Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 89
Der Psalm beschreibt die überaus weitreichende Güte des HERRN, die sich in dem mit David geschlossenen Bund Gottes offenbart. Dieser Bund enthält göttlich große Verheißungen für das Volk Israel und für den König David und seine Söhne. Näheres darüber findet sich in den geschichtlichen Büchern der Schrift, vor allem in 2. Sam 7,4–16; 1. Chr 17,3–14.27; Ps 132,1.10.11.17f; Jes 55,3f; Apg 13,34. Diese Schriftstellen sind gekennzeichnet durch die Begriffe „Thron“, „Knecht David“, „gesalbt“ und „Bund“; sie kommen auch im Verlauf des vorliegenden Psalms mehrfach vor. Die bezeichnenden Begriffe Güte, Gütigkeiten und Gunst werden ebenfalls wiederholt gebraucht. Die Ankündigungen dieses Psalms betreffen zunächst den König David. Prophetisch hingegen weist der Psalm deutlich auf Christus hin, den wahren Sohn Davids. Christus erfüllt in Seiner Person und in Seinem Handeln die tiefgreifenden Voraussagen des Psalms in vollkommenem Maß. „Denn so viele der Verheißungen Gottes sind, in ihm ist das Ja, darum auch durch ihn das Amen“ (2. Kor 1,20). Der Heilsplan Gottes ruht auf Christus und auf Seinem Werk und hat Ihn zum Mittelpunkt. Die Gnade und die Wahrheit, auf die in diesem Psalm hingewiesen wird, „ist durch Jesus Christus geworden“ (Joh 1,17). Als Messias Israels wird einst der Herr Jesus auf dem Thron Davids sitzen und über die Erde herrschen.
Den Gottesfürchtigen aus Israel gibt dieser Psalm Gewissheit darüber, dass der HERR in Treue zu den Verheißungen steht, an die sich ihr Glaube klammert. Die Person Christi, des Gesalbten Gottes, ist der „gewaltige Arm“ und der „Mächtige“, der „Auserwählte“ und der „Erstgeborene“, dessen Thron für ewig feststeht und der in Vers 27 Gott Seinen Vater nennt (Verse 14, 20, 27f, 30). Christus, der Sohn Davids, ist es, der die gegen Gott gerichtete Feindschaft der Welt und den Tod samt Satans Macht überwunden hat und für immer als „Höchster der Könige der Erde“ regieren wird (Vers 28). In der Endzeit wird sich zeigen, dass der glaubende Überrest aus Israel weiterhin auf die hier festgeschriebenen Verheißungen vertraut. Das heißt zugleich, dass sie an das Kommen der herrlichen Person des Messias, des angekündigten Erretters und Königs Israels glauben. Dem Messias obliegt es, die unverbrüchlich gültigen Zusicherungen der „Gnaden Davids“ zu erfüllen und die zukünftige Begnadigung und Wiederherstellung Israels zu ermöglichen (Apg 3,18–21). Christus, der Erlöser und Heiland, ist es (Apg 5,30.31), der die Gnade und Güte Gottes für die Glaubenden in Seiner Person sicherstellt und erreichbar werden lässt. Durch das erste Kommen Christi auf diese Erde ist sehr Wesentliches des hier Prophezeiten bereits verwirklicht worden. Somit ist die Wahrheit dieser Vorhersagen inzwischen bewiesen.
Wie die Treue und die Wahrheit des HERRN (oder: Jahwe; Jehova) ewig bestehen, so bleibt auch Seine Güte und Gnade ewig unverändert. Die Geschlechter der Menschen mögen einander ablösen, ihre Einstellung Gott gegenüber und ihre Moralbegriffe mögen schwankend sein. Aber „in Ewigkeit wird die Güte gebaut werden; die Himmel, in ihnen wirst du feststellen deine Treue“ (Verse 2 und 3). Nur auf Gott und Seine Verheißungen ist Verlass. Das Gebäude der göttlichen Gnade und Güte steht auf unerschütterlicher Grundlage, es ist weit sicherer als das Firmament. Auf diesen felsenfesten Grund kann der Glaube bauen, ohne eine Enttäuschung fürchten zu müssen. Der Ratschluss der Gnade kennt keine Beeinträchtigung und kein Veralten. Das Wort Gottes, das Seinen Willen verkündet, steht in Ewigkeit fest in den Himmeln (Ps 119,89; 2. Sam 23,5). Der alles umfassende Wirkungsbereich der Weisheit Gottes wird in unermesslicher Größe und Macht in Ewigkeit bestehen. Dies bedeutet für die, die durch Glauben ihre Zuflucht bei Ihm gefunden haben, ewiges Leben in Sicherheit und Glück.
Dass Gott mit einem von Natur vergänglichen Menschen und seinen Nachkommen einen ewigen Bund eingeht, ist eine überaus große Gnade. Offensichtlich hat Er mit den Empfängern Seiner Zusagen Außerordentliches vor. Sein Bund hat jedenfalls ewigen Bestand und seine Zusagen gehen über alles Irdische hinaus; dafür bürgt Gott mit Seinem Namen. Der Bund ist einseitig von Ihm aus geschlossen, er unterliegt keinen Bedingungen, sonst würde er nicht gänzlich auf Gnade beruhen. Der Mann, nämlich David, mit dem Gott den Bund schloss, ist von Ihm auserwählt aus der großen Menge der Menschen, auch aus den Stämmen Israels und aus der Zahl seiner leiblichen Brüder, den Söhnen Isais (1. Sam 16,12f; Apg 2,30f). Die göttliche Wahl wandte sich David in Gütigkeit und Gnade zu und gab ihm nach göttlich souveränem Willen weitreichende Verheißungen. Nichts von diesen Vorgängen deutet auf beiderseitige Ansprüche hin. Alles ist unbedingte Gnade (Verse 4 und 5; Jes 9,6; 16,5; Jer 30,9). Der HERR gibt hier einem sterblichen Menschen Zusagen, die den Lauf aller Dinge auf dieser durch Vergänglichkeit gekennzeichneten Erde überdauern werden, denn diese Bundesbeziehung kennt keine Beendigung. Gott hat das Königshaus mit seinen Nachkommen erwählt und hat ihm eine unverlierbare Vorrangstellung verliehen. Dies besiegelt Er mit einem Eid (2. Sam 7,12–16; 1. Chr 17,10–14; Hes 34,23; 37,24; Hos 3,5; Lk 1,31–35; 3,23ff). Den angeführten Schriftstellen und ihren eidlichen Zusagen hat Gott entsprochen, indem Er Seinen Sohn Jesus Christus, den Sohn Davids, in diese Welt gesandt hat. Durch diese Erfüllung Seiner Zusage ist der Glaube derer, die der Wahrheit Seines Wortes vertrauen, in den vergangenen Jahrhunderten entscheidend gestärkt worden. Das Eintreffen der göttlichen Vorhersagen ist eine nicht zu leugnende Bestätigung dafür, dass Gott Seinem Wort treu bleibt und weiterhin alle Weissagungen Seines Wortes erfüllen wird.
Die Verse 6 bis 19 enthalten eine ganze Reihe von Garantien für die Beständigkeit des von Gott Zugesagten. Zunächst wird gesagt, dass himmlische Wesen die göttliche Macht preisen werden, die solche Wunder tut, wie sie im Vorhergehenden angekündigt und zu einem Teil inzwischen in Erscheinung getreten sind. „In der Versammlung der Heiligen“ wird Seine Treue gerühmt, weil alle Seine Verheißungen wahr sind und zur sichtbaren Realität werden (Vers 6; Ps 40,6; Jes 40,8b). Vergleichbares ist von niemand Anderem jemals verwirklicht worden. Kein hochgestelltes Wesen „in den Wolken“ (Vers 7; Ps 86,8) ist mit Ihm zu vergleichen. Um etwas zu verstehen, braucht der Mensch Vergleichbares, zumindest aber einen Begriff, ein beschreibendes Wort. Doch was das Erkennen Gottes betrifft, muss es erfolglos bleiben (Vers 7; Ps 113,5; Jes 40,18). Vers 8 verweist darauf, dass die unfassbare Größe Gottes sogar den Ihm am nächsten stehenden Wesen schrecklich und furchtbar ist. Seine Macht ist unbeschränkt und grenzenlos souverän (2. Mo 15,11; Ps 77,14). Doch an Sein Wort hält Er Sich immer gebunden, wie es Vers 9 bezeugt: „deine Treue ist rings um dich her“. Er, der alles vermag, weicht niemals von Seinem unveränderlichen Wort ab (5. Mo 32,4; Mal 3,6; 2. Tim 2,13).
Der HERR beherrscht das Toben des Meeres. Das will sagen, dass Er alles, was sich gegen Ihn erheben will, ohne Mühe niederschlägt. Ihn kann keine Beunruhigung erreichen (Vers 10; Ps 65,8; 93,3f; 107,29; Mt 8,26f), Die Starken und Mächtigen dieser Welt sind gleich einem Nichts vor Ihm (Vers 11; 2. Mo 14,26–31; Jes 51,9f). Er hat die Himmel und die Erde gemacht und kann mit ihnen verfahren wie der Töpfer mit dem Ton (Vers 12; Hiob 38,4ff; Ps 24,1; 104,5). Was sich im Himmel und auf der Erde vorfindet, hat Er von den ersten Anfängen an ins Dasein gerufen und bis heute erhalten. Daraus folgt, dass Er nie auf irdische Hilfen und Mittel angewiesen ist bei allem, was Er unternimmt. Die Energien und Kräfte im physikalischen, aber auch im geistigen Bereich sind Seiner Macht niemals überlegen. Sie werden ausnahmslos von Ihm beherrscht. Sein Arm ist stärker als alles (Ps 18,17). Alle Dinge sind Ihm unterworfen und müssen letztlich zur Verherrlichung Seines Namens dienen (Verse 13.14; Ps 148; 119,91; Jes 44,23),
Anschließend an die Beschreibung der Macht des HERRN als Schöpfer wird in den Versen 15 bis 19 Seine richtende, ordnende und bewahrende Macht in Seinem zukünftigen, alles umfassenden Reich dargestellt, und als Folge davon auch der Segen für alle, die sich dort im Wirkungsbereich Seiner Liebe und Gnade aufhalten. „Gerechtigkeit und Gericht“ kennzeichnen Sein Reich und Seine Herrschaft (Vers 15; Ps 45,4–8; 85,10–14; 97,1–9; Jes 1,26ff; Mt 25,31ff), auch „Güte und Wahrheit“ begleiten Ihn ständig (Joh 1,17). Die Ruhe und der Frieden auf der Erde sind durch Ihn gesichert. Das Volk, das sich dann von Ihm führen lassen wird, wandelt im Licht Seines Angesichts und ist in Übereinstimmung mit Ihm, dem HERRN. Was sie an Ihm sehen und in Seiner Gegenwart erleben, ist nur Gutes und herrlich Vollkommenes. Mit großer Freude wird das Volk die Gemeinschaft mit Ihm genießen. Dafür dankt es dem HERRN und verehrt Ihn (Vers 16; Ps 27,6; 33,1–3; 47,2–8; 98,1–6; 150,1–6). Unter dem Einfluss Seines Geistes befolgt es die göttlichen Grundsätze. In Seinem Licht sind alle in bestem innerem Zustand (Vers 17; Jes 11,9f; 32,8; 33,6; 45,25; 60,21; Jer 31,34; Hab 2,14). Die Haltung Seines Volkes ist durch den HERRN geprägt; seine vorteilhafte Entwicklung wird von anderen hochgeschätzt werden. Diese Anerkennung verdankt es allein dem HERRN, denn Er Selbst ist Israels Zierde und Stärke (Vers 18; Ps 75,11; 92,11; Jes 4,2; 28,5f; 60,15). Er ist es, der ihre Größe mehrt (Ps 71,21–24). In auffälligem Gegensatz zu Seinem ersten Kommen auf diese Erde ist Er nun für alle erkennbar der Heilige Israels, ihr Schild, ihr Retter und König (Vers 19; Ps 44,5; 47,7–10).
Die außerordentlichen Segnungen Israels zur Zeit des Königtums Davids (um das Jahr 1000 vor Christus) beruhten auf der Gunst Gottes, die Er einem einzelnen mächtigen Helden gewährte, dem Knecht Gottes der Verse 20 bis 21. In David hatte Gott den geeigneten Mann gefunden, der eine besonders wichtige Position in Seinem Heilsplan einnehmen sollte, und salbte ihn dazu mit Seinem heiligen Öl (Vers 21; 1. Sam 16,12). Ihn hatte Gott auserwählt und zum König gemacht, um Israel aus seiner Notlage zu retten, aber auch, um David und sein Haus zum Träger von Verheißungen zu machen, die alle Zeiten überdauern. Dabei handelt es sich um „die zuverlässigen Gnaden Davids“; von diesen spricht Paulus in Apg 13,32–39 und bezieht die Verheißung auf Jesus, den verheißenen Sohn Davids. Der Apostel bewies damals den Juden, dass Jesus, den sie gekreuzigt hatten, der auserwählte Sohn Davids ist, den die Weissagung des Psalms 2,7 als Gottes Sohn bestätigt. Jesus war in menschlicher Niedrigkeit gekommen als der ‚Sohn des Menschen' (Ps 8,5–7), und als solcher ist Er aus den Toten auferweckt und von Gott zum gekrönten Herrscher gemacht worden. Des Weiteren ist Er der in Ps 16,10 erwähnte „Fromme“, der auferstanden ist und keine Verwesung gesehen hat. Paulus fügt noch hinzu, „dass durch diesen euch Vergebung der Sünden verkündigt wird“ und dass „durch diesen jeder Glaubende gerechtfertigt“ wird (Apg 13,38.39). Das ist die Heilsbotschaft, die Gott „(in heiligen Schriften zuvor verheißen hat) über seinen Sohn, (der aus dem Geschlecht Davids gekommen ist dem Fleisch nach und erwiesen ist als Sohn Gottes in Kraft dem Geist der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung), Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm 1,2–4). In Seiner Person sind alle verheißenen Gnaden vereinigt und durch Ihn werden sie vollkommen erfüllt.
Die Zusagen, die der Psalmdichter in den Versen 22 bis 38 aufzählt, richten sich zunächst direkt an David, danach auch an die gottesfürchtigen Königssöhne in seiner Familie und daher insbesondere an Jesus Christus (Mt 1; Lk 1,30–55). Das Neue Testament, speziell das Lukas-Evangelium, beginnt mit der Feststellung, dass sich die hier behandelten Verheißungen auf Jesus beziehen, und beschreibt ihre Erfüllung durch Ihn. Mit demselben Ziel schreibt Paulus an Timotheus: „Halte im Gedächtnis Jesus Christus, auferweckt aus den Toten, aus dem Geschlecht Davids“ (2. Tim 2,8). Nach den Prophezeiungen musste einer der Nachkommen Davids hinsichtlich der Frömmigkeit, Heiligkeit, Gerechtigkeit und Treue ein vollkommener Mann sein, das heißt Einer, dem nichts vorzuwerfen war, den Gott liebte, und der selbst, von Liebe getrieben, sich bis zum Äußersten einsetzte. Es musste ein Glaubender sein, der sich in der Ausübung seiner Aufgabe als treu und unüberwindlich erwies, selbst wenn er durch den Tod gehen musste. Nur dieser konnte uneingeschränkt Erbe und Träger der Verheißungen sein. Darüber hinaus musste Er der vollkommene Knecht und Diener Gottes sein, auch in der Demut und im Glauben. Der Herr Jesus allein vermochte alle Anforderungen zu erfüllen. Darum ist Er der Sohn Davids, „mit dem meine Hand festbleiben soll, und mein Arm soll ihn stärken“ (Vers 22), und dem auch alle weiteren Zusagen bis Vers 30 gelten. Indessen ist festzuhalten, dass nicht eine der Einschränkungen der Verse 31 bis 34 auf Jesus zutrifft, den Fleckenlosen, der nie eine Sünde tat.
Die Verse 23 bis 26 sichern dem Gesalbten die Hilfe Gottes gegenüber äußeren Feinden zu, bevor er in Bedrängnis gekommen ist und ehe die Gegner über ihn herfallen. Aufgrund dieser Zusage hat der Feind bei einer geplanten Auseinandersetzung damit zu rechnen, dass er von Anfang an den Allmächtigen Selbst zum Gegner haben wird (Verse 24.25). Bei allen Unternehmungen geht Gott Seinem Gesalbten bahnbrechend voran. Die Majestät Seines Namens ist mit ihm und sichert seinem Vorhaben das Gelingen zu (2. Sam 7,9; Ps 72,8f; 132,17f). Diese Zusagen an David und dessen gottesfürchtige Söhne schließen das gesamte Volk mit ein. Die Zusicherungen dieser Verse enthalten darüber hinaus klare Hinweise auf die kommende Weltherrschaft Christi, des wahren Sohnes Davids. Auch die Verse 27 bis 30 gehen in mancher Hinsicht über Davids Wirkungskreis hinaus; sie deuten auf Christus, den Messias, hin, und dabei speziell die Ankündigungen, dass Sein Thron „wie die Tage der Himmel“ ist, und dass auch „das Meer und die Ströme“ der Herrschaft des Gesalbten keine Grenzen setzen können (Vers 26). Bei alledem zeigt sich, dass Gott es ist, der den Lauf der Weltgeschichte vorher kennt und lenkt (Verse 23 bis 30). Und Christus ist es, der das Geplante letztlich in jeder Hinsicht erfüllt. Er ist der König der Könige, der als Gottes Sohn und Sein Erstgeborener fest auf Seine Gunst rechnen kann (Vers 28). Das persönliche Verhältnis des gesalbten Königs zu Gott ist unauflöslich, von Vertrauen und Abhängigkeit und durch Gehorsam gekennzeichnet. Es ist der Ausdruck der innigen Beziehung zwischen Vater und Sohn. Die in Vers 27 vorausgesagte Anrede „Mein Vater bist du“ hat ihre Erfüllung erst in Christus erfahren, denn wir lesen nicht, dass David den HERRN oder Gott mit „Vater“ angeredet hätte (Ps 2,7; 2. Sam 7,14; Heb 1,5). Auch Vers 28 wird sich in vollem Maß erst dann erfüllen, wenn der Herr Jesus in Seinem Reich regiert. Dann hat der Vater Ihm als Seinem Erstgeborenen das ganze Erbe in die Hand gegeben (Ps 2,8; 22,28f, 72,11.17; 83,19; Heb 1,2.4.6; Off 17,14; 19,16). Das wird in der Herrlichkeit des tausendjährigen Reiches zutage treten. Für den Messias, aber auch für David und seine gottesfürchtigen Nachkommen enthält Vers 29 die Zusage der immerwährenden Treue Gottes und der unverbrüchlichen Festigkeit Seines Bundes (Ps 18,51; Jes 55,3; Apg 13,34). Vers 30 wendet sich an die Nachkommenschaft Davids überhaupt. Er weist jedoch auch auf Christus hin, den wahren Sohn Davids (Apg 2,30–32).
Die Schrift sieht in den Versen 31 bis 33 voraus, dass manche der Söhne Davids von Gott abfallen und gegen Seine Gebote verstoßen würden, was sehr bald auch geschehen ist (1. Kön 1,11ff; 11,1–13; 2. Kön 16,2f). Kurz nach Davids Tod wurden die ersten Gerichtsschläge zur Bestrafung der Ungerechtigkeit seiner Nachfahren notwendig (1. Kön 11,11.31; 12,20b). Dennoch wollte Gott Seine Güte nicht von David weichen lassen und Seinen Bund dieserhalb nicht entweihen (Vers 35). Er rückt von Seinem Plan nicht ab, sondern verfolgt weiter das festgelegte Ziel (4. Mo 23,19). In Güte und Treue bleibt Gott bei dem ein für alle Mal gegebenen und beschworenen Wort, dass Davids Geschlecht ewig bestehen bleibt (Verse 34 bis 38; 2. Kön 8,19; Jes 37,35; Jer 33,20–22). Denn menschliche Sünde setzt die Erfüllung des gegebenen Wortes nicht außer Kraft. Andererseits duldet Gott nicht, dass durch ein Fehlverhalten Seiner Knechte das Wesen der Heiligkeit beeinträchtigt wird. Die Strafe für ihr Abfallen von Ihm wird Er nicht mindern oder gar aufheben (Neh 9,30–33; Röm 11,1.29; 2. Tim 2,13). Menschen können Seinen Bund und Sein Gesetz brechen. Er hingegen bricht Sein Wort und Seinen Bund nie.
Die Vorhaltungen des Psalmdichters in den Versen 39 bis 46 klingen fast so, als stellten sie die Zusagen des HERRN im ersten Teil des Psalms in Frage. Der Psalmdichter kommt mit dem Einwand, Gott habe entgegen Seinem Versprechen Seinen Gesalbten verworfen, ebenso den mit ihm geschlossenen Bund (Verse 39 und 40). Was die Nachkommen Davids und das Volk besessen hatten, war in der Hand ihrer Feinde. Viele waren im Krieg gefallen. Gott hatte dies geschehen lassen, ohne einzugreifen. Von dem Glanz des Thrones Davids war nichts übriggeblieben. Statt Ehre, Ruhm und Sieg gab es nur noch Schmach (Jer 51,51), Schande, Elend und viel vernichtetes Leben; anstelle ihrer einstigen Blütezeit überwog nun der Ruin (5. Mo 28; Klgl 1,5.21; 2,1f). Warum zögerte Gott, Seine Beschlüsse betreffs Davids und Israels und die darin enthaltenen Verheißungen durch Seine Macht in die Wirklichkeit umzusetzen? Was veranlasste Ihn, keine rettenden Maßnahmen zu ergreifen? „Bis wann, HERR, willst du dich immerfort verbergen?“ (Vers 47; Ps 79,5). Wenn Sein Grimm weiterhin wie Feuer brannte, dann würde in Kürze von ihrem Land und Besitz nichts mehr vorhanden sein; sie selbst würden als Volk ausgelöscht werden. Ihr derzeitiger Zustand machte jede Hoffnung auf Wiederherstellung des Königshauses als Träger der Verheißungen und auf Besserung der elenden Verhältnisse zunichte. Das zweifelnde Fragen und die trüben Feststellungen ähneln dem, was ungläubige Spötter im zweiten Brief des Petrus sagen: „Wo ist die Verheißung seiner Ankunft? Denn seitdem die Väter entschlafen sind, bleibt alles so von Anfang der Schöpfung an“ (2. Pet 3,4). Von einem Eingreifen Gottes war tatsächlich nichts zu sehen. Die Gottesfürchtigen zur Zeit des Psalmdichters nahmen den zunehmenden Niedergang Israels und ihr eigenes Elend mit Bedrücktheit wahr. Durch die schlimmen Umstände unterlag ihr Glaube vielen Anfechtungen. Doch dem Zweifelnden ruft der Herr zu: „Glückselig sind, die nicht gesehen und doch geglaubt haben“ (Joh 20,29). Paulus sagt: „Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen“ (2. Kor 5,7). Indessen war Gottes Grimm gerechtfertigt, denn Sein Weinberg, das Volk Israel, hatte statt guter Trauben nur schlechte Früchte gebracht. Daraufhin hatte Er dem Weinberg den Zaun und die Mauer weggenommen (Vers 41), so dass Feinde ihn beraubten. Dornen und Disteln hatten das Ganze überwuchert (Jes 5,1–7). Die Befestigungsanlagen ihrer Städte waren niedergerissen. Dennoch haben auch später nicht wenige Gottesfürchtige unter dem Volk und aus dem Königsgeschlecht den Glauben bewahrt; sie haben die Not der hier beschriebenen Prüfungszeit offenbar mit Fassung auf sich genommen. Denn manche von ihren Nachkommen erwarteten zur Zeit Johannes' des Täufers den Messias. Dann kam zu ihrer großen Freude Jesus Christus als Sohn des Menschen aus dem Stamm Davids zu ihnen und erfüllte ganz offensichtlich die Ihn betreffenden Ankündigungen des Alten Testaments. Er erwies Sich vor ihren Augen als der wahre Sohn Davids und Träger der Verheißungen dieses Psalms. Gottes Wort hatte sich bewahrheitet. Ihr Glaube war nicht enttäuscht worden.
In den Versen 48 und 49 verweist der Psalmdichter auf die vergleichsweise geringe Lebensdauer und die Nichtigkeit des Menschen und stellt fest, dass der Mensch zuletzt hilflos dem Tod verfallen ist. In Zeiten der Krankheit und Not gelingt es dem Gläubigen manchmal nicht, seine Gedanken von der augenblicklichen Gefahr wegzuwenden und sich seiner ewigen Errettung zu erfreuen. Die Überlegungen sind so stark mit dem körperlichen und seelischen Zustand beschäftigt, dass sich die Seele nicht zu der herrlichen Hoffnung und den Verheißungen des Wortes erheben kann. Verständlicherweise wird gefragt: „Wo sind, o Herr, deine früheren Gütigkeiten?“ (Vers 50). Die Rückerinnerung an bessere Zeiten weckt Wehmut und lässt Tränen fließen. Doch der Herr ist nicht untreu geworden. Er liebt die Seinen nach wie vor. Der Vater hat Sein schwaches Kind nicht vergessen. Er wird jeden, der Ihm vertraut, auch durch die schlimmsten Stunden hindurch zum Ziel des Glaubens bringen.
Die Frage in Vers 49, ob überhaupt jemand von der Gewalt des Todes befreien kann, ist durch die Auferstehung des Herrn Jesus beantwortet. Der in diesem Psalm angekündigte Sohn Davids, der Gesalbte, der als Auferstandener ewiges Leben besitzt und ewig herrschen wird, ist inzwischen in Christus offenbart. Er ist in den Tod gegangen und hat durch Seine Auferstehung den Tod besiegt. Er ist der angekündigte erwählte Gesalbte, der nicht den engen Grenzen des Menschenlebens ausgeliefert ist. Psalm 89 stellt Seine herrliche Person vor als Den, welcher der Arm Gottes zur Durchführung aller göttlichen Ratschlüsse ist. Für alle, die an Ihn glauben, hat Er den Weg gebahnt aus diesem irdischen Leben ins ewige Leben. Auch für die damaligen und die zukünftigen Gläubigen aus Seinem irdischen Volk hat Er Sein wunderbares Werk am Kreuz vollbracht und danach Seinen Platz zur Rechten Gottes, Seines Vaters, eingenommen. Gottlose und die Feinde des Christentums mögen den Glauben der Knechte Gottes verhöhnen. Aber dann verachten sie im Unglauben auch die in Vers 52 erwähnten Fußstapfen des Gesalbten Gottes, des Herrn Jesus, die auf dieser Erde nicht zu übersehende Spuren hinterlassen haben (Vers 51f). Der Glaube an Ihn als Retter und Erlöser und an die ewige Gnade und Liebe Gottes lässt sich von dem Hohn der Gottlosen nicht beeindrucken. „Gepriesen sei der HERR in Ewigkeit! Amen, ja, Amen!“ (Vers 53).