23–25). Das garantiert ihm der HERR, der „auf ewig erhaben“ ist, in der Heiligen Schrift (Vers 9; Ps 97,9), und darin findet der Einsichtige die Stütze für seinen Glauben und die Ruhe für sein Herz, auch den nötigen Trost für seine Seele angesichts schwieriger Umstände und der Anfeindungen durch gottlose Gegner (Vers 10; Jes 57,15). Im Glauben setzt er seine Hoffnung auf die Liebe und Güte seines Gottes, der ihn nicht aus dem Auge lässt und ihn zum guten Ziel bringen wird. Mit Ihm überwindet der Glaubende jede Not und auch den Tod. Weil er statt dem trügerischen irdischen Schein der ewigen Wahrheit vertraut hat, überlebt er im Endergebnis seine Gegner, die sein Unglück betrieben haben. Letztlich werden sie es nicht mehr mit ihm, sondern mit Gott zu tun haben (Verse 11 und 12; Ps 23,5f; 59,9–11; 91,8f; 112,8–10). Denn die Gottlosen unterliegen mitsamt ihren Taten dem Gericht Gottes im ewigen Tod (Ri 5,31). Der Gläubige hingegen ist dem Gericht entronnen und überdauert das jetzige Leben, er bleibt in einer wunderbaren Weise mit seinem Gott verbunden. Die Verse 9 bis 12 machen deutlich, dass die ewige, unerreichbare Höhe Gottes der Fels ist, auf den die Gläubigen erhöht und für immer in Sicherheit gebracht sind (Ps 27,5; 31,21; 91,1f). Im Glauben bekennen sie: „Er ist mein Fels“ (Vers 16). Den Untergang des Bösen und die Befreiung der Erde von dessen Macht werden sie von dort aus miterleben. Und für immer werden sie sich an der Verherrlichung Gottes erfreuen (Off 11,15–18; 18,20).
In den Versen 13 bis 16 steht die von Gott geschenkte Lebenskraft der Gerechten der hinschwindenden Kraft der Gottlosen gegenüber. Gesundes Leben ist gekennzeichnet durch Wachstum, Entwicklung und Fruchttragen, und dies gereicht zur Ehre Gottes, der Quelle alles Lebens. Indessen kann ein Gott gemäßes Wachstum nur von Gott bewirkt werden, und gute Fortschritte entsprechen immer Seinem Willen. Dem Heiligen Geist als Kraftquelle geht es immer um die Verherrlichung Gottes. Er lenkt die Gläubigen in die Gegenwart Gottes und leitet zur Gemeinschaft mit Ihm. „Die gepflanzt sind im Haus des HERRN, werden blühen in den Vorhöfen unseres Gottes“ (Vers 14; Ps 1,3; 52,10; 84,8.11; Jes 60,21). Von der Liebe zu ihrem Herrn und Gott bewegt, halten sie sich gerne in Seiner Nähe auf und genießen die Gemeinschaft mit Ihm. In Seinem Haus finden sie das Umfeld und den Boden, aus dem sie ihre Nahrung und Kraft beziehen. In reiner Atmosphäre genießen sie dort geistliche Gemeinschaft mit den Gottesfürchtigen und rühmen den Namen des Herrn (Vers 15; Jes 40,31). Wer sich vom Geist Gottes leiten lassen will, der wird „mit frischem Öl übergossen werden“, das heißt, er wird durch Seinen Geist Kräftigung erfahren (Vers 11b). Sein geistliches Wachstum wird zur Ehre des Herrn gereichen und geistliche Frucht hervorbringen (Kol 1,10–12). Der Geist Gottes wird ihn anleiten, den Namen des Herrn zu loben und Seine herrlichen Taten zu verkünden (Verse 2.16). Für jeden Gottesfürchtigen steht fest, dass Gott heilig ist und dass Sein Name mit keinerlei Unrecht in Verbindung zu bringen ist. Das ist auch die Lehre dieses Psalms und im Übrigen auch Gegenstand der Beweisführung des ganzen Wortes Gottes (Vers 16; 5. Mo 32,4; Zeph 3,5; Off 15,3.4; 16,5–7).