Die Psalmen
Eine Auslegung für die Praxis
Psalm 64
Der Psalm befasst sich mit den üblen Prinzipien des Bösen und bringt sie ans Licht. David sah sich von niederträchtigen Menschen umringt. Doch in der Gemeinschaft mit seinem Gott vermag der Gläubige in einer Umgebung zu bestehen, die ihn auf eine hässliche, hinterhältige Weise angreift. Die Kraft von oben lässt ihn standhalten gegenüber einer Schar von Übelgesinnten, die sich gegen ihn verbündet haben. Im Neuen Testament ruft der Herr den auf solche Art Angegriffenen zu: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und danach nichts weiter zu tun vermögen“ (Lk 12,4). Als der Apostel Paulus durch religiös fanatische Gegner in Lebensgefahr geriet, wusste er sich in der Hand des Herrn: „Ich bin gerettet worden aus dem Rachen des Löwen. Der Herr wird mich retten von jedem bösen Werk und bewahren für sein himmlisches Reich“ (2. Tim 4,17.18).
Eine derart versteckte Bosheit, wie sie in diesem Psalm offengelegt wird, entwickelt sich vorzugsweise in einer Gruppe von Menschen, die untereinander die gleiche Gesinnung haben. Das Gewissen des Einzelnen wird überstimmt und mitgerissen durch die gemeinsamen frevelhaften Ziele, welche die ganze Rotte zusammenhalten (Vers 3; 4. Mo 16,11; Ps 22,17; 56,7). Sie bestärken einander beim Planen und Ausführen ihrer Anschläge. Um dieses bekannten Sachverhalts willen gebietet das Gesetz Moses: „Du sollst der Menge nicht folgen, um Böses zu tun“ (2. Mo 23,2). Manche meinen, dass eine Schuld dann weniger schwerwiegend sei, wenn sie sich auf eine größere Anzahl von Beteiligten verteilt, und haben sich zur Mittäterschaft verleiten lassen. Sie glaubten, sich hinter anderen, besonders im Schatten der Anführer, verstecken zu können. Die Gewohnheit der Übeltäter, sich selbst und ihre Schuld zu verbergen, beweist allerdings, dass ihr Gewissen noch in Tätigkeit ist. Der Rechtschaffene dagegen steht bewusst mit seinem Gewissen vor Gott. Deswegen hält er sich von gewissenlosen Menschen fern. Dabei bleibt er unbeugsam, auch wenn er auf starken Widerstand trifft. Bei diesem Abstandhalten steht ein Gottesfürchtiger manchmal allein da. Doch der scheinbare Mangel wird durch die Gemeinschaft mit Gott und Seinem Wort mehr als aufgewogen. Mit Seiner Hilfe wird er andere finden, die gleichen Sinnes sind und den rechten Weg einhalten.
Die Kampfführung der Gottlosen gegen David war nach dem Bericht des Psalms grausam hart und geschickt ausgeklügelt. Sie benutzten die Zunge als Schwert, ihr Wort als Pfeil und im Geheimen entwickelte Pläne als Fangseile. Für ihre bösen Anschläge hielten sie ein großes Arsenal übler Methoden bereit (Verse 3 bis 7; Ps 11,2; 52,4f; 55,10–12; Dan 6,4–18; Mt 5,11). Der Gedanke, ähnliche Mittel wie die der Übeltäter zu verwenden, scheidet für einen Gottesfürchtigen gänzlich aus. Daher steht er den Angreifern scheinbar wehrlos gegenüber. Er ist völlig auf die Hilfe von oben angewiesen, deshalb überlässt er Gott die Abwehr der Anschläge. Für Gott ist es ein Leichtes, durch ein plötzliches Strafgericht die Feinde zu Fall zu bringen, wenn Er es für recht hält (Verse 8 und 9). Die Hilfsmittel des Himmels werden sich den irdischen und menschlichen in jedem Fall überlegen erweisen. Das Angriffsziel der Ungerechten sind die Unsträflichen, die Frommen im Allgemeinen. Dahinter verbirgt sich Satan, der sein wahres Gesicht nur ungern zeigt. Dass er böse Menschen gegen die Gottesfürchtigen einsetzt, um der Sache Gottes zu schaden, gehört zu der Angriffstaktik, die er damals wie auch heute anwendet. Über die Rechtsbrüche und die Heimtücke in ihren Plänen geben sich die Gefolgsleute Satans keine Rechenschaft. Ihr Gewissen ist abgestumpft. Ihr Vorhaben ist unberechenbar und ihr plötzliches Auftreten unvorhersehbar. Achtung vor Mitmenschen und Furcht vor dem göttlichen Richter kennen sie nicht (Vers 5; Ps 36,2.5; 55,20). Sie stacheln sich gegenseitig zu ihren Verbrechen auf und planen das Gelingen sorgfältig. Übrig bleibt nur noch die Ausführung. In diesem Geschehen wird die abgründige Schlechtigkeit eines menschlichen Herzens offenbar, dessen Bosheit bis ins Bodenlose hinabreicht (Verse 6 und 7; Ps 10,6; 58,3; 59,8; Jer 17,9). Mit Verschlagenheit erdenken und vollführen Frevler nahezu perfekte Verbrechen. In Feindschaft gegen Gott und Menschen missbrauchen sie ihren Verstand und ihre Kräfte. Darin gleichen sie Satan.
Mit Gott, der das Verborgene längst kennt, haben die Übeltäter nicht gerechnet (Vers 8; Jes 29,15). „Denn Gott wird jedes Werk... in das Gericht über alles Verborgene bringen“ (Pred 12,14; Ps 7,12–14; 2.im 4,14). Die Bösen mögen sich in der Vorstellung wiegen, ihr Ziel schon erreicht zu haben. Aber sie ahnen nicht, dass ihr eigenes Verderben naht, „und sie werden zu Fall gebracht“ (Vers 9; Ps 63,10f). Das göttliche Strafgericht wird plötzlich über sie selbst hereinbrechen, nur nicht im Verborgenen, wie es ihre Art ist, sondern zum Erschrecken aller am Licht der Sonne. Den Beobachtern dieses Geschehens wird klar, dass das Gerichtsurteil über die Frevler und deren Bestrafung das Werk Gottes sind (Verse 8 und 9). Seine Gerechtigkeit tritt darin so offenkundig hervor, dass niemand mehr am tatsächlichen Eingreifen Gottes zweifelt. Erschrocken werden Menschen zum Nachdenken kommen (Vers 10; Ps 58,12; Jes 26,9). Das scheinbar zögernde Warten Gottes bleibt dem Menschen oft unverständlich. Gott aber handelt in Weisheit: Er lässt die Frevler manchmal ihr böses Werk bis auf die Spitze treiben, doch dadurch wird der wahre Charakter des Bösen im ganzen Ausmaß bloßgestellt. An der alles Böse erfassenden Treffsicherheit des göttlichen Gerichts wird Gottes Hand unverwechselbar erkannt werden. Dagegen ist die Freude der Gerechten über das Hervortreten Gottes zu ihren Gunsten groß. Ihr Glaube ist nicht enttäuscht, sondern bestätigt worden. Im Glauben haben sie bis zu dem von Ihm bestimmten Zeitpunkt ausgeharrt. Nun verstehen sie die Weisheit und Vollkommenheit Seiner Wege noch besser. Den Verächtern der Regierung Gottes hingegen wurde gezeigt, dass Er das Böse keineswegs übersieht, ihm Einhalt gebietet und es schonungslos bestraft. Darum rühmen sich alle Rechtschaffenen in Ihm und verherrlichen Seinen Namen (Vers 11; Ps 5,12; 68,4).