Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 65
Die Psalm 65 bis 68 bilden eine Gruppe von Gesängen, die in ihren Überschriften die Bezeichnung ‚Lied' oder ‚Lied-Psalm' führen, und dies lässt ihre Zusammengehörigkeit erkennen. Lieder werden allgemein zum wiederholten Gebrauch gedichtet. Als geistliche Lieder geben sie die Erfahrungen und die Hoffnung des Glaubens wieder. Zudem dienen sie dem Lob Gottes und der Ermunterung der Gottesfürchtigen. Die vielfältigen Segnungen Gottes werden gerühmt, und die Freude darüber wird von glücklichen und dankbaren Herzen im Lied vor Gott gebracht. Die hier vorliegenden vier Lieder sind durch eine starke Erwartungshaltung gekennzeichnet. Sie bezeugen eine lebendige Hoffnung, der auch die Glaubenden des Neuen Testaments gerne zustimmen. Die Gottesfürchtigen jener längst vergangenen Zeit sind dankbar, dass sie aus großer Not errettet worden sind. Daher ist gut zu verstehen, dass sie das Erscheinen Gottes sehnlich erhoffen. Sie erwarten, dass Er in der Zukunft Seine umfassende Herrschaft über die ganze Welt errichtet, damit alle Nationen in Frieden und Sicherheit leben können (Verse 6 und 10). Die Gläubigen aus Israel haben dann vor allem die Aufgabe, Seinen Namen besingen (Ps 66,4; 67,4; 68,33). Die Aussage der angeführten Stellen stimmt mit der Bitte in Mt 6,10 überein: „Dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf der Erde“. Es ist deutlich zu erkennen, dass sich die vier Lieder mit dem befassen, was der gnädige Gott in der Zukunft tun wird, um Seine segensreichen Ziele für die ganze Erde zu erreichen. Er allein kann dem Guten in der Auseinandersetzung mit dem Bösen zum endgültigen Sieg verhelfen. Er ist es, der die Erde und das Leben der Ihm ergebenen Menschen zu Seinem Ruhm erhält. Nur Er kann Sünden tilgen und ihre Folgen beseitigen. Nach Ablauf unseres jetzigen Zeitalters werden Seine Güte und Seine Macht für alle erkennbar in Erscheinung treten. Er offenbart Sich dann zunächst als der Richter der Gottlosen und im Weiteren als der Allwissende, als der Schöpfer und als der Lenker aller Geschicke, auch als der Geber alles Guten und der Hörer des Gebets, als Herr aller Herren und als der Gott Israels. Jeder dieser vier Psalmen hat die ganze Erde und alle Nationen im Blickfeld und beschreibt ihre zukünftigen Geschicke, nachdem das jetzige Zeitalter durch göttliche Gerichte zum Abschluss gekommen sein wird.
Gott erwartet Anbetung und Lobgesang von dieser Schöpfung, denn darum hat Er sie erschaffen. Als prophetische Voraussage betrachtet, kündigt Vers 2 des Ps 65 an, dass zu einem zukünftigen Zeitpunkt ein „Lobgesang“, der jetzt noch „schweigend ausharrt“, beginnen wird und fortan nicht mehr endet. Auf dieser Erde gibt es dann viele aus Israel, die ihre ungerechten Taten bereuen und Vergebung ihrer Schuld empfangen. In jener kommenden Zeit werden sie von Herzen bereitwillig sein, Gott zu loben. Sie halten dies nach ihrer Errettung für ihre höchste und schönste Pflicht. Bisher ist der Weg zu diesem Ziel hin noch nicht frei, und die Umstände sind bis jetzt nicht dazu angetan. Die Herrschaft des Bösen ist bisher noch nicht beseitigt, sie breitet sich eher noch aus. Heute seufzt die ganze Schöpfung noch und das sehnende Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes und die sich daran anschließende umfassende Freiheit (Röm 8,19–22). Die dazu passende Gesinnung findet sich dann bei denen, die mit geistlicher Einsicht die göttlichen Ansprüche anerkennen. Sie warten auf ihre Befreiung und fassen Mut: „Harre auf Gott, denn ich werde ihn noch preisen, der die Rettung meines Angesichts und mein Gott ist“ (Ps 43,5). Die Bußfertigen aus Israel, die in jener kommenden Zeit zu Gott umkehren, setzen ihr ganzes Vertrauen auf Sein baldiges Eingreifen, und dies erbitten sie von Ihm, dem „Hörer des Gebets“ (Verse 3 und 6). Sie glauben an Seine Verheißungen und erwarten den Tag, an dem alles Fleisch, das heißt alle dann lebenden Menschen kommen werden, um vor Gott anzubeten (Vers 3b; Jes 66,23). Sie haben die Überzeugung, dass sie der von dem Propheten Micha angekündigte „Überrest seines Erbteils“ sind,, dass Gott ihnen ihre Ungerechtigkeit und Schuld auf ihr Bekenntnis hin vergibt. Nie mehr wird Er ihrer Sünden gedenken, die sie dann bitter bereuen mit den Worten des Verses 4: „Ungerechtigkeiten haben mich überwältigt, unsere Übertretungen, du wirst sie vergeben“. Ihre Bekehrung zu Gott und die Vergebung ihrer Schuld wird bestätigt durch prophetische Voraussagen in den Büchern Mich 7,18–20; Jes 33,24; 53,4.5 und Jer 31,34.
Nachdem in der Zukunft ihr Messias, Christus, vom Himmel her zur Wiederherstellung aller Dinge nach Zion gekommen sein wird (Apg 3,20.21), richten sich die Gedanken der gläubig Gewordenen aus Israel als Erstes auf Gott und speziell auf Sein Haus, denn dort möchten sie Ihn für immer umgeben. Sie sind sicher, dass ihre Sünde gesühnt ist und dass sie dazu erwählt und auch geheiligt sind, in Gottes Nähe und in Sein Haus, Seinen heiligen Tempel, zu kommen und dort zu wohnen (Vers 5; Ps 23,6; 43,3; Jes 4,3.4). Was sie als Volk bis jetzt nie erreichten, wird in jener zukünftigen Zeit Wirklichkeit werden, denn sie werden für Ihn „ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein“. Sein Ratschluss hat dies seit jeher für sie vorgesehen (2. Mo 19,6; 5. Mo 7,6). Als Glückselige werden sie Ihm in Seinem Haus auf der Erde dienen und Ihn mit ihrem Lob erfreuen (Ps 84,5). Sie erleben mit Jubel die Erfüllung der Verheißungen der Heiligen Schrift; sie preisen Gott dafür und erfreuen sich der Gemeinschaft mit Ihm. Nicht nur die Priesterschaft, sondern sie alle genießen die Sättigung mit dem Guten Seines Hauses, irgendeinen Mangel kennen sie nicht mehr. Nachdem Gottes Zorn die Erde wegen der Ungerechtigkeiten und Gesetzlosigkeiten getroffen hat, bewirkt der Herr, dass der Fluch von der Erde weggenommen wird und die Folgen der Sünden nicht mehr zu sehen sind. In wunderbarer Größe stehen ihnen dann die herrlichen Ergebnisse Seiner Machtausübung gegenüber dem Bösen vor Augen (Jes 40,10). Sie erkennen die Macht Seiner Liebe, die sich ihnen in unendlicher Güte zugewandt hat. Die den Glaubenden verheißene herrliche Zukunft in der Gegenwart Gottes hat dann für sie begonnen. So offenbart sich eine himmlische Vollkommenheit in der sie umgebenden irdischen Wirklichkeit: „Nahe ist sein Heil denen, die ihn fürchten, damit die Herrlichkeit in unserem Land wohne“ (Ps 85,10).
Auf der ganzen Erde werden dann die Rechtsgrundsätze der Gerechtigkeit Gottes zur vollen Geltung kommen. Ihre Durchsetzung hat bei der Errichtung Seines Reiches furchtbare Folgen für die gottlose Menschheit, so auch für die Gesetzlosen aus Israel (Vers 6; Ps 46,9; 110,6; Jes 63,3–6; Jer 5,20–31). Nachdem die Befreiung der ganzen Erde von jeder Art des Bösen durch den Herrn Jesus Christus vollendet ist, kommt eine Fülle von Segnungen über alle Erdbewohner. Der Hoffnungsträger für die ganze Erde ist Jesus Christus. Er wird die moralische Wiederherstellung nach Seinem zweiten Kommen unverzüglich in Angriff nehmen. Die Völker aller Gegenden der Welt müssen sich Ihm unterwerfen (Ps 22,28f; 67,3–6; Jes 42,4; 51,4.5). Unter dem Eindruck der überall sichtbaren Erneuerung zum wahrhaft Guten werden sie in Ihm den wahren Wohltäter der Menschheit sehen. Er allein verdient zu jeder Zeit das Vertrauen aller. Dann aber wird es Ihm auch wirklich entgegengebracht. Mächte, die sich bisher wie unbezwingbare Berge erhoben, unbezähmbar scheinende Völker mit ihren gegen Gott rebellierenden geistigen Strömungen liegen Ihm dann machtlos zu Füßen und vernehmen ihr Urteil. Deshalb fürchten Ihn dann alle Bewohner der Erde (Verse 7 bis 9; Ps 2,11; 89,10ff; 93,3f; Jes 17,12.13; Lk 21,25–28; Heb 2,8).
Die Unterwerfung und Reinigung der Welt ist vollendet, wenn die ganze Schöpfung Ihm zujubelt und alle dem Herrn die geschuldete Ehrerbietung fortwährend erweisen. Dann nimmt Er Sich fürsorglich der ganzen Welt an und bewirkt eine Fruchtbarkeit, die diese Erde bisher nicht gekannt hat. Er hat offensichtlich Seine Freude daran, die ganze Welt im Überfluss zu segnen. Unter den neu geordneten Verhältnissen muss jeder eingestehen, dass das neu entstehende Nützliche und Gute ein Geschenk Seiner Güte und ein Beweis Seiner Schöpfermacht ist. Es steht dann außer Frage, dass die Schöpfung von Ihm und Seinem Wohlwollen lebt und durch Ihn existiert. Er ist der Gründer und Erhalter alles Geschaffenen und alle Dinge dienen Ihm. Er plant das ganze Geschehen, bereitet den Segen vor und gewährt ihn zur gegebenen Zeit (Verse 10 bis 14; Ps 33,5–9; 104,13). So offenbart sich die Herrlichkeit Seiner Weisheit auf der Erde unter den Menschen. Nicht mehr der Mensch und seine Werke werden gerühmt, sondern die Zeichen und Wunderwerke Gottes und die unendliche Fülle, die Ihm zur Verfügung steht (Ps 72,16; Jes 12,5; 41,18–20; 55,12f; Sach 14,8–11). An den zum Besten gewandelten Verhältnissen sind überall die deutlichen Spuren des Segens und die Wirkung der völligen Neuordnung zu verfolgen. Die verderbenden Kräfte, die sich bisher im Widerstreit gegeneinander befanden und in der Welt chaotische Zustände und Niedergang hervorriefen, sind nicht mehr vorhanden. Der Fluch als Folge der Sünde ist von der Erde weggenommen (1. Mo 3,17–19). Alle Entwicklungen streben dann dem gemeinsamen Ziel zu, Gutes zur Ehre Gottes hervorzubringen und dem allgemeinen Wohl zu dienen. Der Ruhm und das Lob dafür, dass an die Stelle des Ruins die Wiederherstellung aller Dinge getreten ist, gebührt allein dem Sohn Gottes, dem Herrn Jesus Christus, „der das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung. Denn durch ihn sind alle Dinge geschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde,... Alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen... und alle Dinge bestehen durch ihn“ (Kol 1,15–17). Der Glaubende ist überzeugt, dass Gott das Maß und das Ziel, den Anfang und das Ende aller Dinge bestimmt. Er nimmt das Wirken Gottes wahr und vertraut darauf; darum weiß er sich stets in Gott geborgen.